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Empfohlener Beitrag
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Das leise Vibrieren eines Handys durchschnitt die Stille und kündigte den Zeitpunkt des Aufbruchs an.
Regan setzte sich auf und schlug dabei die Decke zurück. Lautlos kam er auf die Beine und zog seine Turnschuhe an, die er vorsorglich unter dem Bett deponiert hatte. Sein T-Shirt und die Jeans hatte er gleich angelassen und so nahm er nur noch die Sweatjacke von der Stuhllehne und streifte sie über. Dann schlich er zum Fenster hinüber und öffnete es.
Kühle Nachtluft schlug ihm entgegen und fühlte sich angenehm auf seinem, vor Aufregung, erhitzten Gesicht an. Der Garten lag ruhig da, kein Schatten regte sich unter den hochaufragenden Bäumen und der Rasen lag unberührt im Mondschein da. Direkt vor seinem Fenster ragte majestätisch eine alte Eiche empor, ihre langen, knorrigen Äste reckten sich ihm entgegen.
Regan griff nach dem Rucksack, den er neben seinem Schreibtisch abgelegt hatte, setzte ihn auf und kletterte dann auf die Fensterbank.
Mit einem Blick nach unten stellte er fest, dass ein Sturz aus dieser Höhe doch weitaus schmerzhafter werden würde, als er es sich in der Ausarbeitung seines Plans ausgemalt hatte. Trotzdem konnte er es sich jetzt nicht leisten, zu zögern, und so schwang er, nach einem weiteren, tiefen Atemzug, die Beine über das Sims. Langsam ließ er sich an der Fassade hinab, wobei seine Füße die Hauswand entlangscharrten, bis er schließlich mit ausgestreckten Armen an der Fensterbank hing.
Mit einem Blick nach oben stellte er fest, dass er, anders als geplant, das Fenster offen stehen gelassen hatte. Jetzt war es allerdings zu spät – wieder hinaufziehen konnte er sich nicht. Er hatte schon im Schulsport immer Mühe gehabt, sich überhaupt am Reck festzuhalten.
Nervös warf er einen Blick hinab auf den Rasen, während er sich mühsam festklammerte. Es sah wirklich sehr hoch von hier oben aus. Mit einem mulmigen Gefühl, seine Finger von der Anstrengung bereits schweißnass, baumelte er unterhalb seines Fensters, nicht fähig, sich vor oder zurück zu bewegen.
„Jetzt stell dich nicht so an und komm endlich herunter!“, ertönte eine eindringliche Stimme hinter ihm.
Erschrocken über Avinas plötzliche Anwesenheit, zuckte er zusammen. Im gleichen Moment verlor er den Halt unter seinen Fingern und plumpste, wie eine reife Frucht vom Baum, auf den sauber gepflegten Rasen seiner Mutter. Sehr elegant.
Suchend blickte er sich nach Avina um und entdeckte sie schließlich einige Schritte entfernt im Schutze der alten Eiche. Ihr Gesicht war nicht zu erkennen, dafür aber ihre Hände, die ihn eilig näher winkten.
Ächzend und mit hochrotem Kopf rappelte er sich auf und hastete an ihre Seite. Ganz in dunkelgrau gekleidet, hatte sie sogar eine Mütze über ihre roten Locken gezogen, sodass sie, in der unbeleuchteten Umgebung, nahezu unkenntlich war. Vermutlich stand sie dort schon die ganze Zeit und hatte seine peinliche Kletteraktion beobachtet.
„Ich habe dich vorhin nicht bemerkt“, erklärte er plump und ärgerte sich im gleichen Moment über sich selbst. War das alles, was er zu ihr sagen konnte?
Sie schien seinen Worten jedoch nicht weiter Beachtung zu schenken. „Komm jetzt! Wir haben noch ein gutes Stück Weg vor uns!“
Darum bemüht, sich seinen Ärger über ihr Verhalten nicht anmerken zu lassen, folgte er ihr in Richtung des Gartenzauns, hinter dem sich, nach einem mondbeschienenen Streifen Wiese, der Wald erstreckte.
Eines der Bretter im Zaun war lose und ließ sich problemlos zur Seite schieben. Regan trat vor und winkte Avina hindurch, ehe er ihr selbst folgte.
Eine angenehme Brise kam auf und strich über sein erhitztes Gesicht, nachdem sie über die Wiese gehetzt waren. Schließlich erreichten sie den Waldrand, der von einem Maschendrahtzaun umgeben war, ein bedrohliches Ungetüm, das gut zwei Meter in die Höhe ragte.
„Noch können wir umkehren, wenn dir das lieber ist“, schlug er vor, als er Avinas Zögern bemerkte.
Hastig schüttelte sie den Kopf, wobei er sich sicher war, dass sie soeben an die Ranger denken musste, die das Waldgebiet auf ihren Patrouillen kontrollierten und von denen er ihr noch am Nachmittag berichtet hatte.
Hintereinander kletterten sie über den Zaun hinweg. Sobald Avina festen Boden unter ihren Füßen hatte, warf er ihr den Rucksack zu, in dem sich ihre Ausrüstung befand, damit sich die Riemen beim Klettern nicht im Maschendraht verhängen konnten.
