Trauerweide

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brain

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14. Dezember 1857
Falling Cross, Sussex, England

Es gibt Dinge, an die ich oft denken muss. Vergangenes. Mein Name ist George T. Hoag. Geboren wurde ich 1814 in London, in einer Gegend die man zu jener Zeit Waterbridge nannte und nach Einbruch der Dunkelheit besser mied. In den
Seitenstraßen gab es Männer ohne Gesicht, die Namenlosen verbotene Dinge
verkauften. Eine Fahrkarte ins Traumland, oder ein Messer, welches wenig
später blutverschmiert mit einem Zettel und einer Nummer versehen auf dem Schreibtisch einer Polizeistation lag. Als ich acht Jahre alt war, erschoss mein Vater
meine Mutter und beging danach Selbstmord. Ein vom Leben enttäuschter Mann,
dem Alkohol verfallen und dem Wahnsinn nahe. Meine Tante in Oxford nahm mich
bei sich auf. Sie war mir in ihren letzten Jahren eine strenge aber gute Mutter. Das Dorf, in dem ich von da an meine Kindheit verbrachte, war durchzogen von den Strängen altirischer Kultur. Manche Wohnzimmerwand wurde geschmückt vom Bildnis von Rob Roys, dem wohl bekanntesten irischen Piraten, und es gab wohl kaum eine Seele die nicht wusste wie Westerglocken klangen.
Old Wester Vale hieß fortan mein Zuhause, und ich passte ebenso wenig in die
Umgebung dieses friedlichen und sympathischen Dorfes wie ein Fuchs in einen
Kaninchenbau.
Hierzu muss ich erwähnen, dass die mangelnde Erziehung, welche mir in Waterbridge zuteil geworden war, mich in eben jenem Dorf rasch zum Außenseiter werden ließ. Die Weiber der Dorfältesten erwiderten keinen meiner doch ernst gemeinten Grüße; wussten sie doch, dass ich es war, der ihre hinter ihren Hütten zum Trocknen aufgehängten weißen Laken mit Dreck beworfen hatte, und der die in ihrem Garten ausgestreute Saat bei einem Ritt auf einem Traumschimmel zertrampelt hatte.
Nun, es gab wahrlich genug Scherereien um meine noch ungeformte und vulgäre
Person.
Erst als ich widerwillig eingeschult worden war, eröffnete sich mir ein Freundeskreis, welchem ich noch lange danach sehr verbunden war, und dessen Glieder mir immer gute und treue Freunde waren.
Doch zu jener Zeit war ich bei den Kindern des Dorfes mehr als nur ein Fremder. Ich war eine Attraktion. Ein schon früh vom Leben geprüfter Junge, dessen Erfahrungen weit über die der Gleichaltrigen hinausgingen.
Peter Jesterfield, Mark Greenway, Robert O’Toole und Timothy Severin waren die Armee, welche von mir befehligt wurde. Wir nannten uns BLACKTREE, denn unser Hauptquartier war die pechschwarze Trauerweide am Rande der Malcolm - Felder, die seit Menschengedenken keine grünen Triebe mehr hervorgebracht hatte.
Man sagte sich hinter vorgehaltener Hand, sie sei verhext. Die Weide sei einer der tausend Finger des Gehörnten, welche überall auf der Erdkugel aus dem Boden sprossen und Tod und Verderben gebärten. Sie war von gespenstischer Faszination, und ich glaube bis zum heutigen Tage noch nicht begriffen zu haben welch bestialische Macht sie über mich hatte, oder immer noch hat. Manchmal, wenn wir in ihrem alles verdunkelnden Schatten saßen, und versuchten, uns mit einem kleinen Feuer der Kälte zu erwehren, die sie immer umgab, fühlte ich mich, als wäre ich nach einem langen Ritt auf meinem Traumschimmel wieder zu Hause eingekehrt, wo die Gesichtslosen mit den Namenlosen verbotene Geschäfte trieben.
Aber ich schweife ab.
Ich komme besser möglichst schnell auf den Kern dieser Aufzeichnungen, denn die Zeit wartet nicht auf deren Beendigung.
Gregory Imp. Der unscheinbare verunsicherte Junge mit den Segelohren und
den ewig durchlaufenen Schuhen.
Ich weiß nicht wie es dazu kam, aber irgendwie verwickelte ich mich selbst in ein, wie ich es später nannte, Missgeschick, wobei ich einem beleibtem, Sprüche klopfenden Jungen, der undies auch noch älter war als ich, einen Arm brach und zwei Zähne ausschlug, als dieser Gregory schikanierte. Greg.
Bis heute wünschte ich, damals nicht eingegriffen zu haben, denn nach diesem Vorfall wurde ich ihn nicht mehr los. Gleich wie oft ich ihn anschrie, gleich wie oft ich ihn verprügelte. Er folgte mir wie ein treuer Hund, und wie mir schien, notfalls bis in den Tod.
Es ging soweit, dass er BLACKTREE beitreten wollte, und nichts in der Welt konnte ihn davon abbringen. Peter, Mark, Timothy und Robert erhoben keinen Einspruch; waren sie doch wie er nur ziellose Soldaten, welche auf dem Schlachtfeld " Leben " nach ihrem Führer suchten. Ebenso naiv wie unvoreingenommen gegenüber Greg.
Mit einem Male sah ich einen Weg meinen verhassten Lakaien loszuwerden.
