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Mirko Kussin

Foren-Redakteur
Einatmen, ausatmen. Dann
Einatmen
Die Luft anhalten. Dann
Ausatmen und dann
Letztmals den Atem in die Lunge ziehen
Gierig. Und dann
Mich der Schwerkraft ergeben
Ohne Willen hinabsinken
Ins Hellblau und weiter
Ins Dunkelblau und weiter
Ins Dunkelgrau und weiter
Hinein ins perfekte, vollkommene Schwarz
Gleiten
Und das Licht über mir lassen wo es ist
Das Oben vergessen, verschwenden, vergeben
Die Luft weiter anhalten und dann
Im lichtlosen, formlosen Schwarz
Das Schwarz betrachten, betasten, begreifen
Und tiefer sinken
Vorbei an der Kindheit, die ans Licht gehört
Vorbei an Kindheitstränen
An Kindheitsangst
An Kindheitspisse
Sinken, sinken, tiefer sinken
Die Einsamkeit bezeugen
Die alles um mich herum ist
Und tiefer hinab
Zu den schwarzen Wünschen im schwarzen Um-mich
Nicht atmen müssen
Denn das Um-mich
Ist schon längst In-mir geworden
Nur noch tiefer müssen
Weiter fallen
Weiter leben
Tiefer leben
Suchend sinken
Zu Wut, Zorn, Trauer und Enttäuschung
Die allesamt schwarz über meine Haut kratzen
Nicht ans Atmen denken
Die Luft vergessen
Während ich auf einen Boden hoffe
Ich brauche keine Luft
Ich brauche einen festen Stand
Und etwas tiefer dann
Vielleicht
Wirklich, endlich, hoffentlich
Den kochend heißen Rand erahnen
Unter den Füßen erahnen
Dort ankommen, wo ich meine Fäuste
In mein Fleisch schlage, schlage, schlage
Und weiter schlage
Bis ich mich erschöpft
Zum Verlierer kröne
Und Herrscher meiner Leere werde
Und dann
Vielleicht dann
Die brennenden Füße spüren
Mich der Hoffnung hingeben
Eine Träne weinen
Die kurz das Schwarz verdrängt
Und mir zeigt
Da ist kein Grund
Nur schmaler Rand
Des Abgrundes unter mir
Ich lächle in ihn hinein
Zum Abschied
Bevor ein, zwei, drei weitere Tränen
Vielleicht bitte vielleicht bitte hoffentlich
Meinen Aufstieg erhellen.
Und dann
Oben
Atme ich wieder ein
Und aus.
Oben
 
Zuletzt bearbeitet:

Ubertas

Mitglied
Hallo @Mirko Kussin ,
Ein tiefes, gefühltes, berührendes Gedicht <3

Tauchend atme aus,
Weinend ein.
Und nimm die Luft
Ins Wachsein deiner Träume.

Stolperst atmend aus,
Gibst all dein Herz
Vergangen.

Legst Schatten - in nichts,
Hin
Zum einzig wahren Freund:
Nur sein Schweben.

Begeisterte und liebe Grüße,
ubertas.
 

Mirko Kussin

Foren-Redakteur
Vielen Dank fürs schöne Kompliment. Ich muss mich hier erst einmal zurechtfinden. War eine Weile* nicht mehr hier.

*so ungefähr 15 Jahre?
 

Tula

Mitglied
Hallo Mirko
Zum einen gefällt es mir in Idee und Umsetzung. Es ist mir nur etwas zu lang und würde eine wenigstens leichte Straffung vorschlagen.

LG Tula
 

sufnus

Mitglied
Hallo Mirko!

Bin da bei Tula: Das ist wirklich eine schöne Idee und auch mir gefällt die sprachliche Umsetzung, wobei ich das Gedicht auch als ein bisschen zu lang empfinde. Genauer gesagt (ich lehne mich hier gerne weiter an Tulas Worte an): Das Gedicht kommt mir noch etwas "ungestrafft" vor, denn es sind meines Erachtens an den Tauchvorgang zu viele "Erklärbilder" angschlossen. So werden kindheitsbiografische Anknüpfungspunkt angeboten, aber auch Assoziations-Stichworte zu Vorbewussten ("schwarze Wünsche") und emotionalen Tiefenschichten. Und am Ende schlägt das lyr. Ich entweder am Rand eines Tiefseevulkans auf (oder direkt in der Hölle) und erlebt dort eine Art Selbstfindung in Schmerz und Leere. Ich denke, es wäre dem Gedicht nicht schlecht bekommen, wenn etwas weniger "Deutungsangebote" ausformuliert würden. In der aktuellen Fassung überlagern die Innenbilder etwas das eigentliche Taucherlebnis und nehmen für mein Empfinden dem ersten Teil, also dem eigentlichen "Apnoegeschehen", ein bisschen was von seiner Wirkung.

