Tückischer Kulturpreis

Bericht zur Kulturpolitik eines deutschen Bundeslandes

Die Künste und Wissenschaften verfehlen ihren Zweck, wenn sie sich mit religiösen Anschauungen zu sehr vermischen. Je freier sie ihr Wirken gestalten können, je produktiver ihre Aktivitäten sind, umso deutlicher kann ihr wirklicher Nutzen für die Gesellschaft ausfallen. Sowohl die Freiheit als auch die Meidung eines zu engen Kontaktes der Künste und Wissenschaften, besonders mit religiöser Dogmatik, sind wünschenswerte Gründe und Ziele gesellschaftlichen Handelns, die andauernd kritisch zu überprüfen sind; sie sind keine absoluten Größen, welche erzwungen oder gar gewaltsam durchgesetzt werden können. Eigentümlich dabei ist, dass sie zur Not gewaltsam gegen Aggression und Usurpation verteidigt, nicht jedoch Ergebnis gezielter Aggression und Machtusurpation sein können. Die Politik ist von Jeher Interessen bedingt mit der Religion verwoben, wobei die kulturevolutionäre Problematik mit den Bedingungen sich befasst, unter denen für beide eine deutlichere Autonomie und Freiheit möglich und angebracht ist.

Religion in der Kultur
Der Nutzen der Religion jedoch spielt sich auf einer anderen Ebene ab. Ihre Aufgabe ist es, den Lebenden Trost zu spenden angesichts der Opfer, die sie Gott darbringen, und sie in die Lage zu versetzen, mit den Mühsalen und Gefahren des Lebens auf würdevolle Weise umzugehen. Es liegt daher in der Natur der Sache, dass der religiöse Mensch eine starke emotionale Identitätsbildung bezüglich 'seiner' Religion durchlebt. Der allmächtige, allwissende Gott erscheint ihm als ein Wesen, das Außerhalb seiner kontrollierbaren Wahrnehmung existiert und dem die Menschheit alles verdankt. Auf diesem übersinnlichen Verhältnis des Menschen zu Gott erheben sich die speziellen Lehren aller Religionen, zwischen denen eine auf Verständigung gerichtete Kommunikation jedoch nur möglich ist, wenn sie sich auf einen Minimalkonsens innerer Wahrnehmung verständigen oder auf gewisse Kommunikationstechniken der menschlichen Vernunft zurückgreifen können. Allgemeine Not und Bedürftigkeit, aus der Religion im Sinne einer auf Verzicht gegründeten Kulturaktivität geboren wird, erlaubt rationalen Diskurs nur auf einem bescheidenen Niveau. Ich spreche hier nicht davon, wie der Einzelne zur Religion gelangt, welche Gefühle und welches Denken religiöser Art sich bei ihm geltend machen ( z.B.Dankbarkeit für erfahrene Tröstung), sondern von der objektiven Grundlage aller Religion, deren illusionäre Gestalt subjektiv im Glauben verarbeitet und damit zu einer objektiven Größe im Kulturleben werden kann.
Wir wissen inzwischen einigermaßen zuverlässig, dass die Bindungskraft der überlieferten, besonders der christlichen und jüdischen Religion, in den technisch hochentwickelten Ländern nicht mehr die herausragende Stellung einnimmt, die sie lange Zeit hatte. Im Falle der islamischen Religion drückt sich der gleiche geschichtliche Vorgang in komplexen, widersprüchlichen Erscheinungsformen aus. Die stärksten Verluste religiöser Kraft treten durch blindwütige, politisierte Aggression religiöser Dogmen auf (Terrorismus, gewaltsame Verwirklichung von Glaubensgrundsätzen). Zur Entwicklungsperspektive dieser Problematik gehört auch, dass der irrationale Streit und die willkürlich monopolistischen Wahrheits-ansprüche für sehr lange Zeit auf der Agenda der Religionen standen und sich bei Bedarf mit rationalen Elementen der Lebenserfahrung mischten – bis es der Menschheit im Ansatz gelang, ihre allgemeinen Lebensbedingungen tendenziell rational zu gestalten. Nun gerieten auch die religiösen Dogmen unter Reformdruck, es wurde unabweislich, Elemente des rationalen Diskurses auch in die religiöse Lebensgestaltung allmählich zu übernehmen. Soweit das in unserem Zusammenhang zuverlässig zu bestimmen ist, könnte unter den Weltreligionen der Buddhismus hier wegen seiner toleranten Grundhaltung eine gesonderte Rolle spielen.
Wesentliche Entwicklungen der ‚Neuzeit’ haben uns gezeigt, wie andererseits Geist und Gestalt der menschlichen Vernunft sich mit speziellen Elementen religiöser Lehren zu einer starken gesellschaftlichen Kraft und Motivation verbinden können, wenn grundlegende Reformen sich als Notwendigkeit ankündigen. Auf welche Weise dies geschah, darüber können einige Arbeiten von Max Weber recht anschaulich Auskunft geben. Insoweit die Verbindung zwischen Vernunft und religiösen Gehalten als ein positiver Entwicklungszug interpretiert wird, obwohl dies nur in einem bescheidenen Sinne möglich sein dürfte, lassen sich zwei nebeneinander auftretende Resultate bzw. Prozesse erkennen:
1. Verselbständigung religiös inspirierter, rationalisierbarer Denk- und Verhaltensmodelle, deren ursprüngliche Kraftquelle immer schwächer und kaum noch bewusst wird (Verweltlichung).
2. Als originär und angemessen geltende Wahrnehmung und Interpretation der Welt, die ohne und gegen traditionelle theologische Deutung bestehen muss - auch Theologie verwissenschaftlicht bis zu einem gewissen Grade, behält aber eigenen Charakter.
(Verwissenschaftlichung)


Beide Resultate weisen auf die Schwierigkeiten der Religion und besonders ihrer Sachwalter in der heutigen Welt hin, ihr Erbe -den kulturellen Wandlungen entsprechend zu verwalten. Nüchternheit, realistisches Kalkül und ihre reiche historische Erfahrung und Offenheit, Hoffnung zu wecken und zu fördern, stehen ebenfalls in einem kleineren Kapitel des Stammbuchs der Religionen. Sie sind heute dringend gefordert. Denn die Tatsache der katastrophalen Aufteilung der Gesellschaft in reich und arm ist eindeutig machtpolitisch manipuliert, ebenso das Aufhetzen zu bornierten interessensbedingten kriegerischen Abenteuern – nicht selten im Namen eines bornierten Kulturverständnisses. Auch die vielen Millionen, die unverschuldet aus Arbeitsverhältnissen entfernt oder ferngehalten werden, ohne adäquaten Ersatz finden zu können, müssen sich keine Schuldvorwürfe machen, sondern bestrebt sein, ebenfalls einen klaren Kopf zu behalten und selbst nüchtern kalkulierbare Hoffnungen zu kultivieren - eine vom Anspruch her enorme Kulturleistung.
Ähnlich verhält es sich mit den äußerst deformierten Gerechtigkeitsverhältnissen, die angeblich auf Leistung beruhen oder auf je spezifische Handlungen zurückführbar seien. Leider glauben noch zu Viele solch infantilen Unsinn. Auch hier wäre die Hoffnungs-losigkeit kein guter Ratgeber. Denn seit Jahrzehnten lässt sich eine starke politische Tendenz zu manipulativen Bestrebungen beobachten, - zynisch auf repressive Ersatzbefriedigung ausgerichtet-, die hilf- und ratlose Menschen für ihre spezifischen, beschränkten Zwecke zu instrumentalisieren versuchen. Aber nicht nur diese populistische Tendenz eines fundamentalistisch-konservativen Motivs zeigt ihr Gesicht, sondern auch frische, undogmatische Strömungen (teils religiöser Art), welche die naturnotwendige Reformbereitschaft, Toleranz und Freiheit von Mensch und Gesellschaft nicht ignorieren, treten oft gleichzeitig auf den Plan und enthüllen bisweilen den rationellen Kern der aussichtslos erscheinenden Auseinandersetzung. Soweit Theologie als Wissenschaft betrieben wird, ist bei ihren Vertretern der Zweifel gegen den überlieferten Glauben unvermeidlich, was oft genug schon während des Studiums ins Bewusstsein eintritt.
Namhafte Wissenschaftler des 19. und 20. Jahrhunderts haben diese Entwicklung gesehen und die Christianisierung Europas und der übrigen Welt als eine kulturelle Oberflächenerscheinung begriffen, hinter deren Fassade durchaus heidnisch-aggressives Kräftepotential lauert und auf Gelegenheiten wartet, sich Bahn zu brechen. Mit einer Art religiösem Eifer wird eine Religion des Industriezeitalters geschaffen, wie Erich Fromm die Entwicklung interpretierte, wobei an die Stelle der überlieferten Heiligen - und das ist auch eine Gefahr der Nüchternheit und Rationalität- die Arbeit, das Eigentum, der Gewinn und die Macht treten. Wie ehedem der religiös verkleidete Missbrauch einen außerordentlichen und überflüssigen Herrschaftsmechanismus begründete, so tun dies heute mit dem gleichen Ziel die bunte Schar der Populisten durch manipulativen, die Wirklichkeit und Wahrheit verschleiernden Gebrauch von Begriffen und wissenschaftlichen Erkenntnissen.

P O L I T I K , K U L T U R U N D Ö F F E N T L I C H K E I T

Diese Vorbemerkungen mögen als Einführung zur bemerkenswerten Irritation um die Verleihung des Hessischen Kulturpreises 2009 gelten. Dem ‚interreligiösen Dialog’ sollte die höchste kulturelle Auszeichnung des Landes diesmal gewidmet werden, nicht nur die Grenzen des Bundeslandes, sondern gewiss auch aus integrationspolitischer Sicht die der Bundesrepublik Deutschland überschreitend. Weithin bekannt ist ja die freundschaftliche Verbundenheit des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch(CDU) mit dem obersten Repräsentanten des tibetischen Buddhismus, dem Dalai Lama. Entsprechend wird eine gut wachsende buddhistische Gemeinde in Deutschland allmählich wahrgenommen – und eine noch schwache Ahnung weltweiter Umverteilung religiöser Güter scheint sich zu regen. Auch wenn die Gründe zufällig sind und aus einem tief verwurzelten Antikommunismus des ‚kalten Krieges’ stammen, so ist Koch doch positiv zuzurechnen, dass er im Falle des Dalai Lama und des Buddhismus die Chancen vieler verzweifelter Christen und Muslime, eine friedfertige Linie in ihr gestörtes religiöses Gefühlsleben einzubauen, dem Moloch des wie auch immer gefärbten Opportunismus nicht opferte.
Ich brauche nur einige wenige Namen stellvertretend für die lange Reihe ehrwürdiger Preisträger zu nennen, um das Gewicht dieses Kulturpreises anzuzeigen: Eugen Kogon, Volker Schlöndorff, Wolf Singer, Marcel Reich-Ranicki, Jürgen Habermas, Siegfried Unseld, Til Schweiger. Nur einmal in den 27 Jahren seit 1982, 2005, wurde der Preis nicht vergeben, - ein Wahljahr in Deutschland wie 2009. Im Vorjahr ging der Preis nicht an Personen, sondern an Institutionen: Das Landes Jugend Jazz Orchester und das Mathematikum Gießen. Insgesamt werden 45000 Euro auf die Preisträger aufgeteilt – der erste Akt der Irritation kann beginnen.
Indem ich schon vor der reflektierenden Berichterstrattung so viele grundsätzliche wie notwendige Überlegungen zum komplexen Thema des Kulturlebens in Erinnerung rufe, hätte ich beinahe übersehen, dass das öffentliche Feuer im Mai von der noch weitgehend verborgen gebliebenen Glut entfacht wurde, die bereits Ende 2008 und. Anfang 2009 erzeugt worden war. In diesem kalten Winter war es den kulturell gebeutelten Hessen angebracht erschienen, den gestrauchelten und beinahe gefallenen Ministerpräsidenten Koch gegen das drohende Gespenst eines ‚linksradikalen’ Regimes der Andrea Ypsilanti (SPD) - von Gnaden eines Oskar Lafontaine (Die LINKE )- wieder aufzurichten.
Kochs politische Erfolgslinie ist gekennzeichnet durch und verbunden mit einem stark konservativ-populistischen Hang, der auch fremdenfeindliche Stimmungen benutzt, wo es um das Erreichen politischer Machtpositionen geht. So war es beim kommunalen Wahlrecht für EU-Bürger in den 80er Jahren, als Koch noch in der Jugendorganisation der Union aktiv war, bei der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft in den 90ern, bei den ‚kriminellen’ Jugendlichen mit angeblich nicht integrationswilligem kulturellen Hintergrund, so ist es heute bei dem gemeinsam mit den Liberalen gesteuerten Kurs einer kompromisslosen, inhumanen Abschiebepolitik. Erinnert sei auch an die Ex- Kultusministerin Karin Wolf, die den primitiven US-amerikanischen Kreationismus als pädagogische Anwendung für diskussionswürdig erachtete. Passend dazu muss man auch die jüngsten ideologischen Umdeutungen des Krieges in Afghanistan durch den aus Hessen stammenden ‚Bundesverteidigungsminister’ F.J. Jung ansehen, der brutale und Kultur zerstörende Krieg sei in Wirklichkeit gar kein Krieg, weil Polizei, Recht, Schulen, Wasserleitungen usw. aufgebaut würden. Das ideologische Interesse der Verschleierung von Realität ist in jenen Fällen mit den Händen zu greifen. Dabei ist keineswegs die Liste der Nennungen vollständig, wenn man beispielsweise an die engstirnige Intervention Kochs gegen den Journalisten Nikolaus Brender beim ZDF denkt.
Im Januar 2009 fand in Reaktion auf den nahöstlichen Krieg im Gaza-Streifen auch in Deutschland eine verbale Unterstützungskampagne bezüglich der militärischen Operationen Israels statt, mit der üblichen politischen Erklärung und Unterschriftenliste, auf der auch Professor Salomon Korn stand. Professor Fuat Sezgin, der zusammen mit Korn und den beiden Kirchenmännern und Professoren Karl Lehmann und Peter Steinacker schon im Dezember 2008 sich als Preisträger geehrt fühlen durfte, zog sein Versprechen der Preisannahme aus pazifistischen Gewissensgründen zurück. Zu diesem Zeitpunkt konnte bei den Beteiligten und den interessierten Beobachtern der Eindruck sich herausbilden, dass die Begründung der Preisabsage durch den muslimischen Repräsentanten pazifistische Argumente nur zur Verschleierung einer nicht dialogbereiten, grundsätzlicheren Gegnerschaft vorschob. Deswegen hatte der Zentralrat der Juden in Deutschland den Verdacht geäußert, in Wahrheit ließe sich Sezgin von antisemitischen Motiven leiten. Aber dieser Verdacht wird später, Mitte Mai 2009, durch eine persönliche öffentliche Erklärung überzeugend ausgeräumt, als Sezgin seine Ablehnungsgründe „nicht immer ganz korrekt wiedergegeben“ sah und schädlichen Missverständnissen entgegenwirken wollte.
Es ist im Nachhinein also nachvollziehbar, dass Anfang März die Hessische Kulturpolitik noch einmal ernsthaftes Interesse bekundete, der emeritierte Professor für Geschichte der Naturwissenschaften und Verfasser bedeutender Werke des arabischen Schrifttums möge seine Entscheidung noch einmal „überdenken“. Er blieb bei seiner Entscheidung, nachdem er zwei Tage sein Gewissen ernsthaft geprüft hatte und sich vor allem auf seine Berufung und Verantwortung als Wissenschaftler besann. Wie sich zeigen sollte, war diese Akzentuierung des pazifistischen Bekenntnisses in Kombination mit der Verantwortung des Wissenschaftlers eine kluge Vorausschau, die eine unvorsichtig weit gehende Vermischung von Religion und Wissenschaft vermied.
Salomon Korn und die beiden anderen Preisträger haben in dieser Sache und zu diesem Zeitpunkt –soweit bekannt- kein Öl ins Feuer gegossen. Sie konnten nur davon ausgehen, dass ein offenes Gespräch unter den Preisträgern zur Bedeutung des interreligiösen Dialogs von der Landesregierung nicht unbedingt angestrebt oder gar gewünscht wurde. Zumindest war dies im Rahmen der öffentlich nachvollziehbaren Kommunikation nie ein Thema. Die Störung heftete sich somit vordergründig und unberechtigt an Sezgin, obwohl sie ja in Wirklichkeit auf kriegerische Gewalt und dann auch auf den unterschiedlichen Umgang mit dieser zurückzuführen war. Es ist festzuhalten, dass insoweit niemand der Beteiligten von sich aus den verborgenen Konflikt anheizte, sodass eventuell Probleme interreligiöser Diskussion zu Tage getreten wären.
Nun scheint jedoch, dass die Störung , wie auf einer Seelenwanderung, dann doch in dem Augenblick die eine Person, Fuat Sezgin, verlies, als die andere, Navid Kermani, den verbliebenen 3 Preisträgern hinzunominiert wurde (März 2009). Ob sie schließlich bei diesem landete, soll offen bleiben, denn ich erwähne die Störung nur, um auf die inszenierten, tieferen Kulturbrüche vorzubereiten, die im nächsten Akt der Preisverleihung erkennbar werden. Das Thema und die Geschichte von den Tücken eines Kulturpreises würde aus meiner Sicht nicht zu bearbeiten erforderlich, hätten sich nun alle still verhalten. Dann wäre im Sommer 2009 der hessischen Landespolitik unter Führung von Roland Koch auf öffentlicher Bühne ein zählbarer Erfolg zugerechnet worden – niemand hätte sich ernsthaft Gedanken machen müssen über die kulturrelevanten Tätigkeiten von Fuat Sezgin und besonders von dessen nachfolgenden ‚Ersatz’, Navid Kermani, Schriftsteller, Orientalist, Mitglied der deutschen Islamkonferenz. Aber irgendwie scheint mir heute selbst die Zufälligkeit, ob etwas erforderlich ist oder nicht, von ebenso vielen Zufällen in der Beurteilung der öffentlichen und geheimen Nachrichtenlage abhängig zu sein.
Tatsächlich tauchte Mitte Mai aber wie aus heiterem Himmel ein ‚Fiasko des Roland Koch’ in der Presse auf. Was war passiert? Um es direkt zu sagen, Koch hatte Kermani den verliehenen Preis wieder entzogen! Vor der notwendig ausführlicheren Antwort sollten noch zwei Gesichtspunkte knapp erwähnt werden, die bei der Berichterstattung und Beurteilung der Vorgänge um den hessischen Kulturpreis vorauszusetzen sind: 1. der Wert dieses Preises, 2.die Beschränkungen meiner Sicht der Dinge, wie sie mir von außen auferlegt sind.
Ein Kulturpreis, der für Verdienste im interreligiösen Dialog vom Staat verliehen wird, ist in erster Linie ein ‚gewolltes Friedenssignal’ und steht insoweit auch für vom Staat gewünschte friedliche Verständigungsbereitschaft ihrer irgendwie noch im traditionellen Sinne religiös inspirierten Bürger. Dass der unreligiöse bis antireligiöse Mensch und Bürger, der heute zur Mehrheit zählt, bei einer solchen Preisverleihung keine Berücksichtigung finden kann, liegt in der Natur der Sache und ist legitim. Aber die Mehrheit der mehr oder weniger deutlich von der überlieferten Religion Abgefallenen mag nur Zaungast sein, unbeteiligt ist sie nicht. Die friedliche Absicht des Staates kann auf dem Boden der Religionsfreiheit überprüft werden, auf dem ja gerade auch der Ungläubige heute wesentlich beschützter sich bewegen kann als in der Vergangenheit. Die Absicht, keine gewaltsamen Kämpfe, sondern friedlichen Dialog zu fördern, ist jedenfalls begrüßenswert. Wie bei so vielen guten politischen Projekten, fordert die Ernsthaftigkeit, mit der eine solche Absicht betrieben wird, einen Preis. Ein wesentlicher Teil dieses Preises ist der sorgfältige, verantwortungsvolle Umgang mit den ausgesuchten Preisträgern und der Idee der Preisvergabe selbst.
Das Dilemma meiner Sicht gründet sich auf die Tatsache, dass Methoden der Geheimdiplomatie mit öffentlicher Information und Bewertung verbunden und vermischt sind. Unter Führung des Hessischen Ministerpräsidenten hatte üblicherweise ein Kuratorium die genannten vier Persönlichkeiten als Preisträger nominiert, die als designiert gelten konnten, wenn sie den Preis annahmen. So war es auch bei Sezgin gewesen, der dann aus schwerwiegenden und ehrenhaften Gründen nach seiner Zusage ablehnte. Ein erster, leichter Riss bahnte sich an. Über den Vorgang zu Beginn des zweiten Akts der Preisverleihung wird zunächst nichts weiter bekannt als das Ergebnis der Arbeit des Kuratoriums, welches am 5. Juli 2009 auf offener Bühne vollzogen werden sollte. Eine Verschiebung von März auf Juli war vorausgegangen, hatte mit dem gesundheitlichen Zustand von Karl Lehmann zutun. Aus meiner Wahrnehmung können wir weder wissen , welche Erwägungen während der Klausur des Kuratoriums allgemein angestellt, noch wie sorgfältig Schriften, Reden, sonstige Dokumente der in die Auswahl gelangten Persönlichkeiten beurteilt wurden – oder gar, ob in diesem Prozess bereits eine Kontroverse stattgefunden hat, die für die geplante öffentliche Harmonieveranstaltung nichts Gutes hätte ahnen lassen müssen. Was hätte dagegen gesprochen, wenn Koch in seinem Gremium auch den Dalai Lama ins Spiel gebracht hätte? Wäre das Risiko von Turbulenzen zu groß gewesen, sind nur Preisträger mit deutschem Pass nach den Statuten möglich ? Wir wissen es nicht!
Kermani fällt in der Angelegenheit des Kulturpreises durch sein bewusstes öffentliches Wirken auf. Von ihm erfährt die Öffentlichkeit, dass ihm durch den Protokollchef der Landesregierung, Dieter Beine, eine entsprechende Mitteilung am 20. März 2009 zugegangen ist und er der Preisverleihung in der vorgesehenen Form zustimmte. Außerdem ist sein intensives publizistisches Engagement auch in Zeitschriften und Tagespresse bekannt. Von den übrigen Preisträgern dringen ausgewählte und bewertete Zitate in die Öffentlichkeit. Sie scheinen in einer Art geheimen Absprache mit Ministerpräsident Roland Koch auf eine Ausladung des muslimischen Vertreters hinauszulaufen, was tatsächlich auch unter unwürdigen Umständen durch Beschluss des Kuratoriums geschah. Kardinal Lehmann will das aber nicht ‚insinuiert’ haben, wie er später –im Mai 2009- verlauten lässt. Ex-Kirchenpräsident Steinacker wird, ähnlich wie Lehmann, bezüglich einer gemeinsamen Preisentgegennahme mit negativen Äußerungen zitiert, hat meiner Wahrnehmung nach die Ausladung Kermanis in keiner Form bedauert.
GEKREUZIGTER MESSIAS ALS POLITIKUM

