Totgeschrieben - 27. Kontakt

xavia

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27. Kontakt

Layla findet Kontakt

Traurig wanderte Layla die Parkwege des Hauses entlang. Sie fühlte sich wie ein Tier im Käfig. Nein, wie ein Tier im Freigehege, immerhin konnte sie ja von einer Mauer zur anderen laufen. Inzwischen hatten die Insassen dieses ›Gefängnisses‹ realisiert, dass sie keinen Kontakt mit ihnen wollte und ließen sie in Ruhe. Von ihrem Seelenklempner konnte man das leider nicht sagen. Der schien simultan den Plan zu haben, sie zu heilen und zu erobern. Mit beidem war er zum Scheitern verurteilt und letzteres ging ihr zunehmend auf die Nerven.
[ 5] Manchmal hatte sie Lust, sich mit ihm einzulassen aber so, dass es jemand mitbekam und sie ihn anzeigen konnte. Aber sie fürchtete sich vor dem Medienrummel. Das wäre für die Journaille ein gefundenes Fressen.
[ 5] Sie sah die wohlgenährten und gelangweilten Menschen mit Bier und Chips vor ihren Fernsehern sitzen, während der Bericht und die Fotos von ihr und dem Arzt deren kümmerlicher Phantasie zu schmutzigen Vorstellungen verhalfen. Später würden sie dann aus der Gerichtsverhandlung weitere Details erfahren und danach zum Tatort umschalten. – Nein, das war keine Option für sie.
[ 5] Sie fragte sich, ob sie gerne ›normal‹ wäre und stellte fest, dass das eine erstaunlich schwierige Frage für sie war. Die Geschichte vom Jungbrunnen kam ihr in den Sinn: Eine alte Frau hatte viele Mühen auf sich genommen um dorthin zu kommen. Als sie endlich vor dem Jungbrunnen stand, erfuhr sie, dass sie nicht nur ihre Falten und ihre Gebrechen sondern auch ihre Erfahrungen zurücklassen müsste, wenn sie hineinstieg. – Sie tat es nicht.
[ 5] Layla würde auf einige ihrer Erfahrungen gerne verzichten. Aber sie hatte diese Wut in sich, die Wut auf alle Dirk Hansens dieser Welt und irgendwie kam es ihr so vor, als sei sie berufen, Rache zu nehmen. Wer, wenn nicht sie sollte das tun?
[ 5] Die meisten Opfer empfanden Schuld oder Scham, waren zu verhuschten Mäuschen geworden, die keiner Fliege etwas zuleide tun konnten. Deswegen funktionierte dieses System ja so gut. Deswegen kamen so viele Täter ungeschoren davon und prahlten wahrscheinlich im Freundeskreis noch mit ihren Heldentaten.
[ 5] Ja, wenn sie in Kontakt war mit dieser Wut, dann fühlte sie sich lebendig. Eigentlich nur dann. Sie fühlte Ungeduld, wollte sofort etwas unternehmen, aber das durfte sie nicht. Ein neuer Therapeut bedeutete weitere Zeit in diesem ›Gefängnis‹ .

Ein Hund kam auf sie zugelaufen, ziemlich groß und braun. Er begrüßte sie schwanzwedelnd.
[ 5] »Nanu, wer bist du denn? Kennen wir uns etwa?«
[ 5] »Wuff!«
[ 5] Layla mochte Tiere, auch wenn sie wenig mit ihnen zu tun hatte. Bei ihrem ungewissen Lebenswandel wäre es zu kompliziert, ein Tier zu halten. Umso mehr freute sie sich über diesen freundlichen Hund. Sie blickte sich um, suchte nach dem Besitzer. Niemand in Sicht. Sie bückte sich, um den Hund zu streicheln und der ließ sich das gerne gefallen.
[ 5] »Na, dich möchte ich ja am liebsten klauen und dann gegen meine Zimmergenossin eintauschen, du würdest nicht so viel auf mich einreden, nicht?»
[ 5] »Wuff!«
[ 5] »Ja, das dachte ich mir. Komm, wir gehen ein wenig spazieren, hast du Lust?« Da hörte sie es schon:
[ 5] »Rudolf, wo bist du?«
[ 5] »Wau! Wau! Wau!« Rudolf lief los und Layla ging hinterher, versuchte, sich keine Eile anmerken zu lassen.
[ 5] Zwei Frauen kamen um die Ecke, die eine kannte sie vom Sehen, die andere, eine auffallend hübsche Blondine, war anscheinend deren Besucherin. Layla wollte sich gerade abwenden, da sprach die Blondine sie an:
[ 5] »Komm doch zu uns, Rudolf scheint dich zu mögen und Rudolfs Freundinnen sind auch unsere Freundinnen!«

Ganz gegen ihre Gewohnheit folgte Layla der freundlichen Einladung. Der kurze Kontakt mit dem Hund hatte sie zugänglicher gemacht und die beiden konnten ja keine schlechten Menschen sein, wenn sie einen so netten Hund hatten.
[ 5] So kamen die drei Frauen ins Gespräch, sagten einander ihre Namen und bald schon tollten alle vier auf der Wiese herum, denn Sarah hatte einen Ball mitgebracht, von dem Rudolf total begeistert war. Der große stabile Lederball war fest aufgepumpt und er konnte ihn nicht ins Maul nehmen, aber dennoch – oder vielleicht deshalb – liebte er ihn. So lange die Frauen ihn warfen, versuchte Rudolf, zu dem Ball hochzuspringen und wenn das begehrte Spielzeug am Boden landete, lief er hin und hüpfte wild bellend darum herum, als hätte er einen Dieb gestellt. Die Frauen lachten über die Albernheit des Hundes, die überhaupt nicht zu seinem reifen Alter passte, ließen sich von seiner Ausgelassenheit anstecken, und Layla fühlte sich so froh und entspannt wie schon lange nicht mehr.
 



 
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