Trompetenpaul - eine Weihnachtsgeschichte a' la Püttmann

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Trompetenpaul

Ich erinnere mich noch sehr genau. Dat war am 20. Dezember 1968.
Die Nacht zuvor hatte et ununterbrochen geschneit, und et hielt sich dran. So viel Schnee kurz vor Weinachten – dat kam im Ruhrpott alle Jubeljahre nur einmal vor. Ich schaufelte bereits vor dem Frühstück dat zweite Mal schweißtriefend die Schneemassen vom Bürgersteig.

Gegen zehn Uhr stand ein junger Mann vor unserer Tür. Wie son
nassen Hund schüttelte er sich den Schnee ausse Klamotten.
Er trug n verschlissenen grauen Mantel, der ihm mindestens zwei Nummern zu groß war. Niedergeschlagen wirkte er. Sein blasset Gesicht und tiefe, dunkle Augenränder verhießen nix Gutet.
Er stellte sich kaum hörbar vor:
„Mein Name iss Jimmy Kotthusen, ich bin der Sohn von Paul Kotthusen.
Mein Vater ist gestern Morgen an einem Asthmaanfall verstorben.“
Er schluckte und sprach leise weiter:
„Die Beerdigung ist am 23. Dezember um 11 Uhr. Würden Sie vielleicht ein paar Worte am Grab sprechen?“
Berta und ich starrten uns entsetzt an. „Herr Kotthusen, dat iss doch wohl nich wahr. Ihr Vater, unser ‚Trompetenpaul’, iss tot? Wir haben ihn seit zwei Wochen nich mehr aufm Hof tröten hörn und fragten uns schon besorgt, wat wohl mit ihm los sein könnte. Dat iss ja schrecklich!
Unvorstellbar, dat er uns mit seinen Ständchen nich mehr beglücken soll! Er hat uns mit seinen Melodien immer son Stückchen Hoffnung gegeben und uns den grauen Alltag erhellt. Unser aufrichtiget Beileid, Herr Kotthusen.“
Berta nahm den Jungen in den Arm und streichelte über seine
Schultern.

„Berta, zünd doch ma die Kerzen vom Adventskranz an, koch uns n Köppchen Kaffee und säbel wat von Tante Zillis DDR-Stollen ab.“
Der Junge erzählte stockend, dat er überhaupt nix von der Hinterhof-Trompeterei geahnt hätte. Et war ihm sogar peinlich. Er wusste nur, dat sein Vater ma ne große Nummer als Jazztrompeter inne USA war und den Beruf als Musiker wegen seines Asthmas an den Nagel hängen musste.

„Trompetenpaul“ nannten wir ihn hier inne Zechensiedlungen, er war überall beliebt. Ein unscheinbaret Männeken mit ner Halbpläte war dat, trug nie n Hut, nur ne dreiviertellange braune Jacke und ne grüne Cordhose mit zehn Zentimeter Hochwasser.

Paul spielte am musikalischen Mittwoch auf unseren Hinterhöfen ein oder zwei Ohrwürmer, jetz inne stillen Zeit auch ma n Advent- oder Weihnachtsliedchen.
Er sammelte die aus den Fenstern geworfenen und in Zeitungspapier eingeknüllten Münzen ein, dankte mit ner eleganten Verbeugung wie der Zirkusdirektor Klabuffke inne Manege und verschwand wieder.

Niemand kannte ihn näher. Beim Paul sickerte nix durch, er wich allen persönlichen Fragen geschickt aus. Er hielt seine Pläuschken, flirtete mit den jungen Kriegerwitwen und alten Tratschtanten, dat man meinte, er hätte mit jeder nen Krösken. Die Weiber wurden aber auch nix von ihm gewahr.

„Jimmy, Sie wollen also, dat ich für den Papa ein paar Worte am Grab sagen tu?“
„Ja, Herr Püttmann, dat iss mein Wunsch. Bitte, sagen Se ‚du’ zu
mir.“
„Jimmy, ich spreche gerne am Grab, aber nich für Geld.“
Jimmy schluchzte laut in sein Taschentuch. Berta nahm ihn wieder in den Arm und strich ihm mütterlich über die langen schwatten Haare.
„Komm, Junge, erzähl uns ma wat über deine Eltern.“ Er überlegte lange.
„Jimmy, lass dir nich allet ausse Nase kitzeln, red frei nach Schnauze. Berta, notier allet schön.“

Et erschreckte uns, dat er kaum wat über seine Eltern berichten konnte.
Er kannte seine Mutter nur vom Bild! Der Vater hätte seine Mama fast nie erwähnt und wäre den Fragen nach ihr ständig ausgewichen. Jimmy wohnte mit seinem Vater zusammen in einem schicken Einfamilienhaus in bester Wohnlage am Stadtpark.
Wie der Vater sein Musikstudium finanzierte und auch sonst so über die Runden kam, darüber hätte er sich schon ma so seine Gedanken gemacht, aber nie ma ernsthaft nachgeforscht.