Auf der anderen Seite angekommen, nahm er den Rucksack wieder an sich und zog die Taschenlampe aus dem Seitenfach hervor, die er dort vorsorglich verstaut hatte.
Umgeben vom Dickicht des Waldes, war es noch dunkler als zuvor, und der Mond schaffte es nur vereinzelt, seine Strahlen durch das dichte Blätterwerk zu schicken.
Regan schaltete sie an und wies dann in die Richtung, in die sie sich als nächstes wenden mussten.
„Dort entlang?“, fragte Avina das Offensichtliche und als er nicht mehr als ein Brummen zurückgab, setzte sie sich in Bewegung und ging voraus.
Regan folgte ihr in knappem Abstand und ließ dabei seinen Blick über die gewaltigen Baumstämme wandern. Der Wald war ungeheuer alt, was nicht nur an den ausladenden Baumkronen über ihnen zu erkennen war, sondern auch an dem Moos, das die Stämme und den Waldboden einhüllte und die Wurzelstöcke, die sich darunter zu gefährlichen Stolperfallen aufwölbten, verbargen.
Während Avina ein gutes Tempo einschlug, schleppte sich Regan hinter ihr her, das Gewicht der Tasche lastete auf seinen Schultern und er bemühte sich, den Lichtstrahl der Taschenlampe so auszurichten, dass sie erkennen konnte, wohin sie trat.
Schon nach kurzer Zeit meldete sich ein unangenehmes Stechen in seiner Seite. Sein Atem ging laut in der sonstigen Stille, die einzig vom gelegentlichen Ruf einer Eule oder dem Knacken morschen Geästs unter ihren Füßen unterbrochen wurde.
Eine ganze Weile liefen sie schweigend hintereinander her. Regans Gedanken wanderten immer wieder zu ihrem Vorhaben. Nicht, dass er es bereute, oder er sich gar vor etwas fürchtete. Vielmehr war er darüber beunruhigt, was geschehen würde, wenn sein Plan fehlschlug. Dann würden sich nicht nur all seine Träume mit einem Schlag auflösen, sondern auch der Ärger, der darauf folgen würde, wäre gehörig.
Seine Mutter beklagte sich schon jetzt ständig über ihn und die Last, die er darstellte. Oft genug betonte sie, wie hart es für sie war, den ganzen Tag für sie beide zu schuften, während er nichts tat, als seine Schulpflicht zu erfüllen und ihr auf der Tasche zu liegen. Seitdem sein Vater vor zwei Jahren fortgegangen war, herrschte ein angespanntes Verhältnis zwischen ihnen.
„Da vorne! Das müsste es sein!“, wisperte Avina ganz dicht bei ihm. Sie war stehen geblieben und deutete auf etwas, dessen Umrisse sich schemenhaft in der Ferne abzeichneten. Deutlich war die Aufgeregtheit in ihrer Stimme herauszuhören. „Mach mal die Taschenlampe aus.“
Mit einem letzten Blick in ihre braunen Augen, knipste er sie aus und steckte sie zurück in seine Jackentasche.
„Angst?“, fragte er vorsichtig.
Eine kurze Pause entstand und er war sich fast sicher, ihre Entrüstung zu sehen. „Von wegen! Ich kann es kaum erwarten! Weiter geht’s!“
Er beneidete Avina in diesem Moment. Sie hatte, im Gegensatz zu ihm, viel weniger zu verlieren, wenn sie erwischt wurden. Ihre reichen Eltern würden ihr vielleicht Hausarrest geben und ihr Taschengeld streichen. Aber was spielte das schon für eine Rolle? Sie hatte etwas, zu dem sie zurückkehren konnte, war in der Schule beliebt und hatte viele Freunde.
Er hingegen würde auch noch den Rest verlieren. Seine Mutter hatte schon öfters gedroht, ihn abzugeben, wenn er sein Verhalten nicht anpasste. In der Schule wäre er der Einzelgänger, der auf die schiefe Bahn geraten war. Etwas, worauf man bei ihm schon seit zwei Jahren wartete.
Nach etwa dreihundert Metern lichtete sich der Wald um sie und als sie auch die letzten Bäume hinter sich ließen, zeichneten sich deutlich die Umrisse des baufälligen Gebäudes vor ihnen ab.
Es war ein kleines Bauernhaus, das etwa Ende des 17. Jahrhunderts erbaut worden war. Das Dach war größtenteils eingestürzt und Teile der Mauer nach innen gebrochen. Die Eingangstür lehnte, nur noch an einer Angel hängend, an der Wand.
Ein See breitete sich einige Meter entfernt von dem Gebäude auf der Lichtung aus, ein scheinbar dunkles Loch, in dem sich gestaltlose Schatten verbargen.
Gerade als er sich in Richtung Tür aufmachen wollte, riss die Wolkendecke über ihnen auf. Silbriges Mondlicht flutete die Szene und ließ sie fast schon unwirklich erscheinen. Es verschlug ihm nahezu den Atem.
Dünne Nebelfelder waberten über die Wiese und das ruhige Wasser hinweg und die Tautropfen, die sich auf den Grashalmen gesammelt hatten, glitzerten im hellen Licht.
Avina schien die Schönheit des Anblicks jedoch weniger zu faszinieren. Ehe er sich versah, lief sie leichtfüßig auf das Gebäude zu und betrat es.
