Tiefste Abgründe

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Tiefste Abgründe

»Ihr habt eindeutig schon einmal besser ausgesehen. Der Anflug grüner Farbe im Gesicht steht Euch nicht. Nicht standesgemäß. Dabei legt Ihr doch immensen Wert auf solch aristokratischen Firlefanz.«
Jeldarik hörte ein wieherndes Lachen. Er zog es jedoch vor zu schweigen. Sein Schädel brummte ohnehin schon genug. Zudem versprach er sich nicht viel von der misslichen Lage, in der sich nach wie vor befand. Der graue Schleier der nahen Ohnmacht, der seine Gedanken trübte, verflüchtigte sich nur langsam. Immerhin schienen die Sinne nun wiederzukehren. Doch die ersten Eindrücke von Augen und Ohren versprachen keine gewinnbringende Verbesserung der eigenen Position.
Das Letzte seiner Worte war wohl gesprochen. Zumindest verhießen die gesprungenen Lippen und die ausgedörrte Kehle nichts Gutes. Die Wahrscheinlichkeit war groß genug, dass er nur zu einem heiseren Krächzen fähig war. Eine Blöße, die dem Inhaber der Stimme hinter ihm nur die Genugtuung geben würde, die er sich so ersehnte.
»So schweigsam still. Ihr enttäuscht mich. Wo ist nur Euer vorlautes Mundwerk geblieben? Nicht dass ich es vermissen würde. Ihr wisst ja, wie sehr ich die erbaulichen Gespräche mit den edlen Damen genieße, die Ihr für gewöhnlich mit Eurer Begleitung bei Hofe beglückt. Ich, gebildeter Schöngeist unter all den Banausen, verführerischer Liebhaber der erlesensten Speisen der Liebe, bin dem Genuss guter Unterhaltung und heißem Wein nicht abgeneigt.«
Jeldarik konnte ein leises Stöhnen nicht länger unterdrücken. Stechender Schmerz fuhr in seine Schläfen, als es ihm gelang, den Kopf zu drehen. Eine kurze Bewegung, und doch brachte sie alle Muskeln seines Schultergürtels zum Brennen und rief ihm die verdrängten Qualen der vergangenen Stunden zurück ins Gedächtnis. Nur dem Rauschen des Blutes in den Ohren war es zu verdanken, dass ihn das wiederholende knarzende Geräusch der hölzernen Zahnräder nicht erneut einen Schrei entlockten, die so oft erklungen waren, als Sehnen und Knochen seiner Armgelenke zum Zerreißen gespannt wurden.
Es war schwer, die blutverkrusteten Augen offen zu halten, und er brauchte einen Moment, bis sich das Bild einer Streckbank aus seinem Gedächtnis löste. Er musterte den Mann, der schelmisch aus den Augen blitzte, aus den Augenwinkeln, der am Abgrund der Schlucht stand, dessen dunkle Tiefe sein Gesichtsfeld beschränkte.
»Ah, wie ich sehe, genieße ich nun wieder Eure volle Aufmerksamkeit. Wie schön. Und so passend. Gerade eben wollte ich Euch etwas anvertrauen, dass Euer Interesse wecken könnte.« Der Mann gluckste und lachte. Die rechte Hand am Schwertgriff tätschelte er liebevoll über den aus geschwungenen, silbernen Fäden gefertigten Knauf.
»Nach den vielen Wochen der Entbehrung freue ich mich auf das wohlige Heimfeuer. Weniger als ein Tagesritt trennen mich vom Schlafgemach. Die edle Feste Falkenberg wartet auf die Rückkehr ihres Herrn. Ich fürchte nur, die Bediensteten werden fortan mit einem anderen Edlen vorliebnehmen müssen, jetzt wo ich das sagenumwobene Schwert der Falkenbergs am Gürtel trage. Zu dumm nur dass ihr selbst noch nie die Gelegenheit hattet, von Eurem Bergfried aus das Umland zu erblicken. Welch bedauerliches Schicksal Euch ereilt hat. Vernichtend geschlagen, Titel, Ländereien und aller weltlichen Besitztümer beraubt, kauert Ihr dem Tode nahe am Abgrund und blickt dem Tod mit trotzigen Augen entgegen.«
Jeldariks Mund öffnete sich, doch mehr als ein röchelndes Würgegeräusch brachte er nicht heraus.
»Grämt Euch nicht. Der Tod ist Euch längst gewiss. Ich habe alle notwendigen Vorsorgen gründlich getroffen. Just in diesem Augenblick, in dem wir beide so eine vortreffliche Unterhaltung führen, reitet mein Bote in Eure Feste. Ich bin sicher, Eure Mägde sind den Umgang mit Nadel und Faden gewohnt. Noch heute Abend werden neue Bettvorhänge meine Schlafstatt zieren. Dunkles Grün mit silbernem Eichenlaub. Ich freue mich auf den Duft frischer Laken und den Liebreiz der edlen Dame, die in Eurem Gemach auf mich warten wird.«
Jeldariks Blick bohrte sich in die grauen Augen seines Widersachers. Er spuckte einen Brocken Blut aus.