Und noch eine technische Frage zum Apnoetauchen: Ist das inhaltlich beabsichtigt und realistisch, dass das lyr. Ich zweimal hintereinander einatmet, letzmalig vor dem Abstieg und dann wieder direkt nach dem Auftauchen?

LG!

S.
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Mirko,

da sieht man mal wieder: Die geübten Tüftler-Schreiber - sind ja Könner - sehen das Gedicht wie ein Werkstück, feilen bei sich noch das letzte Fitzelchen Überflüssiges weg, sinnieren über Ausdruck, Hebung, bekämpfen Füllwörter ... und sehen ein Werkstück.
Und da komme ich unbedarfte Leserin daher und bekomme den Eindruck, dieses Gedicht wollte so geschrieben werden, wie in einer Metamorphose wird der Tauchgang an sich ein nicht unbedingt freiwilliger Anknüpfungspunkt für Schichten der Selbstbetrachtung. Wie die Luftblasen entweichen Seinsproben der innersten Sphäre, ein Zustand, der - selbst, wenn nur vorgestellt - in keiner anderen Situation entstehen könnte, dieses Bild der scharfen Abgrenzung im NIcht-Atmen-Können zum Aufgehen in das unüberwindliche überwundene andere Element. Loslösung und Wiederfinden, Ängsten begegnen, sich begegnen.
Da geht man mit, oder man lässt es - ich habe mich für mitgehen entschieden.
Was ist Länge?

Liebe Grüße
Petra
 

mondnein

Mitglied
Lesen, hinabscrollen. Dann

Lesen

Nachdenken. Dann

Hinabscrollen und dann

Letztmals die Verse ins Auge ziehen

Die da unten
Und noch weiter unten.

Und immer weiter unten

Und noch einmal unten.
Und dann

Mich der Müdigkeit ergeben
 

Mirko Kussin

Foren-Redakteur
Huch, so viele Kommentare hier, die ich noch gar nicht gesehen habe.
Vielen Dank für euer Feedback, auf das ich noch nicht im Detail eingehen kann.
Aber ja: Der Text hat Längen und kreiselt, kreiselt, kreiselt um sich selbst(?). Das kann ermüdend sein, ist aber ein Aspekt, den ich ganz gut finde, weil es eine schöne Verbindung von Inhalt und Form ist.
Das mag jetzt etwas unbefriedigend klingen - und ich finde es selbst immer unglaublich doof, wenn nach Textarbeit ein "aber das soll genau so sein" kommt - aber in diesem Fall würde ich wahrscheinlich nur minimal kürzen.
Ich lass das aber nochmal ein paar Tage sacken.
 

sufnus

Mitglied
Hey Petra!

da sieht man mal wieder: Die geübten Tüftler-Schreiber - sind ja Könner - sehen das Gedicht wie ein Werkstück, feilen bei sich noch das letzte Fitzelchen Überflüssiges weg, sinnieren über Ausdruck, Hebung, bekämpfen Füllwörter ... und sehen ein Werkstück.
Die zentrale (insofern berechtigterweise auch wiederholte) Metapher Deiner "Herangehensweisenbeschreibung" der Tüftler ist: "Werkstück".

Das ist (erstmal) eine sehr gute, weil diskussionsöffnende, Metapher. Denn beim Stichwort "Werkstück" schwingen durchaus divergente Assoziationen mit. Ein Werkstück kann so was sein wie ein liebevoll handgefertigtes Streichinstrument des letzten Geigenbauers von Bubenreuth (es gibt ein Gedicht mit diesem Sujet, daher mal dieser Vergleich). In dem Wort Werkstück kann also mitschwingen, dass hier der Werkstückanfertiger (jederlei Geschlechts) Tradition, Talent und Hingabe vereint, um etwas Einzigartiges zu schaffen. Ein Werkstück kann aber auch ein Objekt sein, bei dem der Handwerkerhobel jede individuelle Note des Ausgangsstoffs weggeglättet hat: Ein - auch im übertragenen Sinne - lebloses Objekt und damit das Gegenteil von "Kunst".

Tja. Was machen wir jetzt aus diesem kontrastreichen Assoziationsraum?

