Too Old to Rock ‘n’ Roll

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GerRey

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The old rocker wore his hair too long
Wore his trouser cuffs too tight
Unfashionable to the end
Drank his ale too light
Death's head belts buckle
Yesterday's dreams
The transport caf' prophet of doom
Ringing no change in his double-sewn seams
In his post-war-babe gloom
(Jethro Tull)


(Auszug aus einem Brief an Anika vom 12.06.2021)

Als ich mich für den Dienst ankleidete (immerhin bereits in den neuen Unterhosen), viel mein Blick auf einen der Schuhkartons, die ich vor einigen Tagen aus einem der Schränke geholt hatte, um sie zu durchforsten und auszusortieren. Der Deckel war verrutscht und zeigte ein Spaltbreit des Kartoninhalts. Da war etwas, das aussah wie eine zerknüllte und wieder glatt gestrichene, alte Eintrittskarte. Vor längerem fand ich bei einer ähnlichen Aktion einige Eintrittskarten von Rockkonzerten, die ich in der Vergangenheit besucht hatte. War das auch eine?

Auf den zweiten Blick konnte ich KURHALLE OBERLAA auf dem Papier lesen. Kurhalle Oberlaa? fragte ich mich. Dort war ich selten gewesen. Zuletzt bei “Jethro Tull”, irgendwann Anfang der Zweitausender. Auch “Barclay James Harvest” hatte ich dort gesehen….Ende der 70ziger! Neugierig bückte ich mich nach dem Papier. Es war aus dem April 1995 (der Aufdruck des Tagesdatums hatte die Zeit nicht überlebt). Und “in Concert” waren “Colosseum” angegeben.

Zu der Zeit damals arbeitete ich im Theater, und von dort kam auch die Karte, wie ich mich erinnerte. Und zwar von jemandem, der mir nur am Rande bekannt geworden war. Hauptsächlich verstand ich mich dort mit einem der beiden Beleuchter, die unter einem Beleuchtungsmeister arbeiteten. Es gab nur wenig Personal, weil es keine Eigenproduktionen gab und die Gastproduktionen ohnehin ihre eigenen Mitarbeiter mitbrachten.

Werner, wie der Beleuchter hieß, hatte Ähnlichkeit mit dem Rocker auf dem Jethro Tull Album “Too Old to Rock 'n' Roll; Too Young to Die”. Es hätte durchaus auch seine Hymne sein können, die da besungen wird. Zündkerzen hatte er auf seiner alten, weißen Moto Guzzi genug herabgefahren. Aber es muss nicht immer eine Sackgasse sein, in die man mit 120 km/h fährt, ohne Platz zum Bremsen zu finden. Bei Werner, der vielleicht um 10 Jahre älter war als ich - also in den 40ern -, war es eine junge Polin, wie sie zu der Zeit haufenweise ins Land strömten. Er “tupfte sie und puffte sie an”, wie er sagte. Natürlich befeuerte sein Rocker-Ehrenkodex, sich um Mädchen und Kind zu kümmern. Im Theater arbeitete er als Beleuchter, war aber auch “Treasury” in der Motorradgang seines älteren Bruders. In Griechenland hatten sie am Meer ein Grundstück gekauft, auf dem sie sich später zur Ruhe setzen wollten. Zu der Zeit lebten sie aber noch auf einem ehemaligen Bauernhof im Burgenland. Werner und ich verstanden uns prächtig; wir tranken manches Glas Bier zusammen, oftmals auch mehr als das und darüber hinaus. Zwischendurch gab es auch Joints.