Eine Rekonstruktion der turbulenten Vorgänge, die nicht zufällig ungenaues Wissen und Spekulation hervorrufen, könnte wie folgt aussehen: Die Preisträger hatten Zeit, sich mit den inhaltlichen und formalen Umständen der Preisverleihung vertraut zu machen. Und so ereignete sich offenbar der entscheidende Knacks im Kulturgetriebe, der anscheinend durch starke emotionale Bedenken religiöser Art ausgelöst aber nicht verursacht wurde. Lehmann und Steinacker entdeckten (unabhängig voneinander?) in der schriftstellerischen Tätigkeit des Orientalisten und Mitglieds der deutschen Islamkonferenz, Kermani, einen nicht erträglichen, d.h. nicht tolerierbaren Gedanken. Dem äußeren Anscheine nach drehte sich dieser um die sogenannte Kreuzestheologie, die im Zusammenhang mit der frohen österlichen Botschaft der Auferstehung des Jesus von Nazareth und der Erlösung der Menschheit von den Leiden der Welt zugleich auch dunkle und schmerzvolle Seiten menschlicher Existenz reflektiert.
An dieser Stelle sucht uns also der Teufel der Geheimhaltung und der gezielten Indiskretion heim, denn weder die genauen Argumente, die im interreligiösen Dialog eingebracht werden könnten, noch die genauen Worte, mit denen –soweit öffentlich bekannt- Lehmann und Steinacker auf die politischen Instanzen Einfluss nahmen, sind zuverlässig bekannt. Das ist der Grund für meine Spekulation hinsichtlich der kulturpolitischen Linie der (noch) nicht ausgeladenen Preisträger und der Landesregierung selbst.
Tatsächlich schreibt Kermani im März 2009 in der Neuen Züricher Zeitung ( NZZ), um sich von der jüdischen und islamischen ‚Höflichkeit’ in Sachen Kreuz zu unterscheiden: „Für mich formuliere ich die Ablehnung der Kreuzestheologie drastischer: Gotteslästerung und Idolatrie“. Das christliche Dogma ist damit einem schwerwiegenden Verdacht ausgesetzt, dem theologischen Wahrheitsanspruch nicht gerecht zu werden und mit einem Trugbild Gottes zu operieren. Kermani greift eine Ahnung der Autoren der Bibel auf – Paulus wusste als Briefschreiber an seine Anhänger, dass seine religiöse Konzeption des gekreuzigten Messias „den Griechen eine Torheit und den Juden ein Ärgernis“ war- , ohne den betenden Christen einen Vorwurf machen zu wollen, was er auch ausdrücklich in Respekt vor Andersgläubigen in der NZZ betont. Es geht ihm also allein um die Fragwürdigkeit des Dogmas und die drastische Formulierung eines Verdachts, den er diesem Dogma gegenüber hegt. Aber er formuliert nicht einfach einen erdachten Verdacht gegen ein religiöses Dogma. Er illustriert mit einfachen Worten, welche Gedanken und Gefühle in demjenigen aufkommen können, der die ästhetische Verarbeitung eines künstlerischen Produkts im Begriffe ist zu realisieren.
Kermani analysiert genau in diesem Sinne die ‚Kreuzigung’ von Guido Reni (1575-1642). Als er in der Kirche San Lorenzo in Lucina vor dem Altarbild saß, so erinnert er sich im Nachhinein an seine Empfindungen, „fand (ich) den Anblick so berückend, so voller Segen, dass ich am liebsten nicht mehr aufgestanden wäre. Erstmals dachte ich: Ich –nicht nur: man-, ich könnte an ein Kreuz glauben“. Es erging ihm wohl so ähnlich wie einem ästhetisch sensiblen Menschen, den Wohlbefinden durchdringt, wenn er den wundervollen Klang gregorianischer Chöre in sich aufnimmt. Aber der ästhetisch geschulte Schriftsteller beendet seine Betrachtung nicht in euphorischer Schwärmerei für das Kreuz, sondern zwiespältig. Er stellt zum Gekreuzigten fest: „Sein Blick ist der letzte vor der Wiederauferstehung, auf die er nicht zu hoffen scheint“. Der elegante Stil des Künstlers, der sich in glatten und ästhetisierenden Formen des Altarbildes ausdrückt, hat zur Überraschung des heutigen Betrachters bei ihm den wohltuenden Eindruck hervorgerufen, dass Folter und Schmerz bei der Verehrung des Kreuzes sich nicht unbedingt als unangemessene Verdrängung oder gar Rechtfertigungsideologie bemerkbar machen muss. Seine Betrachtung trägt die Überschrift: „Warum hast Du uns verlassen?“ Auch diese Frage, an biblischen Texten orientiert, macht die undogmatische, skeptische Intention des Schriftstellers deutlich. Diese interessiert sich für das religiöse Geheimnis, wie der gefolterte und verspottete Messias in seiner Erniedrigung mit der göttlichen Mission umgeht. Wenn Kermani zur christlichen Idee der Wiederauferstehung schreibt, dass der Messias, dem dies gelungen sein soll, selbst auf ein solches Wunder ‚nicht zu hoffen scheint’, mildert er seine anfänglich drastische Formulierung ab, ohne ihren Kern aufzugeben. Kermani verharrt am Berührungspunkt der religiösen mit der materiellen Welt, ohne zu sehen, dass Gefühle der Verlassenheit und Hoffnungslosigkeit in uns allen aufkommen, wenn wir vom irdischen Leidensdruck überwältigt werden.
Dass die Verwalter des christlichen Erbes in ihrer religiösen Identität sich angegriffen fühlten, ist verständlich und hat im ersten Moment mit Intoleranz noch wenig zu tun. Es steht uns an ihren religiösen Empfindungen keine Kritik zu. Selbst wenn sie versichern würden, dass ihnen Zweifel an den christlichen Glaubensgrundlagen völlig fremd sind, wäre eine auf unglaubwürdige Theologie und Glaubenspraxis zielende Kritik nicht unbedingt zweckmäßig. Allerdings könnten solche Zweifel, wo sie eingestanden werden, objektiv einen Berührungspunkt für interreligiösen Dialog erzeugen. Da logische Begründung, wie Paulus wusste, in keinem Fall das altertümliche Folterinstrument zwingend zum Symbol des Glaubens macht, befinden wir uns beim christlichen Kreuz auf ureigenem religiösen Terrain. Hier hängt es nun ganz von der Betrachtung und Akzentuierung der einzelnen religiösen Gegenstände ab, ob man das Kreuz in den Mittelpunkt stellt, ihm ein kleineres Gewicht unter anderen Gewichten zuerkennt oder ganz auf es verzichtet. Das alles ist Glaubenssache und unterliegt somit der Freiheit und ihren wohl verstandenen Begrenzungen, um die in der Gesellschaft gerungen wird. Nebenbei sei daran erinnert, dass das Kreuz in verschiedenen Versionen und Formen fürchterlich missbraucht wurde. Und doch nützt gegen den Missbrauch weder die Errichtung von Tabus noch das direkte Verbot mit Strafandrohung.
Interessanter bezüglich des religiös aufgeladenen Kulturkonflikts ist jedoch folgende Überlegung. Die zentrale Idee der christlichen Lehre erscheint uns auch heute noch als einigermaßen kreativ und genial: Jesus von Nazareth ist in ihrer Sicht wahrer Mensch und wahrer Gott. Vergängliches und ewiges Leben durchdringen sich danach zu einer unzertrennlichen, dreifaltigen Einheit von Vater, Sohn und heiligem Geist, die den besten, denkbaren Schutz vor ‚falscher’ Gottesverehrung bildet. Diese Konstruktion bewährt sich in einem doppelten Vorteil: Alles ist durch inneres Erlebnis (des Glaubens) ausnahmslos jedem Menschen zugänglich , wenn er sich nicht durch strikte Betätigung der Vernunft dagegen sperrt, und begründet ein Bewusstsein der -illusionären- Überlegenheit und Aufgeklärtheit. Schutz vor religiöser Regression, dem Rückfall in Polytheismus, Naturreligion, Götzendienst erscheint dem Christentum und seinen überzeugten und bewussten Anhängern mit der Dreifaltigkeitslehre als im höchsten Maße sicher. Dazu trägt das enorme Rationalisierungs-potential der göttlichen Identität in der Form des Vater/Sohnverhältnisses bei. Dass neben diesen religiösen Kernbestand heute tatsächlich eine Vielzahl von Ersatzreligionen mit größerer Anziehungskraft getreten ist, hat identifizierbare politische Ursachen, ändert an dieser inhaltlichen Sicht und der Bezugsebene der Dialogfähigkeit/Unfähigkeit monotheistischer Religionen wenig.
Die monotheistische Religion, die sich ja zunächst auf die schwersten Vergehen gegen den Vater gründet, steht im Laufe der Zeit vor der ernsten Gefahr regressiver Verehrungsformen und gefährdet damit auch die menschliche Gesellschaft in ihrem kulturellen Bestand. Auf diesem Boden waren ja in religiöser Opposition zum jüdischen Glauben –und auf dessen Grundlage- die ersten kleinen christlichen Gemeinden vor 2000 Jahren entstanden. Es entlastet die Gesellschaft durch rigorose Abschaffung unsäglicher Opfer und auch psychisch die starken männlichen Nachfolger, wenn ihr Glaube nicht mehr auf einen einzigen, sterilen, fernen Gott Vater ausgerichtet werden muss. Dieser einzige Gott hatte nach der Lesart der jungen jüdischen Reformbewegung sich entschlossen, selbst Mensch zu werden, als Sohn schwerste Leiden auf sich zu nehmen - um der Erlösung der Menschheit willen. Damit wird den tyrannischen Gefahren Rechnung getragen, die von der Monopolstellung eines einzigen Gott Vater ausgeht. Die Menschensöhne dürfen sich durch Gottes Offenbarungsbeschluss von schwerer Last befreit fühlen. Dass Gott danach auch im Mitmenschen sein kann, dass er in uns allen selbst existiere, ist eine Vorstellung, die vermutlich den wirklichen Verhältnissen recht nahe kommt. Vom Ansatz her ist die christliche Religion ein Rationalitätsfortschritt, weil sie effizienter einsetzbare Mittel in die Hand gibt, den Schuldkomplex umfassend abzuklären. Es ist offensichtlich, dass die beiden anderen abrahamischen, überlieferten monotheistischen Religionen das Problem der Schuld entsprechend ihren historischen Entstehungsbedingungen als Offenbarungsreligion auf andere Weise aufgreifen und lösen. Auch die unmittelbare Intention des Jesus von Nazareth, die eher rückwärts, auf Buße und Rekonstruktion originärer Gläubigkeit gerichtet war, ändert an der nachträglichen Interpretation seiner Anhänger und deren Verkündigungswirkung wenig. Die Forschung kann solche Widersprüche zwischen Original und dogmengeschichtlicher Entwicklung enthüllen.
Dass die christlichen Ideen einen weitreichenden Einfluss auf das bürgerliche politische Konzept der Gewaltenteilung ausgeübt haben, erscheint mir ein ziemlich überzeugender, wenn auch nicht einfach nachzuvollziehender Gedanke zu sein.
Und nun kommt ein westlicher Orientalist (der deutsche Iraner, iranische Deutsche) und äußert öffentlich den massiven Verdacht, dass die christliche Lehre ihren eigenen Anspruch nicht ernst nimmt und im Endeffekt simplen Götzendienst und damit Gotteslästerung betreibt. Da dies aus christlicher Sicht zunächst ein Schock durch Wahrnehmung ist, so macht die Kritik auf der Seite Kermanis nur insoweit Sinn, soweit sie die religiöse Ebene nicht mit einer radikalen, unversöhnlichen Verweigerungshaltung verlässt. Der Text Kermanis verkörpert Religionskritik, ohne die Religion in Bausch und Bogen zu verurteilen. Diese Position muss heute im interreligiösen Dialog als angemessen gelten.
Auch wenn Kermani seine ‚drastische’ Formulierung etwas mildern würde, so wäre es kaum sinnvoll, beispielsweise von einer ‚gut gemeinten’ Gotteslästerung zu sprechen. Im Kern flackert in den wenigen kritischen Worten in der NZZ ein fest in der Erde vermauerter Typ von Religionskritik auf, dem eher die ästhetische als die religiöse Ebene als Urteilsmaßstab gilt. Vor einer gemeinsamen, dialogfähigen Verständnisebene zwischen monotheistischen religiösen Lehren türmen sich beim ersten Hinschauen nur schwer überwindbare Hindernisse auf, solange die Verständigung unter der Prämisse der alleinigen Geltung spezieller ‚religiöser Wahrheiten’ intendiert ist und geführt wird. Außer über den Punkt des Glaubenszweifels oder durch bewusste Geltendmachung von Vernunftgeboten lässt sich ganz offensichtlich der Schock der christlichen, jüdischen, islamischen Dialogunfähigkeit nicht auflösen. Dies heißt zunächst, dass wir weder wissen, noch uns denken können, wie Lehmann und Steinacker, vielleicht auch Korn, Dialogfähigkeit unter Beweis stellen wollen. Aller Voraussicht nach müssen wir darauf noch einmal zurückkommen.
Es war ihnen ja zu leicht gelungen (vielleicht ohne es ernsthaft zu beabsichtigen?), Kermani vom versprochenen Ehrenplatz mit entsprechender Dotierung zu verdrängen, was jedoch allein die Hessische Landesregierung zu verantworten hat, denn es handelt sich um den von ihr gestifteten und vergebenen Preis. Sie hätte nach der Erfahrung des Rücktritts Sezgins jetzt nach dem angedrohten(?) Rücktritt der beiden christlichen Vertreter den interreligiösen Dialog als vorerst nicht führbar eingestehen und den diesjahrigen Preisverleihungsverzicht dem jüdischen und islamischen Vertreter offen und ehrlich begründen müssen. Das tat die Landesregierung nicht, weil der ‚Rücktritt’ der beiden Christen in Wahrheit eine von der Koch-Regierung konstruierte, repressive, inkompetente Maßnahme war – und/oder eine theologisch nicht legitime Erpressung und Aggression, der sich Koch nur andienerte. Stattdessen kann nun Jedermann beobachten, wie maßlose Arroganz und Oberflächlichkeit mit nervösen, hilflosen Erklärungen sich paaren, die nur einem einzigen Zwecke nützlich sind: Reinwaschung – keiner will Schuld auf sich sitzen lassen. Dies Motiv tendiert im privaten und erst recht im öffentlichen Leben zu einer zähen, nachhaltigen Vitalität – ein typisches Kulturphänomen .
Deswegen wird man feststellen dürfen, dass die Sache nicht gegessen war. Im eigenen Lager rumorte es sofort: ‚Missverständnis’ und es habe ‚den Falschen getroffen’. In der Öffentlichkeit wurde gemutmaßt, am Ende handle es sich wohl um einen “Preis für Intoleranz“ und gemäß der interessierten Ideologie vom „Krieg der Kulturen“ zeige der „Fall Koch/Lehmann“, dass „viele ihn gerne führen würden“. In dieser zweiten Phase des Eklats drohte der Kulturpreis vernichtend zu explodieren. Kermani selbst hat auf Anfrage in einem offenen Brief in der FAZ auf die Entscheidung des Hessischen Ministerpräsidenten , ihm den zuerkannten Preis wieder abzuerkennen, kurz und prägnant geantwortet: „Ob ich denn nicht wisse, dass mir der Hessische Kulturpreis aberkannt wurde? Nein, ich wusste es nicht.(…) Sehr geehrter Herr Koch, ich hoffe, dass Sie sich wenigstens schämen. Mit freundlichen Grüßen aus dem katholischen Köln, Navid Kermani.“
RETTUNG DES INTERRELIGIÖSEN DIALOGS -
DES HESSISCHEN KULTURPREISES ?
Wer sich diese frische urchristliche Hoffnung durch den Kopf gehen lässt, ahnt bestimmt, welch scharfes Schwert sie sein kann, dass sie subjektiv Roland Koch in schwere Bedrängnis bringt – letztlich stehen Anstand und Glaubwürdigkeit von Kulturpolitik zur Debatte. Was in wenigen Tagen gegen Koch, Lehmann und Steinacker vorgebracht wird, während Verteidigungsreden kaum zu vernehmen sind, spitzt sich in dieser Phase der rituellen Rechtfertigungsideologien auf das Motiv zu, den Preis womöglich retten zu müssen.
Aber wie ? Die GRÜNEN regen einen öffentlichen Dialog der Preisträger an, was bei der Lage der Dinge nur von völlig unsicheren Voraussetzungen her vorstellbar ist. Wollen die Preisträger überhaupt eine öffentliche Diskussion, die diesen Namen verdient? Verschärfend wurde vom Forum des ev. Kirchentages für Kermanis Verdienste um den christlich-islamischen Dialog Stellung bezogen. Die SPD forderte mit wenig Verständnis für die sensible , prekäre Kulturproblematik und vor allem gegen die allgemeine Tendenz und Stimmung der Rettung des Preises, die Preisverleihung in diesem Jahr ganz auszusetzen. Einzelne Stimmen der FDP ebenfalls. Aber die FDP ahnte auch den Schaden, den Koalitionspartner Roland Koch angerichtet hatte, und half im Hintergrund zurückzurudern. Plötzlich wird eine Verschiebung der Preisverleihung auf den Herbst des Jahres gemeldet – danach gab Koch an, Lehmann, Steinacker und Korn hätten den Vorschlag zum ‚ internen Gespräch’ mit Kermani gemacht. Die Preisträger sollten sich also „verständigen“. Während die CDU in der Öffentlichkeit nur noch kleinlaut sich zu Worte meldet, sprechen die Liberalen mit geschwellter Brust und einer Andeutung selbstkritischer Prüfung von ‚gewachsener Erkenntnis’ „auch dank der journalistischen Begleitung“, „den Anderen noch mal nachzulesen“, so Integrationsminister, Justizminister und stellv. Ministerpräsident Jörg-Uwe Hahn(FDP).
Man darf gespannt sein, was bei dieser ‚Nachlese’ herauskommen wird – es dürfte nicht viel zu tun haben mit dem, was die GRÜNEN durch einen öffentlichen Dialog der Preisträger erwarten wollten. Aber vielleicht darf auch hier das Wort gelten, demzufolge die Hoffnung zuletzt stirbt. Micha Brumlik hatte vorher schon eine passende Begründung zur Rettung des Staatspreises angemahnt. Dabei hatte er mit Blick auf den Preisentzug nach Gutsherrnart von einem „integrationspolitischen GAU erster Ordnung“ gesprochen. Um einen Dialog ‚auf Augenhöhe’ zu führen , dachte er, dass Korn, Lehmann und Steinacker die Annahme des Hessischen Kulturpreises verweigern könnten (Angeblich hatten sie dies ja für den Fall getan, dass sie, wie geplant, mit Kermani den Preis gemeinsam in Empfang nehmen). Nach der zunächst plausiblen Logik von Brumlik haben die zuständigen Instanzen (Ministerpräsident und Kuratorium) ausgespielt und können den Schaden nicht mehr beheben. „Es obliegt somit den verbliebenen Preisträgern, den Weg für einen Neuanfang freizumachen“. Eine offene Verweigerung des Preises jedoch von den 3 verbliebenen Preisträgern aus Solidarität mit Kermani zu erwarten, aus deren Mitte der Eklat im voreiligen Einverständnis mit dem Ministerpräsidenten ausgelöst wurde, würde im Endeffekt zu diesem Zeitpunkt (Ende Mai 2009) ein zu schwerer Affront gegen Regierung und Staat sein. Diese hatten sich entsprechend ihrer politischen Identität eilig (und gern?) den geheim vorgebrachten ‚Argumenten’ angeschlossen. Dass somit ungewollt ein selbst entlarvender Offenbarungseid staatlich betriebener Kulturpolitik in Hessen plötzlich auf der Tagesordnung stand, scheint in der Logik der Ereignisse zu liegen, über die zu berichten ist, um sie nicht dem Vergessen preiszugeben. Und deshalb muss zu der gut gemeinten Rettungsidee Micha Brumliks festgehalten werden, dass sie leider die eingeübten Methoden politischer Machtverhältnisse außer Acht lässt. Das Possenspiel muss weitergehen.
Gehen wir an dieser Stelle einen Schritt zurück und lesen den ersten Satz einer kurzen Pressemeldung: „Der hessische Integrationsminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) hat sich erleichtert darüber gezeigt, dass die potenziellen Träger des Hessischen Kulturpreises nach ihrer öffentlichen Auseinandersetzung das Gespräch miteinander suchen.“(FR 22.05.09) Sollte sich Hahn substanziell so ausgedrückt haben, so würde das einen weiteren dunklen Schatten auf die Hessische Kulturpolitik werfen, der niemand auch nur ein Wort glauben dürfte. Eine öffentliche Erklärung des ahnungslosen Preisträgers Kermani gegen den Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch ist uns bekannt, weil der ihm aus einer tief verwurzelten ungerechten Haltung heraus den Preis scheinbar auf entsprechende Zuflüsterungen hin entzogen hat, und von dem der Schriftsteller hofft, dass er sich „wenigstens schämt“. Über eine öffentliche Auseinandersetzung zwischen den Preisträgern ist faktisch nichts bekannt. Es ist ja gerade die Öffentlichkeit, die eine üble Intrige an den Tag gebracht und eindeutig ergeben hat, dass es zwischen den Preisträgern überhaupt keine Auseinandersetzung gab und gibt.
Oder sind von Lehmann, Steinacker und Korn Worte bekannt geworden, die den Begriff der öffentlichen Auseinandersetzung mit einem designierten Mitpreisträger rechtfertigen könnten? Hatten wir uns versehen oder verhört, als wir von ihnen Worte der Selbstbezogenheit, Selbstgerechtigkeit oder einfach nichts vernahmen? Gibt es aus der Reihe dieser Persönlichkeiten mindestens eine, die mit Mut und aufrichtiger Empörung die bodenlose Ungerechtigkeit des einseitigen Preisentzugs verurteilt hat? Und auch die einfachste liberale Übung, den Preis für Kermani von Koch zurückzufordern und zugleich die Differenz des eigenen Standpunktes zum Standpunkt der ästhetischen Betrachtung des Schriftstellers zu verdeutlichen, ist bei diesem Possenspiel nirgends zu entdecken.
Die ‚öffentliche Auseinandersetzung’ der Preisträger ist in Wahrheit eine dreiste, kalkulierte Lüge, weil sie weder stattgefunden noch in irgendeiner Hinsicht vorgesehen war. Durch eine solche Formulierung, wo in der Pressemeldung eine ‚öffentliche Auseinandersetzung’ unwahr und manipulativ vorausgesetzt ist, soll nur von der eigenen, ideologisch bedingten Verantwortungslosigkeit abgelenkt werden. Eine alternative Bewertung müsste wohl auf naive, kindliche Unschuld der selbst ernannten Retter des Hessischen Kulturpreises sich gründen. Aber es steckt auch eine ernst zu nehmende Drohung hinter der Lüge: Wenn die Preisträger das Bemühen des Staates, das Heft wieder in die Hand zu bekommen, nicht freiwillig durch eine Gesprächsklausur honorieren und dabei den aufgebrochenen Konflikt nicht in der Lage sind auf einem angemessenen geistigen Niveau abzuhandeln, dann, so die Drohung, ist womöglich der kulturelle Friede, zentrales Ziel des Preises, in Gefahr. Darin darf allerdings auch ein Körnchen Wahrheit vermutet werden, das hoffentlich nicht aufkeimt. Vor einiger Zeit hat man für den hier geschilderten Vorgang den Begriff der repressiven Toleranz verwendet.
Der Staat könnte, um diesem kulturpolitischen Intrigenspiel mit noch unbekannten Folgen die Krone aufzusetzen, seinen Wissensvorsprung auch öffentlich verwenden. Er weiß, was Lehmann geschrieben, Steinacker vielleicht nur gesagt hat und ob Korns öffentliches Schweigen in Wirklichkeit präzise und beredt war. Auch Kermani könnte vielleicht die Dokumente aus Hessen, die ihm doch vorliegen dürften, bei Gelegenheit öffentlich, die politische Opposition sich bei der Aufklärung aller Fakten um die irritierende Vergabe des Hessischen Kulturpreises verdient machen.
Zunächst kann jedoch eine vordergründige ‚Erleichterung’ des Hessischen Integrationsministers, Justizministers und stellvertretenden Ministerpräsidenten vermeldet werden, weil sich die vier designierten, nicht ‚potenziellen’, Preisträger bereit fanden, das „Gespräch zu suchen“. Achten wir auf die Anzeichen, die aus den modernen Gemäuern nach außen dringen. Die Kultur steckt so tief im Schlamm, hat als feines, raues, ambivalentes Gebilde Angriffe hinnehmen müssen und vielleicht Verletzungen erlitten, dass Schlimmstes zu befürchten ist – und sei es eine endgültige Absage der Preisverleihung mit einer manipulierten Begründung. Der Hessische Staat hätte für diesen Fall zu seiner Schande 45000 Euro gespart.
Markus Spillmann, Chefredakteur der NZZ, führt uns in seinem Einspruch vom Dienstag den 19. Mai 09 zwei Kernpunkte des beobachteten Kulturcrashs unter Führung und Verantwortung der christlich-liberalen Koalitionsregierung in Hessen vor Augen: „Navid Kermani hat in dem fraglichen Text in dieser Zeitung ein seltenes Beispiel für die schonungslose Auseinandersetzung mit eigenen vorgefassten Meinungen und Vorurteilen gegeben. Wie, wenn denn nicht auch so, soll das Gespräch zwischen den Kulturen und den Religionen über den unverbindlichen Austausch von Höflichkeiten hinaus zu einem ernsthaften und ernstzunehmenden Dialog fortschreiten?
Der am Montag von den zuständigen Instanzen gefasste Beschluss, die Preisverleihung bis in den Herbst auszusetzen und inzwischen die drei Preisträger sowie Navid Kermani zu Gesprächen an einen Tisch zu bitten, ändert nichts an der Irritation, die durch die Aberkennung des Preises entstanden ist.“
Diese diplomatische Version des Züricher Chefredakteurs erinnert an eine wichtige Errungenschaft der kulturellen Evolution: Die Fähigkeiten der Selbstkritik und Selbstreflexion auszubilden als eine der Bedingungen für fruchtbaren Dialog. Kermani hat für seinen Teil diese Fähigkeiten nachgewiesen, aber Roland Koch erkannte ihm unbeherrscht, hinterrücks den zuerkannten Preis wieder ab. Bei dem jetzt gewählten Verfahren , - zu retten, was noch zu retten ist- entsteht für den Hessischen Ministerpräsidenten und die drei verbliebenen Preisträger nunmehr eine prekäre Zwangssituation, die vorher nicht bestand. Sie müssen plausibel machen, glaubhaft versichern, dass schwerwiegende Fehler bei der Vergabe des Kulturpreises in ihre Verantwortung fallen, die gute Absicht des Preises selbst demgegenüber nur durch schonungslose Offenheit untermauert werden kann, welche allein in der Lage ist, den vermeintlich unliebsamen Konkurrenten wieder ins Boot zu holen. Eine manipulative Augenauswischerei hilft nicht mehr. Es wird von der Lösung dieses prekären Problems abhängen, auf welche Weise sich der dritte Akt der hessischen Kulturpreis-Tragikkomödie unserem geistigen Auge darbieten wird.
Immerhin scheint Jörg-Uwe Hahn im Wiesbadener Parlament am 18. Juni sich vom Koalitionspartner zu distanzieren: „Ich halte es für nicht klug, dass das Kuratorium diese Entscheidung getroffen hat“ –Kermani den zuerkannten Preis wieder wegzunehmen! Begründung: Die ‚Debatte’ habe der „Integration in unserem Lande geschadet“. Diese verschämt daherkommende Distanzierung von Koch ist eine Täuschung der Öffentlichkeit. Hahn bewegt sich, wie Koch, auf der Ebene eines taktisch operierenden konservativen Populismus – die Differenz zwischen den eng Befreundeten ist gegenwärtig bedeutungslos. Koch hält es für richtig und effizient , sich auf die mehrheitsfähigen Vorurteile gegen den Islam zu stützen, Hahn ahnt als Integrationsminister, dass ihm eine Häufung schwerer Fehler der unsensiblen Kulturpolitik des Ministerpräsidenten, die er im allgemeinen befürwortet, Legitimationsprobleme bereiten wird – das ist aus seiner Sicht natürlich ‚nicht klug’. Aber es ist dennoch unvermeidlich. Und was die Möglichkeit einer Kulturpolitik mit liberaler Handschrift angeht, so hat die neue Schulministerin Dorothea Henzler (FDP) bereits öffentlich ihre schwache Position in dieser Landesregierung eingestehen müssen, als ihre forsche Absicht eines legalisierten Schulbesuchs ‚illegaler Kinder’ (!) von ihrem Parteichef Hahn und der CDU zunächst ausgebremst und auf die lange Bank geschoben wurde.
Was die öffentliche Debatte um die Fehlleistungen der Landesregierung angeht, so muss diese Debatte unbedingt als hilfreich für eine Integrationspolitik mit Augenmaß angesehen werden. Und welche Einschätzung trägt der Hessische Integrationsminister im Parlament vor? Eben diese Debatte habe der „Integration in unserem Lande geschadet“. Da ist eine ähnliche Verdrehung wie im Falle der angeblich „öffentlichen Auseinandersetzung“ zwischen den Preisträgern zu erkennen, die in Wirklichkeit eine kritische Auseinandersetzung mit schädlichen Entscheidungen der Landesregierung ist, der Jörg-Uwe Hahn als Vize-Chef angehört.
Der Justiz- und Integrationsminister der Hessischen Landesregierung hat im Verlauf weniger Wochen seines Regierens als Liberaler ein erstaunliches Problem mit der Kategorie der Öffentlichkeit. Neben den Oppositionsparteien im Landtag beklagen sich Kirchen, Wohfahrtsverbände und Flüchtlingsorganisationen über eine noch mal verschärfte Abschiebepolitik, die keinerlei tatsächliche Mitsprache mehr zulässt, welche humanitäre und menschenrechtliche Hemmungen gegen allzuleichtes Abschieben zur Geltung bringen könnte. Hier hat sich die FDP dem ‚Law and Order’ Denken der hessischen CDU sehr schnell und aus innerer Überzeugung angeschlossen. Auch stellt aus der Sicht von Hahn eine strafrechtlich ermittelnde Staatsanwaltschaft, die z.B. nach Kräften eine HIV-positive Person in verhängnisvoller Weise der öffentlichen Vorverurteilung zuführt, kein ernstes Problem dar. Nicht nur, dass in diesem Fall die Sängerin Nadja Benaissa die Leidtragende ist, an der aufgrund jener Vorverurteilung später immer etwas hängen bleiben wird, sondern auch die schädlichen Folgen für die weltweiten Bemühungen zur Eindämmung von Aids sollten im Wahrnehmungshorizont eines Justizministers prinzipiell vorkommen. Auch das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung bedarf angemessener Aufklärung, kann auf den Polizeiknüppel, öffentlichkeitssüchtige Staatsanwaltschaften, selbstgerechte Richter leicht verzichten. Ist Hahn überhaupt klar, dass seine prinzipiell richtige Bemerkung zur Unabhängigkeit der Justiz im konkreten Fall unpassend und schädlich war, da seine kalkuliert passive politische Haltung eine aktive Torpedierung schützenswerter Rechtsgüter bewirkte? Andererseits fällt jedem aufmerksamen Beobachter die zielstrebige und rührige Art des Justizministers auf, wenn es um den Einsatz von Rechtsinstrumenten geht, die den Schutz korruptions-verdächtiger Raffgier und Bereicherung in unserer Gesellschaft bewirken können (‚Steuerfahnder-Affäre’ und die ‚Affäre’ der Wolskis unter Einschluss einer der höchsten Richterinnen des Landes).
Mein vielleicht etwas voreiliger Verdacht, ein ernstes Motiv zur Rettung des Hessischen Kulturpreises bestehe bei den Verantwortlichen gar nicht, ist an die Voraussetzung geknüpft, dass die politische Klasse unter permanentem Handlungsdruck an den komplexen Kooperationsverhältnissen zwischen den Kulturen wie auch innerhalb eines kulturellen Organismus nur ein oberflächliches Interesse aufbieten kann. Ist diese Überzeugung einigermaßen stimmig, so können die von den Liberalen (scheinheilig?) angemahnten Rettungsmaßnahmen den Makel des Kulturbanausentums nicht verdecken., welche konkrete Lösung für den Hessischen Kulturpreis des Jahres 2009 auch immer gefunden wird. Versprochen ist die Verleihung für den Herbst, offen, ob man Kermani wieder ins Boot bekommt, ungewiss, wie die Dialogfähigkeit der Preisträger und vor allem der Regierung unter Führung von Roland Koch nachgewiesen wird. Das Ganze kann auch in einem dunklen, nicht nachvollziehbaren Mysterium enden, dem man schließlich das Etikett der Vernunft anheftet – bei soviel Unvernunft!

