Telefonterror

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ThomasStefan

Mitglied
Telefonterror



Günther grinste. Zufrieden machte er einen Haken hinter den letzten Namen. Wieder mal war es ihm gelungen, ein neues Opfer einzufangen. Ein bisschen stolz war er schon auf sich und dieses besondere Talent, andere breit quatschen, ihnen Daten entlocken und dann diese Verträge aufschwatzen zu können. Und auch sein Chef wusste das zu schätzen. Eigentlich war so etwas verboten, na klar, das wussten alle, aber wer hielt sich schon daran? Abgebrüht musste man sein und jede Menge Tricks kennen: Anruf, Rückruf, Rufumleitung, Warteschleife, Service ... Natürlich beherrschte er die ganze Palette, die man bei Telefonverkäufen drauf haben musste. Und sein moderner Bildschirmarbeitsplatz zu Hause gab ihm alle Möglichkeiten: Einschmeichelnde Musik, das Klimpern von Geld, börsentypisches Hintergrundgerufe. Er war für wirklich alles präpariert.
Heute war ein außergewöhnlicher Tag, Heiligabend. Da waren die Menschen besonders offen, leichtgläubig, empfänglich für Wundergeschichten: Das große Los, die einmalige Chance, die gute Tat, die gerade heute möglich wurde. Neben ihm auf dem Tisch lagen einige Exemplare der Aktionsware, die heute loszuschlagen war: Ein Sonderposten von Büchern. Populärwissenschaftliche Kommentare zu den Weltreligionen, reichlich und naiv bebildert, zur Bibel, zum Koran und zum Talmud. Jedes Werk für 50 Euro, im Set für 99. Ehrlicherweise niveaulose Schinken, immerhin gebunden. Normalerweise eine fast unlösbare Aufgabe, derartiges zu verkaufen, zumal im Paket. Meistens wurde später so etwas weit unter Preis verschleudert. Woher nur hatte der Chef immer diese Sachen? Aber Günther war ja der Mann fürs Unmögliche.
Zufrieden schaute er auf seine Liste, schon neun waren ihm ins Netz gegangen. Noch einen, dann sollte es gut sein. Seine Kollegen im Callcenter fragten ihn immer nach seiner Methode, den richtigen Kunden zu finden. Zumeist orientierten sie sich an illegalen Listen, tippten sich die Finger wund - und waren nach mehrfacher Beschimpfung oft entnervt. Günther lächelte wieder. Wenn sie nur wüssten! Mit überlegener Miene nahm er wie immer seinen Brieföffner, stach von der Seite in das Telefonbuch, teilte die hauchdünnen Blätter und spießte blind das nächste Opfer auf.
Aha. Namen gibt es! Die flinken Finger flogen routiniert über die Tastatur. Er rückte sein Head-Set zurecht, räusperte sich. Sein Charmebarometer stieg in die gewünschte Höhe. Mann oder Frau, egal, er würde jeden einwickeln.
„Wer ist dort?“
Eine sehr männliche Stimme. Und wieder jemand, der sich nicht mit Namen meldet. Aus Angst, mangelndem Selbstbewusstsein? Oder war es ein Anzeichen dafür, jemanden schnell wieder los werden zu wollen!? Egal, alles kein Problem für Günther, allenfalls kleine Hürden. Er war in seinem Element, und sein Repertoire war breit gefächert.
„Ich spreche mit Herrn Teufel persönlich? Herzlichen Glückwunsch! Stehen Sie etwa? Besser, Sie suchen sich einen Platz, bei meinen Anrufen habe ich schon manches erlebt. So ein Glücksmoment kann einen glatt umhauen. Denn ich weiß, was jetzt kommt, klingt märchenhaft, aber so ist das immer - beim Hauptgewinn.“
Er klickte mit der Maus und ließ die Siegesfanfare erklingen.
Für einem Moment hörte man nichts. Günther lächelte. Wenn jetzt nicht gleich aufgelegt wurde, hatte er gewonnen. Dann war die Chance auf einen Abschluss über 70 Prozent.
„Was willst du?“
Das machte nichts, dieses Grobe, Plumpe. Damit kam er klar. Der Kunde muss sich bis zuletzt überlegen fühlen, glauben, er würde auf ihn herunterblicken, das Gespräch steuern. Da könne ja nichts passiere, man hätte doch alles im Griff. Von wegen, mein Freund!
„Sie denken jetzt sicherlich an Lotto, Herr Teufel, an die Ausschüttung von Sonderpreisen, davon haben Sie bestimmt schon einmal gehört. Gar nicht so schlecht, diese Überlegung, sie weist in unsere Richtung. Doch heute, am Heiligen Abend, da wartet das Besondere auf Sie. Es ist das, was man nur einmal im Leben bekommt. Doch bevor ich fortfahre, möchte ich mich Ihnen zunächst einmal verstellen. Mein Name ist Günther Kläber. So wie Claus Kleber, vom ZDF, der Name sagt Ihnen bestimmt etwas. Der Claus macht seine Sache ja wirklich gut. Doch unser Verwandtschaftsverhältnis tut hier nichts zur Sache, das lassen wir mal weg, auch wenn ich immer wieder danach gefragt werde.“
Er spielte kurz den Jingle der HEUTE-Nachrichten an.