„Hey, Avina! Warte auf mich!“
So schnell er konnte, eilte er ihr über die feuchte Wiese hinterher.
Dämmriges Licht empfing ihn im Flur und es brauchte einen Moment, bis sich seine Augen daran gewöhnt hatten. Er spähte den Gang entlang und konnte gerade noch sehen, wie Avina um die nächste Ecke davonhuschte.
Die Luft im Haus war feucht und muffig. Immer wieder spürte er Spinnwebfäden, die sich beim Vorübergehen über seine Hände und sein Gesicht legten. Aus dem Augenwinkel bemerkte er ein besonders großes Exemplar einer Hausspinne, das ihn offenbar lauernd beobachtete.
Für den Bruchteil eines Atemzugs kam ihm der Gedanke, Avina den Achtbeiner vor die Nase zu halten. Seine Sorge um die instabile Bausubstanz hielt ihn jedoch zurück. Ein lauter Schrei und die Dachbalken würden womöglich vollends über ihnen nachgeben.
Er trat durch den Türsturz auf der linken Seite. Das hereinfallende Mondlicht beleuchtete den Raum spärlich und riss die Konturen von Möbeln aus den Schatten.
Direkt neben dem Eingang auf der rechten Seite, war ein gemauerter Kamin. Zur Linken stand eine Anrichte. Die Glasscheiben in den Türen waren herausgebrochen und Splitter bedeckten den Boden. Eine dicke Staubschicht lag über allem und wurde bei jedem seiner Schritte aufgewirbelt. Der Tür gegenüber und auf der rechten Seite des Raumes war je ein großes Fenster angebracht.
Avina stand vor einem Tisch, daneben lag ein Stuhl am Boden, bei dem eines der Beine abgebrochen war.
„Dann pack mal aus!“, meinte sie mit einem Blick in seine Richtung.
Er nickte und warf die Tasche auf die Tischplatte. Ein grober Fehler. Eine gewaltige Staubwolke wirbelte vor ihnen auf und ließ sie beide krampfartig husten. Immerhin ersparte es ihm jeglichen bissigen Kommentar von Avinas Seite. Nachdem er wieder halbwegs sehen und atmen konnte, zog er den Reißverschluss auf.
Regan legte eine kugelförmige Kerze, eine Packung Streichhölzer, sowie eine metallene Schüssel auf die Tischplatte. Dann holte er das Messer heraus, das in einer ledernen Scheide steckte.
„Du müsstest mir jetzt die Notizen geben, Avina!“, bemerkte er, seine Stimme bemüht ruhig, obwohl sich sein Magen dabei unangenehm zusammenzog.
Mit einem herablassenden Lächeln zog sie die zusammengefalteten Blätter aus der Hosentasche hervor und reichte sie ihm.
Ehe er sie jedoch zu fassen bekam, zog sie sie noch einmal kurz zurück. „Und mach keine Dummheiten, verstanden? Hier steht unser beider Leben auf dem Spiel!“
„Jaja“, erwiderte er gereizt und nahm dann eilig die Papiere an sich, als sie sie ihm ein weiteres Mal hinhielt. „Daran brauchst du mich nicht zu erinnern!“
Als er Anstalten machte, die Tasche wieder zu schließen, hob sie skeptisch eine Augenbraue.
„Ist das etwa alles?“
„Was hast du erwartet?“, fragte er stirnrunzelnd. „Einen ganzen Hausrat?“
„Dafür war deine Tasche aber verdammt schwer!“
Er verdrehte die Augen ob ihrer Unnachgiebigkeit. „Darin sind noch die Dinge, die wir brauchen, wenn alles klappt!“
Halbwegs zufrieden nickte sie, dann ging sie zum Fenster hinüber. Er beobachtete ihre grazile Statur, die sich im Mondschein abzeichnete. Für ihre sechzehn Jahre besaß sie relativ wenige Kurven, dafür hatte sie eine eher athletische Statur und war groß und schlank. Regan fand, dass ihre Silhouette im Mondschein noch viel schöner aussah, als sie es ohnehin schon tat.
Als hätte sie seinen Blick bemerkt, wandte sie sich ihm plötzlich zu und meinte spitz: „Solltest du nicht etwas vorbereiten?“
Er verkniff sich ein verärgertes Knurren und breitete seine Notizen auf dem Boden aus. Die Kerze stellte er auf einen Punkt am Boden, der ihm als Zentrum sinnvoll erschien und entzündete sie. Dann nahm er das Messer zur Hand und markierte einen weiträumigen Kreis auf den Holzdielen. Mithilfe seiner angefertigten Skizze ritzte er die verschlungenen Zeichen und Symbole dazu, holte die Schale und stellte sie neben die brennende Kerze auf den Boden.
Zufrieden verglich er noch einmal die Zeichnung auf dem Papier mit seinem Werk und prüfte den Einfallswinkel des Streifen Mondlichtes, welcher durch das Fenster hereinfiel. Es war perfekt!
Als er sich auf den Boden kniete, ließ sich Avina ihm gegenüber innerhalb des Kreises nieder.
„War es das schon?“, fragte sie ungläubig.