Er tat uns leid. Et gibt Momente, da will man son armen Kerl glatt adoptieren. Vor allem inne Adventszeit iss dat besonders schlimm mit die verdammten Gemütsbewegungen.

Berta brachte ihn mit tröstenden, mütterlichen Worten vor die Tür und schlug ihm vor, Weihnachten doch bei uns zu feiern.

Et schneite den ganzen Tag, und ich hatte von der verdammten Schneeschüpperei so richtig die Schnauze voll.
Et war so gegen neunzehn Uhr, Berta stellte mir gerade nen Teller mit Wurst- und Käsekniften auffen Tisch, da schellte et.
Ich machte die Tür auf, da stand ne Frau vor der Tür. Sie trug für ihr Alter nen viel zu kurzen schwatten Ledermantel mit som komischen Glitzerkragen und hatte n roten, schneebedeckten Kompotthut auf.
Eine Außerirdische? Nee, dat war se wohl nich. Sie begrüßte uns nämlich wie alte Bekannte mit som blöden englischen Akzent: „Hello, Mrs. und Mr. Püttmann.“
Wat wollte denn diese aufgedonnerte Puppe bei uns? Und dat auch noch zur Abendbrotzeit. Die sprach dazu noch falschet Deutsch.
Die Frau stellte sich vor, da verschlug et uns heute zum zweiten Mal die Sprache:
„Well, ich bin Mrs. Eva Kotthusen aus die USA. Habe Ihre Address von die Beerdigungscompany. Ich bitte Sie herzhaft um eine Trauersprach am Grab von meine Mann.“
Ich fiel fast vom Hocker. Ich musste schlucken.
„Wat?“, fragte ich, „wolln Se uns verkackeiern? Sie sind dat, die mit Paul Kotthusen verheiratet iss, die Frau, die sich die ganzen Jahre keinen Deut um Paul und den armen Jimmy gekümmert hat? Schämen Sie sich eigentlich nich?“ Oh, ich war schwer in Rage.

„Mr. Püttmann, bitte hören Sie meine Story, dann sagen Sie No, oder Sie am Grab sprecken.“
Berta schob der Frau nen Pott Kaffee und den vollen Teller mit
m e i n e n Stullen vor die Nase. Die Olle hatte einen unheimlichen Kohldampf und haute sich alle Schnitten in den Kopp. Wahrscheinlich kannten die Amis so herrliche Delikatessen wie Wurst und Käse überhaupt noch nich. Nach der letzten Knifte redete sie endlich weiter:
„Well, wir waren jung und crazy, hatten Hoffnung auf ein groß Karrier in die States. Paul als Trompeter, ich als Sängerin. Wir spielten in die berühmtesten Concerthalls von die ganze Welt und auf die big Luxusliner.
Es war eine wonderful Zeit, well, bis Paul bekam schwere Asthma und nicht mehr durfte spielen. Paul bekam depressiv, eifersüchtig und böse.
No day – ohne Trouble. Ich war eine erfolgreiche Karriere-Suchtfrau, sagt man so?“ Sie erzählte und erzählte…

Wir kamen aussem Staunen gar nich mehr raus. Wat et nich allet gab auffe großen, weiten Welt! Nee, nee. Dat Schicksal dieser drei Menschen bewegte uns. Berta schluchzte, und ich war wieder milde gestimmt.
„Mr. Püttmann, bitte helfen Sie mir! Mein greatest Christmas-Wunsch is eine Kontakt zu meine Sohn. Er wird bitter sein über seine Krähenma. Vielleicht es ist noch nicht zu spät.“

Frau Kotthusen hatte auch noch Sonderwünsche:
„Mr. Püttmann, bitte organisieren Sie eine Jazzband, die soll spielen am Grab, what hier steht auf diese Papier. Ich spende für die Musiker fünfhundert Dollar.“ Sie blätterte fünf Scheine auf den Tisch.
Ich verdrehte die Augen und fragte besorgt: „Frau Kotthusen, wie soll ich dat denn mit die Musik in sonne kurzen Zeit aufe Beine stellen?“ Sie antwortete verheißungsvoll:
„Wenn alles good machen, ich mache Family Püttmann große Christmas-Freude. Bye, bye.“