Günther hielt ein, lauschte, der Kunde war noch dran. Er vernahm ruhige Atemzüge, dann und wann ein Brodeln und Blubbern, wie in einer Wellnessbadewanne. Eigentümlich, aber auch interessant, in welcher Situation die Leute telefonierten, doch in diesem Job durfte ihn nichts überraschen. Ungewöhnliche Menschen wie dieser Teufel waren meist offen für Neues. Das roch doch nach einer Bestellung!! Er fuhr fort.
„Ja, das Schicksal hat heute Sie ausgewählt. Das große Geld wartet, das Big Business. Und der Weg dahin führt über die Religion. Das wissen Sie genauso gut wie ich, da bin ich mir sicher, Herr Teufel. Und damit komme ich zum Punkt, zu ihrem Gewinn: Kennt man die religiösen Empfindungen des anderen, steht dem Erfolg nichts mehr im Wege. Sie sind heute der Glückliche, dem wir eine der großen Weltlehren nahe bringen, kostenfrei natürlich. Und Sie haben sogar die Möglichkeit, Ihr Verständnis abzurunden: Greifen Sie am besten nach allen drei großen Religionen, wir helfen Ihnen dabei.“
Jetzt das Glockengeläut, anschließend war ein Rabbi zu hören, zum Schluss der Ruf des Muezzin.
Das Brodeln hatte sich verstärkt. Für einen kurzen Moment glaubte Günther, aus dem Mikro des Head-Sets etwas Schwefel zu riechen.
„Wie kommst du zu meiner Nummer?“
Etwas unwirsch, der Herr, aber jetzt nicht aufgeben! Der Kerl war nur noch nicht weich gekocht. Günther musste nachlegen.
„Ja, das werde ich immer wieder gefragt, ist es allein purer Zufall? Nein, einmal ist es die Hand unserer bezaubernden Glücksfee, und dann - an so einem Tag darf man es einmal aussprechen - auch ein Hauch von göttlicher Fügung.“
Mit Erstaunen sah er, dass sein Bildschirm kurz aber heftig flackerte, und seine Kopfhörer schienen warm zu werden.
„Sag endlich, was du von mir willst, du Furz.“
Das war wirklich ungehörig. Günther schätzte jetzt seine Chancen auf eher unter 50 Prozent. Aber so schnell ließ er sich nicht abschütteln.
„Mein Heilig-Abend-Präsent für Sie ist das Rüstzeug der Manager von morgen: `Die Großen Religionen verstehen lernen´. Mandela und King haben sie gelesen, Obama ist gerade dabei. Neben der kostenlose Ausgabe zur Bibel können Sie gleichzeitig diejenigen zum Koran und sogar zum Talmud erstehen, eine äußerst seltene Gelegenheit! Bücher von kaum schätzbarem Wert! Liebhaberpreise von bis zu 500 Euro pro Ausgabe sind keine Seltenheit, schauen Sie ins Internet, sie sind kaum zu finden! Sie erhalten alle drei zusammen, wohlgemerkt alle drei, für nur 99 Euro! Zögern Sie nicht, Sie erhalten noch heute per Express die kostbaren Werke. Der Kurier steht neben mir, ein Wort von Ihnen genügt.“
In der Leitung brodelte es immer mehr, wie hoch kochende Milch. Günther wischte sich Schweiß von der Stirn, ihm war auch etwas übel. Dieser blöde Geruch von irgendwoher war wieder da. Mit einem mal bekam er so ein seltsames Gefühl: Sollte er den Kerl nicht besser laufen lassen? Is` ja Weihnachten, dann hat dieser - vielleicht doch arme? - Teufel Glück gehabt. Andererseits, vielleicht bedurfte es nur noch eines kleinen Anstoßes? Er beschloss, das Spiel weiter fortzusetzen, seine Gier nach einem Abschluss hatte wieder gesiegt.
„Das Rückgaberecht wurde extra für diesen Tag ausgesetzt, Herr Teufel, um den Sofortkauf zu ermöglichen ...“
„Schweig!
Es donnerte geradezu in Günthers Ohren. Stumm betrachtete er den Bildschirm, überlegte fieberhaft. Ein offenbar schwieriger Kunde, aber gerade deshalb ein Fall für ihn. Immerhin war es ihm gelungen, den Mann emotional anzusprechen! Jetzt konnte er wieder beweisen, was er drauf hatte. Vielleicht war es nur das falsche Thema? Plötzlich begannen die Kopfhörer zu beben.
„Das ist eine Unverschämtheit, gerade mir diese Bücher anzubieten. Als wenn ich nicht wüsste, worum es darin geht. Und das habe ich nur IHM zu verdanken. SEINEN Sinn für Humor sollte ich eigentlich kennen. Und genau dafür hat ER sich diesen besonderen Tag ausgesucht.“
Günther runzelte die Stirn. Wen mochte er meinen? Kannte er etwa seinen Chef? Warum war er so verärgert, hatte er etwa schon die Bücher? Blitzschnell ging er in Gedanken seine Alternativangebote durch. Dann durchzuckte es ihn. Natürlich! Auf einmal wusste er die Geräusche zu deuten, konnte alles einordnen. Also, ein neuer Versuch.
„Ich glaube, Herr, Teufel, jetzt verstehe ich Sie. Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen? Das Brodeln und Zischen bei Ihnen sagt doch alles, ja, man riecht förmlich das Schmoren des Fleisches. Der Heilige Abend und seine Traditionen. Sie stehen natürlich am Herd. Selbstverständlich habe ich auch etwas für den Mann in der Schürze: `Lanz kocht, Lafer lacht´. Unverzichtbar, wenn man oft Gäste ...“
