Teil 2

Kadira

Mitglied
Hell's Diner Teil 2

Teil 2:

Mit Unbehagen beobachtete sie, wie Azazel Elena mit einem Nicken entließ und sie mit einem Strich auf seiner Liste abhackte, wie schon zuvor bei der namenlosen Banshee, die ihm mit einem kurzen Kopfschütteln zu verstehen gegeben hatte, nein, sie habe keine Probleme, dann mit einem Nicken, dass in der Tat alles in bester Ordnung sei bevor sie verschwunden war. Und selbst wenn sie Probleme gehabt hätte, hätte sie sie wohl kaum erwähnt, und bei ihrem peristenten Schweigen, hätte auch Azazel sie wohl nicht dazu überreden können, mit ihnen zu sprechen. Banshee musste man sein, dachte sie, als Hansel an die Reihe kam. Da brauchte sie wenigstens nichts zu sagen und konnte einfach verschwinden. Sie überlegte kurz, ob sie es einfach mal mit Schweigen versuchen sollte, ließ die Idee dann aber als unverwertbar fallen. Azazel würde sich niemals darauf einlassen. Und verschwinden konnte auch nicht anschließend einfach, nicht mit Azazel als Vorstand.

»Alles wie immer«, hörte sie den Wasserdämon gerade sagen, der seelenruhig am Tisch saß und in etwas herumrührte, dass unangenehme Ähnlichkeit mit verschimmelten Spagetti hatte, Hansel aber ausgenommen gut zu schmecken schien, wenn man nach seinem Schmatzen urteilen konnte. Es war widerlich.

»Das bedeutet?«

» Die Geschäfte laufen gut. Ein paar Fischerboote und einfach Seemänner, die ich ins Verderben ziehen konnte, ein untergegangenes Frachtschiff hier, ein ausgelaufener Öltanker da, halt das übliche. Wirklich nichts besonderes. Das Geschäft blüht, nicht Rumborak?« Wie auf Kommando, streckte ein sabberndes, leuchtend meergrünes Ungetüm - dass Hansel liebevoll als seinen kleinen Seedrachen bezeichnete, was aber jeden anderen im ersten Augenblick vor Schreck erstarren ließ, vor allem wenn es seine Zähne entblößte (was Hansel immer gerne als Grinsen bezeichnete) und anfing zu knurren (wobei Hansel immer darauf bestand, dass er gar nichts tun würde) - seinen Kopf in die Höhe. Und auch jetzt streichelte er dem Ungetüm über seinen reptilienartigen Körper, wie man es bei einem Kätzchen oder Hund tun würde, beugte sich dann vor und küsste es auf etwas, dass man mit viel Fantasie als Nase bezeichnen konnte, aber eher wie eine übergroße Beule wirkte. Es sah aus wie eine Mischung aus Babyelephant, Krokodil, Schlange und was sonst noch alles. Faszinierend, aber nicht schön. Trotzdem schien es gute Dienste zu leisten, denn Hansel erzählte gerade, wie sie sich einen kleinen Spaß mit der Crew eines Kreuzdampfers erlaubt hatten, die dann die Fluten vor dem 'verfluchten' Schiff vorgezogen hatte. Die Passagiere konnten, dank der guten Verpflegung und erstaunlich ruhig, fünf Tage später gerettet werden, während von der Crew bisher keine Spur gefunden wurde (und es auch niemals würde, wie Hansel ihnen versicherte).

Azazel verzog keine Miene. »Warum nur die Crew?«

»Die Passagiere wären zu einfach gewesen. Mach Buh und die fallen doch direkt in Ohnmacht. Das ist doch keine Herausforderung. Außerdem hat es den Vorteil, dass sie das erlebte weitertragen. Mal sehen wie lange es dauert, bis meine Ecke als zweites Bermudaeidreck bezeichnet wird«, erklärte er mit einem zufriedenen Grinsen, bevor er sich noch eine Gabel verschimmelter Spagetti in den Mund schob. Noch während er kaute, zündete er sich eine Zigarette an und begann sein Schosstierchen mit den Resten zu füttern. Das Seemonster war genauso begeistert von der grünen Pampe wie sein Herrchen und akzeptierte mit Begeisterung, was in diesem Fall hieß: ein lautes Knurren und ein enthusiastisches Schwanzwedeln, dass Stuart beinahe zu Fall brachte, der gerade Nachschub an Getränken brachte, bevor es sich auf den Teller stürzte.

»Das was?«, fragte Azazel, das erste Mal während dieses Treffens ganz offensichtlich verwirrt.

»Na, das Bermudadingen. Da wo immer alles verschwindet.«

»Mein Gott«, warf Carlos entnervt und mit einem Blick auf seine Uhr ein. »Er meint das Bermudadreieck«

»Sagte ich doch.«

»Nein, hast du nicht. Du konntest es dir noch nie merken, und hast immer alles von Bermudadreck bis hin zu Bermudaeidreck und alles dazwischen daraus gemacht. Außerdem liegt es nicht an irgendwelchen Dämonen, sondern Gasen und es ist eh schon ziemlich lange nichts mehr passiert. Vielleicht solltest du deine Ziele doch etwas höher stecken.«

»Ha!« Hansel sprang auf. »Das zeigt doch mal wie viel Ahnung du doch hast! Sagt dir der Name Leviathan was? Nein? Dachte ich mir doch! Vielleicht solltest du mal häufiger Nachforschungen anstellen, anstatt den Börsenbericht zu lesen. Sogar Menschen kennen die Legende. Einer seiner direkten Nachfahren hat die Stelle für sich in Anspruch genommen, vor Jahrtausenden schon, und ich versichere dir, dass er das einzige Wesen ist, was für diese Katastrophen verantwortlich ist.«

Carlos schüttelte den Kopf. »Hast du vielleicht zu viel Öl eingeatmet? Das ist doch der reine Unsinn. Und damit verschwenden wir unsere Zeit.« Dann wandte er sich Azazel zu. »Müssen wir das hier fortsetzen? Es ist idiotisch und überflüssig und ich habe noch genug anderes zu tun. Dinge die wichtiger sind, als dieser Mist hier.«

Azazel legte seinen Stift beiseite und sah Carlos nachdenklich und lange an, so lange, bis Carlos den Blickkontakt als erstes brach und die Tischoberfläche anstarrte, als wenn es das interessanteste auf der Welt wäre. Der Raum war in totale Stille gefallen, als sie darauf warteten, wie sich die Situation entwickelte. Sogar Elena zeigte so etwas wie Interesse und sah auf, während ihre ledernen Flügel lautlos hin und her schwangen.