Die Tür war noch nich ganz zu, da raste Berta zum Telefon und telefonierte mit ihrem schlauen Bruder, n Bänker. Als sie erfuhr, dat die Dollarscheinchen ungefähr zweitausend Mark wert waren, hüppte sie vor Freude inne Küche rum.
„Gemach, gemach, Berta, dat iss doch nich unsere Kohle! Wat meinze, wat sonne Kapelle kosten tut? Ich düs gleich ma los und frag im ‚Cafe Hemdhoch’, ob se ne Jatzkapelle kennen tun.“

Volltreffer! Et probte gerade ne Band hinten im Saal. Da spielten sechs Musiker sonne komische Hottentotten-Musik. Alle Kerle waren so schwatt wie die Nacht.
Ich fragte mich: Willi, wie fädelsse jetz son Gespräch mit
die Typen ein? Ich konnte ja kein Wort Afrikanisch.
Ich haute dem dicksten vonne schwatten Deubel auffe Schulter. Der musste wohl der Boss sein, weil er ohne Taktstock dirigieren tat:
„Ey, Moment ma kurz, ich muss dich ma inne wichtigen Angelegenheit sprechen, wenne Deutsch verstehen tus.“ Dabei wedelte ich mit die Dollarscheinchen vor seinem Gesicht rum. Dat wirkte. Er unterbrach sofort die Probe.
Ich hielt ihm den Zettel mit dem englischen Titel vor die Nase. „Könnt ihr so wat spielen? Dat iss richtigen Jatz, also nich so wat Billiget nach dem Motto: ‚Heut iss Jatz aufm Adolf-Hitler-Platz.’ Dat iss richtigen New-Orleans-Jatz.“
„Klar, Mann“, sachte der Dicke, „New Orleans Function“, no problem, Mann. Alle Jungs hier sind Oldtime-Jazzers, dat spielen wir locker.“
Ich fragte: „Auch auffem Friedhof, Montag um elf? Ihr kriegt heute hundert Dollar Anzahlung, zweihundert nach der Beerdigung. Viel Kohle für son paar Minuten Musik.“

Sie steckten ihre dunklen Köppe zusammen und legten mir dann son Vertrag auffen Tisch, den ich gerne unterschreiben tat. Den halben Sieg hatte ich inne Tasche!
Einer von die pechschwatten Negers fragte mich in bestem Kohlenpottisch:
„Hömma, Alter, wer iss denn dat arme Schwein, wat wir bespielen solln?“
„Kennze nich, hasse schon ma wat von Paul Kotthusen gehört?“
Die Musiker erstarrten bei dem Namen. Betroffenheit war gar nix, sie verstummten und kuckten sich fassungslos an.
„Paul Kotthusen ist tot? Weisse eigentlich, wer dat iss, Mann? Dat war doch die Trompeten-Jazzlegende aus den Fünfzigern und Sechzigern inne USA.“
Er gab mir die hundert Dollar zurück und zerriss den Vertrag. Et wär für sie ne große Ehre, für Paul am Grab spielen zu dürfen.

Sie jazzten mir dann noch wat vor, also extra für mich, so als Kostprobe, dat se die Musik auch beherrschen taten. Ich schmiss n paar Runden Bier und radelte mit meiner Karre, leicht einen intus, froh gelaunt durch den Schnee nach Hause.

Sofort plante ich mit Berta die anstehende Familienzusammenführung.
Die musste einfach hinhauen! Weihnachten stand doch vor der
Tür!
Etwa zweihundert Menschen standen am 23. Dezember in langen Reihen links und rechts vom Grab, und dat im tiefen Schnee bei minus zwölf Grad!
Ich bibberte am ganzen Balg, nein, nich wegen die Kälte, nee, wegen die gewaltige Menschenansammlung. Gleichzeitig schwitzte ich Blut, dat mit die Versöhnung zwischen Mutter und Sohn wat inne Hose gehen könnte.
Jimmy sah ich schluchzend inne ersten Reihe. Berta stand neben ihm und hielt ihm die Hand. Seine Mutter stand rechts von mir. Jimmy hatte sie noch nicht erkannt. Seine Gedanken waren beim Vater.
Wo blieben denn die Musiker? Die Kerle konnten mich doch jetz nich hängen lassen. Die wollten dat erste Jatzstück traurig-getragen auffem Weg zum Grab spielen. „Just a closer walk“ stand auffem Papier.
Endlich hörte ich wat. Die schwatten Jungens trugen dunkle Fräcke mit Schwalbenschwänzen hinten dran, Propeller am Hals und hatten weiße, blaue, grüne und rote Zylinder auffem Kopp. Sie kamen leise spielend den Friedhofsweg herab. Ich muss gestehen – dat sah sehr exo …, äh …, exorzistisch aus, aber hatte wat.
Die Musiker bezogen mit ihren Instrumenten drei Gräber weiter Stellung.
Sie spielten und sangen im Gospelstil dat Adventlied „Et kommt n Schiff geladen …“. Ehrlich, die Negers waren klasse! Ihr musikalischer Vortrag hier im Schnee bescherte uns ne tolle vorweihnachtliche Stimmung.
Ich hatte gar nich mehr dat Gefühl, auf ner Trauerfeier zu sein,
nee, mehr auf ne Adventfeier draußen im Schnee – ohne Glühwein.
Et wurde still. Ich begann meine Rede:
„Glück auf, liebe Trauergäste! Et iss aus, et iss aus und vorbei – mit der Mittwochtröterei. Paul Kotthusen, unser lieber ‚Trompetenpaul’, hat uns für immer verlassen.
In unsere grauen Zechensiedlungen brachte er mit seinen Melodien Licht und Wärme.
Er blies Trompete, nich irgendeine, nee, dat war ne Jatztrompete, die er liebevoll nach seiner Frau ‚Eve’ benannte.

