Totgeschrieben - 18. Frust

xavia

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18. Frust

Jonas hat einen Nebenbuhler

Bangen Herzens klingelte Jonas am späten Nachmittag an Tonis Haustür. – Ob sie sich freuen würde, ihn zu sehen? Oder wäre er ihr lästig? Er hatte ja jede Menge unverfänglicher Gründe, sich bei ihr zu melden. Vorsichtshalber rekapitulierte er, während er wartete: War Emma wieder aufgetaucht? Ging es Rudolf gut? Na gut, zwei Gründe, aber die würden schon reichen, um von seinem wahren Grund abzulenken: Er wollte sie sehen.
[ 5] Nichts rührte sich. Er klingelte noch einmal und noch mal. Nichts. Drinnen hörte er Gebell. Rudolf war zu Hause. Kein gutes Zeichen, wenn Toni nicht aufmachte. »Rudolf, ich bin's. Ich kann nicht rein. Da müssen wir wohl beide warten.« Jonas ging hinunter zur Straße und setzte sich auf die Stufen vom Hauseingang.
[ 5] Sein Herz machte einen Sprung, als er Tonis Auto um die Ecke kommen sah. Er beobachtete freudestrahlend, wie sie einparkte, aber als sie ausstieg, wurde ihm ihre Sorge wieder bewusst:
[ 5] »Keine Neuigkeiten von Emma?« fagte er mitfühlend.
[ 5] »Schlimmer: Nun ist auch noch meine Freundin Sarah verschwunden. Sie wollte unseren Nachbarn Obermoser unter die Lupe nehmen und nun erreiche ich sie nicht mehr. Und ich kann nicht zur Polizei gehen, weil sie verkleidet als Vertreterin dort war und vielleicht nicht will, dass ihre wahre Identität bekannt wird.«
[ 5] »Na, dann gehen wir doch zusammen zu ihm und sehen mal nach.« schlug Jonas vor. »Wir können Rudolf ja mitnehmen, der will bestimmt auch gerne an die frische Luft.
[ 5] Gesagt, getan. Der Hund war sehr begeistert, von seinen beiden Lieblingsmenschen mitgenommen zu werden. Er blickte von einem zum anderen und wedelte mit dem ganzen Körper, weil der Schwanz nicht ausreichte, seine Freude auszudrücken. Er rannte die halbe Treppe hinunter, dann wieder rauf zu den beiden und wieder hinunter. Unten wartete er, um zu sehen, wohin sie wohl mit ihm wollten. – Wie schade: Am Nebenhaus blieben sie schon stehen und klingelten. Er hatte sich auf einen langen Spaziergang gefreut. Nun schnüffelte er wenigstens hier die Hauswand genauestens ab und markierte sie sodann, um kommenden Hunden zu signalisieren, dass er hier zu Hause war. Er hatte sogar noch Zeit, dasselbe mit der Laterne gegenüber der Haustür zu tun, denn es machte niemand auf. Rudolf versuchte, die beiden nun doch zu einem Spaziergang zu überreden, aber leider hatte Toni keinen Sinn für die Zeichen, die er ihr gab. Jonas warf ihm einen mitfühlenden Blick zu. Der arme Hund konnte nicht verstehen, in welcher Not sein neues Frauchen sich befand.
[ 5] Dann schlug er vor, Frau Sonnefeld herauszuklingeln. Die alte Dame hörte zwar schlecht, ebenso wie Frau Hinderlich bei ihm im Erdgeschoss, aber sie hatte ihm erzählt, dass sie jetzt eine neumodische Klingelanlage habe, bei der in allen wichtigen Zimmern ein Licht leuchtete, wenn jemand bei ihr klingelte. Schon nach dem zweiten Klingeln ertönte der Summer und Frau Sonnefeld stand drinnen an der Wohnungstür, offensichtlich erfreut über die Abwechslung. Warum Obermoser nicht aufmachte, wusste sie auch nicht, lud die beiden Nachbarn aber ein, hinaufzugehen, nachdem diese abgelehnt hatten, einen Tee mit ihr zu trinken. Jonas betonte, dass diese Angelegenheit keinen Aufschub duldete, dass es ja möglicherweise um Leben oder Tod ging und sogleich bereute er diese Dramatisierung, als er sah, wie Toni hektisch von einem Fuß auf den anderen trat. Er versuchte, von Tonis Nichte abzulenken: »Es könnte ja sein, dass ihm etwas zugestoßen ist, er liegt vielleicht hilflos am Boden.«
[ 5] Frau Sonnefeld wollte sehr gerne mit ihnen hinaufzugehen, um nachzusehen. Oben klingelten und klopften sie und Jonas rief:
[ 5] »Herr Obermoser, sind Sie da? Ist alles in Ordnung?«