Zu recht. Eine Situation wie diese war dafür verantwortlich, dass es keinen Nachwuchs im Wetterbereich gab. Markus hatte seinen eigenen Mentor während ihrem vorletzten Treffen so aufgeregt, dass dieser sich kurzfristig entschlossen hat, seinen Job lieber alleine weiter auszuführen, und seinen Schüler sprichwörtlich hat in Luft auflösen lassen, was wohl für Marcel ein ziemlich schmerzhaftes Erlebnis war, wenn die Geräusche, die er während dessen Verlaufes von sich gegeben hat, etwas bedeuteten. Es war auch eine sehr lehrreiche Lektion für den Rest von ihnen gewesen. Hier unten bedeutete ihre Unsterblichkeit nicht allzu viel. Jedenfalls nicht, wenn sie sich mit den falschen Leuten anlegten. Und davon gab es hier unten eine ganze Menge.

»Hansel, setzt dich wieder«, brach Azazel endlich das angespannte Schweigen, ohne seinen Blick von Carlos abzuwenden, der bleich und wie versteinert auf seinem Platz saß. Er schien noch nicht einmal zu atmen. Azazels Stimme war schneidend als er als nächstes sprach: »Wenn du das als eine solche Zeitverschwendung ansiehst, kann ich dich gerne davon erlösen.« Carlos schien auch noch das letzte bisschen Farbe zu verlieren. »Solltest du das doch nicht wollen, wirst du jetzt deine Klappe halten und warten, bis du dran bist. Und glaube mir, die Welt wird sich auch weiterdrehen, wenn du hier unten bist. Deine An- oder Abwesenheit wird dabei keinen Unterschied machen.«

Carlos fuhr leicht zusammen, erstarrte aber beinahe sofort wieder und sagte auch nichts weiter. Sogar in Anbetracht der Situation, war das etwas extrem, wie sie fand. Azazel ließ ihm wenigstens die Wahl. »Ich gehe davon aus, dass du das Warten vorziehst?« Carlos nickte verhalten. »Sehr gut, dann können wir ja jetzt weitermachen. Gute Arbeit, Hansel.« Es schwang Anerkennung in Azazels Stimme mit. Hansel grinste ihn an. »Hast du irgendwelche besonderen Pläne für die Zukunft?«

»Nicht direkt, aber der Sommer fängt bald an, was immer ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Mal sehen, was sich ergibt. Notfalls kann ich immer noch die nahen Inseln überschwemmen. Wassermassenkontrolle erfordert immer sehr viel Geschick. Da kann man nicht genug üben. Letztes Jahrzehnt habe ich, anstatt der Ernte, direkt eine ganze Insel weggeschwemmt, inklusive Leuchtturm und nagelneues Einkaufszentrum«, erklärte Hansel und schaffte es sogar halbwegs betroffen auszusehen.

»Hast du mit Kotatch darüber gesprochen?« Hansel nickte. »Und was hat er gesagt?«

»Üben, üben und nochmals üben. Halt das Übliche«, sagte der Wasserdämon mit einem leichten Augen verdrehen.

»Jaja, euer Los ist schon schwer. Sei dir sicher, sollten wir das Bedürfnis nach völliger Verstörung verspüren, werden wir mit sofortiger Wirkung jeglichen Unterricht und jegliches Üben verbieten«, erklärte Azazel trocken. »Und ich glaub du kannst dein Hündchen jetzt wieder zurückrufen. Ich bin mir sicher, Carlos hat seine Lektion gelernt und wird demnächst zweimal überlegen, mit wem er sich anlegt.«

»Rumborak ist ein reinrassiger Seedrache und kein Hündchen.«

»Ha, reinrassiger Seedrache! Drachen sind verglichen mit dem Viech bildhübsch«, raunte Erik ihr ins Ohr.

»Meinetwegen auch einfach nur Seedrache, aber ruf ihn jetzt zurück, bevor unser lieber Carl endgültig zur Salzsäure erstarrt.«

»Hast du schon mal einen gesehen?«

»Vor einigen Jahren. In Sektion B. Der war wohl zu wild um ihn einfach rumlaufen zu lassen. Obwohl, er hat ganz friedlich ausgesehen, so am schlafen.«

Sektion B war die Hochsicherheitsabteilung hier unten, wo alles landete, was bei Experimenten schiefgelaufen war. Das besagten zumindest die Gerüchte. Nicht das man viel darum geben konnte, denn die Gerüchteküche brodelte hier unten noch besser als oben, besonders zwischen den unteren Dämonen, Engeln und andere Wesen, die keinen freien Zugang zu allem hatten. Aus Sicherheitsgründen, wie man ihnen immer wieder gerne sagte, oder aber, wie sie es sah, um Dinge zu vertuschen. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass es hier unten ein wahres Paradies an totgeschwiegenen Dingen gab.

Sie beobachtete aus den Augenwinkel, wie der Seedrache zu seinem Herrchen lief, Männchen machte, und dem Wasserdämon einmal quer durchs Gesicht leckte. »Hast du gut gemacht, mein Liebling.« Ihr lief ein Schauder über den Rücken als sie sich vorstellte, wie der Seedrache jetzt einmal kräftig zubiss. Sie würde dem Vieh kein bisschen trauen. Aber Hansel war die Ruhe selber, als er eine Tasse Kaffee und ein Glas Whiskey von Stuarts Tablett nahm, der auf einmal wieder aufgetaucht war. Den Kaffee stellt er seinem Haustier hin - das auch gleich begeistert zu schlabbern anfing und scheinbar mehr verschüttete, als er tatsächlich in sich aufnahm, während Hansel den Whiskey in einem Zug in sich rein schüttete.

»Welche Farbe hatte er? Grün?« Als Kind hatte sie sich immer gewundert, ob Drachen tatsächlich so aussahen, wie in den ganzen Kinderbüchern.

