Träume sind Schäume
„Sie sind zauberhaft!“ seufzte er nahe ihrem Ohr. Sie errötete geschmeichelt. Nie zuvor hatte jemand ähnliches zu ihr gesagt! Sie fand den schwergewichtigen Mann zwar wenig attraktiv mit seinen fetten Wangen und überaus breiten Kiefern, aber er war so gebildet und charmant, daß sie sich einwickeln ließ. Der süße Wein tat ein übriges. Sie folgte ihm in seine Wohnung und ließ sich küssen. Sie war einverstanden damit, daß er sie auf sein Lager drückte und seinen Mund ihrem Hals näherte, den er vorher schon stark für seine Zierlichkeit gelobt hatte. Sie erschrak erst, als er mit einem lustvollen Gurgeln seine scharfen Zähne in ihren Hals schlug. Er trank ihr süßes Blut und blickte nach jedem Schluck in ihre angstgeweiteten Augen, bis sie brachen. Nun ging er mit Brachialgewalt daran, ihren Leib aufzubrechen. Er bohrte seine kräftigen, spitzen Fingernägel in ihre zarte Haut und riß sie herunter, fuhr dann in ihren Leib hinein und riß mit Wucht ihre Gedärme heraus. Als dies erledigt war, wurde er sorgfältiger und widmete sich den Organen. Beinahe zärtlich entnahm er die Leber, die Nieren und das Herz und verspeiste sie genüßlich. Danach zerstückelte er die Leiche und verbrannte sie in dem großen Ofen, der das ganze Haus heizte.
In der Zeitung stand bald eine Vermißtenanzeige. Vier Wochen später eine andere. Alle vier Wochen wurde eine einsame Frau mit sehr schlankem Hals vermißt. Kommissar Frohbier grübelte herum, wo die Vermißten abgeblieben sein könnten. Nicht die geringste Spur wurde von ihnen gefunden! Die beiden Eigenschaften, die sie gemeinsam hatten, ließen auf gar nichts schlußfolgern. Er raufte sich die Haare und wußte nicht, was er der Presse sagen sollte ob der Tatsache, daß ein Serienmörder in der Stadt wütete. Er mußte dem Treiben ein Ende bereiten und wußte beim besten Willen nicht wie. Letztendlich entschloß er sich, seine Tochter als Lockvogel einzusetzen, denn auch sie hatte einen sehr schlanken Hals.
„Willi, du sollst doch nicht immer Blümchen auf die neuen Stühle malen, die können wir ja sonst nicht verkaufen!“ schimpfte der Schreinermeister seinen geistig behinderten Sohn aus. Willi wimmerte: „Feine Blümchen, meine Blümchen, male, male Blümchen, Blümchen male, male!“ Er setzte sich in die Ecke und schmollte. „Es ist ein Kreuz mit dem Jungen“, seufzte der Meister. „Aber er ist gottseidank ein ganz lieber und friedlicher. Nur schade, daß er einfach nicht begreift, wo er malen darf und wo nicht.“ Er nahm den Putzlappen und wienerte den Stuhl blank. Dabei überlegte er, was er heute wohl zu Mittag kochen soll. Wenn es nach Willi ginge, müßte es schon wieder Innereien geben. Aber sowas ißt man doch höchstens alle drei Monate und nicht andauernd! Wie hatte er damals gelacht, als der kleine Willi bei den geschmorten Hühnerherzen sagte: „Blümchen essen!“ Da er in letzter Zeit recht gut verdient hatte, entschloß sich der Meister, Schnitzel zu kaufen.
