Tohuwabohu - I

Tohuwabohu - I

allabendlich in der Spätvorstellung
liegt‘s am störrischen Apparat oder
dem verstaubten Film?
es zittert, stockt und klemmt immer
an den gleichen Stellen (burning Single
frames)

damals nur notdürftig verklebt die einen
stets aufs Neue geknickt an den anderen
reif fürs Museum beide nicht
mehr zu reparieren

Ab einem gewissen Alter, werter Tula, bleibt uns nur noch der Gang ins innere Poesiealbum um verwehte glückliche Erinnerungen erneut ins Bild zu setzen.

Vielleicht ist das noch schöner als das tatsächlich Erlebte ...

Hallo Aron
Danke für deine Gedanken zum Gedicht. In einem muss ich widersprechen. Es geht nicht ums Schwelgen in irgendwelchen glücklichen Erinnerungen, sondern eher um jene Stellen im Film, die man manchmal doch reparieren möchte, aber es nicht mehr kann. Daher auch der Titel. Stets aufs Neue geknickt ...
Ein Weg der Verarbeitung ist in der Tat die Nostalgie. Für diese gibt es ja einige Sprüche, die insgesamt darauf hinauslaufen, dass sie uns (bzw. wir uns selbst) belügt.

LG
Tula

Wenn wir diese Knickstellen reparieren könnten, wäre unser Leben nicht unser.

Die Poesie bietet hier Therapie.

Das stimmt, ganz im Ernst, d.h. eine erfolgreiche "Korrektur" an einem Punkt würde unter Umständen das ganze Leben umgestalten. Und niemand garantiert, dass wir glücklicher wären. Siehe auch den Film dazu, den butterfly effect

LG
Tula

Wenn wir das könnten, würden wir die Bibel fortschreiben.

Wir beide wären das erfolgreichste Buch der Welt, ohne tatsächlich uns selbst oder die Menschheit zu erlösen.

Hölderlin, Heine und Marx sind an der Bibelfortsetzung auch schon gescheitert.

Wir könnten aus der Bibel ein Dekameron machen und aus dem Manifest einen Abenteuerroman

So eine Art Schwarzwaldklinik für Poeten ....

könnt ihr bitte weitermachen!!!
danke
charlotte

lieber tula, das gedicht hat etwas sehr zärtliches.
liebe grüße
charlotte

Es geht nicht ums Schwelgen in irgendwelchen glücklichen Erinnerungen, sondern eher um jene Stellen im Film, die man manchmal doch reparieren möchte, aber es nicht mehr kann. Daher auch der Titel. Stets aufs Neue geknickt ...

Zum Vergrößern anklicken....

Metapher für Metaphern, dear Tula:

Film als Metapher für den inneren Film, der durch ein Gedicht evoziert wird. Leistung des Leserinnenauges, das in dem Gedicht etwas sieht, etwas eigenes. Natürlich sieht das Dichterinnenauge etwas anderes als das Leserinnenauge.

Wenn das Erinnerungen sind, sind die des Leserinnenauges nicht die des Dichterinnenauges, ja noch fremder, von einander verschiedener als die Bilder des Leseraußenauges von denen des Dichteraußenauges sind, die doch eine gemeinsame Welt in leicht verschobener Betrachtungs-Perspektive durchschauen lassen.

Was für Knicke hat der innere Film? Was wird an dem Streifen, wo es

zittert, stockt und klemmt,

Zum Vergrößern anklicken....

repariert? Aus welchem Zelluloid besteht der selbstbezügliche Innenfilm? In dem der Film eines Films eingebettet ist. Sieht aus wie eine Beziehungskiste. Als Film metaphorisiert. Im erzählenden Filmbild eines Leserinnenauges.

grusz, hansz

Hallo Hansz
Danke dir für deine so reiche Interpretation meines so schlichten Gedichts. In der Tat sehen bzw. erlesen sich Dichter und Leser ihre eigenen Erinnerungen an das immer wiederkehrende Erinnern selbst. Dummerweise bin ich wohl im typischen Alter dafür, den Film öfters zurückzuspulen als früher und mir Gedanken darüber zu verdichten. Geknickt war ich als junger Mensch durchaus an der einen oder anderen Stelle, wie der Film, der sich merkwürdigerweise an diesen lieber festklemmt als an anderen, bei welchen man gedankenlos glücklich war.

Ich hoffe, zu dieser kleinen Reihe, die es werden soll, fällt mir noch das eine oder andere ein.

LG
Tula

Hallo Charlotte
Vielen Dank auch für deinen Gruß. Wenn irgendwie doch eine leichte Ironie zu erkennen ist, schon weil der sich selbst Vorführende natürlich weiß, dass bei Film und Kopfapparat nichts mehr zu fixen ist, dann ist alles ok.

LG
Tula

Die Erinnerung arbeitet still, aber unermüdlich im Verborgenen. Sie kittet die Bruchstellen, schneidet Unerträgliches, korrigiert, koloriert und glättet, bis der Film ganz durchläuft.

Grüße
JB

Hallo James
Wenn der Film irgendwann glatt durchläuft, schreibe ich nur noch schöne Herbstgedichte

LG
Tula

Abwarten.