The true Story III

Chinasky

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Ich verzichtete darauf, zu Monica und Bob und ihrem colafixierten Balg zurückzukehren. Vielleicht gab es hier auf dem Conventgelände ja noch etwas Interessantes zu sehen. Aber schon, als dieser Gedanke sich wie eine giftige Schlange in mein Hirn schlängelte, wurde mir übel. Etwas Interessantes zu sehen! Dazu kamen all diese Idioten her, die Familien und pickeligen Einzelgänger, die schlaffen Studenten und die Dorfmädchen. Mal sehn, ob es nicht was Interessantes zu entdecken gibt! Es war widerlich. Wer nach Interessantem suchte, an dem knabberten schon die Maden.
Also drehte ich eine Runde, ohne nach irgendetwas Interessantem Ausschau zu halten. Interessant! Bah! Ich sah es so richtig plastisch vor mir, wie Bob und Monica mit ihrem sauber gewaschenen Söhnchen am Frühstückstisch saßen. Bob las in der Zeitung und dann: - - - "Hey, Monica, hier steht, daß bei dem Fantasy-Convent heute abends eine Dichterlesung stattfindet. Wäre das nicht mal eine Abwechslung? Guck mal: Hank Chinasky liest aus seinen Werken! Wollen wir uns das nicht mal angucken?"
- "Ja, Bob, das hört sich interessant an!"
Interessant! Ja, wahrscheinlich kamen manche dieser Spinner hierher, weil sie es interessant fanden, einen Dichter auf der Bühne bluten zu sehen. Interessant! Interessant!!! Es war verdammt heiß. Ich hatte mir mit dem Met einen Schluckauf eingefangen. Interes-hick-sant! Hick! Verdammt, das war doch völliger Schwachsinn. Chinasky, der interessante - hick - Bastard! Was suchte ich hier? Warum war ich hier? Warum mußte nur die Sonne so verdammt brennen? Ich lehnte mich an irgendeinen Pfosten im Schatten von irgendwas. Wie spät war es? In welchem Zelt sollte die Lesung stattfinden? Ich versuchte, meinen Schluckauf unter Kontrolle zu bringen. Gar nicht so einfach.
Unwiderstehliche Wellen stiegen aus dem mit Honigwein bis zur Oberkante gefüllten Magen empor und erschütterten mich wie ein Erdbeben. Ich gab wohl eine echte Witzfigur ab, an einen Pfosten gelehnt und vibrierend wie ein Zweitakter mit Fehlzündungen.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Wegs kam ein junges Pärchen vorbei. Beide blond und schlank, sie mit endlos langen, braungebrannten Beinen und kurzem weißem Rock, er mit einem kurzärmligen Jeanshemd, aus dem mit keltischen Mustern tätowierte Arme guckten, fitnessstudiooptimiert. Sie tuschelten, er deutete mit dem Daumen auf mich. Machte er sich lustig? Fand er das vielleicht interessant, wie ich hier in den Seilen hing?
Sowas konnte man sich nicht bieten lassen.
- "Hey, du tätowierter Schleimscheisser, was glotzt Du so, hä? Bin ich ein nackter Pudel oder was? Willst dich wohl vor deiner kleinen Nutte aufspielen, wie?"
- "Komm, Alterchen, beruhig dich mal, du bist ja betrunken!"
- "Ich bin betrunken? Ich bin stocknüchtern, du Matratzenfurz! Ich kann es nur nicht ertragen, wenn Wichtigtuer wie du sich auf Kosten anderer dicke tun, nur um von ihren Ischen mal wieder einen saftigen Blowjob besorgt zu kriegen!"
- "Hör mal, Opa, mach jetzt aber halblang, ja? So redet man nicht von Damen!"
- "Damen? Dieses Flittchen, das herumrennt und seine Beine zeigt, um jeden Wichser fickerig zu machen, das soll eine Dame sein? Eine läufige Hündin ist das!"
- "So, jetzt reichts, Daddy. Du entschuldigst dich jetzt sofort bei meiner Begleiterin, oder..." Er kam drohend auf mich zu, obwohl das Mädchen ihn zurückzuhalten suchte.