Kardinal Lehmann spricht in einem Zeitungsinterview (FR 26.08.2009) das zentrale Problem der Dialogfähigkeit im Zusammenhang mit aktuellen politischen und kirchlichen Fragen an. Ob die Bundeskanzlerin Angela Merkel z.B. zu wenig kirchliche Anliegen (Bioethik etc) unterstütze ? „… Ich bin für ein nüchternes Verhältnis zwischen Kirche und Politik. Ich mag es auch nicht, wenn Politiker sich den Kirchen andienen“. Diese kritische Anspielung wird später konkretisiert, als der Interviewer fragt: „ Herr Kardinal, nach dem Streit um den muslimischen Schriftsteller Navid Kermani im Frühjahr wurde die Verleihung des Hessischen Kulturpreises 2009 ausgesetzt. Wer bekommt ihn denn nun?“
„Da müssen Sie den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch als Vorsitzenden des Kuratoriums fragen. Ich für meine Person möchte die Debatte um Navid Kermani nicht wieder aufleben lassen.“ Frage von Joachim Frank: „Sie hatten sich an seinem Text über das Kreuz gestoßen und eine gemeinsame Verleihung des Preises infrage gestellt. Haben Sie in selbstkritischer Rückschau alles richtig gemacht?“ Antwort von Karl Lehmann: „Ich war überrascht, mit wie viel Ignoranz über die Sache selbst –also über die Verleihung des Preises an Vertreter mehrerer Religionen-, aber auch über mich geredet wurde. Ich stehe seit Jahrzehnten in der Öffentlichkeit, sodass an meiner positiven Haltung zum interreligiösen Dialog eigentlich kein Zweifel möglich sein sollte. Und dann behaupten dieselben Leute, die mir gerade den Preis verliehen haben, wenige Wochen später, ich könne ja nicht einmal richtig lesen. Also, das hat mir schon die Sprache verschlagen Ich habe übrigens nie gefordert, Navid Kermani den Preis abzuerkennen. Aber noch einmal: Das jetzt alles noch einmal nachzukarten, dafür ist mir meine Zeit zu schade.“ Frank insistierend: „Sie wollten sich doch mit Kermani treffen.“ Antwort Lehmann: „Ja, aber zu einem persönlichen Gespräch. Ganz ohne Sie und ihre Kollegen“. Der Interviewer kann immer noch nicht vom Kreuze lassen:
„Schade. es würde mich schon interessieren, wie sie das Problem beheben wollen, dass Kermani sich auf –aus Ihrer Sicht- despektierliche Weise über das Kreuz geäußert hat. Dieser Text, mit dem Sie in keiner Weise in Zusammenhang gebracht werden wollten, kann ja nicht einfach gelöscht werden.“ Nüchterne Antwort des Kardinals: „Da mache ich mir weniger Sorgen als Sie. Ich glaube, durch ein sachliches, ruhiges, nachdenkliches Gespräch kommt man immer weiter. Ich habe Kermani schon mehrfach getroffen und inzwischen auch mit seiner Familie korrespondiert. Ich bin sicher, wir kommen miteinander zurecht. Öffentlich habe ich parallel zu der ganzen Diskussion meine Stiftungsprofessur ‚Weltreligionen’ wahrgenommen. Das Ergebnis wird zur Buchmesse publiziert. Darin spätestens wird jeder lesen können, wo ich stehe.“ Der katholische Theologe umreißt seine Position abschließend: „Das interreligiöse Gespräch ist unerlässlich. Aber man darf es nicht mit dieser Ignoranz für den eigenen Wert jeder Religion führen, nicht mit dieser pseudo-liberalen säkularen Gleichgültigkeit, die unter dem Deckmantel von Toleranz und Religionsfreiheit den ganz eigenen Charakter von Religion nicht ernst nimmt“.
Was den anderen Kirchenmann angeht, Professor Steinacker, so möchte ich ihm gerne –ganz unabhängig von der Wortwahl des Kardinals- folgende Formulierung in den Mund legen: „Die Ausgrenzung Navid Kermanis stammte nicht von mir!“ Die Position von Professor Kor n wurde erkennbar in einem nicht unbedeutenden Zusammenhang dieses Kulturpreises , - als er Anfang 2009 sein Verständnis kriegerischer Gewalt Israels verteidigte und Fuat Sezgin bezüglich des gleichen Sachverhaltes antisemitischer Motive bezichtigte. Inwieweit er dann in Bezug auf den Schriftsteller Kermani möglicherweise politische Bedenken anmeldete, ist eine Frage, die zwar nicht aus der Luft gegriffen ist, aber dennoch meiner Auffassung nach nicht durch wilde Spekulation beschädigt werden, sondern der Wahrheitsliebe der Regierung Koch/Hahn überlassen bleiben sollte.
Was den Inhalt des Lehmann-Interviews betrifft, so fällt an dessen „nüchternen“
Verhältnis zur Politik zuerst seine emotional - aggressive Kritik an Politikern auf, denen er „Ignoranz“ und „pseudo-liberale säkulare Gleichgültigkeit“ vorwirft, die Toleranz und Religionsfreiheit als „Deckmantel“ benutzen und die Religion imgrunde missachten. Die Anspielung auf Hahns unsägliche Pressemitteilung, -wo vom ‚nachlesen’ die Rede war, um nicht vom Nachsitzen zu sprechen -, drückt den erbitterten Ärger des sich geschuriegelt Fühlenden aus. Und dann erfolgt seine trotzige Feststellung, die für Koch und Hahn eine kräftige Ohrfeige ist: „Ich habe übrigens nie gefordert, Navid Kermani den Preis abzuerkennen“. Wahrlich, so unklug war der Kardinal nicht! Denn er verstand es im Interview, mit der Zunge der Jovialität die religionskritische Haltung Kermanis klein zu reden („Ich bin sicher, wir kommen miteinander zurecht“), welche durch den Text in der Neuen Züricher Zeitung im Frühjahr die fleißige Zunge der empörten Glaubensfestigkeit zum Sprechen brachte. Es handelt sich nicht, wie so manche Seele voreilig vermutet, um Doppelzüngigkeit, sondern um zweckmäßige Verhaltensmuster, die je ihren eigenen Wert entfalten. Was soll man von einem Kardinal , Kirchenpräsidenten, Pfarrer halten, der sich nicht öffentlich empört, wenn massive Zweifel an seinen Glaubensgrundlagen angemeldet werden? Wenn nun aber der Kardinal sich „weniger Sorgen“ um das Kreuz macht als sein Interviewpartner, weil eben die Zeiten der Inquisition vorbei sind und heute das „sachliche, ruhige, nachdenkliche Gespräch“ angebracht ist, wer muss da noch herumkritisieren? Im ersten Fall ist die Toleranz in Form des Zugeständnisses gefordert, was den Kritiker kaum einen Verlust an Klarsicht kostet. Im zweiten Fall kann man ohne Bedenken zustimmen.
Zusammenfassend: Die Koch/Hahn-Regierung ist mit ihrer kulturpolitischen Linie der ungerechten Ausgrenzung erkennbar gescheitert, denn die im ersten Augenblick durch einen Zeitungsartikel in ihren Glaubensfesten Verunsicherten haben sich auf einen wesentlichen Wert des Kulturlebens besonnen, - Solidarität. So geht einige Tage nach dem Interview des Mainzer Kardinals die Meldung durch die Medien , dass während eines 2-stündigen Gesprächs „alle Aspekte der Kontroverse“ besprochen wurden und die verbliebenen Preisträger darauf sich geeinigt haben, dass auch „der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani den Hessischen Kulturpreis erhält“. (FR 29.08.2009) Abgesehen davon, dass jetzt noch die Stellungnahme der hessischen Landesregierung nachzutragen wäre, kann im Sinne der eingangs angestellten Überlegungen zu diesem Bericht ein „später Sieg der Vernunft“ mit deutlicher Tendenz zur Verdunkelung der tatsächlichen Handlungskontexte festgehalten werden.
September 2009 Ernst H. Stiebeling
 
Bericht zur Kulturpolitik eines deutschen Bundeslandes

Die Künste und Wissenschaften verfehlen ihren Zweck, wenn sie sich mit religiösen Anschauungen zu sehr vermischen. Je freier sie ihr Wirken gestalten können, je produktiver ihre Aktivitäten sind, umso deutlicher kann ihr wirklicher Nutzen für die Gesellschaft ausfallen. Sowohl die Freiheit als auch die Meidung eines zu engen Kontaktes der Künste und Wissenschaften, besonders mit religiöser Dogmatik, sind wünschenswerte Gründe und Ziele gesellschaftlichen Handelns, die andauernd kritisch zu überprüfen sind; sie sind keine absoluten Größen, welche erzwungen oder gar gewaltsam durchgesetzt werden können. Eigentümlich dabei ist, dass sie zur Not gewaltsam gegen Aggression und Usurpation verteidigt, nicht jedoch Ergebnis gezielter Aggression und Machtusurpation sein können. Die Politik ist von Jeher Interessen bedingt mit der Religion verwoben, wobei die kulturevolutionäre Problematik mit den Bedingungen sich befasst, unter denen für beide eine deutlichere Autonomie und Freiheit möglich und angebracht ist.

Religion in der Kultur
Der Nutzen der Religion jedoch spielt sich auf einer anderen Ebene ab. Ihre Aufgabe ist es, den Lebenden Trost zu spenden angesichts der Opfer, die sie Gott darbringen, und sie in die Lage zu versetzen, mit den Mühsalen und Gefahren des Lebens auf würdevolle Weise umzugehen. Es liegt daher in der Natur der Sache, dass der religiöse Mensch eine starke emotionale Identitätsbildung bezüglich 'seiner' Religion durchlebt. Der allmächtige, allwissende Gott erscheint ihm als ein Wesen, das Außerhalb seiner kontrollierbaren Wahrnehmung existiert und dem die Menschheit alles verdankt. Auf diesem übersinnlichen Verhältnis des Menschen zu Gott erheben sich die speziellen Lehren aller Religionen, zwischen denen eine auf Verständigung gerichtete Kommunikation jedoch nur möglich ist, wenn sie sich auf einen Minimalkonsens innerer Wahrnehmung verständigen oder auf gewisse Kommunikationstechniken der menschlichen Vernunft zurückgreifen können. Allgemeine Not und Bedürftigkeit, aus der Religion im Sinne einer auf Verzicht gegründeten Kulturaktivität geboren wird, erlaubt rationalen Diskurs nur auf einem bescheidenen Niveau. Ich spreche hier nicht davon, wie der Einzelne zur Religion gelangt, welche Gefühle und welches Denken religiöser Art sich bei ihm geltend machen ( z.B.Dankbarkeit für erfahrene Tröstung), sondern von der objektiven Grundlage aller Religion, deren illusionäre Gestalt subjektiv im Glauben verarbeitet und damit zu einer objektiven Größe im Kulturleben werden kann.
Wir wissen inzwischen einigermaßen zuverlässig, dass die Bindungskraft der überlieferten, besonders der christlichen und jüdischen Religion, in den technisch hochentwickelten Ländern nicht mehr die herausragende Stellung einnimmt, die sie lange Zeit hatte. Im Falle der islamischen Religion drückt sich der gleiche geschichtliche Vorgang in komplexen, widersprüchlichen Erscheinungsformen aus. Die stärksten Verluste religiöser Kraft treten durch blindwütige, politisierte Aggression religiöser Dogmen auf (Terrorismus, gewaltsame Verwirklichung von Glaubensgrundsätzen). Zur Entwicklungsperspektive dieser Problematik gehört auch, dass der irrationale Streit und die willkürlich monopolistischen Wahrheits-ansprüche für sehr lange Zeit auf der Agenda der Religionen standen und sich bei Bedarf mit rationalen Elementen der Lebenserfahrung mischten – bis es der Menschheit im Ansatz gelang, ihre allgemeinen Lebensbedingungen tendenziell rational zu gestalten. Nun gerieten auch die religiösen Dogmen unter Reformdruck, es wurde unabweislich, Elemente des rationalen Diskurses auch in die religiöse Lebensgestaltung allmählich zu übernehmen. Soweit das in unserem Zusammenhang zuverlässig zu bestimmen ist, könnte unter den Weltreligionen der Buddhismus hier wegen seiner toleranten Grundhaltung eine gesonderte Rolle spielen.
Wesentliche Entwicklungen der ‚Neuzeit’ haben uns gezeigt, wie andererseits Geist und Gestalt der menschlichen Vernunft sich mit speziellen Elementen religiöser Lehren zu einer starken gesellschaftlichen Kraft und Motivation verbinden können, wenn grundlegende Reformen sich als Notwendigkeit ankündigen. Auf welche Weise dies geschah, darüber können einige Arbeiten von Max Weber recht anschaulich Auskunft geben. Insoweit die Verbindung zwischen Vernunft und religiösen Gehalten als ein positiver Entwicklungszug interpretiert wird, obwohl dies nur in einem bescheidenen Sinne möglich sein dürfte, lassen sich zwei nebeneinander auftretende Resultate bzw. Prozesse erkennen:
1. Verselbständigung religiös inspirierter, rationalisierbarer Denk- und Verhaltensmodelle, deren ursprüngliche Kraftquelle immer schwächer und kaum noch bewusst wird (Verweltlichung).
2. Als originär und angemessen geltende Wahrnehmung und Interpretation der Welt, die ohne und gegen traditionelle theologische Deutung bestehen muss - auch Theologie verwissenschaftlicht bis zu einem gewissen Grade, behält aber eigenen Charakter.
(Verwissenschaftlichung)


Beide Resultate weisen auf die Schwierigkeiten der Religion und besonders ihrer Sachwalter in der heutigen Welt hin, ihr Erbe -den kulturellen Wandlungen entsprechend zu verwalten. Nüchternheit, realistisches Kalkül und ihre reiche historische Erfahrung und Offenheit, Hoffnung zu wecken und zu fördern, stehen ebenfalls in einem kleineren Kapitel des Stammbuchs der Religionen. Sie sind heute dringend gefordert. Denn die Tatsache der katastrophalen Aufteilung der Gesellschaft in reich und arm ist eindeutig machtpolitisch manipuliert, ebenso das Aufhetzen zu bornierten interessensbedingten kriegerischen Abenteuern – nicht selten im Namen eines bornierten Kulturverständnisses. Auch die vielen Millionen, die unverschuldet aus Arbeitsverhältnissen entfernt oder ferngehalten werden, ohne adäquaten Ersatz finden zu können, müssen sich keine Schuldvorwürfe machen, sondern bestrebt sein, ebenfalls einen klaren Kopf zu behalten und selbst nüchtern kalkulierbare Hoffnungen zu kultivieren - eine vom Anspruch her enorme Kulturleistung.
Ähnlich verhält es sich mit den äußerst deformierten Gerechtigkeitsverhältnissen, die angeblich auf Leistung beruhen oder auf je spezifische Handlungen zurückführbar seien. Leider glauben noch zu Viele solch infantilen Unsinn. Auch hier wäre die Hoffnungs-losigkeit kein guter Ratgeber. Denn seit Jahrzehnten lässt sich eine starke politische Tendenz zu manipulativen Bestrebungen beobachten, - zynisch auf repressive Ersatzbefriedigung ausgerichtet-, die hilf- und ratlose Menschen für ihre spezifischen, beschränkten Zwecke zu instrumentalisieren versuchen. Aber nicht nur diese populistische Tendenz eines fundamentalistisch-konservativen Motivs zeigt ihr Gesicht, sondern auch frische, undogmatische Strömungen (teils religiöser Art), welche die naturnotwendige Reformbereitschaft, Toleranz und Freiheit von Mensch und Gesellschaft nicht ignorieren, treten oft gleichzeitig auf den Plan und enthüllen bisweilen den rationellen Kern der aussichtslos erscheinenden Auseinandersetzung. Soweit Theologie als Wissenschaft betrieben wird, ist bei ihren Vertretern der Zweifel gegen den überlieferten Glauben unvermeidlich, was oft genug schon während des Studiums ins Bewusstsein eintritt.
Namhafte Wissenschaftler des 19. und 20. Jahrhunderts haben diese Entwicklung gesehen und die Christianisierung Europas und der übrigen Welt als eine kulturelle Oberflächenerscheinung begriffen, hinter deren Fassade durchaus heidnisch-aggressives Kräftepotential lauert und auf Gelegenheiten wartet, sich Bahn zu brechen. Mit einer Art religiösem Eifer wird eine Religion des Industriezeitalters geschaffen, wie Erich Fromm die Entwicklung interpretierte, wobei an die Stelle der überlieferten Heiligen - und das ist auch eine Gefahr der Nüchternheit und Rationalität- die Arbeit, das Eigentum, der Gewinn und die Macht treten. Wie ehedem der religiös verkleidete Missbrauch einen außerordentlichen und überflüssigen Herrschaftsmechanismus begründete, so tun dies heute mit dem gleichen Ziel die bunte Schar der Populisten durch manipulativen, die Wirklichkeit und Wahrheit verschleiernden Gebrauch von Begriffen und wissenschaftlichen Erkenntnissen.

P O L I T I K , K U L T U R U N D Ö F F E N T L I C H K E I T

Diese Vorbemerkungen mögen als Einführung zur bemerkenswerten Irritation um die Verleihung des Hessischen Kulturpreises 2009 gelten. Dem ‚interreligiösen Dialog’ sollte die höchste kulturelle Auszeichnung des Landes diesmal gewidmet werden, nicht nur die Grenzen des Bundeslandes, sondern gewiss auch aus integrationspolitischer Sicht die der Bundesrepublik Deutschland überschreitend. Weithin bekannt ist ja die freundschaftliche Verbundenheit des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch(CDU) mit dem obersten Repräsentanten des tibetischen Buddhismus, dem Dalai Lama. Entsprechend wird eine gut wachsende buddhistische Gemeinde in Deutschland allmählich wahrgenommen – und eine noch schwache Ahnung weltweiter Umverteilung religiöser Güter scheint sich zu regen. Auch wenn die Gründe zufällig sind und aus einem tief verwurzelten Antikommunismus des ‚kalten Krieges’ stammen, so ist Koch doch positiv zuzurechnen, dass er im Falle des Dalai Lama und des Buddhismus die Chancen vieler verzweifelter Christen und Muslime, eine friedfertige Linie in ihr gestörtes religiöses Gefühlsleben einzubauen, dem Moloch des wie auch immer gefärbten Opportunismus nicht opferte.
Ich brauche nur einige wenige Namen stellvertretend für die lange Reihe ehrwürdiger Preisträger zu nennen, um das Gewicht dieses Kulturpreises anzuzeigen: Eugen Kogon, Volker Schlöndorff, Wolf Singer, Marcel Reich-Ranicki, Jürgen Habermas, Siegfried Unseld, Til Schweiger. Nur einmal in den 27 Jahren seit 1982, 2005, wurde der Preis nicht vergeben, - ein Wahljahr in Deutschland wie 2009. Im Vorjahr ging der Preis nicht an Personen, sondern an Institutionen: Das Landes Jugend Jazz Orchester und das Mathematikum Gießen. Insgesamt werden 45000 Euro auf die Preisträger aufgeteilt – der erste Akt der Irritation kann beginnen.
Indem ich schon vor der reflektierenden Berichterstrattung so viele grundsätzliche wie notwendige Überlegungen zum komplexen Thema des Kulturlebens in Erinnerung rufe, hätte ich beinahe übersehen, dass das öffentliche Feuer im Mai von der noch weitgehend verborgen gebliebenen Glut entfacht wurde, die bereits Ende 2008 und. Anfang 2009 erzeugt worden war. In diesem kalten Winter war es den kulturell gebeutelten Hessen angebracht erschienen, den gestrauchelten und beinahe gefallenen Ministerpräsidenten Koch gegen das drohende Gespenst eines ‚linksradikalen’ Regimes der Andrea Ypsilanti (SPD) - von Gnaden eines Oskar Lafontaine (Die LINKE )- wieder aufzurichten.
Kochs politische Erfolgslinie ist gekennzeichnet durch und verbunden mit einem stark konservativ-populistischen Hang, der auch fremdenfeindliche Stimmungen benutzt, wo es um das Erreichen politischer Machtpositionen geht. So war es beim kommunalen Wahlrecht für EU-Bürger in den 80er Jahren, als Koch noch in der Jugendorganisation der Union aktiv war, bei der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft in den 90ern, bei den ‚kriminellen’ Jugendlichen mit angeblich nicht integrationswilligem kulturellen Hintergrund, so ist es heute bei dem gemeinsam mit den Liberalen gesteuerten Kurs einer kompromisslosen, inhumanen Abschiebepolitik. Erinnert sei auch an die Ex- Kultusministerin Karin Wolf, die den primitiven US-amerikanischen Kreationismus als pädagogische Anwendung für diskussionswürdig erachtete. Passend dazu muss man auch die jüngsten ideologischen Umdeutungen des Krieges in Afghanistan durch den aus Hessen stammenden ‚Bundesverteidigungsminister’ F.J. Jung ansehen, der brutale und Kultur zerstörende Krieg sei in Wirklichkeit gar kein Krieg, weil Polizei, Recht, Schulen, Wasserleitungen usw. aufgebaut würden. Das ideologische Interesse der Verschleierung von Realität ist in jenen Fällen mit den Händen zu greifen. Dabei ist keineswegs die Liste der Nennungen vollständig, wenn man beispielsweise an die engstirnige Intervention Kochs gegen den Journalisten Nikolaus Brender beim ZDF denkt.
Im Januar 2009 fand in Reaktion auf den nahöstlichen Krieg im Gaza-Streifen auch in Deutschland eine verbale Unterstützungskampagne bezüglich der militärischen Operationen Israels statt, mit der üblichen politischen Erklärung und Unterschriftenliste, auf der auch Professor Salomon Korn stand. Professor Fuat Sezgin, der zusammen mit Korn und den beiden Kirchenmännern und Professoren Karl Lehmann und Peter Steinacker schon im Dezember 2008 sich als Preisträger geehrt fühlen durfte, zog sein Versprechen der Preisannahme aus pazifistischen Gewissensgründen zurück. Zu diesem Zeitpunkt konnte bei den Beteiligten und den interessierten Beobachtern der Eindruck sich herausbilden, dass die Begründung der Preisabsage durch den muslimischen Repräsentanten pazifistische Argumente nur zur Verschleierung einer nicht dialogbereiten, grundsätzlicheren Gegnerschaft vorschob. Deswegen hatte der Zentralrat der Juden in Deutschland den Verdacht geäußert, in Wahrheit ließe sich Sezgin von antisemitischen Motiven leiten. Aber dieser Verdacht wird später, Mitte Mai 2009, durch eine persönliche öffentliche Erklärung überzeugend ausgeräumt, als Sezgin seine Ablehnungsgründe „nicht immer ganz korrekt wiedergegeben“ sah und schädlichen Missverständnissen entgegenwirken wollte.
Es ist im Nachhinein also nachvollziehbar, dass Anfang März die Hessische Kulturpolitik noch einmal ernsthaftes Interesse bekundete, der emeritierte Professor für Geschichte der Naturwissenschaften und Verfasser bedeutender Werke des arabischen Schrifttums möge seine Entscheidung noch einmal „überdenken“. Er blieb bei seiner Entscheidung, nachdem er zwei Tage sein Gewissen ernsthaft geprüft hatte und sich vor allem auf seine Berufung und Verantwortung als Wissenschaftler besann. Wie sich zeigen sollte, war diese Akzentuierung des pazifistischen Bekenntnisses in Kombination mit der Verantwortung des Wissenschaftlers eine kluge Vorausschau, die eine unvorsichtig weit gehende Vermischung von Religion und Wissenschaft vermied.
Salomon Korn und die beiden anderen Preisträger haben in dieser Sache und zu diesem Zeitpunkt –soweit bekannt- kein Öl ins Feuer gegossen. Sie konnten nur davon ausgehen, dass ein offenes Gespräch unter den Preisträgern zur Bedeutung des interreligiösen Dialogs von der Landesregierung nicht unbedingt angestrebt oder gar gewünscht wurde. Zumindest war dies im Rahmen der öffentlich nachvollziehbaren Kommunikation nie ein Thema. Die Störung heftete sich somit vordergründig und unberechtigt an Sezgin, obwohl sie ja in Wirklichkeit auf kriegerische Gewalt und dann auch auf den unterschiedlichen Umgang mit dieser zurückzuführen war. Es ist festzuhalten, dass insoweit niemand der Beteiligten von sich aus den verborgenen Konflikt anheizte, sodass eventuell Probleme interreligiöser Diskussion zu Tage getreten wären.
Nun scheint jedoch, dass die Störung , wie auf einer Seelenwanderung, dann doch in dem Augenblick die eine Person, Fuat Sezgin, verlies, als die andere, Navid Kermani, den verbliebenen 3 Preisträgern hinzunominiert wurde (März 2009). Ob sie schließlich bei diesem landete, soll offen bleiben, denn ich erwähne die Störung nur, um auf die inszenierten, tieferen Kulturbrüche vorzubereiten, die im nächsten Akt der Preisverleihung erkennbar werden. Das Thema und die Geschichte von den Tücken eines Kulturpreises würde aus meiner Sicht nicht zu bearbeiten erforderlich, hätten sich nun alle still verhalten. Dann wäre im Sommer 2009 der hessischen Landespolitik unter Führung von Roland Koch auf öffentlicher Bühne ein zählbarer Erfolg zugerechnet worden – niemand hätte sich ernsthaft Gedanken machen müssen über die kulturrelevanten Tätigkeiten von Fuat Sezgin und besonders von dessen nachfolgenden ‚Ersatz’, Navid Kermani, Schriftsteller, Orientalist, Mitglied der deutschen Islamkonferenz. Aber irgendwie scheint mir heute selbst die Zufälligkeit, ob etwas erforderlich ist oder nicht, von ebenso vielen Zufällen in der Beurteilung der öffentlichen und geheimen Nachrichtenlage abhängig zu sein.
Tatsächlich tauchte Mitte Mai aber wie aus heiterem Himmel ein ‚Fiasko des Roland Koch’ in der Presse auf. Was war passiert? Um es direkt zu sagen, Koch hatte Kermani den verliehenen Preis wieder entzogen! Vor der notwendig ausführlicheren Antwort sollten noch zwei Gesichtspunkte knapp erwähnt werden, die bei der Berichterstattung und Beurteilung der Vorgänge um den hessischen Kulturpreis vorauszusetzen sind: 1. der Wert dieses Preises, 2.die Beschränkungen meiner Sicht der Dinge, wie sie mir von außen auferlegt sind.
Ein Kulturpreis, der für Verdienste im interreligiösen Dialog vom Staat verliehen wird, ist in erster Linie ein ‚gewolltes Friedenssignal’ und steht insoweit auch für vom Staat gewünschte friedliche Verständigungsbereitschaft ihrer irgendwie noch im traditionellen Sinne religiös inspirierten Bürger. Dass der unreligiöse bis antireligiöse Mensch und Bürger, der heute zur Mehrheit zählt, bei einer solchen Preisverleihung keine Berücksichtigung finden kann, liegt in der Natur der Sache und ist legitim. Aber die Mehrheit der mehr oder weniger deutlich von der überlieferten Religion Abgefallenen mag nur Zaungast sein, unbeteiligt ist sie nicht. Die friedliche Absicht des Staates kann auf dem Boden der Religionsfreiheit überprüft werden, auf dem ja gerade auch der Ungläubige heute wesentlich beschützter sich bewegen kann als in der Vergangenheit. Die Absicht, keine gewaltsamen Kämpfe, sondern friedlichen Dialog zu fördern, ist jedenfalls begrüßenswert. Wie bei so vielen guten politischen Projekten, fordert die Ernsthaftigkeit, mit der eine solche Absicht betrieben wird, einen Preis. Ein wesentlicher Teil dieses Preises ist der sorgfältige, verantwortungsvolle Umgang mit den ausgesuchten Preisträgern und der Idee der Preisvergabe selbst.
Das Dilemma meiner Sicht gründet sich auf die Tatsache, dass Methoden der Geheimdiplomatie mit öffentlicher Information und Bewertung verbunden und vermischt sind. Unter Führung des Hessischen Ministerpräsidenten hatte üblicherweise ein Kuratorium die genannten vier Persönlichkeiten als Preisträger nominiert, die als designiert gelten konnten, wenn sie den Preis annahmen. So war es auch bei Sezgin gewesen, der dann aus schwerwiegenden und ehrenhaften Gründen nach seiner Zusage ablehnte. Ein erster, leichter Riss bahnte sich an. Über den Vorgang zu Beginn des zweiten Akts der Preisverleihung wird zunächst nichts weiter bekannt als das Ergebnis der Arbeit des Kuratoriums, welches am 5. Juli 2009 auf offener Bühne vollzogen werden sollte. Eine Verschiebung von März auf Juli war vorausgegangen, hatte mit dem gesundheitlichen Zustand von Karl Lehmann zutun. Aus meiner Wahrnehmung können wir weder wissen , welche Erwägungen während der Klausur des Kuratoriums allgemein angestellt, noch wie sorgfältig Schriften, Reden, sonstige Dokumente der in die Auswahl gelangten Persönlichkeiten beurteilt wurden – oder gar, ob in diesem Prozess bereits eine Kontroverse stattgefunden hat, die für die geplante öffentliche Harmonieveranstaltung nichts Gutes hätte ahnen lassen müssen. Was hätte dagegen gesprochen, wenn Koch in seinem Gremium auch den Dalai Lama ins Spiel gebracht hätte? Wäre das Risiko von Turbulenzen zu groß gewesen, sind nur Preisträger mit deutschem Pass nach den Statuten möglich ? Wir wissen es nicht!
Kermani fällt in der Angelegenheit des Kulturpreises durch sein bewusstes öffentliches Wirken auf. Von ihm erfährt die Öffentlichkeit, dass ihm durch den Protokollchef der Landesregierung, Dieter Beine, eine entsprechende Mitteilung am 20. März 2009 zugegangen ist und er der Preisverleihung in der vorgesehenen Form zustimmte. Außerdem ist sein intensives publizistisches Engagement auch in Zeitschriften und Tagespresse bekannt. Von den übrigen Preisträgern dringen ausgewählte und bewertete Zitate in die Öffentlichkeit. Sie scheinen in einer Art geheimen Absprache mit Ministerpräsident Roland Koch auf eine Ausladung des muslimischen Vertreters hinauszulaufen, was tatsächlich auch unter unwürdigen Umständen durch Beschluss des Kuratoriums geschah. Kardinal Lehmann will das aber nicht ‚insinuiert’ haben, wie er später –im Mai 2009- verlauten lässt. Ex-Kirchenpräsident Steinacker wird, ähnlich wie Lehmann, bezüglich einer gemeinsamen Preisentgegennahme mit negativen Äußerungen zitiert, hat meiner Wahrnehmung nach die Ausladung Kermanis in keiner Form bedauert.
GEKREUZIGTER MESSIAS ALS POLITIKUM

