Tobias – ein politischer Monolog eines alten Mannes

Haselblatt

Mitglied
»Die Welt wird nicht von Gesetzen beherrscht, sondern von Gewalt«
Noam Chomsky

Es war ein kalter, aber klarer Novemberabend, in der kleinen niedersächsischen Kreisstadt Fallingbostel. Da war ein Kulturverein, der sich mit dem Namen »Club der schönen Künste« schmückte und zu einem Diskussionsabend mit dem Publizisten Tobias Veengard geladen hatte. Auf dem Plakat beim Eingangsportal war die Veranstaltung unter dem Titel

POLA-RISA-CION

Experimentelle Feindberührung
oder

Die wahrheitsgemäße Beherrschung der Lüge

angekündigt worden.
Der Versammlungsraum war brechend voll. Tobias Veengard war eben von der Clubsekretärin begrüßt und dem Auditorium als Vortragender vorgestellt worden. Er ging bedächtigen Schritts vom Seiteneingang in die Mitte des Saals und spürte, wie ein paar hundert Augenpaare seine Aura durchbohrten. Schließlich wandte er seinen Körper in Richtung des Auditoriums, verbeugte sich kurz, lächelte unverbindlich und ging weiter zum Rednerpult. Dort angekommen blickte er eine Zeit lang beinahe abwesend in die Tiefe des Raums.
Die anhaltende Stille erzeugte eine kristalline Spannung. Tobias zählte in Gedanken noch bis zehn, holte dann tief Atem und begann zu sprechen:
»ICH - habe mich hinter euch gestellt.«

Die kurze Pause hinter dem ICH sollte die Schwere der Bedeutung betonen, die der Person dieses Ichs zugedacht war. Tobias war ein Meister der Rhetorik und verstand es in hohem Maß, die Werkzeuge seiner Sprache wirkungsvoll zum Einsatz zu bringen.
»Keineswegs aus demütiger Unterwürfigkeit, sondern eher aus Höflichkeit. Und auch weil ich weiß, dass die meisten von euch eitle Naturen sind, die es schätzen, wenn sie von Anfang an die erste Geige spielen dürfen.«

Meisterliche Rhetorik versteht sich auf fein dosierte Provokation, ohne im direkten Sinn verletzend zu sein. In einer der hinteren Reihen konnte man ein verlegenes Kichern vernehmen, der Stimme nach von einer jungen Frau. Offensichtlich hatte sie den feinschliffigen Sarkasmus dieses Satzes nicht wirklich verstanden. Oder vielleicht hatte sie nicht einmal zugehört. Tobias ließ sich davon aber nicht ablenken und fuhr fort:
»IHR - seid. Genau so ist es, jawohl, mehr noch: Ihr seid... einer. Oder eine, je nachdem.
Also, ihr seid einer oder eine, und ihr solltet! Auch die junge Dame, die da hinten dämlich gekichert hat. Ich weiß, das ist alles noch ein wenig verwirrend für euch, aber ich wiederhole: Ihr solltet – und zwar solltet ihr eine gedankliche Reaktion in Gang setzen, in Richtung zu mir, das heißt also in Richtung auf genau jene Person, die euch immerhin unterstellt, jemand zu sein. Falls ihr so seid, wie ich vermute oder zumindest den Verdacht äußere, dass ihr seid, dann...
Nein, wartet: Falls ihr so seid, wie ihr sein könntet wenn ihr euch schon viel früher mit euch und den von mir geäußerten Ideen beschäftigt hättet, würdet ihr jetzt eine gedankliche Reaktion in Gang setzen, die - man beachte die Häufung der Konjunktive - in folgende Frage münden könnte: Ich bin ein oder eine... WAS?
Ich werde eure Unbedarftheit jetzt mit einem indifferenten Lächeln quittieren und sagen: Falsche Frage!
Ich drehe den Spieß um und bohre weiter:
Welche Rückschlüsse können wir aus dem eben Gesagten bereits ansatzweise ziehen?
Das ist vorerst einmal eine Gegenfrage. Ich weiß, diese Taktik ist unfair, aber ich habe euch niemals in gleich welcher Form Fairness versprochen. Ich gehe noch einen Schritt weiter und biete jetzt jedem und jeder von euch das Du-Wort an, hoffend, ihr akzeptiert das. Also: Wenn DU als zuhörendes Individuum die Nerven haben solltest, diesen Vortrag bis ans bittere Ende durch zu stehen, dann wirst du erkannt haben, dass Fairness nichts weiter ist, als eine Konvention von unausgesprochenen, aber gegenseitig akzeptierten Regeln. Die Konvention, die wir beide geschlossen haben, lautet: Du bezahlst eine bestimmte, von mir festgesetzte Summe als Eintrittsgeld zu dieser Veranstaltung in gültiger Währung, die du für meinen Dienst bar auf den Tisch klimperst. Du tust das, weil du zurecht der Meinung bist, mit dem gegenständlichen Deal zu einem sehr vorteilhaften Preis einen für dich ebenso vorteilhaften und wesentlichen Schritt in Richtung auf das Verstehen von Wahrheit und Lüge zu setzen. Und ich spreche dir persönlich und mit breitem Grinsen meinen Dank dafür aus. Mag sein, dass du mich jetzt für einen zynischen Kotzbrocken hältst, aber das ist dein Problem. Bleiben wir beim Thema:
Welche Rückschlüsse können wir aus dem eben Gesagten bereits ansatzweise ziehen?
Überlege dir genau, was du jetzt denkst oder still zu dir sagst, und fühle dich zum Widerspruch provoziert. Fühle dich zur Negation verleitet. Fühle dich in deiner blauäugigen Einfalt allein gelassen. Aber bevor du konkret wirst, warte noch ein wenig ab. Fühle dich als nichts sagendes Individuum. Nichts sagend ist nicht gleichbedeutend mit nichtssagend. Dazwischen liegt mehr als ein syntaktischer Leerraum. Ich meine mit deinem nichts sagenden Zögern, dass du vorerst einmal schlicht und einfach die Klappe hältst und mir weiter zuhörst. Solltest du darüber hinaus ein Problem damit haben, von mir gedutzt zu werden, dann verlasse bitte den Saal. Dein Geld bekommst du aber nicht zurück.«

