Deins
Aha, es ist Dein eigener Kommentar.
Common sense ist, daß ein Gedicht ohne den Kommentar durch den Autor auskommen muß. Ich widerspreche dem oft, eigentlich immer: Der Autor als erster Leser zeigt immerhin eine der möglichen Leseweisen auf.
Allerdings vertrete ich die Auffassung, daß der Leser, nicht der Autor (und damit immerhin auch der Autor, da er der erste Leser ist) die Linien und Leinen durch den Kommunikationsraum zieht, an dem sich die Verständnisse kristallisieren wie Kandiszucker.
Dann gibt es ungefähr zwei Schulen, polarisiert im Zulassen der Rätselhaftigkeit: die änigmatische (meistens sehr ernsthafte, ziemlich humorlose Avantgarde-Dichter in Sog und Spur Celans) einerseits und die alltagssprachliche, ziemlich witzige (die lustigen Rapper und Spötter der letzten Jahre), und hier und da die versprengten Geburtstags- und Hochzeitscrasher, die sich auch hier unter den Zitzen der Lupa tummeln.
Ich bin ein völlig humorloser "poeta doctus", deshalb meinen einige, ich gehörte der änigmatischen Schule an. Aber das wäre falsch, denn dafür spiele ich viel zu wild mit der Sprache rum, außerdem bin ich ein Lustmolch der Klänge, in Sog und Spur Rückerts und John Lennons, der die Haufenreime Dylans und die absolute Perfektion Jan Wagners liebt. Natürlich liebe ich Celan, aber ich würde ihn niemals nachahmen, genauso wenig wie Robert Gernhardt oder Ringelnatz (ohne diese Dichter werten oder mit dem großen Celan gleichstellen zu wollen; ich werte nicht gerne).
Dein Ding hier ist änigmatisch, "erste" Schule.
taumeln - aus
jener wunderspirale
dasein
verbrüderte uns das
zu wenig oder zu sehr
schlugen uns die
weißen häute rot.
Die Metapher der "wunderspirale" ist ja per Apposition gedeutet, aufgelöst: "dasein". Die Zeitgestalt des Daseins: obwohl eindimensional (im Nacheinander) doch bestimmt von kreisenden Wiederholungen; das ergibt die Spirale des Daseins.
Da heraus taumelt das lyrische Wir, infinitivisch (hätte auch Partizip sein können, "taumelnd", aber der Infinitiv ist flüssiger, weniger krampfig). Nun, eigentlich kann man weder aus der Zeitspirale noch aus dem schlichten Dasein heraus-taumeln. Rätselrätsel. Undenkbar, gewiß absichtlich unverständlich durch den Bruch der großen Spiralmetapher. Nun ja: raus aus den Wiederholungen aber ohne die weit ausgreifende Offenheit, die in der Spirale schon mitgedacht wäre. Das Bild (vom Dasein als Spirale) wird gestört, oder zerstört.
Der Satzbau ist der einer Frage, aber am Ende steht ein Punkt. Das ist wahrscheinlich der Rätselhaftigkeit geschuldet, der "Ernsthaftigkeit" der Änigmatiker, die die abschließende Aussage hassen und den offenen Fragemodus lieben. Mit Punkt. Scheinoffenheit, Scheinfrage, Punkt. Punkt. Punkt. Nein, nur einer, nicht drei ...
Und dann diese Hautfarben. Da die so offen-unbestimmt dastehen, überläßt Du die Farbendeutung dem Leser.
Wer würde da nicht zuerst an Rothäute und Bleichgesichter denken? Du selbst. Ich würde jedenfalls zuerst denken, daß da die europäischen Einwanderer die amerikanischen Wirwarenzuerstdamenschen verdreschen.
Zu kurz mit seinen allzu allgemeinen Begriffen, um dicht zu werden. Schau mal: "dasein" - -
Die Meister der Änigmatik geben pure Concreta, vermeiden solche Adverbien oder Zahlwörter wie "wenig" oder "zu sehr", finden Bilder, originelle, überraschende, sinnlichscharfe.
"weiße häute" für Unschuld - naja, kann man als erster Leser so sehen, aber eigentlich sind haarlose Häute, die weiß scheinen, die Häute von Leichen. Oder Fischen. Oder Clowns. Oder Grottenolmen. Oder Maden.
Noch einmal: Ich finde es völlig richtig, daß ein Autor sein Stück erklärt. Das ist meistens besser als das, was andere da hineindeuten. Aber die unschuldigen Weißhäute, die sind schon mehr Papier, kaum noch Pergament - - ?