18.09 h
Christian Huff war Nr. 4 aus unserem Aktenstapel.
Er hatte fünf Jahre zuvor eine Prostituierte mehrmals ver-
gewaltigt, sie geschlagen, ihr die Haare ausgerissen, ein
Messer an ihren Hals gehalten und sie damit verletzt,
während er sie missbrauchte.
Ein junger Mann hatte es gesehen und eingriffen. Laura
hatte Huff angeklagt und eine Verurteilung erreicht. Es
gab eine gewisse Ähnlichkeit seiner Tat zu ihrem Tod,
die wir nicht ignorieren konnten. Wir hielten vor einem
Apartment-Haus im mediterranen Stil Ecke Filbert und
Stockton Street.
"Schicke Hütte." Trina war beeindruckt.
"Bevor er verknackt wurde, war er Anwalt für Firmen-
recht. Hat nicht schlecht verdient. Seine Frau ist auch An-
wältin." Ich schlug die Akte zu. "Dann wollen wir mal
sehen, was Mr. Huff Mittwoch Abend zwischen zehn Uhr
und ein Uhr morgens getrieben hat."
"Das ist eine Unverschämtheit !", empörte sich Mrs. Linda
Huff, als wir ihr erklärten, warum wir hier waren. Sie war
brünett, etwa Mitte Dreißig und hatte braune Augen, die
mich im Moment abschätzig musterten. "Haben Sie uns
nicht schon genug Ärger gemacht ?"
"Das hat Ihr Mann ganz allein geschafft. Wir hätten ihn gern
gesprochen."
"Vergessen Sie's !" Sie wollte uns gerade die Tür ins Gesicht
schlagen, als Trina sagte: "Sie engagieren sich doch öffentlich
für Opfer sexueller Gewalt, nicht wahr ?"
"Ja, meine Schwester wurde ebenfalls ein Opfer. Und ?"
"Finden Sie es nicht etwas heuchlerisch, uns an unserer Arbeit
zu hindern ? Wer, glauben Sie, hat den Kerl geschnappt, der
Ihrer Schwester das angetan hat ? Und wer hat ihn wohl ver-
knackt ? Das wirft kein gutes Licht auf Sie, Lady. Besonders
nicht, wenn die Medien davon erführen. Und wenn Sie nicht
so freundlich sind, uns hereinzubitten, werden wir eben zu Ihren
Nachbarn gehen und die befragen. Da haben wir kein Problem
mit. Und sie werden kein Problem damit haben, uns... behilflich
zu sein."
Trina würde einmal eine der besten bei der Polizei werden, das
wusste ich einfach.
"Lass sie rein, Linda", sagte eine resignierte Stimme hinter ihr.
Christian Huff war knapp einsneunzig groß, blond und hatte
grüne Augen. Mrs. Huff ließ uns herein und schloss die Tür.
"Guten Abend, Sir. Ich bin Inspector Delgado und das ist
Sergeant Craig, Abteilung Sexualdelikte." Wir wiesen uns aus.
"Sie haben mitbekommen, weshalb wir hier sind ?"
"Ja."
Wir gingen ins Wohnzimmer und setzten uns.
Ich fing Mrs. Huffs Blick auf. Hinter ihrer hübschen, hohen
Stirn arbeitete es. Ich glaubte zu wissen, was sie gerade
dachte. Ich hatte diesen Blick zu oft gesehen und wusste,
dass er Ärger bedeutete. Sie wollte uns ans Bein pinkeln.
Ich warf einen Blick in die Akte, suchte nach dem Namen
von dem Anwalt, der ihn vor Gericht vertreten hatte.
"Ist Mr. Rush immer noch Ihr Anwalt, Sir ?"
"Ja, warum ?"
"Warum rufen Sie ihn nicht an ?"
Huff sah mich überrascht an. "Wollen Sie mich festnehmen ?"
"Nein, aber Ihre Frau überlegt gerade, ob sie uns wegen
polizeilicher Schikane anzeigen soll. Wir halten es für besser,
wenn Mr. Rush bei der Befragung zugegen wäre."
