Totgeschrieben - 5. Mathe-Genie

xavia

Mitglied
5. Mathe-Genie

Emma kommt aus der Schule

Der ersehnte Pausen-Gong ertönte und Emma rannte zusammen mit den anderen Kindern der 6a aus dem Klassenzimmer, hörte mit halbem Ohr, wie der Lehrer ihnen noch eine Hausaufgabe hinterherbrüllte: Er schaffte es einfach nicht, die Aufgabe während der Stunde zu stellen und dann wunderte er sich, wenn viele sie gar nicht machten. Aber das kümmerte sie jetzt nicht, sie wollte nur schnell nach Hause und von ihrem Erfolg berichten.
[ 5] So oft kam das nicht vor, dass sie einen Erfolg in Mathe erlebte, aber heute hatten sie bei diesem neuen, jungen Lehrer das Addieren und Subtrahieren von Brüchen gelernt. Ganz neu. Mit einer Geschichte von einem Mister T., der sich durch den Dschungel kämpft. Das hatte Spaß gemacht! Ganz viele verschiedene Rätsel mussten sie für Mister T. lösen und dann kam eine Aufgabe, die konnten die meisten nicht. Dabei war das ganz einfach, genauso wie vorher, nur etwas schwieriger. Und sie konnte es, sie, die sonst manchmal schon Nachhilfe brauchte, um überhaupt zurechtzukommen. Wenn jetzt weiter Brüche dran sein würden, dann könnte sie es allen zeigen. Den Wasserstand von sieben Zehntel auf drei Achtel senken, ja, das hatte sie hinbekommen! Jedes Zehntel musste man in acht Teile teilen und dann konnte man das direkt abzählen. Und sie durfte das auch vorrechnen. Dennis, der sonst immer über sie lästerte, der kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Und Fiona auch. Selbst die konnte das nicht auf Anhieb.
[ 5] Atemlos stand sie vor der Haustür, klingelte. Nichts. Klingelte noch einmal. Wieder nichts. Mist! Ach, heute sollte sie ja wieder zu Toni gehen, weil ihre Mutter im Krankenhaus lag. Das hatte sie ganz vergessen. Toni würde sich wohl nicht für ihren Erfolg interessieren, die fand Mathe blöd. Aber ihre Mutter, die sagte immmer, sie solle sich Mühe geben, sonst blieben nicht viele Berufe übrig, die sie lernen könnte. Und sie hatte sich Mühe gegeben, ja, das hatte sie!
[ 5] Traurig schlenderte sie weiter zu Tonis Wohnung. Als sie um die Ecke bog und Tonis Auto weit hinten am Straßenrand sah, stieg ihre Tante gerade ein. Das konnte ja wohl nicht wahr sein! Sie rannte los, winkte, rief – vergebens. Toni fuhr los, ohne auf den Fußweg zu sehen. Sie schien nur darauf zu achten, schwungvoll aus der Parklücke zu kommen, um einem Radfahrer gerade noch den Weg abzuschneiden. Der hob böse die Faust, weil er bremsen musste. Und weg war sie.
[ 5] Emma setzte sich auf die Schwelle vor der Haustür und überlegte, was zu tun sei. Warten? Würde Toni zurückkommen oder sich irgendwo amüsieren ohne an Emma zu denken? Sie sollte ihr etwas zu essen machen und bei den Hausaufgaben helfen und später mit ihr ins Krankenhaus fahren, um die zusammengenähte Sehne ihrer Mutter zu bewundern. Eine Sehne, das wusste Emma, das war so ein Band, das im Körper die einzelnen Teile zusammenhielt. Wenn davon eins abriss, dann konnte man sich nicht mehr richtig bewegen und das tat auch noch sehr weh. Das war ihrer Mutter passiert. Beim Sport. Da soll noch mal einer sagen, Sport wäre gesund! Um so eine Sehne wieder zusammenzumachen, musste man das Bein aufschneiden und Drähte hineintun und danach gab es einen Verband, auf dem alle Besucher unterschreiben konnten. So ähnlich wie bei einem Gipsbein, nur nicht so cool. Ein Gipsbein, das wurde später aufgesägt und dann konnte man es mit nach Hause nehmen und an die Wand hängen. Dennis hatte so eines. Der hatte sich mal das Bein gebrochen. Ihre Mutter würde nur einen Verband bekommen.

Langweilig! – Sollte sie denn nun den ganzen Tag hier herumsitzen? Nein, sie doch nicht! Nicht an einem Tag wie heute. Sie würde ihren Rucksack loswerden und dann abhauen, sich am Imbiss eine Tüte Pommes kaufen. Die schmeckten sowieso besser als dieses Gemüse-Zeugs bei Toni. Sollte die doch sehen, was sie davon hatte, sie einfach hier sitzenzulassen!
[ 5] Sie wusste, dass man von einem der Nachbargrundstücke aus auf den Hof von Tonis Haus kommen konnte. Von der Straße aus ging das nicht, weil auf beiden Seiten des Hauses noch mehr so große Häuser standen mit einem Eingang oben ins Treppenhaus und einem Eingang unten in den Keller. Beide normalerweise verschlossen. Vom Keller aus konnte man hinten raus, aber das nutzte ihr ja nichts, weil sie nicht hineinkonnte. Sie musste es von draußen versuchen. Also los. Hoffentlich guckte keiner von den Nachbarn, durch deren Gärten sie sich schleichen wollte, aus dem Fenster. Am besten schlich sie sich auf einer Seite rein und auf der anderen raus, dann konnte sie niemand zweimal beobachten und bevor die noch wussten, was sie tun sollten, war sie schon wieder weg und ihr Rucksack lag neben der Hof-Kellertür hinter dem Busch.
[ 5] In den Garten des Hauses an der nächsten Straßeneinmündung kam sie durch eine Pforte an der Seite des Gartens. Es war ja ein Eckhaus. Zum Nebengarten musste sie über einen Zaun aus Holz klettern. Kein Problem. Hinter den Büschen durch zum nächsten Gartenzaun. Maschendraht. Blöd. Der bog sich, wenn man daran hochkletterte. Von ihrem Versteck aus, unsichtbar für Leute, die aus den Fenstern guckten, sah sie sich um: Ein Apfelbaum. Es wäre leicht, daran hochzuklettern, aber die Zweige gingen nicht über den Zaun. Ein Schuppen stand am Zaun. Eine Regentonne am Schuppen. Na, prima! Sie kletterte auf die Tonne, dann auf das Wellblechdach des Schuppens und sprang hinunter in den Garten von Toni. Geschafft!
[ 5] Gut, dass ihr Plan vorsah, dass sie auf der anderen Seite wieder rauswollte, denn hier würde das kaum funktionieren. Sie konnte ja wohl kaum auf den Schuppen raufspringen. In diesem Garten gab es keinen Schuppen. Sie warf ihren Rucksack in das Gebüsch an der Hauswand neben dem Eingang zum Keller, den würde niemand so leicht sehen. Eine Katze floh mit entsetztem Aufschrei, die hatte da wohl auf eine Maus gelauert. Pech gehabt, liebe Katze. Und Glück für die Maus.
[ 5] Nun konnte sie sich ohne Gepäck auf den Weg machen. Sie begutachtete den anderen Gartenzaun. Ebenfalls Maschendraht, aber dicht am Zaun stand ein schöner, blühender Apfelbaum, dessen Äste im Spätsommer beide Grundstücke mit leckeren Äpfeln versorgen würden. Auf diesen Baum kletterte sie und schwang sich auf den anderen Seite von einem Ast wieder hinunter.
[ 5] Dann wurde es schwierig: Auf der gegenüberliegenden Seite des Gartens gab es eine Mauer. Riesig hoch! Aber glücklicherweise war da ein Kompostkasten, hinten an der Mauer. Aus Plastik, mit Deckel, allemal stabil genug für sie. Von dort aus konnte sie sich auf die Mauer hochziehen, wie sie das schon oft in Filmen gesehen hatte und schon saß sie rittlings darauf und spähte in den nächsten Garten. Der war sehr verwildert, unübersichtlich, voller Bäume und Büsche und Unkraut. Sie suchte sich eine Stelle, wo sie hinunterspringen konnte und krabbelte auf der Mauer dorthin. Unten gab es wildes Gras, keine stacheligen Büsche, keine Brennnesseln. Ein Glück! Aber ganz schön tief. Sie zählte bis drei: »Eins – zwei – drei!« – Und saß immer noch auf der Mauer. So ging es nicht.
[ 5] »Jetzt nehme ich mir ganz, ganz fest vor, dass ich bei drei springe. Egal, ob ich Angst habe. Ich springe einfach.« Sie schloss die Augen, zählte und sprang. Geschafft! Diesen Trick hatte ihr Opa ihr verraten. Der funktionierte zuverlässig. Damit könnte sie sogar von einem Hochhaus springen, wenn sie wollte. Wollte sie aber nicht. Ihre Mutter war böse über diesen Trick und hatte ihr gesagt, sie solle den nicht anwenden, weil die Angst ein Freund sei, der auf sie aufpasse. Frauenkram. Opa wusste das besser. Der konnte Geschichten erzählen von seinen Abenteuern! Schade, dass er in einer anderen Stadt wohnte. Der hätte bestimmt nicht vergessen, wenn seine einzige Enkelin ihn nach der Schule besuchen wollte. Der wäre da gewesen und hätte sich gefreut!
[ 5] Nun musste der neue Garten inspiziert werden. Niemand zu sehen, auch an den Fenstern nicht. Keine Gardinen. Schmutz. Eine kaputte Scheibe. Unheimlich! Sie lief an der Mauer entlang, so weit es ging, musste hier und da um eine Ansammlung von Brennesseln oder ein Gebüsch herumgehen und gelangte zu der Mauer, die den Garten nach hinten begrenzte. Sie war genauso hoch wie die andere. Sie ging einfach um die Ecke. Mit wachsendem Unbehagen sah sie sich den weiteren Verlauf der Gartenbegrenzung an: Die Mauer ging nochmal um die Ecke und dann hatte sie wieder das Haus erreicht. Keine Tür, kein Schuppen, kein Kompostkasten, auf den sie klettern konnte: Gefangen!
 

