Teil 1

Kadira

Mitglied
Hell's Diner Teil 1

Teil 1

Das erste was sie tat, als sie sich wieder materialisiert hatte, war an sich herunter sehen, das zweite, eine innerliche Bestandsaufnahme machen, das dritte einen tiefsitzenden Seufzer der Erleichterung ausstoßen. Wieder einmal geschafft! Und das ganze nicht nur an einem Stück, sondern auch relativ sicher, etwas das in Anbetracht der Location nicht immer gegeben war.

Als wenn das Materialisieren allein nicht schon schwierig genug war, zumindest wenn man an einem Stück hier ankommen wollte, was doch eine nicht zu verachtende Konzentration forderte, musste sich hier unten auch noch immer alles ändern. Man wusste nie, wie es gerade aussah, ob man nicht in der Mitte einer kleinen Tortursession landete oder sogar in einem der zahlreichen Feuer. Und tot oder nicht, es war nicht angenehm auf einmal in einem Flammenmeer zu stehen. Einmal hatte ihr das Erlebnis völlig gereicht.

Sie schüttelte sich bei dem Gedanken daran, und verdrängte ihn dann so schnell wie möglich. Es gab wirklich keinen Grund, sich das unangenehme was vor ihr lag mit solchen Gedanken und Erinnerungen noch unangenehmer zu machen. Abgesehen davon: Es hatte ja geklappt.

Trotzdem blieb sie in einem sicheren Abstand von den Flammen weg. Alte Gewohnheiten starben halt genauso wenig wie Urängste, nur weil man auf einmal kein Mensch mehr war. Und, erwiesenermaßen, bekam Menschen Feuer nun mal nicht, womit besagte Urangst erklärt war. Es war ganz einfach, wirklich, auch wenn die anderen sie jedes Mal damit aufzogen und Azazel der Meinung war, dass sie sich schon längst hätte daran gewöhnen müssen und das sie das nur schwächte.

Sie drehte sich um, als ein Zischen die Ankunft eines weiteren Dämons signalisierte. Ein pubertierender und Akne übersäter Teenager mit fettigen, strohblonden Haaren materialisierte sich aus den Schatten heraus. Und obwohl sie ihn nicht kannte, war etwas vertrautes an ihm. Es war etwas in seinem Blick, entschied sie nach einem Moment. »Erik?«, fragte sie.

"Frag nichts und sag nichts«, kam ein dunkles Grummeln von dem Dibbuk, bevor er, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, zwischen den Felsen verstand.

Sie hatte es nicht so eilig und machte deswegen auch keinerlei Anstalten ihm zu folgen. Stattdessen schlenderte sie zwischen Felsen, Höhlen, Plattformen und Flammen umher und versuchte zu erkennen, was sich seit ihrem letzten Besuch geändert hatte, und ob es irgendwelche Neuzugänge gab. Natürlich gab es letzteres. En más. Die Hölle war beliebt wie eh und je - und genauso langweilig wie immer. Es schien, als wäre die Kreativität der Menschen genauso limitiert, wie die der Unterwelt, wenn es um die Strafe ging. Es war immer das gleiche. Vielleicht würde es etwas frischen Wind in die Sache bringen, wenn die Leute wenigstens wüssten, was ihnen geschah, dass sie sich tatsächlich in der Hölle befanden. Das könnte zu einigen interessanten Wendungen führen, als sie einfach nur immer wieder, jeden Tag und jede Stunde aufs neue, ihre schlimmsten Augenblicke wieder erleben zu lassen.

Ihr fielen da so einige nette Sachen ein. Nur war man hier leider nicht an Reformen interessiert. Alles Neue wurde in der Unterwelt erst mal für einige tausend Jahre verpönt, bis man es dann doch irgendwann zähneknirschend akzeptierte. In vielen Dingen war hier unten alles noch festgefahrener als oben. Und ganz sicher hörte man nicht auf die, die gute Ideen hatten, noch weniger, wenn diese Dämonen in der Ausbildung waren.

Das war vielleicht das Einzige, was sie wirklich hasste. Niemand nahm sie für voll. 'Auch Dämon sein will gelernt sein. Glaubt ihr bei uns ging das von jetzt auf gleich?' ahmte sie in ihren Gedanken Gerald nach, der meinte, nur weil er ein paar Jahrhunderte länger dabei war, die Weißheit mit dem Löffel gefressen zu haben. Als wenn die paar Jahre bei ihnen etwas hießen. Aber Gerald war ein sprichwörtlicher Idiot, dem es Spaß machte die Jüngeren unter ihnen zu nerven und zu terrorisieren. Er löste bei ihr immer einen besonderen Kreativitätsfluss aus. Sobald sie nur an ihn dachte, vielen ihr unzählige Torturmöglichkeiten ein, die sie gerne mal an ihm ausprobieren würde. Alter Schleimbeutel! In Wirklichkeit war er schon genauso festgefahren und langweilig wie alles andere hier unten.

L A N G W E I L I G

In der Tat, sosehr, dass sie fast schon verführt war sich umzudrehen, und doch zu ihrem Bestimmungsort zu gehen. Fast. Und vielleicht hätte sie es auch getan (oder auch nicht), wenn ihr Blick nicht an einem doch etwas merkwürdigem Schauspiel hängen geblieben wäre.

