Tod eines Präsidenten

Heinrich VII

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„Sehen Sie hier, das Gebäude, ein Buchdepot!“
Die stark behaarte Hand des Mannes, nennen wir ihn Harry, mit dem nicht weniger behaarten Zeigefinger, zeigte auf einen Punkt des Stadtplans,
der ausgebreitet auf dem Tisch lag.
„Ein einzelner Schütze kann dort Aufstellung nehmen.“
Ich und die beiden anderen Agenten, die mit mir im Raum waren, nickten.
„Weiter drüben, auf dem kleinen Grashügel, hat auch einer Platz.“
Harry ließ den Satz wirken und versicherte sich unserer Aufmerksamkeit, ehe er weiter machte.
„Und an der Stelle, hinter dem Bretterzaun, können sogar zwei Leute stehen.“
Wir beugten uns etwas mehr über den Tisch, um besagte Stelle besser sehen zu können, die Harry jetzt mit einem Zeigestock antippte.
„Das Ziel wird also von drei Seiten ins Visier genommen, das Gelände ist ideal dafür. Die Männer können nach den Schüssen ungesehen verduften.“
Harry zeigte auf eine andere Stelle. „Hier werden sie besonders langsam fahren, von der Houston in die Elmstreet.“
Wir beugten uns erneut über den Tisch, um die Stelle genauer in Augenschein zu nehmen.
„Der Wagen wird offen sein, was nahezu einer Einladung gleich kommt.“
Ich zog eine Augenbraue hoch und fragte. „Wer sind die Auftraggeber?“
Harry richtete sich vor mir auf und musterte mich, als hätte ich gerade Gott gelästert.
„Sie machen ihren Job, erhalten ihr Geld und verzichten auf dumme Fragen.“
Ich nickte und schwieg. Nach einem betretenen Augenblick der Stille, machte Harry weiter.
„Wir haben das Überraschungsmoment auf unserer Seite; kein Mensch wird mit so etwas rechnen.“

Zwei Tage später erfuhr ich über einen Kontakt, dass es ein geheimes Treffen von Leuten aus der Waffenindustrie gegeben habe. Der amtierende Vizepräsident wäre dabei gewesen. Die Bosse hätten mit Johnson einen Deal ausgehandelt wurde mir, hinter vorgehaltener Hand, geflüstert. Sie wollen ihn an den Waffengeschäften beteiligen, den Indochina-Konflikt ausweiten.

Eine Stunde nach dem Attentat auf den Präsidenten, das zur Mittagszeit statt fand, stellten sie Lee Harvey Oswald in einem Kino, wo er sich widerstandslos festnehmen ließ. Es hatte zuvor eine Verfolgungsjagd gegeben, wie die Medien berichteten. Oswald soll um sich geschossen haben und hat sich schließlich in dieses Kino geflüchtet. Sie verhörten ihn stundenlang, ohne Rechtsbeistand und warfen ihm vor, aus dem dortigen Schulbuchgebäude im sechsten Stock auf den Präsidenten geschossen zu haben. Man zeigte ihm das Gewehr und die Patronen, die man gefunden hatte. Oswald betonte immer wieder, dass er unschuldig sei und man ihn zum Sündenbock machen wolle. Eine Zeugin sagte später aus, dass er zur Zeit des Attentats nicht im sechsten Stock war, von wo er angeblich geschossen haben soll, sondern im Erdgeschoss, wo er eine Cola trank. Man nahm es zur Kenntnis, es hatte jedoch keinerlei Auswirkungen.

Eine Fülle von Ereignissen war los getreten worden und die Abfolgen überschlugen sich. Jack Ruby, ein zwielichtiger Nachtclubbesitzer aus Dallas, kam
ins Spiel. Vor der laufenden Kamera einer Mediengesellschaft zog er einen Revolver und rief an Oswald gerichtet: „Du hast meinen Präsidenten getötet!“
- dann schoss er. Sie verurteilten ihn zuerst zum Tode, vermutlich um von der Tatsache abzulenken, dass er angeheuert wurde. Schließlich bekam er lebenslange Haft. Immerhin hatte er der Sache einen Bären-Dienst erwiesen. Oswald war tot, konnte sich nicht mehr wehren und konnte ganz offiziell zum Mörder des Präsidenten erklärt werden.

