Transportprobleme in den Zeiten von Corona

hein

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„Verfickte Scheiße! Die können mich doch alle!“

Marcello wirft den Hörer auf das bereits allseits ramponierte Telefon. Sein schwammiges Gesicht zeigt eine Röte, die Uneingeweihten als unbedingte Indikation für eine Aufnahme auf die Intensivstation einer Herzklinik erscheinen würde. Diejenigen, die ihn kennen, wissen aber, dass er schon erheblich schlechter ausgesehen hat und er heute also noch ganz gut drauf sein muss.

>Warum habe ich damals bloß überreden lassen, das Transportunternehmen zu übernehmen? Warum habe ich es nicht gemacht wie mein Vetter Guiseppe? Dann würde ich jetzt in meinem geschlossenen Restaurant sitzen und mich von den jungen Kellnerinnen am Bauch kraulen lassen.<

Das Telefon hat nur die einmalige Chance zum Klingeln. Dann hat Marcello schon den Hörer in der Hand und brüllt:

„Karl-Heinz, du Hund, was willst du? Was, wieso? Die Ladung Orangen muss doch schon da sein! Nein? Dann kommt sie aber gleich, höchstens ein-zwei Stunden! Was, du willst mir diesmal wirklich den Vertrag kündigen? Das sagst du mir seit 20 Jahren, das geht mir am Arsch vorbei!“

>Diese Deutschen! Ganz Europa bricht zusammen wegen dieses Virus, und die machen Aufstand nur weil sie der 89-jährigen Oma noch eine Schale mit Obst neben das Beatmungsgerät stellen wollen. Als wenn ich nicht ganz andere Probleme hätte!<

Wieder greift er zum Hörer:

„Luca, was ist mit dem LKW aus Bergamo? Steht immer noch auf diesem Rastplatz in Österreich? Was, Motorschaden? Was soll das, das geht doch nicht, wir brauchen die Ladung! Und er darf da nicht weg, wegen der Quarantäne? Auch nicht in die Werkstatt? Scheiße!

Schick Nicolo hin mit dem Siebeneinhalb-Tonner und zwei Mann. Die sollen die spezielle Fracht umladen und so schnell wie möglich herbringen, subito!“

>Was für ein Mist. Erst verzögert sich die Herstellung weil der Chemiker die Impertinenz besitzt und an dieser harmlosen Infektion stirbt! Und dann beschlagnahmt die unfähige Regierung auch noch das Labor, um dort diese völlig überflüssigen Tests durchführen zu lassen. Man sieht doch, wer krank ist oder nicht! Das muss man doch nicht auch noch testen!

Und jetzt steht diese halbe Tonne Koks an der Autobahn in Österreich und ich komme nicht heran. Ausgerechnet auch noch die Lieferung für Frankfurt! Wo die Spekulanten und Banker doch gerade in der derzeitigen stressigen Situation jedes Gramm brauchen.

Die Ladung für Berlin umleiten? Geht nicht, dort ist die Lage nicht besser, der Bedarf im Moment sogar deutlich höher als gewöhnlich. Da brauchen wir eher noch mehr.

Ich kann den Markt doch nicht den Albanern überlassen. Diese Kreaturen bekommen ihre gute kolumbianische Ware über Rotterdam. Dort läuft es wenigstens. Mit ihrer nordeuropäischen Arbeitseinstellung fischen die holländischen Kontrolleure jeden heraus, der ein wenig rot im Gesicht ist, und schicken ihn für zwei Wochen in Quarantäne. Da sieht man dann, ob er an der Seuche krepiert oder ob er nur gerade an den knackigen Arsch der Sekretärin in der Zollabfertigung gedacht hatte.

Aber der Warenverkehr läuft reibungslos, ohne Verzögerungen, europäisch korrekt! Sind eben keine Italiener!<

Das Telefon wird wieder strapaziert:

„Luca, sag Marco er soll sich ein paar Polen schnappen, diese wie Russen aussehen lassen und mit ihnen zwei dieser speziellen Container von der Autobahn fischen. Dann können sich die Albaner an den Russen abreagieren, und wir verlieren keine Kunden.

Ich will einen der Container morgen Abend in unserem Verteilzentrum in Offenbach, den anderen in Berlin haben! Wenn das nicht klappt kann er sich freuen wenn ihn die Seuche erwischt bevor ich ihn in die Finger bekomme!“

Marcello greift zur Kaffeetasse und nimmt einen Schluck.

>Pfui Teufel, was für ein Gebräu. Es ist doch zum Kotzen das Chiara sich um die Kinder kümmern muss, anstatt mir hier den Kaffee zu machen. Wir sind doch genauso systemrelevant wie Ärzte, Krankenschwestern oder die Kassiererin bei ALDI! Da kann man doch wohl verlangen das auch unsere Kinder eine Notbetreuung erhalten!

Und meine Familie?

Mein Sohn sitzt seit Wochen in einem Keller und verzockt mein schwer verdientes Geld. Aber immer noch besser als der Schaden, den er in seiner grenzenlosen Unfähigkeit hier anrichten würde.

Ginevra, die Schwiegertochter? Die bekommt gerade in einer Klinik in Bielefeld die Titten gerichtet. Dort hat man eine ganze Station für Seuchenpatienten umgebaut und kassiert jetzt vom Staat dicke Tagessätze für jedes einzelne Zimmer. Letzte Woche wurde der Trakt dann aber wegen angeblicher Hygienemängel geräumt und die Patienten auf den Flur der allgemeinen Abteilung verlegt. Jetzt kann der Chefchirurg dort wieder ungestört die unaufschiebbaren Schönheitsoperationen durchführen.

Und meine Frau muss inzwischen die beiden Enkel bei Laune halten. Wenn ich heute Abend nach Hause komme wird sie mir genau wie gestern wieder mit heißen Augen die verdiente Entspannung im Bett versprechen. Aber ehe sie dann die Plagen zur Ruhe hat bin ich längst schon eingeschlafen.<

Er schiebt die Tasse zur Seite und greift zum Telefon:

„Luca, sind die Orangen inzwischen bei Karl-Heinz angekommen? Ja? Gut! Wenigstens was!“
 



 
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