Mrs. Huff sah mich mit offenem Mund an. Das kannst du
nicht gewusst haben, sagte ihre fassungslose Miene.
Ich lächelte sie freundlich an. Ertappt.
Ein paar Augenblicke später legte Huff den Hörer auf. "Er
kommt in zehn Minuten."
Er bot uns etwas zu trinken an. Trina und ich nahmen Eis-
wasser.
Zehn Minuten später klingelte es und ein paar Momente
später erschien Mrs. Huff mit Brendan Rush, Partner bei
Cochran, Rush, & Partner. Strafverteidiger. Rush war An-
fang Vierzig, einsachtzig groß, hatte blondes, schütter wer-
dendes Haar und durchdringende blaue Augen. Mrs. Huff
hatte ihm anscheinend schon gesagt, wie Trina uns Zugang
zur Wohnung verschafft hatte, denn er spießte sie mit sei-
nem Blick regelrecht auf. Trina war das scheißegal.
"Ist es wahr, dass Sie Linda bedroht haben, Inspector ?"
"Ich habe nur Tatsachen ausgesprochen, Sir. Eine Fest-
stellung ist doch keine Drohung, oder ?" Sie schaute ihn
mit großen, unschuldigen Kulleraugen an. "Wenn Sie sich
bedroht fühlten, Ma'am, so tut es mir Leid", sagte sie zu
Mrs. Huff. Die schüttelte nur ungläubig den Kopf.
Rush lächelte Trina anerkennend an. "Weshalb bin ich
hier ?", fragte er dann.
"Wir untersuchen den Mord an der Staatsanwältin Laura
Bellini", sagte ich. "Es gibt Parallelen zwischen Miss Bellinis
Tod und der Tat, wegen der sie Ihren Mandanten angeklagt
hat."
"Was für Parallelen ?"
Ich gab ihm die Akte und eine kurze Zusammenfassung der
Autopsie.
"Hm, ...", machte Rush.
"Diese Frau war eine von uns, Mr. Rush. Wir wollen nicht,
dass unsere Ermittlungen torpediert werden, weil jemand
sich ungerecht behandelt fühlt." Ich sah Mrs. Huff an, die
den Blick gesenkt hatte. "Dafür war sie uns zu wichtig. Wir
haben Sie hinzu gerufen, damit dieses Gefühl nicht aufkommt.
Während wir auf Sie gewartet haben, haben wir Ihrem Man-
danten keine Fragen gestellt."
"Stimmt das ?", erkundigte sich Rush bei den Huffs.
Beide bejahten.
"Wo ist der Haken, Craig ?", fragte Rush. Wir kannten uns
von zahlreichen, für ihn sehr nachteiligen Begegnungen vor
Gericht.
"Kein Haken. Nur ein paar Informationen. Wir waren ko-
operativ. Jetzt sind Sie dran. Quid pro quo."
Rush lächelte. "Gut, fangen Sie an."
"Wann wurden Sie entlassen, Sir ?", wandte ich mich an
Huff.
"Am ersten März."
"Machen Sie eine Therapie um mit Ihren Gewaltfantasien
klarzukommen ?"
"Was soll das, Craig ?", unterbrach Rush.
"Ich bin Psychiater, Rush. Das ist eine legitime Frage."
"Ich mache eine Therapie", sagte Huff. Er nannte mir den
Namen des Therapeuten.
"Wo waren Sie am Mittwoch abend von halb elf bis ein
Uhr morgens am Donnerstag ?"
"Wir waren in einem Lokal, dem Rose Pistola. Auf der
anderen Seite des Washington Square. Lindas Vater
hatte Geburtstag und wir haben dort gefeiert. Es ist sein
Lieblingsrestaurant."
"Wann begann die Feier ?"
"Um halb neun."
"Wie lange blieben Sie ?"
"Bis kurz nach halb eins."
"Sind Sie Stammgäste im Rose Pistola ?"
"Nein", sagte Mrs. Huff. "Wir feiern Daddys Geburtstag
immer dort. Jedes Jahr, das ist Tradition. Sonst sind wir
vielleicht drei, viermal im Jahr dort."