Er stockte, starrte ungläubig auf den Brieföffner vor ihm auf dem Tisch. Die Klinge hatte sich spiralförmig eingerollt, als hätte man damit eine Dose Ölsardinen geöffnet. Und für einen Moment hatte er ein unangenehmes Bild vor Augen: Einen riesigen Topf mit Menschen darin, wie man es von Kannibalenwitzen her kennt. Aber ihm war überhaupt nicht zum Lachen zumute, er ahnte auf einmal, wen er in der Leitung hatte, und das blankes Entsetzen kroch in ihm hoch.
„Lieber Herr Teufel,“ begann er leise, die Angst schnürte ihm fast die Kehle zu, „ich möchte Sie jetzt nicht mehr länger stören ... bei Ihren Vorbereitungen ... zum Fest. Ich danke für das Gespräch ...“
„Wage es nicht, aufzulegen, du Würstchen. ich bin mit dir noch nicht fertig!“
Verzweifelt drückte Günther abwechselnd auf die rechte und linke Maustaste, drehte am Scrollrad, um das Telefonat zu beenden, aber ohne Erfolg, der PC schien abgestürzt zu sein.
„Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?“
Die Stimme hämmerte förmlich auf ihn ein, Günther hielt sich den Kopf. Der Brieföffner vor ihm hatte plötzlich wieder seine alte Gestalt, mit glatter Klinge, aber … sah es jetzt nicht aus, als würde die Spitze einen kleinen Dreizack tragen? Und dieser furchtbare Gestank nach Schwefel hatte zugenommen. Machte der etwa diese Halluzinationen? Günther rang schwer um Luft. In Panik riss er die Maus aus ihrem Anschluss, schlug stakkatoartig auf die escape-Taste, nichts geschah. Die Verbindung blieb stabil, aber nun begann ein unheilvolles Grollen.
Plötzlich umzüngelten Flammen den Monitor, und bildschirmfüllend erschien darauf ein hochrotes Gesicht, mit Hakennase und eindrucksvollen Hörnern seitlich der Stirn. Der wütende, verzerrte Ausdruck dieser Fratze war kaum zu beschreiben. Günther hatte Ähnliches schon einmal im Kölner Karneval gesehen, aber das hier war bitterer Ernst. In einem Akt der Verzweiflung riss er mit der Rechten das Messer, mit der Linken seinen Kugelschreiber hoch und hielt sie dem Eindringling als Kreuz abwehrend entgegen, wie er es in einem Film über Exorzismus einmal gesehen hatte. Das Gesicht des Teufels drückte sich nun plastisch gegen den Bildschirm, kam ihm immer näher, als wolle er aus dem Monitor herausspringen.
„Was soll das, du ungebildeter Trottel? Für wen hältst du mich, etwa für einen Vampir?“
Die Worte schleuderten ihm entgegen wie Lavabrocken aus einem Vulkan, heiße Luftschwaden versengten Günther die Augenbrauen als auch seine letzten Haare auf dem lichten Schädel.
„Günther, bist du immer noch vor dem PC? Was ist das für ein Radau?“ drang es plötzlich aus dem Wohnzimmer zu ihnen, Gerda meldete sich.
„Bitte, mache jetzt endlich Schluss, heute ist doch der Heilige Abend. Ich weiß, dein Chef hat dich darum gebeten. Aber es ist trotzdem eine Zumutung!“
Ihr Mann jedoch war starr vor Angst, unfähig, etwas zu sagen. Zitternd hielt er immer noch seine Utensilien abwehrend hoch, starrte voller Panik auf die rote Fratze. Mit Verachtung blickte sie ihn an. Übel riechender Geifer tropfte auf die Tastatur, direkt auf den Buchstaben T.
„Du hast Glück. Heute kann ich, darf ich nichts machen, an SEINEM Tag habe ich striktes Auftrittsverbot. Aber, rufe mich nie wieder an …sonst lernst du mich kennen!“
Günther glaubte, sein Herz bliebe stehen: Ein roter Pferdehuf ragte plötzlich aus dem Bildschirm hervor. Der Blick des Teufels traf ihn ein letztes Mal, voller Groll und Geringschätzung, dann ließ der unheilvolle Besucher seine Klaue hinuntersausen - auf den Ausstellknopf der Tastatur, und der Bildschirm wurde dunkel. Der Spuk war vorbei.
Mit einem Mal ging die Tür auf, Gerda kam mit genervtem Gesicht herein.
„Günther, das Essen wird kalt. Jeden Tag das Gleiche mit dir, sogar zu Weihnachten.“
Sie sah ihm ärgerlich ins kalkweiße Gesicht, der Kopf bedeckt von zahlreichen Rußflecken.
„Wie siehst du denn aus? Deine ständige Bildschirmarbeit ist nicht gesund, das habe ich ja immer gesagt. Ich war gleich nicht dafür, dass diese Kiste bei uns zu Hause steht. Und nimm bitte den Brieföffner herunter. Was soll überhaupt diese Verrenkung?“
Prüfend schnupperte sie in der Luft, zog erstaunt die Brauen hoch.
„Hier riecht es aber verteufelt angebrannt. Auch dein Computer braucht unbedingt eine Pause. Und du gehst erst mal duschen und dich umziehen, ich stelle das Essen für uns warm. Immer dieses Theater!“
Günther starrte vor sich hin, war wie paralysiert. Sie zog ihn energisch vom Stuhl und schob ihn zur Treppe. Kopfschüttelnd sah sie ihn nach oben wanken. Doch plötzlich musste sie lächeln, da ihr wieder etwas eingefallen war.
„Was ich dir unbedingt noch sagen muss,“ rief sie ihm schon wieder besser gelaunt hinterher, „wir haben doch noch Karten bekommen, für Silvester, toll, nicht wahr? Du erinnerst dich doch. Für das neue Musical: Sympathy for the devil.“
 

