Zeitreisen waren schon immer meine große Leidenschaft. Natürlich bin ich nie selbst durch die Zeit gereist. Na ja, ausgenommen der Reise, die im Jahr 1996 begann und mich vierundsechzig Jahre in die Zukunft brachte. Ich habe jeden einzelnen Tag genossen. Es gab Phasen, in denen ich gerne auf Knopfdruck, durch das Schließen eines Stromkreises oder durch das Betreten eines ambienten Portals, eine Abkürzung genommen hätte. Doch das hat mit meiner zweiten Passion zu tun, und davon erzähle ich später mehr.
Ein Dieb stellt sich nicht vor; ich mache eine Ausnahme. Fangen wir an mit meinem Elternhaus. Mein Vater, ein Italiener mit französischem Akzent, war ein begnadeter Arzt und entfernte böse Wucherungen. Meine Mutter, eine russische Ballerina, die auf ihrer Flucht aus Russland ein Bein verlor und später ihre Leidenschaft fürs Dramatische erkannte, verließ uns beide in jungen Jahren. Ich bin von allem etwas, voller gedanklicher Wucherungen und stetig auf der Flucht. Ein Träumer, der seinen Weg macht.
Mein Posten in der kleinen Firma, die in keinem Branchenverzeichnis auftaucht und unter dem Deckmantel der Unmöglichkeit eine ungestörte Schattenexistenz führt, ist der eines Wohltäters. Es gibt auf unserem Globus eine Handvoll Menschen, die meinen wahren Namen und die Grundzüge meiner Geschäftsidee unter Folter gestehen könnten, mich eingeschlossen. Sicher, auf den digitalen Kontoauszügen unserer Kundschaft steht neben der Summe von eintausend chinesischen Dollar zu Beginn des Buchungssatzes ein Name, gefolgt von dem Produkt, das erworben wurde: Lebenszeit. Während das Geld über ein Konglomerat unterschiedlichster Firmen und deren in Steueroasen gelegenen Unter- und Nebenkonten wie ein Ping-Pong-Ball auf uns zurast, fließt die Zeit für alle ruhig dahin. Wir schicken unsere Kunden nicht mit Lichtgeschwindigkeit in schwarze Löcher, um die Zeit zu dehnen. Das wäre viel zu teuer. Der Gedanke an solche Reisen ist mir nicht fremd. Doch ich bevorzuge Lösungen, die funktionieren. Schließt das aus, dass ich mich als Visionär bezeichnen darf?
Schon kurz nach meiner Geburt begann das Drama, das heute Grundlage meines erfolgreichen Business ist. Bei aller Cleverness zeichnet mich eine kindliche Naivität aus. Es brauchte einige Jahre, bis bei mir der Groschen fiel. Auslöser war ein banaler Film … über Zeitreisen. Eine Reise über neunundfünfzig Jahre in das Jahr 2025. Diesmal echt, in Pal Color, und die Zeitmaschine war ein mit originalen russischen Kondensatoren betriebenes Höllenwerk. Knöpfchen drücken, ankommen, es war alles so einfach. Der Film war exemplarisch für die Art und Weise, wie ich damals meine Freizeit verbrachte. Für Sex und Crime war ich noch zu jung. Die Szene, bei der es bei mir klingelte, war folgende: Das in der Blüte ihrer Jahre stehende Ehepaar aus dem Jahre 1966 eilt auf der Suche nach aktuellem Leben in die nahe Stadt der Zukunft. Ihnen begegnen die ersten Zeitgenossen, doch jeder hat nur Augen und Ohren für ein kleines, leuchtendes Glasfenster dicht vor seinem Gesicht. »Vielleicht sind alle krank, und das ist ihre Medizin«, war ihr Kommentar. Da habe ich es begriffen.
Ich ging in die IT-Branche. Berufswunsch: Seelendoktor. Aus mir wurde ein Hacker. Ganz nebenbei interessierte ich mich damals wie heute für die Sicherheitssysteme der digitalen Crème de la Crème. Und ich habe sie alle besucht. TNTS, UniCom, AstraCom … alle. Sie fürchten mich, und ich fürchte sie. Und doch spielen sie mein Spiel mit, forschen und entwickeln neue Techniken, die mir helfen, ein guter Doktor zu werden. Zentralisierung, Cloud-Computing, datenbankbasierte User-Accounts, implementierter Onlinezugriff – mit jedem Jahrzehnt wurde es mir einfacher gemacht, mich in die Vorlieben von Lieschen Müller zu hacken. Dieses Lieschen ist schon längst nicht mehr darauf angewiesen, Akkupack und Ladekabel zu organisieren; Herr Müller liegt mit geschlossenen Augen im Wohnzimmer und schaut sich Softpornos an. Das Smartphone ist tot, es lebe das Smarthirn. Samt Gehirnimplantat, eingeführt durchs Ohr, und mit flexibler Flatrate zu unschlagbarem Preis. Bilder und Töne im Kopf, ohne jegliche eigene Fantasie – ein Menschheitstraum erfüllte sich. Um nochmals diesen Begriff aus der alten Zeit zu benutzen: Ich bin ein cleveres Kerlchen.