- "Oder was? ODER WAS??? Solche halben Portionen wie du kommen bei mir nicht mal auf den Frühstückstisch!"
Das war's, mehr brauchte es nicht. Er schlug eine Gerade, die direkt auf meine Nase gezielt war. Schnell aber einfallslos. Ich drehte mich zur Seite, seine Faust zischte an meinem Gesicht vorbei, sein Schwung trug ihn weiter und genau in mein emporgezogenes Knie. Ein blutiger Anfänger, ich hatte ihn genau zwischen den Beinen erwischt. Japsend wie ein Karpfen an Land sackte er in sich zusammen. Euphorie schoss in mir empor, warmer, flüssiger Zucker. Mein Schluckauf war weg! Der kleine blonde Fitnesscenterwichser lag mir zu Füßen. Ich brauchte nur zuzutreten. Yeah! Das Mädchen kreischte. Sie beugte sich nach vorn, wühlte mit den Händen in ihren langen Haaren, ihre Beine bildeten ein X. Sie schrie um Hilfe. Sie mußte nicht lange schreien. Während ich noch überlegte, ob ich zutreten oder ob ich es lieber lassen sollte, weil man auf einem Bein so unsicher stand, kamen zwei der Ordnungskräfte in ihren orangenen Strampelanzügen herbei. Zwei halbe Portionen. Ich war mit dem Tattoo-Kerl fertig geworden, dann würde ich auch mit diesen Hampelmännern keine Probleme haben.
- "Kommt her, ihr Arschlöcher, ich zeig euch mal, was wirklich interessant ist!", brüllte ich. Ich griff mir den ersten von beiden an den Haaren und wollte seinen Kopf herunterreißen. Doch da waren gar keine Haare, meine Hand krallte sich in der Luft fest, und dann zog jemand den Pfosten weg, an den ich mich gelehnt hatte und dann war auf einmal ein Loch unter meinen Füßen und jemand riß mir den rechten Arm aus dem Gelenk heraus und ein Nashorn knallte in meinen Rücken und eine Stahlpresse umfasste meinen Hals und dann lag ich auf der Erde und einer der Hampelmänner drückte sein Knie direkt in mein Gesicht.
- "Ihr Bastarde, ihr feigen Bastarde, ich mach euch alle fertig! Ich bin unschuldig, ich habe niemandem etwas getan! Ihr Schweine, ihr... Ich bin Hank Chinasky, klar? Hank Chinasky, der berühmte Dichter, ich halte hier auf eurem verschissenen Convent eine Lesung, ich bin interessant, jawohl, ich bin interessant, alle wollen mich hören, ihr dürft mich hier nicht grundlos zusammenprügeln, das ist nicht gerecht!"
Dann fing ich wegen all der Ungerechtigkeit an zu heulen und gleichzeitig kam der Schluckauf wieder und dann drehte sich mir alles im Kopf und ich mußte nur deswegen nicht kotzen, weil mir die Kraft dazu fehlte. Statt dessen schmeckte ich den Sand zwischen den Zähnen. Dieser ganze Spinner-Convent fand auf einem Acker statt, auf festgestampfter Erde, mit zertretenen Grashalmen darin und kaum weniger Zigarettenkippen. Die Security-Jungs drückten mein Gesicht in dieses Gemisch und ich konnte allerhand verschiedene Nuancen schmecken, ohne dieser Vielfalt wirklich etwas abzugewinnen. Ich mußte niesen, konnte aber nicht, ich atmete Steinchen und Sand und etwas Süßes ein. Vielleicht hatte gerade hier ein Kind mit seinem Softeis gekleckert. Diese Mischung schoß mir in die Nase hoch wie eine Prise Kokain für Trolle - sollte ich das vielleicht in meiner nächsten Fantasy-Story verwenden? Ich kam nicht dazu, es zu notieren. Der Sandstrahl kam wie ein D-Zug in meinen Stirnhöhlen an und explodierte dort.