„Ich brauche noch eine Haarsträhne von dir.“ Entschuldigend hob er die Schultern, als ihn ihr entsetzter Blick traf.
„Davon hast du nichts gesagt! Wie hättest du es gemacht, wenn du allein gewesen wärst?“
„Rotes Haar ist eben perfekt und vergrößert die Chancen unseres Erfolgs!“
Verwirrt blickte sie ihn an. „Was soll das jetzt heißen?“
„Es heißt nicht umsonst, dass die meisten Hexen rothaarig waren.“
Schnaubend zog sie die Mütze von ihrem Kopf. Rote Locken fielen über ihre Schultern herab und umrahmten ihr schönes Gesicht. Ihr Anblick verschlug ihm jedes Mal aufs Neue den Atem.
Regan versuchte sich auf die eigentliche Sache zu konzentrieren, beugte sich vor und schnitt ihr eine kleine Haarsträhne ab, die er in die Metallschale legte.
In der Zwischenzeit hatte Avina seine Notizen zurückergattert.
„Was ist mit dem Blutopfer? Hast du an das tote Tier gedacht, von dem du gesprochen hast?“
Er nickte, erhob sich und trat zu dem Tisch in ihrem Rücken.
„Du meinst also, wir werden damit die Seele des Dämons beschwören können? Und er wird einzig unseren Befehlen Folge leisten?“
„Wenn alles richtig gemacht wird, hat man volle Kontrolle über ihn!“ Er drehte sich wieder zu ihr um.
Sein Blick fiel auf ihre schmalen Schultern, die ihm zugewandt waren. Er beugte sich hinab, das Messer noch immer in der rechten Hand – und zog es mit einem einzigen Ruck über ihre Kehle.
Ihr erschrockener Aufschrei endete binnen eines Wimpernschlags in einem gurgelnden Laut. Dann sackte sie zu Boden. Ihr Körper zuckte mehrfach, während das Blut unaufhaltsam aus der Wunde strömte, sich über die Dielen ausbreitete und in die eingeritzten Kuhlen lief.
In aller Ruhe kniete er sich wieder in den Kreis, entzündete ein Streichholz und hielt es an die Haare in der Metallschale. Ein leises Knistern erklang und feine Rauchfäden kräuselten sich empor.
„Du warst wirklich dumm zu glauben, ich würde dich zu meiner Komplizin machen. Dabei kann es nur einen Meister für die Seele eines Dämons geben.“
Er nahm erneut die Notizen zur Hand. Seine Augen glitten über den Text, mit dessen Hilfe er für einen kurzen Augenblick das Tor zwischen dem Diesseits und der Schattenwelt würde öffnen können.
Er sah zu Avina. Die roten Locken hatten sich wild über den Boden ergossen und ließen ihr Gesicht fast wirken, als wäre es von Flammen umrahmt. Ein verzweifelter, ungläubiger Ausdruck lag in ihren Augen, während das Leben stetig aus ihr heraussickerte.
„Dein erster Fehler war, meine Notizen für das Ritual zu stehlen. Der zweite Fehler, mich zu erpressen. Dein größter Fehler war allerdings, zu glauben, ich wäre auf dich angewiesen. Im Übrigen wären die Ranger nie gekommen. Sie patrouillieren hier nur tagsüber.“
Er beobachtete den Mondstrahl, der sich immer näher auf das Zentrum des Kreises zuschob. Nicht mehr lange.
„Warum nur musstest du jede meiner Warnungen als lächerlich abtun? Du hast dich in Dinge eingemischt, die dich nichts angingen. Und trotzdem habe ich mich bemüht, dich davon abzuhalten, mich zu begleiten. Ich mochte dich wirklich, Avina. Aber deine äußere Schönheit kann die Hässlichkeit deines Charakters nicht verdecken. Tot bist du für mich einfach nützlicher als lebend.“
Damit wandte er sich endgültig von ihr ab.
Der Mondstrahl hatte das Zentrum des Kreises erreicht und ihr Blut jede Furche vollständig ausgefüllt.
Die Notizzettel in der Hand, beugte er sich näher der Kerze zu und begann mit ruhiger, klarer Stimme die Worte zu rezitieren, die ihn seinem Ziel in wenigen Augenblicken näherbringen würde.
Kaum hatte er das letzte Wort gesprochen, tauchte ein Blitz den Raum für einen Sekundenbruchteil in gleißendes Licht.
Als Regan wieder sehen konnte, stand eine dunkle Gestalt vor ihm. Das Gesicht unter einer Kapuze verborgen, wandte sie sich ihm langsam zu.
„Ich sehe, man hat mir ein Opfer dargebracht!“
Die Stimme des Dämons besaß einen dumpfen Nachhall, der ihm durch Mark und Bein ging. Trotzdem schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht. Er hatte es geschafft!
Regan warf einen Blick zurück auf Avina, deren leere Augen ihn stumm anklagten. Avina würde den Hunger des Dämons stillen. Ihr Blut war noch warm, ihr Tod erst vor wenigen Augenblicken eingetreten. Sie würde ihn so viel mehr zufriedenstellen, als irgendein kleines Opfertier.
Regan wandte sich wieder der Gestalt zu, gerade rechtzeitig um zu bemerken, wie sie auf ihn zustürzte. Sein Schrei verhallte ungehört in der Nacht, als der Schatten des Dämons sich auf ihn herabsenkte.