„Guten Tag, Meister Grode“, schallte es von der gegenüberliegenden Straßenseite. Die hübsche Tochter des Kommissars Frohbier kam herüber, um Willi aufzuheitern. Sie hatte eine Schwäche für den Mittdreiziger, der sich wie ein kleines Kind benahm. „Gundi, Gundi“, jauchzte er und schmiegte sein schmales Gesicht an Gundulas Schulter. Sie strich ihm übers Haar und fragte: „Hast du wieder schöne rote Blümchen gemalt, Willi?“ Er flüsterte: „Rote Blümchen, alle aufgegessen.“ Gundula lächelte sanft: „Das glaub ich nicht, daß du Blümchen ißt.“ Willi sang darauf in Kinderliedmanier: „Blümchen, Blümchen, schöne rote Blümchen, süße rote Blümchen . . .“ Gundula kannte die Melodie und stimmte ein. „Das Mädchen ist wie Medizin für mein großes Baby“, dachte Meister Grode.
In der Nacht hatte Gundula einen schrecklichen Traum. Sie sah, wie Willi einen Rosenbusch leerfraß und die Dornen seinen Hals und sogar seinen Bauch aufschlitzten. Er lächelte selig dabei und sang: „Rote Blümchen essen . . .“ Die Dornen fuhren aus seinem Leib und er zog seine Eingeweide heraus und aß sie. Schweißgebadet fuhr Gundula auf. Ihr fiel ein, daß Willi ganz ernst gesagt hatte, er hätte Blümchen gegessen. Was, wenn er der gesuchte Mörder war?
Am anderen Tag wollte Gundula Willi auf die Probe stellen. Sie unterhielt sich ganz belanglos mit ihm und brachte dabei ihren Hals ganz nahe an seinen Mund. Willi knurrte vernehmlich und seine Kinnladen mahlten. Rasch entfernte sie sich und berichtete ihrem Vater von ihrem Verdacht. Der Kommissar wollte es erst gar nicht glauben, er kannte Willi als harmloses Geschöpf, das nicht erwachsen werden konnte. Dann fiel ihm ein, daß es ja Menschen mit gespaltener Persönlichkeit gibt. Er befragte Meister Grode, ob ihm derartiges an seinem Sohn aufgefallen war. „Nee“, sagte der, „Willi hat zwar hin und wieder einen lichten Moment, aber das kann man ja wohl nicht gespaltene Persönlichkeit nennen.“ Der Kommissar war es zufrieden und dachte bei sich: „Träume sind Schäume.“ Das war einen Tag, bevor die Vier-Wochen-Frist verstrichen war.
Am nächsten Tag ging Gundula in ihrer Rolle als Lockvogel spazieren. Es war ihr gar nicht recht, daß ihr Willi begegnete. Seine Gegenwart könnte den Täter davon abhalten, ihre Bekanntschaft zu suchen. Aber sie wollte nicht unfreundlich zu dem armen Behinderten sein und ließ sich auf ein Gespräch ein. Sie wunderte sich sehr, daß Willi ihr plötzlich in wohlgesetzter Rede Komplimente machte. Auch, daß seine Kinnladen immer breiter wurden, erstaunte sie sehr. Es schien so, als hielte Willi sie für eine völlig fremde Person, die er unbedingt zu einem Liebesspiel mit nach Hause nehmen wollte. Sie drückte den an ihrem Körper befestigten Signalknopf, um ihrem Vater das vereinbarte Zeichen zu geben und folgte Willi. Er warf sie auf sein Lager und wollte gerade seine Zähne in ihren Hals schlagen, als endlich die Polizei eintraf. Willi hatte sich inzwischen stark verändert: seine Kiefer waren doppelt so breit wie sonst und seine Fingernägel doppelt so lang. Er setzte sich wie ein Berserker zur Wehr bei seiner Verhaftung, fiel dann plötzlich in sich zusammen und winselte wie ein Hündchen. „Wo hast du die Frauen hingebracht?“ brüllte der Kommissar. Willi wimmerte nur: „Blümchen essen.“ Gundula fragte ihn sanft: „Wo hast du Blümchen gegessen?“ und er zeigte auf sein Lager. „Und wo sind die Dornen?“ wollte Gundula nun wissen. Willi zeigte auf den Ofen. Darin fand man die Knochen der vermißten Frauen.
Heute befindet Willi sich in der Psychiatrie. Sein Vater ist vor Gram gestorben.
