Tränen

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Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich begann zu weinen.
Die Tränen liefen die Wangen hinab.
Sie rollten über die Arme.
Über den Bauch.
Bildeten Pfützen im Zimmer.
Überschwemmten die Straße.
Das Viertel.
Die Stadt.
Ließen die Bäche schwellen.
Die Flüsse.
Die Ströme.
Meere überfluteten die Strände.
Ozeane die Länder.
Bis das erste Wasser ins Weltall drang.
Es bildete Planeten.
Ballte sich zu Sonnen zusammen.
Galaxien wurden nass.
Das All kollabierte.
Zum Schwarzen Loch.
Ich saß da und weinte.
 
G

Gelöschtes Mitglied 16600

Gast
Hallo Bernd,

allein die Grundidee, die diesem Gedicht zugrunde liegt, fasziniert mich.
Und auch das Handwerkliche hat mich überzeugt. Allenfalls das "zusammen" in V16 hätte ich weggelassen.

Für mich: Großes Kino!

lg Hans
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich begann zu weinen.
Die Tränen liefen die Wangen hinab.
Sie rollten über die Arme.
Über den Bauch.
Bildeten Pfützen im Zimmer.
Überschwemmten die Straße.
Das Viertel.
Die Stadt.
Ließen die Bäche schwellen.
Die Flüsse.
Die Ströme.
Meere überfluteten die Strände.
Ozeane die Länder.
Bis das erste Wasser ins Weltall drang.
Es bildete Planeten.
Ballte sich zu Sonnen.
Galaxien wurden nass.
Das All kollabierte.
Zum Schwarzen Loch.
Ich saß da und weinte.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich begann zu weinen.
Die Tränen liefen die Wangen hinab.
Sie rollten über die Arme.
Über den Bauch.
Bildeten Pfützen im Zimmer.
Überschwemmten die Straße.
Das Viertel.
Die Stadt.
Ließen die Bäche schwellen.
Die Flüsse.
Die Ströme.
Meere überfluteten die Strände.
Ozeane die Länder.
Bis das erste Wasser ins Weltall drang.
Es bildete Planeten.
Ballte sich zu Sonnen.
Galaxien wurden nass.
Das All kollabierte.
Zum Schwarzen Loch.
Ich saß und weinte.
 
F

Frodomir

Gast
Hallo Bernd,

am Anfang war die Träne...und am Ende auch. Dein Gedicht lässt viele Deutungsmöglichkeiten zu, über den buddhistischen Ansatz "Leben ist Leiden", den nihilistischen Fatalismus "es ist alles sinnlos" oder, um es positiver zu betrachten, der Idee vom "sinnvollen Leid" (immerhin bilden sich in deinem Gedicht Planeten und Sonnen aus Tränen) kann ich mich deinem Werk nähern und bin jedes Mal begeistert!

Weiterhin könnte dieses Gedicht, wie schon deines vom "Energieversorger", die ungebrochene Macht des menschlichen Wirkens abbilden. Immerhin beginnt unser Leben mit einem weinenden Schreien, um sich dann im Laufe der Zeit auf größere und umfassendere Bereiche auszudehnen. Dein Gedicht würde bei dieser Lesart explizieren, dass sich das menschliche Leben schrankenlos verhält und sich, nachdem es die Erde überschwemmt hat, auch des Weltalls bemächtigt. Dort würde es sein unheilvolles Tun vollenden und alles Seiende in ein Nichts (Schwarzes Loch) verwandeln. Der letzte Vers wirkt danach wie eine Höllenstrafe, muss doch das Lyrische Ich in dieser postapokalyptischen Zeit immer noch existieren.

Wenn ich noch weiter denken will, findet in deinem Gedicht auch eine fatale Erlösungsgenese des Menschen statt - so sitzt das Lyrische Ich am Ende in einer eigentlich erhöhten Position, bedauernswerterweise ist es aber allein und kein Gott sitzt ihm zur Seite, wie die Bibel es z.B. einem Jesus versprechen möchte.

Hm, vielleicht schoss ich mit meiner Interpretation vollkommen über das Ziel hinaus, nichtsdestotrotz finde ich dein Gedicht absolut klasse!

Viele Grüße
Frodomir
 
O

orlando

Gast
Ja,
eine genialische Fantasie. - Die gleichwohl so selbstverständlich, so ganz im Bereich des Möglichen daherkommt... denn es ist der Schmerz über das Tun der anderen, noch mehr aber über das eigene, der die Existenz überflutet und doch fruchtbar macht wie ein riesiges Nil-Delta.
Mützenschwingende Grüße
orlando
 

PeterBunzel

Mitglied
Schönes Kopfkino macht das Gedicht!
D.h. die Taktung der Optik / Dramatik / Eskalation ist Dir (zumindest was mich betrifft) perfekt gelungen. Hat mich ein bisschen an den Simpsons Vorspann erinnert, wo so cartoon-mäßig durch´s Weltall gezoomt wird :]
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich danke Euch ganz herzlich, und insbesondere für die Wertung als bestes Lyrik-Werk der letzten zwei Wochen.

Tatsächlich ist die genannte Eskalation ein schönes Mittel.
Man muss nur Steigerungen weiterdenken.

Sehr schön war das Wachstum eines Baumes, über das ich mal Zeichnungen in einem russischen Science-Fiction-Almanach fand.

Der Baum wuchs und wuchs, bis er schließlich den Durchmesser der Erde an Höhe erreichte.
Wegen der physikalischen Gesetze begann dann natürlich die Erde, ihre Bewegung zu verändern. Die Tage wurden länger und der Schwerpunkt verlagerte sich.

PS: Vergleiche auch Thomas Rosenlöchers Garten in Kleinzschachwitz:

DIE VERLÄNGERUNG
Ich lag in meinem Garten bei Kleinzschachwitz
in einem Grün von niegesehnem Ausmaß
und sah, nachdenkend über die Belange
der unerhörten Rose und des Staats,
Komplett hier: http://www.planetlyrik.de/thomas-rosenloecher-schneebier/2014/10/
(Abschnitt: Laudatio auf Thomas Rosenlöcher
– Zur Verleihung des Hugo-Ball-Förderpreises 1990. –")
Rosenlöchers Gedicht ist "wahre" Kunst.
 
O

orlando

Gast
Sehr interessantes Hier-Geklicke. :) Da werde ich in Zukunft öfter vorbeischauen.
 

MIO

Mitglied
Träne

Da hat sich aber etwas angesammelt, klingt als wäre ein Staudamm gebrochen. Jede Träne ist kostbar.
LG MIO
 



 
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