Das Leben im Theater war ganz einfach. Da es, wie gesagt, keine Eigenproduktionen gab, war alles schön klein und überschaubar. Alle paar Wochen kam eine neue Produktion, die das Theater mietete. Vom Zirkus über Musicals bis zu Galashows machten wir alles. Und das mischte sich wunderbar - Tingeltangel und Hochkultur (Wiener Festwochen). Als Bühnenportier war ich eine Art Zentralstelle, in der der Wahnsinn zusammenlief … per Funk, Telefon oder persönlich vor Ort. Zu den Vorstellungen hatte ich natürliche eine Menge Schlüssel auszugeben und hernach einzusammeln. Rockmusik lief bei mir die ganze Zeit, meist über eine Anlage, die kräftig genug war, um das Stiegenhaus - die vier Stockwerke hinauf - zu beschallen, was natürlich während einer Vorstellung stark gedämpft wurde, sodass die Lautstärke sich auf die Portierloge beschränkte. Sobald jedoch die ersten Dienste ihre Plätze verlassen hatten, die sie während einer Vorstellung für etwaige Notfälle einnahmen, und die Kurtine (eiserner Vorhang zwischen Bühnen- und Zuschauerhaus, der das Theater in die zwei Brandabschnitte teilt) herabgefahren wurde, hatte ich den Spleen - zumindest eine Zeitlang -, die Woodstock-Version “I’m Going Home” von Ten Years After zu spielen, wobei der Lautstärke-Regler wieder in die Höhe ging, weil gesprochen wurde beim Abschied nicht mehr viel. Die Leute - von den Billeteuren, der Polizei, Feuerwehr, Theaterarzt, Baurat bis zu den Bühnenarbeitern (Künstler kamen später) - knallten mir ihre Schlüssel hin und verlagerten das Geschehen meist in die umliegenden Lokale, und durch die Live-Aufnahme dieses Rock-Klassikers bekamen sie von mir noch einen kleinen Stimmungs-Kick mit auf den Weg. Und dabei brüllte keiner: NICHT SO LAUT!

Fipsi, ein stilles, altes Männchen, das seine wilde Zeit in einem, das schlohweiße Haar zusammenfassenden Zopf zum Ausdruck brachte, war Kurtinenwärter und in der Regel eher wortkarg. Er holte sich den Kurtinenschlüssel und verzog sich in sein Kammerl, wo er von Anfang bis Ende über den Eisernen Vorhang wachte (diesen Job - zu dem man eine TÜV-Prüfung benötigt - konnte im Theater jeder zweite Arbeiter - auch ich). Fipsi wirkte in dieser Erscheinung so uninteressant, dass nicht einmal über ihn gesprochen oder hinter vorgehaltener Hand gemunkelt wurde.

Eines Tages blieb er eine Weile bei Werner und mir stehen, als wir uns in der Portierloge aufhielten (gegenüber dem Pult gab es eine Fensterbank, wo sich vom Direktor bis zum einfachen Billeteur gerne die Leute zu einem Plausch niederließen) und fragte mich, ob ich auch die Band Colosseum kenne. Ich erinnerte mich dunkel, in den 70ern einmal ein Live-Album gehört zu haben, das mir damals aber zu jazzig war. Fipsi sagte, dass er früher Promoter gewesen sei, u. a. auch Colosseum promotet habe. Nun gab es eine Reunion der Band, und bei ihrer Konzerttour in Österreich hätten sie darauf bestanden, dass Fipsi wieder die Promotion für sie übernehme.

“Wollt ihr Freikarten?” fragte er dann plötzlich Werner und mich.

“Natürlich”, sagte ich schnell. Auch Werner nickte zustimmend.

“Geht in Ordnung. Bringe ich morgen - und zur Einstimmung …” sagte Fipsi abschließend und reichte mir eine CD, auf der die neue Live-Aufnahme von Colosseum war, die ich sofort in den CD-Player der Anlage steckte. Dann nahm er seinen Schlüssel und ging mit einem zufriedenen Lächeln davon.

“Hört sich nicht schlecht an”, sagte ich.

Werner brummte zustimmend.

“Hast du gewusst, dass er Konzertpromoter war?” fragte ich ihn dann.