Tobias senkte den Blick auf das Pult, auf dem die Vortragenden normalerweise ihr Manuskript liegen haben, aber er hielt seinen Vortrag völlig frei, ohne Aufzeichnungen oder Unterlagen. Dann hob er wieder den Kopf und versuchte, in den Gesichtern seiner Zuhörer in den vorderen Reihen eine Art von Reaktion abzulesen. Aber vorerst blieb die Mimik der Leute neutral, distanziert und unbewegt. Also fuhr er fort:
»Wir fassen zusammen – und wenn ich fortan von uns spreche, dann meine ich dich und mich. Soll heißen: Ich führe das Wort und du bist zum Mitdenken, zum Mitgestalten, zum Mitkämpfen und – im Falle des Misserfolgs - zur solidarischen Kapitulation aufgefordert. Oder auch dazu verdammt. Welche andere Wahl hättest du denn? Mir ist es gleich, ob du das so oder so siehst. Aber bleiben wir beim Thema. Ich sagte: du solltest, und zwar fragen:
Ich bin ein oder eine...WAS?
Wieder falsch. Formuliere deine Frage anders. Denn wenn du auf der letzten Formulierung bestehst, muss ich dir Inkompetenz im Umgang mit dir selbst vorwerfen. Du hättest von alldem nichts, nein, rein gar nichts verstanden. Wie kommst du auf den Gedanken, ein WAS, ein etWAS zu sein? Geht in dir etWAS vor, wenn du diesem Gedanken nachspürst? Hast du etWAS geahnt, bevor du hier angehalten hast um fassungslos den Kopf zu schütteln?
Also: Stelle deine Frage geringfügig um, und sie möge dann folgendermaßen lauten:
Ich bin ein oder eine... WER?
Gut, wir kommen dem Kern der Sache schon näher. WAS kann sich nur auf eine Sache beziehen. Du bist keine Sache, sondern eine Person, vielleicht auch eine Unperson, keine Ahnung. Wer bist du? Die Frage ist mehr als legitim, aber woher sollte ich das wissen? Ich kenne dich doch gar nicht! Wie kommt es, dass du der Einbildung erliegst, ich könnte dir darauf eine qualifizierte, oder gar die richtige Antwort geben? Also – ich mache es kurz:
Wer du bist, kann ich nicht wissen, und es interessiert mich auch herzlich wenig. Das bleibt dein Geheimnis, bilde dir ruhig etwas darauf ein, das ist in Ordnung so.
Ich kann dir aber sagen, wer du in Bezug auf die hier voranschreitende Handlung bist: Du bist die Hauptfigur, denn das meiste, wovon du hier hören wirst, dreht sich um dich. Wahrscheinlich denkst du jetzt:
Wie soll denn das angehen, der Kerl kennt mich doch gar nicht, was er gerade vorher selbst zugegeben hat. Also, was soll das?
Sei nicht vorlaut und warte ab. Ich sagte: Das meiste, wovon du hier hören wirst, dreht sich um dich. Ich sagte keineswegs, dass dabei von dir als Person die Rede sein würde. Aber du wirst dein Betroffensein noch früh genug wahrnehmen. Denn du könntest so sein, wie jede von den Figuren, die neben dir ins Spiel gebracht werden. Und zuletzt wirst es du sein, der darüber zu urteilen hat, wer von den Beteiligten für die Wahrheit oder die Lüge steht.
Was du bist, ist für mich immerhin leicht zu erraten: Ein geordnetes Konglomerat hochkomplexer Aminosäuren, die nach dem Bauplan einer doppelten Helix miteinander verwoben sind. Wenn du nicht weißt, was Aminosäuren sind oder eine Helix, dann frag bitte bei Google oder Wikipedia nach. Jedenfalls – die Aminosäuren sind der vorrangige Baustein deiner physischen Wirklichkeit. Das ist jene Wirklichkeit, wie sie von dir und deinen Betrachtern wahrgenommen wird. Und sie – die Wirklichkeit – ist mess- und wägbar. Wäre das nicht so, dann gäbe es keine Menschen, die mit den Wägbarkeiten ihrer Physis unzufrieden sind. Denn neben den Amino- gibt es auch die gesättigten Fettsäuren. Und letztere stellen für viele ein ernstes physisches Problem dar. Wärst du ein Tier, zum Beispiel eine Katze oder ein Eisbär, dann hättest du das besagte Problem in keiner Weise. Katzen stellen sich niemals auf eine Waage, Eisbären – vermute ich – auch nicht. Eine Instanz des Menschseins besteht gewissermaßen darin, sich regelmäßig oder zumindest gelegentlich auf eine Waage zu stellen. Eine Instanz, wohlgemerkt, aber nicht die Einzige!
Die Säuren sind folglich die Bausteine, und die Helix ist der Bauplan dessen, was du bist. In polarisierter Form könnte man die Aussage so vereinfachen: Die Helix ist das Ideal, die Aminosäuren sind die Guten, die Fettsäuren die Bösen, näherungsweise vergleichbar mit den Bausteinen amerikanischer Polit-Repräsentanz, nur heißen sie dort anders: Der Präsident, die Senatoren und die Repräsentanten. Ganz gleich ob Demokraten oder Republikaner, oder auch Demoblikaner – an der Spitze sichtbar ist jedenfalls immer die am weitesten verbreitete Mischform von verklemmt-frömmelnden Heuchlern.
Bausteine sind universell. Denk an Ziegelsteine: Je nachdem, ob du sie übereinander oder nebeneinander legst, ob du sie lose schlichtest oder mit Mörtel verklebst, entsteht ein räumliches Gebilde, zum Beispiel ein Haus. Dein Haus. Aber obwohl die Bausteine überall auf der Welt gleich aussehen, sind die Häuser sehr unterschiedlich in Form, Inhalt und Komfort. Du erkennst jetzt: Da fehlt etwas. Ich sage dir – und ich weiß deine Zustimmung in höchstem Maße zu schätzen – also, ich sage dir, dass die Säuren und die Helix nur einen Bruchteil, also eine Teilmenge all deiner Eigenschaften darstellen. Ein wichtiger und interessanter Bruchteil, aber eben noch nicht die Vollendung. Über den Rest, der die Differenz zwischen jenem Bruchteil und dem Ganzen ausmacht, über diesen Rest reden wir später.
Verzeih mir meine Abschweifungen, aber ich verachte Oberflächlichkeit. Kommen wir trotzdem endlich zum Kern unseres obigen Dialogs. Was ich vorhin zum Ausdruck bringen wollte, ist zunächst einmal nur eine These:
Du bist einer oder eine von jenen, die sich dem Diktat eines Trends gefügt haben. Dieser Trend manifestiert sich in numerisch oder grafisch darstellbaren Diagrammen, letztere sind ein Abbild des Trends, aber nicht seine Ursache. Die Ursache eines Trends bist vielmehr du, nicht du alleine, aber zumindest als kleinste Einheit einer Stichprobe. Das ist übrigens ein Fachbegriff aus der Statistik. Es macht gar nichts, wenn du das nicht verstehst. Es liegt ausschließlich in deinem Ermessen, dich einem Trend anzuschließen oder nicht. Du orientierst dich an den Schritten der benachbarten Einheiten links und rechts neben dir, du schwimmst im Strom und bist demzufolge mitten im Trend.
Und dann sind da noch andere Leute, die behaupten von sich, sie seine kluge Leute. Möglicherweise sind sie das in der Tat, aber ich empfehle dir: sei lieber misstrauisch. Sie untersuchen den Trend, analysieren seinen Verlauf und seine Entwicklung, sie interpolieren und extrapolieren, sie prognostizieren und evaluieren. Und vor allem: Sie irren, und das sehr oft. Sie irren sich öfter als die Wetterfrösche im Umgang mit dem Azorenhoch. Die Wetterfrösche im Klima der Trends heißen Meinungsforscher. Sie haben sich zu mächtigen Institutionen zusammengerottet und behaupten Dinge, die sie mit mathematischer Präzision zu belegen suchen. Der österreichische Schriftsteller Hans Weigel nennt das den exakten Schwindel. Und er hat durchaus recht. Denn es gelingt den Trendwetterfröschen immer wieder, zu ein und demselben Thema zwei oder mehr Untersuchungen zu führen, die die angebliche Aufdeckung oppositioneller Trends zur Folge haben. Dafür gibt es eine ganz einfache Erklärung: Da Trends von dir und all den anderen Menschen ausgehen, muss man zu deren Untersuchung dich und all die anderen befragen. Und je nach Fragestellung ergeben sich die dazu passenden Antworten. Und das Wesentliche: Du und all die anderen Befragten machen sich einen riesen Spaß daraus, die Inquisitoren zu belügen. Ich würde das ebenso tun. Eine beliebte Frage ist zum Beispiel:
Wie oft pro Woche haben Sie Sex?
Ich wäre ein schlechter Macho, würde ich mit weniger als fünf mal antworten, oder? In Wirklichkeit hätte ich dann aber innerhalb von zwanzig Jahren vielleicht meine gesamte Munition über die Harnröhre verschossen.
Das Dumme ist nur: Die Inquisitoren des Meinungshochs wissen das, und haben in ihre Untersuchungsmodelle versteckte Korrekturalgorithmen eingebaut. Aber sei beruhigt: die funktionieren nicht wirklich, sondern dienen in erster Linie dazu, das Ergebnis noch mehr zu verfälschen, und das in jede beliebige Richtung. Seit mir das bewusst ist, male ich bei der periodischen Volkszählung immer irgendwelche Zufallskreuze auf die Fragebögen. Bis heute ist das noch keinem aufgefallen. Ich stelle mir vor, dass du und all die anderen das ebenso handhaben könnten, weil das wäre die gerechte Revanche für den organisierten Betrug, der landauf landab von den so genannten Mandataren in den obersten Etagen der Administration ständig und vorsätzlich begangen wird.
Ergo: Trends werden gemacht, auch wenn die hinter ihnen stehenden Aussagen falsch sind. Sie sind nichts weiter als mathematisch simplifizierte Wahrheiten, die nur dadurch manifest werden, indem die ihnen zugrunde liegende Lüge von allen Beteiligten als solche unerkannt bleibt. Man muss eine falsche Behauptung nämlich nur oft und lange genug wiederholen, und sie wird zumindest den Status einer Scheinwahrheit annehmen. Das beginnt bei so banalen Erkenntnissen, wie altrosa wird die Farbe des kommenden Winters und endet damit, dass ein texanischer Wahlbetrüger halb Europa zum Kreuzzug gegen die Achse des Bösen mobilisiert. Auf den britischen Inseln etwa, wo schlechter Geschmack als Medikament gegen Weitsichtigkeit verordnet wird, haben die Offset-Schmierfinken dieses System zur Perfektion getrieben. Nimm ein x-beliebiges englisches Papier zur Hand und überzeuge dich selbst.
In derselben betrügerischen Absicht wird mit so genannten Durchschnittswerten umgegangen. Wenn etwa die Primgeiger parlamentarischer Verdummung den Leuten weismachen wollen, dass das durchschnittliche Volkseinkommen im einen oder anderen Land schon wieder einen spektakulären Sättigungswert erreicht hat, dann hat diese Behauptung, selbst wenn sie rein numerisch korrekt wäre, wenig Aussagekraft bezüglich des tatsächlichen Wohlbefindens der Mehrheit des Volkes. Denn ein Durchschnittswert ist nur dann informativ, wenn zugleich auf die Streuung aller Stichprobenwerte verwiesen wird. Wenn nämlich achtzig Prozent des Volksvermögens von fünf Prozent der Bevölkerung verwaltet werden, dann kann von breitem Wohlergehen keine Rede sein. Falls du von Mathematik unbeleckt sein solltest, kann ich dir das Thema auch an Hand eines ganz einfachen Beispiels anschaulich machen: Wenn du mit dem linken Fuß in der Tiefkühltruhe, und mit dem rechten in kochendem Wasser stehst, dann hast du durchschnittlich warme Füße. Ob du dich dabei wohl fühlst, ist eine andere Frage.«