Interessiert trat sie näher, bis sie genau vor einer Plattform stand, auf der nichts solides war, noch nicht einmal die obligatorischen, wenn auch wieder ziemlich einfallslosen Höllenfeuer. Es umgab diese Plattform wirklich nichts. Noch nicht einmal Felswände.

Auf dieser kahlen Plattform stand einen Mann, vielleicht mitte 40. Durch sein dünnes schwarzes Haar, wies die Kopfhaut das gleiche Rot auf, wie sein verschwitztes Gesicht. Sein babyblaues T-Shirt schien regelrecht an seinem Körper zu kleben, und gab den Blick auf einen unappetitlichen Bauch frei. Wahrscheinlich mühevoll mit Litern von Bier angetrunken, entschied sie. Das geschmacklose Bild wurde von braunen Boxershorts, braunen Sandalen und weißen Socken abgerundet und nur noch übertroffen von der Kamera, die von seinem Hals baumelte. Das riesige Objektiv ließ sie wundern, ob vielleicht in diesem Fall doch was an dem Gerücht von Männern und ihrem unbewusstem Bedürfnis nach Kompensation dran war.

Er stand mitten auf der Plattform und starrte hilflos auf eine Karte in seiner Hand, die, wie sie bei näherem hinsehen erkannte, von Paris war. Nach einiger Zeit des hilflos Stadtplan vor sich hin und herwenden und mit dem Finger auf dem Papier entlang fahren, fing er an zu murmeln: »Sacré-Cœur, das muss hier doch irgendwo aufgezeichnet sein ...«, wobei seine Stimme einen weinerlichen Ton hatte, der schon mehr als nur etwas peinlich war für einen Mann seines Alters war. Das fand sie zumindest.

Plötzlich blickte er auf, nahm einige zögerliche Schritte, blieb dann stehen und sah sich um, bis sein Blick genau an ihr hängen blieb. Aber er schien sie nicht wirklich zu sehen, denn nach einem kurzen, hoffnungsvollem Lächeln (oder vielleicht auch einfach nur dankbar, oder beides) und einigen Momenten des durch-sie-durch-Sehens, fing das ganze Schauspiel wieder von vorne an. Es wirkte ... bizarr, sogar für hier unten. Vor allem sein verzweifelter Gesichtsausdruck. Fast noch grotesker, als der Priester, der ein Verhältnis mit einem seiner Ministranten hatte und das Pech hatte während Ausübung dessen, allerdings bevor es zum Schlussakt kommen konnte, an einem Herzinfarkt zu sterben, und selbiges nun immer wieder erlebte, was wiederum hier unten immer wieder zur allgemeinen Erheiterung beitrug.

»Hübsch, nicht?« Sie drehte sich um, gerade als der Mann zum fünften Mal mit seinem '... das muss doch hier irgendwo aufgezeichnet sein...' begann. Aus einer Flammenwand trat Azazel heraus. Angeber, dachte sie, aber so war ihr Mentor. Immer für einen großen Auftritt, selbst da wo er völlig an Wirkung verlor. Abgesehen davon, dass das selbst schon der Jüngste von ihnen beherrschte, ging sein Flammenspielchen in der Hölle wirklich etwas unter. » Es ist gut dich zu sehen, du siehst wie immer gut aus«, begrüßte er sie.

Die grün-schwarze, nicht ganz natürliche Viper, sein ständiger Begleiter und ein einmalig schönes Tier, löste sich von seinem Hals, glitt an ihm herunter und wand sich dann an ihren Beinen hoch. Sie beobachte sie für einen Moment und hielt der Schlange dann ihren Arm hin. Diese nahm die Einladung auch direkt an und, wohl um ihre Dankbarkeit auszudrücken, bis sie in ihr Handgelenk. Wäre sie noch ein Mensch, wäre ein Biss dieser speziellen Schlange mit Sicherheit tödlich gewesen, so aber spürte sie nur einen kleinen stechenden Schmerz. Abwesend strich sie dem Tier über den Kopf. »Dein Werk?«, fragte sie Azazel. Die Schlange, offenbar beleidigt bei so viel Nichtbeachtung, zischte sie an, bevor sie sich langsam wieder zurückzog. Um ihren Missmut ein weiteres Mal kundzutun, biss das Tier sie noch mal in den Knöchel, bevor sie majestätisch auf dem Boden davon glitt.

Azazel lächelte sie selbstzufrieden an. »Natürlich.«

»Sieht gar nicht nach deiner Handschrift aus«, bemerkte sie. Normalerweise war der verstoßende Engel doch etwas kreativer als ... das. »Was hat er getan?«, fragte sie und beobachtete den Touristen, der gerade wieder an seinem Ausgangspunkt zurückgekehrt war und wieder das Stadium des Landkartenbetrachtens erreicht hatte.