"Kennen Sie die Besitzer gut ?"
"Wir sind nicht per du, aber bekannt."
"Eine Frage noch - und protestieren Sie nicht, Brendan.
Es steht Ihrem Mandanten frei zu antworten oder nicht."
Er nickte widerwillig.
"Haben Sie Laura Bellini ermordet, Mr. Huff ?"
"Ich war nicht sonderlich gut auf Miss Bellini zu sprechen.
Sie hat mich ins Gefängnis gebracht. Aber ich weiß auch,
wenn ich es getan hätte, wäre ich sofort zurückwandert.
Und fünf Jahre San Quentin sind eine Erfahrung, der ich
keine weitere dieser Art hinzufügen möchte."
Mein Kopf sagte mir, dass er die Wahrheit sagte, doch
mein misstrauischer Bauch sagte, ich solle das überprüfen.
Ich nahm Huffs Bild aus der Akte und gab es Trina, die
die ganze Befragung notiert hatte.
"Geh zum Rose Pistola und befrag das Personal."
"Sie sind misstrauisch", stellte Rush fest, als sie gegangen
war.
"Das kann nie schaden, Sir."
Als Trina das im mediterranen Stil gehaltene Lokal betrat,
schlug ihr eine Wolke aus köstlichen Pasta-Düften und an-
geregtes Geplauder entgegen. Ihr Magen begann zu knur-
ren. Sofort kam ihr eine junge Frau entgegen und fragte,
ob sie ihr behilflich sein könnte. Trina wies sich aus und bat
sie, die Bedienungen, die am vergangenen Mittwoch gear-
beitet hatten und wenn es möglich wäre, die Lokalbesitzer,
zusammenzutrommeln. Die Befragung würde nur ein paar
Minuten dauern. Fünf Minuten später kam die junge Frau,
Elena, zurück und geleitete sie in den privaten Bereich. Im
Büro des Besitzers waren zwei Bedienungen und die Frau
vom Chef.
"Chrissy und Lily haben heute frei", erklärte Elena. "Sie ar-
beiten Mittwoch abends hier. Zusammen mit Missy, Annie
und mir."
"Aber Sie alle waren Mittwoch abend hier ?"
"Ja", sagte eine kleine, etwas rundliche Italienerin. "Ich bin
Lilah Ambruzzi. Meinem Mann und mir gehört das Restau-
rant. Darf ich fragen, worum es geht ?"
Trina erklärte es ihnen und zeigte ihnen das Foto von Huff.
"Wann begann die Feier ?"
"Um halb neun."
"Wie lange dauerte sie ?"
"Etwa bis halb eins."
"War Mr. Huff die ganze Zeit anwesend ?"
Ein einstimmiges Ja.
"Er hätte nicht unerkannt verschwinden können ?"
"Wir haben ihn nicht überwacht, Inspector", sagte Mrs.
Ambruzzi.
"Natürlich nicht, Ma'am", sagte Trina beschwichtigend.
"Annie, Missy und ich haben uns den Abend über größ-
tenteils um Mr. Russo - Mrs. Huffs Vater, wenn ich das
richtig verstanden habe - und seine Gesellschaft geküm-
mert", sagte Elena. "Bestellungen aufgenommen, Geträn-
ke nachgeschenkt. Mr. Huff war nie länger weg, denn
wir wurden in relativ kurzen Abständen gerufen und er
war immer da." Die anderen beiden bestätigten das.
"Wie kurze Abstände ?"
"Sicher alle zehn bis fünfzehn Minuten. Irgendjemand
hatte immer einen Wunsch."
Pinkelpausen, dachte Trina. Nicht genug Zeit, um eine
Frau am anderen Ende der Stadt zu massakrieren...
"Die letzten fünf Jahre war Mr. Huff bei Mr. Russos
Geburtstagsfeiern nicht anwesend", bemerkte Mrs. Am-
bruzzi. "Hat Ihre Befragung damit zu tun, Inspector ?"
