Totgeschrieben - 8. Gefangen

xavia

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8. Gefangen

Emma entkommt aus dem Garten

Fieberhaft überlegte Emma, was nun zu tun sei. Gefangen im Garten eines Geisterhauses, umgeben von hohen Mauern, niemand wusste, dass sie hier festsaß, ihre Mutter im Krankenhaus, unerreichbar fern, ihre Tante garantiert mit anderen Dingen beschäftigt, ihr Handy im Rucksack im Nebengarten. Die einzigen Fenster, aus denen man sie sehen konnte, sahen nicht bewohnt aus. Die Scheiben waren schmutzig und ohne Gardinen, eine sogar kaputt. Rufen? Peinlich.
[ 5] Sie hatte die Mauer schon zweimal umrundet, um nach einer Möglichkeit zu suchen, hinaufzuklettern. Leider ohne Ergebnis. Also wandte sie sich dem Geisterhaus zu. Ob sie durch die Tür in den Keller gelangen konnte? Vielleicht sollte sie ein Kellerfenster einschlagen und hineinklettern. Sie bekam eine Gänsehaut bei dem Gedanken, in dieses Haus zu gehen. Dennoch, hier draußen konnte sie auch nicht bleiben. Sicherlich machte sich ihre Mutter längst Sorgen um sie. Wie spät es wohl war? Wie konnte sie nur so dumm sein, in einen Garten zu springen, ohne zu gucken, ob sie da wieder herauskam! Ein Wunder, dass das nicht schon beim ersten Mal schiefgegangen war.

Sie probierte, die Kellertür zu öffnen. – Abgeschlossen, na klar. Der Weg durch das Haus schien ihre einzige Chance zu sein, hier wegzukommen. Nachdenklich stand sie vor der Tür und sah sie an, als könnte sie sie mit reiner Willenskraft öffnen. Das Fenster an der Kellertür hatte eine rubbelige Glasscheibe mit Metallgitter darin, und es lag ziemlich hoch oben für Emmas Verhältnisse. Erst einmal würde es einen Höllenlärm machen, die Scheibe zu zertrümmern; vielleicht ging das Gitter nicht mit raus und dann wusste sie immer noch nicht, ob sie da hineinklettern könnte. Groß genug war die Öffnung und gegen die Splitter konnte sie ja ihre Jacke über die Kante legen. Das kannte sie aus einem Film. Aber wie sollte sie zu der Öffnung hochkommen? Auch das hatte sie schon im Film gesehen, aber im Making of zeigten sie dann, dass die Helden an einem Seil hochgezogen wurden. Hier gab es niemanden, der sie hochziehen würde. Ziemlich aussichtslos das Ganze.
[ 5] Sie verließ den Kellereingang und ging an der Hauswand entlang nach rechts. Die Kellerfenster waren noch besser gesichert als die Tür; die hatten eine Scheibe und ein Gitter, einzeln. Beides ging nach innen auf und beides war – natürlich! – geschlossen.
[ 5] ›Gib nicht auf, bevor du verloren hast!‹ sagte ihr Opa in solchen Situationen. Also inspizierte sie nacheinander jedes einzelne Kellerfenster und bei jedem raffte sie sich erneut dazu auf, ganz fest daran zu glauben, dass sie dort hineinkommen könnte. Beim letzten auf der linken Seite, direkt neben der Mauer, stellte sich tatsächlich der ersehnte Erfolg ein. Sie rüttelte an dem Gitter, wie schon unzählige Male vorher bei den anderen Fenstern und es bewegte sich. Das Fenster dahinter schwang quietschend auf und das Gitterfenster folgte ihm; beide waren offensichtlich nur angelehnt gewesen.

Ihr Herz klopfte bis zum Hals, als sie in den dunklen Raum hineinspähte. Drinnen roch es nach Keller, irgendwie abgestanden und modrig. Der Fußboden sah rau aus, wie ein Kellerfußboden eben, aus Beton. An den Wänden standen Regale mit Kram darin, ein alter Schrank links neben der Tür, rechts stapelten sich Pappkartons. Mehrere alte Lampen lagen auf einem Haufen in der rechten hinteren Ecke. Etwas Kleines huschte unter das Regal. – Eine Maus oder gar eine Ratte? Oder hatte sie sich das nur eingebildet? Ob die Tür dieses Raumes wohl abgeschlossen war? Wenn ja, dann saß sie noch schlimmer in der Patsche als vorher, wenn sie darin wäre.
[ 5] »Denk nicht zu lange über etwas nach, das dir Angst machen könnte, Emma!« sagte sie sich, zählte bis drei und sprang in den Raum hinein.
 



 
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