Ji Rina
Mitglied
Manchmal ist es schon verrückt, wenn man daran denkt, was alles hätte sein können und dann doch nicht war. Heute Morgen zum Beispiel war ich fest entschlossen, mir eine Tortilla mit Zwiebeln zu machen. Alles war vorhanden: Eier, Zwiebeln, Öl. Diesen Gedanken konnte mir also keiner mehr wegnehmen.
Gegen zwölf Uhr ging ich mit meinem Hund spazieren. Wir liefen durch das an mein Haus angrenzende Olivenfeld, besuchten ein halbes Dutzend andere Hunde, die in den Gärten vor den Eingangstoren ihrer Häuser saßen, und gingen dann über die Hauptstraße auf ein großes Feld, in dessen Nähe manchmal, Schafe grasen.
Mein Hund rannte vorweg und schnüffelte die Erde nach Wieseln ab. Plötzlich entdeckte ich am Fuße eines Baumes einen wilden Spargel. Es schlich sich der Gedanke in meinen Kopf, keine Tortilla mit Zwiebeln, sondern eine mit Spargeln zu machen. Aber da war ja nur dieser einzige Spargel – und das wäre wohl zu wenig. Als ich ein Stück weiterging, sah ich den nächsten, einsam unter einem Baum, kurz darauf noch einen. Und dann entdeckte ich einen Busch, unter dem bestimmt zehn, zwanzig Stück standen. Ich lief also zurück zum ersten Baum, dann wieder zum nächsten, ging die ganze Strecke ein zweites Mal entlang und pflückte sie alle nacheinander.
Eine Stunde später, als ich in der Küche stand und mir eine Tortilla mit Spargel machte, kam mir jemand in den Sinn, den ich vor einiger Zeit mal kennengelernt hatte. Es geschah im Winter irgendeines Jahres. Ich las in einer ausländischen Zeitschrift eine Anzeige, in der ein Typ (dieser, von dem ich jetzt erzählen will) eine Partnerin suchte. Ich meldete mich, und war ihm gleich sympathisch. Eine Weile schrieben wir uns Briefe, und nach drei Wochen schickte er mir ein altes Foto aus seiner Jugendzeit. Eines Tages schrieb er, dass seine Eltern sich freuen würden, dass er mich, diese kleine Spanierin, auf diese Art kennengelernt habe, und dass sie sich noch mehr freuen würden, wenn ich sie mal besuchen käme. Die Sache nahm also einen ernsten Verlauf, und ein paar Mal rief er mich sogar an. Er sagte, dass es so verrückt sei, jemanden in einem anderen Land gefunden zu haben – und dass die Wege des Lebens unvorhersehbar seien. So ging das eine Weile, ich glaube im Großen und Ganzen acht Wochen. Zu mehr kam es dann nicht. Plötzlich ließ er nichts mehr von sich hören und er rief mich auch nie wieder an. Einige Zeit später bekam ich dann einen Brief von ihm, in dem er mir erklärte, er habe ein anderes Mädchen kennengelernt, ganz in der Nähe seiner Stadt. Und dass, naja, wie so Dinge halt passieren, er sich in sie verliebt habe.
Zwei Jahre später, ich wusste überhaupt nicht mehr, wie der Typ in seiner Jugendzeit mal ausgesehen hatte, schrieb er mir plötzlich einen Brief, in dem er mir erzählte, dass er dieses junge Mädchen inzwischen geheiratet habe und sie in einem zweistöckigen Haus an einem Waldrand lebten; dass sein inzwischen zweijähriger Sohn (Johnny) in den Kindergarten ginge, und seine Frau einen kleinen Laden mit Wollartikeln besäße, in dem sie von neun Uhr morgens bis achtzehn Uhr abends arbeite. Auf der nächsten Seite schrieb er, dass er sich noch genau an mich erinnern könne, an meine schöne Handschrift und die netten Worte, an die schönen Träume, die wir mal hatten. Und dass es damals durchaus eine Möglichkeit gegeben hätte (die es dann aber nicht gab) –, dass er zu mir gekommen wäre, um mich zu besuchen. Später wäre er vielleicht sogar geblieben, und dass er sich hier bei mir genauso gut eine Zukunft hätte aufbauen können, wie er es im Endeffekt in seinem Land gemacht hatte. Er schrieb, wie sehr ihm das alles leid täte, aber dass das Leben, so oder so, nun mal weiterginge. Im Inneren des Umschlags lag dann noch ein kleines Foto, auf dem seine Frau, - nordisch, hübsch, mit freundlichem Lächeln -, und sein Sohn Johnny zu sehen waren.