Willibald

Mitglied
Interessante Konstruktion des Langromans.

Gut eingesetzte Erlebte Rede und personengebundene Außenweltwahrnehmung im Part "Mathegenie".
 

xavia

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5. Mathe-Genie

Emma kommt aus der Schule

Der ersehnte Pausen-Gong ertönte und Emma rannte zusammen mit den anderen Kindern der 6a aus dem Klassenzimmer, hörte mit halbem Ohr, wie der Lehrer ihnen noch eine Hausaufgabe hinterherbrüllte: Er schaffte es einfach nicht, die Aufgabe während der Stunde zu stellen und dann wunderte er sich, wenn viele sie gar nicht machten. Aber das kümmerte sie jetzt nicht, sie wollte nur schnell nach Hause und von ihrem Erfolg berichten.
[ 5] So oft kam das nicht vor, dass sie einen Erfolg in Mathe erlebte, aber heute hatten sie bei diesem neuen, jungen Lehrer das Addieren und Subtrahieren von Brüchen gelernt. Ganz neu. Mit einer Geschichte von einem Mister T., der sich durch den Dschungel kämpft. Das hatte Spaß gemacht! Ganz viele verschiedene Rätsel mussten sie für Mister T. lösen und dann kam eine Aufgabe, die konnten die meisten nicht. Dabei war das ganz einfach, genauso wie vorher, nur etwas schwieriger. Und sie konnte es, sie, die sonst manchmal schon Nachhilfe brauchte, um überhaupt zurechtzukommen. Wenn jetzt weiter Brüche dran sein würden, dann könnte sie es allen zeigen. Den Wasserstand von sieben Zehntel auf drei Achtel senken, ja, das hatte sie hinbekommen! Jedes Zehntel musste man in acht Teile teilen und dann konnte man das direkt abzählen. Und sie durfte das auch vorrechnen. Dennis, der sonst immer über sie lästerte, der kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Und Fiona auch. Selbst die konnte das nicht auf Anhieb.
[ 5] Atemlos stand sie vor der Haustür, klingelte. Nichts. Klingelte noch einmal. Wieder nichts. Mist! – Ach, heute sollte sie ja wieder zu Toni gehen, weil ihre Mutter im Krankenhaus lag. Das hatte sie ganz vergessen. Toni würde sich wohl nicht für ihren Erfolg interessieren, die fand Mathe blöd. Aber ihre Mutter, die sagte immmer, sie solle sich Mühe geben, sonst blieben nicht viele Berufe übrig, die sie lernen könnte. Und sie hatte sich Mühe gegeben, ja, das hatte sie!
[ 5] Mit hängenden Schultern, den Blick auf den Boden gerichtet schlenderte sie traurig weiter zu Tonis Wohnung. Als sie um die Ecke bog hielt sie Ausschau nach Tonis rotem Mini. Er stand am Straßenrand, weit weg, und sie erkannte die ihre Tante, als diese gerade einstieg. Das konnte ja wohl nicht wahr sein! Sie rannte los, winkte, rief – vergebens. Toni fuhr los, ohne auf den Fußweg zu sehen. Sie schien nur darauf zu achten, schwungvoll aus der Parklücke zu kommen, um einem Radfahrer gerade noch den Weg abzuschneiden. Der hob böse die Faust, weil er bremsen musste. Und weg war sie.
[ 5] Emma stand vor dem Haus, stampfte mit dem Fuß auf vor Wut, lief schnell noch einmal im Kreis herum, um ihren Ärger abzureagieren und stampfte dann noch mal auf. Gerne hätte sie etwas kaputtgemacht, so wütend war sie. Was sollte sie jetzt tun? Warten? Würde Toni zurückkommen oder sich irgendwo amüsieren ohne an Emma zu denken? Sie sollte ihr etwas zu essen machen und bei den Hausaufgaben helfen.
[ 5] Noch wichtiger: Sie sollte nachher mit ihr ins Krankenhaus fahren, um die zusammengenähte Sehne ihrer Mutter zu bewundern. Eine Sehne, das wusste Emma, das war so ein Band, das im Körper die einzelnen Teile zusammenhielt. Wenn davon eins abriss, dann konnte man sich nicht mehr richtig bewegen und das tat auch noch sehr weh. Das war ihrer Mutter passiert. Beim Sport. Da soll noch mal einer sagen, Sport wäre gesund! Um so eine Sehne wieder zusammenzumachen, musste man das Bein aufschneiden und Drähte hineintun und danach gab es einen Verband, auf dem alle Besucher unterschreiben konnten. So ähnlich wie bei einem Gipsbein, nur nicht so cool. Ein Gipsbein, das wurde später aufgesägt und dann konnte man es mit nach Hause nehmen und an die Wand hängen. Dennis hatte so eines. Der hatte sich mal das Bein gebrochen. Ihre Mutter würde nur einen Verband bekommen. Aber sie hatte sich schon einen Filzstift ausgesucht, mit dem sie unterschreiben wollte. Und ein Eichhörnchen wollte sie zeichnen.