»Nicht viel. Nur seine Seele verkauft. Oder besser für Informationen eingetauscht.« Er lachte, als er ihren fragenden Blick sah. »Er stand völlig verloren am Arc de Triumph in Paris als ich ihn fand und sagte ganz deutlich, dass er alles geben würde, wenn ihm jemand den Weg zu Sacré-Cœur zeigen würde. Und im Gegensatz zu all den anderen, die ihn munter ignoriert haben, habe ich mich aufgeopfert.«

»Du hast seine Seele für eine Straßeninformation gefordert?«, fragte sie fassungslos. Das war sogar für ihre Verhältnisse etwas extrem. Irgendwie erschien ihr das Preis-Leistungsverhältnis da etwas aus dem Gleichgewicht geraten.

Der Dämon zuckte mit den Schultern, und sie glaubte einen Anflug von Verlegenheit in seinem Blick zu erkennen. »Was kann ich sagen, mir war etwas langweilig. Aber ich habe ihn gefragt und wenn er es dann immer noch will ...«

»Du hast ihn gefragt, ob er seine Seele dafür verkaufen will, und er hat zugestimmt?«

»Natürlich, sonst wäre er jetzt nicht hier. Es war in der Art von 'ja, ja, alles was du willst, aber hilf mir jetzt'. Ich habe ihm nur seinen Wunsch erfüllt.«

»Und warum ist er dann jetzt hier? Kassieren wir nicht eigentlich erst zum Zeitpunkt des Todes, außer in ganz speziellen Situationen? Das heißt es doch zumindest im Handbuch.«

Mit einem Stirnrunzeln sah er sie an. »Das Handbuch gibt Verhaltenshinweise, die aber wiederum immer offen für Interpretationen sind. Ich war der Meinung, du von allen wüsstest das am Besten. Immerhin bist du ja bekannt für deine freien Interpretationen selbiger. Außerdem hat das nichts mit dem hier zu tun. Es ist schließlich nicht meine Schuld, dass er sich anfahren lässt, sobald er die gewünschte Information hat.« Das Stirnrunzeln ließ nach, als der Engel sein Werk mit deutlicher Selbstzufriedenheit begutachtete.

»Und was sieht er?«, fragte sie, als der Tourist wieder seinen merkwürdigen Schritttanz auf der Plattform begann, zwei vor, hilflos einen Schritt nach rechts, dann wieder zurück auf seine Ausgangsposition.

»Na, er erlebt den schlimmsten Moment seines Lebens immer wieder, was sonst?«

»Das ist der schlimmste Moment seines Lebens?«

»Man sollte meinen, dass die Situation in der man seine Seele verkauft doch als schlimmster Moment im Leben eines Menschen gelten lassen sollte, oder?«, sagte er mit einem weiteren Schulterzucken. »Ansonsten wären wir wohl überflüssig.«

Sie wusste es auch nicht besser. Immerhin war sie niemals in dieser Situation gewesen. Sie hatte ihre Seele nicht verkauft oder sonst etwas dämliches gemacht, was zu ihrem Verlust hätte führen können, sondern sich ganz freiwillig nach ihrem Tod für diesen Weg entschieden, nachdem Azazel ihr diese Möglichkeit unterbreitet hatte. Es war ein Weg gewesen weiterzuleben (wenn man es denn so nennen wollte), mit einigen äußerst angenehmen Zusätzen. So nickte sie nur.

»Außerdem ist er ein Tourist, wer versteht die schon. Wir reden hier immerhin über eine Sorte Mensch, die sich freiwillig in überfüllte Busse und Gebäude drängen, die sich freiwillig bestehlen lassen, und meinen sie können das auch noch alles auf Bildern festhalten. Im Grunde ist es die dümmste Kategorie von Mensch, bekannt für abnormes Benehmen und Herdenverhalten.«

»Das mit den Bildern und Bussen sagst du jetzt nur, weil dir alles was mit moderner Technologie zusammenhängt suspekt ist«, sagte sie, grinsend. »Weswegen Techniker jeglicher Art ja auch deine bevorzugte Gruppe sind.«

»Unsinn. Das sind nichts weiter als üble Verleumdungen«, sagte Azazel und seine Verlegenheit trat nun etwas deutlicher hervor, wobei sie sich aber ziemlich sicher war, dass er es nur tat um sie zu amüsieren. Sie lächelte.

»Wirklich? Und da dachte ich, deine 70% Rate wäre nachgewiesen.«

Azazel zog eine Grimasse. » Du wirst mit jedem Jahr unverschämter.«

»Das muss wohl in meiner Natur liegen. Oder vielleicht an meinem Lehrer. Ich war schon immer eine gute Schülerin, wenn mich etwas besonders interessiert hat und ich die richtigen Vorbilder hatte. Und ist mein unwiderstehlicher Charme nicht Teil des Grundes warum du mich wolltest?«, fragte sie mit einem breiten Grinsen. Wie hatte sie das hier in den letzten Dekaden vermisst! Es war vielleicht das, was ihr am meisten fehlte. Und seine Hilfestellungen. Besonders in den letzten zwei Jahren.

Sie zwang sich selber jetzt gerade nicht an ihre doch leicht prekäre Situation zu denken. Dazu würde sie später noch Zeit genug haben - zweifelsohne.

