Temporal determiniertes Frühstück

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lietzensee

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Temporal determiniertes Frühstück

Heute Morgen habe ich gefrühstückt. Das ist bei mir nichts Besonderes, nichts, worüber ich normalerweise schreiben würde. Trotzdem habe diesen Text in einem Zug getippt. Nicht mal die Orthografie habe ich geprüft und ob Schreibfehler überhaupt meine Schuld wären, ist eine Frage für Physiker und Philosophen. Jedenfalls war es das merkwürdigste Frühstück meines Lebens. Dabei hatte ich mir wie immer Toast, starken Kaffee und ein Ei gemacht.
Ich saß am Tisch, noch nicht ganz sicher, was ich mit diesem Tag anfangen sollte. Da klapperte eine Tasse in meinem Schrank, dann noch eine und noch eine und schon wackelte der ganze Raum, dass der Kaffee über den Rand der Tasse schwappte.
Ein Blitz, mitten in meiner Küche und vor meinem Kühlschrank stand eine Gestalt im Raumanzug. Im Helmvisier spiegelte sich die Mikrowelle. Eine Stimme rief: "Hallo lietzensee."
Ich war so überrascht, dass ich den Gruß erwiderte. Dann aber fasste ich mich und forderte eine Erklärung für diesen Auftritt in meiner Küche. Das Helmvisier öffnete sich und offenbarte das makellos faltenfreie Gesicht eines Mannes. Er sah gesund aus, irgendwie zu gesund. Nach einer kurzen Pause antwortete er: "Es geht um temporal deterministische Hygiene." Er lächelte. "Oder einfacher ausgedrückt: Ich bin hier, weil du es so vorausgesagt hast."
"Ich wüsste nicht, irgendwas vorausgesagt zu haben."
"Du wirst es voraussagen, weil ich hier bin.“ Er sah mich an. „Aber klar, in deinem Zeitalter ist man von temporaler Deterministik natürlich noch überfordert."
Eine absurde Diskussion an meinem Küchentisch, der Fremde war ein Eindringling und Scharlatan! Ich stand auf. Dabei nahm ich einen Schluck aus meiner Tasse und dachte insgeheim, dass der Kaffee bitter schmeckte.
Der Fremde sprach mit feierlicher Stimme: "Dass der Kaffee bitter schmeckt, tut mir leid. Aber ich bin kein Scharlatan. Ich brauche deine Hilfe. Das Universum braucht deine Hilfe.“ Er blickte auf den gedeckten Tisch. „Du musst uns helfen, ein temporales Paradoxon zu vermeiden."
"Verrückten helfe ich nicht, da rufe ich die Polizei!"
Er lächelte wieder. "Ich wusste, dass du das sagen würdest. Aber höre mich kurz an. Ich war ja selbst überrascht. Doch alle Ereignisse müssen widerspruchsfrei aufeinander folgen. Sonst fällt das Universum in sich zusammen. Wir in der Zukunft haben ein altes Dokument in unseren Archiven gefunden. Das ließ uns keine Wahl. Wir mussten den Zeitversetzer bauen. Mich hat man zurück in die Vergangenheit geschickt, hier an deinen Küchentisch und jetzt kommt alles auf dich an.“
Ich trat so nah an ihn heran, dass ich den Kunststoff seines Raumanzuges riechen konnte. „Beweise es.“
Er nickte. „Dieser Teil der Geschichte gefällt mir persönlich am besten.“ Der Fremde trat an den Tisch und zeigte auf das noch unberührte Frühstücksei. „Sehr hart gekocht.“ Er griff den Löffel. „Innen schon etwas blau.“ Er schlug das Ei mit dem Löffel auf. „Und ein doppeltes Eigelb.“ Genüsslich leckte er den Löffel ab, während ich verwirrt auf das Ei starrte. Darin waren wirklich zwei getrennte Dotter zu erkennen. Er griff nach meiner Schulter. „Jetzt haben wir aber schon nicht mehr viel Zeit.“ Um seinen Raumanzug herum begannen kleine Blitze aufzuleuchten.
„Was passiert hier?“, fragte ich.
„Der Zeitversetzer“, er schüttelte den Kopf, „der kann einen in die Vergangenheit schicken, aber nicht lange am Leben erhalten.“ Funken begannen in seinem Helm hin und her zu springen. Rauch stieg auf und ich sah, wie er sein Gesicht vor Schmerzen verzog. „So wie es geschrieben steht, so muss es ausgeführt werden.“ Er taumelte rückwärts gegen mein Regal und Flaschen mit Wein und Olivenöl fielen zu Boden.
Ich sah ihn an, öffnete den Mund und zögerte.
„Stelle jetzt genau die Frage, die dir auf der Zunge liegt!“ Er sah mich eindringlich an.
„Was soll ich tun?“
Der Fremde zog aus einer verborgenen Tasche eine Plastikkarte hervor. „Hier gebe ich dir das Dokument.“ Vor Schmerz krümmte er sich. „Du musst dafür sorgen, dass es für die Zukunft archiviert werden wird! Du weißt, wo du...“ Ein Blitz leuchtete auf und alles, was von ihm übrig blieb, waren Glasscherben am Boden und ein Rußfleck an meiner Tapete. Was sollte ich tun? Ich habe mein Frühstück zu Ende gegessen. Dann aber habe ich gemacht, worum er mich gebeten hat. Dies ist der Text von der Plastikkarte, Wort für Wort und ohne Änderungen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo lietzensee,

immer diese Zeitreisenden ...

Da Du es nicht überprüft hast, habe ich es nun getan.;)

Dabei nahm ich einen Schluck aus meiner ...
Wir in der Zukunft haben ein altes Dokument ...
Er griff demn Löffel.
"Was passiert hier?" Komma fragte ich.
... wie er sein Gesicht sich vor Schmerzen verzog.

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 
So war es auch vorausgesagt, Rainer.

Kurz und ... nein, nicht knackig, sondern witzig, lietzensee. Ich bewundere Autoren, die ihre Geschichten so kurz halten können.
 

lietzensee

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Hallo und vielen Dank für eure Antworten.
Dabei nahm ich einen Schluck aus meiner ...
Wir in der Zukunft haben ein altes Dokument ...
Er griff demn Löffel.
"Was passiert hier?" Komma fragte ich.
... wie er sein Gesicht sich vor Schmerzen verzog.
Kurz vor Mitternacht lässt halt doch die Konzentration nach. Ich danke dir fürs korrigieren!

Kurz und ... nein, nicht knackig, sondern witzig, lietzensee.
Vielen Dank für das Lob Isabeau, das freut mich sehr! Ich mag auch Texte, die kein überflüssiges Fett haben. Kürzen ist fast genau so wichtig wie das Schreiben davor.

Viele Grüße
lietzensee
 



 
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