»Erik. Was gibt es bei dir?«

»Nein, leuchtend rot«, sagte Erik schnell, bevor er sich Azazel zuwandte. »Nichts besonderes, alles beim Alten«, sagte er in seiner gerade stimmbrüchig werdenden Teenagerstimme.

»Das sieht nicht ganz so aus. Es sei denn, du hast die Regel mit Kindern und Jugendlichen vergessen. Soweit ich mich entsinne, sind Körperübernahmen von selbigen doch erst in der letzten Stufe dran, weil sie gefühlsmäßig zu unberechenbar sind. Also, entweder hast du die Regel vergessen, oder ...«

Erik seufzte resigniert und fügte sich seinem Schicksal. »Es war ein Unfall. Eigentlich hatte ich es auf den Freund seiner Schwester abgesehen, der Anfang dreißig und somit im richtigen Alter war.«

»Was ist passiert?«

»Mein damaliger Wirt meinte sich erschießen zu lassen, und ich war nicht ganz so scharf darauf, das Sterben mitzuerleben und musste schnell handeln. Die Familie war die erste, die ich sah. Die Eltern waren zu tiefgläubig, als das ich auch nur dort ansetzen hätte können, aber der Freund war perfekt. Ich wollte die Körper tauschen, war wohl nicht richtig konzentriert und der Junge zog mich geradewegs in sich rein. Seitdem bin ich hier.« Er hatte so schnell gesprochen, dass er sich bei den letzten Worten beinahe überschlug.

»Da lag ich doch gar nicht mal so falsch mit meinem Kindergarten.« Er warf Eryn einen bösen Blick zu, als diese anfing zu kichern.

»Warum versuchst du es nicht mal. Mal sehen, ob du es besser kannst. Aber du würdest wahrscheinlich in einem Stinktier landen.«

»Hast du versucht den Körper wieder zu wechseln? Solche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen ist keine gute Idee. Zumindest die Eltern werden wohl irgendwann merken, dass etwas nicht stimmt.«

»Natürlich hab ich das versucht! Glaubst du mir gefällt das hier? Aber ich kann mich von diesem Körper nicht lösen. Der kleine Bastard lässt mich nicht gehen.«

»Tja, gleich und gleich gesellt sich halt doch gern.«

Azazel sah sie warnend an. »Wenn du nichts konstruktives beizutragen hast, halte doch einfach deinen Mund, Yvette. Du kommst gleich auch noch dran. Mal sehen, was du uns dann zu sagen hast. Das hier ist nicht zum spaßen.«

Es wirkte. Yvette schwieg wieder.

»Das ist der Grund warum in Besitznahme von Kindern, besonders Teenagern nur denen der letzten Stufe vorbehalten ist, und selbst da kann es zu Problemen kommen. Diese Altersgruppe ist einfach zu unstabil. Wie bist du bisher durchgekommen? Du weißt, dass es immer noch Leute gibt, die an dich glauben, und dann meinen mit einem Exorzismus könnte man solche Probleme lösen, gerade bei Gläubigen.«

Erik winkte ab. »Das hab ich schon mal hinter mir. Deswegen habe ich den Jungen auch davon überzeugt abzuhauen. Er hat seinen Eltern einen herzreißenden Brief geschrieben, und weg waren wir.«

»Wie lange ist das her?«

»Drei Wochen. Ich habe versucht Benji zu erreichen, aber er ist verschütt.«

Azazel nickte. »Er ist gerade irgendwo in Mexiko unterwegs. Bleib nachher hier. Ich bin mir sicher, wir finden einen Weg, dich da rausbekommen. Ich glaub ich habe Adam hier irgendwo gesehen. Und einen temporären Wirt sollte sich hier auch für dich finden lassen.«

Erik stöhnte, aber nickte. Adam war einer der ältesten - im Rat und seiner Rasse -, und besonders für seinen schlechten Humor und dünne Geduld bekannt. Aber wenigstens neigte er nicht zu Tobsuchtsanfällen, was schon mal viel wert war, wie sie fand. Wenigstens würde Erik die Erfahrung überleben.

»Eryn?«, fuhr Azazel fort, sehr zu ihrem Leidwesen. Nach Eryn kam nur noch Yvette und Carlos, dann sie. Und das auch nur, wenn er Carlos nicht schmoren lassen und sie einfach vorziehen würde, was sehr wohl passieren konnte in der momentanen Situation.

» Eine beträchtliche Anzahl betrogener Ehefrauen und Freundinnen, die ich gerächt habe, einen Mafiaboss, dem ich mich angenommen habe, und einige kleinere Vergehen. Alles erfolgreich natürlich.«

Azazel nickte und fragte auch nicht weiter nach. Es war immer das gleiche mit Eryn. Alles was sie tat war erfolgreich. Sie würde niemals in so einen Schlamassel geraten ...

»Yvette«, sagte er und lächelte sie weit an. »Irgendwelche Veränderungen? Verbesserungen? Missgeschicke? So weit ich es hier herauslesen kann, warst du mit einer Verwandlung dran?«

»Ich arbeite daran«, sagte sie. Yvette fühlte sich sichtlich unwohl, wie sie auf ihrem Sitz hin und herrutschte und das halbleere Glass in ihren Händen drehte, ohne irgendjemand von ihnen anzusehen. Von ihrer großen Klappe schien nichts mehr übrig zu sein.

»Das heißt?«

Die Vampirin leerte das Glas in einem Zug und knallte es dann auf den Tisch, was Elena offensichtlich so sehr erschreckte, dass sie mit den Flügeln schlug. Eryn konnte einem Schlag gerade so dank guter Reflexe entgehen. Sie sah Elena böse an. »Kannst du nicht was aufpassen? Warum spielst du nicht einfach wieder Steinfigur?«

Elena ignorierte sie - wie auch jeder andere am Tisch.

Eine große glückliche Familie, in der Tat. Bei dieser Familienkonstellation brauchte man noch nicht einmal Feinde. Und da wunderte Azazel sich, dass sie keinerlei Bedürfnis hatte mit einem von ihnen Zeit zu verbringen ...

