Teddys Beerdigung

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VeraL

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„Ich will einen bunten Sarg für meinen Teddy.“ Wenn ihr Lieblingsteddy schon beerdigt werden sollte, dann nicht in einem langweiligen Schuhkarton, da ließ Nele nicht mit sich reden.
„Ok, ok. Wir können den Karton ja anmalen.“ Ihr Cousin Martin war der Älteste und der Bestimmer. Was er sagte, wurde gemacht. Nach der Treuerfeier von Tante Gisela heute Morgen hatte er sich ausgedacht, die Beerdigung nachzuspielen.
Maja, Martins Schwester lief nach oben und holte Filzstifte. Gemeinsam bemalten sie den Schuhkarton, der Teddys Sarg werden sollte. Martin malte eine Rakete. „Damit kann er zum Himmel fliegen.“
Die Idee gefiel Nele. Sie wusste ja, dass Tote in den Himmel kommen. Aber niemand hatte gesagt, wie sie dahin kommen. Sie zeichnete Sterne und einen Mond. Maja ergänzte einen bunten Regenbogen. Zufrieden betrachteten die drei den Schuhkartonsarg.
„Was brauchen wir noch?“, fragte Martin.
„Ich hole Blumen, die wir in das Grab werfen können“, sagte Maja und verschwand im Garten.
Nele dachte an die Trauerfeier von Großtante Gisela. Tante Gisela hatte im Sarg ihr schönstes Kleid angehabt. Nele hatte sie nicht gesehen, aber sie war dabei gewesen, als Mama es ausgesucht hatte. Nele überlegte. Sie hatte keine Kleider, die Teddy passten. Nur eine Mütze. „Kann ich Teddy seine Lieblingsmütze anziehen?“
„Klar. Er soll ja nicht frieren.“
Nele zog Teddy die Mütze an und legte ihn vorsichtig in den Schuhkarton. Ein bisschen mulmig war ihr schon, aber sie war stolz, dass dieses Mal ihr Kuscheltier die Hauptrolle spielen durfte. Sonst wurden immer nur der Hund von Martin und Majas Schaf verarztet oder in den Weltraum geschossen oder zu einem Polarrennen geschickt.

Die Kinder versammelten sich im hinteren Teil des Gartens. Martin hatte unter den Apfelbäumen ein Loch gegraben und Maja hatte ein Kreuz gebastelt. „TEDI“ stand in schiefen bunten Buchstaben darauf. Der bunte Sarg mit Teddy stand daneben.
„Ich bin der Pfarrer und halte eine Rede“, sagte Martin. „Teddy, du warst der beste Bär der Welt. Nele konnte dich immer kuscheln. Du hast beim Einschlafen geholfen.“ Er redete weiter und erzählte, was Teddy Tolles gemacht hatte. Nele spürte einen Kloß in ihrem Hals. Sie wollte aber nicht weinen, bestimmt würden Maja und Martin dann über sie lachen. Obwohl, bei Beerdigungen weinten sogar Erwachsene, oder? Mama und Tante Sabine hatten heute Morgen jedenfalls Tränen in den Augen gehabt. Bevor sie sich entscheiden konnte, war Martin mit seiner Rede fertig.
„Jetzt müssen wir ein Lied singen. Nele, was war Teddys Lieblingslied?“, wollte Maja wissen.
„Die Affen rasen durch den Wald“, sagte Nele. Sie wusste nicht, ob Teddy das Lied mochte, aber es war im Moment ihr Lieblingslied.
Also sangen die drei „Die Affen rasen durch den Wald“.
„Jetzt müssen wir beten. Das macht der Pfarrer.“
Martin stellte sich gerade hin und machte ein ernsthaftes Gesicht. Genauso hatte Pfarrer Bäumken bei Tante Giselas Beerdigung ausgesehen. „Lieber Gott. Neles Teddy hatte ein gutes Leben. Bitte, lass ihn jetzt zu dir in den Himmel kommen. Amen.“

Nele, Maja und Martin fanden, dass die Beerdigung jetzt langsam zu Ende sein sollte. Sie legten den Sarg mit Teddy in das Grab. Jeder warf ein paar Blumen hinein, die Maja gepflückt hatte. Dann buddelten sie das Loch zu und legten noch mehr Blumen oben drauf. Nele fand, dass es mit dem Kreuz zusammen sehr schön aussah.
„Jetzt kommt der beste Teil. Das Kuchenessen. Das ist das Beste bei jeder Beerdigung“, freute sich Maja.
Sie liefen zum Sandkasten und backten mit bunten Förmchen Kuchen, den sie von Majas Puppengeschirr aßen.
„Jetzt muss jeder eine lustige Geschichte aus Teddys Leben erzählen.“
Martin erzählte, wie Teddy in den Pool gefallen war und an der Wäscheleine mit Omas Unterhosen trocknen musste. Maja berichtete, wie Teddy am Fenster gesessen und die Katze erschreckt hatte. Und Nele erinnerte sich, wie sie Teddy zu Weihnachten bekommen hatte. Damals dachte sie, er wäre das Christkind. Danach hatten sie keine Lust mehr auf Beerdigungen. Sie spielten Fangen und Fußball. Nur zwischendurch, wenn sie zu den Apfelbäumen rüberschaute, spürte Nele ein Ziehen im Bauch.