Für uns war er der einfache Hofmusiker. Tatsächlich spielte aber ein begnadeter und international bekannter Jatztrompeter auf unseren Hinterhöfen, nämlich Paul Kotthusen. Sein Künstlername war ‚Paul Pusher’.“
Ein Raunen ging durch die Trauerreihen.
„Paul Kotthusen verließ 1948 mit seiner Frau dat zerdepperte Deutschland, sie wanderten aus nach Louisiana. Dat Louisiana liegt übrigens irgendwo in Amerika.
Seine Frau, die hier neben mir stehen tut, war ausgebildete Sängerin und ihr Paul Trompeter. Beide versprachen sich da drüben ne bessere Zukunft.“
Wieder hörte ich ein Tuscheln und Geflüster, wat nich verstummen wollte. Ich bat um Ruhe und sprach weiter:
„Die beiden hatten Erfolg. Nicht nur in Amerika, nee, ihre internationalen Auftritte machten sie inne ganzen Welt berühmt.“

Ich beobachtete Jimmys Reaktion. Er wirkte jetzt noch blasser, zeigte aber noch keine Regung. Hoffentlich ging dat gut!

„Paul Kotthusen erkrankte an Asthma und musste von heute auf morgen seinen Beruf als Musiker aufgeben. Seine Frau Eve überschüttete man weiterhin mit tollen Verträgen.
Paul wurde mit seinem Schicksal nich fertig. Seelisch geknickt, haute er einfach ab, verließ Amerika mit dem dreijährigen Jimmy – ohne seiner Frau Lebewohl zu sagen.
Wer will denn ner jungen, erfolgreichen Frau krummnehmen, dat se ihre großartige Karriere nich aufgeben wollte – zumal sich ihr Mann so sang- und klanglos einfach verdrücken tat?
In all den Jahren ließ sich Frau Kotthusen, die heute n großet Hotel in New Orleans besitzt, nich scheiden, nee, sie hielt Kontakt zu ihrem Paul, schickte ihm jede finanzielle Hilfe zur Linderung seiner Krankheit und ermöglichte den beiden ein würdiget Leben.“
Ich wandte mich jetzt direkt an Jimmy:
„Deine Mutter bezahlte dein Studium, sie kaufte auch euer schönet Haus am Stadtpark. Sie kämpfte ständig um ein Wiedersehen mit dir.
Du wirss jetz fragen: ‚Warum haute dat nich hin?’
Ich will dir die schmerzliche Antwort geben: Dein Vater verbot deiner Mutter jeden Kontakt zu dir. Er war sauer, weil sie ihre Karriere nich aufgeben und nich mit nach Deutschland folgen wollte.
Jimmy, deine Mutter iss keine Rabenmutter. Sie hätte dich all die Jahre liebend gern an ihr Herz gedrückt.“

Ich musste ne kleine Pause einlegen.
Dat Schicksal dieser drei Menschen ging allen sehr nahe. Ich sah, dat die Trauergäste ihre Taschentücher zückten. Die Tränendrüsen liefen über.

Ich leitete dat entscheidende Finale ein:
„Hier und heute, meine lieben Abschiedsgäste, könnten wir Zeugen von Liebe, Versöhnung und Vergebung werden, dafür iss dat nie zu spät!
Jimmy, wir stehen am Grab von deinem Papa und bitten dich, verzeih den Eltern, verschließ jetz nich dein Herz.“

Ich ging zwei Schritte nach vorn, nahm Jimmy an die linke, Frau
Kotthusen an die rechte Hand, trat mit beiden vor dat Grab und wandte mich an die Trauergäste.