»Das heißt«, begann Yvette und zog alle Aufmerksamkeit auf sich, »das es bisher nicht funktioniert hat.«

»Und das liegt an einer Ermangelung an Menschen?«

Yvette warf Eryn einen giftigen Blick zu. »Nein, es hat sich einfach noch nicht ergeben.«

»Woran liegt das?« Azazel war offensichtlich nicht bereit einfach so aufzugeben. »Du weißt, dass es nötig ist, wenn du diese Stufe erfolgreich beenden willst.«

»Vielleicht solltest du etwas weniger Zeit in Blutbanken verbringen«, sagte Carlos das erste Mal wieder was, seine Stimme so falsch nachdenklich, dass es unmöglich war, das als gutgemeinten Rat zu sehen.

Azazel runzelte die Stirn. »Was machst du in Blutbanken?«, fragte er, bevor Yvette auf Carlos reagieren konnte.

»Na was schon? Mich mit Blut versorgen!«

Der abtrünnige Engel schüttelte seinen Kopf. »Warum in Blutbanken? Ich mag zwar kein Experte in Vampirismus sein, aber ich dachte immer, dafür hättet ihr eure Zähne.«

»Leider ist das Ganze nicht immer so einfach.« Der herablassende Ton war fast gänzlich aus Yvettes Stimme verschwunden, und auch ihr französischer Akzent hatte auf einmal nachgelassen. »Die Menschen glauben leider nicht mehr an uns. Für sie sind wir nur eine Legende. Außerdem ist das Blut sehr nahrhaft und erfrischen.« Letzteres setzte sie trotzig hinzu.

»Und so sollte es sein. Ein großer Teil unseres Erfolges hängt davon ab, dass wir nur die Fäden ziehen. Die Menschen sollen sich selber verdammen. Wir geben ihnen nur Anreize.«

Das war auch eine Unmöglichkeit Manipulation zu umschreiben, auch wenn der Rest Sinn machte. Um Seelen zu bekommen, mussten die Menschen sich wissentlich selber ins Verderben stürzen. Sonst konnten sie auf Unwissenheit und Versehen plädieren, und ihnen waren Vergebung und ein Platz oben sicher.

»Aber inwieweit hält dich das von deiner Aufgabe ab? Immerhin seid ihr doch die Meister der Verführung und der Manipulation. Da sollte es doch ein leichtes sein, Opfer zu finden, sei es zur Nahrungsaufnahme oder aber auch mehr.«

Yvette zog eine Grimasse. »Sollte es, ist es aber nicht. Die Menschen sind so eingenommen von Wissenschaft und all dem Scheiß, dass sie nicht mehr an uns glauben, und uns sogar auslachen. Da vergeht dir automatisch jeder Hunger!«

»Dann bräuchtest du wohl keine Blutbanken.«

Diesmal ignorierte Yvette den Chaosdämon, der sich offensichtlich entschieden hatte, dass er seine Würde am besten dadurch zurückerlangen würde, wenn er über andere herfiel. Obwohl, im Grunde genommen war er nur er selber - ein Arschloch. Das war nicht wirklich was Neues. Sie fragte sich, wie sie es jemals mit ihm ausgehalten hatte ohne zu versuchen ihn umzubringen.

»Wie lange geht das schon so?«

»Ich weiß es nicht. Einige Monate.«

»Hast du mit ... wie war ihr Name doch gleich? ... Nadja? darüber gesprochen?«

»Ich krieg das schon selber in den Griff.«

»Versuch es doch mal etwas moderner«, schlug Hansel vor, während er sich von seinem Monster die Hand ablecken ließ.

»Was soll das denn heißen?«

»Sieh dich doch mal an. Du siehst aus wie ein Überbleibsel aus dem letzten Jahrhundert, dass aus Versehen hier gelandet ist. Völlig fehl am Platz. Da springt auch heutzutage kein normaler Mensch drauf an.«

»Du bist ein Wasserdämon«, sagte sie fassungslos. »Was weißt du schon von solchen Sachen?«

»Ich lebe wohl nicht hinter dem Mond«, gab er pikiert zurück. »Ich weiß sehr wohl, was in der Welt passiert. Wahrscheinlich sogar besser als du. Erst letztens habe ich diesen Vampirfilm gesehen, und die hatten keine Probleme Opfer zu finden. Allerdings meinten die auch nicht als Postergirl-Reklame aus dem vorigen Jahrhundert posieren zu müssen. Versuchs mal mit etwas mehr Haut. Oder aber zumindest etwas moderner. Dein Fetzen ist absolut nicht mehr angebracht."

»Du hast einen Vampirfilm gesehen...« Offensichtlich war Yvette noch nicht über ihre Fassungslosigkeit hinweg, dass ein algenübersäter Wasserdämon ihr Modetipps gab. Sie konnte es ihr nicht übel nehmen. Hansel wirkte nicht gerade wie eine Autorität auf dem Gebiet. »Ich weiß ja nicht, ob du dir dessen bewusst bist oder nicht, aber Filme spiegeln die Realität nicht wirklich wieder, sondern dienen der Unterhaltung und streift das was wir sind noch nicht einmal ansatzweise. Es ist eine billige, unglaubwürdige Imitation des Echten. Und in der realen Welt, glaubt nun mal keiner mehr an uns, was nur herzlich wenig mit meinem Erscheinungsbild zu tun hat. Abgesehen davon, bin ich nicht die einzige die das trägt. Es gibt mehr als genug Läden, wo solche Kleider verkauft werden! Wenn es dir nicht gefällt, guck einfach nicht hin«, endete sie beleidigt.

»Stimmt. Du bist nicht die einzige, die so rumrennt. Es gibt da eine ganze Gruppe von Menschen, die das tun. Allerdings werden sie auch von niemandem ernst genommen. Jeder lacht über sie. Eine tolle Gesellschaft. Aber wenigstens hast du mit ihnen so einiges gemeinsam.«

Für einen Augenblick war das prasseln des Feuers und die schlabbernden Geräusche, die Hansels Haustier von sich abgab die einzigen Geräusche im Raum, als sie alle, mit mehr oder weniger offensichtlichem Erstaunen Elena anstarrten. Sie mochte ihre Stimme, und das was sie sagte, machte ihr Elena noch etwas sympathischer.