"Ja, Ma'am."
"Hat er getan, was damals die ganze Zeit in den Zei-
tungen stand ?"
"Ja, Ma'am."
Die Frau erblasste unter ihrer Naturbräune.
"Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, dass Sie sich
Zeit für mich genommen haben", sagte Trina kurze
Zeit später und verabschiedete sich. Dann ging sie über
den Washington Square zurück zum Wohnhaus der
Huffs.
Ich hob eine Augenbraue, als Trina zurückkam.
Sie schüttelte den Kopf.
Wir erhoben uns und verabschiedeten uns von den Huffs,
sagten aber auch, dass wir die großteils übereinstimmen-
den Tatmuster nicht hatten ignorieren können.
"Das sollte keine Schikane sein, sondern ein Ausschluss.
Ich bin ehrlich mit Ihnen, Mr. Huff. Ich heiße nicht gut,
was Sie getan haben, aber Sie haben Ihre Strafe abge-
sessen. Solange Sie nicht rückfällig werden, ist die
Sache gegessen."
Wir verabschiedeten uns auch von Brendan Rush, ganz
freundlich. Quid pro quo. Nicht mehr, nicht weniger.
Mrs. Huff begleitete uns zur Tür. "Woher wussten Sie,
was ich dachte ?", fragte sie.
"In die Köpfe von Menschen zu schauen, ist mein Job.
Es gibt nur ganz wenige, die etwas vor mir verheimlich-
en können. Auf Wiedersehen, Ma'am."
Als nächstes fuhren wir zum Hastings Law College, nur
ein paar Blocks vom Revier entfernt, wo Trina ihren
Strafrecht-Kurs gerade noch rechtzeitig erreichte. Ich
fuhr weiter zum Justizpalast. Ich hatte das Gefühl, Leigh
dort eher anzutreffen als im Revier in der Eddy Street im
Tenderloin. Es wurde Zeit für ein klärendes Gespräch.
*Quid pro quo: lat. "etwas für etwas" - Juristendeutsch
für Gegenleistung
Christian Huff war Nr. 4 aus unserem Aktenstapel.
Er hatte fünf Jahre zuvor eine Prostituierte mehrmals ver-
gewaltigt, sie geschlagen, ihr die Haare ausgerissen, ein
Messer an ihren Hals gehalten und sie damit verletzt,
während er sie missbrauchte.
Ein junger Mann hatte es gesehen und eingriffen. Laura
hatte Huff angeklagt und eine Verurteilung erreicht. Es
gab eine gewisse Ähnlichkeit seiner Tat zu ihrem Tod,
die wir nicht ignorieren konnten. Wir hielten vor einem
Apartment-Haus im mediterranen Stil Ecke Filbert und
Stockton Street.
"Schicke Hütte." Trina war beeindruckt.
"Bevor er verknackt wurde, war er Anwalt für Firmen-
recht. Hat nicht schlecht verdient. Seine Frau ist auch An-
wältin." Ich schlug die Akte zu. "Dann wollen wir mal
sehen, was Mr. Huff Mittwoch Abend zwischen zehn Uhr
und ein Uhr morgens getrieben hat."
"Das ist eine Unverschämtheit !", empörte sich Mrs. Linda
Huff, als wir ihr erklärten, warum wir hier waren. Sie war
brünett, etwa Mitte Dreißig und hatte braune Augen, die
mich im Moment abschätzig musterten. "Haben Sie uns
nicht schon genug Ärger gemacht ?"
"Das hat Ihr Mann ganz allein geschafft. Wir hätten ihn gern
gesprochen."
"Vergessen Sie's !" Sie wollte uns gerade die Tür ins Gesicht
schlagen, als Trina sagte: "Sie engagieren sich doch öffentlich
für Opfer sexueller Gewalt, nicht wahr ?"
"Ja, meine Schwester wurde ebenfalls ein Opfer. Und ?"