Eine Rekonstruktion der turbulenten Vorgänge, die nicht zufällig ungenaues Wissen und Spekulation hervorrufen, könnte wie folgt aussehen: Die Preisträger hatten Zeit, sich mit den inhaltlichen und formalen Umständen der Preisverleihung vertraut zu machen. Und so ereignete sich offenbar der entscheidende Knacks im Kulturgetriebe, der anscheinend durch starke emotionale Bedenken religiöser Art ausgelöst aber nicht verursacht wurde. Lehmann und Steinacker entdeckten (unabhängig voneinander?) in der schriftstellerischen Tätigkeit des Orientalisten und Mitglieds der deutschen Islamkonferenz, Kermani, einen nicht erträglichen, d.h. nicht tolerierbaren Gedanken. Dem äußeren Anscheine nach drehte sich dieser um die sogenannte Kreuzestheologie, die im Zusammenhang mit der frohen österlichen Botschaft der Auferstehung des Jesus von Nazareth und der Erlösung der Menschheit von den Leiden der Welt zugleich auch dunkle und schmerzvolle Seiten menschlicher Existenz reflektiert.
An dieser Stelle sucht uns also der Teufel der Geheimhaltung und der gezielten Indiskretion heim, denn weder die genauen Argumente, die im interreligiösen Dialog eingebracht werden könnten, noch die genauen Worte, mit denen –soweit öffentlich bekannt- Lehmann und Steinacker auf die politischen Instanzen Einfluss nahmen, sind zuverlässig bekannt. Das ist der Grund für meine Spekulation hinsichtlich der kulturpolitischen Linie der (noch) nicht ausgeladenen Preisträger und der Landesregierung selbst.
Tatsächlich schreibt Kermani im März 2009 in der Neuen Züricher Zeitung ( NZZ), um sich von der jüdischen und islamischen ‚Höflichkeit’ in Sachen Kreuz zu unterscheiden: „Für mich formuliere ich die Ablehnung der Kreuzestheologie drastischer: Gotteslästerung und Idolatrie“. Das christliche Dogma ist damit einem schwerwiegenden Verdacht ausgesetzt, dem theologischen Wahrheitsanspruch nicht gerecht zu werden und mit einem Trugbild Gottes zu operieren. Kermani greift eine Ahnung der Autoren der Bibel auf – Paulus wusste als Briefschreiber an seine Anhänger, dass seine religiöse Konzeption des gekreuzigten Messias „den Griechen eine Torheit und den Juden ein Ärgernis“ war- , ohne den betenden Christen einen Vorwurf machen zu wollen, was er auch ausdrücklich in Respekt vor Andersgläubigen in der NZZ betont. Es geht ihm also allein um die Fragwürdigkeit des Dogmas und die drastische Formulierung eines Verdachts, den er diesem Dogma gegenüber hegt. Aber er formuliert nicht einfach einen erdachten Verdacht gegen ein religiöses Dogma. Er illustriert mit einfachen Worten, welche Gedanken und Gefühle in demjenigen aufkommen können, der die ästhetische Verarbeitung eines künstlerischen Produkts im Begriffe ist zu realisieren.
Kermani analysiert genau in diesem Sinne die ‚Kreuzigung’ von Guido Reni (1575-1642). Als er in der Kirche San Lorenzo in Lucina vor dem Altarbild saß, so erinnert er sich im Nachhinein an seine Empfindungen, „fand (ich) den Anblick so berückend, so voller Segen, dass ich am liebsten nicht mehr aufgestanden wäre. Erstmals dachte ich: Ich –nicht nur: man-, ich könnte an ein Kreuz glauben“. Es erging ihm wohl so ähnlich wie einem ästhetisch sensiblen Menschen, den Wohlbefinden durchdringt, wenn er den wundervollen Klang gregorianischer Chöre in sich aufnimmt. Aber der ästhetisch geschulte Schriftsteller beendet seine Betrachtung nicht in euphorischer Schwärmerei für das Kreuz, sondern zwiespältig. Er stellt zum Gekreuzigten fest: „Sein Blick ist der letzte vor der Wiederauferstehung, auf die er nicht zu hoffen scheint“. Der elegante Stil des Künstlers, der sich in glatten und ästhetisierenden Formen des Altarbildes ausdrückt, hat zur Überraschung des heutigen Betrachters bei ihm den wohltuenden Eindruck hervorgerufen, dass Folter und Schmerz bei der Verehrung des Kreuzes sich nicht unbedingt als unangemessene Verdrängung oder gar Rechtfertigungsideologie bemerkbar machen muss. Seine Betrachtung trägt die Überschrift: „Warum hast Du uns verlassen?“ Auch diese Frage, an biblischen Texten orientiert, macht die undogmatische, skeptische Intention des Schriftstellers deutlich. Diese interessiert sich für das religiöse Geheimnis, wie der gefolterte und verspottete Messias in seiner Erniedrigung mit der göttlichen Mission umgeht. Wenn Kermani zur christlichen Idee der Wiederauferstehung schreibt, dass der Messias, dem dies gelungen sein soll, selbst auf ein solches Wunder ‚nicht zu hoffen scheint’, mildert er seine anfänglich drastische Formulierung ab, ohne ihren Kern aufzugeben. Kermani verharrt am Berührungspunkt der religiösen mit der materiellen Welt, ohne zu sehen, dass Gefühle der Verlassenheit und Hoffnungslosigkeit in uns allen aufkommen, wenn wir vom irdischen Leidensdruck überwältigt werden.
Dass die Verwalter des christlichen Erbes in ihrer religiösen Identität sich angegriffen fühlten, ist verständlich und hat im ersten Moment mit Intoleranz noch wenig zu tun. Es steht uns an ihren religiösen Empfindungen keine Kritik zu. Selbst wenn sie versichern würden, dass ihnen Zweifel an den christlichen Glaubensgrundlagen völlig fremd sind, wäre eine auf unglaubwürdige Theologie und Glaubenspraxis zielende Kritik nicht unbedingt zweckmäßig. Allerdings könnten solche Zweifel, wo sie eingestanden werden, objektiv einen Berührungspunkt für interreligiösen Dialog erzeugen. Da logische Begründung, wie Paulus wusste, in keinem Fall das altertümliche Folterinstrument zwingend zum Symbol des Glaubens macht, befinden wir uns beim christlichen Kreuz auf ureigenem religiösen Terrain. Hier hängt es nun ganz von der Betrachtung und Akzentuierung der einzelnen religiösen Gegenstände ab, ob man das Kreuz in den Mittelpunkt stellt, ihm ein kleineres Gewicht unter anderen Gewichten zuerkennt oder ganz auf es verzichtet. Das alles ist Glaubenssache und unterliegt somit der Freiheit und ihren wohl verstandenen Begrenzungen, um die in der Gesellschaft gerungen wird. Nebenbei sei daran erinnert, dass das Kreuz in verschiedenen Versionen und Formen fürchterlich missbraucht wurde. Und doch nützt gegen den Missbrauch weder die Errichtung von Tabus noch das direkte Verbot mit Strafandrohung.
Interessanter bezüglich des religiös aufgeladenen Kulturkonflikts ist jedoch folgende Überlegung. Die zentrale Idee der christlichen Lehre erscheint uns auch heute noch als einigermaßen kreativ und genial: Jesus von Nazareth ist in ihrer Sicht wahrer Mensch und wahrer Gott. Vergängliches und ewiges Leben durchdringen sich danach zu einer unzertrennlichen, dreifaltigen Einheit von Vater, Sohn und heiligem Geist, die den besten, denkbaren Schutz vor ‚falscher’ Gottesverehrung bildet. Diese Konstruktion bewährt sich in einem doppelten Vorteil: Alles ist durch inneres Erlebnis (des Glaubens) ausnahmslos jedem Menschen zugänglich , wenn er sich nicht durch strikte Betätigung der Vernunft dagegen sperrt, und begründet ein Bewusstsein der -illusionären- Überlegenheit und Aufgeklärtheit. Schutz vor religiöser Regression, dem Rückfall in Polytheismus, Naturreligion, Götzendienst erscheint dem Christentum und seinen überzeugten und bewussten Anhängern mit der Dreifaltigkeitslehre als im höchsten Maße sicher. Dazu trägt das enorme Rationalisierungs-potential der göttlichen Identität in der Form des Vater/Sohnverhältnisses bei. Dass neben diesen religiösen Kernbestand heute tatsächlich eine Vielzahl von Ersatzreligionen mit größerer Anziehungskraft getreten ist, hat identifizierbare politische Ursachen, ändert an dieser inhaltlichen Sicht und der Bezugsebene der Dialogfähigkeit/Unfähigkeit monotheistischer Religionen wenig.
Die monotheistische Religion, die sich ja zunächst auf die schwersten Vergehen gegen den Vater gründet, steht im Laufe der Zeit vor der ernsten Gefahr regressiver Verehrungsformen und gefährdet damit auch die menschliche Gesellschaft in ihrem kulturellen Bestand. Auf diesem Boden waren ja in religiöser Opposition zum jüdischen Glauben –und auf dessen Grundlage- die ersten kleinen christlichen Gemeinden vor 2000 Jahren entstanden. Es entlastet die Gesellschaft durch rigorose Abschaffung unsäglicher Opfer und auch psychisch die starken männlichen Nachfolger, wenn ihr Glaube nicht mehr auf einen einzigen, sterilen, fernen Gott Vater ausgerichtet werden muss. Dieser einzige Gott hatte nach der Lesart der jungen jüdischen Reformbewegung sich entschlossen, selbst Mensch zu werden, als Sohn schwerste Leiden auf sich zu nehmen - um der Erlösung der Menschheit willen. Damit wird den tyrannischen Gefahren Rechnung getragen, die von der Monopolstellung eines einzigen Gott Vater ausgeht. Die Menschensöhne dürfen sich durch Gottes Offenbarungsbeschluss von schwerer Last befreit fühlen. Dass Gott danach auch im Mitmenschen sein kann, dass er in uns allen selbst existiere, ist eine Vorstellung, die vermutlich den wirklichen Verhältnissen recht nahe kommt. Vom Ansatz her ist die christliche Religion ein Rationalitätsfortschritt, weil sie effizienter einsetzbare Mittel in die Hand gibt, den Schuldkomplex umfassend abzuklären. Es ist offensichtlich, dass die beiden anderen abrahamischen, überlieferten monotheistischen Religionen das Problem der Schuld entsprechend ihren historischen Entstehungsbedingungen als Offenbarungsreligion auf andere Weise aufgreifen und lösen. Auch die unmittelbare Intention des Jesus von Nazareth, die eher rückwärts, auf Buße und Rekonstruktion originärer Gläubigkeit gerichtet war, ändert an der nachträglichen Interpretation seiner Anhänger und deren Verkündigungswirkung wenig. Die Forschung kann solche Widersprüche zwischen Original und dogmengeschichtlicher Entwicklung enthüllen.
Dass die christlichen Ideen einen weitreichenden Einfluss auf das bürgerliche politische Konzept der Gewaltenteilung ausgeübt haben, erscheint mir ein ziemlich überzeugender, wenn auch nicht einfach nachzuvollziehender Gedanke zu sein.
Und nun kommt ein westlicher Orientalist (der deutsche Iraner, iranische Deutsche) und äußert öffentlich den massiven Verdacht, dass die christliche Lehre ihren eigenen Anspruch nicht ernst nimmt und im Endeffekt simplen Götzendienst und damit Gotteslästerung betreibt. Da dies aus christlicher Sicht zunächst ein Schock durch Wahrnehmung ist, so macht die Kritik auf der Seite Kermanis nur insoweit Sinn, soweit sie die religiöse Ebene nicht mit einer radikalen, unversöhnlichen Verweigerungshaltung verlässt. Der Text Kermanis verkörpert Religionskritik, ohne die Religion in Bausch und Bogen zu verurteilen. Diese Position muss heute im interreligiösen Dialog als angemessen gelten.
Auch wenn Kermani seine ‚drastische’ Formulierung etwas mildern würde, so wäre es kaum sinnvoll, beispielsweise von einer ‚gut gemeinten’ Gotteslästerung zu sprechen. Im Kern flackert in den wenigen kritischen Worten in der NZZ ein fest in der Erde vermauerter Typ von Religionskritik auf, dem eher die ästhetische als die religiöse Ebene als Urteilsmaßstab gilt. Vor einer gemeinsamen, dialogfähigen Verständnisebene zwischen monotheistischen religiösen Lehren türmen sich beim ersten Hinschauen nur schwer überwindbare Hindernisse auf, solange die Verständigung unter der Prämisse der alleinigen Geltung spezieller ‚religiöser Wahrheiten’ intendiert ist und geführt wird. Außer über den Punkt des Glaubenszweifels oder durch bewusste Geltendmachung von Vernunftgeboten lässt sich ganz offensichtlich der Schock der christlichen, jüdischen, islamischen Dialogunfähigkeit nicht auflösen. Dies heißt zunächst, dass wir weder wissen, noch uns denken können, wie Lehmann und Steinacker, vielleicht auch Korn, Dialogfähigkeit unter Beweis stellen wollen. Aller Voraussicht nach müssen wir darauf noch einmal zurückkommen.
Es war ihnen ja zu leicht gelungen (vielleicht ohne es ernsthaft zu beabsichtigen?), Kermani vom versprochenen Ehrenplatz mit entsprechender Dotierung zu verdrängen, was jedoch allein die Hessische Landesregierung zu verantworten hat, denn es handelt sich um den von ihr gestifteten und vergebenen Preis. Sie hätte nach der Erfahrung des Rücktritts Sezgins jetzt nach dem angedrohten(?) Rücktritt der beiden christlichen Vertreter den interreligiösen Dialog als vorerst nicht führbar eingestehen und den diesjahrigen Preisverleihungsverzicht dem jüdischen und islamischen Vertreter offen und ehrlich begründen müssen. Das tat die Landesregierung nicht, weil der ‚Rücktritt’ der beiden Christen in Wahrheit eine von der Koch-Regierung konstruierte, repressive, inkompetente Maßnahme war – und/oder eine theologisch nicht legitime Erpressung und Aggression, der sich Koch nur andienerte. Stattdessen kann nun Jedermann beobachten, wie maßlose Arroganz und Oberflächlichkeit mit nervösen, hilflosen Erklärungen sich paaren, die nur einem einzigen Zwecke nützlich sind: Reinwaschung – keiner will Schuld auf sich sitzen lassen. Dies Motiv tendiert im privaten und erst recht im öffentlichen Leben zu einer zähen, nachhaltigen Vitalität – ein typisches Kulturphänomen .
Deswegen wird man feststellen dürfen, dass die Sache nicht gegessen war. Im eigenen Lager rumorte es sofort: ‚Missverständnis’ und es habe ‚den Falschen getroffen’. In der Öffentlichkeit wurde gemutmaßt, am Ende handle es sich wohl um einen “Preis für Intoleranz“ und gemäß der interessierten Ideologie vom „Krieg der Kulturen“ zeige der „Fall Koch/Lehmann“, dass „viele ihn gerne führen würden“. In dieser zweiten Phase des Eklats drohte der Kulturpreis vernichtend zu explodieren. Kermani selbst hat auf Anfrage in einem offenen Brief in der FAZ auf die Entscheidung des Hessischen Ministerpräsidenten , ihm den zuerkannten Preis wieder abzuerkennen, kurz und prägnant geantwortet: „Ob ich denn nicht wisse, dass mir der Hessische Kulturpreis aberkannt wurde? Nein, ich wusste es nicht.(…) Sehr geehrter Herr Koch, ich hoffe, dass Sie sich wenigstens schämen. Mit freundlichen Grüßen aus dem katholischen Köln, Navid Kermani.“
RETTUNG DES INTERRELIGIÖSEN DIALOGS -
DES HESSISCHEN KULTURPREISES ?
Wer sich diese frische urchristliche Hoffnung durch den Kopf gehen lässt, ahnt bestimmt, welch scharfes Schwert sie sein kann, dass sie subjektiv Roland Koch in schwere Bedrängnis bringt – letztlich stehen Anstand und Glaubwürdigkeit von Kulturpolitik zur Debatte. Was in wenigen Tagen gegen Koch, Lehmann und Steinacker vorgebracht wird, während Verteidigungsreden kaum zu vernehmen sind, spitzt sich in dieser Phase der rituellen Rechtfertigungsideologien auf das Motiv zu, den Preis womöglich retten zu müssen.
Aber wie ? Die GRÜNEN regen einen öffentlichen Dialog der Preisträger an, was bei der Lage der Dinge nur von völlig unsicheren Voraussetzungen her vorstellbar ist. Wollen die Preisträger überhaupt eine öffentliche Diskussion, die diesen Namen verdient? Verschärfend wurde vom Forum des ev. Kirchentages für Kermanis Verdienste um den christlich-islamischen Dialog Stellung bezogen. Die SPD forderte mit wenig Verständnis für die sensible , prekäre Kulturproblematik und vor allem gegen die allgemeine Tendenz und Stimmung der Rettung des Preises, die Preisverleihung in diesem Jahr ganz auszusetzen. Einzelne Stimmen der FDP ebenfalls. Aber die FDP ahnte auch den Schaden, den Koalitionspartner Roland Koch angerichtet hatte, und half im Hintergrund zurückzurudern. Plötzlich wird eine Verschiebung der Preisverleihung auf den Herbst des Jahres gemeldet – danach gab Koch an, Lehmann, Steinacker und Korn hätten den Vorschlag zum ‚ internen Gespräch’ mit Kermani gemacht. Die Preisträger sollten sich also „verständigen“. Während die CDU in der Öffentlichkeit nur noch kleinlaut sich zu Worte meldet, sprechen die Liberalen mit geschwellter Brust und einer Andeutung selbstkritischer Prüfung von ‚gewachsener Erkenntnis’ „auch dank der journalistischen Begleitung“, „den Anderen noch mal nachzulesen“, so Integrationsminister, Justizminister und stellv. Ministerpräsident Jörg-Uwe Hahn(FDP).
Man darf gespannt sein, was bei dieser ‚Nachlese’ herauskommen wird – es dürfte nicht viel zu tun haben mit dem, was die GRÜNEN durch einen öffentlichen Dialog der Preisträger erwarten wollten. Aber vielleicht darf auch hier das Wort gelten, demzufolge die Hoffnung zuletzt stirbt. Micha Brumlik hatte vorher schon eine passende Begründung zur Rettung des Staatspreises angemahnt. Dabei hatte er mit Blick auf den Preisentzug nach Gutsherrnart von einem „integrationspolitischen GAU erster Ordnung“ gesprochen. Um einen Dialog ‚auf Augenhöhe’ zu führen , dachte er, dass Korn, Lehmann und Steinacker die Annahme des Hessischen Kulturpreises verweigern könnten (Angeblich hatten sie dies ja für den Fall getan, dass sie, wie geplant, mit Kermani den Preis gemeinsam in Empfang nehmen). Nach der zunächst plausiblen Logik von Brumlik haben die zuständigen Instanzen (Ministerpräsident und Kuratorium) ausgespielt und können den Schaden nicht mehr beheben. „Es obliegt somit den verbliebenen Preisträgern, den Weg für einen Neuanfang freizumachen“. Eine offene Verweigerung des Preises jedoch von den 3 verbliebenen Preisträgern aus Solidarität mit Kermani zu erwarten, aus deren Mitte der Eklat im voreiligen Einverständnis mit dem Ministerpräsidenten ausgelöst wurde, würde im Endeffekt zu diesem Zeitpunkt (Ende Mai 2009) ein zu schwerer Affront gegen Regierung und Staat sein. Diese hatten sich entsprechend ihrer politischen Identität eilig (und gern?) den geheim vorgebrachten ‚Argumenten’ angeschlossen. Dass somit ungewollt ein selbst entlarvender Offenbarungseid staatlich betriebener Kulturpolitik in Hessen plötzlich auf der Tagesordnung stand, scheint in der Logik der Ereignisse zu liegen, über die zu berichten ist, um sie nicht dem Vergessen preiszugeben. Und deshalb muss zu der gut gemeinten Rettungsidee Micha Brumliks festgehalten werden, dass sie leider die eingeübten Methoden politischer Machtverhältnisse außer Acht lässt. Das Possenspiel muss weitergehen.
Gehen wir an dieser Stelle einen Schritt zurück und lesen den ersten Satz einer kurzen Pressemeldung: „Der hessische Integrationsminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) hat sich erleichtert darüber gezeigt, dass die potenziellen Träger des Hessischen Kulturpreises nach ihrer öffentlichen Auseinandersetzung das Gespräch miteinander suchen.“(FR 22.05.09) Sollte sich Hahn substanziell so ausgedrückt haben, so würde das einen weiteren dunklen Schatten auf die Hessische Kulturpolitik werfen, der niemand auch nur ein Wort glauben dürfte. Eine öffentliche Erklärung des ahnungslosen Preisträgers Kermani gegen den Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch ist uns bekannt, weil der ihm aus einer tief verwurzelten ungerechten Haltung heraus den Preis scheinbar auf entsprechende Zuflüsterungen hin entzogen hat, und von dem der Schriftsteller hofft, dass er sich „wenigstens schämt“. Über eine öffentliche Auseinandersetzung zwischen den Preisträgern ist faktisch nichts bekannt. Es ist ja gerade die Öffentlichkeit, die eine üble Intrige an den Tag gebracht und eindeutig ergeben hat, dass es zwischen den Preisträgern überhaupt keine Auseinandersetzung gab und gibt.
Oder sind von Lehmann, Steinacker und Korn Worte bekannt geworden, die den Begriff der öffentlichen Auseinandersetzung mit einem designierten Mitpreisträger rechtfertigen könnten? Hatten wir uns versehen oder verhört, als wir von ihnen Worte der Selbstbezogenheit, Selbstgerechtigkeit oder einfach nichts vernahmen? Gibt es aus der Reihe dieser Persönlichkeiten mindestens eine, die mit Mut und aufrichtiger Empörung die bodenlose Ungerechtigkeit des einseitigen Preisentzugs verurteilt hat? Und auch die einfachste liberale Übung, den Preis für Kermani von Koch zurückzufordern und zugleich die Differenz des eigenen Standpunktes zum Standpunkt der ästhetischen Betrachtung des Schriftstellers zu verdeutlichen, ist bei diesem Possenspiel nirgends zu entdecken.
Die ‚öffentliche Auseinandersetzung’ der Preisträger ist in Wahrheit eine dreiste, kalkulierte Lüge, weil sie weder stattgefunden noch in irgendeiner Hinsicht vorgesehen war. Durch eine solche Formulierung, wo in der Pressemeldung eine ‚öffentliche Auseinandersetzung’ unwahr und manipulativ vorausgesetzt ist, soll nur von der eigenen, ideologisch bedingten Verantwortungslosigkeit abgelenkt werden. Eine alternative Bewertung müsste wohl auf naive, kindliche Unschuld der selbst ernannten Retter des Hessischen Kulturpreises sich gründen. Aber es steckt auch eine ernst zu nehmende Drohung hinter der Lüge: Wenn die Preisträger das Bemühen des Staates, das Heft wieder in die Hand zu bekommen, nicht freiwillig durch eine Gesprächsklausur honorieren und dabei den aufgebrochenen Konflikt nicht in der Lage sind auf einem angemessenen geistigen Niveau abzuhandeln, dann, so die Drohung, ist womöglich der kulturelle Friede, zentrales Ziel des Preises, in Gefahr. Darin darf allerdings auch ein Körnchen Wahrheit vermutet werden, das hoffentlich nicht aufkeimt. Vor einiger Zeit hat man für den hier geschilderten Vorgang den Begriff der repressiven Toleranz verwendet.
Der Staat könnte, um diesem kulturpolitischen Intrigenspiel mit noch unbekannten Folgen die Krone aufzusetzen, seinen Wissensvorsprung auch öffentlich verwenden. Er weiß, was Lehmann geschrieben, Steinacker vielleicht nur gesagt hat und ob Korns öffentliches Schweigen in Wirklichkeit präzise und beredt war. Auch Kermani könnte vielleicht die Dokumente aus Hessen, die ihm doch vorliegen dürften, bei Gelegenheit öffentlich, die politische Opposition sich bei der Aufklärung aller Fakten um die irritierende Vergabe des Hessischen Kulturpreises verdient machen.
Zunächst kann jedoch eine vordergründige ‚Erleichterung’ des Hessischen Integrationsministers, Justizministers und stellvertretenden Ministerpräsidenten vermeldet werden, weil sich die vier designierten, nicht ‚potenziellen’, Preisträger bereit fanden, das „Gespräch zu suchen“. Achten wir auf die Anzeichen, die aus den modernen Gemäuern nach außen dringen. Die Kultur steckt so tief im Schlamm, hat als feines, raues, ambivalentes Gebilde Angriffe hinnehmen müssen und vielleicht Verletzungen erlitten, dass Schlimmstes zu befürchten ist – und sei es eine endgültige Absage der Preisverleihung mit einer manipulierten Begründung. Der Hessische Staat hätte für diesen Fall zu seiner Schande 45000 Euro gespart.
Markus Spillmann, Chefredakteur der NZZ, führt uns in seinem Einspruch vom Dienstag den 19. Mai 09 zwei Kernpunkte des beobachteten Kulturcrashs unter Führung und Verantwortung der christlich-liberalen Koalitionsregierung in Hessen vor Augen: „Navid Kermani hat in dem fraglichen Text in dieser Zeitung ein seltenes Beispiel für die schonungslose Auseinandersetzung mit eigenen vorgefassten Meinungen und Vorurteilen gegeben. Wie, wenn denn nicht auch so, soll das Gespräch zwischen den Kulturen und den Religionen über den unverbindlichen Austausch von Höflichkeiten hinaus zu einem ernsthaften und ernstzunehmenden Dialog fortschreiten?
Der am Montag von den zuständigen Instanzen gefasste Beschluss, die Preisverleihung bis in den Herbst auszusetzen und inzwischen die drei Preisträger sowie Navid Kermani zu Gesprächen an einen Tisch zu bitten, ändert nichts an der Irritation, die durch die Aberkennung des Preises entstanden ist.“
Diese diplomatische Version des Züricher Chefredakteurs erinnert an eine wichtige Errungenschaft der kulturellen Evolution: Die Fähigkeiten der Selbstkritik und Selbstreflexion auszubilden als eine der Bedingungen für fruchtbaren Dialog. Kermani hat für seinen Teil diese Fähigkeiten nachgewiesen, aber Roland Koch erkannte ihm unbeherrscht, hinterrücks den zuerkannten Preis wieder ab. Bei dem jetzt gewählten Verfahren , - zu retten, was noch zu retten ist- entsteht für den Hessischen Ministerpräsidenten und die drei verbliebenen Preisträger nunmehr eine prekäre Zwangssituation, die vorher nicht bestand. Sie müssen plausibel machen, glaubhaft versichern, dass schwerwiegende Fehler bei der Vergabe des Kulturpreises in ihre Verantwortung fallen, die gute Absicht des Preises selbst demgegenüber nur durch schonungslose Offenheit untermauert werden kann, welche allein in der Lage ist, den vermeintlich unliebsamen Konkurrenten wieder ins Boot zu holen. Eine manipulative Augenauswischerei hilft nicht mehr. Es wird von der Lösung dieses prekären Problems abhängen, auf welche Weise sich der dritte Akt der hessischen Kulturpreis-Tragikkomödie unserem geistigen Auge darbieten wird.
Immerhin scheint Jörg-Uwe Hahn im Wiesbadener Parlament am 18. Juni sich vom Koalitionspartner zu distanzieren: „Ich halte es für nicht klug, dass das Kuratorium diese Entscheidung getroffen hat“ –Kermani den zuerkannten Preis wieder wegzunehmen! Begründung: Die ‚Debatte’ habe der „Integration in unserem Lande geschadet“. Diese verschämt daherkommende Distanzierung von Koch ist eine Täuschung der Öffentlichkeit. Hahn bewegt sich, wie Koch, auf der Ebene eines taktisch operierenden konservativen Populismus – die Differenz zwischen den eng Befreundeten ist gegenwärtig bedeutungslos. Koch hält es für richtig und effizient , sich auf die mehrheitsfähigen Vorurteile gegen den Islam zu stützen, Hahn ahnt als Integrationsminister, dass ihm eine Häufung schwerer Fehler der unsensiblen Kulturpolitik des Ministerpräsidenten, die er im allgemeinen befürwortet, Legitimationsprobleme bereiten wird – das ist aus seiner Sicht natürlich ‚nicht klug’. Aber es ist dennoch unvermeidlich. Und was die Möglichkeit einer Kulturpolitik mit liberaler Handschrift angeht, so hat die neue Schulministerin Dorothea Henzler (FDP) bereits öffentlich ihre schwache Position in dieser Landesregierung eingestehen müssen, als ihre forsche Absicht eines legalisierten Schulbesuchs ‚illegaler Kinder’ (!) von ihrem Parteichef Hahn und der CDU zunächst ausgebremst und auf die lange Bank geschoben wurde.
Was die öffentliche Debatte um die Fehlleistungen der Landesregierung angeht, so muss diese Debatte unbedingt als hilfreich für eine Integrationspolitik mit Augenmaß angesehen werden. Und welche Einschätzung trägt der Hessische Integrationsminister im Parlament vor? Eben diese Debatte habe der „Integration in unserem Lande geschadet“. Da ist eine ähnliche Verdrehung wie im Falle der angeblich „öffentlichen Auseinandersetzung“ zwischen den Preisträgern zu erkennen, die in Wirklichkeit eine kritische Auseinandersetzung mit schädlichen Entscheidungen der Landesregierung ist, der Jörg-Uwe Hahn als Vize-Chef angehört.
Der Justiz- und Integrationsminister der Hessischen Landesregierung hat im Verlauf weniger Wochen seines Regierens als Liberaler ein erstaunliches Problem mit der Kategorie der Öffentlichkeit. Neben den Oppositionsparteien im Landtag beklagen sich Kirchen, Wohfahrtsverbände und Flüchtlingsorganisationen über eine noch mal verschärfte Abschiebepolitik, die keinerlei tatsächliche Mitsprache mehr zulässt, welche humanitäre und menschenrechtliche Hemmungen gegen allzuleichtes Abschieben zur Geltung bringen könnte. Hier hat sich die FDP dem ‚Law and Order’ Denken der hessischen CDU sehr schnell und aus innerer Überzeugung angeschlossen. Auch stellt aus der Sicht von Hahn eine strafrechtlich ermittelnde Staatsanwaltschaft, die z.B. nach Kräften eine HIV-positive Person in verhängnisvoller Weise der öffentlichen Vorverurteilung zuführt, kein ernstes Problem dar. Nicht nur, dass in diesem Fall die Sängerin Nadja Benaissa die Leidtragende ist, an der aufgrund jener Vorverurteilung später immer etwas hängen bleiben wird, sondern auch die schädlichen Folgen für die weltweiten Bemühungen zur Eindämmung von Aids sollten im Wahrnehmungshorizont eines Justizministers prinzipiell vorkommen. Auch das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung bedarf angemessener Aufklärung, kann auf den Polizeiknüppel, öffentlichkeitssüchtige Staatsanwaltschaften, selbstgerechte Richter leicht verzichten. Ist Hahn überhaupt klar, dass seine prinzipiell richtige Bemerkung zur Unabhängigkeit der Justiz im konkreten Fall unpassend und schädlich war, da seine kalkuliert passive politische Haltung eine aktive Torpedierung schützenswerter Rechtsgüter bewirkte? Andererseits fällt jedem aufmerksamen Beobachter die zielstrebige und rührige Art des Justizministers auf, wenn es um den Einsatz von Rechtsinstrumenten geht, die den Schutz korruptions-verdächtiger Raffgier und Bereicherung in unserer Gesellschaft bewirken können (‚Steuerfahnder-Affäre’ und die ‚Affäre’ der Wolskis unter Einschluss einer der höchsten Richterinnen des Landes).
Mein vielleicht etwas voreiliger Verdacht, ein ernstes Motiv zur Rettung des Hessischen Kulturpreises bestehe bei den Verantwortlichen gar nicht, ist an die Voraussetzung geknüpft, dass die politische Klasse unter permanentem Handlungsdruck an den komplexen Kooperationsverhältnissen zwischen den Kulturen wie auch innerhalb eines kulturellen Organismus nur ein oberflächliches Interesse aufbieten kann. Ist diese Überzeugung einigermaßen stimmig, so können die von den Liberalen (scheinheilig?) angemahnten Rettungsmaßnahmen den Makel des Kulturbanausentums nicht verdecken., welche konkrete Lösung für den Hessischen Kulturpreis des Jahres 2009 auch immer gefunden wird. Versprochen ist die Verleihung für den Herbst, offen, ob man Kermani wieder ins Boot bekommt, ungewiss, wie die Dialogfähigkeit der Preisträger und vor allem der Regierung unter Führung von Roland Koch nachgewiesen wird. Das Ganze kann auch in einem dunklen, nicht nachvollziehbaren Mysterium enden, dem man schließlich das Etikett der Vernunft anheftet – bei soviel Unvernunft!