Ich gab ihm auf diesen Brief keine Antwort.
Der Typ war aus Ipswich. Zwischen Ipswich und meinem Wohnort liegen fast zweitausend Kilometer. Während dieser Zeit müssen sich auf dieser Strecke unzählige Dinge abgespielt haben: Überschwemmungen, die ganze Dörfer entzweigerissen haben; Züge, die entgleist sind; Tunnel, in denen sich aufeinanderfahrende Autos getürmt haben. Es kam die Schweinepest. Das Tropische Fieber. Politikerwahlen. Kriege in mehreren Ländern. Ich habe diesen Typen noch nie in meinem Leben gesehen, ich habe keine Ahnung, wo er am Körper Leberflecken besitzt. Ich kenne auch nicht seine Schuhgröße oder die Form seiner Fingernägel, nicht seine Augenfarbe oder seinen Geruch. Die wenigen Gemeinsamkeiten unserer jeweiligen Interessen waren der reinste Zufall. Außer seiner metallischen Stimme am Telefon und seiner Handschrift kenne ich von diesem Typen nichts. Ich könnte jetzt auch gar nicht sagen, ob er eine Tortilla mit Spargel gegessen hätte oder lieber eine mit Zwiebeln. In all dieser Zeit ist auch sehr viel passiert: Ich hatte mehrere Male eine Grippe, von der er gar nichts wusste. Man hatte mir meinen Führerschein gestohlen, und ich musste einen neuen beantragen. Eine meiner Katzen war an einem zwölften Juli jenes Jahres plötzlich verschwunden, und nicht er, sondern ich habe darunter sehr gelitten.
Aber heute, so wie ich hier gerade stehe, und die Spargel in kleine Stückchen schneide und mich dabei frage, ob ich nicht gleich zwei Tortillas statt nur einer machen sollte, freue ich mich für ihn. Es ist schön, dass er sein Fleckchen an der Sonne noch gefunden hat.
Ich denke, dass diese Mitteilung für die gesamte Menschheit sehr wichtig ist. Und wenn nicht, dann nutze ich die Gelegenheit, um diesen Typen aus Ipswich zu grüßen und ihn wissen zu lassen, dass hier heute ein trüber Tag ist, fünfzehn Grad, aber dass der Wetterbericht von Radio Catalunya Sonne vorausgesagt hat. Und dass die Tortilla aus drei Eiern sehr viel größer ausgefallen ist, als ich dachte.
Gegen zwölf Uhr ging ich mit meinem Hund spazieren. Wir liefen durch das an mein Haus angrenzende Olivenfeld, besuchten ein halbes Dutzend andere Hunde, die in den Gärten vor den Eingangstoren ihrer Häuser saßen, und gingen dann über die Hauptstraße auf ein großes Feld, in dessen Nähe manchmal, Schafe grasen.
Mein Hund rannte vorweg und schnüffelte die Erde nach Wieseln ab. Plötzlich entdeckte ich am Fuße eines Baumes einen wilden Spargel. Es schlich sich der Gedanke in meinen Kopf, keine Tortilla mit Zwiebeln, sondern eine mit Spargeln zu machen. Aber da war ja nur dieser einzige Spargel – und das wäre wohl zu wenig. Als ich ein Stück weiterging, sah ich den nächsten, einsam unter einem Baum, kurz darauf noch einen. Und dann entdeckte ich einen Busch, unter dem bestimmt zehn, zwanzig Stück standen. Ich lief also zurück zum ersten Baum, dann wieder zum nächsten, ging die ganze Strecke ein zweites Mal entlang und pflückte sie alle nacheinander.
Eine Stunde später, als ich in der Küche stand und mir eine Tortilla mit Spargel machte, kam mir jemand in den Sinn, den ich vor einiger Zeit mal kennengelernt hatte. Es geschah im Winter irgendeines Jahres. Ich las in einer ausländischen Zeitschrift eine Anzeige, in der ein Typ (dieser, von dem ich jetzt erzählen will) eine Partnerin suchte. Ich meldete mich, und war ihm gleich sympathisch. Eine Weile schrieben wir uns Briefe, und nach drei Wochen schickte er mir ein altes Foto aus seiner Jugendzeit. Eines Tages schrieb er, dass seine Eltern sich freuen würden, dass er mich, diese kleine Spanierin, auf diese Art kennengelernt habe, und dass sie sich noch mehr freuen würden, wenn ich sie mal besuchen käme. Die Sache nahm also einen ernsten Verlauf, und ein paar Mal rief er mich sogar an. Er sagte, dass es so verrückt sei, jemanden in einem anderen Land gefunden zu haben – und dass die Wege des Lebens unvorhersehbar seien. So ging das eine Weile, ich glaube im Großen und Ganzen acht Wochen. Zu mehr kam es dann nicht. Plötzlich ließ er nichts mehr von sich hören und er rief mich auch nie wieder an. Einige Zeit später bekam ich dann einen Brief von ihm, in dem er mir erklärte, er habe ein anderes Mädchen kennengelernt, ganz in der Nähe seiner Stadt. Und dass, naja, wie so Dinge halt passieren, er sich in sie verliebt habe.