Für den Moment wollte sie einfach nur die angenehme Gesellschaft genießen, die schnell genug schon wieder überschattet werden würde, spätestens dann, wenn sie alle zusammenkamen. Aber für den Augenblick war es perfekt, fast so, als wenn sie sich erst gestern das letzte Mal gesehen hätten. Aber so war es von Anfang an bei ihnen gewesen. Es hatte einfach 'Klick' gemacht, was wiederum dazu geführt hatte, dass sie gar nicht erst lange überlegen musste, sondern direkt ihren Platz im Himmel gegen das Leben als Dämon eingetauscht hatte. Und sie hatte es nicht bereut. Nun gut, fast nie - abgesehen von diesen nervigen, viertelhundertjährlichen Treffen, die ihr zum Hals raushingen.

Ein Dämon zu sein hatte nicht nur so einige beachtliche Vorteile, sondern war auch amüsant. Sie hatte auf jeden Fall ihren Spaß, meistens, abgesehen von heute und der Situation, die ihr noch bevorstand.

»Touché. Aber wir sollten wohl langsam. Man muss immerhin einen Anschein von Ordnung bewahren, auch hier. Manchmal jedenfalls und wenn man der Vorsitzende ist«, erklärte er schmunzelnd während sie sich auf dem Weg machten.

**

Die Beleuchtung im inneren, stand der draußen in nichts nach. Auch hier loderten überall kleinere und größere Feuer, wenn auch etwas geordneter. Ein weiterer Unterschied war die lange Bar und die vereinzelten Tische und Stühle, die im Raum standen.

Das Gebäude war ungewöhnlich leer für diese Zeit, nicht aber so erstaunlich in Anbetracht der Situation. Die Oberen hielten es für besser, dass ihre Schützlinge ungestört miteinander - und ihnen - konferierten. Bei jedem Treffen war mindestens einer der Obergurus anwesend, manchmal auch mehrere, und, falls tiefergehende Probleme bekannt waren, war auch der jeweilige Mentor mit da. Nicht das dies sehr oft passierte. Die meisten ließen sie einfach gewähren, solange sie keinen allzu großen Mist bauten, was so viel hieß wie:

Sie sorgten nicht für den Weltuntergang (denn sollte es doch mal dazu kommen, gab es schließlich die vier Reiter der Apokalypse, und denen konnte man ihren Job ja nicht wegnehmen, und sie auch nicht in ihrem Nichtstun und Kartenspielchen stören, indem man es selber initiierte), sondern erledigten einfach ihren Job (Seelen heranschleppten, Menschen verführen und vom rechten Weg abbringen und etc. etc. etc., halt der übliche Kram). Sie zogen keine zu große Aufmerksamkeit auf sich und vor allem störten sie die Ordnung in der Unterwelt nicht, was wiederum so viel hieß wie dafür sorgen, dass sie keine Dinge taten, die Änderungen erforderten, egal wie minimal diese auch sein mochten. Gerade letzter Punkt war besonders wichtig.

Sie erinnerte sich an den unglückseligen Poltergeist, der sich hier unten verirrt hatte, und die ganze Unterwelt jahrelang unsichergemacht hatte, bevor man ihn endlich zu fassen bekam. Unnötig zu sagen, dass das gar nicht gut aufgenommen wurde, und es seine letzte Tat gewesen war. Seine 'Auflösung' hatte ihnen sehr plakativ dargestellt, dass auch sie nicht völlig unverwundbar waren, nicht in dieser Welt wenigstens, und das es sehr viel gesünder war, allen die mehr Macht als sie hatten und/oder zu Wutanfällen, extremer Ungeduld oder an Wahnsinn litten - und von all dem gab es erstaunlich viel hier unten - aus dem Weg zu gehen.

Sie hatte damit keine Probleme. So gemütlich fand sie es hier unten auch nicht. Im Gegenteil. Die Monotonie auf die die meisten Oberen so stolz waren, würde sie wahrscheinlich innerhalb kürzester Zeit in den Wahnsinn treiben. Wenigstens war Azazel nicht so verschroben.

Alles in allem, entschied sie, als sie sich an die hintersten Ecke des Tisches setzte - zwischen Erik, der giftig vor sich hinstarrte, und der Wand, schräg gegenüber von der Furie, die den Spleen hatte, alle paar Wochen ihren Namen zu wechseln - war ihre Welt gar nicht mal so anders von der Struktur her als die der Menschen. Nun gut, wenigstens wenn man mal davon absah, dass ihre Konflikte seltenst gut ausgingen, dass sie etwas andere Angewohnheiten hatten, den Menschen das Leben (und vor allem alles darüber hinaus!) schwer machten, und auch sonst so einige Vorteile hatten. Aber im Grunde war es doch das Gleiche.

Sie ließ ihren Blick über den Tisch gleiten. Noch waren nicht alle Plätze besetzt, und auch Azazel machte noch keine Anstalten das Treffen zu eröffnen, sondern war in einem Gespräch mit Hansel (nicht Hänsel, nicht Hensel, sondern Hansel, auch wenn die Aussprache genau die gleiche war. Darauf legte er gesteigerten Wert und konnte, wenn es denn jemand gar nicht verstand oder es auch nur den Anschein hatte, auch schon mal äußerst unangenehmen werden) vertieft, einem kettenrauchenden Wasserdämon, dessen blonde lange Haare mit Algen durchsetzt waren und der rechts von ihm saß.

Sie seufzte.