[ 5] Sie lauschten und hörten von drinnen eine gedämpfte Stimme schimpfen: »Nichts ist in Ordnung! Man hat mich in meiner eigenen Wohnung eingesperrt! Hilfe! Ich bin in der Küche eingeschlossen, Hilfe!«
[ 5] Frau Sonnefeld brauchte ihren Zweitschlüssel gar nicht, denn es war nicht abgeschlossen. Auf dem Flur sahen sie den Schlüsselbund liegen und beeilten sich, den wütenden Hern Obermoser aus seiner Küche zu befreien. Dieser eilte sogleich an ihnen vorbei zum Wohnzimmer, schloss die Tür hinter sich und werkelte darin herum. Dann kam er wieder heraus:
[ 5] »Mein Geld hat sie nicht gefunden. Der Fernseher ist auch noch da. Was mag sie nur gewollt haben? Es sieht so aus, als fehlt nichts.«
[ 5] Toni wusste die Antwort, wollte sie ihm aber nicht sagen. Sie wusste nun, dass nicht Sarah Herrn Obermoser zum Opfer gefallen war, sondern umgekehrt. Sie hatte hier nichts mehr zu tun und überlegte, wie sie problemlos das Weite suchen konnte, ohne sich die nun folgenden Schimpftiraden des Befreiten anhören zu müssen. Ein Weilchen heuchelte sie Interesse, was passiert sei, empörte sich über die bösen Vertreter, pflichtete den beiden Alten bei, dass man die keinesfalls in die Wohnung lassen dürfe, nicht einmal, wenn sie so sympathisch und harmlos aussehen, wie diese hinterhältige Teppichverkäuferin. Dann kam ihr der rettende Gedanke und sie verabschiedete sich höflich mit Blick auf den Hund, der nun unbedingt rausmüsse. Alle waren sehr verständnisvoll. Jonas hoffte nun auf einen Spaziergang mit angeregten Gesprächen und auch Rudolf stand der Sinn nach Laufen.
[ 5] Wieder draußen gab Toni Jonas die Leine in die Hand und versuchte, Sarah auf dem Handy zu erreichen. Dieses Mal gelang es ihr, sie schaltete den Lautsprecher ein und sie erfuhren, dass die Freundin einen ihrer Ex-Lover, ihren Nachbarn, auf der Straße getroffen hatte und einfach nicht hatte widerstehen können als er sie zu sich eingeladen hatte.
[ 5] »Es war ganz phantastisch! Wir sind uns zufällig begegnet und all der Stress von damals schien nie passiert zu sein, ich hatte den besten Sex seit Jahren und wir haben in seinem atemberaubenden Badzimmer, ach, was sage ich, in seiner Wellness-Anlage, einen wundervollen Nachmittag verlebt. Ich komme gerade nach Hause, um mich umzuziehen, danach wollen wir …«
[ 5] »Was hast du über Emma herausgefunden?« brüllte Toni ins Handy.
[ 5] »Nichts, leider. Wenn ich etwas herausgefunden hätte, dann wüsstest du das doch längst!« beteuerte die Freundin. Toni war sich da nicht so sicher. Auf eine Modenschau und einen Bericht über Tonis neueste Erlebnisse hatte Sarah heute keine Lust mehr, hörte Jonas mit Freuden. Das wurde auf Freitag verschoben. So kam Rudolf doch noch zu seinem ausgiebigen Spaziergang und Jonas zu seinen angeregten Gesprächen, die sich allerdings zu seinem Kummer um einen geheimnisvollen Fremden drehten, den Toni ›auf ganz unglaubliche Weise‹ erfunden und dann gesucht und gefunden hatte und den sie am morgigen Samstag treffen wollte. Sie war so sehr erfüllt von dieser seltsamen Geschichte, dass sie ihre verschwundene Nichte fast schon wieder vergessen zu haben schien in Jonas hatte sie einen guter Zuhörer. Er redete wenig, zeigte Interesse und schaffte es, neben ihrem Schwall von Worten darüber nachzudenken, was er falsch machte, dass Toni ihn wie eine Freundin behandelte und nicht wie einen Verehrer. Er musste das Treffen irgendwie sabotieren, das war mal klar. Aber wenn es nur schiefging, könnte das das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung haben. Er musste sich etwas einfallen lassen, das den anderen schlecht und ihn gut dastehen ließ. Gar nicht so einfach. Aber immerhin kannte er alle Einzelheiten: Er wusste, wie sein Nebenbuhler hieß und wann sie ihn treffen würde.
 



 
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