treibgut

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Mimi

Mitglied
meinst du man könnte sie aufwiegen
in messingschalen
die seelen der glücklosen
die das glück suchten
und es nicht fanden

dort
wo wellen tosen und die tiefe gräben schaufelt
mit wässrigen tentakeln
das klare sich trübt und kräuselt
treibt er

der torso menschlicher verletzbarkeit
wenn er wie eine seerose
sich dreht und dreht
bis an die klippen der meere
die alles ausspucken

meinst du man könnte es aushalten
das menschliche treibgut
an sandigen landzungen
von muscheln bespickt
wer könnte es auflesen

das glücklose
zwischen den sandkörnern wie donnerkeile
ihm einen namen geben
an dem die fluten der wellen nicht lecken
das salz von gesichtern
 
G

Gelöschtes Mitglied 13736

Gast
Mimi! Du kommst jetzt sofort aus dem Wasser!
 
G

Gelöschtes Mitglied 21589

Gast
Hallo Mimi,

dein Gedicht hat eine melancholisch-philosophische Stimmung, das mag ich gern. Gleichsam leidet dein Gedicht für mich aber ein wenig an seinen Ausschweifungen. Ich weiß, dass dies dein Stil ist, aber in diesem Fall verliert sich für mich der Text dadurch etwas im Ungefähren. Ich habe als Leser oft das Gefühl, dass ich mir mehr Verdichtung im Text wünschen würde, aber wenn ich dann genau nachschaue, welcher Vers eventuell entfernt werden könnte, fällt es mir schwer, einen zu nennen, weil es dann doch wieder zu sehr ins Gesamtgefüge eingreifen würde. Ich versuche es trotzdem mal an einem Beispiel zu erklären - nehmen wir Strophe 1:

meinst du man könnte sie aufwiegen
in messingschalen
die seelen der glücklosen
die das glück suchten
und es nicht fanden
Ich finde, diese Strophe fängt spannend an, aber durch die letzten beiden Verse verschwimmt diese Spannung etwas. Ich denke, dies liegt daran, dass die Wortwahl hier zu sehr ins Abstrakte kippt. Der konkrete Ankerpunkt in Strophe 1 sind die Messingschalen, darunter kann ich mir etwas vorstellen und habe direkt ein Bild vor Augen. Dieses Bild hat genug Kraft, um auch noch die nicht mehr greifbaren seelen der glücklosen zu stützen, aber für die letzten beiden Zeilen reicht diese Kraft in meinen Augen nicht mehr. Da habe ich das Bild bereits verloren und finde keinen richtigen Zugang mehr.

Ab der 2. Strophe nun beginnt das Gedicht größtenteils in Meeresmetaphern - und vergleichen zu sprechen. Aber auch hier habe ich dasselbe Problem: Die Wortwahl neigt sich dem Konkreten zu, doch immer, wenn sich mir gerade ein Bild vor Augen entwickeln will, verliere ich dieses durch den Hang zum Abstrakten. Beispiele dafür sind:

das klare sich trübt und kräuselt
der torso menschlicher verletzbarkeit
das glücklose
zwischen den sandkörnern wie donnerkeile
Dieses Changieren zwischen den Welten lässt mich mit dem Gefühl zurück, dass ich beim Lesen deines Gedichtes nicht wirklich etwas Greifbares in der Hand habe. So fühle ich, wenn es das Gedicht zu Ende gelesen habe, ein irgendwie unbefriedigtes Gefühl und will es nochmal lesen, in der Hoffnung, doch noch mehr herausholen zu können.

Ich hoffe, du kannst mit meiner Kritik etwas anfangen, denn es fiel mir schwer, meinen Leseeindruck in die richtigen Worte zu bringen.

Liebe Grüße
Frodomir
 
G

Gelöschtes Mitglied 22298

Gast
hätte was zum meckern:

und es nicht fanden

wo wellen tosen und die tiefe gräben schaufelt
alternativ: wo wellen tosen über tiefe gräben

die dritte strophe verdichtet:

der verletzte torso
wenn er als seerose
sich dreht und dreht
bis an die klippen
die alles ausspucken


an dem die fluten der wellen nicht lecken


sonst sehr schön, bildlich gefällig, stimmungsvoll

gruß
gun.
 

Mimi

Mitglied
Vielen Dank den Wertern für die vielen Sternchen.

Das freut mich doch sehr!

Grüße an alle
Mimi
 

Mimi

Mitglied
Lieber Frodomir,
Danke für Deine feine Kritik... ich freue mich immer Deine Anregungen und Gedanken zu meinen Gedichten zu lesen.
Du weißt um die Eigenheit meines Schreibstils, wir waren da in der Vergangenheit oftmals unterschiedlicher Auffassung.
Umso mehr freut es mich, dass Du meine Werke immer noch gerne kommentierst.
Was mich persönlich ein wenig ratlos macht, ist , dass scheinbar der politische Hintergrund oder Leitgedanke hinter dem Gedicht nicht richtig beim Leser angekommen zu sein scheint...
Das mag in erster Linie an der Autorin selbst gelegen haben...
Meine Intention war es, ein politisches Gedichte zu schreiben, in dem der Hauptkern des politischen Themas, Flucht und Flüchtlinge, sich poetisch einfügt zu einem lyrischen Geflecht , ohne dabei die dominantere Dynamik zu sein.
Vielleicht war das Thema nicht deutlich genug ausgearbeitet... vielleicht ist zu viel poetische Dominanz in politischen Gedichten eher nachteilig, oder geht zu Lasten der eigentlichen Aussage eines Textes...