“Ich habe gehört”, antwortete Werner, “dass er früher mit dem Ambros zusammengearbeitet haben soll. Dann kam aber das Übliche: Der Suff und die Weiber …”

Wie versprochen, bekamen wir anderntags die Freikarten. Werner und ich verabredeten uns vor dem Konzert, um noch einige Stimmungsmacher zu tanken, und Fipsi wollte uns sogar nach dem Konzert hinter die Bühne bringen, wo ein kleiner Umtrunk bereitstehen würde und wir Jon Hiseman, einen der Bandgründer, kennenlernen sollten, der damals schon eine Legende war. An dem Termin, an dem das Konzert stattfinden sollte, kreuzte Werner am Treffpunkt nicht auf, und am Handy war er nicht erreichbar. Ich fuhr also alleine nach Oberlaa und kam mit der Freikarte ohne Probleme hinein. Fipsi, der zu uns an den Platz kommen wollte, sah ich nur einmal aus der Ferne. Später redeten sich beide heraus: Der eine musste sich um Frau und Kind kümmern, der andere meinte, dass der Hiseman schnell ins Hotel zurück habe wollen und es deshalb nach dem Konzert keine Feier mehr gegeben hätte. Mir war es egal. Ich hatte das Konzert genossen - und die CD habe ich immer noch zu Hause.

Bald darauf wechselte ich den Job und war für drei Jahre vom Theater weg. In diesen drei Jahren hatte sich viel verändert. Es hatte einen grundlegenden Wechsel gegeben, bei dem nur eine Handvoll der alten Mannschaft “überlebt” hatte. Auch wurde nicht mehr so viel gespielt, weil man das Theater zurück in die Obhut städtischer Verwaltung gegeben hatte - wo man nicht so recht zu wissen schien, was man damit sollte, da sich die Aufmerksamkeit eher auf die beiden anderen Theater in diesem Verbund bezog. Es war zwar nicht mehr so lustig wie einst - aber es war immerhin noch ein Theater, in dem bekannte Größen auftraten (Shirley MacLaine, Woody Allen oder Austria 3). Von Werner und Fipsi war keine Spur mehr. Hin und wieder fragte ich nach Werner, wenn ich jemand aus der alten Zeit traf, und erfuhr dabei, dass es Werner sehr schlecht gehen sollte. Er habe keinen Job und es ginge ihm gesundheitlich nicht gut (was, wie ich später erfuhr, eine Umschreibung für seine Drogensucht war). Als ich bereits wieder einige Jahre im Theater gearbeitet hatte und eines Tages rauchend vor dem Bühneneingang stand, taumelte mir plötzlich Werner in die Arme. Er sah abgesandelt (wie ein Penner) aus und flehte mich mit weit aufgerissenen Augen an, mich für ihn um einen Job umzuhören. Die Moto Guzzi lag zerlegt in einem Stall im Burgenland, das Grundstück in Griechenland war längst verkauft und die Polin … “tupfte” jetzt ein anderer.
 

Dimpfelmoser

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Hallo GerRey,

deine Geschichte hat irgendwie was Bewegendes, jedenfalls für mich.
Zunächst mal wegen Jethro Tull - die haben mich musikalisch nachhaltig sozialisiert, wobei mir die drei nachfolgenden Alben (also nach "Too old ...") deutlich mehr liegen, aber das ist höchst subjektiv. Und eingestiegen bin ich anfangs ohnehin mit "Under Wraps" (ausgerechnet!), habe mich dann später zurückgearbeitet.
Dann aber auch wegen Werner bzw. dem, was ihn so geprägt haben mag. Was wäre wohl der Soundtrack zu seinem Leben nach dem Theater - Aqualung? Seine Geschichte ist ja eher nur angedeutet; tatsächlich hätte ich gerne mehr von ihm erfahren.
Was mir zu Beginn des Textes aufgefallen ist:
... in den neuen Unterhosen), fielviel mein Blick … und ... Ende der 70er70ziger! Neugierig ...
Außerdem bin ich etwas über die Klammern, die du gelegentlich verwendest, gestolpert. Vielleicht könntest du diese auflösen und das dort Formulierte anders in den Text einbauen? Just my 2 cents ...
Wie auch immer, gerne gelesen!

Viele Grüße, Dimpfl
 

rainer Genuss

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Hallo GerRey
Wachtmeister Dimpfelmoser kann ich mich nur zustimmen. Auch mich hat deine musikalische Zeitreise bewegt und intensive Erinnerungen ausgelöst.
"Auf" Jethro Tull war mein allererstes Konzert so um 1978 und der Querflöte spielende Anderson ein beeindruckender Sänger und schillernde Persönlichkeit.
Colloseum war mir zu pompös und syntiüberfrachtet, in meiner Begeisterung weit abgeschlagen rangierend, im Vergleich zur Psychodelic Band Gentle Giant.
Und die Zeitgenossen, der damals beste Freund? In meinem Leben echter Erfolgs- Karrieremensch. Trotz schweren, schwarzen afghanischen Nächten, Motorradunfall im Vollrausch und lebenslangem Führerscheinentzug: heute Kaufhausgeschäftsführer, Golfspieler und Reitstallbesitzer.
Seis gegönnt.