Was schon 2025 klar war, habe ich 2060 zur Religion erhoben. Analyse ist alles. Zielgruppenbestimmung ist der wichtigste Eckpfeiler meines Business. Sobald ich bei einem fetten Provider meinen tiefen Fußabdruck hinterlassen habe, mich frei wie ein ausgestorbener Vogel, den niemand mehr auf dem Schirm hat, in seinen Userdaten bewege, gibt es keine Grenzen mehr. Dann fange ich an zu suchen. Onlinezeiten, maximale Verweildauer, Swipe-Geschwindigkeit, Bankverbindung – ich fische aus dem unendlichen Pool der User die wirklich Leidenden raus, die wahrhaft Bedürftigen. Jedes Match beinhaltet drei Komponenten: völlige Übersättigung an medialem Content, ein gut gefülltes Bankkonto und ein wohlklingender Name. Lieschen Müller wäre okay. Dann schalte ich ihn ab, trenne ihn für unbestimmte Zeit und verbinde ihn wieder mit der wahren Welt. Ich verschaffe neue Lebenszeit. Bin ich ein guter Doktor? Nein, ich nehme zu viel Geld von ihren Konten für einen läppischen Klick meinerseits. Aber als kostenlosen Bonus verfolge ich eine lückenlose Nachversorgung. Drehe auf Dauer erfolgreich den Hahn ab.
Das bringt mich zu einem weiteren, nicht zu unterschätzenden Punkt. Natürlich gibt es auch in unserem Unternehmen eine Erfolgskontrolle. Die Wortwahl in den nachfolgenden Supportanfragen meiner Patienten an ihre Provider wird akribisch von meinem dynamischen, jungen Team ausgewertet. Es gibt dort auch einige Ehemalige, die wir, von Zeit zu Zeit, in den diversen Selbsthilfegruppen rekrutieren. Das ist natürlich alles nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Doch betrachten Sie diesen Stein als Kiesel, der auf dem Meer der digitalen Ruhe Kreise zieht.
Zum Abschluss, als schwacher Ersatz für einen mit freundlichen Grüßen verzierten Namen, erlaube ich mir ein Fazit: Für mich, den von Zeitreisen begeisterten Hacker mit therapeutischem Background, ist ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen. Die Menschen reisen endlich in die Vergangenheit und erkennen von dort ihre Zukunft.
Ein Dieb stellt sich nicht vor; ich mache eine Ausnahme. Fangen wir an mit meinem Elternhaus. Mein Vater, ein Italiener mit französischem Akzent, war ein begnadeter Arzt und entfernte böse Wucherungen. Meine Mutter, eine russische Ballerina, die auf ihrer Flucht aus Russland ein Bein verlor und später ihre Leidenschaft fürs Dramatische erkannte, verließ uns beide in jungen Jahren. Ich bin von allem etwas, voller gedanklicher Wucherungen und stetig auf der Flucht. Ein Träumer, der seinen Weg macht.
Mein Posten in der kleinen Firma, die in keinem Branchenverzeichnis auftaucht und unter dem Deckmantel der Unmöglichkeit eine ungestörte Schattenexistenz führt, ist der eines Wohltäters. Es gibt auf unserem Globus eine Handvoll Menschen, die meinen wahren Namen und die Grundzüge meiner Geschäftsidee unter Folter gestehen könnten, mich eingeschlossen. Sicher, auf den digitalen Kontoauszügen unserer Kundschaft steht neben der Summe von eintausend chinesischen Dollar zu Beginn des Buchungssatzes ein Name, gefolgt von dem Produkt, das erworben wurde: Lebenszeit. Während das Geld über ein Konglomerat unterschiedlichster Firmen und deren in Steueroasen gelegenen Unter- und Nebenkonten wie ein Ping-Pong-Ball auf uns zurast, fließt die Zeit für alle ruhig dahin. Wir schicken unsere Kunden nicht mit Lichtgeschwindigkeit in schwarze Löcher, um die Zeit zu dehnen. Das wäre viel zu teuer. Der Gedanke an solche Reisen ist mir nicht fremd. Doch ich bevorzuge Lösungen, die funktionieren. Schließt das aus, dass ich mich als Visionär bezeichnen darf?