Kardinal Lehmann spricht in einem Zeitungsinterview (FR 26.08.2009) das zentrale Problem der Dialogfähigkeit im Zusammenhang mit aktuellen politischen und kirchlichen Fragen an. Ob die Bundeskanzlerin Angela Merkel z.B. zu wenig kirchliche Anliegen (Bioethik etc) unterstütze ? „… Ich bin für ein nüchternes Verhältnis zwischen Kirche und Politik. Ich mag es auch nicht, wenn Politiker sich den Kirchen andienen“. Diese kritische Anspielung wird später konkretisiert, als der Interviewer fragt: „ Herr Kardinal, nach dem Streit um den muslimischen Schriftsteller Navid Kermani im Frühjahr wurde die Verleihung des Hessischen Kulturpreises 2009 ausgesetzt. Wer bekommt ihn denn nun?“
„Da müssen Sie den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch als Vorsitzenden des Kuratoriums fragen. Ich für meine Person möchte die Debatte um Navid Kermani nicht wieder aufleben lassen.“ Frage von Joachim Frank: „Sie hatten sich an seinem Text über das Kreuz gestoßen und eine gemeinsame Verleihung des Preises infrage gestellt. Haben Sie in selbstkritischer Rückschau alles richtig gemacht?“ Antwort von Karl Lehmann: „Ich war überrascht, mit wie viel Ignoranz über die Sache selbst –also über die Verleihung des Preises an Vertreter mehrerer Religionen-, aber auch über mich geredet wurde. Ich stehe seit Jahrzehnten in der Öffentlichkeit, sodass an meiner positiven Haltung zum interreligiösen Dialog eigentlich kein Zweifel möglich sein sollte. Und dann behaupten dieselben Leute, die mir gerade den Preis verliehen haben, wenige Wochen später, ich könne ja nicht einmal richtig lesen. Also, das hat mir schon die Sprache verschlagen Ich habe übrigens nie gefordert, Navid Kermani den Preis abzuerkennen. Aber noch einmal: Das jetzt alles noch einmal nachzukarten, dafür ist mir meine Zeit zu schade.“ Frank insistierend: „Sie wollten sich doch mit Kermani treffen.“ Antwort Lehmann: „Ja, aber zu einem persönlichen Gespräch. Ganz ohne Sie und ihre Kollegen“. Der Interviewer kann immer noch nicht vom Kreuze lassen:
„Schade. es würde mich schon interessieren, wie sie das Problem beheben wollen, dass Kermani sich auf –aus Ihrer Sicht- despektierliche Weise über das Kreuz geäußert hat. Dieser Text, mit dem Sie in keiner Weise in Zusammenhang gebracht werden wollten, kann ja nicht einfach gelöscht werden.“ Nüchterne Antwort des Kardinals: „Da mache ich mir weniger Sorgen als Sie. Ich glaube, durch ein sachliches, ruhiges, nachdenkliches Gespräch kommt man immer weiter. Ich habe Kermani schon mehrfach getroffen und inzwischen auch mit seiner Familie korrespondiert. Ich bin sicher, wir kommen miteinander zurecht. Öffentlich habe ich parallel zu der ganzen Diskussion meine Stiftungsprofessur ‚Weltreligionen’ wahrgenommen. Das Ergebnis wird zur Buchmesse publiziert. Darin spätestens wird jeder lesen können, wo ich stehe.“ Der katholische Theologe umreißt seine Position abschließend: „Das interreligiöse Gespräch ist unerlässlich. Aber man darf es nicht mit dieser Ignoranz für den eigenen Wert jeder Religion führen, nicht mit dieser pseudo-liberalen säkularen Gleichgültigkeit, die unter dem Deckmantel von Toleranz und Religionsfreiheit den ganz eigenen Charakter von Religion nicht ernst nimmt“.
Was den anderen Kirchenmann angeht, Professor Steinacker, so möchte ich ihm gerne –ganz unabhängig von der Wortwahl des Kardinals- folgende Formulierung in den Mund legen: „Die Ausgrenzung Navid Kermanis stammte nicht von mir!“ Die Position von Professor Kor n wurde erkennbar in einem nicht unbedeutenden Zusammenhang dieses Kulturpreises , - als er Anfang 2009 sein Verständnis kriegerischer Gewalt Israels verteidigte und Fuat Sezgin bezüglich des gleichen Sachverhaltes antisemitischer Motive bezichtigte. Inwieweit er dann in Bezug auf den Schriftsteller Kermani möglicherweise politische Bedenken anmeldete, ist eine Frage, die zwar nicht aus der Luft gegriffen ist, aber dennoch meiner Auffassung nach nicht durch wilde Spekulation beschädigt werden, sondern der Wahrheitsliebe der Regierung Koch/Hahn überlassen bleiben sollte.
Was den Inhalt des Lehmann-Interviews betrifft, so fällt an dessen „nüchternen“
Verhältnis zur Politik zuerst seine emotional - aggressive Kritik an Politikern auf, denen er „Ignoranz“ und „pseudo-liberale säkulare Gleichgültigkeit“ vorwirft, die Toleranz und Religionsfreiheit als „Deckmantel“ benutzen und die Religion imgrunde missachten. Die Anspielung auf Hahns unsägliche Pressemitteilung, -wo vom ‚nachlesen’ die Rede war, um nicht vom Nachsitzen zu sprechen -, drückt den erbitterten Ärger des sich geschuriegelt Fühlenden aus. Und dann erfolgt seine trotzige Feststellung, die für Koch und Hahn eine kräftige Ohrfeige ist: „Ich habe übrigens nie gefordert, Navid Kermani den Preis abzuerkennen“. Wahrlich, so unklug war der Kardinal nicht! Denn er verstand es im Interview, mit der Zunge der Jovialität die religionskritische Haltung Kermanis klein zu reden („Ich bin sicher, wir kommen miteinander zurecht“), welche durch den Text in der Neuen Züricher Zeitung im Frühjahr die fleißige Zunge der empörten Glaubensfestigkeit zum Sprechen brachte. Es handelt sich nicht, wie so manche Seele voreilig vermutet, um Doppelzüngigkeit, sondern um zweckmäßige Verhaltensmuster, die je ihren eigenen Wert entfalten. Was soll man von einem Kardinal , Kirchenpräsidenten, Pfarrer halten, der sich nicht öffentlich empört, wenn massive Zweifel an seinen Glaubensgrundlagen angemeldet werden? Wenn nun aber der Kardinal sich „weniger Sorgen“ um das Kreuz macht als sein Interviewpartner, weil eben die Zeiten der Inquisition vorbei sind und heute das „sachliche, ruhige, nachdenkliche Gespräch“ angebracht ist, wer muss da noch herumkritisieren? Im ersten Fall ist die Toleranz in Form des Zugeständnisses gefordert, was den Kritiker kaum einen Verlust an Klarsicht kostet. Im zweiten Fall kann man ohne Bedenken zustimmen.
Zusammenfassend: Die Koch/Hahn-Regierung ist mit ihrer kulturpolitischen Linie der ungerechten Ausgrenzung erkennbar gescheitert, denn die im ersten Augenblick durch einen Zeitungsartikel in ihren Glaubensfesten Verunsicherten haben sich auf einen wesentlichen Wert des Kulturlebens besonnen, - Solidarität. So geht einige Tage nach dem Interview des Mainzer Kardinals die Meldung durch die Medien , dass während eines 2-stündigen Gesprächs „alle Aspekte der Kontroverse“ besprochen wurden und die verbliebenen Preisträger darauf sich geeinigt haben, dass auch „der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani den Hessischen Kulturpreis erhält“. (FR 29.08.2009) Abgesehen davon, dass jetzt noch die Stellungnahme der hessischen Landesregierung nachzutragen wäre, kann im Sinne der eingangs angestellten Überlegungen zu diesem Bericht ein „später Sieg der Vernunft“ mit deutlicher Tendenz zur Verdunkelung der tatsächlichen Handlungskontexte festgehalten werden.
 
Bericht zur Kulturpolitik eines deutschen Bundeslandes

Die Künste und Wissenschaften verfehlen ihren Zweck, wenn sie sich mit religiösen Anschauungen zu sehr vermischen. Je freier sie ihr Wirken gestalten können, je produktiver ihre Aktivitäten sind, umso deutlicher kann ihr wirklicher Nutzen für die Gesellschaft ausfallen. Sowohl die Freiheit als auch die Meidung eines zu engen Kontaktes der Künste und Wissenschaften, besonders mit religiöser Dogmatik, sind wünschenswerte Gründe und Ziele gesellschaftlichen Handelns, die andauernd kritisch zu überprüfen sind; sie sind keine absoluten Größen, welche erzwungen oder gar gewaltsam durchgesetzt werden können. Eigentümlich dabei ist, dass sie zur Not gewaltsam gegen Aggression und Usurpation verteidigt, nicht jedoch Ergebnis gezielter Aggression und Machtusurpation sein können. Die Politik ist von Jeher Interessen bedingt mit der Religion verwoben, wobei die kulturevolutionäre Problematik mit den Bedingungen sich befasst, unter denen für beide eine deutlichere Autonomie und Freiheit möglich und angebracht ist.

Religion in der Kultur
Der Nutzen der Religion jedoch spielt sich auf einer anderen Ebene ab. Ihre Aufgabe ist es, den Lebenden Trost zu spenden angesichts der Opfer, die sie Gott darbringen, und sie in die Lage zu versetzen, mit den Mühsalen und Gefahren des Lebens auf würdevolle Weise umzugehen. Es liegt daher in der Natur der Sache, dass der religiöse Mensch eine starke emotionale Identitätsbildung bezüglich 'seiner' Religion durchlebt. Der allmächtige, allwissende Gott erscheint ihm als ein Wesen, das außerhalb seiner kontrollierbaren Wahrnehmung existiert und dem die Menschheit alles verdankt. Auf diesem übersinnlichen Verhältnis des Menschen zu Gott erheben sich die speziellen Lehren aller Religionen, zwischen denen eine auf Verständigung gerichtete Kommunikation jedoch nur möglich ist, wenn sie sich auf einen Minimalkonsens innerer Wahrnehmung verständigen oder auf gewisse Kommunikationstechniken der menschlichen Vernunft zurückgreifen können. Allgemeine Not und Bedürftigkeit, aus der Religion im Sinne einer auf Verzicht gegründeten Kulturaktivität geboren wird, erlaubt rationalen Diskurs nur auf einem bescheidenen Niveau. Ich spreche hier nicht davon, wie der Einzelne zur Religion gelangt, welche Gefühle und welches Denken religiöser Art sich bei ihm geltend machen ( z.B.Dankbarkeit für erfahrene Tröstung), sondern von der objektiven Grundlage aller Religion, deren illusionäre Gestalt subjektiv im Glauben verarbeitet und damit zu einer objektiven Größe im Kulturleben werden kann.
Wir wissen inzwischen einigermaßen zuverlässig, dass die Bindungskraft der überlieferten, besonders der christlichen und jüdischen Religion, in den technisch hochentwickelten Ländern nicht mehr die herausragende Stellung einnimmt, die sie lange Zeit hatte. Im Falle der islamischen Religion drückt sich der gleiche geschichtliche Vorgang in komplexen, widersprüchlichen Erscheinungsformen aus. Die stärksten Verluste religiöser Kraft treten durch blindwütige, politisierte Aggression religiöser Dogmen auf (Terrorismus, gewaltsame Verwirklichung von Glaubensgrundsätzen). Zur Entwicklungsperspektive dieser Problematik gehört auch, dass der irrationale Streit und die willkürlich monopolistischen Wahrheits-ansprüche für sehr lange Zeit auf der Agenda der Religionen standen und sich bei Bedarf mit rationalen Elementen der Lebenserfahrung mischten – bis es der Menschheit im Ansatz gelang, ihre allgemeinen Lebensbedingungen tendenziell rational zu gestalten. Nun gerieten auch die religiösen Dogmen unter Reformdruck, es wurde unabweislich, Elemente des rationalen Diskurses auch in die religiöse Lebensgestaltung allmählich zu übernehmen. Soweit das in unserem Zusammenhang zuverlässig zu bestimmen ist, könnte unter den Weltreligionen der Buddhismus hier wegen seiner toleranten Grundhaltung eine gesonderte Rolle spielen.
Wesentliche Entwicklungen der ‚Neuzeit’ haben uns gezeigt, wie andererseits Geist und Gestalt der menschlichen Vernunft sich mit speziellen Elementen religiöser Lehren zu einer starken gesellschaftlichen Kraft und Motivation verbinden können, wenn grundlegende Reformen sich als Notwendigkeit ankündigen. Auf welche Weise dies geschah, darüber können einige Arbeiten von Max Weber recht anschaulich Auskunft geben. Insoweit die Verbindung zwischen Vernunft und religiösen Gehalten als ein positiver Entwicklungszug interpretiert wird, obwohl dies nur in einem bescheidenen Sinne möglich sein dürfte, lassen sich zwei nebeneinander auftretende Resultate bzw. Prozesse erkennen:
1. Verselbständigung religiös inspirierter, rationalisierbarer Denk- und Verhaltensmodelle, deren ursprüngliche Kraftquelle immer schwächer und kaum noch bewusst wird (Verweltlichung).
2. Als originär und angemessen geltende Wahrnehmung und Interpretation der Welt, die ohne und gegen traditionelle theologische Deutung bestehen muss - auch Theologie verwissenschaftlicht bis zu einem gewissen Grade, behält aber eigenen Charakter.
(Verwissenschaftlichung)


Beide Resultate weisen auf die Schwierigkeiten der Religion und besonders ihrer Sachwalter in der heutigen Welt hin, ihr Erbe -den kulturellen Wandlungen entsprechend zu verwalten. Nüchternheit, realistisches Kalkül und ihre reiche historische Erfahrung und Offenheit, Hoffnung zu wecken und zu fördern, stehen ebenfalls in einem kleineren Kapitel des Stammbuchs der Religionen. Sie sind heute dringend gefordert. Denn die Tatsache der katastrophalen Aufteilung der Gesellschaft in reich und arm ist eindeutig machtpolitisch manipuliert, ebenso das Aufhetzen zu bornierten interessensbedingten kriegerischen Abenteuern – nicht selten im Namen eines bornierten Kulturverständnisses. Auch die vielen Millionen, die unverschuldet aus Arbeitsverhältnissen entfernt oder ferngehalten werden, ohne adäquaten Ersatz finden zu können, müssen sich keine Schuldvorwürfe machen, sondern bestrebt sein, ebenfalls einen klaren Kopf zu behalten und selbst nüchtern kalkulierbare Hoffnungen zu kultivieren - eine vom Anspruch her enorme Kulturleistung.
Ähnlich verhält es sich mit den äußerst deformierten Gerechtigkeitsverhältnissen, die angeblich auf Leistung beruhen oder auf je spezifische Handlungen zurückführbar seien. Leider glauben noch zu Viele solch infantilen Unsinn. Auch hier wäre die Hoffnungs-losigkeit kein guter Ratgeber. Denn seit Jahrzehnten lässt sich eine starke politische Tendenz zu manipulativen Bestrebungen beobachten, - zynisch auf repressive Ersatzbefriedigung ausgerichtet-, die hilf- und ratlose Menschen für ihre spezifischen, beschränkten Zwecke zu instrumentalisieren versuchen. Aber nicht nur diese populistische Tendenz eines fundamentalistisch-konservativen Motivs zeigt ihr Gesicht, sondern auch frische, undogmatische Strömungen (teils religiöser Art), welche die naturnotwendige Reformbereitschaft, Toleranz und Freiheit von Mensch und Gesellschaft nicht ignorieren, treten oft gleichzeitig auf den Plan und enthüllen bisweilen den rationellen Kern der aussichtslos erscheinenden Auseinandersetzung. Soweit Theologie als Wissenschaft betrieben wird, ist bei ihren Vertretern der Zweifel gegen den überlieferten Glauben unvermeidlich, was oft genug schon während des Studiums ins Bewusstsein eintritt.
Namhafte Wissenschaftler des 19. und 20. Jahrhunderts haben diese Entwicklung gesehen und die Christianisierung Europas und der übrigen Welt als eine kulturelle Oberflächenerscheinung begriffen, hinter deren Fassade durchaus heidnisch-aggressives Kräftepotential lauert und auf Gelegenheiten wartet, sich Bahn zu brechen. Mit einer Art religiösem Eifer wird eine Religion des Industriezeitalters geschaffen, wie Erich Fromm die Entwicklung interpretierte, wobei an die Stelle der überlieferten Heiligen - und das ist auch eine Gefahr der Nüchternheit und Rationalität- die Arbeit, das Eigentum, der Gewinn und die Macht treten. Wie ehedem der religiös verkleidete Missbrauch einen außerordentlichen und überflüssigen Herrschaftsmechanismus begründete, so tun dies heute mit dem gleichen Ziel die bunte Schar der Populisten durch manipulativen, die Wirklichkeit und Wahrheit verschleiernden Gebrauch von Begriffen und wissenschaftlichen Erkenntnissen.

P O L I T I K , K U L T U R U N D Ö F F E N T L I C H K E I T

Diese Vorbemerkungen mögen als Einführung zur bemerkenswerten Irritation um die Verleihung des Hessischen Kulturpreises 2009 gelten. Dem ‚interreligiösen Dialog’ sollte die höchste kulturelle Auszeichnung des Landes diesmal gewidmet werden, nicht nur die Grenzen des Bundeslandes, sondern gewiss auch aus integrationspolitischer Sicht die der Bundesrepublik Deutschland überschreitend. Weithin bekannt ist ja die freundschaftliche Verbundenheit des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch(CDU) mit dem obersten Repräsentanten des tibetischen Buddhismus, dem Dalai Lama. Entsprechend wird eine gut wachsende buddhistische Gemeinde in Deutschland allmählich wahrgenommen – und eine noch schwache Ahnung weltweiter Umverteilung religiöser Güter scheint sich zu regen. Auch wenn die Gründe zufällig sind und aus einem tief verwurzelten Antikommunismus des ‚kalten Krieges’ stammen, so ist Koch doch positiv zuzurechnen, dass er im Falle des Dalai Lama und des Buddhismus die Chancen vieler verzweifelter Christen und Muslime, eine friedfertige Linie in ihr gestörtes religiöses Gefühlsleben einzubauen, dem Moloch des wie auch immer gefärbten Opportunismus nicht opferte.
Ich brauche nur einige wenige Namen stellvertretend für die lange Reihe ehrwürdiger Preisträger zu nennen, um das Gewicht dieses Kulturpreises anzuzeigen: Eugen Kogon, Volker Schlöndorff, Wolf Singer, Marcel Reich-Ranicki, Jürgen Habermas, Siegfried Unseld, Til Schweiger. Nur einmal in den 27 Jahren seit 1982, 2005, wurde der Preis nicht vergeben, - ein Wahljahr in Deutschland wie 2009. Im Vorjahr ging der Preis nicht an Personen, sondern an Institutionen: Das Landes Jugend Jazz Orchester und das Mathematikum Gießen. Insgesamt werden 45000 Euro auf die Preisträger aufgeteilt – der erste Akt der Irritation kann beginnen.
Indem ich schon vor der reflektierenden Berichterstrattung so viele grundsätzliche wie notwendige Überlegungen zum komplexen Thema des Kulturlebens in Erinnerung rufe, hätte ich beinahe übersehen, dass das öffentliche Feuer im Mai von der noch weitgehend verborgen gebliebenen Glut entfacht wurde, die bereits Ende 2008 und. Anfang 2009 erzeugt worden war. In diesem kalten Winter war es den kulturell gebeutelten Hessen angebracht erschienen, den gestrauchelten und beinahe gefallenen Ministerpräsidenten Koch gegen das drohende Gespenst eines ‚linksradikalen’ Regimes der Andrea Ypsilanti (SPD) - von Gnaden eines Oskar Lafontaine (Die LINKE )- wieder aufzurichten.
Kochs politische Erfolgslinie ist gekennzeichnet durch und verbunden mit einem stark konservativ-populistischen Hang, der auch fremdenfeindliche Stimmungen benutzt, wo es um das Erreichen politischer Machtpositionen geht. So war es beim kommunalen Wahlrecht für EU-Bürger in den 80er Jahren, als Koch noch in der Jugendorganisation der Union aktiv war, bei der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft in den 90ern, bei den ‚kriminellen’ Jugendlichen mit angeblich nicht integrationswilligem kulturellen Hintergrund, so ist es heute bei dem gemeinsam mit den Liberalen gesteuerten Kurs einer kompromisslosen, inhumanen Abschiebepolitik. Erinnert sei auch an die Ex- Kultusministerin Karin Wolf, die den primitiven US-amerikanischen Kreationismus als pädagogische Anwendung für diskussionswürdig erachtete. Passend dazu muss man auch die jüngsten ideologischen Umdeutungen des Krieges in Afghanistan durch den aus Hessen stammenden ‚Bundesverteidigungsminister’ F.J. Jung ansehen, der brutale und Kultur zerstörende Krieg sei in Wirklichkeit gar kein Krieg, weil Polizei, Recht, Schulen, Wasserleitungen usw. aufgebaut würden. Das ideologische Interesse der Verschleierung von Realität ist in jenen Fällen mit den Händen zu greifen. Dabei ist keineswegs die Liste der Nennungen vollständig, wenn man beispielsweise an die engstirnige Intervention Kochs gegen den Journalisten Nikolaus Brender beim ZDF denkt.
Im Januar 2009 fand in Reaktion auf den nahöstlichen Krieg im Gaza-Streifen auch in Deutschland eine verbale Unterstützungskampagne bezüglich der militärischen Operationen Israels statt, mit der üblichen politischen Erklärung und Unterschriftenliste, auf der auch Professor Salomon Korn stand. Professor Fuat Sezgin, der zusammen mit Korn und den beiden Kirchenmännern und Professoren Karl Lehmann und Peter Steinacker schon im Dezember 2008 sich als Preisträger geehrt fühlen durfte, zog sein Versprechen der Preisannahme aus pazifistischen Gewissensgründen zurück. Zu diesem Zeitpunkt konnte bei den Beteiligten und den interessierten Beobachtern der Eindruck sich herausbilden, dass die Begründung der Preisabsage durch den muslimischen Repräsentanten pazifistische Argumente nur zur Verschleierung einer nicht dialogbereiten, grundsätzlicheren Gegnerschaft vorschob. Deswegen hatte der Zentralrat der Juden in Deutschland den Verdacht geäußert, in Wahrheit ließe sich Sezgin von antisemitischen Motiven leiten. Aber dieser Verdacht wird später, Mitte Mai 2009, durch eine persönliche öffentliche Erklärung überzeugend ausgeräumt, als Sezgin seine Ablehnungsgründe „nicht immer ganz korrekt wiedergegeben“ sah und schädlichen Missverständnissen entgegenwirken wollte.
Es ist im Nachhinein also nachvollziehbar, dass Anfang März die Hessische Kulturpolitik noch einmal ernsthaftes Interesse bekundete, der emeritierte Professor für Geschichte der Naturwissenschaften und Verfasser bedeutender Werke des arabischen Schrifttums möge seine Entscheidung noch einmal „überdenken“. Er blieb bei seiner Entscheidung, nachdem er zwei Tage sein Gewissen ernsthaft geprüft hatte und sich vor allem auf seine Berufung und Verantwortung als Wissenschaftler besann. Wie sich zeigen sollte, war diese Akzentuierung des pazifistischen Bekenntnisses in Kombination mit der Verantwortung des Wissenschaftlers eine kluge Vorausschau, die eine unvorsichtig weit gehende Vermischung von Religion und Wissenschaft vermied.
Salomon Korn und die beiden anderen Preisträger haben in dieser Sache und zu diesem Zeitpunkt –soweit bekannt- kein Öl ins Feuer gegossen. Sie konnten nur davon ausgehen, dass ein offenes Gespräch unter den Preisträgern zur Bedeutung des interreligiösen Dialogs von der Landesregierung nicht unbedingt angestrebt oder gar gewünscht wurde. Zumindest war dies im Rahmen der öffentlich nachvollziehbaren Kommunikation nie ein Thema. Die Störung heftete sich somit vordergründig und unberechtigt an Sezgin, obwohl sie ja in Wirklichkeit auf kriegerische Gewalt und dann auch auf den unterschiedlichen Umgang mit dieser zurückzuführen war. Es ist festzuhalten, dass insoweit niemand der Beteiligten von sich aus den verborgenen Konflikt anheizte, sodass eventuell Probleme interreligiöser Diskussion zu Tage getreten wären.
Nun scheint jedoch, dass die Störung , wie auf einer Seelenwanderung, dann doch in dem Augenblick die eine Person, Fuat Sezgin, verlies, als die andere, Navid Kermani, den verbliebenen 3 Preisträgern hinzunominiert wurde (März 2009). Ob sie schließlich bei diesem landete, soll offen bleiben, denn ich erwähne die Störung nur, um auf die inszenierten, tieferen Kulturbrüche vorzubereiten, die im nächsten Akt der Preisverleihung erkennbar werden. Das Thema und die Geschichte von den Tücken eines Kulturpreises würde aus meiner Sicht nicht zu bearbeiten erforderlich, hätten sich nun alle still verhalten. Dann wäre im Sommer 2009 der hessischen Landespolitik unter Führung von Roland Koch auf öffentlicher Bühne ein zählbarer Erfolg zugerechnet worden – niemand hätte sich ernsthaft Gedanken machen müssen über die kulturrelevanten Tätigkeiten von Fuat Sezgin und besonders von dessen nachfolgenden ‚Ersatz’, Navid Kermani, Schriftsteller, Orientalist, Mitglied der deutschen Islamkonferenz. Aber irgendwie scheint mir heute selbst die Zufälligkeit, ob etwas erforderlich ist oder nicht, von ebenso vielen Zufällen in der Beurteilung der öffentlichen und geheimen Nachrichtenlage abhängig zu sein.
Tatsächlich tauchte Mitte Mai aber wie aus heiterem Himmel ein ‚Fiasko des Roland Koch’ in der Presse auf. Was war passiert? Um es direkt zu sagen, Koch hatte Kermani den verliehenen Preis wieder entzogen! Vor der notwendig ausführlicheren Antwort sollten noch zwei Gesichtspunkte knapp erwähnt werden, die bei der Berichterstattung und Beurteilung der Vorgänge um den hessischen Kulturpreis vorauszusetzen sind: 1. der Wert dieses Preises, 2.die Beschränkungen meiner Sicht der Dinge, wie sie mir von außen auferlegt sind.
Ein Kulturpreis, der für Verdienste im interreligiösen Dialog vom Staat verliehen wird, ist in erster Linie ein ‚gewolltes Friedenssignal’ und steht insoweit auch für vom Staat gewünschte friedliche Verständigungsbereitschaft ihrer irgendwie noch im traditionellen Sinne religiös inspirierten Bürger. Dass der unreligiöse bis antireligiöse Mensch und Bürger, der heute zur Mehrheit zählt, bei einer solchen Preisverleihung keine Berücksichtigung finden kann, liegt in der Natur der Sache und ist legitim. Aber die Mehrheit der mehr oder weniger deutlich von der überlieferten Religion Abgefallenen mag nur Zaungast sein, unbeteiligt ist sie nicht. Die friedliche Absicht des Staates kann auf dem Boden der Religionsfreiheit überprüft werden, auf dem ja gerade auch der Ungläubige heute wesentlich beschützter sich bewegen kann als in der Vergangenheit. Die Absicht, keine gewaltsamen Kämpfe, sondern friedlichen Dialog zu fördern, ist jedenfalls begrüßenswert. Wie bei so vielen guten politischen Projekten, fordert die Ernsthaftigkeit, mit der eine solche Absicht betrieben wird, einen Preis. Ein wesentlicher Teil dieses Preises ist der sorgfältige, verantwortungsvolle Umgang mit den ausgesuchten Preisträgern und der Idee der Preisvergabe selbst.
Das Dilemma meiner Sicht gründet sich auf die Tatsache, dass Methoden der Geheimdiplomatie mit öffentlicher Information und Bewertung verbunden und vermischt sind. Unter Führung des Hessischen Ministerpräsidenten hatte üblicherweise ein Kuratorium die genannten vier Persönlichkeiten als Preisträger nominiert, die als designiert gelten konnten, wenn sie den Preis annahmen. So war es auch bei Sezgin gewesen, der dann aus schwerwiegenden und ehrenhaften Gründen nach seiner Zusage ablehnte. Ein erster, leichter Riss bahnte sich an. Über den Vorgang zu Beginn des zweiten Akts der Preisverleihung wird zunächst nichts weiter bekannt als das Ergebnis der Arbeit des Kuratoriums, welches am 5. Juli 2009 auf offener Bühne vollzogen werden sollte. Eine Verschiebung von März auf Juli war vorausgegangen, hatte mit dem gesundheitlichen Zustand von Karl Lehmann zutun. Aus meiner Wahrnehmung können wir weder wissen , welche Erwägungen während der Klausur des Kuratoriums allgemein angestellt, noch wie sorgfältig Schriften, Reden, sonstige Dokumente der in die Auswahl gelangten Persönlichkeiten beurteilt wurden – oder gar, ob in diesem Prozess bereits eine Kontroverse stattgefunden hat, die für die geplante öffentliche Harmonieveranstaltung nichts Gutes hätte ahnen lassen müssen. Was hätte dagegen gesprochen, wenn Koch in seinem Gremium auch den Dalai Lama ins Spiel gebracht hätte? Wäre das Risiko von Turbulenzen zu groß gewesen, sind nur Preisträger mit deutschem Pass nach den Statuten möglich ? Wir wissen es nicht!
Kermani fällt in der Angelegenheit des Kulturpreises durch sein bewusstes öffentliches Wirken auf. Von ihm erfährt die Öffentlichkeit, dass ihm durch den Protokollchef der Landesregierung, Dieter Beine, eine entsprechende Mitteilung am 20. März 2009 zugegangen ist und er der Preisverleihung in der vorgesehenen Form zustimmte. Außerdem ist sein intensives publizistisches Engagement auch in Zeitschriften und Tagespresse bekannt. Von den übrigen Preisträgern dringen ausgewählte und bewertete Zitate in die Öffentlichkeit. Sie scheinen in einer Art geheimen Absprache mit Ministerpräsident Roland Koch auf eine Ausladung des muslimischen Vertreters hinauszulaufen, was tatsächlich auch unter unwürdigen Umständen durch Beschluss des Kuratoriums geschah. Kardinal Lehmann will das aber nicht ‚insinuiert’ haben, wie er später –im Mai 2009- verlauten lässt. Ex-Kirchenpräsident Steinacker wird, ähnlich wie Lehmann, bezüglich einer gemeinsamen Preisentgegennahme mit negativen Äußerungen zitiert, hat meiner Wahrnehmung nach die Ausladung Kermanis in keiner Form bedauert.
GEKREUZIGTER MESSIAS ALS POLITIKUM