Regan setzte sich auf und schlug dabei die Decke zurück. Lautlos kam er auf die Beine und zog seine Turnschuhe an, die er vorsorglich unter dem Bett deponiert hatte. Sein T-Shirt und die Jeans hatte er gleich angelassen und so nahm er nur noch die Sweatjacke von der Stuhllehne und streifte sie über. Dann schlich er zum Fenster hinüber und öffnete es.
Kühle Nachtluft schlug ihm entgegen und fühlte sich angenehm auf seinem, vor Aufregung, erhitzten Gesicht an. Der Garten lag ruhig da, kein Schatten regte sich unter den hochaufragenden Bäumen und der Rasen lag unberührt im Mondschein da. Direkt vor seinem Fenster ragte majestätisch eine alte Eiche empor, ihre langen, knorrigen Äste reckten sich ihm entgegen.
Regan griff nach dem Rucksack, den er neben seinem Schreibtisch abgelegt hatte, setzte ihn auf und kletterte dann auf die Fensterbank.
Mit einem Blick nach unten stellte er fest, dass ein Sturz aus dieser Höhe doch weitaus schmerzhafter werden würde, als er es sich in der Ausarbeitung seines Plans ausgemalt hatte. Trotzdem konnte er es sich jetzt nicht leisten, zu zögern, und so schwang er, nach einem weiteren, tiefen Atemzug, die Beine über das Sims. Langsam ließ er sich an der Fassade hinab, wobei seine Füße die Hauswand entlangscharrten, bis er schließlich mit ausgestreckten Armen an der Fensterbank hing.
Mit einem Blick nach oben stellte er fest, dass er, anders als geplant, das Fenster offen stehen gelassen hatte. Jetzt war es allerdings zu spät – wieder hinaufziehen konnte er sich nicht. Er hatte schon im Schulsport immer Mühe gehabt, sich überhaupt am Reck festzuhalten.
Nervös warf er einen Blick hinab auf den Rasen, während er sich mühsam festklammerte. Es sah wirklich sehr hoch von hier oben aus. Mit einem mulmigen Gefühl, seine Finger von der Anstrengung bereits schweißnass, baumelte er unterhalb seines Fensters, nicht fähig, sich vor oder zurück zu bewegen.
„Jetzt stell dich nicht so an und komm endlich herunter!“, ertönte eine eindringliche Stimme hinter ihm.
Erschrocken über Avinas plötzliche Anwesenheit, zuckte er zusammen. Im gleichen Moment verlor er den Halt unter seinen Fingern und plumpste, wie eine reife Frucht vom Baum, auf den sauber gepflegten Rasen seiner Mutter. Sehr elegant.
Suchend blickte er sich nach Avina um und entdeckte sie schließlich einige Schritte entfernt im Schutze der alten Eiche. Ihr Gesicht war nicht zu erkennen, dafür aber ihre Hände, die ihn eilig näher winkten.
Ächzend und mit hochrotem Kopf rappelte er sich auf und hastete an ihre Seite. Ganz in dunkelgrau gekleidet, hatte sie sogar eine Mütze über ihre roten Locken gezogen, sodass sie, in der unbeleuchteten Umgebung, nahezu unkenntlich war. Vermutlich stand sie dort schon die ganze Zeit und hatte seine peinliche Kletteraktion beobachtet.
„Ich habe dich vorhin nicht bemerkt“, erklärte er plump und ärgerte sich im gleichen Moment über sich selbst. War das alles, was er zu ihr sagen konnte?
Sie schien seinen Worten jedoch nicht weiter Beachtung zu schenken. „Komm jetzt! Wir haben noch ein gutes Stück Weg vor uns!“
Darum bemüht, sich seinen Ärger über ihr Verhalten nicht anmerken zu lassen, folgte er ihr in Richtung des Gartenzauns, hinter dem sich, nach einem mondbeschienenen Streifen Wiese, der Wald erstreckte.
Eines der Bretter im Zaun war lose und ließ sich problemlos zur Seite schieben. Regan trat vor und winkte Avina hindurch, ehe er ihr selbst folgte.
Eine angenehme Brise kam auf und strich über sein erhitztes Gesicht, nachdem sie über die Wiese gehetzt waren. Schließlich erreichten sie den Waldrand, der von einem Maschendrahtzaun umgeben war, ein bedrohliches Ungetüm, das gut zwei Meter in die Höhe ragte.
„Noch können wir umkehren, wenn dir das lieber ist“, schlug er vor, als er Avinas Zögern bemerkte.
Hastig schüttelte sie den Kopf, wobei er sich sicher war, dass sie soeben an die Ranger denken musste, die das Waldgebiet auf ihren Patrouillen kontrollierten und von denen er ihr noch am Nachmittag berichtet hatte.
Hintereinander kletterten sie über den Zaun hinweg. Sobald Avina festen Boden unter ihren Füßen hatte, warf er ihr den Rucksack zu, in dem sich ihre Ausrüstung befand, damit sich die Riemen beim Klettern nicht im Maschendraht verhängen konnten.
Auf der anderen Seite angekommen, nahm er den Rucksack wieder an sich und zog die Taschenlampe aus dem Seitenfach hervor, die er dort vorsorglich verstaut hatte.