Langweilig! – Sollte sie denn nun den ganzen Tag hier herumsitzen? Nein, sie doch nicht! Nicht an einem Tag wie heute. Sie würde ihren Rucksack loswerden und dann abhauen, sich am Imbiss eine Tüte Pommes kaufen. Die schmeckten sowieso besser als dieses Gemüse-Zeugs bei Toni. Sollte die doch sehen, was sie davon hatte, sie einfach hier sitzenzulassen!
[ 5] Sie wusste, dass man von einem der Nachbargrundstücke aus auf den Hof von Tonis Haus kommen konnte. Von der Straße aus ging das nicht, weil auf beiden Seiten des Hauses noch mehr so große Häuser standen mit einem Eingang oben ins Treppenhaus und einem Eingang unten in den Keller. Beide normalerweise verschlossen. Vom Keller aus konnte man hinten raus, aber das nutzte ihr ja nichts, weil sie nicht hineinkonnte. Sie musste es von draußen versuchen. Also los. Hoffentlich guckte keiner von den Nachbarn, durch deren Gärten sie sich schleichen wollte, aus dem Fenster. Am besten schlich sie sich auf einer Seite rein und auf der anderen raus, dann konnte sie niemand zweimal beobachten und bevor die noch wussten, was sie tun sollten, war sie schon wieder weg und ihr Rucksack lag neben der Hof-Kellertür hinter dem Busch.
[ 5] In den Garten des Hauses an der nächsten Straßeneinmündung kam sie durch eine Pforte an der Seite des Gartens. Es war ja ein Eckhaus. Zum Nebengarten musste sie über einen Zaun aus Holz klettern. Kein Problem. Hinter den Büschen durch zum nächsten Gartenzaun. Maschendraht. Blöd. Der bog sich, wenn man daran hochkletterte. Von ihrem Versteck aus, unsichtbar für Leute, die aus den Fenstern guckten, sah sie sich um: Ein Apfelbaum. Es wäre leicht, daran hochzuklettern, aber die Zweige gingen nicht über den Zaun. Ein Schuppen stand am Zaun. Eine Regentonne am Schuppen. Na, prima! Sie kletterte auf die Tonne, dann auf das Wellblechdach des Schuppens und sprang hinunter in den Garten von Toni. Geschafft!
[ 5] Gut, dass ihr Plan vorsah, dass sie auf der anderen Seite wieder rauswollte, denn hier würde das kaum funktionieren. Sie konnte ja wohl kaum auf den Schuppen raufspringen. In diesem Garten gab es keinen Schuppen. Sie warf ihren Rucksack in das Gebüsch an der Hauswand neben dem Eingang zum Keller, den würde niemand so leicht sehen. Eine Katze floh mit entsetztem Aufschrei, die hatte da wohl auf eine Maus gelauert. Pech gehabt, liebe Katze. Und Glück für die Maus.
[ 5] Nun konnte sie sich ohne Gepäck auf den Weg machen. Sie begutachtete den anderen Gartenzaun. Ebenfalls Maschendraht, aber dicht am Zaun stand ein schöner, blühender Apfelbaum, dessen Äste im Spätsommer beide Grundstücke mit leckeren Äpfeln versorgen würden. Auf diesen Baum kletterte sie und schwang sich auf den anderen Seite von einem Ast wieder hinunter.
[ 5] Dann wurde es schwierig: Auf der gegenüberliegenden Seite des Gartens gab es eine Mauer. Riesig hoch! Aber glücklicherweise war da ein Kompostkasten, hinten an der Mauer. Aus dunkelgrünem Plastik, mit Deckel, allemal stabil genug für sie. Von dort aus konnte sie sich auf die Mauer hochziehen, wie sie das schon oft in Filmen gesehen hatte und schon saß sie rittlings darauf und spähte in den nächsten Garten. Der war sehr verwildert, unübersichtlich, voller Bäume und Büsche und Unkraut. Sie suchte sich eine Stelle, wo sie hinunterspringen konnte und krabbelte auf der Mauer dorthin. Unten gab es wildes Gras, keine stacheligen Büsche, keine Brennnesseln. Ein Glück! Aber ganz schön tief. Sie zählte: »Eins – zwei – drei!« – Und saß immer noch auf der Mauer. So ging es nicht.
[ 5] »Jetzt nehme ich mir ganz, ganz fest vor, dass ich bei drei springe. Egal, ob ich Angst habe. Ich springe einfach.« Sie schloss die Augen, zählte und sprang. Geschafft! Diesen Trick hatte ihr Opa ihr verraten. Der funktionierte zuverlässig. Damit könnte sie sogar von einem Hochhaus springen, wenn sie wollte. Wollte sie aber nicht. Ihre Mutter war böse über diesen Trick und hatte ihr gesagt, sie solle den nicht anwenden, weil die Angst ein Freund sei, der auf sie aufpasse. Frauenkram. Opa wusste das besser. Der konnte Geschichten erzählen von seinen Abenteuern! Schade, dass er in einer anderen Stadt wohnte. Der hätte bestimmt nicht vergessen, wenn seine einzige Enkelin ihn nach der Schule besuchen wollte. Der wäre da gewesen und hätte sich gefreut!
[ 5] Nun musste der neue Garten inspiziert werden. Niemand zu sehen, auch an den Fenstern nicht. Keine Gardinen. Schmutz. Eine kaputte Scheibe. Unheimlich! Sie lief an der Mauer entlang, so weit es ging, musste hier und da um eine Ansammlung von Brennesseln oder ein Gebüsch herumgehen und gelangte zu der Mauer, die den Garten nach hinten begrenzte. Sie war genauso hoch wie die andere. Sie ging einfach um die Ecke. Mit wachsendem Unbehagen sah sie sich den weiteren Verlauf der Gartenbegrenzung an: Die Mauer ging nochmal um die Ecke und dann hatte sie wieder das Haus erreicht. Keine Tür, kein Schuppen, kein Kompostkasten, auf den sie klettern konnte: Gefangen!
 

xavia

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5. Mathe-Genie

Emma kommt aus der Schule

Der ersehnte Pausen-Gong ertönte und Emma rannte zusammen mit den anderen Kindern der 6a aus dem Klassenzimmer, hörte mit halbem Ohr, wie der Lehrer ihnen noch eine Hausaufgabe hinterherbrüllte: Er schaffte es einfach nicht, die Aufgabe während der Stunde zu stellen und dann wunderte er sich, wenn viele sie gar nicht machten. Aber das kümmerte sie jetzt nicht, sie wollte nur schnell nach Hause und von ihrem Erfolg berichten.
[ 5] So oft kam das nicht vor, dass sie einen Erfolg in Mathe erlebte, aber heute hatten sie bei diesem neuen, jungen Lehrer das Addieren und Subtrahieren von Brüchen gelernt. Ganz neu. Mit einer Geschichte von einem Mister T., der sich durch den Dschungel kämpft. Das hatte Spaß gemacht! Ganz viele verschiedene Rätsel mussten sie für Mister T. lösen und dann kam eine Aufgabe, die konnten die meisten nicht. Dabei war das ganz einfach, genauso wie vorher, nur etwas schwieriger. Und sie konnte es, sie, die sonst manchmal schon Nachhilfe brauchte, um überhaupt zurechtzukommen.
[ 5] Wenn jetzt weiter Brüche dran sein würden, dann könnte sie es allen zeigen. Den Wasserstand von sieben Zehntel auf drei Achtel senken, ja, das hatte sie hinbekommen! Jedes Zehntel musste man in acht Teile teilen und dann konnte man das direkt abzählen. Und sie durfte das auch vorrechnen. Dennis, der sonst immer über sie lästerte, der kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Und Fiona auch. Selbst die konnte das nicht auf Anhieb.
[ 5] Atemlos stand sie vor der Haustür, klingelte. Nichts. Klingelte noch einmal. Wieder nichts. Mist! – Ach, heute sollte sie ja wieder zu Toni gehen, weil ihre Mutter im Krankenhaus lag. Das hatte sie ganz vergessen. Toni würde sich wohl nicht für ihren Erfolg interessieren, die fand Mathe blöd. Aber ihre Mutter, die sagte immmer, sie solle sich Mühe geben, sonst blieben nicht viele Berufe übrig, die sie lernen könnte. Und sie hatte sich Mühe gegeben, ja, das hatte sie!
[ 5] Mit hängenden Schultern, den Blick auf den Boden gerichtet schlenderte sie traurig weiter zu Tonis Wohnung. Als sie um die Ecke bog hielt sie Ausschau nach Tonis rotem Mini. Er stand am Straßenrand, weit weg, und sie erkannte die ihre Tante, als diese gerade einstieg. Das konnte ja wohl nicht wahr sein! Sie rannte los, winkte, rief – vergebens. Toni fuhr los, ohne auf den Fußweg zu sehen. Sie schien nur darauf zu achten, schwungvoll aus der Parklücke zu kommen, um einem Radfahrer gerade noch den Weg abzuschneiden. Der hob böse die Faust, weil er bremsen musste. Und weg war sie.
[ 5] Emma stand vor dem Haus, stampfte mit dem Fuß auf vor Wut, lief schnell noch einmal im Kreis herum, um ihren Ärger abzureagieren und stampfte dann noch mal auf. Gerne hätte sie etwas kaputtgemacht, so wütend war sie. Was sollte sie jetzt tun? Warten? Würde Toni zurückkommen oder sich irgendwo amüsieren ohne an Emma zu denken? Sie sollte ihr etwas zu essen machen und bei den Hausaufgaben helfen.
[ 5] Noch wichtiger: Sie sollte nachher mit ihr ins Krankenhaus fahren, um die zusammengenähte Sehne ihrer Mutter zu bewundern. Eine Sehne, das wusste Emma, das war so ein Band, das im Körper die einzelnen Teile zusammenhielt. Wenn davon eins abriss, dann konnte man sich nicht mehr richtig bewegen und das tat auch noch sehr weh. Das war ihrer Mutter passiert. Beim Sport. Da soll noch mal einer sagen, Sport wäre gesund! Um so eine Sehne wieder zusammenzumachen, musste man das Bein aufschneiden und Drähte hineintun und danach gab es einen Verband, auf dem alle Besucher unterschreiben konnten. So ähnlich wie bei einem Gipsbein, nur nicht so cool.
[ 5] Ein Gipsbein, das wurde später aufgesägt und dann konnte man es mit nach Hause nehmen und an die Wand hängen. Dennis hatte so eines. Der hatte sich mal das Bein gebrochen. Ihre Mutter würde nur einen Verband bekommen. Aber sie hatte sich schon einen Filzstift ausgesucht, mit dem sie unterschreiben wollte. Und ein Eichhörnchen wollte sie zeichnen.