Ich persönlich würde mich ja der ganzen Werkstückmetapher verweigern (boah, voll krasse Totalopposition - ist das so ein Männerdings bei Diskussionen? - so nach dem Motto: NEIN!!! Es stimmt doch gar nicht, dass ich immer widerspreche!!!!).

Also zur Erklärung meiner Werkstückmetaphernzurückweisung (die sich aber explizit nur auf meine persönliche Herangehensweise bezieht und keinen Anspruch auf Verallgemeinerung erhebt): Wer sich durchliest, was ich so alles zusammendichte, wenn der Tag lang ist, und was ich (manchmal) zum Entstehungsgeschehen des jeweiligen Gedichtes zu sagen müssen glaube, der wird bemerken, dass im Wesentlichen kein "Gedichtgenre" vor mir sicher ist und ich manchmal zu einem Poem beanmerke, dass es das Produkt eines ewig langen Rumprobierprozesses ist (da wären wir ja zugegenermaßen bei einer Art Werkstückhaftigkeit) und manchmal darauf hinweise, dass mir das Ding, so wie es jetzt da steht, aus dem Vorbewussten geplumpst ist. Entstehungstechnisch wären das die beiden Extrempositionen: Mal "fine frenzy" (Inspiration) und mal die pure Kalkulation (Transpiration). Die Mehrzahl meiner Lyrikversuche hält sich aber an das lauwarme Mittelmaß: Halb inspirierter Schnellschuss, halb anschließende Nachbesserung.

Angesichts dieser Heterogenität scheint mir aber eine Metapher, die den Rumwerkelprozess einseitig betont, zwar als Diskursimpuls hilfreich (s. o.), aber als Beschreibung der tatsächlichen Verhältnisse, soweit als ich bin betroffen, fehlführend. :)

Und um jetzt zu Mirkos Gedicht zurückzukommen: Keine Ahnung, ob dieses Gedicht das Ergebniss langwieriger Tüfteleien ist oder ein Hauruck-Einfall aus heiterem Himmel, beides kann m. E. zu wunderbaren Ergebnissen führen. In diesem Fall stelle ich aber die Wunderbarigkeit der aktuellen Version teilweise in Frage, weil... aber jetzt würde ich mich bloß wiederholen; ich glaub, ich hab es oben zumindest versucht, rüberzubringen (ich habs ein bischen schlecht eingeleitet, weil ich erst was von der "Länge" schwafele - im Weiteren wurd dann hoffentlich klar(er), dass es mir um etwas anderes ging als bloße Länge ;) ).

LG!

S.
 

petrasmiles

Mitglied
im Weiteren wurd dann hoffentlich klar(er), dass es mir um etwas anderes ging als bloße Länge ;)
Eigentlich nicht ;)
Wenn ich bei Deinem Beitrag # 6 allein das Wort 'Erklärbilder' herauspicke, sind wir schon mitten in der 'Divergenz' unserer Auffassungen. Da sehe ich den Schraubschlüssel (oder Feile, Hobel, name it!), denn es unterstellt, jenes Werkzeug benutzt, aber falsch benutzt zu haben. Wenn die Bilder aber nicht erklären wollen, sondern eine emotionale Ereigniskette beschreiben, was haben wir dann?
Nein, ich wollte Dir keinen Werkzeugkasten unterstellen, und dass Du sowohl als auch schreibst, ist ja kein Geheimnis, aber diese ganz konkrete Herangehensweise bei diesem Gedicht - im Verein mit Tula - hat mir dieses Bild quasi aufgezwungen.
(Macht schon Spaß, mit Dir zu 'zanken' und um so mehr, wenn die 'allgemeine Lage' wenig Spaßhaftes hat.)

Liebe Grüße
Petra
 

sufnus

Mitglied
Hey Petra!
Jetzt hab ich nochmal kurz Luft zum Denken und Schreiben... aus Gründen der Effizienz erfolgt im Folgenden beides (mal wieder) zeitgleich, was der gedanklichen Integrität meiner argumentativen Evaporationen selbstredend unförderlich ist, aber, wenn alles sehr gut geht, womöglich ihren Unterhaltungswert hebt.