»Leg deine Anne Rice und co. Literatur beiseite und lebe endlich. Ihr seid wohl die einzigen Unsterblichen, die nur am jammern sind. Nacht ein, Nacht aus, und dabei haltet ihr euch noch für besonders toll und seht gar nicht, wie lächerlich ihr eigentlich wirkt.«

Yvette sprang auf und schnappte hörbar nach Luft, als der ganze Raum in Applaus ausbrach, aber dann auch beinahe sofort wieder verstummte, aus Angst etwas zu verpassen.

»Ich glaube nicht, dass ich mir das von einem Neuling wie dir gefallen lassen muss«, brachte sie endlich hervor, ihre Stimme unangenehm schrill.

»Oh contrair, meine Liebe. Ich bin schon seit einigen Jahrhunderten dabei. Ich bin nur bis vor kurzem unter dem Radar geflogen und blieb von dieser schlechten Parodie hier verschont. Nun da man mich aber einmal entdeckt hat, habe ich leider das mehr als zweifelhafte Vergnügen, Zeit mit euch zu verbringen. Aber ich habe während der Jahrhunderte schon so einiges erlebt, gerade was euch betrifft. Denn aus irgendeinem Grunde ziehen wir euch ja besonders an. Wahrscheinlich, weil wir in Steinform nicht flüchten können, wie es ansonsten jeder tut, wenn ihr einmal loslegt. Vor allem habt ihr immer die gleiche alte Leier drauf. Das ist langweilig, etwas was fast jeder außer euch bereits gemerkt hat.«

»Neu oder schon lange dabei kümmert mich herzlich wenig. Ich muss mir das von dir wohl nicht gefallen lassen. Als Menschenjäger hast du doch keinerlei Ahnung, was es heißt ein Vampir zu sein. Sich Menschen aus der Luft greifen und wegfliegen kann wohl jeder. Dazu gehört kein großes Geschick. Was wir tun ist viel komplizierter!«

»Uh, buh buh.« Eryn. »Eine Runde Mitleid für unsere arme, unverstandene Yvette bitte, weil wir anderen haben natürlich keine Probleme, im Gegensatz zu dir.«

»Wo hast du denn bitte Probleme?«

»Tja, gekonnt ist eben gekonnt. Einige von uns haben Talent, andere wiederum nicht«, sagte die Furie und lehnte sich mit einem selbstzufriedenen Lächeln zurück.

»Leute, bitte ...«

Azazel wurde zu Gunsten von Erik komplett ignoriert. »Eines hast du zumindest mit deinen Vorfahren gemeinsam. Ihr seid alle ganz fürchterliche Dramakönige. 'Oh, ich arme verlorene Seele, muss seit Jahrhunderten umherirren, und keiner versteht mich«, gab er zu bestem in einem ganz fürchterlichen Akzent, der beinahe so klang, als hätte er ihn sich aus einem von Hansels Vampirfilmen abgeguckt.

Yvette sah aus, als ob sie gleich platzen würde, aber bevor sie auch nur ihren Mund aufmachen konnte und die Situation noch weiter eskalieren konnte, ging Azazel dazwischen. »Das ist jetzt wirklich genug. Ich will kein weiteres Wort mehr hören zu diesem Thema. Ich bin mir sicher, dass eure Meinung deutlich genug angekommen ist. Yvette, setz dich wieder. Nadja ist heute hier, und du kannst gleich mit ihr reden und weitere Schritte überdenken. Sie wird dir wohl eher helfen können, als irgendjemand von uns, auch wenn du vielleicht mal über diese Vorschläge nachdenken solltest. Magdalena?«

Sie zuckte zusammen, als Azazel sie so plötzlich adressierte. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten sie ruhig noch etwas mit Yvette weitermachen können. Es war nicht nur der unterhaltsamste Teil des Treffens bisher gewesen, sondern hatte auch erfolgreich für Aufschub gesorgt. Es hätte wirklich noch anhalten können.

Sie unterdrückte ein Seufzen, setzte ihre beste gelangweilte Miene auf, und setzte sich gerade hin. »Alles beim besten. Ein paar Seelen hier und da, die zum Zeitpunkt des Todes eingesammelt werden können, das übliche halt. Außerdem arbeite ich gerade an einem größeren Projekt.«

Es entsprach sogar der Wahrheit. Teilweise, wenigstens. Ein paar Seelen waren dabei gewesen, wenn auch nicht ganz so viele wie sonst wegen besagten größeren Projektes, welches Sara war. Sie hatte nur nicht erwähnt, dass besagtes Projekt etwas aus dem Ruder gelaufen war. Vielleicht kam sie damit durch, auch wenn es wahrscheinlich nicht wirklich standhalten würde, wenn Azazel merkte das etwas nicht stimmte und tiefer bohren würde. Leider kannte sie der andere Dämon sehr gut. Zu gut. Allerdings gab es immer noch die klitzekleine Chance, dass er zu abgelenkt war, um etwas zu merken. Immerhin war da gerade Yvette gewesen, und er hatte noch Carlos vor sich ...

Es war nur ein Strohalm, aber sie war bereit alles darauf zu setzen. Alles wäre besser, als ihre Geschichte hier ausgebreitet zu sehen, und zum Gespött aller zu werden, und das nicht nur in ihrer Gruppe. Und das würde passieren, und auch nicht nur für heute. Sie alle waren sensationshungrig. Nirgendwo brodelte die Gerüchteküche so gut wie hier unten, und ein Dämon, der nicht nur einem Menschen verfallen war, sondern darüber auch seine Aufgaben vergas, wäre wie Öl ins Feuer gießen. Noch nicht einmal Yvette und ihre Unfähigkeit Opfer zu finden reichte daran.

Außerdem ging es hier nicht nur um sie. Alles was sie tat, würde auch automatisch auf Azazel zurückfallen, und der hatte in seiner Sonderstellung als gefallener Engel und einer der Oberen schon genug Probleme und Neider, wobei letztere keine Skrupel haben würden es gegen ihn zu wenden, um die Karriereleiter etwas höher zu steigen, oder aber sich wenigstens die Aufmerksamkeit wichtiger Dämonen zu sichern. Aber auch unter den Oberen sah es nicht viel besser aus, so weit sie gehört hatte. Neid und Intrigen waren an der Tagesordnung, und so etwas wäre Wasser auf die Mühlen derer, die Azazel gerne los werden würden.