Umgeben vom Dickicht des Waldes, war es noch dunkler als zuvor, und der Mond schaffte es nur vereinzelt, seine Strahlen durch das dichte Blätterwerk zu schicken.
Regan schaltete sie an und wies dann in die Richtung, in die sie sich als nächstes wenden mussten.
„Dort entlang?“, fragte Avina das Offensichtliche und als er nicht mehr als ein Brummen zurückgab, setzte sie sich in Bewegung und ging voraus.
Regan folgte ihr in knappem Abstand und ließ dabei seinen Blick über die gewaltigen Baumstämme wandern. Der Wald war ungeheuer alt, was nicht nur an den ausladenden Baumkronen über ihnen zu erkennen war, sondern auch an dem Moos, das die Stämme und den Waldboden einhüllte und die Wurzelstöcke, die sich darunter zu gefährlichen Stolperfallen aufwölbten, verbargen.
Während Avina ein gutes Tempo einschlug, schleppte sich Regan hinter ihr her, das Gewicht der Tasche lastete auf seinen Schultern und er bemühte sich, den Lichtstrahl der Taschenlampe so auszurichten, dass sie erkennen konnte, wohin sie trat.
Schon nach kurzer Zeit meldete sich ein unangenehmes Stechen in seiner Seite. Sein Atem ging laut in der sonstigen Stille, die einzig vom gelegentlichen Ruf einer Eule oder dem Knacken morschen Geästs unter ihren Füßen unterbrochen wurde.
Eine ganze Weile liefen sie schweigend hintereinander her. Regans Gedanken wanderten immer wieder zu ihrem Vorhaben. Nicht, dass er es bereute, oder er sich gar vor etwas fürchtete. Vielmehr war er darüber beunruhigt, was geschehen würde, wenn sein Plan fehlschlug. Dann würden sich nicht nur all seine Träume mit einem Schlag auflösen, sondern auch der Ärger, der darauf folgen würde, wäre gehörig.
Seine Mutter beklagte sich schon jetzt ständig über ihn und die Last, die er darstellte. Oft genug betonte sie, wie hart es für sie war, den ganzen Tag für sie beide zu schuften, während er nichts tat, als seine Schulpflicht zu erfüllen und ihr auf der Tasche zu liegen. Seitdem sein Vater vor zwei Jahren fortgegangen war, herrschte ein angespanntes Verhältnis zwischen ihnen.
„Da vorne! Das müsste es sein!“, wisperte Avina ganz dicht bei ihm. Sie war stehen geblieben und deutete auf etwas, dessen Umrisse sich schemenhaft in der Ferne abzeichneten. Deutlich war die Aufgeregtheit in ihrer Stimme herauszuhören. „Mach mal die Taschenlampe aus.“
Mit einem letzten Blick in ihre braunen Augen, knipste er sie aus und steckte sie zurück in seine Jackentasche.
„Angst?“, fragte er vorsichtig.
Eine kurze Pause entstand und er war sich fast sicher, ihre Entrüstung zu sehen. „Von wegen! Ich kann es kaum erwarten! Weiter geht’s!“
Er beneidete Avina in diesem Moment. Sie hatte, im Gegensatz zu ihm, viel weniger zu verlieren, wenn sie erwischt wurden. Ihre reichen Eltern würden ihr vielleicht Hausarrest geben und ihr Taschengeld streichen. Aber was spielte das schon für eine Rolle? Sie hatte etwas, zu dem sie zurückkehren konnte, war in der Schule beliebt und hatte viele Freunde.
Er hingegen würde auch noch den Rest verlieren. Seine Mutter hatte schon öfters gedroht, ihn abzugeben, wenn er sein Verhalten nicht anpasste. In der Schule wäre er der Einzelgänger, der auf die schiefe Bahn geraten war. Etwas, worauf man bei ihm schon seit zwei Jahren wartete.
Nach etwa dreihundert Metern lichtete sich der Wald um sie und als sie auch die letzten Bäume hinter sich ließen, zeichneten sich deutlich die Umrisse des baufälligen Gebäudes vor ihnen ab.
Es war ein kleines Bauernhaus, das etwa Ende des 17. Jahrhunderts erbaut worden war. Das Dach war größtenteils eingestürzt und Teile der Mauer nach innen gebrochen. Die Eingangstür lehnte, nur noch an einer Angel hängend, an der Wand.
Ein See breitete sich einige Meter entfernt von dem Gebäude auf der Lichtung aus, ein scheinbar dunkles Loch, in dem sich gestaltlose Schatten verbargen.
Gerade als er sich in Richtung Tür aufmachen wollte, riss die Wolkendecke über ihnen auf. Silbriges Mondlicht flutete die Szene und ließ sie fast schon unwirklich erscheinen. Es verschlug ihm nahezu den Atem.
Dünne Nebelfelder waberten über die Wiese und das ruhige Wasser hinweg und die Tautropfen, die sich auf den Grashalmen gesammelt hatten, glitzerten im hellen Licht.
Avina schien die Schönheit des Anblicks jedoch weniger zu faszinieren. Ehe er sich versah, lief sie leichtfüßig auf das Gebäude zu und betrat es.