"Finden Sie es nicht etwas heuchlerisch, uns an unserer Arbeit
zu hindern ? Wer, glauben Sie, hat den Kerl geschnappt, der
Ihrer Schwester das angetan hat ? Und wer hat ihn wohl ver-
knackt ? Das wirft kein gutes Licht auf Sie, Lady. Besonders
nicht, wenn die Medien davon erführen. Und wenn Sie nicht
so freundlich sind, uns hereinzubitten, werden wir eben zu Ihren
Nachbarn gehen und die befragen. Da haben wir kein Problem
mit. Und sie werden kein Problem damit haben, uns... behilflich
zu sein."
Trina würde einmal eine der besten bei der Polizei werden, das
wusste ich einfach.
"Lass sie rein, Linda", sagte eine resignierte Stimme hinter ihr.
Christian Huff war knapp einsneunzig groß, blond und hatte
grüne Augen. Mrs. Huff ließ uns herein und schloss die Tür.
"Guten Abend, Sir. Ich bin Inspector Delgado und das ist
Sergeant Craig, Abteilung Sexualdelikte." Wir wiesen uns aus.
"Sie haben mitbekommen, weshalb wir hier sind ?"
"Ja."
Wir gingen ins Wohnzimmer und setzten uns.
Ich fing Mrs. Huffs Blick auf. Hinter ihrer hübschen, hohen
Stirn arbeitete es. Ich glaubte zu wissen, was sie gerade
dachte. Ich hatte diesen Blick zu oft gesehen und wusste,
dass er Ärger bedeutete. Sie wollte uns ans Bein pinkeln.
Ich warf einen Blick in die Akte, suchte nach dem Namen
von dem Anwalt, der ihn vor Gericht vertreten hatte.
"Ist Mr. Rush immer noch Ihr Anwalt, Sir ?"
"Ja, warum ?"
"Warum rufen Sie ihn nicht an ?"
Huff sah mich überrascht an. "Wollen Sie mich festnehmen ?"
"Nein, aber Ihre Frau überlegt gerade, ob sie uns wegen
polizeilicher Schikane anzeigen soll. Wir halten es für besser,
wenn Mr. Rush bei der Befragung zugegen wäre."
Mrs. Huff sah mich mit offenem Mund an. Das kannst du
nicht gewusst haben, sagte ihre fassungslose Miene.
Ich lächelte sie freundlich an. Ertappt.
Ein paar Augenblicke später legte Huff den Hörer auf. "Er
kommt in zehn Minuten."
Er bot uns etwas zu trinken an. Trina und ich nahmen Eis-
wasser.
Zehn Minuten später klingelte es und ein paar Momente
später erschien Mrs. Huff mit Brendan Rush, Partner bei
Cochran, Rush, & Partner. Strafverteidiger. Rush war An-
fang Vierzig, einsachtzig groß, hatte blondes, schütter wer-
dendes Haar und durchdringende blaue Augen. Mrs. Huff
hatte ihm anscheinend schon gesagt, wie Trina uns Zugang
zur Wohnung verschafft hatte, denn er spießte sie mit sei-
nem Blick regelrecht auf. Trina war das scheißegal.
"Ist es wahr, dass Sie Linda bedroht haben, Inspector ?"
"Ich habe nur Tatsachen ausgesprochen, Sir. Eine Fest-
stellung ist doch keine Drohung, oder ?" Sie schaute ihn
mit großen, unschuldigen Kulleraugen an. "Wenn Sie sich
bedroht fühlten, Ma'am, so tut es mir Leid", sagte sie zu
Mrs. Huff. Die schüttelte nur ungläubig den Kopf.
Rush lächelte Trina anerkennend an. "Weshalb bin ich
hier ?", fragte er dann.
"Wir untersuchen den Mord an der Staatsanwältin Laura
Bellini", sagte ich. "Es gibt Parallelen zwischen Miss Bellinis
Tod und der Tat, wegen der sie Ihren Mandanten angeklagt
hat."
"Was für Parallelen ?"
Ich gab ihm die Akte und eine kurze Zusammenfassung der
Autopsie.
"Hm, ...", machte Rush.