Erstmals reagierte das Auditorium mit kurzem, aber lautem Lachen. Auch Tobias grinste ein wenig und nahm das Lachen als verhohlenen Beifall zur Kenntnis.
»Kommen wir also endlich dazu, über die Wahrheit zu sprechen. Aber Vorsicht, die Betonung liegt auf der Präposition über. Das heißt klipp und klar: Ich spreche über die Wahrheit, und zwar über die relative Wahrheit aus meiner Sicht. Und das bedeutet noch lange nicht, dass ich immer die Wahrheit und nichts als die Wahrheit von mir gebe. Ich bin zwar Zeuge meiner Zeit, aber wir befinden uns nicht im Gerichtssaal.
Wahrheit wird, wie du ganz sicher schon an den großformatigen und vielfarbig bebilderten Zeitungen der europaweiten Boulevardverdummung erkannt hast, als höchst relative Institution empfunden. Jawohl, Institution! Wahrheit ist herstellbar und einrichtbar, so wie die Giftspritzerei der nordatlantischen Kreuzritter, oder die Stellungnahme des Regierungschefs zur Lage der Nation, oder die statistische Bilanz am Arbeitsmarkt, oder das Gästezimmer deines Hauses. Du kannst dir das folgendermaßen vorstellen:
Wahrheit hat zwangsläufig etwas mit Wissen zu tun, deshalb kann es auch keine absolute Wahrheit geben – aber das hatten wir schon. Wissen ist etwas Dynamisches und beginnt so zu sagen im Weltraum, im leeren Raum des Nichts. Mit Bezug auf dein Gästezimmer lässt sich der Vorgang abstrahieren: Das Wissen ist vorerst einmal so leer wie eben dieses Zimmer. Das gilt auch für dein Wissen, bzw. das, was du dafür hältst. Widersprich jetzt nicht, es wäre zwecklos. Du berufst dich in deinem Widerspruch womöglich auf jene Leute, die dir einzureden versuchen, du seist ein wissender Mensch, nur weil man dir ein Diplom einer Fachidiotenakademie um den Hals gehängt hat. Vergiss es. Denn all das, wovon du glaubst, es zu wissen, beruht zum allergrößten Teil auf dem Nachpredigen von Behauptungen anderer. Eine unendliche Geschichte, die sich bis Adam und Eva zurückspulen ließe.
Das wirkliche Wissen beginnt mit der Leere des Nichts, und diese Leere wird langsam und sukzessive mit Informationen aus selbst Erfahrenem und Gelebtem gefüllt. Unterscheide deshalb genau zwischen Eingeweihten und Wissenschaftern. Letztere sind mehrheitlich Betrüger, die ihr vorgebliches Wissen ganz besonders im Interesse ihres Bankkontos oder ihrer unbefriedigten Geilheit nach Macht einsetzen. Mit wissenschaftlich fundierten Argumenten kann man so harmlose Dinge wie Zahnbürsten und Autoreifen herstellen, oder auch zum Mars fliegen, oder Schafe und Menschen klonen, oder die Bewohner Afghanistans mit Marschflugkörpern und Laserbomben aus der Luft vom Bösen befreien. Und man kann heute gegenüber der Öffentlichkeit jeden perversen Schwachsinn, jede ästhetische Verschandelung und jede öffentliche Geldvernichtung plausibel in die Realität umsetzen, wenn man einen so genannten politisch Verantwortlichen mit der dazu passenden Profilierungsneurose findet, der sich bereit erklärt, die Aktion unter der Flagge von Wissenschaft und Kultur abfahren zu lassen.
Die wirklich Wissenden, jene, die ich vorhin als Eingeweihte bezeichnet habe, kennen wahrscheinlich keine chemischen Formeln und verstehen auch nichts von der Gravitation auf dem Mars, aber sie haben mit ebensolcher Gewissheit ihre Schafe und Rinder noch niemals mit Tiermehl gefüttert und kämen nicht einmal in ihren schlimmsten Albträumen auf den Gedanken, andere Menschen mit einem Knopfdruck aus der Luft zu töten.
Zurück zu deinem Gästezimmer. Die Leere darin ist dir zuwider, also setzt du dich in dein Automobil und wälzt dich, gemeinsam mit hunderten anderen, durch die elektrisch angetriebene Drehtür eines in hässlichem blau-gelb gehaltenen Betonklotzes. Hier lässt du dir von geschickten Marketingfritzen das wenige Geld, das von deiner Lohntüte noch übrig ist, aus deinem Börsel ziehen. Als Gegenleistung für minderwertige Accessoires, die durch ständiges Wiederholen manipulativer Botschaften zu einem Trendset hochstilisiert wurden und ihren cleveren Schöpfer zum mehrfachen Milliardär gemacht haben. Letzteres muss man jedenfalls neidlos anerkennen. Nach Abschluss der Prozedur besitzt du vielleicht ein Gästezimmer mit einer höchst funktionellen Einrichtung, und jeder Besucher, stamme er vom Nordkap oder aus Sizilien, wird diese Einrichtung mit dem Wahrheitsgehalt des blau-gelben Betonklotzmarketings in assoziative Nähe bringen. Marketing und korporative Identität sind wie Bruder und Schwester. Dein Gästezimmer ist fortan mit den blau-gelben Wahrheiten eingerichtet, mehr als das: dein Gästezimmer ist die manifestierte Wahrheit der Einrichtung in blau-gelb. Die Wahrheit über eben dieses Gästezimmer ist aber, dass sie als Einrichtung das Ergebnis blau-gelber Manipulation darstellt. Du bist dennoch zufrieden, die Blau-gelben sind auch zufrieden, der Milliardär ist sowieso zufrieden, und auch ich bin halbwegs zufrieden, weil ich mir endlich meinen Frust über dein, mit blau-gelben Wahrheiten verunziertes Gästezimmer von der Seele reden konnte. Nur vollständigkeitshalber sei hier noch erwähnt, dass die Bewahrheitung zur Lage der Nation oder der statistischen Gegebenheiten am Arbeitsmarkt, denselben Gesetzmäßigkeiten unterliegt, die im soeben dargestellten blau-gelben Betonklotzmarketing kanonisiert sind.
Zurück zu deiner vermeintlich wissenden Leere:
Ich sagte, Wahrheit sei relativ. Relativ bedeutet: mit Bezug auf eine vorgegebene Instanz. Im Umgang mit der Wahrheit gibt es zwei solcher Instanzen, nämlich das Wissen und die Erfahrung. Auch davon war vorher schon einmal die Rede. Deine Wahrheit ist demnach ein relatives Teilstück deines Wissens oder deiner Erfahrung, meine Wahrheit beruht auf meinem Wissen und meiner Erfahrung und ist demnach eine völlig andere Wahrheit. Aus diesem Grund einigen wir uns ab sofort auf folgende Sprachregelung:
Alles, was ich fortan als meine Wahrheit postuliere, ist ein Angebot von mir in Richtung zu dir, mit dem ich dir ermögliche, Einblick in mein Wissen und meine Erfahrung zu nehmen. Aber du wirst dadurch niemals in die Lage versetzt sein zu beurteilen, ob ich tatsächlich die Wahrheit sage oder nicht. Und ich verspreche dir, dass ich mich hinsichtlich der Klärung dieses Punktes, nämlich: wahr oder nicht wahr, in ständiger nebuloser Unverbindlichkeit bewegen werde. Nicht etwa, weil ich ein unentschlossener Mensch bin, sondern weil weder du noch sonst jemand Anspruch hat auf meine Wahrheit. Die gehört mir allein, und ich werde sie mit niemandem teilen.
Du darfst mir ruhig glauben, dass dieselbe Einstellung von den meisten Persönlichkeiten in genau dieser Weise gehandhabt wird. Besonders von jenen, die – im Gegensatz zu mir – jenem Personenkreis zuzurechnen sind, der etwas zu sagen hat. Verlogenheit aus Prinzip ist die schärfste und zugleich verbreitetste Munition in den Geschützen von Management, politischer Administration und Journalismus: Hochgestellte Unternehmensführer und beamtete Manager der organisierten Volksverdummung vertreten offiziell eine sachlich oder politisch opportune Meinung, die gegenüber der Öffentlichkeit ganz offen artikuliert wird. Und hinter vorgehaltener Hand vertreten sie eine private Meinung, die unter Klagsandrohung nicht einmal zitiert werden darf. Frag die paar ehrlichen Journalisten, die täglich die Spitzen aus Politik und Wirtschaft zum Interview bitten, sie können davon ganze Arien singen.
Außerdem kannst du jetzt verstehen, wieso ich es bis heute vermieden habe, mich selbst zu einer hoch gestellten Persönlichkeit entwickeln zu lassen. In Anlehnung an Eric Blair, den du wahrscheinlich besser unter seinem Pseudonym George Orwell kennst, behaupte ich: Nur wer nichts zu sagen hat, ist von jener Freiheit umgeben, die notwendig ist, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen.
Weiter im Text: Wir sprachen von der Wahrheit, genauer gesagt, von meiner Wahrheit, und dass dich eben diese Wahrheit als solche eigentlich nichts angeht. Zur Kompensation für dein geduldiges Entgegenkommen hinsichtlich der Behandlung unserer Wahrheiten lade ich dich ein. Nicht zu meiner Geburtstagsparty und auch nicht auf eine Mass Bier, sondern: du bist eingeladen, meinen Gedanken zu folgen. Mach von der Einladung Gebrauch, dann wirst du erkennen, was auch mir erst seit kurzer Zeit klar geworden ist, nämlich dass sich seit frühester Menschheitsgeschichte bis herauf in unsere Tage alle Probleme der Gesellschaften auf zwei ganz triviale Ursachen zurückführen lassen. Erstens: Habgier; zweitens: Dummheit.«