herziblatti

Mitglied
Hallo ThomasStefan, jetzt verstehe ich das mit Luther auf der Wartburg besser :) was für ein Glück, dass es damals noch keine Computer gab, wär ewig schad um den Tintenfleck. Seehr amused - herziblatti
 

ThomasStefan

Mitglied
Hallo herziblatti
Danke fürs Lesen. Komme erst jetzt dazu, zu antworten, bin im Fussballstress.
Freut, mich, wenn es dir gefallen hat. Den Herrn der Finsternis darf man nicht ärgern, schon gar nicht an "sonstigen" Tagen, andernfalls wäre auch mein Platz vor dem PC jetzt leer.
Schönen Gruß, Thomas
 

Ilona B

Mitglied
Hallo ThomasStefan,
richtig klasse Deine Geschichte. Sie hat mich direkt gefesselt und Dein Schreibstil ist flüssig und toll zu lesen.
Besonders hat mir gefallen, dass der Teufel empört war mit einem Vampir verwechselt zu werden.
Ich wünschte, jeder nervige Telefonverkäufer hätte mal so ein Erlebnis. :D

Was mir aufgefallen ist:


Doch bevor ich fortfahre, möchte ich mich Ihnen zunächst einmal verstellen. Mein Name ist Günther Kläber.