Zwei Jahre später, ich wusste überhaupt nicht mehr, wie der Typ in seiner Jugendzeit mal ausgesehen hatte, schrieb er mir plötzlich einen Brief, in dem er mir erzählte, dass er dieses junge Mädchen inzwischen geheiratet habe und sie in einem zweistöckigen Haus an einem Waldrand lebten; dass sein inzwischen zweijähriger Sohn (Johnny) in den Kindergarten ginge, und seine Frau einen kleinen Laden mit Wollartikeln besäße, in dem sie von neun Uhr morgens bis achtzehn Uhr abends arbeite. Auf der nächsten Seite schrieb er, dass er sich noch genau an mich erinnern könne, an meine schöne Handschrift und die netten Worte, an die schönen Träume, die wir mal hatten. Und dass es damals durchaus eine Möglichkeit gegeben hätte (die es dann aber nicht gab) –, dass er zu mir gekommen wäre, um mich zu besuchen. Später wäre er vielleicht sogar geblieben, und dass er sich hier bei mir genauso gut eine Zukunft hätte aufbauen können, wie er es im Endeffekt in seinem Land gemacht hatte. Er schrieb, wie sehr ihm das alles leid täte, aber dass das Leben, so oder so, nun mal weiterginge. Im Inneren des Umschlags lag dann noch ein kleines Foto, auf dem seine Frau, - nordisch, hübsch, mit freundlichem Lächeln -, und sein Sohn Johnny zu sehen waren.
Ich gab ihm auf diesen Brief keine Antwort.
Der Typ war aus Ipswich. Zwischen Ipswich und meinem Wohnort liegen fast zweitausend Kilometer. Während dieser Zeit müssen sich auf dieser Strecke unzählige Dinge abgespielt haben: Überschwemmungen, die ganze Dörfer entzweigerissen haben; Züge, die entgleist sind; Tunnel, in denen sich aufeinanderfahrende Autos getürmt haben. Es kam die Schweinepest. Das Tropische Fieber. Politikerwahlen. Kriege in mehreren Ländern. Ich habe diesen Typen noch nie in meinem Leben gesehen, ich habe keine Ahnung, wo er am Körper Leberflecken besitzt. Ich kenne auch nicht seine Schuhgröße oder die Form seiner Fingernägel, nicht seine Augenfarbe oder seinen Geruch. Die wenigen Gemeinsamkeiten unserer jeweiligen Interessen waren der reinste Zufall. Außer seiner metallischen Stimme am Telefon und seiner Handschrift kenne ich von diesem Typen nichts. Ich könnte jetzt auch gar nicht sagen, ob er eine Tortilla mit Spargel gegessen hätte oder lieber eine mit Zwiebeln. In all dieser Zeit ist auch sehr viel passiert: Ich hatte mehrere Male eine Grippe, von der er gar nichts wusste. Man hatte mir meinen Führerschein gestohlen, und ich musste einen neuen beantragen. Eine meiner Katzen war an einem zwölften Juli jenes Jahres plötzlich verschwunden, und nicht er, sondern ich habe darunter sehr gelitten.
Aber heute, so wie ich hier gerade stehe, und die Spargel in kleine Stückchen schneide und mich dabei frage, ob ich nicht gleich zwei Tortillas statt nur einer machen sollte, freue ich mich für ihn. Es ist schön, dass er sein Fleckchen an der Sonne noch gefunden hat.
Ich denke, dass diese Mitteilung für die gesamte Menschheit sehr wichtig ist. Und wenn nicht, dann nutze ich die Gelegenheit, um diesen Typen aus Ipswich zu grüßen und ihn wissen zu lassen, dass hier heute ein trüber Tag ist, fünfzehn Grad, aber dass der Wetterbericht von Radio Catalunya Sonne vorausgesagt hat. Und dass die Tortilla aus drei Eiern sehr viel größer ausgefallen ist, als ich dachte.