Und das wollte sie ganz gewiss nicht.

»Was ist das größere Projekt?«

Sie versuchte ihre Anspannung hinter nicht zu betonter Lockerheit zu verstecken und schaffte es sogar zu lächeln, wie jemand der drauf und dran war, dass Geheimnis seines großen persönlichen Erfolges zu teilen, aber zugleich wusste, dass seine Zuhörer es niemals erreichen werden können. »Ah, es ist nur diese Zigeunersippe, die ich per Zufall gefunden habe. Sie sind äußerst moralisch und darauf erpicht das Böse um jeden Preis wegzuhalten, zumindest aus ihrem Klan und Leben. Wenn sie an einen glauben, und sich auch noch zu schützen wissen - oder es aber wenigstens versuchen - hat man noch mal einen ganz besonderen Thrill«, sie erlaubte sich ein kleines Grinsen. Es war wieder eine Teilwahrheit, denn es war ihr ursprünglicher Plan gewesen. Es gab nichts verführerisches für einen ihrer Art, wie der Untergang von solchen tugendhaften Menschen, die denken das nichts ihnen etwas antun kann. Es erforderte äußerstes Fingerspitzengefühl, war aber ebenfalls der ultimative Kitzel und es gab letztendlich nichts befriedigenderes, als zu sehen, wie sie sich langsam der Versuchung hingaben und letztendlich in ihr Verderben stürzten. Nur, in diesem Fall lief es leider nicht ganz so nach Plan ...

Sie dachte an Sara, und ihren überwältigenden Enthusiasmus und ihre mitreißende Leidenschaft - in allen Bereichen. »Ich arbeite gerade an der einzigen Tochter ihres Anführers. Es ging nur langsam voran, aber ich denke, ich habe sie bald da, wo ich sie haben will.« -- In ihrem Bett, zum Beispiel, was sie auch schon seit einiger Zeit hatte, aber sie glaubte irgendwie nicht, dass Azazel diese zusätzliche Information zu schätzen wissen würde, noch weniger, wenn er erfuhr, dass sie diejenige war, die der anderen Frau verfallen war, und nicht andersherum. Aber es war halt alles nur eine Frage der Sichtweise. Und ihre war ziemlich gut, fand sie als sie sich mit den Fingern durch ihr kurzes rotes Haar fuhr, sicherlich besser, als alles andere.

Innerlich bereitete sie sich auf weitere Fragen vor, überlegte fieberhaft nach Antworten zu allen eventuellen Punkten, die aufkommen könnten, und mit denen sie nichts verraten und Azazel zufrieden stellen würde, ohne in ein Kreuzfeuer wie Yvette zu geraten.

»Gut. Du hältst mich natürlich auf dem Laufenden.«

Sie war so überrascht, dass ihr im ersten Augenblick nichts anderes als ein ziemlich verdattertes 'Was?' einfiel, dass sie aber glücklicherweise im letzten Augenblick runterschlucken konnte. Stattdessen nickte sie. »Natürlich.« Unglücklicherweise, war ihre Stimme bei weitem nicht so fest, wie sie es gerne gehabt hätte.

»Ist ja typisch, dass die eine Vorzugsbehandlung bekommt.«

»Wie immer.«

Sie ignorierte das Geflüster. Es war eh immer das gleiche. Und es war nicht, als wenn ihnen nicht das gleiche zuteil wurde, wenn ihre Mentoren die Sitzungen leiteten. Trotzdem war Azazels schnelles Einlenken ungewöhnlich. Es ging zu schnell. Auf der anderen Seite, schaute man einem geschenkten Gaul ins Maul? Nein, wohl nicht. Vielleicht sollte sie es einfach als das die glückliche Fügung nehmen, die es war und ihre Erleichterung genießen.

Azazel hatte sich schon wieder anderen Dingen zugewandt, und wühlte gerade in dem Stapel Papieren herum, den er vor sich auf dem Tisch liegen hatte. Abwesend nickte er Stuart zu, der mit einem neuen Tablett aber immer noch dem gleichen unglücklichen Gesichtsausdruck zu ihnen an den Tisch trat, und leere Gläser, Tassen und Teller mit vollen tauschte, sein Blick wie schon zuvor auf die Donuts fixiert, als er langsam rückwärts wieder hinter der Bar verschwand. Wenn sie seine Geschichte nicht kennen würde, würde er ihr wahrscheinlich leid tun.

»Carl«

»Carlos. Ich habe meinen Namen schon vor einiger Zeit geändert.«

»Das kümmert mich eigentlich nur herzlich wenig. Du bist hier als Carl aufgeführt, also werde ich dich auch so anreden. Obwohl mir nach deinem heutigen Auftritt auch noch so einige andere passende Anreden für dich einfallen würden, wenn dir das lieber ist ...«

Ganz offensichtlich nahm Azazel ihm seinen Auftritt immer noch übel, etwas das auch Carlos merkte - was man ihm zu Gute halten musste, denn ansonsten war er eher merkbefreit, wie sie noch während ihrer Beziehung gemerkt hatte. Oder vielleicht auch nur blind gegenüber allem was ihn nicht direkt betraf. Er schüttelte den Kopf und murmelte: »Carl ist in Ordnung.«

»Das dachte ich mir. Was ist deine genaue Funktion?« Es war offensichtlich, dass der verstoßende Engel gewissen sadistischen Neigungen nachgab und es genoss Carlos in einer so unbehaglichen Lage zu sehen. Man konnte wohl sagen, dass er ihn nicht sonderlich mochte, denn es stand außer Frage, dass er es aus seinen Unterlagen entnehmen konnte.