Danke für das Stück Erinnerungskultur
rainer
 

GerRey

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Schönen Dank an die Altrockerriege!

@ Dimpfelmoser
@ rainer Genuss

Jethro Tull! Ich glaube, "Too old to Rock 'n' Roll -" war mein erstes Album von ihnen. "Locomotive Breath" sowie das gesmmte Album "Aqualung" war damals ein Meilenstein. Mir aber gefiel die Ballade des alternden Rockers besser. Ich habe einige davor liegende Tull-Platten, aber danach ... nur noch "Heavy Horses" und das Live Doppelalbum "Bursting out". Die Figur, die Ian Anderson darstellte - ein auf einem Fuß stehender, Querflöte spielnder Langhaariger! Das war wie aus einem Schmelztigel, in dem die Gegenwart mit der Vergangenheit verschmolz. Das spürte man natürlich auch in der Musik ("Locomotive Breath").

Werner - was mag aus ihm geworden sein? Ob er noch unter uns wandelt?

Aus dem Theater ist heute eine schwer erträgliche Musical-Fabrik geworden. Unter all diesen strahlenden Modernisten erinnert sich heute niemand mehr an Werner oder Fipsi - und mich hat man bereits vergessen gehabt, nachdem sich die Bühnentür zum letzten Mal hinter mir schloß. Ich wüsste nicht, wo ich nach Werner zu recherchieren beginnen sollte. Und das Burgenland ist zu groß, um eine zerlegte Moto Guzzi in einem Heuhaufen zu finden. Ich müsste also Werner etwas "andichten", das er vielleicht nie war.

Die Klammern: Ich habe eine Reihe von Brieffreundinnen, mit denen ich auf altmodische Art Briefe wechsle. Anika ist eine davon. Der Text ist ein Auszug aus einem Brief an Anika. Und die neuen Unterhosen wurden notwenidig, weil ich 18 kg abgenommen habe - hier eine diesbezügliche Anspielung an ein Wortwechsel zwischen ihr und mir auf Whats App. Hätte ich vielleicht rausnehmen sollen ... aber hätte dann auch wieder den ursprünglichen Text verfälscht.

Auch meine Freunde von damals haben sie "weiter entwickelt", wie man so schön sagt. Die Aufregung über neue Musikalben hatte sich bald gelegt. Sie scheint nur noch an sonnigen Tagen aus der Erinnerung aufzusteigen. Um es mit einem alten Ausspruch von mir zu sagen: "Ohne den Minirock gäbe es keinen Hardrock!"

In diesem Sinne

GerRey
 
Zuletzt bearbeitet:

rainer Genuss

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Hallo GerRay
Songs from the wood?
ich sag dir mal danke für das Wurmloch, dank deiner Geschichten in die Zappa und Anika Zeiten abtauchen zu können.
Ich denke, damals war vieles bunt- plakativer, was heute konform, mega, sensationell, phänomenal medial verpackt wird.
LG rainer
 

rainer Genuss

Mitglied
denoch erleb ich die Generation meines 20 jährigen Sohns als deutlich ehrlicher, smoother (eigentlich hasse ich Anglezismen, aber es gibt keine adäquate Übersetzung) als das nachgeäffte Mode- Leben damals
 

Klaus K.

Mitglied
Da werden Erinnerungen wach! Ian Anderson, Marquee-Club London, live, erste Reihe, direkt vor ihm, dem "Einbeinigen" mit der Querflöte, freier Eintritt (!),
das locker machende Teufelszeug selbstverständlich in der selbstgedrehten Zigarette, locomotive breath, bouree von j.s.bach, usw.

Thanks for the jump into the past and as usual "let the good times roll"! Klaus K.
 



 
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