Die Öffentlichkeit drängte mehr und mehr nach Aufklärung. Der neue Präsident gründete daraufhin die Warren-Kommission. Ein Konsortium aus handverlesenen Leuten, unter dem Vorsitz eines Richters Warren, der ein guter Freund des neuen Präsidenten war. Ich musste lauthals lachen, als ich das in der Zeitung las. Eine Kommission in der größtenteils die Spezies von Johnson saßen. Wie so etwas ausgehen würde, konnte man sich ausmalen.
Wie erwartet hieß es im Abschlussbericht der Kommission, einige Wochen später: Oswald sei der einzige Schütze gewesen, habe in Rekordzeit mehrere Schüsse abgegeben, wobei eine der Kugeln den Präsidenten getötet habe.
„Von hinten?“, fragten Journalisten, „durch das Laub einer grünen Eiche? Man weiß doch inzwischen, dass der tödliche Schuss von vorne kam.“
Man müsse in dem Zusammenhang von einer Magischen Kugel sprechen, so die offizielle Antwort der Kommission. Sie sei am Armaturenbrett aufgeschlagen, abgeprallt und habe anschließend den Kopf des Präsidenten von vorne getroffen.
Als uns Agenten das zu Ohren kam, lagen wir auf dem Boden vor lachen. Einer sagte, nachdem er sich wieder eingekriegt hatte: „Die trauen sich wirklich dieses Märchen der Öffentlichkeit zu präsentieren.“
Die Akte Altpräsident kam, Kraft einer Anordnung des neuen Präsidenten, für 75 Jahre unter Verschluss. Erst im Jahr 2038 sollte sie wieder zugänglich werden. Das war´s dann erst mal. Teile der Öffentlichkeit waren damit ganz und gar nicht zufrieden gestellt. Doch es folgte nichts mehr. Der Vietnamkrieg begann 1964 und beschäftigte die Bevölkerung auf eine andere Art. Alles lief nach Plan. Gewisse Kreise schienen ihr Ziel erreicht zu haben.

Im Frühjahr 1967 beorderte uns Harry zu einem Briefing. Alle Agenten saßen vor dem großen Tisch im Sitzungszimmer der Behörde. Manche rauchten, andere unterhielten sich. Harry ließ auf sich warten. Als er kam, verzog er das Gesicht, machte zwei Fenster auf und ließ frische Luft herein. Bevor er anfing zu reden, schloss er die Fenster wieder. Er stand auf der anderen Seite des Tisches, hielt sich mit beiden behaarten Händen an der Tischkante fest und musterte uns einen Augenblick. Dann sagte er: „Ich werde euch allen zwei Fragen stellen.“
Er räusperte sich und sagte: „Was tut ihr, wenn euch jemand dumme Fragen stellt?“
Ich meldete mich: „Die Schnauze halten – also … schweigen.“
Ein paar lachten. Harry nickte und deutete eine Art Grinsen an – sehr ungewöhnlich für ihn.
„Ich habe noch eine Frage: Was macht ihr, wenn einer aus dem Umfeld dieses Anwalts aus den Südstaaten euch auf die Pelle rückt?“
Ein anderer Agent antwortete: „Absatz kehrt und das Weite suchen.“
Harry lächelte jetzt sogar. „Warum ich euch das frage? Ich wollte es nur nochmal in Erinnerung bringen. Ihr habt dafür unterschrieben, vergesst das nicht. Wer als Zeuge auftreten sollte, ist nicht nur seinen Job los. Er wird auch sein Geld verlieren; im schlimmsten Fall gesiebte Luft hinter Gittern atmen.“
Harry sah uns der Reihe nach alle an. Niemand antwortete auf sein letztes Statement. Jeder wusste was Sache war und wie er sich zu verhalten hatte.
„Ihr könnt´ jetzt zurück an eure Arbeit“, sagte Harry und machte mit seiner behaarten Hand eine weg scheuchende Bewegung.

Der Anwalt Jim Garrison aus New Orleans versuchte im März 1967 das Attentat neu aufzurollen. Überall wo er nach Auskünften fragte, brandete ihm eine Mauer des Schweigens entgegen. Fast keiner war bereit, etwas auszuplaudern. Wenn es doch einer tat und das bekannt wurde, hörte man nicht viel später von seinem Ableben. Garrison, dessen Frau sich von ihm scheiden ließ, weil er sich nur noch für diesen Fall zu interessieren schien, musste schließlich aufgeben.