Das soll bestimmt vorstellen heißen.

Und dieser furchtbare Gestank nach Schwefel hatte zugenommen. Machte der etwa diese Halluzinationen? Günther rang schwer um Luft.
Ich nehme an, es heißt nach Luft.

Deine ständige Bildschirmarbeit ist nicht gesund, das habe ich ja immer gesagt. Ich war gleich nicht dafür, dass diese Kiste bei uns zu Hause steht. Und nimm bitte den Brieföffner herunter. Was soll überhaupt diese Verrenkung?“
Dagegen würde sich besser anhören.
 

ThomasStefan

Mitglied
Hallo Ilona!
Hoppla, scheint ja doch noch jemanden zu interessieren, was passiert, wenn sich der übliche Telefonterror mal ummkehrt.
Danke fürs Lesen und deine Zustimmung.
Morgen werde ich ausbessern, danke für deine Hinweise, alle berechtigt.
Gruß, Thomas
 

ThomasStefan

Mitglied
Telefonterror



Günther grinste. Zufrieden machte er einen Haken hinter den letzten Namen. Wieder mal war es ihm gelungen, ein neues Opfer einzufangen. Ein bisschen stolz war er schon auf sich und dieses besondere Talent, andere breit quatschen, ihnen Daten entlocken und dann diese Verträge aufschwatzen zu können. Und auch sein Chef wusste das zu schätzen. Eigentlich war so etwas verboten, na klar, das wussten alle, aber wer hielt sich schon daran? Abgebrüht musste man sein und jede Menge Tricks kennen: Anruf, Rückruf, Rufumleitung, Warteschleife, Service ... Natürlich beherrschte er die ganze Palette, die man bei Telefonverkäufen drauf haben musste. Und sein moderner Bildschirmarbeitsplatz zu Hause gab ihm alle Möglichkeiten: Einschmeichelnde Musik, das Klimpern von Geld, börsentypisches Hintergrundgerufe. Er war für wirklich alles präpariert.
Heute war ein außergewöhnlicher Tag, Heiligabend. Da waren die Menschen besonders offen, leichtgläubig, empfänglich für Wundergeschichten: Das große Los, die einmalige Chance, die gute Tat, die gerade heute möglich wurde. Neben ihm auf dem Tisch lagen einige Exemplare der Aktionsware, die heute loszuschlagen war: Ein Sonderposten von Büchern. Populärwissenschaftliche Kommentare zu den Weltreligionen, reichlich und naiv bebildert, zur Bibel, zum Koran und zum Talmud. Jedes Werk für 50 Euro, im Set für 99. Ehrlicherweise niveaulose Schinken, immerhin gebunden. Normalerweise eine fast unlösbare Aufgabe, derartiges zu verkaufen, zumal im Paket. Meistens wurde später so etwas weit unter Preis verschleudert. Woher nur hatte der Chef immer diese Sachen? Aber Günther war ja der Mann fürs Unmögliche.
Zufrieden schaute er auf seine Liste, schon neun waren ihm ins Netz gegangen. Noch einen, dann sollte es gut sein. Seine Kollegen im Callcenter fragten ihn immer nach seiner Methode, den richtigen Kunden zu finden. Zumeist orientierten sie sich an illegalen Listen, tippten sich die Finger wund - und waren nach mehrfacher Beschimpfung oft entnervt. Günther lächelte wieder. Wenn sie nur wüssten! Mit überlegener Miene nahm er wie immer seinen Brieföffner, stach von der Seite in das Telefonbuch, teilte die hauchdünnen Blätter und spießte blind das nächste Opfer auf.
Aha. Namen gibt es! Die flinken Finger flogen routiniert über die Tastatur. Er rückte sein Head-Set zurecht, räusperte sich. Sein Charmebarometer stieg in die gewünschte Höhe. Mann oder Frau, egal, er würde jeden einwickeln.
„Wer ist dort?“
Eine sehr männliche Stimme. Und wieder jemand, der sich nicht mit Namen meldet. Aus Angst, mangelndem Selbstbewusstsein? Oder war es ein Anzeichen dafür, jemanden schnell wieder los werden zu wollen!? Egal, alles kein Problem für Günther, allenfalls kleine Hürden. Er war in seinem Element, und sein Repertoire war breit gefächert.
