Totgeschrieben - 33. Heimkehr

xavia

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33. Heimkehr

Jonas kehrt aus England zurück

Ein letzter Blick auf Cambridge aus dem Fenster des Flugzeugs. Jonas versuchte, die Universität zu sehen aber schon schoben sich Wolken vor die kleiner werdenden Häuser und bald waren sie über dem Meer.
[ 5] Das waren ereignisreiche drei Monate gewesen. Er hatte alle Kontakte nach Hause abgebrochen, um sich hier ganz dem Lernen und Forschen widmen zu können. Noch immer kam es ihm wie ein Traum vor, dass er diese Chance erhalten hatte.
[ 5] Als er damals sie Studienarbeit über Gifte in englischer Sprache verfasste, hatte er zwar darauf spekuliert, Kontakt ins Ausland zu bekommen, um seine Vision unter fachkundiger Anleitung weiter verfolgen zu können, aber dass sich ausgerechnet Professor Noah Serpent, der berühmte Toxikologe, für ihn interessierte, das war mehr als er sich je erträumt hätte. Dieses Glück verdankte er seinem Mentor an der Universität, der dem berühmten englischen Kollegen die preisgekrönte Arbeit geschickt und ihm von Jonas' Ideen geschrieben hatte.
[ 5] Während seines Aufenthalts in Cambridge, der viel zu schnell vorübergegangen war, hatte Jonas die Tage im Labor verbracht, wenn er nicht gerade seine Ideen und Versuchsergebnisse mit dem Professor diskutieren durfte. Die meiste Zeit der Nächte hatte er damit zugebracht, die Erkenntnisse des Tages aufzuschreiben und zu überdenken. Der Professor war ebenso ein Arbeitstier wie er selbst, hatte jederzeit ein offenes Ohr für Jonas' Fragen und Visionen gehabt.
[ 5] Nun ging es zurück nach Hause und er hatte so viel Material im Koffer, dass seine Doktorarbeit schon zur Hälfte fertig war. Ob es ihm tatsächlich gelingen würde, die Moleküle des Rizins so zu modifizieren, dass sie dazu verwendet werden konnten, Krebszellen unschädlich zu machen, ohne den Organismus zu töten, stand zwar noch in den Sternen, aber der Professor hatte ihm Mut gemacht und hatte seinen reichen Erfahrungsschatz dazu genutzt, ihm die Wege zu weisen, die Erfolg versprachen und ihn vor den Sackgassen zu warnen. Dennoch, Jonas hatte auch einige dieser vermeintlichen Sackgassen sorgsam notiert, um im Zweifel auch dort nach einer Lösung suchen zu können.
[ 5] Würde es gelingen, wäre es eine Sensation und er wäre auf einen Schlag berühmt. Wenn nicht, könnte er immer noch eine sehr gute Arbeit schreiben über seine Erkenntnisse und die Wirkungen der Modifikationen des Rizins. Bevor er die weitere Arbeit allerdings in Angriff nehmen konnte, würde er mindestens drei Tage durchschlafen müssen, dachte er müde und schlief ein.

Tatsächlich setzte Jonas seinen Vorsatz gewissenhaft in die Tat um. Niemand wusste von seiner Rückkehr, er kaufte nach der Landung ein paar Dosen Bohnen, ging nach Hause und legte sich ohne auszupacken schlafen. In der ersten Nacht träumte er von Molekülen, die miteinander tanzten und sich sich zusammenballten und von Crick und Watson, seinen großen Vorbildern, die die DNS und damit das Geheimnis des Erbmaterials entschlüsselt hatten. Er stand auf um seine Bohnen zu essen und schlief weiter. Manchmal döste er und freute sich auf die Arbeit, die vor ihm lag, dann schlief er wieder. Es dauerte aber nur zwei Tage und zwei Nächte bis er das Gefühl hatte, sich genug ausgeruht zu haben.
[ 5] Der neue Mieter, der jetzt in der Wohnung seines Vaters wohnte, hatte gewissenhaft alle Post gesammelt, einige Briefe wie zuvor besprochen geöffnet und die jeweilige Angelegenheit erledigt. Meistens waren das Rechnungen gewesen und jetzt gab es eine sorgfältige Auflistung, aus der hervorging, dass Jonas von den 500 €, die er dem Mann gegeben hatte, abzüglich der 100, die er ihm versprochen hatte, noch 24,38 € zurückbekam.
[ 5] »Gut geschätzt«, bemerkte der Mann.
[ 5] Ein Brief von Toni war ungeöffnet geblieben, weil er privat aussah. Jonas bedankte sich und hatte es nun eilig, in seine Wohnung zu kommen, um den Brief zu lesen. Sie hatte Sehnsucht nach ihm! Das war lange her, hoffentlich hatten sich ihre Gefühle in der Zwischenzeit nicht abgekühlt.
[ 5] Jonas wusste, wann Toni normalerweise Feierabend machte. Er sah aus dem Fenster und beobachtete, wie sie mit dem Hund die Straße hinunterging. Ja, er hatte Übung darin, ihr aufzulauern und ihr ›zufällig‹ zu begegnen, kannte den Weg, den sie nehmen würde. Eilig lief er die Treppen hinunter, holte sein Fahrrad aus dem Keller und radelte auf einem anderen Weg zu den Wiesen am Fluss, wo sie normalerweise spazieren ging. Dort kam er ihr entgegen.