Die alte Fehde der Feinde währte seit langen Jahren, doch anders als sein Gegenüber war er sich noch nicht so sicher, dass sie für alle Zeiten als beendet erklärt war. »Stirb!«, war alles, was ihm seine geschundene Kehle zugestand. Zu lange war er der üblen Laune des Widersachers und den kräftigen Händen an seinem Hals ausgesetzt gewesen.
»Oh, wie nett Ihr seid.« Der Mann lachte und blies eine schwarze Locke aus der Stirn, die sich gelöst hatte. »Ihr habt noch immer nicht genug? Spuckt noch immer große Töne, wie? Verzeiht, wenn ich mich darüber amüsiere. Ich frage mich gerade, was mich wohl eher zufrieden stimmt. Diese nette Unterhaltung mit Euch oder die erste Nacht in meinem neuen Heim, in dem es mir an nichts fehlen wird. Eure Gemahlin ist die einzige, die die Scharade enttarnen könnte, doch ich bin sicher, dass sich dieses Problem sehr schnell lösen wird. Wie Ihr zweifellos wisst, bin ich berühmt für die Herzlichkeit, mit der ich meine Liebhaberinnen beglücke. Ein bisschen Strenge hier, ein wenig Reiberei da, so wird die Gespielin schön gefügig gemacht. Ihr wisst ja, wie das ist. Denkt nur an die Huren, die wir uns nach siegreichen Schlachten des Königs auf den Schlachtfeldern gemeinsam genommen und geteilt haben. Es waren schöne Zeiten, die wir durchlebt haben. Die Ritter Falkenberg und Griosh, die Leibwächter des eingebildetsten Königs, den die Welt je erblickte. Oder wenn ich so ein wenig darüber nachdenke, wäre vielleicht einfältigste das bessere Wort, was meint Ihr?«
Jeldarik war es egal. Der König war tot, wen kümmerte es, ob er einfältig oder eingebildet gewesen war. Er schmeckte Blut auf den Lippen. Ein Wunder, dass noch ein Tropfen Feuchtigkeit in seinem Körper steckte. Nahrung und Flüssigkeit seit Tagen beraubt, quälte ihn ein schreckliches Durstgefühl, das von Sekunde zu Sekunde schlimmer wurde und die Enge und Schmerzen des mit Würgemalen übersäten Halses zusätzlich steigerte.
Vor seinem inneren Auge formte sich das Antlitz eines jungen Mädchens mit fröhlichem Gesicht und blond gelockten Haaren. Elana. Wie habe ich versagt. Mehr als zehn Jahre hatte er seine Gemahlin nicht mehr gesehen. Jung war sie gewesen, noch ein Kind, als sie vom König vermählt wurden. Die Hochzeit ein Privileg für die Verdienste unzähliger Schlachten. Nicht einmal hatte er gewagt, das Bett mit ihr zu teilen, und sie in die sichere Heimat geschickt. Nun war es sein größter Feind, der sich an ihr ergötzen würde. Eine Vorstellung, die schlimmer war als jede Folter, die sich sein ehemaliger Kampfgefährte ausdenken konnte.
»Ich denke, ich sollte die Freuden Eurer Feste nicht länger warten lassen, was meint Ihr? Wäre doch zu Schade, wenn der Wein nicht in Strömen fließen und die Wärme von Feuer und Leidenschaft nicht sprießen würden.«
Griosh tätschelte den Hals des Schlachtrosses, das ruhig neben ihm stand und kurze Zeit später saß er fest im Sattel. Er hob die Hand zum Gruß. »Gehabt Euch wohl und grüßt mir die Schreckgespenster, die Euch in den letzten Stündchen Eures verlausten Lebens heimsuchen werden.«
Schnell war er aus Jeldariks Blickfeld verschwunden und das Trampeln der Hufe verklang in der Ferne.
Kraftlos hing Jeldarik in den Seilen, die ihn an den Handgelenken banden. Das Kreuz aus Brettern, an dem er gebunden war, hing über dem tiefen Abgrund. Gähnende Schwärze schlug ihm entgegen. Er musste sich zwingen, den Blick starr nach vorne zu richten, um nicht in Bewusstlosigkeit zu sinken, die sein Todesurteil besiegelt hätte.
Er wusste nicht mehr, wann oder warum die Fehde zwischen den Rittern entstanden war. Wie einfach war es gewesen, ihn zu übertölpeln. Ein unscheinbarer Becher Wein und nach einer gefühlten Ewigkeit im dämmrigen Zustand des Rausches war er in einem Raum erwacht, der den Namen Folterkammer mehr als verdient hatte.
Seine Lage war aussichtslos. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das Kreuz, an dem er hing, sich vom Felsen lösen würde. Schon jetzt schwankten die Bretter hin und her und kippten beständig weiter nach vorne. Die Streckbank hatte seine Arme aus den Gelenken gerissen. Ein Gefühl in den Händen damit unmöglich gemacht. Er wusste nicht, was die Bretter hielt.
Seine Lider wurden schwer. Die Sonne brannte auf der Haut und färbte die unzähligen Stellen rot, an denen sein Wams und die wollenen Hosen aufgescheuert oder eingerissen waren. Das quälende Durstgefühl wurde noch stärker. Die Gedanken zerrissen zu Fetzen und verschwanden in einem trüben Schleier, der sich über sein Gemüt legte. Dunkelheit empfing ihn.

