Terrbarium

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Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Gestern stand auf dem Klabauterplatz
das Terrbarium von Ringelnatz
mit getrockneten und gut gepressten Hunden,
Pinguinen und Terrbariumkunden,
Katzen, Krokodilen, Elefanten und Hyänen.
Ich sah sie - begann zu gähnen,
denn sie waren etwas ausgetrocknet und still, ganz sehr still.
Nicht räumlich waren sie wie die Wachsfiguren von Madame Tussaud,
auch nicht plastiniert, sie waren ganz roh
gepresst und dann an die Wände gepappt,
nur mit einer Zebrafinkenart hat es nicht ganz geklappt,
denn die Tapete war gestreift und so sah man sie nicht,
nur im schwarzen Licht der Frühe, im Falle, man bliebe dort stehen,
war sie zu sehen.

Es ratterte etwas laut, ich war nicht erbaut
und eilte nach draußen und verfing
mich in so einem Pressending,
das presste und ich wurde ein neues Blatt
und gehängt an die Wand anstatt der gepressten Schrödinger-Katze.

Ihr könnt mich dort sehen, nur leider geht der blutrote Fleck
an meinem Hemdärmel nicht weg.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
wie war wohl das?

das ist herrlich ringelnaß, ohne epigonal oder nachahmend zu wirken, es ist echt, trifft den Ton und hat den surrealen Witz.

Ich muß allerdings nachschauen: gibt es diesen Kofferbegriff "Terrbarium" bei Ringelnatz? und hat er dort diese wunderbare Idee von den roh (!) plattgepreßten Viechern?
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Gestern stand auf dem Klabauterplatz
das Terrbarium von Ringelnatz
mit getrockneten und gut gepressten Hunden,
Pinguinen und Terrbariumkunden,
Katzen, Krokodilen, Elefanten und Hyänen.
Ich sah sie - begann zu gähnen,
denn sie waren etwas ausgezehrt und still, ganz sehr still.
Nicht räumlich waren sie wie die Wachsfiguren von Madame Tussaud,
auch nicht plastiniert, sie waren ganz roh
gepresst und dann an die Wände gepappt,
nur mit einer Zebrafinkenart hat es nicht ganz geklappt,
denn die Tapete war gestreift und so sah man sie nicht,
nur im schwarzen Licht der Frühe, im Falle, man bliebe dort stehen,
war sie zu sehen.

Es ratterte etwas laut, ich war nicht erbaut
und eilte nach draußen und verfing
mich in so einem Pressending,
das presste und ich wurde ein neues Blatt
und gehängt an die Wand anstatt der gepressten Schrödinger-Katze.

Ihr könnt mich dort sehen, nur leider geht der blutrote Fleck
an meinem Hemdärmel nicht weg.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Der Ringelnatz ist der totale Hammer! Natürlich ist er kaum zu übertreffen. Du hast wenigstens nichts kopiert, sondern eigen Beispiele und Gedanken beigetragen.

Ich finde beim Wurzener auch die Form beachtlich: Völlige prosaische Lockerheit im Metrum, bei abschließenden Reimen. Das ist typisch für ihn, und es ist die einzig passende Form, wirkt trocken, nichttrivial, nichtnaiv trotz der Unmittelbarkeit der "Beispiele"-Reihe. Über Satire, die es auch ist, geht es durch die überzogenen Bilder, die surrealistischen Grotesken hinaus. Trocken dargebotene Hyperbeln = verrückte Witze.

Das kann man fortsetzen, weil es so etwas wie eine eigene Form ist. Die unmetrische Reimprosa.
 

James Blond

Mitglied
Epigonen-Haft?

Nein, das ist es alles nicht.

Im Gegenteil: Es ist langweiligstes Epigonentum, das sich hier ausbreitet!

Die Gähnattacke aus V6 befiel mich beim Lesen, denn nichts von dem, was Ringelnatzlyrik aus- und unverwechselbar macht, ist hier auch nur ansatzweise zu finden.

Wenn ich das (glücklicherweise hier verlinkte) Original lese, dann befällt mich Freude und Bewunderung über diesen Dichter, seine anarchistisch grotesken, mit Melancholie, schwarzem Humor und der Lust am Absurden gepfefferten Verse, die stets mit unerwarteten Reimen überraschen und kräftigen Hiebe auf Moral und Konvention austeilen. Sicher parodiert Ringenatz in "Terrbarium" die zeittypische Faszination an der Maschine, die sich nicht zuletzt gegen ihre Hervorbringer richtet.

Von alledem ist hier nichts zu finden. Und leider auch nichts Neues, darüber Hinausweisendes, sondern lediglich eine müde Anspielung auf Apparatur und Objekte, die sich in langweiligen, überflüssigen Erklärungen über den Verlust der Räumlichkeit geplätteter Exponate verlieren.

Das liest sich so spannend wie eine Betriebsanleitung. Da helfen auch keine weiteren Anleihen bei Schrödingers Katze oder Celan, die ich "im schwarzen Licht der Frühe" zu erkenne glaube. Ob mit den kaum sichtbaren Zebrafinken auch auf die gestreifte Häftlingskleidung und mit der Press-Apparatur auf Massenvernichtungslager angespielt werden soll, will ich besser nicht annehmen, weil es zu peinlich wäre, dieses Thema hier derart zu verbrutzeln. Ringelnatz verfasste sein Terrbarium 1925 mit der ihm eigenen jovialen Unbekümmertheit, oder besser gesagt: provozierenden Ignoranz ethischen Fragegestellungen gegenüber.