In diesem Moment rief ein Mann mittleren Alters in den Saal »Ja, genau das ist es!« und begann laut zu klatschen. Sekundenbruchteile später ertönte schallender Applaus, der eine ganze Weile andauerte. Tobias schien die Szene zu genießen, lächelte geschmeichelt und hob schließlich beide Arme mit nach vorne gestreckten Handflächen, um die Menge um Ruhe zu bitten.
»Danke, ich danke euch.
Ich könnte auch über andere Abstraktionen menschlicher Eigenheiten sprechen, zum Beispiel über die Liebe, oder über die Freundschaft. Doch ich finde, dass diese Themenkreise bereits sattsam von hochkarätigen Denkern und Schreibern behandelt und daher bis zur Erdkruste hin abgegrast wurden. Also spreche ich über die Wahrheit und ihr polares Gegenstück, die Lüge. Als Prediger oder Manager würde ich das Schminken der Wahrheit als eine ebenso herausfordernde, wie lukrative Tugend betrachten - und erst recht als Vertreter des Volks mit demokratisch legitimiertem Mandat. Als davon Betroffener erscheint mir die Demaskierung der Lüge als reizvoller und ergiebiger.«
Tobias hob seinen Blick und schien auf ein widersprechendes Raunen des Publikums zu warten, aber niemand regte sich. Er fuhr fort:
»Um meine innere Berufung und Motivation zur Behandlung von Wahrheit und Lüge zu verstehen, muss man meine Wurzeln kennen. Meine Eltern liebten mich sehr. Meine Mutter war intelligent und streng und mein Vater war ein großartiger Mann. Er war den Nazis durch den Rost geschlüpft und im allerletzten Moment und in einer Nussschale von Boot über den südlichen Skagerak nach Schweden entkommen, kurz bevor der große Krieg begann. Dort arbeitete er als Portier eines Nachtklubs. Nach dem Krieg organisierte er zusammen mit seinen Hamburger Freunden die ersten - natürlich illegalen - Spielsalons in Hamburg, Bremen und Rotterdam. Er war außerdem ein höchst attraktiver Mann, der von den meisten Frauen leidenschaftlich begehrt wurde. Er nützte diesen Umstand ebenso aus, wie die Frauen selbst, von denen ihm dutzende zu Füßen lagen. Seine Lieblingsfrau entstammte der Mailänder Lackstiefel-Elite, und er machte sie zur Mutter seiner Kinder, obwohl er selbst schon deutlich über die Vierzig war. Wir waren unser drei, alle männlich, sehr kräftig und laut. Meine Brüder heißen Roger und Claudio. Roger lebt leider nicht mehr, er starb als Kind mit acht Jahren an den Folgen eines Schlangenbisses.
Für meinen Vater galten Vereinbarungen grundsätzlich nur, wenn sie mit Handschlag und geradem Blick in die Augen der Vertragsparteien geschlossen wurden. Verträge auf Papier interessierten ihn hingegen überhaupt nicht. Es galt in der Branche als höchst unklug, Vereinbarungen mit meinem Vater zu brechen. Die wenigen, die sich auf derartige Versuche einließen, bereuten ihr Vergehen bereits nach sehr kurzer Zeit. Er selbst verabscheute jede Form von körperlicher Gewalt, aber er beschäftigte sehr qualifiziertes Personal, darunter auch Männer fürs Grobe. Es kam jedenfalls meines Wissens nie vor, dass jemand eine Vereinbarung mit meinem Vater zweimal gebrochen hätte.
Von ihm lernte ich, besonders jenen Menschen zu misstrauen, die den Blick senken oder abwenden, wenn man ihnen die Hand reicht. Solche Menschen sind schwach, feige, durchtrieben und falsch, und es gibt sehr viele von dieser Sorte.
Noch etwas lehrte er mich, etwas sehr Wichtiges:
Wenn eine Sache stinkt, dann greif sie nicht an, sondern begrab sie!
Seit einigen Jahren wird es zunehmend schwieriger, dieser Maxime Folge zu leisten. In der Welt des beginnenden dritten Jahrtausends stinkt dermaßen vieles zum Himmel, dass man kaum noch Platz zum Anlegen von Gräben findet.«

