Tod im Barrio

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onivido

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Kein Radio plärrte aus den unverputzten, rostroten, an den steilen Abhang geklebten Ziegelbarracken, den Ranchos, mit ihren löchrigen Wellblechdächern, kein Kindergeschrei, kein Gezank. Der Barrio – der Slum- wartete mit angehaltenem Atem auf den Bandenkrieg.
Leonel hatte Chiripa erschossen, vor allen Nachbarn, als dieser ihm, bis über die Ohren gedopt, vor der Bodega des Slums mit einer Schrotflinte auf den Leib gerückt war. Am Vormittag danach wurde Chiripa beerdigt. Seine Kumpane und Cara‘e Callo, sein berüchtigter Bruder, hatten im Barrio einige Jeepseros mit Drohungen und Waffengewalt dazu gezwungen sie zum Friedhof zu fahren. Dort ballerten sie am Grab herum und schworen Rache. Hernach kehrten sie in den Slum zurück, koksten und machten sich daran Leonel aufzuspüren. Aber auch die Polizei hatte einen lauen Versuch unternommen ihn zu finden und er war längst verschwunden. Zurückgeblieben war nur seine Mutter. Sie weigerte sich hartnäckig ihr Heim zu verlassen. Seine beiden Schwestern und ein fünzehnjähriger Bruder hatten bei Verwandten im Landesinneren Zuflucht gesucht. Chiripas Bande wollte Vergeltung. Sie wollten töten um zu zeigen wer Herr im Barrio war, sie wollten töten, um ihren Frust zu ersticken. Es war egal wen, wenn sie Leonel nicht finden konnten, würden sie seine Mutter, seinen Bruder oder eine seiner Schwestern ermorden und wenn diese auch untergetaucht waren, so war im fortgeschrittenen Stadium des Kokainrausches jeder andere Bewohner des Barrios ein geeigneter Sündenbock.
Leonels Hotdogwagen, wo er ausser Hotdogs auch Crack, Kokain und gestohlene Waffen verkaufte, stand verlassen an einen Betonpfeiler des Ranchos seiner Mutter gekettet. Die engen betonierten Gassen, von denen sonst herumlungernde Jugendliche und arbeitslose Alte hinuntersahen auf das Hochhausviertel der Mittelklasse auf der anderen Seite der Strasse am Fuss des Abhangs, waren leer bis auf einige zerrissene Plastiktüten und Glasscherben. Abwasser, das aus einer gebrochenen Betonröhre hervorsprudelte, floss in einem übel riechenden Rinnsal auf der Gasse an den Mauern entlang den Hang hinab.
Goyo hatte heute Training. Er wollte nicht fehlen, denn heute ging es um seinen Einsatz als Pitcher beim Spiel am Wochenende. Er durfte, er konnte nicht fehlen. Baseball war seine einzige Chance aus diesem Treibhaus des Elends zu entkommen. Er war zwölf, der jüngste von fünf Geschwistern. Sein Vater lebte mit einer Obsthändlerin eigentlich ganz in der Nähe, aber er kümmert sich nicht um ihn. Goyo sass alleine vor dem Fernseher, seine drei Schwestern waren Nachmittags in der Schule. Seine Mutter arbeitete als Putzfrau. Sie hatte ihm eingeschärft sofort nach dem Unterricht nach hause zu gehen und sich dort einzusperren. Das hatte er auch getan. Aber das Training begann um sechs. Er durfte nicht fehlen. Er musste Baseball spielen, er wollte heraus hier, weg von dem täglichen Morden, er träumte davon von einem Scout der Big Leagues in die USA eingeladen zu werden. Er träumte davon ein Star zu werden, er träumte von Luxusautos, er würde seiner Familie ein Haus kaufen in einer anständigen Wohngegend. Nie mehr würde seine Mutter die Wohnungen anderer Leute putzen.. Im Barrio würde er als Vorbild geachtet werden, er würde ein Baseballfeld für die Kinder des Slums anlegen lassen und Sportkleidung stiften. Sogar die Choros – die Ganoven - würden ihn respek-tieren. Er musste zum Training. Er blickte durch die vergitterte Fensterlucke auf die Strasse. Niemand. Es war 5 Uhr Nachmittags, Zeit zum Gehen. Er warf seine Sportsachen in eine abgewetzte, kleine Reisetasche. Lange blickte er auf seinen Baseballhandschuh, Geschenk seines Vaters, bevor er ihn in die Tasche legte. Warum war sein Vater nicht bei seiner Mutter geblieben? Die Obsthändlerin sah nicht besser aus als seine Mutter, im Gegenteil. Wieder spähte er hinaus auf die Gasse, keine Menschenseele, nicht einmal ein streunender Hund. Er trat auf die Gasse hinaus, sah sich nach allen Seiten um und verschloss die Tür sorgfälltig, dann eilte er den Abhang hinab zur Strasse. Als er um die Ecke bog, traf ihn eine Kugel in die Schläfe.

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Jeepseros sind Jeepfahrer, die in den Barrios den Personenverkehr erledigen. Ein Fahrzeug ohne Vierradantrieb wäre dazu in den engen, nach Regengüssen oft von Schlamm und Abfall bedeckten, steilen Gassen mit ihren unzähligen, tiefen Schlaglöchern nicht geignet.
Es kommt immer wieder vor, dass aufgebrachte Freunde und Verwandte von ermordeten Personen Jeeps oder einen Bus kidnappen um damit zum Friedhof zu fahren. Manchmal können sie dann am Begräbnis nicht teilnehmen, weil sie am Ziel verhaftet werden.
 
Mit großem Interesse gelesen. Zunächst dachte ich an Slums in Brasilien - mir in Alexandre Morattos Film "Sócrates" gut vor Augen geführt, der in vergleichbarem Milieu in Santos spielt -, aber es muss ein spanischsprachiges Land sein, barrio usw. Ist es zu viel verlangt, erfahren zu dürfen, um welches Land es sich handelt? Lateinamerika beschäftigt mich schon lange, vor allem durch Anschauen von Filmen (Mexiko, Argentinien, Chile).

Text ist gut lesbar und dem Stoff angemessen. Nur sind nicht wenige Flüchtigkeitsfehler enthalten, Kommas fehlen häufig usw. Ich will damit lieber nicht anfangen, zumal die kleinen Mängel beim Lesen und Verstehen kaum stören.

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 

onivido

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Hallo Arno,
es freut mich, dass du die Geschichte gelesen hast. Die Stadt , die hier den Hintergrund liefert, ist Caracas, genauer gesagt das "Unterprivilegiertenviertel" "Petare" im Osten der Stadt. Der koloniale Kern von Petare ist sehenswert, aber nicht mehr angenehm zu erreichen, weil auf den Huegeln und Haengen um den Kern herum ein Barrio angewachsen ist, der einen Besuch nicht zu einem Vergnuegen macht. Der Grossteil der Menschen , die dort leben, sind ehrliche, friedliche Menschen, aber sie werden von Verbrecherbanden , die hier ihren Unterschlupf gefunden haben tyrannisiert.
Beste Gruesse///Onivido
 



 
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