Langweilig! – Sollte sie denn nun den ganzen Tag hier herumsitzen? Nein, sie doch nicht! Nicht an einem Tag wie heute. Sie würde ihren Rucksack loswerden und dann abhauen, sich am Imbiss eine Tüte Pommes kaufen. Die schmeckten sowieso besser als dieses Gemüse-Zeugs bei Toni. Sollte die doch sehen, was sie davon hatte, sie einfach hier sitzenzulassen!
[ 5] Sie wusste, dass man von einem der Nachbargrundstücke aus auf den Hof von Tonis Haus kommen konnte. Von der Straße aus ging das nicht, weil auf beiden Seiten des Hauses noch mehr so große Häuser standen mit einem Eingang oben ins Treppenhaus und einem Eingang unten in den Keller. Beide normalerweise verschlossen. Vom Keller aus konnte man hinten raus, aber das nutzte ihr ja nichts, weil sie nicht hineinkonnte. Sie musste es von draußen versuchen. Also los. Hoffentlich guckte keiner von den Nachbarn, durch deren Gärten sie sich schleichen wollte, aus dem Fenster. Am besten schlich sie sich auf einer Seite rein und auf der anderen raus, dann konnte sie niemand zweimal beobachten und bevor die noch wussten, was sie tun sollten, war sie schon wieder weg und ihr Rucksack lag neben der Hof-Kellertür hinter dem Busch.
[ 5] In den Garten des Hauses an der nächsten Straßeneinmündung kam sie durch eine Pforte an der Seite des Gartens. Es war ja ein Eckhaus. Zum Nebengarten musste sie über einen Zaun aus Holz klettern. Kein Problem. Hinter den Büschen durch zum nächsten Gartenzaun. Maschendraht. Blöd. Der bog sich, wenn man daran hochkletterte. Von ihrem Versteck aus, unsichtbar für Leute, die aus den Fenstern guckten, sah sie sich um: Ein Apfelbaum. Es wäre leicht, daran hochzuklettern, aber die Zweige gingen nicht über den Zaun. Ein Schuppen stand am Zaun. Eine Regentonne am Schuppen. Na, prima! Sie kletterte auf die Tonne, dann auf das Wellblechdach des Schuppens und sprang hinunter in den Garten von Toni. Geschafft!
[ 5] Gut, dass ihr Plan vorsah, dass sie auf der anderen Seite wieder rauswollte, denn hier würde das kaum funktionieren. Sie konnte ja wohl kaum auf den Schuppen raufspringen. In diesem Garten gab es keinen Schuppen. Sie warf ihren Rucksack in das Gebüsch an der Hauswand neben dem Eingang zum Keller, den würde niemand so leicht sehen. Eine Katze floh mit entsetztem Aufschrei, die hatte da wohl auf eine Maus gelauert. Pech gehabt, liebe Katze. Und Glück für die Maus.
[ 5] Nun konnte sie sich ohne Gepäck auf den Weg machen. Sie begutachtete den anderen Gartenzaun. Ebenfalls Maschendraht, aber dicht am Zaun stand ein schöner, blühender Apfelbaum, dessen Äste im Spätsommer beide Grundstücke mit leckeren Äpfeln versorgen würden. Auf diesen Baum kletterte sie und schwang sich auf den anderen Seite von einem Ast wieder hinunter.
[ 5] Dann wurde es schwierig: Auf der gegenüberliegenden Seite des Gartens gab es eine Mauer. Riesig hoch! Aber glücklicherweise war da ein Kompostkasten, hinten an der Mauer. Aus dunkelgrünem Plastik, mit Deckel, allemal stabil genug für sie. Von dort aus konnte sie sich auf die Mauer hochziehen, wie sie das schon oft in Filmen gesehen hatte und schon saß sie rittlings darauf und spähte in den nächsten Garten. Der war sehr verwildert, unübersichtlich, voller Bäume und Büsche und Unkraut. Sie suchte sich eine Stelle, wo sie hinunterspringen konnte und krabbelte auf der Mauer dorthin. Unten gab es wildes Gras, keine stacheligen Büsche, keine Brennnesseln. Ein Glück! Aber ganz schön tief. Sie zählte: »Eins – zwei – drei!« – Und saß immer noch auf der Mauer. So ging es nicht.
[ 5] »Jetzt nehme ich mir ganz, ganz fest vor, dass ich bei drei springe. Egal, ob ich Angst habe. Ich springe einfach.« Sie schloss die Augen, zählte und sprang. Geschafft! Diesen Trick hatte ihr Opa ihr verraten. Der funktionierte zuverlässig. Damit könnte sie sogar von einem Hochhaus springen, wenn sie wollte. Wollte sie aber nicht. Ihre Mutter war böse über diesen Trick und hatte ihr gesagt, sie solle den nicht anwenden, weil die Angst ein Freund sei, der auf sie aufpasse. Frauenkram. Opa wusste das besser. Der konnte Geschichten erzählen von seinen Abenteuern! Schade, dass er in einer anderen Stadt wohnte. Der hätte bestimmt nicht vergessen, wenn seine einzige Enkelin ihn nach der Schule besuchen wollte. Der wäre da gewesen und hätte sich gefreut!
[ 5] Nun musste der neue Garten inspiziert werden. Niemand zu sehen, auch an den Fenstern nicht. Keine Gardinen. Schmutz. Eine kaputte Scheibe. Unheimlich! Sie lief an der Mauer entlang, so weit es ging, musste hier und da um eine Ansammlung von Brennesseln oder ein Gebüsch herumgehen und gelangte zu der Mauer, die den Garten nach hinten begrenzte. Sie war genauso hoch wie die andere. Sie ging einfach um die Ecke. Mit wachsendem Unbehagen sah sie sich den weiteren Verlauf der Gartenbegrenzung an: Die Mauer ging nochmal um die Ecke und dann hatte sie wieder das Haus erreicht. Keine Tür, kein Schuppen, kein Kompostkasten, auf den sie klettern konnte: Gefangen!
 