Endlich fand es ein Zuhörer in einer der vorderen Reihen für angebracht, den von Tobias in einem einzigen Zug vorgetragenen Wortschwall durch eine Art von Lachen zu unterbrechen. Kein wirklich herzhaftes Lachen, sondern eher ein verlegenes, ganz kurzes, beinahe abwertendes Lachen. Tobias runzelte die Stirn und blickte in die Richtung, aus der das Lachen gekommen war. Er lächelte künstlich, ebenso wie Politiker es häufig tun, wenn sie von Journalisten mit unbequemen Fragen zu noch unbequemeren Sachverhalten belästigt werden. Dennoch machte er keine Anstalten, auf den Einwurf zu reagieren und nahm nach kurzer Pause wieder einen strengen Gesichtsausdruck an, ehe er fortfuhr:
»Aber der wesentlichste Spruch meines alten Herrn - jener, der mein Leben von Anfang an mit einem grenzenlosen Freiheitsgrad umgeben hat, der lautet:
Wenn es keinen Gott gibt, dann braucht man auch vor dem Teufel keine Angst zu haben! Die polare Zwiespältigkeit dieses Satzes ist mir durchaus bewusst. Denn ein Leben ohne Gott ist für den so genannten Gutmenschen schadlos und ohne das leiseste Mangelgefühl führbar. Umgekehrt erscheint es mir aber als höchst problematisch, wenn die Ratten in unserer Gesellschaft nicht mehr durch die Angst vor dem Teufel in Schach gehalten werden.
A propos Ratten: Mein Vater starb wenige Tage vor seinem siebzigsten Geburtstag bei einer Schießerei in der Hamburger Herbertstraße, wo er als Unbeteiligter zwischen die Fronten einer albanischen und türkischen Drogenbande geraten war. Er war von vier Kugeln getroffen worden, zwei davon steckten im Kopf. Er fiel um wie ein gefällter Baum und war auf der Stelle tot.«

Ein betroffenes Raunen ging durch die Reihen des Publikums. Tobias wusste, dass dieser Teil seiner Rede durchaus das Potential einer fetten Schlagzeile hatte. Jetzt musste er diesen Eindruck wirken lassen. Er ergriff das vor ihm stehende Glas, nahm einen kräftigen Schluck und wartete, bis sich die Leute wieder völlig beruhigt hatten.
»Zurück zu mir: Gleich von vorne weg möchte ich alle mit der Tatsache konfrontieren, kein guter Mensch im Sinne eines Biedermanns zu sein, obwohl ich ein hohes ethisches Bewusstsein für Leben und Freiheit pflege. Und an vorderster Stelle steht selbstverständlich mein Leben und meine Freiheit. Das bedeutet nicht, dass ich einem scharfkantigen Radikalegoismus das Wort predige. Ich will damit aber sehr klar zum Ausdruck bringen, dass mir mein Hemd näher ist, als der Mantel von Schulze und Maier. Ich habe gelernt, dass für mich jeder ein potentieller Feind sein kann, und dieses Potential wandelt sich zur realen Gegebenheit, sobald sich jemand einbildet, mir vorschreiben zu müssen, wie ich mein Leben zu führen und einzurichten habe. Ich anerkenne nur echte Autorität, und diese erkennt man unzweifelhaft an den Augen eines Gegners. Die Augen sind der einzige Kommunikationskanal des Menschen, über den er in Bruchteilen einer Sekunde im Stande ist, sein Innerstes nach außen zu kehren. Wer darauf achtet, wird sich böse Überraschungen im Umgang mit seinesgleichen ersparen. Die wenigen, die bisher versuchten, sich über mich zu erheben, waren mehrheitlich Wachsfiguren. Daher kommt es, dass ich im großen und ganzen ein absolut selbständiger, freier Mensch geblieben bin.
Davon abgesehen gehöre ich zu jener Sorte von Zeitgenossen, die nicht die geringste Scheu davor hat, Feindbilder zu pflegen. Ich weiß, ich weiß: das ist im Sinne der moralisierenden Weichspüler, die sich auf allen Ebenen des Systems als Kapellmeister des guten Tons mit gedämpfter Stimme und in zartem Rosa hervortun, in höchstem Maß unzeitgemäß. Und ganz gewiss in eklatantem Widerspruch zur political correctness, wie man das auf neudeutsch auszudrücken pflegt. Ich handhabe dieses Thema jedoch auf meine eigene Art und Weise. Salbungsvolle Worte, meine werten Brüder und Schwestern, sind durchaus angebracht, wenn es darum geht, einen Toten ins Jenseits zu verabschieden. Solange wir aber hier auf Erden und unter uns sind, wird Klartext gesprochen, jedenfalls, solange ich an der Konversation beteiligt bin. Wie die anderen das halten mögen, interessiert mich wenig.«