„Hey, Avina! Warte auf mich!“
So schnell er konnte, eilte er ihr über die feuchte Wiese hinterher.
Dämmriges Licht empfing ihn im Flur und es brauchte einen Moment, bis sich seine Augen daran gewöhnt hatten. Er spähte den Gang entlang und konnte gerade noch sehen, wie Avina um die nächste Ecke davonhuschte.
Die Luft im Haus war feucht und muffig. Immer wieder spürte er Spinnwebfäden, die sich beim Vorübergehen über seine Hände und sein Gesicht legten. Aus dem Augenwinkel bemerkte er ein besonders großes Exemplar einer Hausspinne, das ihn offenbar lauernd beobachtete.
Für den Bruchteil eines Atemzugs kam ihm der Gedanke, Avina den Achtbeiner vor die Nase zu halten. Seine Sorge um die instabile Bausubstanz hielt ihn jedoch zurück. Ein lauter Schrei und die Dachbalken würden womöglich vollends über ihnen nachgeben.
Er trat durch den Türsturz auf der linken Seite. Das hereinfallende Mondlicht beleuchtete den Raum spärlich und riss die Konturen von Möbeln aus den Schatten.
Direkt neben dem Eingang auf der rechten Seite, war ein gemauerter Kamin. Zur Linken stand eine Anrichte. Die Glasscheiben in den Türen waren herausgebrochen und Splitter bedeckten den Boden. Eine dicke Staubschicht lag über allem und wurde bei jedem seiner Schritte aufgewirbelt. Der Tür gegenüber und auf der rechten Seite des Raumes war je ein großes Fenster angebracht.
Avina stand vor einem Tisch, daneben lag ein Stuhl am Boden, bei dem eines der Beine abgebrochen war.
„Dann pack mal aus!“, meinte sie mit einem Blick in seine Richtung.
Er nickte und warf die Tasche auf die Tischplatte. Ein grober Fehler. Eine gewaltige Staubwolke wirbelte vor ihnen auf und ließ sie beide krampfartig husten. Immerhin ersparte es ihm jeglichen bissigen Kommentar von Avinas Seite. Nachdem er wieder halbwegs sehen und atmen konnte, zog er den Reißverschluss auf.
Regan legte eine kugelförmige Kerze, eine Packung Streichhölzer, sowie eine metallene Schüssel auf die Tischplatte. Dann holte er das Messer heraus, das in einer ledernen Scheide steckte.
„Du müsstest mir jetzt die Notizen geben, Avina!“, bemerkte er, seine Stimme bemüht ruhig, obwohl sich sein Magen dabei unangenehm zusammenzog.
Mit einem herablassenden Lächeln zog sie die zusammengefalteten Blätter aus der Hosentasche hervor und reichte sie ihm.
Ehe er sie jedoch zu fassen bekam, zog sie sie noch einmal kurz zurück. „Und mach keine Dummheiten, verstanden? Hier steht unser beider Leben auf dem Spiel!“
„Jaja“, erwiderte er gereizt und nahm dann eilig die Papiere an sich, als sie sie ihm ein weiteres Mal hinhielt. „Daran brauchst du mich nicht zu erinnern!“
Als er Anstalten machte, die Tasche wieder zu schließen, hob sie skeptisch eine Augenbraue.
„Ist das etwa alles?“
„Was hast du erwartet?“, fragte er stirnrunzelnd. „Einen ganzen Hausrat?“
„Dafür war deine Tasche aber verdammt schwer!“
Er verdrehte die Augen ob ihrer Unnachgiebigkeit. „Darin sind noch die Dinge, die wir brauchen, wenn alles klappt!“
Halbwegs zufrieden nickte sie, dann ging sie zum Fenster hinüber. Er beobachtete ihre grazile Statur, die sich im Mondschein abzeichnete. Für ihre sechzehn Jahre besaß sie relativ wenige Kurven, dafür hatte sie eine eher athletische Statur und war groß und schlank. Regan fand, dass ihre Silhouette im Mondschein noch viel schöner aussah, als sie es ohnehin schon tat.
Als hätte sie seinen Blick bemerkt, wandte sie sich ihm plötzlich zu und meinte spitz: „Solltest du nicht etwas vorbereiten?“
Er verkniff sich ein verärgertes Knurren und breitete seine Notizen auf dem Boden aus. Die Kerze stellte er auf einen Punkt am Boden, der ihm als Zentrum sinnvoll erschien und entzündete sie. Dann nahm er das Messer zur Hand und markierte einen weiträumigen Kreis auf den Holzdielen. Mithilfe seiner angefertigten Skizze ritzte er die verschlungenen Zeichen und Symbole dazu, holte die Schale und stellte sie neben die brennende Kerze auf den Boden.
Zufrieden verglich er noch einmal die Zeichnung auf dem Papier mit seinem Werk und prüfte den Einfallswinkel des Streifen Mondlichtes, welcher durch das Fenster hereinfiel. Es war perfekt!
Als er sich auf den Boden kniete, ließ sich Avina ihm gegenüber innerhalb des Kreises nieder.
„War es das schon?“, fragte sie ungläubig.
„Ich brauche noch eine Haarsträhne von dir.“ Entschuldigend hob er die Schultern, als ihn ihr entsetzter Blick traf.