Schon kurz nach meiner Geburt begann das Drama, das heute Grundlage meines erfolgreichen Business ist. Bei aller Cleverness zeichnet mich eine kindliche Naivität aus. Es brauchte einige Jahre, bis bei mir der Groschen fiel. Auslöser war ein banaler Film … über Zeitreisen. Eine Reise über neunundfünfzig Jahre in das Jahr 2025. Diesmal echt, in Pal Color, und die Zeitmaschine war ein mit originalen russischen Kondensatoren betriebenes Höllenwerk. Knöpfchen drücken, ankommen, es war alles so einfach. Der Film war exemplarisch für die Art und Weise, wie ich damals meine Freizeit verbrachte. Für Sex und Crime war ich noch zu jung. Die Szene, bei der es bei mir klingelte, war folgende: Das in der Blüte ihrer Jahre stehende Ehepaar aus dem Jahre 1966 eilt auf der Suche nach aktuellem Leben in die nahe Stadt der Zukunft. Ihnen begegnen die ersten Zeitgenossen, doch jeder hat nur Augen und Ohren für ein kleines, leuchtendes Glasfenster dicht vor seinem Gesicht. »Vielleicht sind alle krank, und das ist ihre Medizin«, war ihr Kommentar. Da habe ich es begriffen.
Ich ging in die IT-Branche. Berufswunsch: Seelendoktor. Aus mir wurde ein Hacker. Ganz nebenbei interessierte ich mich damals wie heute für die Sicherheitssysteme der digitalen Crème de la Crème. Und ich habe sie alle besucht. TNTS, UniCom, AstraCom … alle. Sie fürchten mich, und ich fürchte sie. Und doch spielen sie mein Spiel mit, forschen und entwickeln neue Techniken, die mir helfen, ein guter Doktor zu werden. Zentralisierung, Cloud-Computing, datenbankbasierte User-Accounts, implementierter Onlinezugriff – mit jedem Jahrzehnt wurde es mir einfacher gemacht, mich in die Vorlieben von Lieschen Müller zu hacken. Dieses Lieschen ist schon längst nicht mehr darauf angewiesen, Akkupack und Ladekabel zu organisieren; Herr Müller liegt mit geschlossenen Augen im Wohnzimmer und schaut sich Softpornos an. Das Smartphone ist tot, es lebe das Smarthirn. Samt Gehirnimplantat, eingeführt durchs Ohr, und mit flexibler Flatrate zu unschlagbarem Preis. Bilder und Töne im Kopf, ohne jegliche eigene Fantasie – ein Menschheitstraum erfüllte sich. Um nochmals diesen Begriff aus der alten Zeit zu benutzen: Ich bin ein cleveres Kerlchen.
Was schon 2025 klar war, habe ich 2060 zur Religion erhoben. Analyse ist alles. Zielgruppenbestimmung ist der wichtigste Eckpfeiler meines Business. Sobald ich bei einem fetten Provider meinen tiefen Fußabdruck hinterlassen habe, mich frei wie ein ausgestorbener Vogel, den niemand mehr auf dem Schirm hat, in seinen Userdaten bewege, gibt es keine Grenzen mehr. Dann fange ich an zu suchen. Onlinezeiten, maximale Verweildauer, Swipe-Geschwindigkeit, Bankverbindung – ich fische aus dem unendlichen Pool der User die wirklich Leidenden raus, die wahrhaft Bedürftigen. Jedes Match beinhaltet drei Komponenten: völlige Übersättigung an medialem Content, ein gut gefülltes Bankkonto und ein wohlklingender Name. Lieschen Müller wäre okay. Dann schalte ich ihn ab, trenne ihn für unbestimmte Zeit und verbinde ihn wieder mit der wahren Welt. Ich verschaffe neue Lebenszeit. Bin ich ein guter Doktor? Nein, ich nehme zu viel Geld von ihren Konten für einen läppischen Klick meinerseits. Aber als kostenlosen Bonus verfolge ich eine lückenlose Nachversorgung. Drehe auf Dauer erfolgreich den Hahn ab.
Das bringt mich zu einem weiteren, nicht zu unterschätzenden Punkt. Natürlich gibt es auch in unserem Unternehmen eine Erfolgskontrolle. Die Wortwahl in den nachfolgenden Supportanfragen meiner Patienten an ihre Provider wird akribisch von meinem dynamischen, jungen Team ausgewertet. Es gibt dort auch einige Ehemalige, die wir, von Zeit zu Zeit, in den diversen Selbsthilfegruppen rekrutieren. Das ist natürlich alles nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Doch betrachten Sie diesen Stein als Kiesel, der auf dem Meer der digitalen Ruhe Kreise zieht.
Zum Abschluss, als schwacher Ersatz für einen mit freundlichen Grüßen verzierten Namen, erlaube ich mir ein Fazit: Für mich, den von Zeitreisen begeisterten Hacker mit therapeutischem Background, ist ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen. Die Menschen reisen endlich in die Vergangenheit und erkennen von dort ihre Zukunft.
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