Auf dem Sterbebett soll der ehemalige Agent Howard Hunt zu seinem Sohn gesagt haben: „Wir von der CIA haben die Sache damals geplant und die Schützen bestellt. Das Attentat war eine Schweinerei; aber noch schlimmer war das, was danach kam. Mit Johnson konnte der Konflikt in Südostasien zum Krieg werden. Diese Kerle von der Waffenindustrie drängten darauf und strichen satte Gewinne ein, während unsere Soldaten den Blutzoll entrichteten. Es war ein Deal, es ging um riesige Gewinne und Johnson hat mit gemacht. Der Tod des alten Präsidenten war nötig, um den Weg frei zu machen. Wäre es nach dem gegangen, wäre der Konflikt nie zum Krieg geworden.“
Ich bin Hunt ein paar mal auf dem Flur begegnet, wir gingen aneinander vorbei und grüßten uns flüchtig. Er arbeitete in einer anderen Abteilung der Behörde. Ist nicht sehr redselig, dachte ich damals. Umso mehr erstaunte es mich, dass dieses angebliche Statement von ihm an die Öffentlichkeit drang. Damit will ich aber nicht behaupten, dass er etwas Falsches geäußert hat.
 
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onivido

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Es gibt sogar jetzt noch Menschen, die glauben, dass Lee Harvey Oswald Kennedy erschossen hat.Das Maerchen kann gar nicht dumm genug sein, um die Leute dazu zu ermuntern ihr Gehirn zu benutzen.
Gruesse///Onivido
 

Heinrich VII

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Hallo Onivido,

Stephen King glaubt das u.a. auch. In einer Erklärung zu seinem Buch "Der Anschlag" (in dem es um das Attentat geht), hat er bestätigt,
dass er (nach alle seinen Recherchen und einer Ortsbegehung in Dallas) Oswald für den Mörder hält. Das hat mich doch ein wenig enttäuscht,
da ich ansonsten viel von King halte. Eventuell hat er das nur gesagt, um bei der Regierung nicht in Ungnade zu fallen - schwer zu beurteilen. ;)

Gruß, Heinrich
 
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onivido

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Das ist gar nicht so unlogisch. Er ist doch ein Science Fiction Writer. Vielleicht hat ihm auch die Situation von J.K Rowlings gezeigt, was passieren kann, wenn man nicht System konform ist.
Recht schoenen Nachmittag///Onivido
 

lietzensee

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Hallo Heinrich,
in den ersten zwei Absätzen fängst du an, eine Geschichte zu erzählen. Die gibst du dann leider auf, um einen Vortrag zu halten. Es wirkt so, als wäre der Vortrag dir wichtiger als das Erzählen. Darum hat mir das Lesen keinen Spaß gemacht.

Auch vom Stil her find ich den Text ehrlich gesagt nicht gelungen.
Wir beide wissen ja, dass es nicht nur ein Schütze war – und vor allem, dass Oswald nicht dabei war.“ Ich nickte ihm zu und antwortete: "Von uns könnten sie die Namensliste aller Schützen bekommen, nebst den Orten und Adressen, an denen sie untergetaucht sind.“
Da erklärt der eine dem anderen, was beide schon genau wissen. So redet niemand im echten Leben. Auch die restlichen Dialoge im Text klingen nicht gerade natürlich.

Viele Grüße
lietzensee
 

Heinrich VII

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Hallo lietzensee,
in den ersten zwei Absätzen fängst du an, eine Geschichte zu erzählen. Die gibst du dann leider auf, um einen Vortrag zu halten. Es wirkt so, als wäre der Vortrag dir wichtiger als das Erzählen. Darum hat mir das Lesen keinen Spaß gemacht.
Der Gedanke war, diese Informationsteile in die Geschichte einzubauen. Die wenigsten Leser werden wohl mit der Materie so vertraut sein, dass sie die kennen.
Vielleicht ist es vom Umfang her zu viel des Guten. Wie auch immer: Es ging mir primär darum, eine Geschichte zu erzählen.

Auch vom Stil her find ich den Text ehrlich gesagt nicht gelungen.
Da erklärt der eine dem anderen, was beide schon genau wissen. So redet niemand im echten Leben. Auch die restlichen Dialoge im Text klingen nicht gerade natürlich.
Es geht in diesem Dialog nicht darum Informationen auszutauschen. Die wissen alle, was vorgefallen ist, natürlich. Sie trinken ein paar Bier
und reden in mehr oder weniger ironischer Weise über das was sie wissen -

Gruß, Heinrich
 

Heinrich VII

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P.S. Nachdem ich den Text nochmal durch gelesen habe, muss ich dir recht geben, lietzensee.
Es ist mehr Vortrag denn Geschichte - obwohl ich das gar nicht beabsichtigt habe.
Bin grad am Überarbeiten - ;)
 



 
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