„Sie sind zauberhaft!“ seufzte er nahe ihrem Ohr. Sie errötete geschmeichelt. Nie zuvor hatte jemand ähnliches zu ihr gesagt! Sie fand den schwergewichtigen Mann zwar wenig attraktiv mit seinen fetten Wangen und überaus breiten Kiefern, aber er war so gebildet und charmant, daß sie sich einwickeln ließ. Der süße Wein tat ein übriges. Sie folgte ihm in seine Wohnung und ließ sich küssen. Sie war einverstanden damit, daß er sie auf sein Lager drückte und seinen Mund ihrem Hals näherte, den er vorher schon stark für seine Zierlichkeit gelobt hatte. Sie erschrak erst, als er mit einem lustvollen Gurgeln seine scharfen Zähne in ihren Hals schlug. Er trank ihr süßes Blut und blickte nach jedem Schluck in ihre angstgeweiteten Augen, bis sie brachen. Nun ging er mit Brachialgewalt daran, ihren Leib aufzubrechen. Er bohrte seine kräftigen, spitzen Fingernägel in ihre zarte Haut und riß sie herunter, fuhr dann in ihren Leib hinein und riß mit Wucht ihre Gedärme heraus. Als dies erledigt war, wurde er sorgfältiger und widmete sich den Organen. Beinahe zärtlich entnahm er die Leber, die Nieren und das Herz und verspeiste sie genüßlich. Danach zerstückelte er die Leiche und verbrannte sie in dem großen Ofen, der das ganze Haus heizte.
In der Zeitung stand bald eine Vermißtenanzeige. Vier Wochen später eine andere. Alle vier Wochen wurde eine einsame Frau mit sehr schlankem Hals vermißt. Kommissar Frohbier grübelte herum, wo die Vermißten abgeblieben sein könnten. Nicht die geringste Spur wurde von ihnen gefunden! Die beiden Eigenschaften, die sie gemeinsam hatten, ließen auf gar nichts schlußfolgern. Er raufte sich die Haare und wußte nicht, was er der Presse sagen sollte ob der Tatsache, daß ein Serienmörder in der Stadt wütete. Er mußte dem Treiben ein Ende bereiten und wußte beim besten Willen nicht wie. Letztendlich entschloß er sich, seine Tochter als Lockvogel einzusetzen, denn auch sie hatte einen sehr schlanken Hals.
„Willi, du sollst doch nicht immer Blümchen auf die neuen Stühle malen, die können wir ja sonst nicht verkaufen!“ schimpfte der Schreinermeister seinen geistig behinderten Sohn aus. Willi wimmerte: „Feine Blümchen, meine Blümchen, male, male Blümchen, Blümchen male, male!“ Er setzte sich in die Ecke und schmollte. „Es ist ein Kreuz mit dem Jungen“, seufzte der Meister. „Aber er ist gottseidank ein ganz lieber und friedlicher. Nur schade, daß er einfach nicht begreift, wo er malen darf und wo nicht.“ Er nahm den Putzlappen und wienerte den Stuhl blank. Dabei überlegte er, was er heute wohl zu Mittag kochen soll. Wenn es nach Willi ginge, müßte es schon wieder Innereien geben. Aber sowas ißt man doch höchstens alle drei Monate und nicht andauernd! Wie hatte er damals gelacht, als der kleine Willi bei den geschmorten Hühnerherzen sagte: „Blümchen essen!“ Da er in letzter Zeit recht gut verdient hatte, entschloß sich der Meister, Schnitzel zu kaufen.