Vor Jahren, noch vor meiner Zeit als Briefträger, hatte ich mich als Tagelöhner mit allen möglichen Jobs über Wasser gehalten. Ich hatte auf Plantagen Erdbeeren gepflückt, Metallteile aus Industriemüll sortiert oder in Warenlagern dabei geholfen, große Kontingente an Hot-Dog-Wagen in Regale hoch zu wuchten. Jobs, bei denen man abends nicht mehr die Kraft hatte, sich die Überstunden zu notieren, die man geleistet hatte.
Damals war ich froh gewesen, als man mir den Sandstrahlerjob anbot. Zwei große Werfen waren Pleite gegangen und der Konkursverwalter wollte alles, was auf deren Gelände herumstand, an die Koreaner verkaufen. Dazu mußten der Rost und die verblichenen Farben von den Gebäuden und Maschinen, den Containern und den Krananlagen heruntergeholt werden. Wir bildeten Zweimannteams, die mit Sandstrahlern die verrotteten Gerätschaften auf Hochglanz schmirgelten. Da die Strahlmedien zum Anlösen der Farben ätzende Substanzen enthielten, wurden wir in Schutzanzüge gepackt, die uns wie Astronauten aussehen ließen. Es war heiß in diesen Schutzanzügen, denn sie waren luftdicht und schwer. Man konnte nur ungefähr eine Viertelstunde darin arbeiten, bis das Gefühl des Erstickens so drängend wurde, daß man eine Zigarettenpause einlegen musste. Wir machten alle zehn Minuten eine Zigarettenpause und unsere Zigarettenpausen waren sehr lang, aber das konnten wir uns leisten, denn eigentlich hätten wir gar nicht mit diesen giftigen chemischen Substanzen unter freiem Himmel hantieren dürfen.
Wenn wir mit den Strahlern auf die Wellblechwände hielten und die Farben dort in großen Placken abfielen, waren wir in einen rötlichen Nebel aus Giften, Wasser, feinstem Sand und Farbpartikelchen gehüllt, wie Marsmenschen im Sandsturm. Der Nebel senkte sich dann auf das Gelände und die Rückstände wurden mit dem nächsten Regen weggewaschen und ich begann zu der Zeit, kein Wasser aus dem Hahn mehr zu trinken, denn nicht weit von dem Werksgelände war die Zentralstelle der städtischen Wasserwerke. Unsere Arbeit war hart, aber gut bezahlt, sie war illegal und deswegen scheuchte uns niemand. Wir machten viele Zigarettenpausen und nahmen immer eine etwas stärkere Körnung bei den Strahlmitteln und eine höhere Dosierung der Lösungsmittel als vorgeschrieben. So reinigten wir den Quadratmeter doppelt schnell.
Ich arbeitete zusammen mit einem Ex-Sträfling, der für bewaffneten Raubüberfall und Vergewaltigung 8 Jahre gesessen hatte. Seinen richtigen Namen habe ich mir nicht merken können. Alle nannten ihn Bresche, weil er mal bei einer Kneipenschlägerei jemandem mit der Bierflasche sämtliche Schneidezähne herausgeschlagen und diesem Jemand danach noch in das blutige Gesicht getreten hatte. Vor Gericht nach seinem Motiv gefragt, hatte er geantwortet: "Ich springe für andere Leute in die Bresche!" Das hatte ihm 4 Jahre Jugendknast und seinen Spitznamen eingebracht.
Bresche hatte bald herausgefunden, daß man mit den Sandstrahlgeräten nicht nur rostige Container auf Vordermann bringen konnte. Statt dessen machte er sich einen Sport daraus, die überall auf dem verlassenen Werksgelände nistenden Vögel mit dem Sandstrahler "abzupusten", wie er es nannte. Im Flug traf er sie nicht, aber viele der Tauben und Schwalben blieben in ihren Nestern, statt vor uns zu fliehen. Er hielt dann mit dem Strahler drauf - es machte swffffft! - und die Vögel zerspritzten wie mit Wasser gefüllte Luftballons, nur daß dann noch ein paar Federn in der Luft herumwirbelten. Einmal hatte er ein Schwalbennest aus einer Wandnische heruntergeholt. Vier oder fünft halbnackte Vogelkinder robbten auf dem Boden entlang. Die Schwalbenmutter flog verzweifelt um unsere Köpfe herum.