„Hier stehen Mutter und Sohn, die gehören zusammen. Ihr beide feiert morgen gemeinsam dat Weihnachtsfest.“
Mehr kriegte ich nich raus. Meine Kehle war wie zugeschnürt.
Die Mutter nahm ihren Jungen nach achtzehn Jahren zum ersten Mal wieder in den Arm. Jimmy weinte laut und ungehemmt, alle aufgestauten Gefühle entluden sich in einem unvorstellbaren Weinkrampf.
Ich sach Ihnen wat, so wat geht anne Nieren. Berta merkte dat, kam und legte ihren Arm um mich. Fast alle Trauergäste heulten, schnieften und schnuften.
Ich gab der Band n kleinen Wink. Sie spielte jetz den traurigsten Teil:
„Dig it“.
Nachdem die Trauergäste Abschied genommen hatten, zelebrierte die Band den ausgelassen-fröhlichen Teil, „Didn’t he ramble“, so stand et auf dem Spickzettel.
Die Musiker zogen sich jatzend, hüpfend und swingend zurück. So wat Verrücktet hatte man auf nem Friedhof im Ruhrpott noch nie gesehen!
Eine Trauerfeier fand anschließend im Hotel Brinkmann statt. Schillernde Gäste aus aller Welt konnze hier peilen. Ich saß mit meiner Berta links neben Frau Kotthusen. Ich gab ihr die fünfhundert Dollar zurück und plauderte über dat anstehende Weihnachtsfest.
Ihren Jimmy ließ sie nich mehr ausse Augen, sie umarmte und küsste ihn auf Schritt und Tritt. Er sträubte sich nicht, nein, er genoss et und strahlte.

Am nächsten Morgen schmückte ich auf unserem schwatten Volksempfänger n kleinen Weihnachtsbaum. Ich rauchte genüsslich ein Zigärrchen, dat Radio spielte Weihnachtslieder, und Berta sang mit die Blagen fleißig mit. Herrlicher Gänsebratenduft durchzog unsere Zweizimmerwohnung.
Wir waren in bester Weihnachtsstimmung.

Gegen elf Uhr standen freudestrahlend Frau Kotthusen und Jimmy vor der Tür. Sie bedankten sich für die versöhnende Rede, die für sie beide doch nen wunderbaren Neubeginn bedeutete. Jimmy sollte sein Musikstudium in Louisiana fortsetzen, beide würden im Januar in die Staaten fliegen.
Wir saßen zwei Stündchen gemütlich zusammen, tranken Kaffee, aßen Stollen und selbst gebackene Plätzkes. Die Reste der Adventskranzkerzen brannten.
Frau Kotthusen erzählte aus ihrem spannenden Leben und lud uns zum kostenlosen Aufenthalt in ihr Hotel nach New Orleans ein.
Aha, dachte ich, dat iss die große Weihnachtsfreude, die sie angedeutet hatte. Wir bedankten uns brav; Berta und die Kinder waren sogleich Feuer und Flamme und saßen im Geiste bereits im Flieger.
Frau Kotthusen überreichte meiner Berta einen großen Briefumschlag.
Pass auf, dachte ich, dat sind schon die Flugtickets. Berta riss den Umschlag auf, entnahm zuerst ein Schriftstück, dann n Schlüsselbund und zum guten Schluss noch fünfhundert Dollar!
Sie hielt nen Mietvertrag inne Hand und las laut vor: „Monatlich einhundertfünfzig DM Warmmiete auf zehn Jahre. Einfamilienhaus, einhundertfünfzig Quadratmeter Wohnfläche …“ Weiter kam se nich.
Wir waren sprachlos. Wir sollten in ihr vornehmet Haus ziehen! Endlich hier raus aus der kleinen Hucke? Ich fasste et nich.

Bei Berta brachen alle Dämme, sie weinte vor Glück, nahm abwechselnd den Jimmy, Eva Kotthusen und unsere Blagen in den Arm.
Von Gefühlen überwältigt, wandte ich mich ab und schaute aus dem Küchenfenster. Et schneite immer noch. Ich beobachtete durch meine feuchten Augen kleine Schneeflocken, die sich fröhlich tanzend an die Scheiben hefteten. Träumte ich?
Nein, ich träumte nich, ich hörte deutlich dat Läuten vonne Kirchenglocken.
Sie luden zur ersten Heiligabendvesper ein. Et war Weihnachten.
 



 
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