Da fällt mir Brecht ein:

Flach, leer, platt werden Gedichte, wenn sie ihrem Stoff seine Widersprüche nehmen (...)
Geht es um Politik, so entsteht dann die schlechte Tendezdichtung:
Man bekommt tendeziöse Darstellungen (...)
welche allerhand auslassen, die Realität vergewaltigen, Illusionen erzeugen sollen.
Man bekommt mechanische Parolen , Phrasen...


Na ja... politischen Gedichte sind alles andere als einfach...

Danke , auch an Gunnar, für seinen konstruktiven Kommentar.

Liebe Grüße
Mimi
 
G

Gelöschtes Mitglied 19299

Gast
Meine Intention war es, ein politisches Gedichte zu schreiben, in dem der Hauptkern des politischen Themas, Flucht und Flüchtlinge, sich poetisch einfügt zu einem lyrischen Geflecht , ohne dabei die dominantere Dynamik zu sein.
Liebe Mimi,

das ist Dir wirklich gelungen!

LG
Keram
 
G

Gelöschtes Mitglied 22614

Gast
Lieber Mimi,

Du schreibst (wie zitiert man hier?):
Meine Intention war es, ein politisches Gedichte zu schreiben, in dem der Hauptkern des politischen Themas, Flucht und Flüchtlinge [...]

Ich muss gestehen, ich dachte hier an innere "Befindlichkeiten", die schön - "ausschweifend" (Zitat Frodomir: "Ausschweifungen") - erzählt sind. Also, ich kam jetzt nochmals her und las überrascht von deinen Intentionen.

Sollen das dann Leichen sein?:

"der torso menschlicher verletzbarkeit"


"das menschliche treibgut
[...]
von muscheln bespickt
[...]

das glücklose
zwischen den sandkörnern wie donnerkeile
[...]
an dem die fluten der wellen nicht lecken
das salz von gesichtern

Nein, oder, da verstehe ich etwas falsch, oder? Dein Eintrag hat mich jetzt völlig irritiert.

LG
atira
 

Mimi

Mitglied
Hallo atira,
Du darfst mich gerne mit Liebe Mimi anschreiben :p.

Also, ich kam jetzt nochmals her und las überrascht von deinen Intentionen.
...warst Du wirklich so überrascht?

Ich muss gestehen, ich dachte hier an innere "Befindlichkeiten"
Nein, die gesamte Komposition des Gedichts hat nichts mit inneren "Befindlichkeiten" zutun.
Klar, die Deutung der rhetorischen Mittel im Gedicht, fordert vom Leser eine besondere "Lesehaltung" ( um es mal so auszudrücken)...
Poetische Sprache ist ja nicht nur Vermittler einer Information oder Inhalts... sie ist auch selbst Bestandteil dessen.

Liebe Grüße
Mimi
 
G

Gelöschtes Mitglied 21589

Gast
Liebe Mimi,

vielen Dank für deine Antwort. Ja, ich erinnere mich, dass wir nicht immer derselben Meinung waren - aber immerhin verbindet uns das Interesse an Literatur und darüber können wir doch ganz gut reden ;)

Und hier ging es mir tatsächlich wie atira - ich habe die politische Intention deines Gedicht nicht erkannt, sondern ging auch davon aus, dass dein Text ein philosophisch-emotionales Thema beschreibt. Meiner Meinung nach hast du in deinem Antwortkommentar schon selbst den Finger gut in die Wunde gelegt und erkannt, weshalb dein Gedicht bei einigen nicht die erhoffte Wirkung erzielt hat.

Mit meinen Worten würde ich es so ausdrücken: Während andere politische Gedichte oftmals ihre Botschaft dem Leser mit dem Vorschlaghammer ins Hirn zimmern, verliert sich das deine in einer Freude an lyrischen Umschreibungen, sodass Botschaft und Fokus des Textes, ohne dass man durch eine Erklärung darauf hingewiesen wird, nicht mehr unbedingt zu erkennen sind. Ich befürchte deshalb, dass dir dein Schreibstil bei diesem Thema mehr im Wege steht als er dir nützt. Inhalt und Form kongruieren hier für mich nicht unbedingt miteinander - die Form passt eher zu Liebeslyrik und Würdevollem, der Inhalt soll aber von Tod und Vertreibung handeln.

Ich würde an diesem Gedicht dennoch nichts mehr ändern, zumal es ja auch bei vielen Lesern richtig gut angekommen ist. Aber wenn du auch ein bisschen auf deinen guten alten Kritiker Frodomir hören möchtest: Ich glaube, dein Stil verträgt auch die ein oder andere Erweiterung seines Repertoires, ohne dass du gleich alles über den Haufen werfen musst. Vielleicht lässt er sich auch auf politische Gedichte anwenden, ohne seinen meiner Meinung nach exotischen Charme zu verlieren, aber auch ohne sich in diesem Charme zu verlieren :)

Liebe Grüße
Frodomir
 



 
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