"Diese Frau war eine von uns, Mr. Rush. Wir wollen nicht,
dass unsere Ermittlungen torpediert werden, weil jemand
sich ungerecht behandelt fühlt." Ich sah Mrs. Huff an, die
den Blick gesenkt hatte. "Dafür war sie uns zu wichtig. Wir
haben Sie hinzu gerufen, damit dieses Gefühl nicht aufkommt.
Während wir auf Sie gewartet haben, haben wir Ihrem Man-
danten keine Fragen gestellt."
"Stimmt das ?", erkundigte sich Rush bei den Huffs.
Beide bejahten.
"Wo ist der Haken, Craig ?", fragte Rush. Wir kannten uns
von zahlreichen, für ihn sehr nachteiligen Begegnungen vor
Gericht.
"Kein Haken. Nur ein paar Informationen. Wir waren ko-
operativ. Jetzt sind Sie dran. Quid pro quo."
Rush lächelte. "Gut, fangen Sie an."
"Wann wurden Sie entlassen, Sir ?", wandte ich mich an
Huff.
"Am ersten März."
"Machen Sie eine Therapie um mit Ihren Gewaltfantasien
klarzukommen ?"
"Was soll das, Craig ?", unterbrach Rush.
"Ich bin Psychiater, Rush. Das ist eine legitime Frage."
"Ich mache eine Therapie", sagte Huff. Er nannte mir den
Namen des Therapeuten.
"Wo waren Sie am Mittwoch abend von halb elf bis ein
Uhr morgens am Donnerstag ?"
"Wir waren in einem Lokal, dem Rose Pistola. Auf der
anderen Seite des Washington Square. Lindas Vater
hatte Geburtstag und wir haben dort gefeiert. Es ist sein
Lieblingsrestaurant."
"Wann begann die Feier ?"
"Um halb neun."
"Wie lange blieben Sie ?"
"Bis kurz nach halb eins."
"Sind Sie Stammgäste im Rose Pistola ?"
"Nein", sagte Mrs. Huff. "Wir feiern Daddys Geburtstag
immer dort. Jedes Jahr, das ist Tradition. Sonst sind wir
vielleicht drei, viermal im Jahr dort."
"Kennen Sie die Besitzer gut ?"
"Wir sind nicht per du, aber bekannt."
"Eine Frage noch - und protestieren Sie nicht, Brendan.
Es steht Ihrem Mandanten frei zu antworten oder nicht."
Er nickte widerwillig.
"Haben Sie Laura Bellini ermordet, Mr. Huff ?"
"Ich war nicht sonderlich gut auf Miss Bellini zu sprechen.
Sie hat mich ins Gefängnis gebracht. Aber ich weiß auch,
wenn ich es getan hätte, wäre ich sofort zurückwandert.
Und fünf Jahre San Quentin sind eine Erfahrung, der ich
keine weitere dieser Art hinzufügen möchte."
Mein Kopf sagte mir, dass er die Wahrheit sagte, doch
mein misstrauischer Bauch sagte, ich solle das überprüfen.
Ich nahm Huffs Bild aus der Akte und gab es Trina, die
die ganze Befragung notiert hatte.
"Geh zum Rose Pistola und befrag das Personal."
"Sie sind misstrauisch", stellte Rush fest, als sie gegangen
war.
"Das kann nie schaden, Sir."
Als Trina das im mediterranen Stil gehaltene Lokal betrat,
schlug ihr eine Wolke aus köstlichen Pasta-Düften und an-
geregtes Geplauder entgegen. Ihr Magen begann zu knur-
ren. Sofort kam ihr eine junge Frau entgegen und fragte,
ob sie ihr behilflich sein könnte. Trina wies sich aus und bat
sie, die Bedienungen, die am vergangenen Mittwoch gear-
beitet hatten und wenn es möglich wäre, die Lokalbesitzer,
zusammenzutrommeln. Die Befragung würde nur ein paar
Minuten dauern. Fünf Minuten später kam die junge Frau,
Elena, zurück und geleitete sie in den privaten Bereich. Im
Büro des Besitzers waren zwei Bedienungen und die Frau
vom Chef.