ENDE
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo und willkommen!
Das Thema/ Genre ist nicht unbedingt meins. Ich denke, dies ist der Auszug eines Romans (?)
Aber toll geschrieben.
Mit Gruß, Ji
 
Hallo Ji Rina, vielen Dank für Dein Lob.
Es ist tatsächlich kein Auszug aus einem Roman, sondern eine Vorgeschichte zu einer Figur, die ich beim Romanschreiben entwickelt habe.
Ich wünsche Dir viel Gesundheit und Freude mit Büchern in ungewöhnlichen Zeiten.

Freundliche Grüße
Derufin Denthor Heller
 

Maribu

Mitglied
Hallo Derufin,

der Titel "Tiefste Abgründe" rief bei mir die Vorstellung tiefster menschlicher Abgründe hervor.
Es handelt sich aber um einen tiefen Abgrund.
In dieser Pandemie-Zeit ist es sicherlich beruhigend, nicht immer nur von 'Covid-19" zu lesen und zu hören.
Auch der andere Ausdruck für das Virus, der jetzt selten ausgesuchte Mädchenname 'Corona' ,
ist inflationär!
Ich habe gegoogelt und deine alte Burg im Schloßberg in der Südwestpfalz gefunden.
Die Ritter Falkenburg und Griosh sind ebenso fiktiv wie deine Geschichte.
Wer Rittergeschichten mag, mag deine bestimmt auch. - Trotzdem, in dieser unwirklich wirkenden Zeit,
wo das Virus, wie ich gerade gehört habe, mutiert haben soll und man nicht weiß, ob der gerade
eingesetzte Impfstoff dagegen auch hilft, wundert mich eine Beschäftigung mit der Vergangenheit.

Die immer nur mögliche subjektive Kritik eines Autoren-Kollegen sollte dich aber nicht davon abhalten,
über das zu schreiben, was dir am Herzen liegt und dir Spaß macht!
Für den Aufbau und deine Formulierung gebe ich dir vier Punkte.

(Ich würde mich freuen, wenn du dir "Zamarowsky, Masken..." im selben Forum mal durchliest
und ein paar Worte der Kritik abgeben würdest.)

Frohe Weihnachten wünscht
Maribu
 
Hallo Maribu,

vielen Dank für Deine Bewertung. Die freut mich wirklich sehr.
Mein Text spielt eigentlich nicht in der Vergangenheit sondern in einer fiktiven Welt.

Die Corona-Krise ist für uns alle eine Prüfung. Ich hoffe sehr, dass wir diese vernünftig bestehen werden.

Ich wünsche Dir und Deinen Angehörigen eine gute Gesundheit und schon jetzt erholsame weihnachtliche Tage.

Freundliche Grüße
Derufin Denthor Heller
 



 
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