Also wenn ich Dich richtig verstehe, geht es Dir (vielleicht?) darum, dass ich dem Text durch mein kritisches Lesen etwas "hinzufüge", was da eo ipso gar nicht vorhanden ist und dann kritisiere ich das, was ich in den Text hineingelesen habe: Fertig ist der Zirkelschluss vom sauberen Herrn Suffinuss.
Aufs Konkrete runtergebrochen: Ich kritisiere da eine Erklärhaftigkeit im zweiten Teil des Gedichts, die aber so nur in meinem Kopf existiert, während Du zu bedenken gibst, dass diese hineininterpretierten Leser*innen*Belehrungen (ha! so macht Gendern Extralaune, jetzt können es auch Innenbelehrungen sein) mindestens genausogut als "emotionale Ereigniskette" (das waren jetzt offensichtlich Zitiergänsefüßchen) auf- und erfassbar sein können (könnten) (können sollten).

Findest Du Dich im Obigabsatz wieder? Falls nicht, ist alles Folgende sinnlos. :)

Eine Einwandentgegnungsantwort meinerseits nimmt so ungefähr den folgenden Verlauf: Mit dem "erklären" habe ich etwas anderes gemeint als "herleiten" oder gar "beweisen", sondern ich verstand im Zusammenhang mit diesem Gedicht darunter so etwas wie "kontextualisieren". Insofern lese ich die geschilderten Tiefengeschehnisse im zweiten Teil durchaus sowohl als "erklären" (in einem sehr weiten Sinn) als auch tatsächlich als "emotionale Ereigniskette". Was ich also dem Text letztlich vorwerfe ist, dass er durch die eng gezogenen Kontextgrenzen, ein Lesepublikum vor die Wahl stellt, entweder von dem Text bereits offenstehende Türen einrennen zu lassen oder sich in eine (böse formuliert) voyeuristische Haltung zu begeben oder resigniert zum nächsten Text weiter zu blättern. Was eher nicht passiert - unterstelle ich jetzt, dabei natürlich Widerspruch sehr herzlich einladend! - ist, dass der Text eine Horizont- oder (hier vielleicht passender) Vertikalenerweiterung anbietet. Diese Was-auch-immer-Erweiterung habe ich in meinem ersten Einwand ungenauer (und daher besser) als "Wirkung" bezeichnet, die im eigentliche. Tauchgangschildern eigentlich angelegt ist, aber dann nicht "genutzt" wird.

Also: Der Text ist natürlich gar nicht schlecht, aber er könnte m. E.mit wenig Zusatzaufwand (!) noch sehr viel (ojeh, jetzt kommts) "besser" sein.

LG!

S.
 

petrasmiles

Mitglied
Wirklich sehr unterhaltsam, Deine Replik, lieber Sufnus, ich stelle nur fest, und das meine ich nicht kokett: Es muss an mir liegen. Nein, ich meine keinen Zirkelschluss, Du tust nichts rein, was nicht da ist: Du erschaffst den Text neu als Leser. Aber das heißt nicht, dass der Rest Deiner Erklärungen überflüssig sind. Immer, wenn wir unseren Standpunkt erläutern, tragen wir zum Gelingen einer Kommunikation bei!
Am Ende Deiner Erläuterungen bin ich trotzzdem nicht schlauer als zuvor. Die 'Belege', dass Dein Begriff der 'Erklärbilder' gar nicht handwerklich gemeint sei, sondern durchaus auch als emotionale Ereigniskette verstanden werden könnten. Mhmpf.
Ich versuche es mal anders herum: Dich sehe ich in der Rolle des Lesers, und damit Interpreten, während ich mich an die Stelle des Protagonisten stelle (bzw. sinke) und den Text zu erleben versuche. (So habe ich das selbst gar nicht gesehen, aber das ist es ... was nicht immer erfolgreich ist ... zumindest nicht immer schön).
Ich möchte aber sagen - um das 'Gezerre' ;) abzuschließen - ich halte Dich für den besseren Kritiker, eben aus den Gründen, die ich genannt habe. Auf Dauer ist es für den Autoren nicht immer hilfreich, wenn er hört 'ja, kann ich nachvollziehen', es sei denn, es läge ihm /ihr besonders daran, verstanden zu werden. Wenn man aber auf handwerkliche Schützenhilfe hofft, habe ich nicht sooo viel zu bieten, allenfalls in puncto Glaubwürdigkeit oder Sach- vielleicht noch Stilfragen.
Du verstehst? Für mich ist 'besser' keine besonders wichtige Kategorie, aber ich biete Spiegelung.

Liebe Grüße
Petra
 

mondnein

Mitglied
warum diese Leerzeilen unter jedem Vers?

das ist exakt das, was einen dazu zwingt, zwanzigmal runterzuscrollen
 



 
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