Das einzige das noch schlimmer als die Monotonie hier unten war, waren diese Treffen inmitten dieser nervtötenden Monotonie, auch wenn sie großzügig als 'Versammlung zum Erfahrungsaustausch und Problemlösung für Jungdämonen' beschrieben war, wie es auch auf dem Plakat an der Türe grosspurig angekündigt war. Letztendlich lief es doch immer wieder auf das Gleiche hinaus: Protzen und Heulen. Es war wirklich zu Schade, dass Azazel immer darauf bestand, dass sie teilnahm, mit Worten wie: Der Austausch wird dir gut tun, und du triffst deinesgleichen.' Reiner Blödsinn! Hätte sie ein Bedürfnis einen anderen Dämon zu treffen, gab es auch oben mehr als genug Möglichkeiten dafür. Der Punkt war: Sie wollte es nicht. Jedenfalls nicht sehr oft, und ganz gewiss nicht mit einem von denen hier.

»Magdalena, wie geht es dir? Oder hast du deinen Namen mittlerweile doch mal geändert? Es ist lange her. «

Und ganz besonders nicht mit der!

Sie gab sich keine Mühe ihr Lächeln weniger aufgesetzt oder sogar einnehmend wirken zu lassen. »Eryn«, grüßte sie die Furie ohne jeglichen Enthusiasmus. »Manche Leute wissen wer sie sind und müssen ihre Namen nicht jeden Tag ändern. Und glaub mir, es war bei weitem nicht lange genug. Schicke Frisur übrigens«, sagte sie und deutete auf die roten Schlangen, welche die Furie zu einem Pferdeschwanz zusammenbebunden hatten. Die Tiere wirkten nicht besonders glücklich darüber und zischten ohne unterlass. Für einen Augenblick fragte sie sich, wie sie oben auf der Strasse wohl damit ankam. Vielleicht waren Schlangenhaare ja der nächste Sommerhit. Sie grinste bei dem Gedanken. Nicht das es jemals dazu kommen würde. Tarnung war ihr oberstes Gebot. Das war ihnen von Anfang an eingebläut worden. Trotzdem war die Vorstellung amüsant.

»Man muss mit der Zeit gehen, aber davon hast du wohl keine Ahnung. Und es ist Sasha, nicht Eryn.«

Sie verdrehte die Augen bei dem Hochmut und ließ die Musterung mit einem gewissen Gleichmut über sich ergehen. Es war schon immer so zwischen ihnen gewesen. Abneigung auf dem ersten Blick. Auf beiden Seiten, allerdings hatte sie nicht wie Eryn das ständige Bedürfnisse sich mit ihr zu messen. Sie wunderte sich, ob alle Furien so waren, oder ob Eryn - Sasha - nur ein besonders nerviges Exemplar war. Sie vermutete fast, dass es letzteres war.

»Warum lassen wir es nicht wie immer angehen - du textest mich weiterhin mit deinen sinnlosen Sachen zu und ich ignoriere dich?«, schlug sie vor, griff sich eine der Speisekarten, die auf dem Tisch verteil waren, und vertiefte sich in ihr. Das Schnauben der Furie ging in lautem Lärm unter, als der nächste Dämon sich materialisierte. Erst sah man nur dunkle lederne Flügel, gefolgt von langen schwarzen Haaren, ein blasses Gesicht, und ein definitiv weiblich geformter Körper in einem roten, enganliegendem Kleid.

»Ah«, begrüßte Azazel sie. »Unser Neuzugang. Das ist Elena«, stellte er den Gargoyle vor. » Mach es dir doch einfach bequem. Wir warten noch auf ein paar Nachzügler.«

Besagte Elena nickte kurz, faltete ihre Flügel irgendwie hinter sich zusammen, so dass sie kaum noch sichtbar waren, und nahm neben Eryn Platz, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Oder irgendjemand von ihnen. Es machte sie ihr direkt sympathisch. Sie konnte sich ein Grinsen bei dem angewiderten Blick der Furie nicht verkneifen.

Erik stieß sie in die Rippen, grinste sie an und lehnte sich zu ihr herüber. »Das scheint unserer Furie aber mal gar nicht zu gefallen. Denkst du, sie würde mit mir den Platz tauschen? Mir gefällt sie. Hast du die Flügel gesehen? Der reine Wahnsinn!«

»Untersteh dich!«, fauchte sie ihn an. »Wenn ich Eryn, pardon, Sasha, auch noch neben mir ertragen muss, kann ich für nichts mehr garantieren. Außerdem hast du in dem Körper mit Sicherheit keine Chance bei ihr. Ich glaube nicht, dass sie auf kleine, pickelige Jungens steht. Da musst du wohl andere Geschütze auffahren.«

»Das war nicht fair.«

»Ich wusste nicht, dass das heute Pflicht ist. Entschuldige bitte.«

»Das ist wohl heute jemand mit dem falschen Bein aufgestanden. Du bist ja noch liebenswerter als sonst.«

»Das macht die Umgebung und die Gesellschaft«, gab sie zurück, lächelte aber dabei. Erik war einer der wenigen Dämonen, der nicht direkt das Schlimmste in ihr herausbrachte und konnte manchmal sogar recht witzig sein. Sie erinnerte sich an die Geschäftsparty einige Jahre zuvor, bei dem er den Gastgeber in Besitz genommen hatte und so für allerlei Unterhaltung und Spaß gesorgt hatte, bei den menschlichen, sowie den nicht-menschlichen Gästen, wobei allerdings nur letztere wussten, was passiert war. Für alle anderen sah es so aus, als ob ihr Chef den Verstand verloren hätte.