Eine Rekonstruktion der turbulenten Vorgänge, die nicht zufällig ungenaues Wissen und Spekulation hervorrufen, könnte wie folgt aussehen: Die Preisträger hatten Zeit, sich mit den inhaltlichen und formalen Umständen der Preisverleihung vertraut zu machen. Und so ereignete sich offenbar der entscheidende Knacks im Kulturgetriebe, der anscheinend durch starke emotionale Bedenken religiöser Art ausgelöst aber nicht verursacht wurde. Lehmann und Steinacker entdeckten (unabhängig voneinander?) in der schriftstellerischen Tätigkeit des Orientalisten und Mitglieds der deutschen Islamkonferenz, Kermani, einen nicht erträglichen, d.h. nicht tolerierbaren Gedanken. Dem äußeren Anscheine nach drehte sich dieser um die sogenannte Kreuzestheologie, die im Zusammenhang mit der frohen österlichen Botschaft der Auferstehung des Jesus von Nazareth und der Erlösung der Menschheit von den Leiden der Welt zugleich auch dunkle und schmerzvolle Seiten menschlicher Existenz reflektiert.
An dieser Stelle sucht uns also der Teufel der Geheimhaltung und der gezielten Indiskretion heim, denn weder die genauen Argumente, die im interreligiösen Dialog eingebracht werden könnten, noch die genauen Worte, mit denen –soweit öffentlich bekannt- Lehmann und Steinacker auf die politischen Instanzen Einfluss nahmen, sind zuverlässig bekannt. Das ist der Grund für meine Spekulation hinsichtlich der kulturpolitischen Linie der (noch) nicht ausgeladenen Preisträger und der Landesregierung selbst.
Tatsächlich schreibt Kermani im März 2009 in der Neuen Züricher Zeitung ( NZZ), um sich von der jüdischen und islamischen ‚Höflichkeit’ in Sachen Kreuz zu unterscheiden: „Für mich formuliere ich die Ablehnung der Kreuzestheologie drastischer: Gotteslästerung und Idolatrie“. Das christliche Dogma ist damit einem schwerwiegenden Verdacht ausgesetzt, dem theologischen Wahrheitsanspruch nicht gerecht zu werden und mit einem Trugbild Gottes zu operieren. Kermani greift eine Ahnung der Autoren der Bibel auf – Paulus wusste als Briefschreiber an seine Anhänger, dass seine religiöse Konzeption des gekreuzigten Messias „den Griechen eine Torheit und den Juden ein Ärgernis“ war- , ohne den betenden Christen einen Vorwurf machen zu wollen, was er auch ausdrücklich in Respekt vor Andersgläubigen in der NZZ betont. Es geht ihm also allein um die Fragwürdigkeit des Dogmas und die drastische Formulierung eines Verdachts, den er diesem Dogma gegenüber hegt. Aber er formuliert nicht einfach einen erdachten Verdacht gegen ein religiöses Dogma. Er illustriert mit einfachen Worten, welche Gedanken und Gefühle in demjenigen aufkommen können, der die ästhetische Verarbeitung eines künstlerischen Produkts im Begriffe ist zu realisieren.
Kermani analysiert genau in diesem Sinne die ‚Kreuzigung’ von Guido Reni (1575-1642). Als er in der Kirche San Lorenzo in Lucina vor dem Altarbild saß, so erinnert er sich im Nachhinein an seine Empfindungen, „fand (ich) den Anblick so berückend, so voller Segen, dass ich am liebsten nicht mehr aufgestanden wäre. Erstmals dachte ich: Ich –nicht nur: man-, ich könnte an ein Kreuz glauben“. Es erging ihm wohl so ähnlich wie einem ästhetisch sensiblen Menschen, den Wohlbefinden durchdringt, wenn er den wundervollen Klang gregorianischer Chöre in sich aufnimmt. Aber der ästhetisch geschulte Schriftsteller beendet seine Betrachtung nicht in euphorischer Schwärmerei für das Kreuz, sondern zwiespältig. Er stellt zum Gekreuzigten fest: „Sein Blick ist der letzte vor der Wiederauferstehung, auf die er nicht zu hoffen scheint“. Der elegante Stil des Künstlers, der sich in glatten und ästhetisierenden Formen des Altarbildes ausdrückt, hat zur Überraschung des heutigen Betrachters bei ihm den wohltuenden Eindruck hervorgerufen, dass Folter und Schmerz bei der Verehrung des Kreuzes sich nicht unbedingt als unangemessene Verdrängung oder gar Rechtfertigungsideologie bemerkbar machen muss. Seine Betrachtung trägt die Überschrift: „Warum hast Du uns verlassen?“ Auch diese Frage, an biblischen Texten orientiert, macht die undogmatische, skeptische Intention des Schriftstellers deutlich. Diese interessiert sich für das religiöse Geheimnis, wie der gefolterte und verspottete Messias in seiner Erniedrigung mit der göttlichen Mission umgeht. Wenn Kermani zur christlichen Idee der Wiederauferstehung schreibt, dass der Messias, dem dies gelungen sein soll, selbst auf ein solches Wunder ‚nicht zu hoffen scheint’, mildert er seine anfänglich drastische Formulierung ab, ohne ihren Kern aufzugeben. Kermani verharrt am Berührungspunkt der religiösen mit der materiellen Welt, ohne zu sehen, dass Gefühle der Verlassenheit und Hoffnungslosigkeit in uns allen aufkommen, wenn wir vom irdischen Leidensdruck überwältigt werden.
Dass die Verwalter des christlichen Erbes in ihrer religiösen Identität sich angegriffen fühlten, ist verständlich und hat im ersten Moment mit Intoleranz noch wenig zu tun. Es steht uns an ihren religiösen Empfindungen keine Kritik zu. Selbst wenn sie versichern würden, dass ihnen Zweifel an den christlichen Glaubensgrundlagen völlig fremd sind, wäre eine auf unglaubwürdige Theologie und Glaubenspraxis zielende Kritik nicht unbedingt zweckmäßig. Allerdings könnten solche Zweifel, wo sie eingestanden werden, objektiv einen Berührungspunkt für interreligiösen Dialog erzeugen. Da logische Begründung, wie Paulus wusste, in keinem Fall das altertümliche Folterinstrument zwingend zum Symbol des Glaubens macht, befinden wir uns beim christlichen Kreuz auf ureigenem religiösen Terrain. Hier hängt es nun ganz von der Betrachtung und Akzentuierung der einzelnen religiösen Gegenstände ab, ob man das Kreuz in den Mittelpunkt stellt, ihm ein kleineres Gewicht unter anderen Gewichten zuerkennt oder ganz auf es verzichtet. Das alles ist Glaubenssache und unterliegt somit der Freiheit und ihren wohl verstandenen Begrenzungen, um die in der Gesellschaft gerungen wird. Nebenbei sei daran erinnert, dass das Kreuz in verschiedenen Versionen und Formen fürchterlich missbraucht wurde. Und doch nützt gegen den Missbrauch weder die Errichtung von Tabus noch das direkte Verbot mit Strafandrohung.
Interessanter bezüglich des religiös aufgeladenen Kulturkonflikts ist jedoch folgende Überlegung. Die zentrale Idee der christlichen Lehre erscheint uns auch heute noch als einigermaßen kreativ und genial: Jesus von Nazareth ist in ihrer Sicht wahrer Mensch und wahrer Gott. Vergängliches und ewiges Leben durchdringen sich danach zu einer unzertrennlichen, dreifaltigen Einheit von Vater, Sohn und heiligem Geist, die den besten, denkbaren Schutz vor ‚falscher’ Gottesverehrung bildet. Diese Konstruktion bewährt sich in einem doppelten Vorteil: Alles ist durch inneres Erlebnis (des Glaubens) ausnahmslos jedem Menschen zugänglich , wenn er sich nicht durch strikte Betätigung der Vernunft dagegen sperrt, und begründet ein Bewusstsein der -illusionären- Überlegenheit und Aufgeklärtheit. Schutz vor religiöser Regression, dem Rückfall in Polytheismus, Naturreligion, Götzendienst erscheint dem Christentum und seinen überzeugten und bewussten Anhängern mit der Dreifaltigkeitslehre als im höchsten Maße sicher. Dazu trägt das enorme Rationalisierungs-potential der göttlichen Identität in der Form des Vater/Sohnverhältnisses bei. Dass neben diesen religiösen Kernbestand heute tatsächlich eine Vielzahl von Ersatzreligionen mit größerer Anziehungskraft getreten ist, hat identifizierbare politische Ursachen, ändert an dieser inhaltlichen Sicht und der Bezugsebene der Dialogfähigkeit/Unfähigkeit monotheistischer Religionen wenig.
Die monotheistische Religion, die sich ja zunächst auf die schwersten Vergehen gegen den Vater gründet, steht im Laufe der Zeit vor der ernsten Gefahr regressiver Verehrungsformen und gefährdet damit auch die menschliche Gesellschaft in ihrem kulturellen Bestand. Auf diesem Boden waren ja in religiöser Opposition zum jüdischen Glauben –und auf dessen Grundlage- die ersten kleinen christlichen Gemeinden vor 2000 Jahren entstanden. Es entlastet die Gesellschaft durch rigorose Abschaffung unsäglicher Opfer und auch psychisch die starken männlichen Nachfolger, wenn ihr Glaube nicht mehr auf einen einzigen, sterilen, fernen Gott Vater ausgerichtet werden muss. Dieser einzige Gott hatte nach der Lesart der jungen jüdischen Reformbewegung sich entschlossen, selbst Mensch zu werden, als Sohn schwerste Leiden auf sich zu nehmen - um der Erlösung der Menschheit willen. Damit wird den tyrannischen Gefahren Rechnung getragen, die von der Monopolstellung eines einzigen Gott Vater ausgeht. Die Menschensöhne dürfen sich durch Gottes Offenbarungsbeschluss von schwerer Last befreit fühlen. Dass Gott danach auch im Mitmenschen sein kann, dass er in uns allen selbst existiere, ist eine Vorstellung, die vermutlich den wirklichen Verhältnissen recht nahe kommt. Vom Ansatz her ist die christliche Religion ein Rationalitätsfortschritt, weil sie effizienter einsetzbare Mittel in die Hand gibt, den Schuldkomplex umfassend abzuklären. Es ist offensichtlich, dass die beiden anderen abrahamischen, überlieferten monotheistischen Religionen das Problem der Schuld entsprechend ihren historischen Entstehungsbedingungen als Offenbarungsreligion auf andere Weise aufgreifen und lösen. Auch die unmittelbare Intention des Jesus von Nazareth, die eher rückwärts, auf Buße und Rekonstruktion originärer Gläubigkeit gerichtet war, ändert an der nachträglichen Interpretation seiner Anhänger und deren Verkündigungswirkung wenig. Die Forschung kann solche Widersprüche zwischen Original und dogmengeschichtlicher Entwicklung enthüllen.
Dass die christlichen Ideen einen weitreichenden Einfluss auf das bürgerliche politische Konzept der Gewaltenteilung ausgeübt haben, erscheint mir ein ziemlich überzeugender, wenn auch nicht einfach nachzuvollziehender Gedanke zu sein.
Und nun kommt ein westlicher Orientalist (der deutsche Iraner, iranische Deutsche) und äußert öffentlich den massiven Verdacht, dass die christliche Lehre ihren eigenen Anspruch nicht ernst nimmt und im Endeffekt simplen Götzendienst und damit Gotteslästerung betreibt. Da dies aus christlicher Sicht zunächst ein Schock durch Wahrnehmung ist, so macht die Kritik auf der Seite Kermanis nur insoweit Sinn, soweit sie die religiöse Ebene nicht mit einer radikalen, unversöhnlichen Verweigerungshaltung verlässt. Der Text Kermanis verkörpert Religionskritik, ohne die Religion in Bausch und Bogen zu verurteilen. Diese Position muss heute im interreligiösen Dialog als angemessen gelten.
Auch wenn Kermani seine ‚drastische’ Formulierung etwas mildern würde, so wäre es kaum sinnvoll, beispielsweise von einer ‚gut gemeinten’ Gotteslästerung zu sprechen. Im Kern flackert in den wenigen kritischen Worten in der NZZ ein fest in der Erde vermauerter Typ von Religionskritik auf, dem eher die ästhetische als die religiöse Ebene als Urteilsmaßstab gilt. Vor einer gemeinsamen, dialogfähigen Verständnisebene zwischen monotheistischen religiösen Lehren türmen sich beim ersten Hinschauen nur schwer überwindbare Hindernisse auf, solange die Verständigung unter der Prämisse der alleinigen Geltung spezieller ‚religiöser Wahrheiten’ intendiert ist und geführt wird. Außer über den Punkt des Glaubenszweifels oder durch bewusste Geltendmachung von Vernunftgeboten lässt sich ganz offensichtlich der Schock der christlichen, jüdischen, islamischen Dialogunfähigkeit nicht auflösen. Dies heißt zunächst, dass wir weder wissen, noch uns denken können, wie Lehmann und Steinacker, vielleicht auch Korn, Dialogfähigkeit unter Beweis stellen wollen. Aller Voraussicht nach müssen wir darauf noch einmal zurückkommen.
Es war ihnen ja zu leicht gelungen (vielleicht ohne es ernsthaft zu beabsichtigen?), Kermani vom versprochenen Ehrenplatz mit entsprechender Dotierung zu verdrängen, was jedoch allein die Hessische Landesregierung zu verantworten hat, denn es handelt sich um den von ihr gestifteten und vergebenen Preis. Sie hätte nach der Erfahrung des Rücktritts Sezgins jetzt nach dem angedrohten(?) Rücktritt der beiden christlichen Vertreter den interreligiösen Dialog als vorerst nicht führbar eingestehen und den diesjahrigen Preisverleihungsverzicht dem jüdischen und islamischen Vertreter offen und ehrlich begründen müssen. Das tat die Landesregierung nicht, weil der ‚Rücktritt’ der beiden Christen in Wahrheit eine von der Koch-Regierung konstruierte, repressive, inkompetente Maßnahme war – und/oder eine theologisch nicht legitime Erpressung und Aggression, der sich Koch nur andienerte. Stattdessen kann nun Jedermann beobachten, wie maßlose Arroganz und Oberflächlichkeit mit nervösen, hilflosen Erklärungen sich paaren, die nur einem einzigen Zwecke nützlich sind: Reinwaschung – keiner will Schuld auf sich sitzen lassen. Dies Motiv tendiert im privaten und erst recht im öffentlichen Leben zu einer zähen, nachhaltigen Vitalität – ein typisches Kulturphänomen .
Deswegen wird man feststellen dürfen, dass die Sache nicht gegessen war. Im eigenen Lager rumorte es sofort: ‚Missverständnis’ und es habe ‚den Falschen getroffen’. In der Öffentlichkeit wurde gemutmaßt, am Ende handle es sich wohl um einen “Preis für Intoleranz“ und gemäß der interessierten Ideologie vom „Krieg der Kulturen“ zeige der „Fall Koch/Lehmann“, dass „viele ihn gerne führen würden“. In dieser zweiten Phase des Eklats drohte der Kulturpreis vernichtend zu explodieren. Kermani selbst hat auf Anfrage in einem offenen Brief in der FAZ auf die Entscheidung des Hessischen Ministerpräsidenten , ihm den zuerkannten Preis wieder abzuerkennen, kurz und prägnant geantwortet: „Ob ich denn nicht wisse, dass mir der Hessische Kulturpreis aberkannt wurde? Nein, ich wusste es nicht.(…) Sehr geehrter Herr Koch, ich hoffe, dass Sie sich wenigstens schämen. Mit freundlichen Grüßen aus dem katholischen Köln, Navid Kermani.“
RETTUNG DES INTERRELIGIÖSEN DIALOGS -
DES HESSISCHEN KULTURPREISES ?
Wer sich diese frische urchristliche Hoffnung durch den Kopf gehen lässt, ahnt bestimmt, welch scharfes Schwert sie sein kann, dass sie subjektiv Roland Koch in schwere Bedrängnis bringt – letztlich stehen Anstand und Glaubwürdigkeit von Kulturpolitik zur Debatte. Was in wenigen Tagen gegen Koch, Lehmann und Steinacker vorgebracht wird, während Verteidigungsreden kaum zu vernehmen sind, spitzt sich in dieser Phase der rituellen Rechtfertigungsideologien auf das Motiv zu, den Preis womöglich retten zu müssen.
Aber wie ? Die GRÜNEN regen einen öffentlichen Dialog der Preisträger an, was bei der Lage der Dinge nur von völlig unsicheren Voraussetzungen her vorstellbar ist. Wollen die Preisträger überhaupt eine öffentliche Diskussion, die diesen Namen verdient? Verschärfend wurde vom Forum des ev. Kirchentages für Kermanis Verdienste um den christlich-islamischen Dialog Stellung bezogen. Die SPD forderte mit wenig Verständnis für die sensible , prekäre Kulturproblematik und vor allem gegen die allgemeine Tendenz und Stimmung der Rettung des Preises, die Preisverleihung in diesem Jahr ganz auszusetzen. Einzelne Stimmen der FDP ebenfalls. Aber die FDP ahnte auch den Schaden, den Koalitionspartner Roland Koch angerichtet hatte, und half im Hintergrund zurückzurudern. Plötzlich wird eine Verschiebung der Preisverleihung auf den Herbst des Jahres gemeldet – danach gab Koch an, Lehmann, Steinacker und Korn hätten den Vorschlag zum ‚ internen Gespräch’ mit Kermani gemacht. Die Preisträger sollten sich also „verständigen“. Während die CDU in der Öffentlichkeit nur noch kleinlaut sich zu Worte meldet, sprechen die Liberalen mit geschwellter Brust und einer Andeutung selbstkritischer Prüfung von ‚gewachsener Erkenntnis’ „auch dank der journalistischen Begleitung“, „den Anderen noch mal nachzulesen“, so Integrationsminister, Justizminister und stellv. Ministerpräsident Jörg-Uwe Hahn(FDP).
Man darf gespannt sein, was bei dieser ‚Nachlese’ herauskommen wird – es dürfte nicht viel zu tun haben mit dem, was die GRÜNEN durch einen öffentlichen Dialog der Preisträger erwarten wollten. Aber vielleicht darf auch hier das Wort gelten, demzufolge die Hoffnung zuletzt stirbt. Micha Brumlik hatte vorher schon eine passende Begründung zur Rettung des Staatspreises angemahnt. Dabei hatte er mit Blick auf den Preisentzug nach Gutsherrnart von einem „integrationspolitischen GAU erster Ordnung“ gesprochen. Um einen Dialog ‚auf Augenhöhe’ zu führen , dachte er, dass Korn, Lehmann und Steinacker die Annahme des Hessischen Kulturpreises verweigern könnten (Angeblich hatten sie dies ja für den Fall getan, dass sie, wie geplant, mit Kermani den Preis gemeinsam in Empfang nehmen). Nach der zunächst plausiblen Logik von Brumlik haben die zuständigen Instanzen (Ministerpräsident und Kuratorium) ausgespielt und können den Schaden nicht mehr beheben. „Es obliegt somit den verbliebenen Preisträgern, den Weg für einen Neuanfang freizumachen“. Eine offene Verweigerung des Preises jedoch von den 3 verbliebenen Preisträgern aus Solidarität mit Kermani zu erwarten, aus deren Mitte der Eklat im voreiligen Einverständnis mit dem Ministerpräsidenten ausgelöst wurde, würde im Endeffekt zu diesem Zeitpunkt (Ende Mai 2009) ein zu schwerer Affront gegen Regierung und Staat sein. Diese hatten sich entsprechend ihrer politischen Identität eilig (und gern?) den geheim vorgebrachten ‚Argumenten’ angeschlossen. Dass somit ungewollt ein selbst entlarvender Offenbarungseid staatlich betriebener Kulturpolitik in Hessen plötzlich auf der Tagesordnung stand, scheint in der Logik der Ereignisse zu liegen, über die zu berichten ist, um sie nicht dem Vergessen preiszugeben. Und deshalb muss zu der gut gemeinten Rettungsidee Micha Brumliks festgehalten werden, dass sie leider die eingeübten Methoden politischer Machtverhältnisse außer Acht lässt. Das Possenspiel muss weitergehen.
Gehen wir an dieser Stelle einen Schritt zurück und lesen den ersten Satz einer kurzen Pressemeldung: „Der hessische Integrationsminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) hat sich erleichtert darüber gezeigt, dass die potenziellen Träger des Hessischen Kulturpreises nach ihrer öffentlichen Auseinandersetzung das Gespräch miteinander suchen.“(FR 22.05.09) Sollte sich Hahn substanziell so ausgedrückt haben, so würde das einen weiteren dunklen Schatten auf die Hessische Kulturpolitik werfen, der niemand auch nur ein Wort glauben dürfte. Eine öffentliche Erklärung des ahnungslosen Preisträgers Kermani gegen den Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch ist uns bekannt, weil der ihm aus einer tief verwurzelten ungerechten Haltung heraus den Preis scheinbar auf entsprechende Zuflüsterungen hin entzogen hat, und von dem der Schriftsteller hofft, dass er sich „wenigstens schämt“. Über eine öffentliche Auseinandersetzung zwischen den Preisträgern ist faktisch nichts bekannt. Es ist ja gerade die Öffentlichkeit, die eine üble Intrige an den Tag gebracht und eindeutig ergeben hat, dass es zwischen den Preisträgern überhaupt keine Auseinandersetzung gab und gibt.
Oder sind von Lehmann, Steinacker und Korn Worte bekannt geworden, die den Begriff der öffentlichen Auseinandersetzung mit einem designierten Mitpreisträger rechtfertigen könnten? Hatten wir uns versehen oder verhört, als wir von ihnen Worte der Selbstbezogenheit, Selbstgerechtigkeit oder einfach nichts vernahmen? Gibt es aus der Reihe dieser Persönlichkeiten mindestens eine, die mit Mut und aufrichtiger Empörung die bodenlose Ungerechtigkeit des einseitigen Preisentzugs verurteilt hat? Und auch die einfachste liberale Übung, den Preis für Kermani von Koch zurückzufordern und zugleich die Differenz des eigenen Standpunktes zum Standpunkt der ästhetischen Betrachtung des Schriftstellers zu verdeutlichen, ist bei diesem Possenspiel nirgends zu entdecken.
Die ‚öffentliche Auseinandersetzung’ der Preisträger ist in Wahrheit eine dreiste, kalkulierte Lüge, weil sie weder stattgefunden noch in irgendeiner Hinsicht vorgesehen war. Durch eine solche Formulierung, wo in der Pressemeldung eine ‚öffentliche Auseinandersetzung’ unwahr und manipulativ vorausgesetzt ist, soll nur von der eigenen, ideologisch bedingten Verantwortungslosigkeit abgelenkt werden. Eine alternative Bewertung müsste wohl auf naive, kindliche Unschuld der selbst ernannten Retter des Hessischen Kulturpreises sich gründen. Aber es steckt auch eine ernst zu nehmende Drohung hinter der Lüge: Wenn die Preisträger das Bemühen des Staates, das Heft wieder in die Hand zu bekommen, nicht freiwillig durch eine Gesprächsklausur honorieren und dabei den aufgebrochenen Konflikt nicht in der Lage sind auf einem angemessenen geistigen Niveau abzuhandeln, dann, so die Drohung, ist womöglich der kulturelle Friede, zentrales Ziel des Preises, in Gefahr. Darin darf allerdings auch ein Körnchen Wahrheit vermutet werden, das hoffentlich nicht aufkeimt. Vor einiger Zeit hat man für den hier geschilderten Vorgang den Begriff der repressiven Toleranz verwendet.
Der Staat könnte, um diesem kulturpolitischen Intrigenspiel mit noch unbekannten Folgen die Krone aufzusetzen, seinen Wissensvorsprung auch öffentlich verwenden. Er weiß, was Lehmann geschrieben, Steinacker vielleicht nur gesagt hat und ob Korns öffentliches Schweigen in Wirklichkeit präzise und beredt war. Auch Kermani könnte vielleicht die Dokumente aus Hessen, die ihm doch vorliegen dürften, bei Gelegenheit öffentlich, die politische Opposition sich bei der Aufklärung aller Fakten um die irritierende Vergabe des Hessischen Kulturpreises verdient machen.
Zunächst kann jedoch eine vordergründige ‚Erleichterung’ des Hessischen Integrationsministers, Justizministers und stellvertretenden Ministerpräsidenten vermeldet werden, weil sich die vier designierten, nicht ‚potenziellen’, Preisträger bereit fanden, das „Gespräch zu suchen“. Achten wir auf die Anzeichen, die aus den modernen Gemäuern nach außen dringen. Die Kultur steckt so tief im Schlamm, hat als feines, raues, ambivalentes Gebilde Angriffe hinnehmen müssen und vielleicht Verletzungen erlitten, dass Schlimmstes zu befürchten ist – und sei es eine endgültige Absage der Preisverleihung mit einer manipulierten Begründung. Der Hessische Staat hätte für diesen Fall zu seiner Schande 45000 Euro gespart.
Markus Spillmann, Chefredakteur der NZZ, führt uns in seinem Einspruch vom Dienstag den 19. Mai 09 zwei Kernpunkte des beobachteten Kulturcrashs unter Führung und Verantwortung der christlich-liberalen Koalitionsregierung in Hessen vor Augen: „Navid Kermani hat in dem fraglichen Text in dieser Zeitung ein seltenes Beispiel für die schonungslose Auseinandersetzung mit eigenen vorgefassten Meinungen und Vorurteilen gegeben. Wie, wenn denn nicht auch so, soll das Gespräch zwischen den Kulturen und den Religionen über den unverbindlichen Austausch von Höflichkeiten hinaus zu einem ernsthaften und ernstzunehmenden Dialog fortschreiten?
Der am Montag von den zuständigen Instanzen gefasste Beschluss, die Preisverleihung bis in den Herbst auszusetzen und inzwischen die drei Preisträger sowie Navid Kermani zu Gesprächen an einen Tisch zu bitten, ändert nichts an der Irritation, die durch die Aberkennung des Preises entstanden ist.“
Diese diplomatische Version des Züricher Chefredakteurs erinnert an eine wichtige Errungenschaft der kulturellen Evolution: Die Fähigkeiten der Selbstkritik und Selbstreflexion auszubilden als eine der Bedingungen für fruchtbaren Dialog. Kermani hat für seinen Teil diese Fähigkeiten nachgewiesen, aber Roland Koch erkannte ihm unbeherrscht, hinterrücks den zuerkannten Preis wieder ab. Bei dem jetzt gewählten Verfahren , - zu retten, was noch zu retten ist- entsteht für den Hessischen Ministerpräsidenten und die drei verbliebenen Preisträger nunmehr eine prekäre Zwangssituation, die vorher nicht bestand. Sie müssen plausibel machen, glaubhaft versichern, dass schwerwiegende Fehler bei der Vergabe des Kulturpreises in ihre Verantwortung fallen, die gute Absicht des Preises selbst demgegenüber nur durch schonungslose Offenheit untermauert werden kann, welche allein in der Lage ist, den vermeintlich unliebsamen Konkurrenten wieder ins Boot zu holen. Eine manipulative Augenauswischerei hilft nicht mehr. Es wird von der Lösung dieses prekären Problems abhängen, auf welche Weise sich der dritte Akt der hessischen Kulturpreis-Tragikkomödie unserem geistigen Auge darbieten wird.
Immerhin scheint Jörg-Uwe Hahn im Wiesbadener Parlament am 18. Juni sich vom Koalitionspartner zu distanzieren: „Ich halte es für nicht klug, dass das Kuratorium diese Entscheidung getroffen hat“ –Kermani den zuerkannten Preis wieder wegzunehmen! Begründung: Die ‚Debatte’ habe der „Integration in unserem Lande geschadet“. Diese verschämt daherkommende Distanzierung von Koch ist eine Täuschung der Öffentlichkeit. Hahn bewegt sich, wie Koch, auf der Ebene eines taktisch operierenden konservativen Populismus – die Differenz zwischen den eng Befreundeten ist gegenwärtig bedeutungslos. Koch hält es für richtig und effizient , sich auf die mehrheitsfähigen Vorurteile gegen den Islam zu stützen, Hahn ahnt als Integrationsminister, dass ihm eine Häufung schwerer Fehler der unsensiblen Kulturpolitik des Ministerpräsidenten, die er im allgemeinen befürwortet, Legitimationsprobleme bereiten wird – das ist aus seiner Sicht natürlich ‚nicht klug’. Aber es ist dennoch unvermeidlich. Und was die Möglichkeit einer Kulturpolitik mit liberaler Handschrift angeht, so hat die neue Schulministerin Dorothea Henzler (FDP) bereits öffentlich ihre schwache Position in dieser Landesregierung eingestehen müssen, als ihre forsche Absicht eines legalisierten Schulbesuchs ‚illegaler Kinder’ (!) von ihrem Parteichef Hahn und der CDU zunächst ausgebremst und auf die lange Bank geschoben wurde.
Was die öffentliche Debatte um die Fehlleistungen der Landesregierung angeht, so muss diese Debatte unbedingt als hilfreich für eine Integrationspolitik mit Augenmaß angesehen werden. Und welche Einschätzung trägt der Hessische Integrationsminister im Parlament vor? Eben diese Debatte habe der „Integration in unserem Lande geschadet“. Da ist eine ähnliche Verdrehung wie im Falle der angeblich „öffentlichen Auseinandersetzung“ zwischen den Preisträgern zu erkennen, die in Wirklichkeit eine kritische Auseinandersetzung mit schädlichen Entscheidungen der Landesregierung ist, der Jörg-Uwe Hahn als Vize-Chef angehört.
Der Justiz- und Integrationsminister der Hessischen Landesregierung hat im Verlauf weniger Wochen seines Regierens als Liberaler ein erstaunliches Problem mit der Kategorie der Öffentlichkeit. Neben den Oppositionsparteien im Landtag beklagen sich Kirchen, Wohfahrtsverbände und Flüchtlingsorganisationen über eine noch mal verschärfte Abschiebepolitik, die keinerlei tatsächliche Mitsprache mehr zulässt, welche humanitäre und menschenrechtliche Hemmungen gegen allzuleichtes Abschieben zur Geltung bringen könnte. Hier hat sich die FDP dem ‚Law and Order’ Denken der hessischen CDU sehr schnell und aus innerer Überzeugung angeschlossen. Auch stellt aus der Sicht von Hahn eine strafrechtlich ermittelnde Staatsanwaltschaft, die z.B. nach Kräften eine HIV-positive Person in verhängnisvoller Weise der öffentlichen Vorverurteilung zuführt, kein ernstes Problem dar. Nicht nur, dass in diesem Fall die Sängerin Nadja Benaissa die Leidtragende ist, an der aufgrund jener Vorverurteilung später immer etwas hängen bleiben wird, sondern auch die schädlichen Folgen für die weltweiten Bemühungen zur Eindämmung von Aids sollten im Wahrnehmungshorizont eines Justizministers prinzipiell vorkommen. Auch das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung bedarf angemessener Aufklärung, kann auf den Polizeiknüppel, öffentlichkeitssüchtige Staatsanwaltschaften, selbstgerechte Richter leicht verzichten. Ist Hahn überhaupt klar, dass seine prinzipiell richtige Bemerkung zur Unabhängigkeit der Justiz im konkreten Fall unpassend und schädlich war, da seine kalkuliert passive politische Haltung eine aktive Torpedierung schützenswerter Rechtsgüter bewirkte? Andererseits fällt jedem aufmerksamen Beobachter die zielstrebige und rührige Art des Justizministers auf, wenn es um den Einsatz von Rechtsinstrumenten geht, die den Schutz korruptions-verdächtiger Raffgier und Bereicherung in unserer Gesellschaft bewirken können (‚Steuerfahnder-Affäre’ und die ‚Affäre’ der Wolskis unter Einschluss einer der höchsten Richterinnen des Landes).
Mein vielleicht etwas voreiliger Verdacht, ein ernstes Motiv zur Rettung des Hessischen Kulturpreises bestehe bei den Verantwortlichen gar nicht, ist an die Voraussetzung geknüpft, dass die politische Klasse unter permanentem Handlungsdruck an den komplexen Kooperationsverhältnissen zwischen den Kulturen wie auch innerhalb eines kulturellen Organismus nur ein oberflächliches Interesse aufbieten kann. Ist diese Überzeugung einigermaßen stimmig, so können die von den Liberalen (scheinheilig?) angemahnten Rettungsmaßnahmen den Makel des Kulturbanausentums nicht verdecken., welche konkrete Lösung für den Hessischen Kulturpreis des Jahres 2009 auch immer gefunden wird. Versprochen ist die Verleihung für den Herbst, offen, ob man Kermani wieder ins Boot bekommt, ungewiss, wie die Dialogfähigkeit der Preisträger und vor allem der Regierung unter Führung von Roland Koch nachgewiesen wird. Das Ganze kann auch in einem dunklen, nicht nachvollziehbaren Mysterium enden, dem man schließlich das Etikett der Vernunft anheftet – bei soviel Unvernunft!