Auf einmal hatte er Angst. Es war so viel geschehen inzwischen, wahrscheinlich nicht nur bei ihm. »Hallo Toni, lange nicht gesehen«, begann er und fand sich nicht sehr originell.
[ 5] »Na, du machst ja Sachen«, lachte sie, haust einfach ab! Mit wem sollte ich denn meine Abenteuer besprechen? Du hättest doch wenigstens eine Adresse hinterlassen können!«
[ 5] Jonas versuchte, ihr zu erklären, wie wichtig es für ihn gewesen ist, alles hinter sich zu lassen. »In den Wochen vor meiner Abreise bin ich kaum zu irgendetwas gekommen, das durfte nicht so weitergehen, die Sache in England, da musste ich ganz ungestört sein.«
[ 5] »Und, warst du erfolgreich?«
[ 5] »Ja, es hätte nicht besser laufen können. Und bei dir, was gibt's Neues?«
[ 5] »Oh, eine ganze Menge. Ich glaube jetzt, dass du mein Traum-Mann bist, der Mann meiner Träume. Außerdem habe ich ein Corpus Delicti erbeutet, das du für mich untersuchen musst. Ich wüsste gar zu gerne, ob Layla mich vergiften wollte, ob sie eine Mörderin ist. Ich habe sie besucht und ihr von meiner Theorie erzählt, wie der Doktor gestorben sein könnte. – Ach, das weißt du ja noch gar nicht, er ist tot. Vielleicht vergiftet worden. Der perfekte Mord. Mit einem vergifteten weißen Konfekt-Kügelchen. Ich habe auch eines angeboten bekommen, nachdem ich Layla von meinen Ideen berichtet hatte. Sie war sehr gelassen, ich kann sie nicht durchschauen. Aber ich habe das Kügelchen geschickt mit einem mitgebrachten getauscht, das ich in meiner Hand verborgen habe. Ihres habe ich aufbewahrt. Das hatte ich vorher stundenlang zu Hause vor dem Spiegel geübt. Als ich das getauschte gegessen habe, hat sie keine Miene verzogen. Eiskalt.«
[ 5] In Jonas' Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander und in seinem Bauch tummelten sich die widerspüchlichsten Gefühle. Sie erzählte ihm so ganz nebenbei, dass er ihr Traum-Mann sei? Und dann hatte sie versucht, Layla in eine Falle zu locken? Er konnte den Schrecken nur mühsam verbergen.
[ 5] »Wie bist du denn darauf gekommen, dass es Konfekt sein könnte und noch dazu: Woher wusstest du die Sorte?«
[ 5] »Das ist so eine Marotte von mir, es steht so in meinem Roman und ich gehe davon aus, dass in der Wirklichkeit dasselbe passiert. Ich weiß, das ist Unsinn, aber als es einmal so angefangen hatte, … Manchmal muss ich auch den Roman an die Wirklichkeit anpassen«, gab sie nachdenklich zu, verscheuchte diesen Gedanken aber sogleich. »Kannst du Rizin nachweisen? Du bist doch ein Fachmann, nicht?«
[ 5] Jonas blieb die Luft weg angesichts der Fülle der Ereignisse. Es hatte sich nichts geändert, Toni war immer noch ein Energiebündel. »Ja, ich kann Rizin identifizieren. Auch viele andere Gifte. Aber war das nicht schrecklich gefährlich, was du da gemacht hast?«
[ 5] »Ach was, ich kann wirklich gut Kügelchen tauschen unter der Hand, davon merkt keiner etwas.«
[ 5] »Und wenn sie dich auf andere Weise umgebracht hätte?« – Täuschte er sich, oder wurde Toni ein wenig blass? »Aber bleiben wir mal bei der Giftmord-Theorie: Wenn das Kügelchen vergiftet ist, ist klar, dass Layla eine Mörderin ist. Aber was, wenn nicht? Dann ist sie es entweder nicht oder sie mag dich. Letzteres könnte ich sehr gut verstehen«, sagte er lächelnd, nahm sie in den Arm und gab ihr einen langen, zärtlichen Kuss.
 



 
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