xavia

Mitglied
5. Mathe-Genie

Emma kommt aus der Schule

Der ersehnte Pausen-Gong ertönte und Emma rannte zusammen mit den anderen Kindern der 6a aus dem Klassenzimmer, hörte mit halbem Ohr, wie der Lehrer ihnen noch eine Hausaufgabe hinterherbrüllte: Er schaffte es einfach nicht, die Aufgabe während der Stunde zu stellen und dann wunderte er sich, wenn viele sie gar nicht machten. Aber das kümmerte sie jetzt nicht, sie wollte nur schnell nach Hause und von ihrem Erfolg berichten.
[ 5] So oft kam das nicht vor, dass sie einen Erfolg in Mathe erlebte, aber heute hatten sie bei diesem neuen, jungen Lehrer das Addieren und Subtrahieren von Brüchen gelernt. Ganz neu. Mit einer Geschichte von einem Mister T., der sich durch den Dschungel kämpft. Das hatte Spaß gemacht! Ganz viele verschiedene Rätsel mussten sie für Mister T. lösen und dann kam eine Aufgabe, die konnten die meisten nicht. Dabei war das ganz einfach, genauso wie vorher, nur etwas schwieriger. Und sie konnte es, sie, die sonst manchmal schon Nachhilfe brauchte, um überhaupt zurechtzukommen.
[ 5] Wenn jetzt weiter Brüche dran sein würden, dann könnte sie es allen zeigen. Den Wasserstand von sieben Zehntel auf drei Achtel senken, ja, das hatte sie hinbekommen! Jedes Zehntel musste man in acht Teile teilen und dann konnte man das direkt abzählen. Und sie durfte das auch vorrechnen. Dennis, der sonst immer über sie lästerte, der kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Und Fiona auch. Selbst die konnte das nicht auf Anhieb.
[ 5] Atemlos stand sie vor der Haustür, klingelte. Nichts. Klingelte noch einmal. Wieder nichts. Mist! – Ach, heute sollte sie ja wieder zu Toni gehen, weil ihre Mutter im Krankenhaus lag. Das hatte sie ganz vergessen. Toni würde sich wohl nicht für ihren Erfolg interessieren, die fand Mathe blöd. Aber ihre Mutter, die sagte immmer, sie solle sich Mühe geben, sonst blieben nicht viele Berufe übrig, die sie lernen könnte. Und sie hatte sich Mühe gegeben, ja, das hatte sie!
[ 5] Mit hängenden Schultern, den Blick auf den Boden gerichtet schlenderte sie traurig weiter zu Tonis Wohnung. Als sie um die Ecke bog hielt sie Ausschau nach Tonis rotem Mini. Er stand am Straßenrand, weit weg, und sie erkannte die ihre Tante, als diese gerade einstieg. Das konnte ja wohl nicht wahr sein! Sie rannte los, winkte, rief – vergebens. Toni fuhr los, ohne auf den Fußweg zu sehen. Sie schien nur darauf zu achten, schwungvoll aus der Parklücke zu kommen, um einem Radfahrer gerade noch den Weg abzuschneiden. Der hob böse die Faust, weil er bremsen musste. Und weg war sie.
[ 5] Emma stand vor dem Haus, stampfte mit dem Fuß auf vor Wut, lief schnell noch einmal im Kreis herum, um ihren Ärger abzureagieren und stampfte dann noch mal auf. Gerne hätte sie etwas kaputtgemacht, so wütend war sie. Was sollte sie jetzt tun? Warten? Würde Toni zurückkommen oder sich irgendwo amüsieren ohne an Emma zu denken? Sie sollte ihr etwas zu essen machen und bei den Hausaufgaben helfen.
[ 5] Noch wichtiger: Sie sollte nachher mit ihr ins Krankenhaus fahren, um die zusammengenähte Sehne ihrer Mutter zu bewundern. Eine Sehne, das wusste Emma, das war so ein Band, das im Körper die einzelnen Teile zusammenhielt. Wenn davon eins abriss, dann konnte man sich nicht mehr richtig bewegen und das tat auch noch sehr weh. Das war ihrer Mutter passiert. Beim Sport. Da soll noch mal einer sagen, Sport wäre gesund! Um so eine Sehne wieder zusammenzumachen, musste man das Bein aufschneiden und Drähte hineintun und danach gab es einen Verband, auf dem alle Besucher unterschreiben konnten. So ähnlich wie bei einem Gipsbein, nur nicht so cool.
[ 5] Ein Gipsbein, das wurde später aufgesägt und dann konnte man es mit nach Hause nehmen und an die Wand hängen. Dennis hatte so eines. Der hatte sich mal das Bein gebrochen. Ihre Mutter würde nur einen Verband bekommen. Aber sie hatte sich schon einen Filzstift ausgesucht, mit dem sie unterschreiben wollte. Und ein Eichhörnchen wollte sie zeichnen.

Langweilig! – Sollte sie denn nun den ganzen Tag hier herumsitzen? Nein, sie doch nicht! Nicht an einem Tag wie heute. Sie würde ihren Rucksack loswerden und dann abhauen, sich am Imbiss eine Tüte Pommes kaufen. Die schmeckten sowieso besser als dieses Gemüse-Zeugs bei Toni. Sollte die doch sehen, was sie davon hatte, sie einfach hier sitzenzulassen!
[ 5] Sie wusste, dass man von einem der Nachbargrundstücke aus auf den Hof von Tonis Haus kommen konnte. Von der Straße aus ging das nicht, weil auf beiden Seiten des Hauses noch mehr so große Häuser standen mit einem Eingang oben ins Treppenhaus und einem Eingang unten in den Keller. Beide normalerweise verschlossen. Vom Keller aus konnte man hinten raus, aber das nutzte ihr ja nichts, weil sie nicht hineinkonnte. Sie musste es von draußen versuchen. Also los. Hoffentlich guckte keiner von den Nachbarn, durch deren Gärten sie sich schleichen wollte, aus dem Fenster. Am besten schlich sie sich auf einer Seite rein und auf der anderen raus, dann konnte sie niemand zweimal beobachten und bevor die noch wussten, was sie tun sollten, war sie schon wieder weg und ihr Rucksack lag neben der Hof-Kellertür hinter dem Busch.