Für einen Dämon war er annehmbar, auch wenn sie ihm das natürlich niemals sagen würde. »Was ist dir überhaupt passiert?«

»Nichts worüber ich wirklich reden will.«

Sie nickte. »Na dann.«

»Es ist mir wirklich nicht angenehm. Außerdem wirst du es noch früh genug erfahren. Wer fehlt eigentlich noch?«, lenkte er vom Thema ab.

»Nimm es mir nicht übel, aber dein alter Körper sah irgendwie besser aus«, sagte sie, und ließ ihren Blick über den Tisch schweifen. »Soweit ich es sehe, und vorausgesetzt es gibt nicht noch mehr Neuzugänge, fehlen unsere Primadonna, die Banshee und Mister Ich-bin-Gottesgeschenk-an-die-Welt.«

Wie auf Kommando erschien die Banshee in der Türe. Sie nickte mit einem leicht genervten Blick in die Runde bevor sie sich, den Saum ihres grünen Kleides auf dem Boden hinter sich her schleifend und ohne ein Wort zu sagen, an den Tisch neben Erik niederließ. Sie wechselte nie ein Wort mit irgendjemand von ihnen, noch nicht einmal während dieser Treffen, die sie mit einem Gleichmut hinter sich brachte, der sie neidisch machte. Nichts schien sie aus der Fassung zu bringen. In der Tat, hinter ihrem Rücken wurde getuschelt, dass sie sich nicht einmal wirklich bewusst war, was eigentlich gerade stattfand und das dieses Abwesendsein wohl eine Eigenart der Banshees sein musste, was auch erklärte, warum noch niemals jemand eine näher kennen gelernt hatte. Sie waren eine abgeschlossene Gruppe für sich, in dieser Welt hier unten, sowie auch oben.

Allerdings schien es heute anders. Ihr entnervter Blick Richtung Türe war ein deutliches Zeichen, dass sie jemand verärgert hatte und das obwohl jeder wusste, dass es eine schlechte Idee war. Ihr Geschrei und Gekreische konnte sogar einen Dämon zu Tode erschrecken, oder aber zumindest temporär ertauben lassen. So wurde wenigstens gesagt, und keiner von ihnen hatte jemals das Bedürfnis verspürt das zu testen. Sogar die Oberen hielten den nötigen Abstand zu ihnen und zollten den Banshees ihren Respekt. Sicher war halt sicher.

Sie verspürte beinahe Mitleid mit demjenigen, der sich ihren Unmut zugezogen hatte. Dieses Mitleid löste sich allerdings in Wohlgefallen auf, als Yvette in der Türe erschien. Der kurze Anflug von Abscheu auf dem Gesicht der Banshee sagte alles. Sie konnte es ihr nicht übel nehmen. Der Vampir war eines der nervigsten Geschöpfe, dem sie jemals begegnet war. Eine egoistische, eingebildete Dramaqueen erster Güte. Keiner konnte sie ausstehen, was schon etwas hieß, wenn man bedachte, dass hier keiner unglücklich wäre, wenn sie einander niemals wieder sehen mussten.

Sie wusste was jetzt kam, und Azazel tat ihr fast leid. Und richtig. Yvette strich ihr Kleid mit missmutiger Miene glatt, und baute sich neben ihrem Mentor auf. »Ich will Beschwerde einreichen«, begann sie, und ließ sich auch vom allgemeinem Seufzer nicht stoppen, der vom Rest der Gruppe erklang. »Diese Treffen hier unten sind eine Zumutung für jemanden wie mich. Eine Zumutung«, wiederholte sie noch einmal, diesmal jede einzelne Silbe betonend, als wenn das einen tieferen Eindruck machen würde. »Wie allgemein bekannt und erwiesen ist, mögen Vampire Feuer nicht. De facto bekommt es uns gar nicht gut. Trotzdem werden von jeher diese unnötigen, zeitverschwenderischen Treffen hier unten abgehalten, zu einer unmöglichen Tageszeit an diesem unmöglichen Ort. Ich will dagegen Beschwerde einlegen. Man könnte es fast schon als rassistisch bezeichnen, wenn man wollte. Es ist eine Unterdrückung meiner Rasse.«

»De facto bekommt es uns gar nicht gut ...«, imitierte sie Hansel und trieb Yvettes französischen Akzent noch etwas auf die Spitze, was mit einem heiterem Lachanfall vom Rest der Gruppe quittiert wurde. »De facto, sind einige von uns hier nicht in ihrem natürlichen Element«, sagte er. »Aber du bist immer die einzige, die so ein Drama darum macht. Immerhin habt ihr sogar euren eigenen Ankunftsraum, damit euch auch das böse Feuer nichts anhaben kann, im Falle das ihr zu blöd seid ihm auszuweichen.«

»Das kann man wohl nicht vergleichen. Es geht hier ums Prinzip«, brachte Yvette mit mühsamer Beherrschung hervor und wandte sich dann, offensichtlich entscheidend dass der kleine Dämon ihrer Aufmerksamkeit nicht wert war, wieder Azazel zu.

