Totgeschrieben - 21. Fluchtpläne

xavia

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21. Fluchtpläne

Emma versucht sich zu befreien

Obwohl sie eigentlich schon die ganze Zeit allen Grund dazu gehabt hätte, bekam Emma erst jetzt richtig Angst. Von den Besitzern der vielen Augen drohte zwar, wie sie schnell gemerkt hatte, keine Gefahr. Es handelte sich um ausgestopfte Tiere. Ein gruseliger Anblick, auf jeden Fall, aber sowas kannte sie aus dem Biologie-Labor, da standen auch einige herum. Allerdings Hasen, Füchse, Eichhörnchen, Vögel, keine Hunde. Hier gab es auch allerlei Tiere, die sich manchmal in einen Garten verirrten, aber vor allem gab es Hunde. Große und kleine, sitzende, stehende und liegende. Und alle sahen sie Emma an.
[ 5] Sie fragte sich, warum ihr das solche Angst machte, die konnten ja nicht mehr beißen. Dann wurde es ihr auf einmal schlagartig klar: Sie hatte keine Angst vor den Tieren, sondern vor dem, der ihnen das angetan hatte! Ihr Kidnapper hatte diese Tiere alle ausgestopft! Wer weiß, ob sie von selbst gestorben sind! Wer weiß, ob sie, Emma, nicht sein nächstes Opfer sein sollte! Hektisch durchsuchte sie mit den Augen die Regale: Ein Glück, es gab keine Kinder, nur Tiere. Aber man konnte nie wissen, immerhin war er kein netter Mensch, er ließ sie hier hungern. Vielleicht wollte er sie einfach verhungern lassen, um sie dann auszustopfen? Warum fand Toni sie nicht? Warum nicht die Polizei? Warum half ihr denn niemand! – Sie brauchte dringend einen Plan, um hier herauszukommen. Sie hatte lange genug auf Hilfe gewartet!
[ 5] Emma überlegte: Der Mann war erwachsen, also wohl viel stärker als sie, aber schon ziemlich alt. Sie wusste nicht recht, ob er irgendwelche Gebrachen hatte. Er war jünger als ihr Opa und ihr Opa war noch ziemlich fit, der konnte schneller Fahrrad fahren als sie. Wenn sie ihn k. o. hauen wollte, musste sie sehr schnell sein, sonst würde er ihr einfach den Arm umdrehen. Besser, sie hatte eine Waffe. Mehr als einen Versuch hatte sie nicht, wenn überhaupt. – In einem Film hatte sie mal gesehen, wie jemand einem anderen Sand ins Gesicht geworfen hatte: Sehr wirkungsvoll! Es hatte eine Weile gedauert, bis der Beworfene sich wieder erholt hatte. Aber sie hatte keinen Sand. Sie blickte sich um. Ein Messer lag auf der Werkbank. Aber das konnte sie vergessen, sie würde es nicht fertigbringen, einen Menschen mit einem Messer zu stechen. Andererseits …
[ 5] Ja, das konnte klappen! Emma nahm das Messer und schabte an der Wand. Putz rieselte zu Boden. Sie schabte und schabte und bald hatte sie einen kleinen Haufen abgeschabt. Den verstaute sie sorgsam in einer herumstehenden leeren Konservendose, schabte noch ein Weilchen, bis sie die Dose fast voll hatte. Eine Handvoll wäre das mindestens. Sie legte das Messer wieder weg und stellte die Dose griffbereit auf den Tisch. Irgendwann würde der Mann ja wohl mal nach ihr sehen und dann wollte sie ihm das Pulver ins Gesicht werfen und weglaufen. – Es musste einfach gelingen!
[ 5] Aber wie sollte sie ihn dazu bringen, nahe genug heranzukommen, damit er die volle Ladung abbekam? Und falls er eine Brille aufhatte? Dann würde das überhaupt nicht funktionieren. Hatte er eine Brille? Sie konnte sich nicht erinnern. Sie konnte sich überhaupt nicht an sein Gesicht erinnern, so entsetzt war sie gewesen, als er sie eingesperrt hatte. Eine Kommissarin würde nicht aus ihr werden, keine gute Beobachtungsgabe. Oder ob man das lernen konnte? Sie hatte ja schon vieles gelernt, vielleicht ginge das auch. Aber das war jetzt nicht wichtig, sie brauchte einen Plan für ihren Angriff.
[ 5] Wieder und wieder ging sie alle Möglichkeiten durch. Der Mann würde sich nicht in ihre Nähe trauen, wenn er fürchten musste, dass sie das Messer hatte. Vielleicht wollte er sie wirklich verhungern lassen und würde erst nach Wochen wieder nach ihr sehen. – Nein, sie hatte so viel Pech gehabt, jetzt musste auch mal etwas Gutes passieren. Es konnte doch unmöglich immer alles schiefgehen. Andererseits erforderte ihr aktueller Plan wirklich viel, viel Glück. Nur gut, dass sie ihr persönliches Glückskonto bisher nicht belastet hatte.
[ 5] Emma saß auf dem Boden, die Dose neben sich und wartete. Sie wartete eine Ewigkeit. Währenddessen ging sie ihren Plan immer wieder durch, stellte sich alles ganz genau vor: Es konnte funktionieren, mit ein wenig Glück konnte es funktionieren. Mit viel Glück. Wenn er nur die Klappe aufmachen würde. Wenn er sich täuschen ließe von ihr, die wie tot auf dem Boden liegen würde, das Pulver in der Faust, Arme und Beine kreuz und quer ausgestreckt. Wenn er herunterkäme, um nach ihr zu sehen. Wenn er keine Brille aufhaben würde. Wenn sie schnell genug wäre und er langsam genug. – Wenn, wenn, wenn, …
 



 
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