Der Gesichtsausdruck einiger Anwesender ließ ein deutliches Unbehagen erkennen. Aber gerade darauf schien Tobias gewartet zu haben, denn er legte jetzt noch einen Zahn zu:
»Inzwischen werdet ihr euch daran gewöhnt haben, von mir nicht mit Glacéhandschuhen angefasst zu werden. Ihr seid nämlich nicht nur der Ambos, auf den ich mit brutaler Härte mit dem Worthammer zuschlage, um meine Botschaft zu schmieden, sondern ihr alle steht hier zugleich als Synonym für die Masse - und vor der Masse hege ich nicht den geringsten Respekt. Aber ich misstraue in gleicher Weise den Eliten, und zwar jenen Eliten, die sich in unangemessener Selbstgefälligkeit über die Masse stellen und dabei womöglich noch den Anspruch auf Objektivität und Allgemeingültigkeit erheben. Daher werdet ihr feststellen, dass ich nicht davor zurück schrecke, den Großinquisitoren des auf Zeitungspapier diktierten Meinungskommissariats buchstabierten Sauerkohl ins Maul zu schieben, mit dem Ziel, deren gastrocolische Verbalreflexe vor laufender Kamera zu provozieren. Dazu fällt mir zum Beispiel die seit kurzem aufgeflammte Thematik des Klimawandels ein: Da taucht ein skandinavisches Küken im Teenageroutfit aus dem Nichts auf und belästigt die Weltöffentlichkeit mit einem ungeordneten Sammelsurium von Phrasen und Worthülsen. Sofort ist ein „neuer Trend“ geboren und Politiker und Manager überschlagen sich in Sympathiebekundungen, verbunden mit ebenso leeren, vor allem aber unerfüllbaren Versprechungen. Aber kein einziger dieser so genannten »Macher« hat den Mumm, öffentlich zu bekunden, er (oder sie) werde sich in seinen unternehmerischen oder politischen Entscheidungen nicht von diesem maßlos überbewerteten Gezeter einer hysterischen Gummiquietschente beeinflussen lassen!
Darüber hinaus sollte sich niemand wundern, dass ich rücksichtslos mit den Fingernägeln an den eitrigen Pusteln einer zur Kastration freigegebenen Gesellschaft kratzen und vom verfassungsmäßig garantierten Recht auf freie Meinungsäußerung exzessiven Gebrauch machen werde. Selbst auf die Gefahr hin, dass infolge dessen die versulzten Gehirne jener, die durch einfaches Handheben Gesetze beschließen, den Versuch unternehmen werden, die Verfassung in einer Weise zu ändern, um künftighin derartige Meinungsäußerungen nicht mehr stattfinden zu lassen.
Sagt jetzt bloß nicht, das ginge doch nicht so leicht, hier bei uns in Europa. Denkt ein wenig nach, und ihr werdet feststellen, dass wir das alles schon hatten. Denn wenn jemand glaubt, wir lebten hier in einem demokratischen Staat, in dem alle Macht vom Volk ausgeht, dann muss ich eure nebbochante Leichtgläubigkeit ins rechte Licht rücken: Das hier ist eines jener Länder, in dem parlamentarische Mehrheiten durch ein dubioses und undurchsichtiges Geflecht von Lobbyisten gebildet werden. Ein Land, in dem korrupte Gangster jahrelang der Justiz vorenthalten werden und das dem Schutz von Kriminellen jeden Kalibers mehr Aufmerksamkeit widmet, als jenem seiner unbescholtenen Bürger. Ein Land, das unbekümmert zusieht, wie an jeder Straßenecke, selbst vor Schulen und Kindergärten, auf Teufel komm raus mit gefährlichen Substanzen gedealt wird. Ein Land, das Polizisten zur Rechenschaft zieht, wenn es diesen endlich einmal gelungen ist, die eine oder andere Ratte durch ein gezieltes neun Millimeter Projektil endgültig aus dem Verkehr zu ziehen. Ein Land, das arbeitsunwilligen Tagedieben aus allen Teilen der Welt großzügig unter die Arme greift, dabei aber gleichzeitig nicht mehr in der Lage ist, unverschuldet notleidenden Staatsbürgern angemessene Hilfe zu gewähren. Ein Land, das einen so genannten Hetzparagraphen erfindet, um kritische Geister zum Schweigen zu bringen und diese Vorgehensweise dann auch noch als rechtsstaatliches Instrument hochleben lässt. Ein solches Land ist für meinen Begriff keine Demokratie. Denn wenn, wie stets behauptet wird, wir alle der Souverän seien, dann ist eines ganz sicher: WIR wollen all das nicht!

Ihr könntet jetzt folgenden Einwand zur Diskussion stellen:
Ja, aber wir befinden uns doch im Krieg mit Geldwäschern und radikalen Islamisten. Daher ist diese Form von Rechtsstaatlichkeit eine zwingende Notwendigkeit zum Selbstschutz des Systems!
Ach, wirklich? Die fadenscheinige Lumpigkeit und Heuchelei dieses Systems mögt ihr daran erkennen, dass selbst mit den aller größten Schurken insgeheim der politische Konsens gesucht wird, auch wenn diese sich allen Regeln der heutigen Zivilisation widersetzen, indem sie missliebige Leute zu Tode peitschen oder ihnen den Kopf abschlagen. Und als Legitimation ihrer Rückgratlosigkeit berufen sich die nadelgestreiften Feiglinge in der Europäischen Kommission auf Sachzwänge, die sie längst hätten abstellen können. Aber angesichts von Milliarden von Dollars aus meist hoch dubiosen Kanälen werden gleich mal beide Augen zugedrückt.
In einer Zeit, da kommerzielles Fernsehen und bunte Schmuddelblätter die Menschen einer permanenten und zielgenauen Verdummung zuführen, kann eine korrektive Botschaft nur eine solche sein, die inhaltlich hart am Wind segelt und eindringlich genug ist, um durch die Lautstärke entsetzter Aufschreie die Dumpfheit der Masse zu überwältigen.«

Tobias' Kopf war rot angelaufen vor Zorn. Er räusperte sich und blickte ungnädig auf die vorderste Reihe seiner Zuhörer.
»Gewiss: Zorn und ein loses Mundwerk muss man sich heutzutage definitiv leisten können. Und da ich mich nunmehr eben als Unruhestifter geoutet habe und nicht der Kaste der Entscheidungsträger angehöre, kann ich mir diesen Luxus in der Tat leisten. Janis Joplin sang seinerzeit:
Freedom is just another word for nothing left to loose...
Leider gibt es viel zu viele Menschen, die um einiges mehr als nichts zu verlieren haben. Und es gibt daneben mehr als genug von denen, die diesen Umstand schamlos zu ihrem eigenen Vorteil auszunützen wissen. Aber anstatt diesen Typen zumindest virtuell den Schädel einzuschlagen, ducken sich die meisten wie Batteriehühner und lassen sich lieber die letzten Federn von der Haut rupfen, ehe sie Hand oder Geist zur Gegenwehr erheben. Auf diese Weise fällt die Freiheit des Einzelnen millionenfach seiner Bequemlichkeit zum Opfer.
Die Leitlinie eines Kämpfers aber sollte sich nie an unvermeidlichen Schwächen krümmen, sondern ausnahmslos immer wie eine Lanze gerade nach vorne weisen. Meine Freiheit besteht darin, dass ich zumindest einen schlechten Ruf zu verteidigen haben werde. Denn ich höre jetzt schon die Konsens-Evangelisten im Hintergrund raunen: Was, um Gottes Willen, mag denn diesem armen Teufel widerfahren sein, dass er so respektlos redet über uns und unsere elitären Apparate?
Und die Psycho-Apostel werden ganz schnell eine Erklärung präsentieren: Wahrscheinlich verweigerte ihm seine Mutter die Brust und sein Vater war womöglich Alkoholiker.
Und hinter unverhohlenem Grinsen schütten die selbst ernannten Experten in den Medien ätzenden Spott über all jene, die den Versuch wagen, sich dem Diktat des Meinungsmonopols zu widersetzen. Ein Spott, der wie Öl aus einem undicht gewordenen Kurbelgehäuse hervor sickert: Welch grausiger Frust entlädt sich hier zu einem epochalen Gewitter von geradezu banaler Belanglosigkeit für das Kollektiv der von uns ferngesteuerten Meinung?
Die Befreiung, meine werten Zunftgenossen, bewegt sich immer gegen die Falllinie, von innen nach außen und von unten nach oben. Aber solange die Mehrheit ihre anale Schließmuskulatur stets nur vom handwarmen Wasser eines obrigkeitsgefälligen Konsenses umspülen lässt und als Gegenleistung für öffentliche Zuwendungen mit willigem Kopfnicken den Mund hält, werdet ihr das niemals begreifen!«