Kardinal Lehmann spricht in einem Zeitungsinterview (FR 26.08.2009) das zentrale Problem der Dialogfähigkeit im Zusammenhang mit aktuellen politischen und kirchlichen Fragen an. Ob die Bundeskanzlerin Angela Merkel z.B. zu wenig kirchliche Anliegen (Bioethik etc) unterstütze ? „… Ich bin für ein nüchternes Verhältnis zwischen Kirche und Politik. Ich mag es auch nicht, wenn Politiker sich den Kirchen andienen“. Diese kritische Anspielung wird später konkretisiert, als der Interviewer fragt: „ Herr Kardinal, nach dem Streit um den muslimischen Schriftsteller Navid Kermani im Frühjahr wurde die Verleihung des Hessischen Kulturpreises 2009 ausgesetzt. Wer bekommt ihn denn nun?“
„Da müssen Sie den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch als Vorsitzenden des Kuratoriums fragen. Ich für meine Person möchte die Debatte um Navid Kermani nicht wieder aufleben lassen.“ Frage von Joachim Frank: „Sie hatten sich an seinem Text über das Kreuz gestoßen und eine gemeinsame Verleihung des Preises infrage gestellt. Haben Sie in selbstkritischer Rückschau alles richtig gemacht?“ Antwort von Karl Lehmann: „Ich war überrascht, mit wie viel Ignoranz über die Sache selbst –also über die Verleihung des Preises an Vertreter mehrerer Religionen-, aber auch über mich geredet wurde. Ich stehe seit Jahrzehnten in der Öffentlichkeit, sodass an meiner positiven Haltung zum interreligiösen Dialog eigentlich kein Zweifel möglich sein sollte. Und dann behaupten dieselben Leute, die mir gerade den Preis verliehen haben, wenige Wochen später, ich könne ja nicht einmal richtig lesen. Also, das hat mir schon die Sprache verschlagen Ich habe übrigens nie gefordert, Navid Kermani den Preis abzuerkennen. Aber noch einmal: Das jetzt alles noch einmal nachzukarten, dafür ist mir meine Zeit zu schade.“ Frank insistierend: „Sie wollten sich doch mit Kermani treffen.“ Antwort Lehmann: „Ja, aber zu einem persönlichen Gespräch. Ganz ohne Sie und ihre Kollegen“. Der Interviewer kann immer noch nicht vom Kreuze lassen:
„Schade. es würde mich schon interessieren, wie sie das Problem beheben wollen, dass Kermani sich auf –aus Ihrer Sicht- despektierliche Weise über das Kreuz geäußert hat. Dieser Text, mit dem Sie in keiner Weise in Zusammenhang gebracht werden wollten, kann ja nicht einfach gelöscht werden.“ Nüchterne Antwort des Kardinals: „Da mache ich mir weniger Sorgen als Sie. Ich glaube, durch ein sachliches, ruhiges, nachdenkliches Gespräch kommt man immer weiter. Ich habe Kermani schon mehrfach getroffen und inzwischen auch mit seiner Familie korrespondiert. Ich bin sicher, wir kommen miteinander zurecht. Öffentlich habe ich parallel zu der ganzen Diskussion meine Stiftungsprofessur ‚Weltreligionen’ wahrgenommen. Das Ergebnis wird zur Buchmesse publiziert. Darin spätestens wird jeder lesen können, wo ich stehe.“ Der katholische Theologe umreißt seine Position abschließend: „Das interreligiöse Gespräch ist unerlässlich. Aber man darf es nicht mit dieser Ignoranz für den eigenen Wert jeder Religion führen, nicht mit dieser pseudo-liberalen säkularen Gleichgültigkeit, die unter dem Deckmantel von Toleranz und Religionsfreiheit den ganz eigenen Charakter von Religion nicht ernst nimmt“.
Was den anderen Kirchenmann angeht, Professor Steinacker, so möchte ich ihm gerne –ganz unabhängig von der Wortwahl des Kardinals- folgende Formulierung in den Mund legen: „Die Ausgrenzung Navid Kermanis stammte nicht von mir!“ Die Position von Professor Kor n wurde erkennbar in einem nicht unbedeutenden Zusammenhang dieses Kulturpreises , - als er Anfang 2009 sein Verständnis kriegerischer Gewalt Israels verteidigte und Fuat Sezgin bezüglich des gleichen Sachverhaltes antisemitischer Motive bezichtigte. Inwieweit er dann in Bezug auf den Schriftsteller Kermani möglicherweise politische Bedenken anmeldete, ist eine Frage, die zwar nicht aus der Luft gegriffen ist, aber dennoch meiner Auffassung nach nicht durch wilde Spekulation beschädigt werden, sondern der Wahrheitsliebe der Regierung Koch/Hahn überlassen bleiben sollte.
Was den Inhalt des Lehmann-Interviews betrifft, so fällt an dessen „nüchternen“
Verhältnis zur Politik zuerst seine emotional - aggressive Kritik an Politikern auf, denen er „Ignoranz“ und „pseudo-liberale säkulare Gleichgültigkeit“ vorwirft, die Toleranz und Religionsfreiheit als „Deckmantel“ benutzen und die Religion imgrunde missachten. Die Anspielung auf Hahns unsägliche Pressemitteilung, -wo vom ‚nachlesen’ die Rede war, um nicht vom Nachsitzen zu sprechen -, drückt den erbitterten Ärger des sich geschuriegelt Fühlenden aus. Und dann erfolgt seine trotzige Feststellung, die für Koch und Hahn eine kräftige Ohrfeige ist: „Ich habe übrigens nie gefordert, Navid Kermani den Preis abzuerkennen“. Wahrlich, so unklug war der Kardinal nicht! Denn er verstand es im Interview, mit der Zunge der Jovialität die religionskritische Haltung Kermanis klein zu reden („Ich bin sicher, wir kommen miteinander zurecht“), welche durch den Text in der Neuen Züricher Zeitung im Frühjahr die fleißige Zunge der empörten Glaubensfestigkeit zum Sprechen brachte. Es handelt sich nicht, wie so manche Seele voreilig vermutet, um Doppelzüngigkeit, sondern um zweckmäßige Verhaltensmuster, die je ihren eigenen Wert entfalten. Was soll man von einem Kardinal , Kirchenpräsidenten, Pfarrer halten, der sich nicht öffentlich empört, wenn massive Zweifel an seinen Glaubensgrundlagen angemeldet werden? Wenn nun aber der Kardinal sich „weniger Sorgen“ um das Kreuz macht als sein Interviewpartner, weil eben die Zeiten der Inquisition vorbei sind und heute das „sachliche, ruhige, nachdenkliche Gespräch“ angebracht ist, wer muss da noch herumkritisieren? Im ersten Fall ist die Toleranz in Form des Zugeständnisses gefordert, was den Kritiker kaum einen Verlust an Klarsicht kostet. Im zweiten Fall kann man ohne Bedenken zustimmen.
Zusammenfassend: Die Koch/Hahn-Regierung ist mit ihrer kulturpolitischen Linie der ungerechten Ausgrenzung erkennbar gescheitert, denn die im ersten Augenblick durch einen Zeitungsartikel in ihren Glaubensfesten Verunsicherten haben sich auf einen wesentlichen Wert des Kulturlebens besonnen, - Solidarität. So geht einige Tage nach dem Interview des Mainzer Kardinals die Meldung durch die Medien , dass während eines 2-stündigen Gesprächs „alle Aspekte der Kontroverse“ besprochen wurden und die verbliebenen Preisträger darauf sich geeinigt haben, dass auch „der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani den Hessischen Kulturpreis erhält“. (FR 29.08.2009) Abgesehen davon, dass jetzt noch die Stellungnahme der hessischen Landesregierung nachzutragen wäre, kann im Sinne der eingangs angestellten Überlegungen zu diesem Bericht ein „später Sieg der Vernunft“ mit deutlicher Tendenz zur Verdunkelung der tatsächlichen Handlungskontexte festgehalten werden.
 
Bericht zur Kulturpolitik eines deutschen Bundeslandes

Die Künste und Wissenschaften verfehlen ihren Zweck, wenn sie sich mit religiösen Anschauungen zu sehr vermischen. Je freier sie ihr Wirken gestalten können, je produktiver ihre Aktivitäten sind, umso deutlicher kann ihr wirklicher Nutzen für die Gesellschaft ausfallen. Sowohl die Freiheit als auch die Meidung eines zu engen Kontaktes der Künste und Wissenschaften mit religiöser Dogmatik stellen wünschenswerte Gründe und Ziele gesellschaftlichen Handelns dar, die andauernd kritisch zu überprüfen sind; die beiden Handlungsmaximen haben keinen absoluten Wert, welcher erzwungen oder gar gewaltsam durchgesetzt werden könnte. Eigentümlich dabei ist, dass jedenfalls die Freiheit im Notfall gewaltsam gegen Aggression und Usurpation verteidigt, nicht jedoch Ergebnis gezielter Aggression und Machtusurpation sein kann. Die Politik ist von Jeher Interessen bedingt mit der Religion verwoben, wobei die kulturevolutionäre Problematik mit den Bedingungen sich befasst, unter denen für beide eine deutlichere Autonomie und Freiheit möglich und angebracht ist.

Religion in der Kultur
Der Nutzen der Religion jedoch spielt sich auf einer anderen Ebene ab. Ihre Aufgabe ist es, den Lebenden Trost zu spenden angesichts der Opfer, die sie Gott darbringen, und sie in die Lage zu versetzen, mit den Mühsalen und Gefahren des Lebens auf würdevolle Weise umzugehen. Es liegt daher in der Natur der Sache, dass der religiöse Mensch eine starke emotionale Identitätsbildung bezüglich 'seiner' Religion durchlebt. Der allmächtige, allwissende Gott erscheint ihm als ein Wesen, das außerhalb seiner kontrollierbaren Wahrnehmung existiert und dem die Menschheit alles verdankt. Auf diesem übersinnlichen Verhältnis des Menschen zu Gott erheben sich die speziellen Lehren aller Religionen, zwischen denen eine auf Verständigung gerichtete Kommunikation jedoch nur möglich ist, wenn sie sich auf einen Minimalkonsens innerer Wahrnehmung verständigen oder auf gewisse Kommunikationstechniken der menschlichen Vernunft zurückgreifen können. Allgemeine Not und Bedürftigkeit, aus der Religion im Sinne einer auf Verzicht gegründeten Kulturaktivität geboren wird, erlaubt rationalen Diskurs nur auf einem bescheidenen Niveau. Ich spreche hier nicht davon, wie der Einzelne zur Religion gelangt, welche Gefühle und welches Denken religiöser Art sich bei ihm geltend machen ( z.B.Dankbarkeit für erfahrene Tröstung), sondern von der objektiven Grundlage aller Religion, deren illusionäre Gestalt subjektiv im Glauben verarbeitet und damit zu einer objektiven Größe im Kulturleben werden kann.
Wir wissen inzwischen einigermaßen zuverlässig, dass die Bindungskraft der überlieferten, besonders der christlichen und jüdischen Religion, in den technisch hochentwickelten Ländern nicht mehr die herausragende Stellung einnimmt, die sie lange Zeit hatte. Im Falle der islamischen Religion drückt sich der gleiche geschichtliche Vorgang in komplexen, widersprüchlichen Erscheinungsformen aus. Die stärksten Verluste religiöser Kraft treten durch blindwütige, politisierte Aggression religiöser Dogmen auf (Terrorismus, gewaltsame Verwirklichung von Glaubensgrundsätzen). Zur Entwicklungsperspektive dieser Problematik gehört auch, dass der irrationale Streit und die willkürlich monopolistischen Wahrheits-ansprüche für sehr lange Zeit auf der Agenda der Religionen standen und sich bei Bedarf mit rationalen Elementen der Lebenserfahrung mischten – bis es der Menschheit im Ansatz gelang, ihre allgemeinen Lebensbedingungen tendenziell rational zu gestalten. Nun gerieten auch die religiösen Dogmen unter Reformdruck, es wurde unabweislich, Elemente des rationalen Diskurses auch in die religiöse Lebensgestaltung allmählich zu übernehmen. Soweit das in unserem Zusammenhang zuverlässig zu bestimmen ist, könnte unter den Weltreligionen der Buddhismus hier wegen seiner toleranten Grundhaltung eine gesonderte Rolle spielen.
Wesentliche Entwicklungen der ‚Neuzeit’ haben uns gezeigt, wie andererseits Geist und Gestalt der menschlichen Vernunft sich mit speziellen Elementen religiöser Lehren zu einer starken gesellschaftlichen Kraft und Motivation verbinden können, wenn grundlegende Reformen sich als Notwendigkeit ankündigen. Auf welche Weise dies geschah, darüber können einige Arbeiten von Max Weber recht anschaulich Auskunft geben. Insoweit die Verbindung zwischen Vernunft und religiösen Gehalten als ein positiver Entwicklungszug interpretiert wird, obwohl dies nur in einem bescheidenen Sinne möglich sein dürfte, lassen sich zwei nebeneinander auftretende Resultate bzw. Prozesse erkennen:
1. Verselbständigung religiös inspirierter, rationalisierbarer Denk- und Verhaltensmodelle, deren ursprüngliche Kraftquelle immer schwächer und kaum noch bewusst wird (Verweltlichung).
2. Als originär und angemessen geltende Wahrnehmung und Interpretation der Welt, die ohne und gegen traditionelle theologische Deutung bestehen muss - auch Theologie verwissenschaftlicht bis zu einem gewissen Grade, behält aber eigenen Charakter.
(Verwissenschaftlichung)


Beide Resultate weisen auf die Schwierigkeiten der Religion und ihrer Sachwalter in der heutigen Welt hin, ihr Erbe, den kulturellen Wandlungen entsprechend, zu verwalten. Nüchternheit, realistisches Kalkül und ihre reiche historische Erfahrung und Offenheit, Hoffnung zu wecken und zu fördern, stehen ebenfalls in einem kleineren Kapitel des Stammbuchs der Religionen. Sie sind heute dringend gefordert. Denn die Tatsache der katastrophalen Aufteilung der Gesellschaft in reich und arm ist eindeutig machtpolitisch manipuliert, ebenso das Aufhetzen zu bornierten interessensbedingten kriegerischen Abenteuern – nicht selten im Namen eines bornierten Kulturverständnisses. Auch die vielen Millionen, die unverschuldet aus Arbeitsverhältnissen entfernt oder ferngehalten werden, ohne adäquaten Ersatz finden zu können, müssen sich keine Schuldvorwürfe machen, sondern bestrebt sein, ebenfalls einen klaren Kopf zu behalten und selbst nüchtern kalkulierbare Hoffnungen zu kultivieren - eine vom Anspruch her enorme Kulturleistung.
Ähnlich verhält es sich mit den äußerst deformierten Gerechtigkeitsverhältnissen, die angeblich auf Leistung beruhen oder auf je spezifische Handlungen zurückführbar seien. Leider glauben noch zu Viele solch infantilen Unsinn. Auch hier wäre die Hoffnungslosigkeit kein guter Ratgeber. Denn seit Jahrzehnten lässt sich eine starke politische Tendenz zu manipulativen Bestrebungen beobachten, - zynisch auf repressive Ersatzbefriedigung ausgerichtet-, die hilf- und ratlose Menschen für ihre spezifischen, beschränkten Zwecke zu instrumentalisieren versuchen. Aber nicht nur diese populistische Tendenz eines fundamentalistisch-konservativen Motivs zeigt ihr Gesicht, sondern auch frische, undogmatische Strömungen (teils religiöser Art), welche die naturnotwendige Reformbereitschaft, Toleranz und Freiheit von Mensch und Gesellschaft nicht ignorieren, treten oft gleichzeitig auf den Plan und enthüllen bisweilen den rationellen Kern der aussichtslos erscheinenden Auseinandersetzung. Soweit Theologie als Wissenschaft betrieben wird, ist bei ihren Vertretern der Zweifel gegen den überlieferten Glauben unvermeidlich, was oft genug schon während des Studiums ins Bewusstsein eintritt.
Namhafte Wissenschaftler des 19. und 20. Jahrhunderts haben diese Entwicklung gesehen und die Christianisierung Europas und der übrigen Welt als eine kulturelle Oberflächenerscheinung begriffen, hinter deren Fassade durchaus heidnisch-aggressives Kräftepotential lauert und auf Gelegenheiten wartet, sich Bahn zu brechen. Mit einer Art religiösem Eifer wird eine Religion des Industriezeitalters geschaffen, wie Erich Fromm die Entwicklung interpretierte, wobei an die Stelle der überlieferten Heiligen - und das ist auch eine Gefahr der Nüchternheit und Rationalität- die Arbeit, das Eigentum, der Gewinn und die Macht treten. Wie ehedem der religiös verkleidete Missbrauch einen außerordentlichen und überflüssigen Herrschaftsmechanismus begründete, so tun dies heute mit dem gleichen Ziel die bunte Schar der Populisten durch manipulativen, die Wirklichkeit und Wahrheit verschleiernden Gebrauch von Begriffen und wissenschaftlichen Erkenntnissen.