In den Garten des Hauses an der nächsten Straßeneinmündung kam sie durch eine Pforte an der Seite des Gartens. Es war ja ein Eckhaus. Zum Nebengarten musste sie über einen Zaun aus Holz klettern. Kein Problem. Hinter den Büschen durch zum nächsten Gartenzaun. Maschendraht. Blöd. Der bog sich, wenn man daran hochkletterte. Von ihrem Versteck aus, unsichtbar für Leute, die aus den Fenstern guckten, sah sie sich um: Ein Apfelbaum. Es wäre leicht, daran hochzuklettern, aber die Zweige gingen nicht über den Zaun. Ein Schuppen stand am Zaun. Eine Regentonne am Schuppen. Na, prima! Sie kletterte auf die Tonne, dann auf das Wellblechdach des Schuppens und sprang hinunter in den Garten von Toni. Geschafft!
[ 5] Gut, dass ihr Plan vorsah, dass sie auf der anderen Seite wieder rauswollte, denn hier würde das kaum funktionieren. Sie konnte ja wohl kaum auf den Schuppen raufspringen. In diesem Garten gab es keinen Schuppen. Sie warf ihren Rucksack in das Gebüsch an der Hauswand neben dem Eingang zum Keller, den würde niemand so leicht sehen. Eine Katze floh mit entsetztem Aufschrei, die hatte da wohl auf eine Maus gelauert. Pech gehabt, liebe Katze. Und Glück für die Maus.
[ 5] Nun konnte sie sich ohne Gepäck auf den Weg machen. Sie begutachtete den anderen Gartenzaun. Ebenfalls Maschendraht, aber dicht am Zaun stand ein schöner, blühender Apfelbaum, dessen Äste im Spätsommer beide Grundstücke mit leckeren Äpfeln versorgen würden. Auf diesen Baum kletterte sie und schwang sich auf den anderen Seite von einem Ast wieder hinunter.
[ 5] Dann wurde es schwierig: Auf der gegenüberliegenden Seite des Gartens gab es eine Mauer. Riesig hoch! Aber glücklicherweise war da ein Kompostkasten, hinten an der Mauer. Aus dunkelgrünem Plastik, mit Deckel, allemal stabil genug für sie. Von dort aus konnte sie sich auf die Mauer hochziehen, wie sie das schon oft in Filmen gesehen hatte und schon saß sie rittlings darauf und spähte in den nächsten Garten. Der war sehr verwildert, unübersichtlich, voller Bäume und Büsche und Unkraut. Sie suchte sich eine Stelle, wo sie hinunterspringen konnte und krabbelte auf der Mauer dorthin. Unten gab es wildes Gras, keine stacheligen Büsche, keine Brennnesseln. Ein Glück! Aber ganz schön tief. Sie zählte: »Eins – zwei – drei!« – Und saß immer noch auf der Mauer. So ging es nicht.
[ 5] »Jetzt nehme ich mir ganz, ganz fest vor, dass ich bei drei springe. Egal, ob ich Angst habe. Ich springe einfach.« Sie schloss die Augen, zählte und sprang. Geschafft! Diesen Trick hatte ihr Opa ihr verraten. Der funktionierte zuverlässig. Damit könnte sie sogar von einem Hochhaus springen, wenn sie wollte. Wollte sie aber nicht. Ihre Mutter war böse über diesen Trick und hatte ihr gesagt, sie solle den nicht anwenden, weil die Angst ein Freund sei, der auf sie aufpasse. Frauenkram. Opa wusste das besser. Der konnte Geschichten erzählen von seinen Abenteuern! Schade, dass er in einer anderen Stadt wohnte. Der hätte bestimmt nicht vergessen, wenn seine einzige Enkelin ihn nach der Schule besuchen wollte. Der wäre da gewesen und hätte sich gefreut!
[ 5] Nun musste der neue Garten inspiziert werden. Niemand zu sehen, auch an den Fenstern nicht. Keine Gardinen. Schmutz. Eine kaputte Scheibe. Unheimlich! Sie lief an der Mauer entlang, so weit es ging, musste hier und da um eine Ansammlung von Brennesseln oder ein Gebüsch herumgehen und gelangte zu der Mauer, die den Garten nach hinten begrenzte. Sie war genauso hoch wie die andere. Sie ging einfach um die Ecke. Mit wachsendem Unbehagen sah sie sich den weiteren Verlauf der Gartenbegrenzung an: Die Mauer ging nochmal um die Ecke und dann hatte sie wieder das Haus erreicht. Keine Tür, kein Schuppen, kein Kompostkasten, auf den sie klettern konnte: Gefangen!
 

xavia

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5. Mathe-Genie

Emma kommt aus der Schule

Der ersehnte Pausen-Gong ertönte und Emma rannte zusammen mit den anderen Kindern der 6a aus dem Klassenzimmer, hörte mit halbem Ohr, wie der Lehrer ihnen noch eine Hausaufgabe hinterherbrüllte: Er schaffte es einfach nicht, die Aufgabe während der Stunde zu stellen und dann wunderte er sich, wenn viele sie gar nicht machten. Aber das kümmerte sie jetzt nicht, sie wollte nur schnell nach Hause und von ihrem Erfolg berichten.
[ 5] So oft kam das nicht vor, dass sie einen Erfolg in Mathe erlebte, aber heute hatten sie bei diesem neuen, jungen Lehrer das Addieren und Subtrahieren von Brüchen gelernt. Ganz neu. Mit einer Geschichte von einem Mister T., der sich durch den Dschungel kämpft. Das hatte Spaß gemacht! Ganz viele verschiedene Rätsel mussten sie für Mister T. lösen und dann kam eine Aufgabe, die konnten die meisten nicht. Dabei war das ganz einfach, genauso wie vorher, nur etwas schwieriger. Und sie konnte es, sie, die sonst manchmal schon Nachhilfe brauchte, um überhaupt zurechtzukommen.
[ 5] Wenn jetzt weiter Brüche dran sein würden, dann könnte sie es allen zeigen. Den Wasserstand von sieben Zehntel auf drei Achtel senken, ja, das hatte sie hinbekommen! Jedes Zehntel musste man in acht Teile teilen und dann konnte man das direkt abzählen. Und sie durfte das auch vorrechnen. Dennis, der sonst immer über sie lästerte, der kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Und Fiona auch. Selbst die konnte das nicht auf Anhieb.
[ 5] Atemlos stand sie vor der Haustür, klingelte. Nichts. Klingelte noch einmal. Wieder nichts. Mist! – Ach, heute sollte sie ja wieder zu Toni gehen, weil ihre Mutter im Krankenhaus lag. Das hatte sie ganz vergessen. Toni würde sich wohl nicht für ihren Erfolg interessieren, die fand Mathe blöd. Aber ihre Mutter, die sagte immmer, sie solle sich Mühe geben, sonst blieben nicht viele Berufe übrig, die sie lernen könnte. Und sie hatte sich Mühe gegeben, ja, das hatte sie!
[ 5] Mit hängenden Schultern, den Blick auf den Boden gerichtet schlenderte sie traurig weiter zu Tonis Wohnung. Als sie um die Ecke bog hielt sie Ausschau nach Tonis rotem Mini. Er stand am Straßenrand, weit weg, und sie erkannte die ihre Tante, als diese gerade einstieg. Das konnte ja wohl nicht wahr sein! Sie rannte los, winkte, rief – vergebens. Toni fuhr los, ohne auf den Fußweg zu sehen. Sie schien nur darauf zu achten, schwungvoll aus der Parklücke zu kommen, um einem Radfahrer gerade noch den Weg abzuschneiden. Der hob böse die Faust, weil er bremsen musste. Und weg war sie.
[ 5] Emma stand vor dem Haus, stampfte mit dem Fuß auf vor Wut, lief schnell noch einmal im Kreis herum, um ihren Ärger abzureagieren und stampfte dann noch mal auf. Gerne hätte sie etwas kaputtgemacht, so wütend war sie. Was sollte sie jetzt tun? Warten? Würde Toni zurückkommen oder sich irgendwo amüsieren ohne an Emma zu denken? Sie sollte ihr etwas zu essen machen und bei den Hausaufgaben helfen.
[ 5] Noch wichtiger: Sie sollte nachher mit ihr ins Krankenhaus fahren, um die zusammengenähte Sehne ihrer Mutter zu bewundern. Eine Sehne, das wusste Emma, das war so ein Band, das im Körper die einzelnen Teile zusammenhielt. Wenn davon eins abriss, dann konnte man sich nicht mehr richtig bewegen und das tat auch noch sehr weh. Das war ihrer Mutter passiert. Beim Sport. Da soll noch mal einer sagen, Sport wäre gesund! Um so eine Sehne wieder zusammenzumachen, musste man das Bein aufschneiden und Drähte hineintun und danach gab es einen Verband, auf dem alle Besucher unterschreiben konnten. So ähnlich wie bei einem Gipsbein, nur nicht so cool.
[ 5] Ein Gipsbein, das wurde später aufgesägt und dann konnte man es mit nach Hause nehmen und an die Wand hängen. Dennis hatte so eines. Der hatte sich mal das Bein gebrochen. Ihre Mutter würde nur einen Verband bekommen. Aber sie hatte sich schon einen Filzstift ausgesucht, mit dem sie unterschreiben wollte. Und ein Eichhörnchen wollte sie zeichnen.

