Teil 2

losvu

Mitglied
Donnerstag, 25. Juni 1982, 21.34 h

"Okay, Jungs. Lasst ihn los. Er ist Stellvertretender
Bezirksstaatsanwalt."
Die beiden Cops sahen Randy und er nickte. Sie
ließen Rafael los und er kam zu mir.
"Was ist mit ihr geschehen ?", fuhr er mich an.
Sein wütender Blick bedeutete mir, dass es dumm
gewesen wäre, jetzt eine schnippische Anwort zu
geben. Ich ärgerte Rafe für mein Leben gern.
Stattdessen griff ich nach seinem Handgelenk und
zog ihn in Richtung Vorgarten, weg von den Nach-
barn. Wir setzten uns auf die Treppe. Ein weiterer
dunkler Lieferwagen der Spurensicherung fuhr vor.
Ein großer dunkelhaariger Mann stieg aus. Er holte
einen Stahlkoffer aus dem Kofferraum und kam
dann zielstrebig auf uns zu.
"Was liegt an ?", fragte Michael, Stellvertretender
Leiter der Spurensicherung. "Cora sagte, die Tote
sei Laura Bellini von der Staatsanwaltschaft ? Ist
das wahr ?"
"Ja, ihr wurde eine tödliche Halswunde zugefügt."
"Und weiter ?", fragte Rafael mit sanfter Stimme.
Diesen Ton schlug er immer an kurz bevor er los-
brüllte.
Ich überlegte, wie ich es ihm am besten beibringen
sollte. Es war schon schwer, fremden Hinterbliebe-
nen den Tod eines Angehörigen mitzuteilen, aber
das hier war persönlich. Auch Michael wartete.
"Willst du nicht raufgehen ? Cora wartet auf dich."
Mein älterer Bruder machte keine Anstalten, das
zu tun. "Los, beweg dich !", fuhr ich ihn an. Er hob
die Augenbrauen, schüttelte den Kopf und ging.
"Hattet ihr was ? Laura und du ?"
"Clark, lass diesen Mist ! Und was geht dich das
an ?"
Ich wiederholte meine Frage etwas eindringlicher.
Er griff in die rechte Hosentasche und gab mir ein
kleines weißes Kästchen. Ich machte es auf. Ein
schmaler Goldring mit einem kleinen Brillanten. Ein
Verlobungsring. "Scheiße !", rutschte es mir heraus.
"Ich warte." Immer noch dieses Säuseln, jetzt noch
sanfter.
Die Wahrheit. Die schlichte, grausame Wahrheit.
Keine Beschönigungen. Nicht, um ihm noch mehr
weh zu tun, sondern weil es nicht anders ging. Eine
solche Tat konnte man nicht beschönigen. Nicht
einmal ich.
"Sie ist heute morgen nicht zur Arbeit gekommen."
Keine Frage. Ich wusste es ja.
"Ja."
"Edie hat sie heute gegen sechs gefunden, als sie
von der Universität nach Hause kam. Jemand ist in
ihre Wohnung eingestiegen und hat sie umgebracht.
Heute Nacht um Mitternacht herum..."
Ich holte tief Luft.
"Und weiter ? Wenn es nur das wäre, wäre jetzt die
Mordkommission hier und nicht du."
"Sie war nackt, hatte Stich- und Schnittwunden und
Blutergüsse am ganzen Körper und Sperma im
Gesicht. In ihrer Vagina steckte eine Smith&Wesson
Kaliber .38, nicht abgefeuert. Sie wurde vor ihrem
Tod gewürgt und... sie war wahrscheinlich bei
Bewusstsein, als der Täter ihr die Halswunde beige-
bracht hat."
Die ganze Zeit über hatte ich den Blick nicht von ihm
abgewandt. Was ich nun sah, überraschte mich. Mei-
nem Bruder, der seit dem Tod unserer Mutter wie ein
Roboter in Menschengestalt durchs Leben zu gehen
schien, schoss das Wasser in die Augen. Er blinzelte
ein paarmal heftig, holte tief Luft und hatte sich dann
wieder unter Kontrolle. "Irgendwelche Anhaltspunkte ?"
Da war er wieder, der kalte Jurist. Business as usual.
Ich explodierte. Es war mir gleich, wer zuhörte.
"Das ist wirklich toll, Mr. Law&Order. Deine Frau ist
tot und du hast nichts weiter dazu zu sagen als 'irgend-
welche Anhaltspunkte ?!"
"Clark, was fällt dir ein ? Sei leise !"
"Nein ! Was fällt DIR ein, zum Teufel ?!" Ich wurde
noch lauter. "Weißt du, was ich getan hätte, wenn ich
Scavo da oben gefunden hätte ? Ich wäre durchge-
dreht ! Ich hätte die ganze Stadt zusammengebrüllt.
Ich hätte meinen eigenen Namen nicht mehr gewusst !
Sie hätten mich in einer Zwangsjacke abtransportieren
müssen. Aber du... Sowas ist unter deiner Würde, nicht
wahr ? Nur niemanden einen Blick hinter die schicke
Fassade werfen lassen. Siehst du, wohin dich das ge-
bracht hat ? Du kannst nicht mal um den Menschen wei-
nen, mit dem du den Rest deines Lebens verbringen woll-
test, du gefühlloses Arschloch ! Mom würde sich für dich
schämen, wenn sie noch könnte ! DU solltest dich schä-
men !"
"Ich hab sie geliebt !", schrie er zurück und schlug mir mit
der flachen Hand ins Gesicht. Es geschah so schnell, dass
mir vor Überraschung die Luft wegblieb. Es tat weh.
Rafael brach in Tränen aus. Jegliche Wut, die noch in mir
war, entwich aus mir. Ich fühlte mich müde und leer. Rafe
stand einfach nur da und weinte. Ich betastete meine puk-
kernde Unterlippe und Blut blieb an meiner Fingerspitze
hängen. Dann nahm ich meinen Bruder in die Arme. Er
wehrte sich nicht. Ich drückte ihn an mich. "Das mit Mom
war gemein. Es tut mir Leid, Rafael."
Er nickte an meiner Schulter. Ein paar Minuten später
hatte er sich etwas beruhigt. Überrascht starrte er auf
meine Unterlippe.
"Verdammt. War ich das ?"
"Ja. Mein Ego hat einen tödlichen Schlag abgekriegt."
Er grinste schief. "Geschieht dir recht." Dann wurde er
ernst. "Ich möchte rauf."
"Hm ?"
"In ihre Wohnung."
"Kommt nicht in Frage !"
"Doch, Clark. Sofort !" Er hatte wieder diesen Laser-
Blick drauf. Als wären die letzten zehn Minuten nie ge-
wesen.
"Ich sollte dir auch eine reinhauen." Doch ich wusste, wann
ich verloren hatte. "Gut, komm mit."
 



 
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