Dieser sah die Vampirin für einen Moment nur schweigend, beinahe nachdenklich an, bevor er einen grünen Zettel hervorkramte, und ihn ihr hinhielt. »Bitte meine Liebe. Die Prozedur kennst du ja bereits. Es ist ja immerhin dein wievielter Antrag?«, fragte er, sein liebenswürdiges Lächeln beibehaltend.

Für einen Augenblick, starrte Yvette den Dämon nur an, offensichtlich um Worte ringend, was ihr das wenig schmeichelhafte Bild eines Fisches auf dem trockenen Land gab. Man konnte es allerdings auch als eine Verbesserung sehen, denn immerhin hielt sie für diesen Augenblick den Mund und schonte ihrer aller Nerven. Zu Schade, dass es wohl nicht für die Dauer des Treffens anhalten würde.

»Er macht das gut«, flüsterte Erik ihr von der Seite zu. »Viel besser als der Letzte.«

»Ja, das macht er.« Sie lächelte Azazel an, als dieser ihr zuzwinkerte. Er kannte ihre Abneigung nur zu gut.

»Ist er nicht dein Boss?«, fragte der Dibbuk.

»Yep«, sagte sie und beobachtete wie Yvette mit dem bisschen Stolz was sie noch zusammenraufen konnte, auf sie zukam, den Kopf hocherhoben. Mit einem vernichtenden Blick in Azazels Richtung, ließ sie sich neben Erik nieder, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Sie zerknüllte das Papier, knallte es vor sich auf den Tisch und entzündete es mit einem Fingerschnipsen. Mit einer dramatischen Handbewegung, fegte sie die übriggebliebene Asche vom Tisch.

Sie strich sich über das blonde Haar, das zu einer Frisur aufgetürmt war, die, vielleicht und mit viel Fantasie, ein Knoten darstellen konnte, aber eher wie ein ausgeleierter Wischmob wirkte, der zwischen Spangen eingeklemmt war. »Netter Körper«, wandte sie sich dann Erik zu. »Wo hast du den denn gefunden, im Kindergarten?«

Bevor Erik auch nur ein Wort sagen konnte, schritt sie ein. »Immerhin hat er keine Angst sich hier unten hinzubegeben - egal welchen Körper er hat. Vielleicht solltest du deine Klappe nicht ganz so weit Aufreißen. Und überhaupt, du hast Asche in deinem Gesicht. Vielleicht solltest du dich erst mal darum kümmern. Aber das ist wohl ein Problem, wenn man sich noch nicht mal im Spiegel sehen kann«, setzte sie liebenswürdig hinzu. »Es würde auch deine schicke Frisur erklären. Wie nennt man den Stil?«

Die Augen der Vampirin verengten sich, bis nur noch zwei schmale blaue Schlitze zu sehen waren. »Im Gegensatz zu dir, schaffe ich es aber trotzdem Geschmack an den Tag zu legen. Bei dir helfen auch Spiegel nichts mehr«, sagte sie, Stimme kalt.

»Und das beweist mal wieder, über Geschmack lässt sich streiten. Ich kenne niemanden, der dein voriges Jahrhundert Outfit auch nur ansatzweise attraktiv finden würde und jeder Friseur würde bei deiner Frisur seinen Job an den Nagel hängen.«

»Zu deiner Information, meine Liebe ...« Was immer zu ihrer Information bestimmt war, sie erfuhr es nicht mehr, denn in diesem Moment kam der Letzte ihrer gemütlichen Gruppe hereinstolziert. Hereinstolziert war das einzige Wort, mit dem man Carlos Auftritt bezeichnen konnte, als er durch die Türe kam und den Raum durchquerte, komplett mit Pelzmantel und blitzender Rollex an seinem Handgelenk. Er machte es sich auf dem einzigen freien Platz - links von Azazel und neben der Banshee - gemütlich.

»Ist kalt hier«, bemerkte Hansel trocken, als er Carlos Aufmachung betrachtete und blies dem Chaosdämon Rauch ins Gesicht, was dieser mit einem Hustenanfall quittierte.

Pikiert, sah dieser Hansel an. »Nicht hier«, erklärte er ihm nach einem kurzen Augenblick Verzögerung, »aber da oben. Außerdem ist es der letzte Schrei in den oberen Kreisen, und wenn man in meinem Feld was erreichen will, muss man sich anpassen. Aber das wirst du wohl nicht verstehen. Immerhin, interessiert es die Fische wohl nicht was du trägst.«

Früher einmal hatte sich Carlos Carl genannt, aber der Name wurde seines gegenwärtigen Aufgabengebietes nicht mehr gerecht, und er änderte ihn zu Carlos. Es klang exklusiver, eleganter, wie er damals groß und breit jedem erklärt hatte, der ihm begegnet war, ob dieser es hören wollte oder nicht. Mit seinem neuen Aufgabengebiet, hatte sich auch sein Auftreten erheblich verändert. Nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich. War er damals noch so erträglich gewesen, dass seine Anwesendheit nicht weiter negativ ins Gewicht fiel (eher im Gegenteil, musste sie zugeben als sie sich an die paar Jahre erinnerte, die sie miteinander verbracht hatten, sogar sehr intim), war er jetzt nur noch ein Großkotz, der sich selber am liebsten reden hörte und Leute dazu brachte ganz schnell die Straßenseite zu wechseln, wenn man ihn kommen sah.