Um ein BLACKTREE - Soldat zu werden, musste man eine Mutprobe bestehen.
Sie bestand darin, bei Nacht und Nebel in den klauenartigen Ausläufern der
schwarzen Trauerweide zu verweilen.
Niemand wagte es mir gegenüber sein Unbehagen zu zeigen, welches alle meine
Kumpane verspürten, denn Greg sollte die Probe allein bestehen, ohne unser
Beisein, welches in dazu gezwungen hätte Mut zu zeigen, dessen war ich mir
sicher. Sollte er doch in der Nacht mit durchnässten Hosen und weiberartigem Geschrei über die Malcolm - Felder in Richtung Dorf zurückgeeilt kommen, sodass er mich und meine Mannen in Zukunft meiden würde.
So ließen wir ihn allein zurück, an jenem von den Dorfbewohnern und jetzt auch von mir verfluchtem Ort.
Ohne Schlaf wälzte ich mich in meiner Kammer auf dem Boden, krank vor Gewissensbissen, krank von der offensichtlichen Tatsache, selbst ein Namenloser geworden zu sein, und der lähmenden Gewissheit, die Weide kalt und gesichtslos geifern zu spüren. Lange bevor der Hahnenschrei durch Old Wester Vale schallte, hatte ich mich mit meinen Lumpen bekleidet und war, auf dem Weg zu der Trauerweide, auf meine Armee gestoßen, die anscheinend dasselbe Unbehagen gespürt hatte wie ich.
Gemeinsam liefen wir durch die Seitengassen, passierten den Dorfplatz und überquerten die Malcolm - Felder, an deren Ende die Weide trohnte, dunkel und unheilvoll.
Man konnte kaum die Hand vor Augen sehen, denn der Nebel, der sich in amorphen
Massen, geräuschlos schleichend, einem Leichentuch gleich, über das Land legte, ließ uns erblinden. Bis zum Anbruch des nächsten Morgens suchten wir, und stellten, nachdem der Nebel sich gelichtet hatte, fest, nur im Kreis gelaufen zu sein. In einem deformierten Oval um die Weide, als hätte sie versucht uns zu halten, oder Schlimmeres.
Gregory Imp war verschwunden. Am Fuße des verhassten Baumes lag ein zerfetzter Schuh, der zweifellos Greg gehört hatte.
Von Wut und Entsetzen gepackt, liefen wir dorfeinwärts zu unseren Häusern, und bewaffneten uns. Greg war von den anderen akzeptiert worden, und wenn ich auch gegen ihn gewesen war; wir mussten ihn rächen. Ohne uns abgesprochen zu haben, erschienen wir alle fünf bei der Teufelsweide, jeder eine Axt oder ein Beil mit sich tragend.
Eine Weile schien es, als wären die Klänge der Natur verstummt, als hätte die gigantische Kugel, auf der wir leben, aufgehört sich zu drehen.
Die Zeit schien still zu stehen, als es begann.
Ich schlug als erster zu. Meine Axt traf auf verwittertes, steinhartes Holz, konnte jedoch eine tiefe Furche in den Stamm reißen, aus der sofort Harz quoll, wie vergiftetes, geronnenes Blut.
Äste begannen nach uns zu schlagen, und mir war als hätte sich die Luft verändert; es roch nach Untergang. Leise obskure Schreie drangen aus dem Erdreich gen Oberfläche, die aus mehreren Kehlen, jedoch nur aus einem Munde zu kommen schienen.
Ich war wie von Sinnen, und bemerkte zuerst nicht einmal, dass ich auf einmal alleine vor der Weide stand und mit meiner Axt auf ihren Körper einschlug.
Um mich herum wirbelte die Erde auf, wie von unsichtbarer Hand bewegt.
Vögel fielen tot vom Himmel. Das Harz benetzte mich wie eine zweite Haut, als ein kräftiger Ast mich am Kopf traf.
Ich muss bewusstlos gewesen sein, denn als ich erwachte standen alle Bürger und Bürgerinnen von Old Wester Vale um mich herum und redeten aufgeregt miteinander. Robert, Timothy, Peter und Mark waren ebenfalls bei mir, bandagiert und blau an Gesicht und Armen. Wo die Weide hätte stehen müssen, zeugte nur noch ein tiefes, grob geschlagenes Loch im Boden davon, dass hier einmal die Wurzeln und Triebe eines Baumes das Erdreich durchzogen hatten. Wir mussten unsere Tat nicht rechtfertigen, denn alle wussten, was geschehen war. Mit Ausnahme der Tatsache, dass wir Gregory Imp in den Tod haben gehen lassen.
Ich will dieses Geheimnis nicht mit ins Grab nehmen, wie meine Armee es tat. Robert O’Toole verblich Januar 1854 an einem plötzlichem und sehr starkem Nervenfieber. Peter Jesterfield verschwand 1855 im Norgia - Forest bei Canterbury, ebenso wie Mark Greenway, der im Herbst vergangen Jahres von einer Studienreise nach London nicht zurückkehrte, und Timothy Severin erlag November 1856 einem Herzleiden, welches ebenso plötzlich auftrat, wie jene pechschwarzen Weidentriebe im Vorgarten meines Landhauses.
Das Jahr geht zu Ende, und so meine Zeit.
 

Brana

Mitglied
Eine faszinierende Geschichte. Geht ja schon ein wenig in Grusel über :eek: *schüttel* wirklich gut. Du schreibst spannend und fesselnd.
Zu beanstanden hab ich eigentlich nichts. ;)
 



 
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