Langweilig! – Sollte sie denn nun den ganzen Tag hier herumsitzen? Nein, sie doch nicht! Nicht an einem Tag wie heute. Sie würde ihren Rucksack loswerden und dann abhauen, sich am Imbiss eine Tüte Pommes kaufen. Die schmeckten sowieso besser als dieses Gemüse-Zeugs bei Toni. Sollte die doch sehen, was sie davon hatte, sie einfach hier sitzenzulassen!
[ 5] Sie wusste, dass man von einem der Nachbargrundstücke aus auf den Hof von Tonis Haus kommen konnte. Von der Straße aus ging das nicht, weil auf beiden Seiten des Hauses noch mehr so große Häuser standen mit einem Eingang oben ins Treppenhaus und einem Eingang unten in den Keller. Beide normalerweise verschlossen. Vom Keller aus konnte man hinten raus, aber das nutzte ihr ja nichts, weil sie nicht hineinkonnte. Sie musste es von draußen versuchen. Also los. Hoffentlich guckte keiner von den Nachbarn, durch deren Gärten sie sich schleichen wollte, aus dem Fenster. Am besten schlich sie sich auf einer Seite rein und auf der anderen raus, dann konnte sie niemand zweimal beobachten und bevor die noch wussten, was sie tun sollten, war sie schon wieder weg und ihr Rucksack lag neben der Hof-Kellertür hinter dem Busch.

In den Garten des Hauses an der nächsten Straßeneinmündung kam sie durch eine Pforte an der Seite des Gartens. Es war ja ein Eckhaus. Zum Nebengarten musste sie über einen Zaun aus Holz klettern. Kein Problem. Hinter den Büschen durch zum nächsten Gartenzaun. Maschendraht. Blöd. Der bog sich, wenn man daran hochkletterte. Von ihrem Versteck aus, unsichtbar für Leute, die aus den Fenstern guckten, sah sie sich um: Ein Apfelbaum. Es wäre leicht, daran hochzuklettern, aber die Zweige gingen nicht über den Zaun. Ein Schuppen stand am Zaun. Eine Regentonne am Schuppen. Na, prima! Sie kletterte auf die Tonne, dann auf das Wellblechdach des Schuppens und sprang hinunter in den Garten von Toni. Geschafft!
[ 5] Gut, dass ihr Plan vorsah, dass sie auf der anderen Seite wieder rauswollte, denn hier würde das kaum funktionieren. Sie konnte ja wohl kaum auf den Schuppen raufspringen. In diesem Garten gab es keinen Schuppen. Sie warf ihren Rucksack in das Gebüsch an der Hauswand neben dem Eingang zum Keller, den würde niemand so leicht sehen. Eine Katze floh mit entsetztem Aufschrei, die hatte da wohl auf eine Maus gelauert. Pech gehabt, liebe Katze. Und Glück für die Maus.
[ 5] Nun konnte sie sich ohne Gepäck auf den Weg machen. Sie begutachtete den anderen Gartenzaun. Ebenfalls Maschendraht, aber dicht am Zaun stand ein schöner, blühender Apfelbaum, dessen Äste im Spätsommer beide Grundstücke mit leckeren Äpfeln versorgen würden. Auf diesen Baum kletterte sie und schwang sich auf den anderen Seite von einem Ast wieder hinunter.
[ 5] Dann wurde es schwierig: Auf der gegenüberliegenden Seite des Gartens gab es eine Mauer. Riesig hoch! Aber glücklicherweise war da ein Kompostkasten, hinten an der Mauer. Aus dunkelgrünem Plastik, mit Deckel, allemal stabil genug für sie. Von dort aus konnte sie sich auf die Mauer hochziehen, wie sie das schon oft in Filmen gesehen hatte und schon saß sie rittlings darauf und spähte in den nächsten Garten. Der war sehr verwildert, unübersichtlich, voller Bäume und Büsche und Unkraut. Sie suchte sich eine Stelle, wo sie hinunterspringen konnte und krabbelte auf der Mauer dorthin. Unten gab es wildes Gras, keine stacheligen Büsche, keine Brennnesseln. Ein Glück! Aber ganz schön tief. Sie zählte: »Eins – zwei – drei!« – Und saß immer noch auf der Mauer. So ging es nicht.
[ 5] »Jetzt nehme ich mir ganz, ganz fest vor, dass ich bei drei springe. Egal, ob ich Angst habe. Ich springe einfach.« Sie schloss die Augen, zählte und sprang. Geschafft! Diesen Trick hatte ihr Opa ihr verraten. Der funktionierte zuverlässig. Damit könnte sie sogar von einem Hochhaus springen, wenn sie wollte. Wollte sie aber nicht. Ihre Mutter war böse über diesen Trick und hatte ihr gesagt, sie solle den nicht anwenden, weil die Angst ein Freund sei, der auf sie aufpasse. Frauenkram. Opa wusste das besser. Der konnte Geschichten erzählen von seinen Abenteuern! Schade, dass er in einer anderen Stadt wohnte. Der hätte bestimmt nicht vergessen, wenn seine einzige Enkelin ihn nach der Schule besuchen wollte. Der wäre da gewesen und hätte sich gefreut!
[ 5] Nun musste der neue Garten inspiziert werden. Niemand zu sehen, auch an den Fenstern nicht. Keine Gardinen. Schmutz. Eine kaputte Scheibe. Unheimlich! Sie lief an der Mauer entlang, so weit es ging, musste hier und da um eine Ansammlung von Brennesseln oder ein Gebüsch herumgehen und gelangte zu der Mauer, die den Garten nach hinten begrenzte. Sie war genauso hoch wie die andere. Sie ging einfach um die Ecke. Mit wachsendem Unbehagen sah sie sich den weiteren Verlauf der Gartenbegrenzung an: Die Mauer ging nochmal um die Ecke und dann hatte sie wieder das Haus erreicht. Keine Tür, kein Schuppen, kein Kompostkasten, auf den sie klettern konnte: Gefangen!

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xavia

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5. Mathe-Genie

Emma kommt aus der Schule

Der ersehnte Pausen-Gong ertönte und Emma rannte zusammen mit den anderen Kindern der 6a aus dem Klassenzimmer, hörte mit halbem Ohr, wie der Lehrer ihnen noch eine Hausaufgabe hinterherbrüllte: Er schaffte es einfach nicht, die Aufgabe während der Stunde zu stellen und dann wunderte er sich, wenn viele sie gar nicht machten. Aber das kümmerte sie jetzt nicht, sie wollte nur schnell nach Hause und von ihrem Erfolg berichten.
[ 5] So oft kam das nicht vor, dass sie einen Erfolg in Mathe erlebte, aber heute hatten sie bei diesem neuen, jungen Lehrer das Addieren und Subtrahieren von Brüchen gelernt. Ganz neu. Mit einer Geschichte von einem Mister T., der sich durch den Dschungel kämpft. Das hatte Spaß gemacht! Ganz viele verschiedene Rätsel mussten sie für Mister T. lösen und dann kam eine Aufgabe, die konnten die meisten nicht. Dabei war das ganz einfach, genauso wie vorher, nur etwas schwieriger. Und sie konnte es, sie, die sonst manchmal schon Nachhilfe brauchte, um überhaupt zurechtzukommen.
[ 5] Wenn jetzt weiter Brüche dran sein würden, dann könnte sie es allen zeigen. Den Wasserstand von sieben Zehntel auf drei Achtel senken, ja, das hatte sie hinbekommen! Jedes Zehntel musste man in acht Teile teilen und dann konnte man das direkt abzählen. Und sie durfte das auch vorrechnen. Dennis, der sonst immer über sie lästerte, der kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Und Fiona auch. Selbst die konnte das nicht auf Anhieb.
[ 5] Atemlos stand sie vor der Haustür, klingelte. Nichts. Klingelte noch einmal. Wieder nichts. Mist! – Ach, heute sollte sie ja wieder zu Toni gehen, weil ihre Mutter im Krankenhaus lag. Das hatte sie ganz vergessen. Toni würde sich wohl nicht für ihren Erfolg interessieren, die fand Mathe blöd. Aber ihre Mutter, die sagte immmer, sie solle sich Mühe geben, sonst blieben nicht viele Berufe übrig, die sie lernen könnte. Und sie hatte sich Mühe gegeben, ja, das hatte sie!
[ 5] Mit hängenden Schultern, den Blick auf den Boden gerichtet schlenderte sie traurig weiter zu Tonis Wohnung. Als sie um die Ecke bog hielt sie Ausschau nach Tonis rotem Mini. Er stand am Straßenrand, weit weg, und sie erkannte die ihre Tante, als diese gerade einstieg. Das konnte ja wohl nicht wahr sein! Sie rannte los, winkte, rief – vergebens. Toni fuhr los, ohne auf den Fußweg zu sehen. Sie schien nur darauf zu achten, schwungvoll aus der Parklücke zu kommen, um einem Radfahrer gerade noch den Weg abzuschneiden. Der hob böse die Faust, weil er bremsen musste. Und weg war sie.
[ 5] Emma stand vor dem Haus, stampfte mit dem Fuß auf vor Wut, lief schnell noch einmal im Kreis herum, um ihren Ärger abzureagieren und stampfte dann noch mal auf. Gerne hätte sie etwas kaputtgemacht, so wütend war sie. Was sollte sie jetzt tun? Warten? Würde Toni zurückkommen oder sich irgendwo amüsieren ohne an Emma zu denken? Sie sollte ihr etwas zu essen machen und bei den Hausaufgaben helfen.
[ 5] Noch wichtiger: Sie sollte nachher mit ihr ins Krankenhaus fahren, um die zusammengenähte Sehne ihrer Mutter zu bewundern. Eine Sehne, das wusste Emma, das war so ein Band, das im Körper die einzelnen Teile zusammenhielt. Wenn davon eins abriss, dann konnte man sich nicht mehr richtig bewegen und das tat auch noch sehr weh. Das war ihrer Mutter passiert. Beim Sport. Da soll noch mal einer sagen, Sport wäre gesund! Um so eine Sehne wieder zusammenzumachen, musste man das Bein aufschneiden und Drähte hineintun und danach gab es einen Verband, auf dem alle Besucher unterschreiben konnten. So ähnlich wie bei einem Gipsbein, nur nicht so cool.
[ 5] Ein Gipsbein, das wurde später aufgesägt und dann konnte man es mit nach Hause nehmen und an die Wand hängen. Dennis hatte so eines. Der hatte sich mal das Bein gebrochen. Ihre Mutter würde nur einen Verband bekommen. Aber sie hatte sich schon einen Filzstift ausgesucht, mit dem sie unterschreiben wollte. Und ein Eichhörnchen wollte sie zeichnen.