„Ich spreche mit Herrn Teufel persönlich? Herzlichen Glückwunsch! Stehen Sie etwa? Besser, Sie suchen sich einen Platz, bei meinen Anrufen habe ich schon manches erlebt. So ein Glücksmoment kann einen glatt umhauen. Denn ich weiß, was jetzt kommt, klingt märchenhaft, aber so ist das immer - beim Hauptgewinn.“
Er klickte mit der Maus und ließ die Siegesfanfare erklingen.
Für einem Moment hörte man nichts. Günther lächelte. Wenn jetzt nicht gleich aufgelegt wurde, hatte er gewonnen. Dann war die Chance auf einen Abschluss über 70 Prozent.
„Was willst du?“
Das machte nichts, dieses Grobe, Plumpe. Damit kam er klar. Der Kunde muss sich bis zuletzt überlegen fühlen, glauben, er würde auf ihn herunterblicken, das Gespräch steuern. Da könne ja nichts passiere, man hätte doch alles im Griff. Von wegen, mein Freund!
„Sie denken jetzt sicherlich an Lotto, Herr Teufel, an die Ausschüttung von Sonderpreisen, davon haben Sie bestimmt schon einmal gehört. Gar nicht so schlecht, diese Überlegung, sie weist in unsere Richtung. Doch heute, am Heiligen Abend, da wartet das Besondere auf Sie. Es ist das, was man nur einmal im Leben bekommt. Doch bevor ich fortfahre, möchte ich mich Ihnen zunächst einmal vorstellen. Mein Name ist Günther Kläber. So wie Claus Kleber, vom ZDF, der Name sagt Ihnen bestimmt etwas. Der Claus macht seine Sache ja wirklich gut. Doch unser Verwandtschaftsverhältnis tut hier nichts zur Sache, das lassen wir mal weg, auch wenn ich immer wieder danach gefragt werde.“
Er spielte kurz den Jingle der HEUTE-Nachrichten an.
Günther hielt ein, lauschte, der Kunde war noch dran. Er vernahm ruhige Atemzüge, dann und wann ein Brodeln und Blubbern, wie in einer Wellnessbadewanne. Eigentümlich, aber auch interessant, in welcher Situation die Leute telefonierten, doch in diesem Job durfte ihn nichts überraschen. Ungewöhnliche Menschen wie dieser Teufel waren meist offen für Neues. Das roch doch nach einer Bestellung!! Er fuhr fort.
„Ja, das Schicksal hat heute Sie ausgewählt. Das große Geld wartet, das Big Business. Und der Weg dahin führt über die Religion. Das wissen Sie genauso gut wie ich, da bin ich mir sicher, Herr Teufel. Und damit komme ich zum Punkt, zu ihrem Gewinn: Kennt man die religiösen Empfindungen des anderen, steht dem Erfolg nichts mehr im Wege. Sie sind heute der Glückliche, dem wir eine der großen Weltlehren nahe bringen, kostenfrei natürlich. Und Sie haben sogar die Möglichkeit, Ihr Verständnis abzurunden: Greifen Sie am besten nach allen drei großen Religionen, wir helfen Ihnen dabei.“
Jetzt das Glockengeläut, anschließend war ein Rabbi zu hören, zum Schluss der Ruf des Muezzin.
Das Brodeln hatte sich verstärkt. Für einen kurzen Moment glaubte Günther, aus dem Mikro des Head-Sets etwas Schwefel zu riechen.
„Wie kommst du zu meiner Nummer?“
Etwas unwirsch, der Herr, aber jetzt nicht aufgeben! Der Kerl war nur noch nicht weich gekocht. Günther musste nachlegen.
„Ja, das werde ich immer wieder gefragt, ist es allein purer Zufall? Nein, einmal ist es die Hand unserer bezaubernden Glücksfee, und dann - an so einem Tag darf man es einmal aussprechen - auch ein Hauch von göttlicher Fügung.“
Mit Erstaunen sah er, dass sein Bildschirm kurz aber heftig flackerte, und seine Kopfhörer schienen warm zu werden.
„Sag endlich, was du von mir willst, du Furz.“
Das war wirklich ungehörig. Günther schätzte jetzt seine Chancen auf eher unter 50 Prozent. Aber so schnell ließ er sich nicht abschütteln.
„Mein Heilig-Abend-Präsent für Sie ist das Rüstzeug der Manager von morgen: `Die Großen Religionen verstehen lernen´. Mandela und King haben sie gelesen, Obama ist gerade dabei. Neben der kostenlose Ausgabe zur Bibel können Sie gleichzeitig diejenigen zum Koran und sogar zum Talmud erstehen, eine äußerst seltene Gelegenheit! Bücher von kaum schätzbarem Wert! Liebhaberpreise von bis zu 500 Euro pro Ausgabe sind keine Seltenheit, schauen Sie ins Internet, sie sind kaum zu finden! Sie erhalten alle drei zusammen, wohlgemerkt alle drei, für nur 99 Euro! Zögern Sie nicht, Sie erhalten noch heute per Express die kostbaren Werke. Der Kurier steht neben mir, ein Wort von Ihnen genügt.“