»Chaosdämon, Spezialaufgabe Business«, kam es wie aus der Pistole geschossen. »Reiche um ihr Geld und Leben bringen, Rechnungen und Finanzen im großen Stil ins Chaos stürzen, Machtverhältnisse umändern, all solche Dinge.«

»Erfolgreich nehme ich an.«

»Natürlich!«

Im Gegensatz zur Furie klang es in diesem Fall nicht nur wie eine tatsächliche Feststellung, sondern grenzte an Prahlerei. Offensichtlich wähnte Carlos sich in diesem bekannten Fahrwasser sicher. Wobei es allerdings auch nur eine Bestätigung des Gerüchtes sein konnte, dass er von all dem Glanz und Reichtum um ihn herum so geblendet worden war, dass er das Wesentliche aus den Augen verloren hatte, wie seine wirkliche Natur, und was es bedeutete einer der ihren zu sein. Und das war etwas, dass in ihrem Geschäft tödlich sein konnte - egal wie gut man war. Die Obergurus sahen so etwas gar nicht gerne und hatten keine Probleme damit, dem Betroffenen das wieder ins Gedächtnis zu rufen, was wohl immer sehr schmerzhaft und gar nicht mal so selten tödlich war.

»Das ist erfreulich.« Carlos entspannte sich und ließ sich mit einem kleinen, zufriedenen Lächeln auf den Stuhl zurückfallen. Sie aber kannte diese Stimme nur zu gut. Sie war zu ruhig und zu betont nichtssagend, als das dies Ende sein konnte. Carlos war noch nicht entlassen. Azazel spielte nur mit ihm, fast so, wie eine Katze es mit einer Maus tun würde. »Ab morgen versuchst du dann etwas anderes. Du wurdest für Unruhen eingeteilt. In bestimmten Teilen der Welt ist die Stimmung schon sehr angeheizt, aber es fehlt noch jemand, der dem Volk den letzten Schubs in die richtige Richtung gibt. Dieser jemand wirst du sein.«

»Was?« Carlos sah in verständnislos an.

»Ganz einfach«, sagte Azazel, und sein weites Grinsen verhieß nichts Gutes. »Ab morgen wirst du dich unters allgemeine Volk mischen. Keine Partys, Yachten, Wetten, Aktien, und was sonst noch alles mehr, sondern nur die harte Realität für unseren Carl. Stattdessen wirst du dich in diese kleine afrikanische Stadt begeben, und da deine Aufgaben erfüllen«

»Das ist nicht möglich«, sagte Carlos, während er hilflos mit seinem Armen in der Luft gestikulierte, so dass seine Rollex im Feuer blitzte. »Da muss ein Irrtum vorliegen. Wer hat das entschieden? Du? Du kannst das gar nicht alleine entscheiden. Und was sagt Kassandra dazu?«

»In der Tat war es nicht meine alleinige Entscheidung, sondern die des gesamten Rates. Wäre es nach mir gegangen, würdest du nach deinem heutigen Auftritt versuchen in den Abwasserkanälen dein Unwesen zu treiben. Wie auch immer, es war eine gemeinsam getroffene Entscheidung. Offensichtlich bereitet dein allgemeines Auftreten so einigen Leuten Kopfzerbrechen hier. Es heißt, du hättest deinen Fokus verloren. Geld und ähnliches scheint dir wichtiger geworden zu sein, als deine eigentliche Aufgabe. Einige behaupten sogar, du hättest deine wahre Natur darüber vergessen ...« Azazel ließ den Satz ausklingen und schaffte es sogar besorgt auszusehen.

»Aber das ist doch Blödsinn! Niemals würde ich das vergessen! Das sind bösartige Gerüchte!«

»Sind es das? Und was ist mit Gerda, die schöne kühle Blonde? Seit ihr euch nicht vielleicht ein klitzekleines bisschen zu Nahe gekommen? So nahe, dass sie es geschafft hat, dich aus Krog und Co. zu verdrängen, bevor du auch nur annährend dein Ziel erreicht hattest? Und was mit Mark, deinem besten Freund«, diese beiden letzten Worten spie Azazel fast aus, »dem du irgendwann betrunken erzählt hast, wer du wirklich bist?«

»Er war selber betrunken und hat mich gar nicht für vollgenommen«, versuchte sich ein äußerst blassgewordener Carlos schwach zu verteidigen.

Es schien, stellte sie mit einer gewissen Zufriedenheit fest, dass nicht nur sie solche Probleme hatte. Und Carlos schien noch viel tiefer in der Scheiße zu sitzen als sie. Fast tat er ihr leid, wie er da saß, klein geworden, beschämt und blass. Fast.

»Und trotzdem erzählte er danach überall herum, dass du dich für Satan persönlich hältst.«

»Aber den nimmt doch gar keiner für voll. Mark gilt als Trunkenbold, der vom Geld seines Vaters lebt. Alle lachen nur über das, was er sagt.«

»Das mag ja für oben zutreffen, hier unten jedoch sehen einige Leute das etwas anders und sind etwas besorgt und sauer. Einige befürchten auch, dass du tatsächlich etwas größeres vor hast; nur hier unten und nicht oben.«

»Was soll ich denn bitte vor haben?«

»Zum Beispiel eine tote Legende wieder auferstehen lassen?«

Totenstille lag über dem Raum, sogar Hansels kleines Schosstierchen schien aufgehört zu haben, vor sich hin zu sabern, als sie darauf warteten, wie die Situation sich weiter entwickeln würde. Die Anschuldigungen, so nett sie auch verpackt waren, waren gewaltig. Sie konnte sich allerdings nicht vorstellen, dass irgendeiner so blöd sein würde, dass wirklich in Betracht zu ziehen, noch nicht einmal jemand mit einem solchen Grandeur und Machthunger wie Carlos, würde es doch den sicheren Tod bedeuten.

Für einen Moment sah Carlos in verwirrt an, dann dämmerte es ihm wohl langsam, denn seine Verwirrung wurde zu deutlichem Entsetzen. »Du ... ihr könnt nicht wirklich glauben, dass ich so etwas ernsthaft in Erwägung ziehen würde.«

Azazel schüttelte mit gespielter Betroffenheit seinen Kopf. »Offensichtlich tun das aber wohl einige, und der innere Rat ist sehr nervös darüber, immerhin ist es noch keine 2000 Jahre her, dass wir uns unseres letzten Diktators entledigt haben, und uns an etwas wie einer Demokratie versucht haben. Und obwohl diese nicht perfekt sein mag, ziehen wir sie doch der Willkürherrschaft vor.