Abends, als sie im Bett lag, konnte Nele nicht einschlafen. Sie vermisste ihren Teddy, der sonst immer neben ihr lag und weich und flauschig war. Sie dachte, dass er sie bestimmt auch vermisste, ganz allein in seinem Schuhkarton unter der Erde. Sie zog den Stoffhasen, der an ihrem Fußende saß, zu sich, aber das half nicht. Der Hase war nicht Teddy. Dicke Tränen liefen über ihr Gesicht und sie weinte so laut, dass Mama und Papa in ihr Zimmer gerannt kamen.
„Nele, Schätzchen, was ist denn los?“ Mama setzte sich auf ihr Bett und nahm sie in den Arm.
„Ich vermisse meinen Teddy.“
„Wo ist er denn? Haben wir ihn bei Tante Sabine vergessen?“, wollte Papa wissen, der jetzt auf einem kleinen Stuhl saß und riesig aussah.
Nele schluchzte so, dass sie nicht sprechen konnte. Mama streichelte sie und wiegte sie hin und her und schließlich hatte sie sich so weit beruhigt, dass sie erzählen konnte.
„Teddy ist doch tot und wir haben ihn beerdigt.“
Mama und Papa sahen sich erschrocken an. „Ihr habt was?“
Nele erzählte die ganze Geschichte. „Ich vermisse Teddy. Er soll gar nicht tot sein.“ Sie kuschelte sich an Mamas Pullover und bemerkte nicht, dass Papa aus dem Zimmer ging.
Mama strich durch Neles Haare. „Hör zu, mein Schatz. Teddy ist ein Kuscheltier. Kuscheltiere sterben nicht. Man kann spielen, dass sie tot sind, aber sie sind nie in Wirklichkeit tot. Wir können Teddy ausbuddeln und du kannst wieder mit ihm spielen und ihn kuscheln.“
„Und Tante Gisela? Können wir sie auch wieder ausbuddeln? Sie will bestimmt nicht alleine in ihrem Sarg unter der Erde liegen. Und wir vermissen sie doch auch.“
Mama guckte jetzt ernst. „Nein, Nele. Ein Mensch, der stirbt, ist für immer tot. Er kann nicht zurückkommen.“
„Aber gestern hast du gesagt, sie ist bei Gott. Dann kann sie uns doch mal besuchen kommen.“
Mama lächelte. „Ihre Seele ist bei Gott. Das heißt, ihre Gedanken, Gefühle und ihre Erinnerungen. Ihr Körper ist auf dem Friedhof. Aber das bedeutet nicht, dass sie nicht mehr da ist. Wenn du dich zum Beispiel an den schönen Tag mit ihr im Zoo erinnerst, dann ist sie in deinem Herz bei dir.“
Das fand Nele ziemlich schwierig und verwirrend. Mama gab ihr Recht. „Das ist sogar für Erwachsene schwer zu verstehen. Und noch komplizierter zu erklären.“

Nele wollte noch mehr Fragen stellen, aber in dem Moment kam Papa wieder. Er hielt Teddy in der Hand.
„Teddy. Da bist du ja wieder. Ich hab dich so vermisst.“
Sie nahm den Stoffbären in den Arm. Er fühlte sich an wie vorher, nur etwas kalt. „Komm unter die Decke, ich mach dich wieder warm, damit du keine Erkältung kriegst.“ Nele und Teddy kuschelten sich unter die Decke. Mama und Papa blieben eine Weile da, aber es dauerte nur zwei Minuten, da war Nele eingeschlafen.
 
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marcm200

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Eine schön geschriebene Geschichte mit einem Happy-End für Nele und ihren Teddy. Kindgerechte Erklärungen: die Rakete zum Himmel, die Decke gegen Erkältung.

Ich würde noch kurz der Vollständigkeit halber erwähnen, was Maja auf den Schuhkarton gemalt hat.

Ich habe mich zu Beginn gefragt, warum der Teddy überhaupt begraben wird. Das implizite "Komm, Nele, wir spielen Beerdigung" nach einem realen Ereignis (ich vermute, Maja und Martin waren ebenfalls dort?) würde ich gleich im ersten Satz plakativ darlegen. Ich denke, als kleines Kind (was Nele wohl ist) wäre das meine Hauptfrage gewesen, die mich am Anfang sogar vom weiteren Verlauf der Geschichte abgelenkt hätte.


Ein kleiner Schreibfehler: "Ich vermiss [ t ] e meinen Teddy"
 

VeraL

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Hallo marcm200, vielen Dank für deine Anmerkungen. Ich freue mich, dass dir die Geschichte gefallen hat. Viele Grüße Vera
 

molly

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Hallo Vera,

Schon kleine Kinder interessieren sich für den Tod. Hier haben drei Kinder eine Beerdigung nachgespielt, sogar mit anschließendem "Sandkuchen" essen
Aber das ist die wichtigste Botschaft für Nele, auch wenn sie schwer ist:
„Nein, Nele. Ein Mensch, der stirbt, ist für immer tot. Er kann nicht zurückkommen.“

Liebe Grüße
molly
 

VeraL

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Hallo molly,
ja, du das recht, diese Botschaft kann man leider nicht beschönigen sollte man auch nicht.
Viele Grüße
Vera
 



 
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