In der Leitung brodelte es immer mehr, wie hoch kochende Milch. Günther wischte sich Schweiß von der Stirn, ihm war auch etwas übel. Dieser blöde Geruch von irgendwoher war wieder da. Mit einem mal bekam er so ein seltsames Gefühl: Sollte er den Kerl nicht besser laufen lassen? Is` ja Weihnachten, dann hat dieser - vielleicht doch arme? - Teufel Glück gehabt. Andererseits, vielleicht bedurfte es nur noch eines kleinen Anstoßes? Er beschloss, das Spiel weiter fortzusetzen, seine Gier nach einem Abschluss hatte wieder gesiegt.
„Das Rückgaberecht wurde extra für diesen Tag ausgesetzt, Herr Teufel, um den Sofortkauf zu ermöglichen ...“
„Schweig!
Es donnerte geradezu in Günthers Ohren. Stumm betrachtete er den Bildschirm, überlegte fieberhaft. Ein offenbar schwieriger Kunde, aber gerade deshalb ein Fall für ihn. Immerhin war es ihm gelungen, den Mann emotional anzusprechen! Jetzt konnte er wieder beweisen, was er drauf hatte. Vielleicht war es nur das falsche Thema? Plötzlich begannen die Kopfhörer zu beben.
„Das ist eine Unverschämtheit, gerade mir diese Bücher anzubieten. Als wenn ich nicht wüsste, worum es darin geht. Und das habe ich nur IHM zu verdanken. SEINEN Sinn für Humor sollte ich eigentlich kennen. Und genau dafür hat ER sich diesen besonderen Tag ausgesucht.“
Günther runzelte die Stirn. Wen mochte er meinen? Kannte er etwa seinen Chef? Warum war er so verärgert, hatte er etwa schon die Bücher? Blitzschnell ging er in Gedanken seine Alternativangebote durch. Dann durchzuckte es ihn. Natürlich! Auf einmal wusste er die Geräusche zu deuten, konnte alles einordnen. Also, ein neuer Versuch.
„Ich glaube, Herr, Teufel, jetzt verstehe ich Sie. Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen? Das Brodeln und Zischen bei Ihnen sagt doch alles, ja, man riecht förmlich das Schmoren des Fleisches. Der Heilige Abend und seine Traditionen. Sie stehen natürlich am Herd. Selbstverständlich habe ich auch etwas für den Mann in der Schürze: `Lanz kocht, Lafer lacht´. Unverzichtbar, wenn man oft Gäste ...“
Er stockte, starrte ungläubig auf den Brieföffner vor ihm auf dem Tisch. Die Klinge hatte sich spiralförmig eingerollt, als hätte man damit eine Dose Ölsardinen geöffnet. Und für einen Moment hatte er ein unangenehmes Bild vor Augen: Einen riesigen Topf mit Menschen darin, wie man es von Kannibalenwitzen her kennt. Aber ihm war überhaupt nicht zum Lachen zumute, er ahnte auf einmal, wen er in der Leitung hatte, und das blankes Entsetzen kroch in ihm hoch.
„Lieber Herr Teufel,“ begann er leise, die Angst schnürte ihm fast die Kehle zu, „ich möchte Sie jetzt nicht mehr länger stören ... bei Ihren Vorbereitungen ... zum Fest. Ich danke für das Gespräch ...“
„Wage es nicht, aufzulegen, du Würstchen. ich bin mit dir noch nicht fertig!“
Verzweifelt drückte Günther abwechselnd auf die rechte und linke Maustaste, drehte am Scrollrad, um das Telefonat zu beenden, aber ohne Erfolg, der PC schien abgestürzt zu sein.
„Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?“
Die Stimme hämmerte förmlich auf ihn ein, Günther hielt sich den Kopf. Der Brieföffner vor ihm hatte plötzlich wieder seine alte Gestalt, mit glatter Klinge, aber … sah es jetzt nicht aus, als würde die Spitze einen kleinen Dreizack tragen? Und dieser furchtbare Gestank nach Schwefel hatte zugenommen. Machte der etwa diese Halluzinationen? Günther rang schwer nach Luft. In Panik riss er die Maus aus ihrem Anschluss, schlug stakkatoartig auf die escape-Taste, nichts geschah. Die Verbindung blieb stabil, aber nun begann ein unheilvolles Grollen.