»Schön das du noch Zeit gefunden hast dich uns anzuschließen. Und das auch nur eine Stunde zu spät.«

»Meine Entschuldigung, aber in meinem Bereich kann man nicht immer auf Kommando weg«, erklärte er Azazel mit einem strahlenden Lächeln, das vielleicht bei Menschen wirkte hier aber offensichtlich vertan war, denn Azazel sagte nur: »Darauf werden wir später noch zurückkommen«, und winkte den Kellner heran. Dieser war ein kleiner, fetter korrupter Bulle, der lieber Donuts im nahen American Diner gegessen hat, als seinen Dienst zu schieben und somit indirekt den Tod eines kleinen Mädchens, seiner Mutter und dem Baby zu verantworten hatte - seiner eigenen Familie -, anschließend vom Schwiegervater erschossen wurde, direkt nach der Gerichtsverhandlung, und auf den Namen Stuart hörte. Im Hell's Diner (wie kreativ!, wer auch immer sich den Namen hat einfallen lassen) saß er nun seine Strafe ab. Er durfte an dem Ort, den er am meisten liebte, dass servieren, was zu seiner Verdammung geführt hat, ohne selber jemals wieder davon zu kosten. Sie hatte mal beobachtet, wie er versucht hatte, einen Donut zu essen. Es war ein Bild für sich gewesen, wie dieser sich mit der ersten Berührung seiner Zähne immer wieder in Luft aufgelöst und einen völlig verwirrten Stuart zurückgelassen hatte.

Soweit sie sich erinnern konnte, war er schon immer hier gewesen. Zu den Stosszeiten, hatte er noch zwei Hilfen. Bosco hatte über seine Mafiaverbindungen vergessen, dass er an erster Stelle Polizist war und erinnerte sich leider auch erst wieder daran, als er von selbiger Verbindung ertränkt wurde. Lars war es nicht viel besser ergangen, nur das er die lukrative Quelle erkannt hatte, die die von der Polizei eingezogenen Drogen waren. Er war von einem Drogensüchtigen erschossen worden, als Lars sich weigerte ihm Kredit zu gewähren. Wenn man bedachte, dass er ihn in erster Linie an die Nadel gebracht hatte, war es nur gerecht, wie sie fand, dass er jetzt hier unten war. Viel mehr Leute waren für weniger hier gelandet.

»Willkommen im Hell's Dinner, wo es den besten Kaffee und Donuts gibt.« Stuart war neben Azazel aufgetaucht, Block und Stift in der Hand, und am Gürtel seiner Polizeiuniform, die immer noch die Einschusslöcher aufwies, ein schmutzig-grauer Lappen.

»Hallo Stuart, wie geht's denn heute? Und wie sind die Donuts?«, fragte Azazel liebenswürdig.

Ein Schatten legte sich über den Blick des ehemaligen Polizisten. »Ich denke gut, Sir«, antwortete er nach einem Augenblick, seine Stimme leicht belegt, in seinen Gedanken offensichtlich weit weg. »Sie ... sie sind immer gut ...«, endete er, seine Augen feucht. »Möchten sie vielleicht einen probieren?«, fragte er und stellte dem Dämon auch schon einen Teller auf den Tisch.

»Ja, der sieht in der Tat sehr gut aus. Aber ich habe nichts anderes erwartet. Du kennst dich damit ja bekanntlich aus.« Azazels Stimme war immer noch sanft, aber seine Augen glitzerten. Trotz seines ganzen ruhigen Auftretens, war er halt immer noch ein verstoßender Engel und ein Dämon, etwas, dass die Leute um ihn herum gerne schon mal vergaßen. Hier war er in seinem Element. Er hatte noch nie einen Hehl daraus gemacht, dass er Situationen wie diese genoss, dass er so skrupellos und gemein wie jeder von ihnen sein konnte, wenn ihm danach war, was ihn wiederum zu einem kompetenten Führer und Lehrer machte.

»Was darf ich servieren?«, fragte Stuart, seine Stimme immer noch leicht zittrig.

»Donuts klingen gut. Und Kaffee. Sonst noch irgendwelche anderen oder artspezifischen Wünsche?«, fragte Azazel in die Runde, bevor er herzhaft in seinen Donut biss. Er ignorierte Stuarts unglücklichen Blick. »Und nimm dir doch auch einen und setz ihn ruhig auf meine Rechnung«, erzählte er ihm stattdessen und setzte sich mit einem zufriedenen Seufzer gerade auf. »So, nachdem wir nun vollständig sind, können wir ja endlich beginnen.«

Ein Raunen ging durch den Raum, als die letzten Gespräche (oder besser: Streitereien) verklangen. Sie beobachtete Stuart, der mit einem letzten jämmerlichen Blick auf den Donut und einem gemurmelten »Nein danke, Sir, ich bin nicht hungrig«, wieder in die Küche verschwand.

Sie schloss ihre Augen in Resignation. Das Elend hatte begonnen.
 



 
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