Totgeschrieben - 17. Entsetzen

xavia

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17. Entsetzen

Emma sucht den Lichtschalter

Das erste, was Emma fühlte, als sie aufwachte, war Hunger, schlimmer Hunger. Schlimmer noch, als der Hunger, den sie beim Einschlafen gefühlt hatte. Ihr war auch ein wenig kalt, aber das war nicht so schlimm. Sie hatte keine Ahnung, ob es Tag oder Nacht war. Als die Klappe geschlossen worden war, hatte sie nicht mehr die Kraft und den Mut gehabt, den Raum zu untersuchen. Jetzt machte sie sich auf die Suche nach einem Lichtschalter. Wer immer diesen Raum gebaut haben mochte, der musste ja auch Licht haben, wenn er hier unten war. Oder war der Raum nur für Leute, die darin eingesperrt waren?
[ 5] Nein, so durfte das nicht sein. Sie tastete sich an der Wand entlang, begann links neben dem Waschbecken, wo der Tisch stand. Am Waschbecken würde ihre Erkundungstour enden. – Wenn sie nicht in ein weiteres, noch tieferes, Loch fiel. Oder … Nein, am Waschbecken würde sie enden und vorher würde sie auch einen Lichtschalter gefunden haben.
[ 5] Sie weigerte sich, daran zu denken, dass sie möglicherweise eine Spinne ertasten könnte. Spinnen mochte sie nur ansehen, nicht anfassen. Da sie nicht wusste, in welcher Höhe der Lichtschalter war, musste sie die Wand gründlich untersuchen. Bald kam sie an die Regale, deren Anfang sie schon von oben gesehen hatte. Die konnte sie später untersuchen, wenn sie Licht hatte. Sie fühlte Dosen und Flaschen und – FELL!
[ 5] Emma schreckte zurück: Sie war nicht allein. Da war ein Tier im Regal, ein Tier mit Fell. Es hatte keinen Laut von sich gegeben und war auch nicht geflohen, als sie es berührt hatte. Zum Beißen hatte es sicher keine Zeit gehabt, denn sie hatte ihre Hand ganz schnell zurückgezogen. Jetzt saß sie auf dem Boden und versuchte, sich von dem Schrecken zu erholen. Das war gar nicht so einfach, da das Tier ja noch da war. Es wusste jetzt, dass sie da war. Vielleicht konnte es im Dunkeln sehen. Sie selbst konnte überhaupt nichts sehen, eine solche Dunkelheit hatte sie noch nie erlebt. Sehr gerne wäre Emma jetzt wieder auf den Tisch geklettert, aber der war ein ganzes Stück weit weg und sie wollte nun doch sehr gerne Licht haben. Das Regal mochte sie nicht mehr anfassen und ohne etwas anzufassen wusste sie die Richtung nicht.
[ 5] Lange Zeit saß sie so da, tat gar nichts, lauschte in die Dunkelheit hinein und hörte nichts. Inzwischen wusste sie nicht mehr, in welcher Richtung das Waschbecken war. Sie weinte leise vor sich hin, lauschte, weinte. Dann tastete sie sich ganz vorsichtig in jede Richtung ein kleines Stück und wieder zurück: Kein Regal. Sie hatte sich verirrt.
[ 5] Es blieb ihr nichts anderes übrig, als zu versuchen, sich geradeaus zu bewegen, bis sie an eine Wand kam oder an das Regal mit dem Tier. Sie kroch am Boden entlang, dann war sie unterhalb des Regalbretts, auf dem es lauerte. Schließlich ertastete sie den Tisch, auf dem sie geschlafen hatte und setzte sich erleichtert wieder darauf. Hier fühlte sie sich sicher. Sie wusste wieder, wo sie war und sie wusste, wo das Wasser war. Außerdem war das Tier sicherlich kleiner als der Tisch, wenn es im Regal Platz gefunden hatte, also war sie hier vielleicht vor ihm sicher.
[ 5] Sie wusste nicht, wie lange sie auf dem Tisch gesessen und gelauscht hatte. Kein Laut war zu hören. Sie beschloss, eine erneute Erkundungsrunde zu unternehmen, dieses Mal rechts herum, um nicht allzu bald bei dem Regal anzukommen. Auf diese Weise gab es viel freie, raue Wandfläche, die sie sorgsam nach einem Lichtschalter abtastete. Schließlich fand sie ihn, nicht nur einen, sondern mehrere, zusammen mit einer ganzen Reihe von Steckdosen. Erwartungsvoll knipste sie den ersten Schalter an und der Raum wurde sogleich mit einem gleißenden Licht geflutet, das so hell war, dass sie die Augen zukniff und sofort den Schalter wieder ausknipste. Besorgt versuchte sie es mit einem anderen und hatte Glück: Die zugehörige Lichtquelle schien weiter hinten im Raum zu sein. Genau konnte sie das durch ihre vorsichtshalber immer noch halb zugekniffenen Augen nicht sehen. Nach und nach öffnete sie ihre Augen und blickte sich um. Sie kreischte laut auf vor Schreck, denn ganz, ganz viele Augen waren auf sie gerichtet.
 



 
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