„Davon hast du nichts gesagt! Wie hättest du es gemacht, wenn du allein gewesen wärst?“
„Rotes Haar ist eben perfekt und vergrößert die Chancen unseres Erfolgs!“
Verwirrt blickte sie ihn an. „Was soll das jetzt heißen?“
„Es heißt nicht umsonst, dass die meisten Hexen rothaarig waren.“
Schnaubend zog sie die Mütze von ihrem Kopf. Rote Locken fielen über ihre Schultern herab und umrahmten ihr schönes Gesicht. Ihr Anblick verschlug ihm jedes Mal aufs Neue den Atem.
Regan versuchte sich auf die eigentliche Sache zu konzentrieren, beugte sich vor und schnitt ihr eine kleine Haarsträhne ab, die er in die Metallschale legte.
In der Zwischenzeit hatte Avina seine Notizen zurückergattert.
„Was ist mit dem Blutopfer? Hast du an das tote Tier gedacht, von dem du gesprochen hast?“
Er nickte, erhob sich und trat zu dem Tisch in ihrem Rücken.
„Du meinst also, wir werden damit die Seele des Dämons beschwören können? Und er wird einzig unseren Befehlen Folge leisten?“
„Wenn alles richtig gemacht wird, hat man volle Kontrolle über ihn!“ Er drehte sich wieder zu ihr um.
Sein Blick fiel auf ihre schmalen Schultern, die ihm zugewandt waren. Er beugte sich hinab, das Messer noch immer in der rechten Hand – und zog es mit einem einzigen Ruck über ihre Kehle.
Ihr erschrockener Aufschrei endete binnen eines Wimpernschlags in einem gurgelnden Laut. Dann sackte sie zu Boden. Ihr Körper zuckte mehrfach, während das Blut unaufhaltsam aus der Wunde strömte, sich über die Dielen ausbreitete und in die eingeritzten Kuhlen lief.
In aller Ruhe kniete er sich wieder in den Kreis, entzündete ein Streichholz und hielt es an die Haare in der Metallschale. Ein leises Knistern erklang und feine Rauchfäden kräuselten sich empor.
„Du warst wirklich dumm zu glauben, ich würde dich zu meiner Komplizin machen. Dabei kann es nur einen Meister für die Seele eines Dämons geben.“
Er nahm erneut die Notizen zur Hand. Seine Augen glitten über den Text, mit dessen Hilfe er für einen kurzen Augenblick das Tor zwischen dem Diesseits und der Schattenwelt würde öffnen können.
Er sah zu Avina. Die roten Locken hatten sich wild über den Boden ergossen und ließen ihr Gesicht fast wirken, als wäre es von Flammen umrahmt. Ein verzweifelter, ungläubiger Ausdruck lag in ihren Augen, während das Leben stetig aus ihr heraussickerte.
„Dein erster Fehler war, meine Notizen für das Ritual zu stehlen. Der zweite Fehler, mich zu erpressen. Dein größter Fehler war allerdings, zu glauben, ich wäre auf dich angewiesen. Im Übrigen wären die Ranger nie gekommen. Sie patrouillieren hier nur tagsüber.“
Er beobachtete den Mondstrahl, der sich immer näher auf das Zentrum des Kreises zuschob. Nicht mehr lange.
„Warum nur musstest du jede meiner Warnungen als lächerlich abtun? Du hast dich in Dinge eingemischt, die dich nichts angingen. Und trotzdem habe ich mich bemüht, dich davon abzuhalten, mich zu begleiten. Ich mochte dich wirklich, Avina. Aber deine äußere Schönheit kann die Hässlichkeit deines Charakters nicht verdecken. Tot bist du für mich einfach nützlicher als lebend.“
Damit wandte er sich endgültig von ihr ab.
Der Mondstrahl hatte das Zentrum des Kreises erreicht und ihr Blut jede Furche vollständig ausgefüllt.
Die Notizzettel in der Hand, beugte er sich näher der Kerze zu und begann mit ruhiger, klarer Stimme die Worte zu rezitieren, die ihn seinem Ziel in wenigen Augenblicken näherbringen würde.
Kaum hatte er das letzte Wort gesprochen, tauchte ein Blitz den Raum für einen Sekundenbruchteil in gleißendes Licht.
Als Regan wieder sehen konnte, stand eine dunkle Gestalt vor ihm. Das Gesicht unter einer Kapuze verborgen, wandte sie sich ihm langsam zu.
„Ich sehe, man hat mir ein Opfer dargebracht!“
Die Stimme des Dämons besaß einen dumpfen Nachhall, der ihm durch Mark und Bein ging. Trotzdem schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht. Er hatte es geschafft!
Regan warf einen Blick zurück auf Avina, deren leere Augen ihn stumm anklagten. Avina würde den Hunger des Dämons stillen. Ihr Blut war noch warm, ihr Tod erst vor wenigen Augenblicken eingetreten. Sie würde ihn so viel mehr zufriedenstellen, als irgendein kleines Opfertier.
Regan wandte sich wieder der Gestalt zu, gerade rechtzeitig um zu bemerken, wie sie auf ihn zustürzte. Sein Schrei verhallte ungehört in der Nacht, als der Schatten des Dämons sich auf ihn herabsenkte.