In der Mitte des Saals erhob sich eine männliche Stimme und rief: »Das trifft auf mich aber ganz sicher nicht zu!«
Tobias grinste zufrieden und wandte sich an den Zwischerufenden:
»Na also, endlich einer, der sich zum Widerspruch berufen fühlt. Was ist mit den anderen, regt sich sonst nirgedwo Protest?«
Ein leises Raunen ging durch die Reihen, unspezifisch und nichtssagend. Eine Dame mittleren Alters sah sich plötzlich veranlasst, Tobias' rhetorische Frage zu konterkarieren und klatschte ein paar mal in die Hände, ließ es aber sofort wieder bleiben, nachdem niemand sonst darin einstimmte. Tobias fuhr fort:
»Obwohl in vielerlei Hinsicht begabt und mit einem hoch intelligenten Kopf versehen, war es unserem Vater wegen der unseligen politischen Wirrnisse nicht vergönnt gewesen, sich einer höheren Bildung zu unterziehen. Ganz sicher war das einer Gründe, weshalb er darauf Wert legte, dass seinen Nachkommen mehr als eine Karriere im halbseidenen Milieu von Spielclubs und Nachtlokalen geebnet werde, zumal unter den Gegebenheiten des Wirtschaftswunderlandes. So kam es, dass wir beide, Claudio und ich, aufs Gymnasium geschickt wurden. Mein Bruder war von Anfang an der rationale Pragmatiker mit ausgeprägter kaufmännischer Begabung, und wäre gewiss mit einem Wirtschaftsdiplom von der Universität gegangen, wenn unser Vater noch ein paar Jahre länger gelebt hätte. Sein unerwarteter Tod zwang Claudio jedoch sofort ans Ruder des familiären Erbes.
Ich war hingegen schon immer ein intellektuell orientierter Querkopf mit anarcho-humanististischen Illusionen. Schon als Achzehnjähriger las ich Dostojewski, Camus und Brecht. Ich ging oft ins Kino und war bei fast allen Konzerten der Rolling Stones in Deutschland und Holland live dabei. Und ich war bisweilen auf der Seite des so genannten Bösen, während sich das Establishment in kochendem Zorn wälzte, als Hanns Martin Schleyer und Aldo Moro von linken Terroristen ermordet wurden.«

An dieser Stelle muß allerdings angemerkt werden, dass Tobias in den Belangen seiner frühen intellektuellen Reifung eine wesentliche Kleinigkleit verschwieg. Denn bevor er die obgenannten Autoren für sich entdeckte hatte, bestand das von ihm bevorzugte literarische Repertoire aus den Abenteuern von Winnetou und Old Shatterhand aus der Feder Karl Mays. An die vierzig der damals verfügbaren siebzig Bände hatte er in pubertärem Überschwang verschlungen. Seltsamerweise hatten diese Erzählungen einen nachhaltig schlechten Einfluss auf seine persönliche Entwicklung: Während seine Schulfreunde mit fünfzehn Jahren schon an ihr späteres Berufsleben dachten um als Chemiker, Anwälte, Kaufleute oder Verkehrspiloten ihr Brot zu verdienen, beschloss Tobias, sich auf eine Karriere beim Militär festzulegen und wollte Offizier werden. Als schlussendlich der Tag gekommen war in die Uniform zu schlüpfen, hatte er nach sehr kurzer Zeit erkannt, dass sein Berufswunsch doch nicht das Gelbe vom Ei war.
Tobias war außerdem ein wenig musikalisch und hatte schon als Kind Klavierunterricht erhalten. Immerhin hatte er es zu zwei oder drei Impromptus von Franz Schubert und einem ziemlich schwierigen Intermezzo von Johannes Brahms gebracht, aber ihm fehlte es an Ausdauer und Fleiß. Daher begann sein künstlerischer Elan in Bezug auf die klassische Musik einzuschlafen und im Treibsand pubertärer Unentschlossenheit zu versinken. Statt dessen kaufte er eine E-Gitarre mit Verstärker und beschloss, Rockmusiker zu werden. Cream, Eric Burdon, Deep Purple und die Rolling Stones waren die Idole, denen er nacheiferte. Zusammen mit drei Gesinnungsgenossen gründete er eine Band und gab ihr den Namen Yellow Danger. Obwohl das Quartett zumindest auf lokaler Ebene einigermaßen erfolgreich war, musste Tobias letztlich erkennen, dass sein Talent und das seiner Kumpane nicht einmal näherungsweise an jenes von Keith Richard oder Eric Clapton heran reichte.
Das war es dann also: es gab fortan keine wirkliche Perspektive mehr, weder als großer Feldherr kommender Zeiten, noch als Rockstar am Mercey River oder in L.A. Was blieb ihm also über? Er studierte Geschichte und Englisch und wurde Lehrer an einem Gymnasium in der Provinz.

Die kurze Redepause, die Tobias eben eingelegt hatte, verleitete einige Personen im Auditorium zu halblauter Konversation mit dem jeweiligen Sitznachbarn. Obwohl die meist jungen Leute ganz sicher keine Erinnerung mehr an Aldo Moro oder Hanns Martin Schleyer hatten, war doch den meisten klar, dass hier das so genannte Böse im Begriff war, einen langen Schatten zu werfen. Tobias wandte zweimal den Kopf von rechts nach links, bevor er fortfuhr:
»Heute, ja sicher, heute ist das anders. Neuerdings bin ich abgeklärt und voller Sehnsucht nach einem ruhigen, sicheren Leben. Aber immer noch nicht müde genug, um nicht vor Zorn die Faust zu ballen, angesichts der sich auftürmenden Lügen, die nach dem denkwürdigen Tag im September zweitausendeins unverrichteter Dinge stehen geblieben sind. Aus dem Blut und Staub am Ground Zero entwickelte sich ein fruchtbarer Nährboden zum Züchten von wuchernden Lügengebäuden. Sehr vielen Menschen sitzt seitdem die Angst im Genick, und sie suchen Antworten auf die Herausforderungen einer neuen unklaren Zeit. Diese Angst ist der denkbar schlechteste Antrieb, denn er drängt die Menschen in die Arme von dämonischen Figuren, deren Glaubensbekenntnis die Eskalation der Gewalt ist, und die sich angesichts einer breiten Verunsicherung voll hämischer Freude die Hände reiben.«