- "Hey, Hank, pass auf, jetzt spiel ich Billard!", brüllte Bresche aus seinem Schutzanzug heraus. "Das erste Vögelchen in die linke Seitentasche!" Er ging ganz nah ran an eins der Küken, kniete sich davor, legte den Strahler wie einen Queue über die linke Hand, drückte dann den Abzug. Das Küken wurde von dem Luft-Sand-Strahl mehrere Meter weit über den Fußboden gepustet und kam als Mettbällchen an der linken Mauer an.
"So, und jetzt über die Bande!", kreischte Bresche. Er visierte das nächste Küken an und pustete es gegen eine herumstehende Öltonne, von der es abprallte und als Klecks im Nirgendwo verschwand. So ging er mit allen Küken vor, das letzte warf er in die Luft und versuchte, es im Fallen mit dem Sandstrahl zu erwischen.
Während der ganzen Zeit flog ihm die Schwalbenmutter empört tschilpend um den Kopf herum. Er versuchte, sie ebenfalls zu erwischen mit dem Strahl, aber sie war schnell und er zielte schlecht. Das machte ihn wütend, ich hörte ihn dumpf schimpfen hinter seiner Schutzmaske. Er stellte die Düse des Srahler anders ein, sodaß sie nun breit sprühte. So erwischte er die Schwalbenmutter schließlich mitten im Flug. Sie wurde von dem Strahl erfaßt und klatschte gegen eine Containerwand. Bresche rannte hin, die Schwalbenmami lebte noch. Benommen und mit verletztem Flügel versuchte sie, hüpfend zu entkommen. Aber Bresche stellte die Düse wieder auf den schmalen, harten Strahl.
"Pass auf, Hank, jetzt amputier ich dem Mistvieh seine Ohren!"
Ich paßte nicht auf, sondern ging eine rauchen, um diesem sadistischen Trottel nicht weiter als Publikum zu dienen.
Einen Tag später waren wir dabei, riesige Silos zu entrosten. Die Silos waren in den Boden eingelassen, standen in einer Art Betonschalen. Man mußte eine eiserne Leiter runterklettern, um an die unteren Teile der Silos ranzukommen, zwischen der Mauer und der Silo-Schale waren gerade mal eineinhalb Meter Platz. Die Silos hatten mehrere Farbschichten, darunter auch eine Rostschutzschicht, die eigentlich als kratzfest galt. Wir mußten die ganz heftigen Ätzmittel einsetzen, die unter das Strahlmedium gemischt wurden. Die Betonschalen verhinderten, daß unsere Strahlmittel und die abgestrahlten Farbklumpen wegflogen oder im Erdreich versickerten. Die giftige Brühe sammelte sich auf ihrem Boden und dampfte vor sich hin. Wir standen mit unseren Strahlern in einem dicken Nebel, es gab sogar extra Lampen, die auf einer Schiene am Strahler arretiert wurden, sodaß man immer in die Richtung leuchtete, in welche der Strahl geschickt wurde. In dem giftigen Brodem konnte man sonst kaum zwei Meter weit sehen. Es war eine ziemlich aufwendige Angelegenheit, die Strahlmittelbehälter runter in die Betonwannen zu schaffen, und in unseren dicken, unflexiblen Schutzanzügen brauchten wir jedesmal eine halbe Ewigkeit, wenn wir die Leiter hoch - und runterkletterten.
In einer unserer ausgedehnten Zigarettenpausen mußte Bresche scheißen gehen. Während er steifbeinig Richtung Klowagen wankte, kam mir eine Idee. Ich nahm mir Bresches Kopfschutzmaske und drehte den Atemfilter auf. Dann entnahm ich das Filtermedium, einen Aktivkohlefilter, den er gerade gegen den alten Filter ausgetauscht hatte. Den alten Filter angelte ich aus dem Mülleimer und setzte ihn verkehrt herum in Bresches Maske ein. Den sauberen, ungebrauchten Filter warf ich in den Mülleimer.