"Chrissy und Lily haben heute frei", erklärte Elena. "Sie ar-
beiten Mittwoch abends hier. Zusammen mit Missy, Annie
und mir."
"Aber Sie alle waren Mittwoch abend hier ?"
"Ja", sagte eine kleine, etwas rundliche Italienerin. "Ich bin
Lilah Ambruzzi. Meinem Mann und mir gehört das Restau-
rant. Darf ich fragen, worum es geht ?"
Trina erklärte es ihnen und zeigte ihnen das Foto von Huff.
"Wann begann die Feier ?"
"Um halb neun."
"Wie lange dauerte sie ?"
"Etwa bis halb eins."
"War Mr. Huff die ganze Zeit anwesend ?"
Ein einstimmiges Ja.
"Er hätte nicht unerkannt verschwinden können ?"
"Wir haben ihn nicht überwacht, Inspector", sagte Mrs.
Ambruzzi.
"Natürlich nicht, Ma'am", sagte Trina beschwichtigend.
"Annie, Missy und ich haben uns den Abend über größ-
tenteils um Mr. Russo - Mrs. Huffs Vater, wenn ich das
richtig verstanden habe - und seine Gesellschaft geküm-
mert", sagte Elena. "Bestellungen aufgenommen, Geträn-
ke nachgeschenkt. Mr. Huff war nie länger weg, denn
wir wurden in relativ kurzen Abständen gerufen und er
war immer da." Die anderen beiden bestätigten das.
"Wie kurze Abstände ?"
"Sicher alle zehn bis fünfzehn Minuten. Irgendjemand
hatte immer einen Wunsch."
Pinkelpausen, dachte Trina. Nicht genug Zeit, um eine
Frau am anderen Ende der Stadt zu massakrieren...
"Die letzten fünf Jahre war Mr. Huff bei Mr. Russos
Geburtstagsfeiern nicht anwesend", bemerkte Mrs. Am-
bruzzi. "Hat Ihre Befragung damit zu tun, Inspector ?"
"Ja, Ma'am."
"Hat er getan, was damals die ganze Zeit in den Zei-
tungen stand ?"
"Ja, Ma'am."
Die Frau erblasste unter ihrer Naturbräune.
"Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, dass Sie sich
Zeit für mich genommen haben", sagte Trina kurze
Zeit später und verabschiedete sich. Dann ging sie über
den Washington Square zurück zum Wohnhaus der
Huffs.
Ich hob eine Augenbraue, als Trina zurückkam.
Sie schüttelte den Kopf.
Wir erhoben uns und verabschiedeten uns von den Huffs,
sagten aber auch, dass wir die großteils übereinstimmen-
den Tatmuster nicht hatten ignorieren können.
"Das sollte keine Schikane sein, sondern ein Ausschluss.
Ich bin ehrlich mit Ihnen, Mr. Huff. Ich heiße nicht gut,
was Sie getan haben, aber Sie haben Ihre Strafe abge-
sessen. Solange Sie nicht rückfällig werden, ist die
Sache gegessen."
Wir verabschiedeten uns auch von Brendan Rush, ganz
freundlich. Quid pro quo. Nicht mehr, nicht weniger.
Mrs. Huff begleitete uns zur Tür. "Woher wussten Sie,
was ich dachte ?", fragte sie.
"In die Köpfe von Menschen zu schauen, ist mein Job.
Es gibt nur ganz wenige, die etwas vor mir verheimlich-
en können. Auf Wiedersehen, Ma'am."
Als nächstes fuhren wir zum Hastings Law College, nur
ein paar Blocks vom Revier entfernt, wo Trina ihren
Strafrecht-Kurs gerade noch rechtzeitig erreichte. Ich
fuhr weiter zum Justizpalast. Ich hatte das Gefühl, Leigh
dort eher anzutreffen als im Revier in der Eddy Street im
Tenderloin. Es wurde Zeit für ein klärendes Gespräch.
*Quid pro quo: lat. "etwas für etwas" - Juristendeutsch
für Gegenleistung