Langweilig! – Sollte sie denn nun den ganzen Tag hier herumsitzen? Nein, sie doch nicht! Nicht an einem Tag wie heute. Sie würde ihren Rucksack loswerden und dann abhauen, sich am Imbiss eine Tüte Pommes kaufen. Die schmeckten sowieso besser als dieses Gemüse-Zeugs bei Toni. Sollte die doch sehen, was sie davon hatte, sie einfach hier sitzenzulassen!
[ 5] Sie wusste, dass man von einem der Nachbargrundstücke aus auf den Hof von Tonis Haus kommen konnte. Von der Straße aus ging das nicht, weil auf beiden Seiten des Hauses noch mehr so große Häuser standen mit einem Eingang oben ins Treppenhaus und einem Eingang unten in den Keller. Beide normalerweise verschlossen. Vom Keller aus konnte man hinten raus, aber das nutzte ihr ja nichts, weil sie nicht hineinkonnte. Sie musste es von draußen versuchen. Also los. Hoffentlich guckte keiner von den Nachbarn, durch deren Gärten sie sich schleichen wollte, aus dem Fenster. Am besten schlich sie sich auf einer Seite rein und auf der anderen raus, dann konnte sie niemand zweimal beobachten und bevor die noch wussten, was sie tun sollten, war sie schon wieder weg und ihr Rucksack lag neben der Hof-Kellertür hinter dem Busch.

In den Garten des Hauses an der nächsten Straßeneinmündung kam sie durch eine Pforte an der Seite des Gartens. Es war ja ein Eckhaus. Zum Nebengarten musste sie über einen Zaun aus Holz klettern. Kein Problem. Hinter den Büschen durch zum nächsten Gartenzaun. Maschendraht. Blöd. Der bog sich, wenn man daran hochkletterte. Von ihrem Versteck aus, unsichtbar für Leute, die aus den Fenstern guckten, sah sie sich um: Ein Apfelbaum. Es wäre leicht, daran hochzuklettern, aber die Zweige gingen nicht über den Zaun. Ein Schuppen stand am Zaun. Eine Regentonne am Schuppen. Na, prima! Sie kletterte auf die Tonne, dann auf das Wellblechdach des Schuppens und sprang hinunter in den Garten von Toni. Geschafft!
[ 5] Gut, dass ihr Plan vorsah, dass sie auf der anderen Seite wieder rauswollte, denn hier würde das kaum funktionieren. Sie konnte ja wohl kaum auf den Schuppen raufspringen. In diesem Garten gab es keinen Schuppen. Sie warf ihren Rucksack in das Gebüsch an der Hauswand neben dem Eingang zum Keller, den würde niemand so leicht sehen. Eine Katze floh mit entsetztem Aufschrei, die hatte da wohl auf eine Maus gelauert. Pech gehabt, liebe Katze. Und Glück für die Maus.
[ 5] Nun konnte sie sich ohne Gepäck auf den Weg machen. Sie begutachtete den anderen Gartenzaun. Ebenfalls Maschendraht, aber dicht am Zaun stand ein schöner, blühender Apfelbaum, dessen Äste im Spätsommer beide Grundstücke mit leckeren Äpfeln versorgen würden. Auf diesen Baum kletterte sie und schwang sich auf den anderen Seite von einem Ast wieder hinunter.
[ 5] Dann wurde es schwierig: Auf der gegenüberliegenden Seite des Gartens gab es eine Mauer. Riesig hoch! Aber glücklicherweise war da ein Kompostkasten, hinten an der Mauer. Aus dunkelgrünem Plastik, mit Deckel, allemal stabil genug für sie. Von dort aus konnte sie sich auf die Mauer hochziehen, wie sie das schon oft in Filmen gesehen hatte und schon saß sie rittlings darauf und spähte in den nächsten Garten. Der war sehr verwildert, unübersichtlich, voller Bäume und Büsche und Unkraut. Sie suchte sich eine Stelle, wo sie hinunterspringen konnte und krabbelte auf der Mauer dorthin. Unten gab es wildes Gras, keine stacheligen Büsche, keine Brennnesseln. Ein Glück! Aber ganz schön tief. Sie zählte: »Eins – zwei – drei!« – Und saß immer noch auf der Mauer. So ging es nicht.
[ 5] »Jetzt nehme ich mir ganz, ganz fest vor, dass ich bei drei springe. Egal, ob ich Angst habe. Ich springe einfach.« Sie schloss die Augen, zählte und sprang. Geschafft! Diesen Trick hatte ihr Opa ihr verraten. Der funktionierte zuverlässig. Damit könnte sie sogar von einem Hochhaus springen, wenn sie wollte. Wollte sie aber nicht. Ihre Mutter war böse über diesen Trick und hatte ihr gesagt, sie solle den nicht anwenden, weil die Angst ein Freund sei, der auf sie aufpasse. Frauenkram. Opa wusste das besser. Der konnte Geschichten erzählen von seinen Abenteuern! Schade, dass er in einer anderen Stadt wohnte. Der hätte bestimmt nicht vergessen, wenn seine einzige Enkelin ihn nach der Schule besuchen wollte. Der wäre da gewesen und hätte sich gefreut!
[ 5] Nun musste der neue Garten inspiziert werden. Niemand zu sehen, auch an den Fenstern nicht. Keine Gardinen. Schmutz. Eine kaputte Scheibe. Unheimlich! Sie lief an der Mauer entlang, so weit es ging, musste hier und da um eine Ansammlung von Brennesseln oder ein Gebüsch herumgehen und gelangte zu der Mauer, die den Garten nach hinten begrenzte. Sie war genauso hoch wie die andere. Sie ging einfach um die Ecke. Mit wachsendem Unbehagen sah sie sich den weiteren Verlauf der Gartenbegrenzung an: Die Mauer ging nochmal um die Ecke und dann hatte sie wieder das Haus erreicht. Keine Tür, kein Schuppen, kein Kompostkasten, auf den sie klettern konnte: Gefangen!
 



 
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