Als wir später wieder an die Arbeit gingen und uns die Schutzmasken aufsetzten, meinte ich. "Komisch, meine Maske stinkt so sehr, daß ich kotzen könnte!"
Bresche stimmte mir zu. "Meine auch. Liegt vielleicht an den neuen Filtern..."
- "Kann sein!", nickte ich.
Unten, in der Betonschale, konnte ich Bresche nicht sehen, denn wir befanden uns auf den entgegengesetzten Seiten des Silos. Doch plötzlich hörte ich ein metallisches Klappern, wie wenn jemand mit einer Metallstange auf das Silo schlüge. Ich ging den Halbkreis herum - und sah Bresche ohnmächtig am Boden in der Brühe liegen. Seinen Strahler, der ihm aus der Hand gefallen war, hatte er vorher wohl auf Dauerbetrieb eingestellt. Nun zuckte der Srahler wie eine von Elektroschocks gepeinigte Klapperschlange hin und her, knallte abwechselnd gegen die Silo- und die Betonwand und sprühte mit seinen 8 Atü weiter. Ich konnte nicht hin zu Bresche, um ihm zu helfen, denn wenn ich in den Strahl geraten wäre, hätte der mir glatt einen Arm oder gleich den Kopf absäbeln können. Sein Druck reichte immerhin, hatnäckige Farbrückstände von Stahloberflächen zu rasieren. Ich stand also in sicherer Entfernung und schaute zu, wie der Strahler hin und her sprang, als wäre er lebendig, und den Kompressor hinter sich herzog, bis der umfiel und sich dabei wohl selbst ausschaltete. Nun konnte ich endlich rüber zu Bresche. Der Strahl hatte ihn einmal voll getroffen gehabt und seinen Schutzanzug vom linken Fußknöchel bis hoch zur Hüfte sauber aufgeschnitten. Blut suppte aus dem Anzug und tropfte in die dampfende Giftsoße in der Betonwanne. Es war gar nicht so einfach, so einen Riesen wir Bresche auch nur bis zur nächsten Leiter zu schleppen - hochwuchten konnte ich ihn keinesfalls. Ich setzte ihn mit dem Rücken an die Beton-Wand.
- "Warte mal kurz," brüllte ich ihm durch die Atemmaske zu, "Ich hole Verstärkung!"

Es dauerte eine Weile, bis ich es über die rutschige Leiter nach oben geschafft hatte. Dann riß ich mir den Helm vom Kopf, weil es in diesem verdammten Anzug heiß wie in einer Räuchertonne war, und spazierte gemächlich rüber in Richtung der Baracken, wo unser Vorarbeiter über dem Papierkram zu brüten pflegte. Nur die letzten dreißig Meter rannte ich, stürmte ohne anzuklopfen ins Büro und brüllte irgendwas von einem Unfall.

Sie brauchten vier Mann, um Bresche aus der Betonschale rauszuhieven. Sie nahmen ihm den Schutzhelm ab und untersuchten, ob er noch lebte. Ja, er lebte noch.
Bis zur übernächsten Woche. Die Amputation seines Beines hatte er schon überstanden gehabt. Aber bald bildeten sich an seinem ganzen Restkörper Pusteln und platzten auf. Dünne, durchsichtige Flüssigkeit lief heraus, und dann begann Bresche, Blut zu husten. Zwei Wochen nach seinem Strahler-Billard-Spiel lag Bresche eingescharrt in einem anonymen Grab, denn er hatte keine Familie und keine Freunde, die sich um seine Grabstätte hätten kümmern können.