Vom Täter zum Opfer: Bezeichnenderweise gerät hier das LyrI am Ende selbst in die Maschine und ich kann - ganz im Sinne Ringelnatz' - meine Genugtuung darüber kaum verhehlen, selbst wenn ein Blutfleck am Ärmel verbleiben sollte. :D

JB
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich hätte nicht gedacht, dass hier Goodwin's Gesetz zum Tragen kommt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Godwin’s_law
Jetzt einschließlich "Chameus’ Korollar"

Nein, es sind die Tapeten eines Künstlers, vor die man sich stellt, worauf man unsichtbar wird, weil man genauso wie die Tapete aussieht.

Alles nur geklaut.
 

James Blond

Mitglied
Nein, lieber Bernd,

Goodwin's Law ist hier nicht zum Tragen gekommen, auch keines seiner Korollare, denn eine Diskussion hat es hier bisher nicht gegeben.

Und damit auch keinen Nazi-Vergleich, der stets voraussetzt, dass jemandes Verhalten mit dem bestimmter Personen des NS-Staates verglichen wird. Mir ging es lediglich um eine Rückfrage zu einer vermuteten Anspielung, ob sich hinter dem "schwarzen Licht der Frühe" eventuell mehr verbirgt, als mir lieb wäre. ;)

Auch ist das zitierte Morgenstern-Märchen mit seinem Streit um alte und neue Kunst, um Epigonentum versus Dekadenz ganz hübsch, weil es sich am Ende zum zeitlos Schönen bekennt (und auch interessant, weil es die zeitgenössische Rezeption des Naturalismus und die sich daran anschließende Kunsttheoriedebatte spiegelt), doch trifft dies nicht den Kern meiner Kritik: Nicht weil du dich auf Ringelnatz (immerhin ein Zeitgenosse Morgensterns und ein "Dekadenter") beziehst, sondern weil du es auf so fragwürdige Weise machst.

Ich bekomme, ähnlich wie bei aktuellen Dada-Texten, den Eindruck, dass sich hier jemand an eine originäre Strömung dranhängt, sie aber nicht weiter entwickelt, sondern vielmehr in den Mainstream zurückholt. Der Begriff Epigonentum meint ja keineswegs (wie in Morgensterns Märchen) die von alten Traditionen besessenen Künstler, sondern die Nachahmer und Trittbrettfahrer richtungsweisender Erneuerer, die zu eigenen Schöpfungen nicht imstande waren.

Das will ich dir zwar nicht unterstellen, aber ich frage mich, wozu du mit deinen Anspielungen so hohe Erwartungen weckst, um sie anschließend zu enttäuschen.

Grüße
JB
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich habe auf vieles angespielt, nur nicht auf Massenvernichtungslager.
Und in Konkurrenz mit Ringelnatz bin ich nicht getreten. Dass es für Dich so aussieht, ist schade.
Ich habe ein Gedicht genommen und meine Gedanken dazu geschrieben.
Konkurrenz oder Verbesserung kann und soll es nicht sein, aber ein Hinweis, vielleicht ein Angelhaken, um es hervorzuholen.
Die Bemerkungen in den Antworten empfinde ich als Diskussion.

Was die Frühe betrifft, liegst Du völlig richtig.

Ich habe verschiedene Fäden zusammengewebt.

Das Gedicht ist vollständig konstruiert und ich habe alle vorkommenden Sachverhalte von anderen zusammengetragen. Die Fiktionen stammen erklärterweise ursprünglich von Ringelnatz. Ich habe ihn dazu extra explizit erwähnt.

Insofern stimmt "epigonenhaft" durchaus, da ich sein Gedicht genutzt habe.
Ursprünglich dachte ich, es reiche aus, den Namen und den Titel anzugeben, damit man es findet, habe aber dann doch den Link gebracht.

Vielleicht liest der eine oder andere daraufhin diese Werke von Ringelnatz, dann wäre es ein Erfolg des Gedichtes.
 

James Blond

Mitglied
Von Konkurrenz war hier auch gar nicht die Rede.;)

Nun schreibst du, dass vielleicht dein Gedicht dem Original mehr Leser zuführen könnte. Mein Eindruck war, dass du den Namen des Anderen gebrauchtest, um deinem Werk mehr Leser zuzuführen. Beides schließt sich ja nicht aus. :D

Grüße
JB
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
hornissenwert

Meine größte Freude beim Lesen von Bernds Gedicht war, auf den Ringelnatz verwiesen zu werden, ihn zu lesen (hatte ich gewiß irgendwann vor 15 Jahren mal vor Augen gehabt, aber vergessen - ein Anzeichen dafür, daß ich langsam alt werde, oder auch schon allzu schnell ...) und von dem Gedicht hellauf begeistert zu sein. Das habe ich hier auch geschrieben, und das bedeutet zweierlei: 1. Daß ich Bernd nicht mit Ringelnatz vergleiche, 2. daß ich froh bin, das Wahnsinnsding von Ringelnatz "wiedergefunden" oder alzheimerisch-neu "entdeckt" zu haben, 3. daß ich mich schäme, es vergessen zu haben, 4. daß ich es als eine Würdigung der "Vorlage" empfinde, wenn ein anderer Dichter sich da hineinhängt, wie wir beide, lieber James, es gelegentlich gleichfalls tun, bei Walther oder Bernd oder bei Dir selbst.

Aber Du hast die Tigermücke unter Deinem Kommentar verdient, es ist einer der besten Kommentarbeiträge in der Lesewölfin. Vor allem die starken Qualitäten des Wurzeners hast Du gut charakterisiert. Ganz ausgezeichnet!

Und natürlich ist das eine Diskussion. Ein Faden, der mit der Epigonen-Diskussion zusammenhängt, die (an anderer Stelle) mit der Kitsch-Diskussion zusammengezopft ist. Nicht unwichtig. Sehr interessant. Sogar amüsant.
 



 
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