Es war jetzt der Zeitpunkt gekommen, da ein ziemlich junger Zuhörer die kurze Redepause nützte und wie ein Schüler die Hand hob, bevor er ausrief:
»Tobias, jetzt mach mal halblang. Du hast doch sicher auch Angst, zumindest vor dem Tod. Das ist doch völlig normal, oder nicht?«
Tobias presste Unter- und Oberlippe aufeinander wie ein Frosch und schwieg. Sein Blick verdüsterte sich, ehe er mit deutlich leiserer Stimme als zuvor antwortete:
»Angst? - Nein, ich kenne keine Angst, mit einer Ausnahme vielleicht: Die Angst, die sich in mir auszubreiten beginnt, ist jedoch von einer völlig anderen Qualität. Es ist die Vorausahnung jenes Tags, an dem ich zur Kenntnis nehmen werde, dass von all meinen Wünschen und Hoffnungen, von allen Visionen und fantasievollen Gedankentürmen, nichts, und zwar buchstäblich nichts in die Wirklichkeit getreten ist. Es wird ein Tag sein wie jeder andere auch, und ich werde mein Spiegelbild betrachten und das Geständnis ablegen: Du hast es wieder nicht geschafft, Alter. Es wird genau der Tag sein, wo ich gegenüber mir selbst gezwungen sein könnte einzugestehen, dass ich unzählige mir gebotene Möglichkeiten verspielt und jede einzelne Chance, jede noch so günstige Gelegenheit verpasst habe. An diesem Tag werde ich erkennen, dass von nun an nicht einmal die kleinste Hoffnung auf eine Option, auf ein Schlupfloch heraus aus der Belanglosigkeit und Enge besteht. Einer spurlosen Enge, die sich im Gefolge von jahrzehntelanger Übung in Nachlässigkeit, Mittelmäßigkeit, Unentschlossenheit und Widerwillen, vor mir aufbauen wird wie eine Mauer, die den Film meines Lebens von dieser Szene des Drehbuchs an unbezwingbar umzäunen wird. Und ganz am Schluss, noch bevor der Abspann zu Ende gelaufen ist, werden die meisten Zuseher längst vergessen haben, wie der Hauptdarsteller in diesem Film geheißen und wie seine Botschaft gelautet haben mag. Der Tag dieser Erkenntnis wird ein finsterer Tag sein, und diese Finsternis ist das Einzige, wovor ich wirklich und ehrlich Angst habe.«

 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Eine Kleinigkeit; Der Inhalt ist relativ Phrasenhaft, gut ausgedrückt, - sicher, aber kaum des Nachdenkens wert. Wer könnte mit Blick auf die menschliche Komplexität denn ernsthaft behaupten, alle großen Probleme der Menschheit seien in ihren Ursachen Habgier, oder Dummheit, - nonsense! Das Problem ist; der triviale Inhalt, wird so dargestellt als sei er nicht trivial, sondern genial ... die ständige Beteuerung das etwas Großes gesagt wurde, steht in einem absurden Missverhältniss zur der Tiefe des Gesagten schlechthin. Deshalb wirkt der Text furchtbar albern. Und er zielt nebenbei auch an der Realität vorbei. NIEMAND würde auf dieses Zeug, das nicht einmal notwendigerweise falsch ist, so regieren. Die meisten würden die Augen verdrehn und - gehen.
 

Aufschreiber

Mitglied
Ich finde das Ganze eigentlich nicht so unglaubwürdig. Schon allein die Tatsache, dass der Protagonist vollmundig angekündigt wurde und offenbar wohl auch als rhetorischer Halbgott gilt, dürfte das Gros der Anwesenden in eine Bewunderungsstarre versetzen. Dass der Mensch dann neben arroganten Provokationen nur noch schwurbelige Thesen von sich gibt - immerhin mit dem beworbenen Pathos - wird von seiner Ego-Schwellung transportiert.

Wenn ich in 3D sehe, wie treudoof die Massen den "offiziellen Informationen" folgen, weil sie ja von einem anerkannten Institut kommen, ganz egal, ob im gleichen Atemzug zugegeben wird, dass diese Informationen eben NICHT belastbar sind, weil unvollständig, etwa, dann habe ich hier den skrupellosen Blender vor Augen, dessen Tiraden leicht auch in Aufmärsche münden könnten ...

Nettes Gedankenspiel.
 

Haselblatt

Mitglied
Eine Kleinigkeit; Der Inhalt ist relativ Phrasenhaft, gut ausgedrückt, - sicher, aber kaum des Nachdenkens wert. Wer könnte mit Blick auf die menschliche Komplexität denn ernsthaft behaupten, alle großen Probleme der Menschheit seien in ihren Ursachen Habgier, oder Dummheit, - nonsense! Das Problem ist; der triviale Inhalt, wird so dargestellt als sei er nicht trivial, sondern genial ... die ständige Beteuerung das etwas Großes gesagt wurde, steht in einem absurden Missverhältniss zur der Tiefe des Gesagten schlechthin. Deshalb wirkt der Text furchtbar albern. Und er zielt nebenbei auch an der Realität vorbei. NIEMAND würde auf dieses Zeug, das nicht einmal notwendigerweise falsch ist, so regieren. Die meisten würden die Augen verdrehn und - gehen.
Dein Beitrag - obwohl von der Tonalität her betrachtet sehr abwertend und in tiefem schwarz gehalten - freut mich, ja wirklich!
Denn er zeigt mir, dass der Text in Hinblick auf meine Absicht eine treffsichere Wirkung hat. Du erinnerst dich gewiss: gleich zu Beginn ist da die Rede von einer Veranstaltung unter dem Titel

POLA-RISA-CION
Experimentell Feindberührung

womit das Ziel dieses Textes sehr klar umrissen ist.
Und falls du den Text wirklich bis ans bittere Ende gelesen hast (was ich ehrlich gesagt ein wenig bezweifle...), dann bist du im letzte Viertel zu einem Absatz gelangt, wo da steht:
»In einer Zeit, da kommerzielles Fernsehen und bunte Schmuddelblätter die Menschen einer permanenten und zielgenauen Verdummung zuführen, kann eine korrektive Botschaft nur eine solche sein, die inhaltlich hart am Wind segelt und eindringlich genug ist, um durch die Lautstärke entsetzter Aufschreie die Dumpfheit der Masse zu überwältigen.«

Nun also, die Lautstärke deiner entsetzten Aufschreie ist nicht zu überhören und ich danke dir für die Bestätigung, wie richtig ich liege.
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
»In einer Zeit, da kommerzielles Fernsehen und bunte Schmuddelblätter die Menschen einer permanenten und zielgenauen Verdummung zuführen, kann eine korrektive Botschaft nur eine solche sein, die inhaltlich hart am Wind segelt und eindringlich genug ist, um durch die Lautstärke entsetzter Aufschreie die Dumpfheit der Masse zu überwältigen.«
Nun, das kann es nicht sein, da ich weder das Fernsehen ertrage, noch Schmuddelblätter lese. Setze ich mich mit den Medien auseinander, dann um jenen Gesinnungsjournalismus auszumachen, der mir den Konsum jener "Blätter" nur unter Zwang möglich macht. - Vielleicht habe ich deinen Text nicht aufmerksam gelesen, das gebe ich gerne zu, aber das war doch zu 95% eine Kritik an der Darstellung. Es mag sein, dass du damit ein Konzept verfolgst, aber es wirkt eben unfreiwillig komisch. Es mag sogar sein, dass du exakt das wolltest, aber dann hat dein Text hauptsächlich einen konzeptuellen Wert? Jedenfalls war der "entsetzte Aufschrei", den du mir da unterstellst, ein entsetzer Aufschrei über die Form, nicht über die Absicht des Textes, nicht über sein Konzept, noch über einen Großteil des Inhaltes.
 



 
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