Als Arbeitskollege gab ich ihm das letzte Geleit. Mir fiel bei dem Begräbnis auf, daß auf dem ganzen Friedhof an diesem Tag kein einziger Vogel Lust zum Zwitschern hatte. Oder ich bildete ich mir vielleicht nur ein. Der Geistliche schüttelte sich ein paar Lügen aus dem Ärmel, behauptete, ein wichtiger Freund sei von uns gegangen und so fort. Dann trat ich ans Grab und schippte eine Schaufel Sand auf Bresches billigen Kiefernsarg. Wäre damals in Bresches Sandstrahlgerät so grober Sand gewesen, er hätte statt einer abgestürzten Schwalbenmutter sogar einen Elefanten damit köpfen können...


Ich erwachte mit einem feuchten Tuch auf der Stirn. Wo war ich? Als ich mich aufsetzen wollte, schnitten glühende Stahlfäden in meinen Hinterkopf.
- "Bleib liegen, bleib liegen!", forderte mich eine Stimme auf, die ich kannte. Linda!
- "Hi Baby, wie geht's denn so?", wollte ich wissen, aber die Worte kamen mir nicht so flüssig wie sonst über die Lippen, denn jemand schien mir Tischlerleim in den Mund geschüttet zu haben.
- "Mir geht's soweit ganz gut, aber du scheinst ein wenig von der Rolle zu sein.", sagte Linda.
- "Einer der Security-Jungs hat mich informiert. Was war los? Hast du tatsächlich die Schlägerei angefangen? Warum denn? Was hatte der arme Kerl dir denn angetan?"
- "Er hat zuerst zugeschlagen."
- "Aber du sollst ihn provoziert haben."
- "Kann schon sein", murmelte ich. Mir fehlte momentan noch etwas die Kraft für eine überzeugende Stehgreifdichtung. "Es tut mir leid, hab mich wohl daneben benommen."
- "Das will ich meinen, Sir!", sagte jemand im Hintergrund des Zeltes. Einer von den orangenen Hampelmännern.
- "Es war so heiß und..."
- "Und du hattest einen über den Durst getrunken, nicht wahr?", ergänzte Linda mich.
- "Well - ähm - yeah..."
- "Ich hab deinem Opfer fünfhundert Dollars in die Hand gedrückt, als Schmerzensgeld.", informierte Linda mich weiter, "Er wird auf eine Anzeige verzichten."
- "Aber er hatte zuerst..."
- "Meines Wissens war seine Freundin die einzige Zeugin. Alle anderen wurden erst auf euren Kampf aufmerksam, als du gerade ausholtest, um jemandem, der vor dir auf der Erde lag, ins Gesicht zu treten. Deine Version der Angelegenheit dürfte vor Gericht etwa gehandicapt beim Rennen um den Sieg sein..."
- "Well, oh Mann... Shit! Aber Du sollst doch keine fünfhundert Dollars für meine Dummheit zahlen, Linda!"
- "Wir werden Dir's von der Gage abziehen, Hank. So, und damit wir das können, lehn dich jetzt mal zurück und versuche, die zwei Stunden bis zu deiner Lesung noch etwas Kraft zu schöpfen."
- "Ich soll lesen? In meiner Verfassung?"
- "Ich dachte immer, Hank Chinasky sei einer von den ganz harten Knochen?"
- "Well, da is was dran."
- "Na also. Zeig mal ein bißchen Cojones! Und vielleicht hat unser Doktor hier (sie zeigte auf einen Mann in weißem Kittel, der bislang ausserhalb meines Gesichtsfeldes auf seinen Auftritt gewartet zu haben schien) noch das eine oder andere Mittelchen, das dich schnell wieder auf die Beine bringt."
Mit diesen Worten entschwand Linda aus dem Zelt. Ich lag auf einem mit Papier überzogenen Tisch. Eben noch hatte mir ein Sandstrahler das Gehirn im Kopf flüssig gerührt und jetzt hatte ich noch zwei Stunden bis zu meinem grossen Auftritt.
- "Doc?", fragte ich, und versuchte, mit den Fingern zu schnipsen, "ich bräuchte Ihre Hilfe!"
- "Ja, Mister Chinasky?!"
- "Kann man in diesem Laden eventuell ein kühles Bier bekommen?"
 



 
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