Plötzlich umzüngelten Flammen den Monitor, und bildschirmfüllend erschien darauf ein hochrotes Gesicht, mit Hakennase und eindrucksvollen Hörnern seitlich der Stirn. Der wütende, verzerrte Ausdruck dieser Fratze war kaum zu beschreiben. Günther hatte Ähnliches schon einmal im Kölner Karneval gesehen, aber das hier war bitterer Ernst. In einem Akt der Verzweiflung riss er mit der Rechten das Messer, mit der Linken seinen Kugelschreiber hoch und hielt sie dem Eindringling als Kreuz abwehrend entgegen, wie er es in einem Film über Exorzismus einmal gesehen hatte. Das Gesicht des Teufels drückte sich nun plastisch gegen den Bildschirm, kam ihm immer näher, als wolle er aus dem Monitor herausspringen.
„Was soll das, du ungebildeter Trottel? Für wen hältst du mich, etwa für einen Vampir?“
Die Worte schleuderten ihm entgegen wie Lavabrocken aus einem Vulkan, heiße Luftschwaden versengten Günther die Augenbrauen als auch seine letzten Haare auf dem lichten Schädel.
„Günther, bist du immer noch vor dem PC? Was ist das für ein Radau?“ drang es plötzlich aus dem Wohnzimmer zu ihnen, Gerda meldete sich.
„Bitte, mache jetzt endlich Schluss, heute ist doch der Heilige Abend. Ich weiß, dein Chef hat dich darum gebeten. Aber es ist trotzdem eine Zumutung!“
Ihr Mann jedoch war starr vor Angst, unfähig, etwas zu sagen. Zitternd hielt er immer noch seine Utensilien abwehrend hoch, starrte voller Panik auf die rote Fratze. Mit Verachtung blickte sie ihn an. Übel riechender Geifer tropfte auf die Tastatur, direkt auf den Buchstaben T.
„Du hast Glück. Heute kann ich, darf ich nichts machen, an SEINEM Tag habe ich striktes Auftrittsverbot. Aber, rufe mich nie wieder an …sonst lernst du mich kennen!“
Günther glaubte, sein Herz bliebe stehen: Ein roter Pferdehuf ragte plötzlich aus dem Bildschirm hervor. Der Blick des Teufels traf ihn ein letztes Mal, voller Groll und Geringschätzung, dann ließ der unheilvolle Besucher seine Klaue hinuntersausen - auf den Ausstellknopf der Tastatur, und der Bildschirm wurde dunkel. Der Spuk war vorbei.
Mit einem Mal ging die Tür auf, Gerda kam mit genervtem Gesicht herein.
„Günther, das Essen wird kalt. Jeden Tag das Gleiche mit dir, sogar zu Weihnachten.“
Sie sah ihm ärgerlich ins kalkweiße Gesicht, der Kopf bedeckt von zahlreichen Rußflecken.
„Wie siehst du denn aus? Deine ständige Bildschirmarbeit ist nicht gesund, das habe ich ja immer gesagt. Ich war gleich dagegen, dass diese Kiste bei uns zu Hause steht. Und nimm bitte den Brieföffner herunter. Was soll überhaupt diese Verrenkung?“
Prüfend schnupperte sie in der Luft, zog erstaunt die Brauen hoch.
„Hier riecht es aber verteufelt angebrannt. Auch dein Computer braucht unbedingt eine Pause. Und du gehst erst mal duschen und dich umziehen, ich stelle das Essen für uns warm. Immer dieses Theater!“
Günther starrte vor sich hin, war wie paralysiert. Sie zog ihn energisch vom Stuhl und schob ihn zur Treppe. Kopfschüttelnd sah sie ihn nach oben wanken. Doch plötzlich musste sie lächeln, da ihr wieder etwas eingefallen war.
„Was ich dir unbedingt noch sagen muss,“ rief sie ihm schon wieder besser gelaunt hinterher, „wir haben doch noch Karten bekommen, für Silvester, toll, nicht wahr? Du erinnerst dich doch. Für das neue Musical: Sympathy for the devil.“
 

ThomasStefan

Mitglied
Hallo Doc, wahrscheinlich sind wir alle schon einmal solchen Teufeln am Telefon begegnet und sind sie kaum losgeworden, so auch ich, was mich seinerzeit zur Story animiert hatte.
Gruß zur Nacht, Thomas
 



 
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