Taxifahren in Zeiten von MeToo

texxxter

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"Sind sie frei? Super, ich muss in die Wilhelm-Schreiber-Straße".

Das Taxameter wurde gestartet.

"Ich komme gerade von der Kunstaustellung in der Stadtmitte. War furchtbar. Die haben jetzt viele Bilder abgedeckt, weil sie angeblich den weiblichen Körper objektifizieren. Bald werden wieder Begriffe wie entartete Kunst fallen. Wir leben in einem autoritären Zeitalter."

Der Taxifahrer schwieg.

"Haben sie das in den USA verfolgt? Der Missbrauchsskandal um diesen Larry Nassar? Der wird zum zweiten Hitler stilisiert. Die Richterin hat ihm sogar gewünscht, dass er im Gefängnis vergewaltigt wird. Man stelle sich das mal vor. Überhaupt ist es gesellschaftlich völlig akzeptiert, Witze über Gefängnisvergewaltigung zu machen. Aber wenn einer Frau so etwas passiert, ist es ein unaussprechliches Verbrechen. Da wird die Frau erneut zum besonders schutzbedürftigen und zerbrechlichen Wesen gemacht. Eine sehr betagte Idee. Man denke nur an den Ausspruch Frauen und Kinder zuerst".

"Wo ich herkomme, im Iran, steht auf Vergewaltigung auch die Todesstrafe. Es gilt als deutlich schwereres Verbrechen als Mord. Anscheinend entwickelt sich der Westen auch dahin", merkte der Taxifahrer an.

"Genau das meine ich!" Das sind mittelalterliche , oder genauer gesagt, calvinistische Ideen in feministischem Gewand"

Das Taxi hielt an einer roten Ampel.

"Wenn ich an die heutige Kunst im Allgemeinen denke, auch die Musik oder die Filme, wird mir ganz schlecht. Glauben sie, jemand wie Serge Gainsbourg hätte heute noch Erfolg? Den hätte die me too-Bewegung längst von der Bühne verbannt. Ich bin ja Alt-68er. Damals haben wir versucht, die Ketten zu sprengen, die geltenden Moralvorstellungen auf den Kopf zu werfen und Grenzen zu überschreiten. Heute geht es den Menschen darum, Grenzen fester zu ziehen, die Moral strenger durchzusetzen und neue Tabus aufzustellen. Und das Ganze mit einer Grausamkeit, vor der die Konservativen der 50er Jahre erschauert wären. Damals in den 80ern, haben sich die Frauen noch nackt am Strand gesonnt. Sieht man immer weniger. Im Grund entwickeln wir uns zurück. Ist Ihnen aufgefallen, dass die Frauen heute auch viel weiblicher aussehen, als noch in den 80ern? Man sieht keine mehr mit Kurzhaarschnitt oder mit fehlendem Makeup.

"Die Frauen in den 80ern sahen ja auch furchtbar aus", sagte der Taxifahrer.

"Kann sein. Aber damals war der Feminismus noch am Leben. Der echte Feminismus, dem es um Gleichberechtigung ging. Damals wollten die Frauen frei und selbständig sein, heute wollen sie beschützt werden"

"Ja , da könnte was dran sein", meinte der Taxifahrer unsicher. Er hielt an einem Zebrastreifen.

Eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, in Minirock, überquerte ihn.

"Der würd ich ne Gratisfahrt anbieten", sagte der Taxifahrer und die beiden Männer lachten.
 
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