Nicht das es so einen großen Unterschied gab, wie sie fand. Nun war es halt eine Gruppe, die ganz willkürlich herrschte, und nicht mehr einer alleine. Der einzige Unterschied war eigentlich, dass jetzt noch weniger Entscheidungen getroffen wurden als zuvor, denn es war wohl ziemlich schwer jeden der oberen Dämonen jeder Art unter einen Hut zu bekommen. Für den Rest von ihnen machte es keinen großen Unterschied.

»Das würde ich niemals machen oder versuchen.« Carlos klang ehrlich betroffen und verängstigt.

»Der Meinung war Kassandra auch und - zu deinem Glück - gelang es ihr die anderen davon zu überzeugen. Deswegen gibt es allerdings ein komplett neues Aufgabenfeld für dich. Du sollst dich wieder auf deine Wurzeln zurückbesinnen. Es geht morgen bereits los und du arbeitest mit ... Julia.«

Carlos nickte erst, schüttelte dann aber seinen Kopf. »Das geht nicht! Ich mein«, fuhr er dann wesentlich kleinlauter fort, »kann man das nicht noch etwas verschieben? Da ist dieser Neureiche, und dann der totale Börsensturz, den ich schon seit Monaten geplant habe - das kommt doch immer gut an mit all dem Drama was folgt, selbst wenn man nur die Selbstmorde zählt. Das bringt viele Seelen ein. Und dann bin ich am Wochenende noch auf der Evans Partie eingeladen, da könnte ich noch mal Kontakte knüpfen ... Vielleicht nur noch ein paar Wochen? Oder vielleicht wenigstens Tage?« er sah Azazel mit einem beinahe lächerlich hoffnungsvollem Blick an.

Azazel schüttelte seinen Kopf. »Die Party wirst du leider absagen müssen. Es ist mit sofortiger Wirkung nicht mehr dein Aufgabenbereich. Du wirst da unten gebraucht.« Bevor Carlos, der seinen Mund schon wieder geöffnet hatte, zweifelsohne um weiter zu protestieren/betteln/welche Strategie es diesmal auch immer sein mochte, winkte Azazel ihn ab, sehr zu ihrer aller Erleichterung, denn so interessant es diesmal auch gewesen war, sie alle wünschten sich wohl ein baldiges Ende ihres gemütlichen Treffens herbei. »Versuch es einfach als Horizonterweiterung zu sehen. Es wird dir schon nicht schaden.«

Und damit war das Thema für ihn beendet was wohl auch Carlos erkannte, denn er hielt endlich seine Klappe und nur noch seine zu Fäusten geballten Hände auf dem Tisch, zeigten, dass er wohl nicht ganz so ruhig war, wie er sich versuchte zu gegeben.

»Gibt es sonst noch irgendwelche Fragen, Probleme, oder was anderes zu besprechen?« fragte Azazel in die Runde. Die Antwort war, nicht sehr überraschend, ein einhelliges 'Nein'. Nur Carlos hielt sich zurück, was er wahrscheinlich für sicherer hielt. Wie immer bei solchen Treffen, drängte es sie alle nur noch danach, die Welt hier unten zu verlassen und darauf zu hoffen, dass sie für die nächsten Jahre keinen von ihnen mehr sahen. Bis vielleicht auf wenige Ausnahmen, wenn sie Eriks verklärten Blick Richtung Elena richtig deutete.

»Erik und Yvette, ihr bleibt hier. Ich bringe euch gleich zu euren Mentoren. Und Magdalena, warte bitte auch noch. Ich würde gerne noch mit dir zu reden.«

Sie nickte während sie versuchte das sinkende Gefühl in ihrem Magen zu ignorieren. Es half, dass auf einmal alle in Aufbruchstimmung waren. Die Furie war die erste die verschwand. Sie wünschte, sie könne es ihr gleichtun.

Carlos folgte ihrem Beispiel beinahe auf dem Fuß, und dematerilisierte sich ohne den Rest von ihnen, am allerwenigsten Azazel, eines letzten Blickes zu würdigen, sein Stolz offensichtlich noch immer angeschlagen.

Hansel packte seinen Seedrachen unter dem Arm, was ein kuriosen Bild abgab, da Rumborak mindestens halb so groß war wie er selber, und nahm den traditionelleren Weg aus der Türe raus, leise, offensichtlich äußerst zufrieden mit sich selbst, vor sich hin pfeifend.

Es gab keine Verabschiedungen irgendeiner Art. Außer vielleicht zwischen einigen wenigen, zwischen denen ein loser Kontakt bestehen bleiben würde, weil man sich nicht ganz so unsympathisch war. Aber auch das hieß nicht viel. Warum auch? Früher als ihnen lieb war, würden sie sich eh wieder treffen.»Wünsch mir Glück«, flüsterte Erik ihr zu, bevor er aufstand.

»Wobei?«, fragte sie, aber Erik war schon um den Tisch herum, und näherte sich Elena, die gerade ihre Flügel streckte, und sich unschlüssig umsah. Sie lächelte als sie Eriks Begeisterung sah.

»Na dann, viel Glück.«

Er schien es nicht zu brauchen, denn nur wenige Augenblicke nach dem er mit dem Gargoyle gesprochen hatte kam er schon wieder zurück. Das breite Grinsen sagte alles, und Elena sah ihm amüsiert hinterher, bevor sie in Richtung Ausgang verschwand.

»Und?«

»Nächste Woche, Kölner Dom«, strahlte er sie an.

»Gut für dich. Wie hast du das geschafft.?«

»War ganz einfach. Wir hatten doch schon eine ganz gute Verbindung hier. Ich habe sie dann noch davon überzeugt, dass ich an der Körpergeschichte arbeiten würde, und da waren wir.« Er sah von ihr zu Azazel hinüber, der gerade mit seinen Papieren fertig war und aufstand. »Hast du noch die gleiche Nummer?« Sie nickte. »Ich ruf dich danach an und erzähle dir, wie es war.« Er grinste sie an, beugte sich dann vor und drückte ihr einen Kuss auf die Wange bevor er Azazel und Yvette raus folgte.
 



 
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