„Guten Tag, Meister Grode“, schallte es von der gegenüberliegenden Straßenseite. Die hübsche Tochter des Kommissars Frohbier kam herüber, um Willi aufzuheitern. Sie hatte eine Schwäche für den Mittdreiziger, der sich wie ein kleines Kind benahm. „Gundi, Gundi“, jauchzte er und schmiegte sein schmales Gesicht an Gundulas Schulter. Sie strich ihm übers Haar und fragte: „Hast du wieder schöne rote Blümchen gemalt, Willi?“ Er flüsterte: „Rote Blümchen, alle aufgegessen.“ Gundula lächelte sanft: „Das glaub ich nicht, daß du Blümchen ißt.“ Willi sang darauf in Kinderliedmanier: „Blümchen, Blümchen, schöne rote Blümchen, süße rote Blümchen . . .“ Gundula kannte die Melodie und stimmte ein. „Das Mädchen ist wie Medizin für mein großes Baby“, dachte Meister Grode.
In der Nacht hatte Gundula einen schrecklichen Traum. Sie sah, wie Willi einen Rosenbusch leerfraß und die Dornen seinen Hals und sogar seinen Bauch aufschlitzten. Er lächelte selig dabei und sang: „Rote Blümchen essen . . .“ Die Dornen fuhren aus seinem Leib und er zog seine Eingeweide heraus und aß sie. Schweißgebadet fuhr Gundula auf. Ihr fiel ein, daß Willi ganz ernst gesagt hatte, er hätte Blümchen gegessen. Was, wenn er der gesuchte Mörder war?
Am anderen Tag wollte Gundula Willi auf die Probe stellen. Sie unterhielt sich ganz belanglos mit ihm und brachte dabei ihren Hals ganz nahe an seinen Mund. Willi knurrte vernehmlich und seine Kinnladen mahlten. Rasch entfernte sie sich und berichtete ihrem Vater von ihrem Verdacht. Der Kommissar wollte es erst gar nicht glauben, er kannte Willi als harmloses Geschöpf, das nicht erwachsen werden konnte. Dann fiel ihm ein, daß es ja Menschen mit gespaltener Persönlichkeit gibt. Er befragte Meister Grode, ob ihm derartiges an seinem Sohn aufgefallen war. „Nee“, sagte der, „Willi hat zwar hin und wieder einen lichten Moment, aber das kann man ja wohl nicht gespaltene Persönlichkeit nennen.“ Der Kommissar war es zufrieden und dachte bei sich: „Träume sind Schäume.“ Das war einen Tag, bevor die Vier-Wochen-Frist verstrichen war.
Am nächsten Tag ging Gundula in ihrer Rolle als Lockvogel spazieren. Es war ihr gar nicht recht, daß ihr Willi begegnete. Seine Gegenwart könnte den Täter davon abhalten, ihre Bekanntschaft zu suchen. Aber sie wollte nicht unfreundlich zu dem armen Behinderten sein und ließ sich auf ein Gespräch ein. Sie wunderte sich sehr, daß Willi ihr plötzlich in wohlgesetzter Rede Komplimente machte. Auch, daß seine Kinnladen immer breiter wurden, erstaunte sie sehr. Es schien so, als hielte Willi sie für eine völlig fremde Person, die er unbedingt zu einem Liebesspiel mit nach Hause nehmen wollte. Sie drückte den an ihrem Körper befestigten Signalknopf, um ihrem Vater das vereinbarte Zeichen zu geben und folgte Willi. Er warf sie auf sein Lager und wollte gerade seine Zähne in ihren Hals schlagen, als endlich die Polizei eintraf. Willi hatte sich inzwischen stark verändert: seine Kiefer waren doppelt so breit wie sonst und seine Fingernägel doppelt so lang. Er setzte sich wie ein Berserker zur Wehr bei seiner Verhaftung, fiel dann plötzlich in sich zusammen und winselte wie ein Hündchen. „Wo hast du die Frauen hingebracht?“ brüllte der Kommissar. Willi wimmerte nur: „Blümchen essen.“ Gundula fragte ihn sanft: „Wo hast du Blümchen gegessen?“ und er zeigte auf sein Lager. „Und wo sind die Dornen?“ wollte Gundula nun wissen. Willi zeigte auf den Ofen. Darin fand man die Knochen der vermißten Frauen.
Heute befindet Willi sich in der Psychiatrie. Sein Vater ist vor Gram gestorben.