P O L I T I K , K U L T U R U N D Ö F F E N T L I C H K E I T

Diese Vorbemerkungen mögen als Einführung zur bemerkenswerten Irritation um die Verleihung des Hessischen Kulturpreises 2009 gelten. Dem ‚interreligiösen Dialog’ sollte die höchste kulturelle Auszeichnung des Landes diesmal gewidmet werden, nicht nur die Grenzen des Bundeslandes, sondern gewiss auch aus integrationspolitischer Sicht die der Bundesrepublik Deutschland überschreitend. Weithin bekannt ist ja die freundschaftliche Verbundenheit des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch(CDU) mit dem obersten Repräsentanten des tibetischen Buddhismus, dem Dalai Lama. Entsprechend wird eine gut wachsende buddhistische Gemeinde in Deutschland allmählich wahrgenommen – und eine noch schwache Ahnung weltweiter Umverteilung religiöser Güter scheint sich zu regen. Auch wenn die Gründe zufällig sind und aus einem tief verwurzelten Antikommunismus des ‚kalten Krieges’ stammen, so ist Koch doch positiv zuzurechnen, dass er im Falle des Dalai Lama und des Buddhismus die Chancen vieler verzweifelter Christen und Muslime, eine friedfertige Linie in ihr gestörtes religiöses Gefühlsleben einzubauen, dem Moloch des wie auch immer gefärbten Opportunismus nicht opferte.
Ich brauche nur einige wenige Namen stellvertretend für die lange Reihe ehrwürdiger Preisträger zu nennen, um das Gewicht dieses Kulturpreises anzuzeigen: Eugen Kogon, Volker Schlöndorff, Wolf Singer, Marcel Reich-Ranicki, Jürgen Habermas, Siegfried Unseld, Til Schweiger. Nur einmal in den 27 Jahren seit 1982, 2005, wurde der Preis nicht vergeben, - ein Wahljahr in Deutschland wie 2009. Im Vorjahr ging der Preis nicht an Personen, sondern an Institutionen: Das Landes Jugend Jazz Orchester und das Mathematikum Gießen. Insgesamt werden 45000 Euro auf die Preisträger aufgeteilt – der erste Akt der Irritation kann beginnen.
Indem ich schon vor der reflektierenden Berichterstrattung so viele grundsätzliche wie notwendige Überlegungen zum komplexen Thema des Kulturlebens in Erinnerung rufe, hätte ich beinahe übersehen, dass das öffentliche Feuer im Mai von der noch weitgehend verborgen gebliebenen Glut entfacht wurde, die bereits Ende 2008 und. Anfang 2009 erzeugt worden war. In diesem kalten Winter war es den kulturell gebeutelten Hessen angebracht erschienen, den gestrauchelten und beinahe gefallenen Ministerpräsidenten Koch gegen das drohende Gespenst eines ‚linksradikalen’ Regimes der Andrea Ypsilanti (SPD) - von Gnaden eines Oskar Lafontaine (Die LINKE )- wieder aufzurichten.
Kochs politische Erfolgslinie ist gekennzeichnet durch und verbunden mit einem stark konservativ-populistischen Hang, der auch fremdenfeindliche Stimmungen benutzt, wo es um das Erreichen politischer Machtpositionen geht. So war es beim kommunalen Wahlrecht für EU-Bürger in den 80er Jahren, als Koch noch in der Jugendorganisation der Union aktiv war, bei der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft in den 90ern, bei den ‚kriminellen’ Jugendlichen mit angeblich nicht integrationswilligem kulturellen Hintergrund, so ist es heute bei dem gemeinsam mit den Liberalen gesteuerten Kurs einer kompromisslosen, inhumanen Abschiebepolitik. Erinnert sei auch an die Ex- Kultusministerin Karin Wolf, die den primitiven US-amerikanischen Kreationismus als pädagogische Anwendung für diskussionswürdig erachtete. Passend dazu muss man auch die jüngsten ideologischen Umdeutungen des Krieges in Afghanistan durch den aus Hessen stammenden ‚Bundesverteidigungsminister’ F.J. Jung ansehen, der brutale und Kultur zerstörende Krieg sei in Wirklichkeit gar kein Krieg, weil Polizei, Recht, Schulen, Wasserleitungen usw. aufgebaut würden. Das ideologische Interesse der Verschleierung von Realität ist in jenen Fällen mit den Händen zu greifen. Dabei ist keineswegs die Liste der Nennungen vollständig, wenn man beispielsweise an die engstirnige Intervention Kochs gegen den Journalisten Nikolaus Brender beim ZDF denkt.
Im Januar 2009 fand in Reaktion auf den nahöstlichen Krieg im Gaza-Streifen auch in Deutschland eine verbale Unterstützungskampagne bezüglich der militärischen Operationen Israels statt, mit der üblichen politischen Erklärung und Unterschriftenliste, auf der auch Professor Salomon Korn stand. Professor Fuat Sezgin, der zusammen mit Korn und den beiden Kirchenmännern und Professoren Karl Lehmann und Peter Steinacker schon im Dezember 2008 sich als Preisträger geehrt fühlen durfte, zog sein Versprechen der Preisannahme aus pazifistischen Gewissensgründen zurück. Zu diesem Zeitpunkt konnte bei den Beteiligten und den interessierten Beobachtern der Eindruck sich herausbilden, dass die Begründung der Preisabsage durch den muslimischen Repräsentanten pazifistische Argumente nur zur Verschleierung einer nicht dialogbereiten, grundsätzlicheren Gegnerschaft vorschob. Deswegen hatte der Zentralrat der Juden in Deutschland den Verdacht geäußert, in Wahrheit ließe sich Sezgin von antisemitischen Motiven leiten. Aber dieser Verdacht wird später, Mitte Mai 2009, durch eine persönliche öffentliche Erklärung überzeugend ausgeräumt, als Sezgin seine Ablehnungsgründe „nicht immer ganz korrekt wiedergegeben“ sah und schädlichen Missverständnissen entgegenwirken wollte.
Es ist im Nachhinein also nachvollziehbar, dass Anfang März die Hessische Kulturpolitik noch einmal ernsthaftes Interesse bekundete, der emeritierte Professor für Geschichte der Naturwissenschaften und Verfasser bedeutender Werke des arabischen Schrifttums möge seine Entscheidung noch einmal „überdenken“. Er blieb bei seiner Entscheidung, nachdem er zwei Tage sein Gewissen ernsthaft geprüft hatte und sich vor allem auf seine Berufung und Verantwortung als Wissenschaftler besann. Wie sich zeigen sollte, war diese Akzentuierung des pazifistischen Bekenntnisses in Kombination mit der Verantwortung des Wissenschaftlers eine kluge Vorausschau, die eine unvorsichtig weit gehende Vermischung von Religion und Wissenschaft vermied.
Salomon Korn und die beiden anderen Preisträger haben in dieser Sache und zu diesem Zeitpunkt –soweit bekannt- kein Öl ins Feuer gegossen. Sie konnten nur davon ausgehen, dass ein offenes Gespräch unter den Preisträgern zur Bedeutung des interreligiösen Dialogs von der Landesregierung nicht unbedingt angestrebt oder gar gewünscht wurde. Zumindest war dies im Rahmen der öffentlich nachvollziehbaren Kommunikation nie ein Thema. Die Störung heftete sich somit vordergründig und unberechtigt an Sezgin, obwohl sie ja in Wirklichkeit auf kriegerische Gewalt und dann auch auf den unterschiedlichen Umgang mit dieser zurückzuführen war. Es ist festzuhalten, dass insoweit niemand der Beteiligten von sich aus den verborgenen Konflikt anheizte, sodass eventuell Probleme interreligiöser Diskussion zu Tage getreten wären.
Nun scheint jedoch, dass die Störung , wie auf einer Seelenwanderung, dann doch in dem Augenblick die eine Person, Fuat Sezgin, verlies, als die andere, Navid Kermani, den verbliebenen 3 Preisträgern hinzunominiert wurde (März 2009). Ob sie schließlich bei diesem landete, soll offen bleiben, denn ich erwähne die Störung nur, um auf die inszenierten, tieferen Kulturbrüche vorzubereiten, die im nächsten Akt der Preisverleihung erkennbar werden. Das Thema und die Geschichte von den Tücken eines Kulturpreises würde aus meiner Sicht nicht zu bearbeiten erforderlich, hätten sich nun alle still verhalten. Dann wäre im Sommer 2009 der hessischen Landespolitik unter Führung von Roland Koch auf öffentlicher Bühne ein zählbarer Erfolg zugerechnet worden – niemand hätte sich ernsthaft Gedanken machen müssen über die kulturrelevanten Tätigkeiten von Fuat Sezgin und besonders von dessen nachfolgenden ‚Ersatz’, Navid Kermani, Schriftsteller, Orientalist, Mitglied der deutschen Islamkonferenz. Aber irgendwie scheint mir heute selbst die Zufälligkeit, ob etwas erforderlich ist oder nicht, von ebenso vielen Zufällen in der Beurteilung der öffentlichen und geheimen Nachrichtenlage abhängig zu sein.
Tatsächlich tauchte Mitte Mai aber wie aus heiterem Himmel ein ‚Fiasko des Roland Koch’ in der Presse auf. Was war passiert? Um es direkt zu sagen, Koch hatte Kermani den verliehenen Preis wieder entzogen! Vor der notwendig ausführlicheren Antwort sollten noch zwei Gesichtspunkte knapp erwähnt werden, die bei der Berichterstattung und Beurteilung der Vorgänge um den hessischen Kulturpreis vorauszusetzen sind: 1. der Wert dieses Preises, 2.die Beschränkungen meiner Sicht der Dinge, wie sie mir von außen auferlegt sind.
Ein Kulturpreis, der für Verdienste im interreligiösen Dialog vom Staat verliehen wird, ist in erster Linie ein ‚gewolltes Friedenssignal’ und steht insoweit auch für vom Staat gewünschte friedliche Verständigungsbereitschaft ihrer irgendwie noch im traditionellen Sinne religiös inspirierten Bürger. Dass der unreligiöse bis antireligiöse Mensch und Bürger, der heute zur Mehrheit zählt, bei einer solchen Preisverleihung keine Berücksichtigung finden kann, liegt in der Natur der Sache und ist legitim. Aber die Mehrheit der mehr oder weniger deutlich von der überlieferten Religion Abgefallenen mag nur Zaungast sein, unbeteiligt ist sie nicht. Die friedliche Absicht des Staates kann auf dem Boden der Religionsfreiheit überprüft werden, auf dem ja gerade auch der Ungläubige heute wesentlich beschützter sich bewegen kann als in der Vergangenheit. Die Absicht, keine gewaltsamen Kämpfe, sondern friedlichen Dialog zu fördern, ist jedenfalls begrüßenswert. Wie bei so vielen guten politischen Projekten, fordert die Ernsthaftigkeit, mit der eine solche Absicht betrieben wird, einen Preis. Ein wesentlicher Teil dieses Preises ist der sorgfältige, verantwortungsvolle Umgang mit den ausgesuchten Preisträgern und der Idee der Preisvergabe selbst.
Das Dilemma meiner Sicht gründet sich auf die Tatsache, dass Methoden der Geheimdiplomatie mit öffentlicher Information und Bewertung verbunden und vermischt sind. Unter Führung des Hessischen Ministerpräsidenten hatte üblicherweise ein Kuratorium die genannten vier Persönlichkeiten als Preisträger nominiert, die als designiert gelten konnten, wenn sie den Preis annahmen. So war es auch bei Sezgin gewesen, der dann aus schwerwiegenden und ehrenhaften Gründen nach seiner Zusage ablehnte. Ein erster, leichter Riss bahnte sich an. Über den Vorgang zu Beginn des zweiten Akts der Preisverleihung wird zunächst nichts weiter bekannt als das Ergebnis der Arbeit des Kuratoriums, welches am 5. Juli 2009 auf offener Bühne vollzogen werden sollte. Eine Verschiebung von März auf Juli war vorausgegangen, hatte mit dem gesundheitlichen Zustand von Karl Lehmann zutun. Aus meiner Wahrnehmung können wir weder wissen , welche Erwägungen während der Klausur des Kuratoriums allgemein angestellt, noch wie sorgfältig Schriften, Reden, sonstige Dokumente der in die Auswahl gelangten Persönlichkeiten beurteilt wurden – oder gar, ob in diesem Prozess bereits eine Kontroverse stattgefunden hat, die für die geplante öffentliche Harmonieveranstaltung nichts Gutes hätte ahnen lassen müssen. Was hätte dagegen gesprochen, wenn Koch in seinem Gremium auch den Dalai Lama ins Spiel gebracht hätte? Wäre das Risiko von Turbulenzen zu groß gewesen, sind nur Preisträger mit deutschem Pass nach den Statuten möglich ? Wir wissen es nicht!
Kermani fällt in der Angelegenheit des Kulturpreises durch sein bewusstes öffentliches Wirken auf. Von ihm erfährt die Öffentlichkeit, dass ihm durch den Protokollchef der Landesregierung, Dieter Beine, eine entsprechende Mitteilung am 20. März 2009 zugegangen ist und er der Preisverleihung in der vorgesehenen Form zustimmte. Außerdem ist sein intensives publizistisches Engagement auch in Zeitschriften und Tagespresse bekannt. Von den übrigen Preisträgern dringen ausgewählte und bewertete Zitate in die Öffentlichkeit. Sie scheinen in einer Art geheimen Absprache mit Ministerpräsident Roland Koch auf eine Ausladung des muslimischen Vertreters hinauszulaufen, was tatsächlich auch unter unwürdigen Umständen durch Beschluss des Kuratoriums geschah. Kardinal Lehmann will das aber nicht ‚insinuiert’ haben, wie er später –im Mai 2009- verlauten lässt. Ex-Kirchenpräsident Steinacker wird, ähnlich wie Lehmann, bezüglich einer gemeinsamen Preisentgegennahme mit negativen Äußerungen zitiert, hat meiner Wahrnehmung nach die Ausladung Kermanis in keiner Form bedauert.


GEKREUZIGTER MESSIAS ALS POLITIKUM

Eine Rekonstruktion der turbulenten Vorgänge, die nicht zufällig ungenaues Wissen und Spekulation hervorrufen, könnte wie folgt aussehen: Die Preisträger hatten Zeit, sich mit den inhaltlichen und formalen Umständen der Preisverleihung vertraut zu machen. Und so ereignete sich offenbar der entscheidende Knacks im Kulturgetriebe, der anscheinend durch starke emotionale Bedenken religiöser Art ausgelöst aber nicht verursacht wurde. Lehmann und Steinacker entdeckten (unabhängig voneinander?) in der schriftstellerischen Tätigkeit des Orientalisten und Mitglieds der deutschen Islamkonferenz, Kermani, einen nicht erträglichen, d.h. nicht tolerierbaren Gedanken. Dem äußeren Anscheine nach drehte sich dieser um die sogenannte Kreuzestheologie, die im Zusammenhang mit der frohen österlichen Botschaft der Auferstehung des Jesus von Nazareth und der Erlösung der Menschheit von den Leiden der Welt zugleich auch dunkle und schmerzvolle Seiten menschlicher Existenz reflektiert.
An dieser Stelle sucht uns also der Teufel der Geheimhaltung und der gezielten Indiskretion heim, denn weder die genauen Argumente, die im interreligiösen Dialog eingebracht werden könnten, noch die genauen Worte, mit denen –soweit öffentlich bekannt- Lehmann und Steinacker auf die politischen Instanzen Einfluss nahmen, sind zuverlässig bekannt. Das ist der Grund für meine Spekulation hinsichtlich der kulturpolitischen Linie der (noch) nicht ausgeladenen Preisträger und der Landesregierung selbst.
Tatsächlich schreibt Kermani im März 2009 in der Neuen Züricher Zeitung ( NZZ), um sich von der jüdischen und islamischen ‚Höflichkeit’ in Sachen Kreuz zu unterscheiden: „Für mich formuliere ich die Ablehnung der Kreuzestheologie drastischer: Gotteslästerung und Idolatrie“. Das christliche Dogma ist damit einem schwerwiegenden Verdacht ausgesetzt, dem theologischen Wahrheitsanspruch nicht gerecht zu werden und mit einem Trugbild Gottes zu operieren. Kermani greift eine Ahnung der Autoren der Bibel auf – Paulus wusste als Briefschreiber an seine Anhänger, dass seine religiöse Konzeption des gekreuzigten Messias „den Griechen eine Torheit und den Juden ein Ärgernis“ war- , ohne den betenden Christen einen Vorwurf machen zu wollen, was er auch ausdrücklich in Respekt vor Andersgläubigen in der NZZ betont. Es geht ihm also allein um die Fragwürdigkeit des Dogmas und die drastische Formulierung eines Verdachts, den er diesem Dogma gegenüber hegt. Aber er formuliert nicht einfach einen erdachten Verdacht gegen ein religiöses Dogma. Er illustriert mit einfachen Worten, welche Gedanken und Gefühle in demjenigen aufkommen können, der die ästhetische Verarbeitung eines künstlerischen Produkts im Begriffe ist zu realisieren.
Kermani analysiert genau in diesem Sinne die ‚Kreuzigung’ von Guido Reni (1575-1642). Als er in der Kirche San Lorenzo in Lucina vor dem Altarbild saß, so erinnert er sich im Nachhinein an seine Empfindungen, „fand (ich) den Anblick so berückend, so voller Segen, dass ich am liebsten nicht mehr aufgestanden wäre. Erstmals dachte ich: Ich –nicht nur: man-, ich könnte an ein Kreuz glauben“. Es erging ihm wohl so ähnlich wie einem ästhetisch sensiblen Menschen, den Wohlbefinden durchdringt, wenn er den wundervollen Klang gregorianischer Chöre in sich aufnimmt. Aber der ästhetisch geschulte Schriftsteller beendet seine Betrachtung nicht in euphorischer Schwärmerei für das Kreuz, sondern zwiespältig. Er stellt zum Gekreuzigten fest: „Sein Blick ist der letzte vor der Wiederauferstehung, auf die er nicht zu hoffen scheint“. Der elegante Stil des Künstlers, der sich in glatten und ästhetisierenden Formen des Altarbildes ausdrückt, hat zur Überraschung des heutigen Betrachters bei ihm den wohltuenden Eindruck hervorgerufen, dass Folter und Schmerz bei der Verehrung des Kreuzes sich nicht unbedingt als unangemessene Verdrängung oder gar Rechtfertigungsideologie bemerkbar machen muss. Seine Betrachtung trägt die Überschrift: „Warum hast Du uns verlassen?“ Auch diese Frage, an biblischen Texten orientiert, macht die undogmatische, skeptische Intention des Schriftstellers deutlich. Diese interessiert sich für das religiöse Geheimnis, wie der gefolterte und verspottete Messias in seiner Erniedrigung mit der göttlichen Mission umgeht. Wenn Kermani zur christlichen Idee der Wiederauferstehung schreibt, dass der Messias, dem dies gelungen sein soll, selbst auf ein solches Wunder ‚nicht zu hoffen scheint’, mildert er seine anfänglich drastische Formulierung ab, ohne ihren Kern aufzugeben. Kermani verharrt am Berührungspunkt der religiösen mit der materiellen Welt, ohne zu sehen, dass Gefühle der Verlassenheit und Hoffnungslosigkeit in uns allen aufkommen, wenn wir vom irdischen Leidensdruck überwältigt werden.
Dass die Verwalter des christlichen Erbes in ihrer religiösen Identität sich angegriffen fühlten, ist verständlich und hat im ersten Moment mit Intoleranz noch wenig zu tun. Es steht uns an ihren religiösen Empfindungen keine Kritik zu. Selbst wenn sie versichern würden, dass ihnen Zweifel an den christlichen Glaubensgrundlagen völlig fremd sind, wäre eine auf unglaubwürdige Theologie und Glaubenspraxis zielende Kritik nicht unbedingt zweckmäßig. Allerdings könnten solche Zweifel, wo sie eingestanden werden, objektiv einen Berührungspunkt für interreligiösen Dialog erzeugen. Da logische Begründung, wie Paulus wusste, in keinem Fall das altertümliche Folterinstrument zwingend zum Symbol des Glaubens macht, befinden wir uns beim christlichen Kreuz auf ureigenem religiösen Terrain. Hier hängt es nun ganz von der Betrachtung und Akzentuierung der einzelnen religiösen Gegenstände ab, ob man das Kreuz in den Mittelpunkt stellt, ihm ein kleineres Gewicht unter anderen Gewichten zuerkennt oder ganz auf es verzichtet. Das alles ist Glaubenssache und unterliegt somit der Freiheit und ihren wohl verstandenen Begrenzungen, um die in der Gesellschaft gerungen wird. Nebenbei sei daran erinnert, dass das Kreuz in verschiedenen Versionen und Formen fürchterlich missbraucht wurde. Und doch nützt gegen den Missbrauch weder die Errichtung von Tabus noch das direkte Verbot mit Strafandrohung.
Interessanter bezüglich des religiös aufgeladenen Kulturkonflikts ist jedoch folgende Überlegung. Die zentrale Idee der christlichen Lehre erscheint uns auch heute noch als einigermaßen kreativ und genial: Jesus von Nazareth ist in ihrer Sicht wahrer Mensch und wahrer Gott. Vergängliches und ewiges Leben durchdringen sich danach zu einer unzertrennlichen, dreifaltigen Einheit von Vater, Sohn und heiligem Geist, die den besten, denkbaren Schutz vor ‚falscher’ Gottesverehrung bildet. Diese Konstruktion bewährt sich in einem doppelten Vorteil: Alles ist durch inneres Erlebnis (des Glaubens) ausnahmslos jedem Menschen zugänglich , wenn er sich nicht durch strikte Betätigung der Vernunft dagegen sperrt, und begründet ein Bewusstsein der -illusionären- Überlegenheit und Aufgeklärtheit. Schutz vor religiöser Regression, dem Rückfall in Polytheismus, Naturreligion, Götzendienst erscheint dem Christentum und seinen überzeugten und bewussten Anhängern mit der Dreifaltigkeitslehre als im höchsten Maße sicher. Dazu trägt das enorme Rationalisierungs-potential der göttlichen Identität in der Form des Vater/Sohnverhältnisses bei. Dass neben diesen religiösen Kernbestand heute tatsächlich eine Vielzahl von Ersatzreligionen mit größerer Anziehungskraft getreten ist, hat identifizierbare politische Ursachen, ändert an dieser inhaltlichen Sicht und der Bezugsebene der Dialogfähigkeit/Unfähigkeit monotheistischer Religionen wenig.
Die monotheistische Religion, die sich ja zunächst auf die schwersten Vergehen gegen den Vater gründet, steht im Laufe der Zeit vor der ernsten Gefahr regressiver Verehrungsformen und gefährdet damit auch die menschliche Gesellschaft in ihrem kulturellen Bestand. Auf diesem Boden waren ja in religiöser Opposition zum jüdischen Glauben –und auf dessen Grundlage- die ersten kleinen christlichen Gemeinden vor 2000 Jahren entstanden. Es entlastet die Gesellschaft durch rigorose Abschaffung unsäglicher Opfer und auch psychisch die starken männlichen Nachfolger, wenn ihr Glaube nicht mehr auf einen einzigen, sterilen, fernen Gott Vater ausgerichtet werden muss. Dieser einzige Gott hatte nach der Lesart der jungen jüdischen Reformbewegung sich entschlossen, selbst Mensch zu werden, als Sohn schwerste Leiden auf sich zu nehmen - um der Erlösung der Menschheit willen. Damit wird den tyrannischen Gefahren Rechnung getragen, die von der Monopolstellung eines einzigen Gott Vater ausgeht. Die Menschensöhne dürfen sich durch Gottes Offenbarungsbeschluss von schwerer Last befreit fühlen. Dass Gott danach auch im Mitmenschen sein kann, dass er in uns allen selbst existiere, ist eine Vorstellung, die vermutlich den wirklichen Verhältnissen recht nahe kommt. Vom Ansatz her ist die christliche Religion ein Rationalitätsfortschritt, weil sie effizienter einsetzbare Mittel in die Hand gibt, den Schuldkomplex umfassend abzuklären. Es ist offensichtlich, dass die beiden anderen abrahamischen, überlieferten monotheistischen Religionen das Problem der Schuld entsprechend ihren historischen Entstehungsbedingungen als Offenbarungsreligion auf andere Weise aufgreifen und lösen. Auch die unmittelbare Intention des Jesus von Nazareth, die eher rückwärts, auf Buße und Rekonstruktion originärer Gläubigkeit gerichtet war, ändert an der nachträglichen Interpretation seiner Anhänger und deren Verkündigungswirkung wenig. Die Forschung kann solche Widersprüche zwischen Original und dogmengeschichtlicher Entwicklung enthüllen.
Dass die christlichen Ideen einen weitreichenden Einfluss auf das bürgerliche politische Konzept der Gewaltenteilung ausgeübt haben, erscheint mir ein ziemlich überzeugender, wenn auch nicht einfach nachzuvollziehender Gedanke zu sein.
Und nun kommt ein westlicher Orientalist (der deutsche Iraner, iranische Deutsche) und äußert öffentlich den massiven Verdacht, dass die christliche Lehre ihren eigenen Anspruch nicht ernst nimmt und im Endeffekt simplen Götzendienst und damit Gotteslästerung betreibt. Da dies aus christlicher Sicht zunächst ein Schock durch Wahrnehmung ist, so macht die Kritik auf der Seite Kermanis nur insoweit Sinn, soweit sie die religiöse Ebene nicht mit einer radikalen, unversöhnlichen Verweigerungshaltung verlässt. Der Text Kermanis verkörpert Religionskritik, ohne die Religion in Bausch und Bogen zu verurteilen. Diese Position muss heute im interreligiösen Dialog als angemessen gelten.
Auch wenn Kermani seine ‚drastische’ Formulierung etwas mildern würde, so wäre es kaum sinnvoll, beispielsweise von einer ‚gut gemeinten’ Gotteslästerung zu sprechen. Im Kern flackert in den wenigen kritischen Worten in der NZZ ein fest in der Erde vermauerter Typ von Religionskritik auf, dem eher die ästhetische als die religiöse Ebene als Urteilsmaßstab gilt. Vor einer gemeinsamen, dialogfähigen Verständnisebene zwischen monotheistischen religiösen Lehren türmen sich beim ersten Hinschauen nur schwer überwindbare Hindernisse auf, solange die Verständigung unter der Prämisse der alleinigen Geltung spezieller ‚religiöser Wahrheiten’ intendiert ist und geführt wird. Außer über den Punkt des Glaubenszweifels oder durch bewusste Geltendmachung von Vernunftgeboten lässt sich ganz offensichtlich der Schock der christlichen, jüdischen, islamischen Dialogunfähigkeit nicht auflösen. Dies heißt zunächst, dass wir weder wissen, noch uns denken können, wie Lehmann und Steinacker, vielleicht auch Korn, Dialogfähigkeit unter Beweis stellen wollen. Aller Voraussicht nach müssen wir darauf noch einmal zurückkommen.
Es war ihnen ja zu leicht gelungen (vielleicht ohne es ernsthaft zu beabsichtigen?), Kermani vom versprochenen Ehrenplatz mit entsprechender Dotierung zu verdrängen, was jedoch allein die Hessische Landesregierung zu verantworten hat, denn es handelt sich um den von ihr gestifteten und vergebenen Preis. Sie hätte nach der Erfahrung des Rücktritts Sezgins jetzt nach dem angedrohten(?) Rücktritt der beiden christlichen Vertreter den interreligiösen Dialog als vorerst nicht führbar eingestehen und den diesjahrigen Preisverleihungsverzicht dem jüdischen und islamischen Vertreter offen und ehrlich begründen müssen. Das tat die Landesregierung nicht, weil der ‚Rücktritt’ der beiden Christen in Wahrheit eine von der Koch-Regierung konstruierte, repressive, inkompetente Maßnahme war – und/oder eine theologisch nicht legitime Erpressung und Aggression, der sich Koch nur andienerte. Stattdessen kann nun Jedermann beobachten, wie maßlose Arroganz und Oberflächlichkeit mit nervösen, hilflosen Erklärungen sich paaren, die nur einem einzigen Zwecke nützlich sind: Reinwaschung – keiner will Schuld auf sich sitzen lassen. Dies Motiv tendiert im privaten und erst recht im öffentlichen Leben zu einer zähen, nachhaltigen Vitalität – ein typisches Kulturphänomen .
Deswegen wird man feststellen dürfen, dass die Sache nicht gegessen war. Im eigenen Lager rumorte es sofort: ‚Missverständnis’ und es habe ‚den Falschen getroffen’. In der Öffentlichkeit wurde gemutmaßt, am Ende handle es sich wohl um einen “Preis für Intoleranz“ und gemäß der interessierten Ideologie vom „Krieg der Kulturen“ zeige der „Fall Koch/Lehmann“, dass „viele ihn gerne führen würden“. In dieser zweiten Phase des Eklats drohte der Kulturpreis vernichtend zu explodieren. Kermani selbst hat auf Anfrage in einem offenen Brief in der FAZ auf die Entscheidung des Hessischen Ministerpräsidenten , ihm den zuerkannten Preis wieder abzuerkennen, kurz und prägnant geantwortet: „Ob ich denn nicht wisse, dass mir der Hessische Kulturpreis aberkannt wurde? Nein, ich wusste es nicht.(…) Sehr geehrter Herr Koch, ich hoffe, dass Sie sich wenigstens schämen. Mit freundlichen Grüßen aus dem katholischen Köln, Navid Kermani.“

RETTUNG DES INTERRELIGIÖSEN DIALOGS -
DES HESSISCHEN KULTURPREISES ?

Wer sich diese frische urchristliche Hoffnung durch den Kopf gehen lässt, ahnt bestimmt, welch scharfes Schwert sie sein kann, dass sie subjektiv Roland Koch in schwere Bedrängnis bringt – letztlich stehen Anstand und Glaubwürdigkeit von Kulturpolitik zur Debatte. Was in wenigen Tagen gegen Koch, Lehmann und Steinacker vorgebracht wird, während Verteidigungsreden kaum zu vernehmen sind, spitzt sich in dieser Phase der rituellen Rechtfertigungsideologien auf das Motiv zu, den Preis womöglich retten zu müssen.
Aber wie ? Die GRÜNEN regen einen öffentlichen Dialog der Preisträger an, was bei der Lage der Dinge nur von völlig unsicheren Voraussetzungen her vorstellbar ist. Wollen die Preisträger überhaupt eine öffentliche Diskussion, die diesen Namen verdient? Verschärfend wurde vom Forum des ev. Kirchentages für Kermanis Verdienste um den christlich-islamischen Dialog Stellung bezogen. Die SPD forderte mit wenig Verständnis für die sensible , prekäre Kulturproblematik und vor allem gegen die allgemeine Tendenz und Stimmung der Rettung des Preises, die Preisverleihung in diesem Jahr ganz auszusetzen. Einzelne Stimmen der FDP ebenfalls. Aber die FDP ahnte auch den Schaden, den Koalitionspartner Roland Koch angerichtet hatte, und half im Hintergrund zurückzurudern. Plötzlich wird eine Verschiebung der Preisverleihung auf den Herbst des Jahres gemeldet – danach gab Koch an, Lehmann, Steinacker und Korn hätten den Vorschlag zum ‚ internen Gespräch’ mit Kermani gemacht. Die Preisträger sollten sich also „verständigen“. Während die CDU in der Öffentlichkeit nur noch kleinlaut sich zu Worte meldet, sprechen die Liberalen mit geschwellter Brust und einer Andeutung selbstkritischer Prüfung von ‚gewachsener Erkenntnis’ „auch dank der journalistischen Begleitung“, „den Anderen noch mal nachzulesen“, so Integrationsminister, Justizminister und stellv. Ministerpräsident Jörg-Uwe Hahn(FDP).
Man darf gespannt sein, was bei dieser ‚Nachlese’ herauskommen wird – es dürfte nicht viel zu tun haben mit dem, was die GRÜNEN durch einen öffentlichen Dialog der Preisträger erwarten wollten. Aber vielleicht darf auch hier das Wort gelten, demzufolge die Hoffnung zuletzt stirbt. Micha Brumlik hatte vorher schon eine passende Begründung zur Rettung des Staatspreises angemahnt. Dabei hatte er mit Blick auf den Preisentzug nach Gutsherrnart von einem „integrationspolitischen GAU erster Ordnung“ gesprochen. Um einen Dialog ‚auf Augenhöhe’ zu führen , dachte er, dass Korn, Lehmann und Steinacker die Annahme des Hessischen Kulturpreises verweigern könnten (Angeblich hatten sie dies ja für den Fall getan, dass sie, wie geplant, mit Kermani den Preis gemeinsam in Empfang nehmen). Nach der zunächst plausiblen Logik von Brumlik haben die zuständigen Instanzen (Ministerpräsident und Kuratorium) ausgespielt und können den Schaden nicht mehr beheben. „Es obliegt somit den verbliebenen Preisträgern, den Weg für einen Neuanfang freizumachen“. Eine offene Verweigerung des Preises jedoch von den 3 verbliebenen Preisträgern aus Solidarität mit Kermani zu erwarten, aus deren Mitte der Eklat im voreiligen Einverständnis mit dem Ministerpräsidenten ausgelöst wurde, würde im Endeffekt zu diesem Zeitpunkt (Ende Mai 2009) ein zu schwerer Affront gegen Regierung und Staat sein. Diese hatten sich entsprechend ihrer politischen Identität eilig (und gern?) den geheim vorgebrachten ‚Argumenten’ angeschlossen. Dass somit ungewollt ein selbst entlarvender Offenbarungseid staatlich betriebener Kulturpolitik in Hessen plötzlich auf der Tagesordnung stand, scheint in der Logik der Ereignisse zu liegen, über die zu berichten ist, um sie nicht dem Vergessen preiszugeben. Und deshalb muss zu der gut gemeinten Rettungsidee Micha Brumliks festgehalten werden, dass sie leider die eingeübten Methoden politischer Machtverhältnisse außer Acht lässt. Das Possenspiel muss weitergehen.
Gehen wir an dieser Stelle einen Schritt zurück und lesen den ersten Satz einer kurzen Pressemeldung: „Der hessische Integrationsminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) hat sich erleichtert darüber gezeigt, dass die potenziellen Träger des Hessischen Kulturpreises nach ihrer öffentlichen Auseinandersetzung das Gespräch miteinander suchen.“(FR 22.05.09) Sollte sich Hahn substanziell so ausgedrückt haben, so würde das einen weiteren dunklen Schatten auf die Hessische Kulturpolitik werfen, der niemand auch nur ein Wort glauben dürfte. Eine öffentliche Erklärung des ahnungslosen Preisträgers Kermani gegen den Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch ist uns bekannt, weil der ihm aus einer tief verwurzelten ungerechten Haltung heraus den Preis scheinbar auf entsprechende Zuflüsterungen hin entzogen hat, und von dem der Schriftsteller hofft, dass er sich „wenigstens schämt“. Über eine öffentliche Auseinandersetzung zwischen den Preisträgern ist faktisch nichts bekannt. Es ist ja gerade die Öffentlichkeit, die eine üble Intrige an den Tag gebracht und eindeutig ergeben hat, dass es zwischen den Preisträgern überhaupt keine Auseinandersetzung gab und gibt.
Oder sind von Lehmann, Steinacker und Korn Worte bekannt geworden, die den Begriff der öffentlichen Auseinandersetzung mit einem designierten Mitpreisträger rechtfertigen könnten? Hatten wir uns versehen oder verhört, als wir von ihnen Worte der Selbstbezogenheit, Selbstgerechtigkeit oder einfach nichts vernahmen? Gibt es aus der Reihe dieser Persönlichkeiten mindestens eine, die mit Mut und aufrichtiger Empörung die bodenlose Ungerechtigkeit des einseitigen Preisentzugs verurteilt hat? Und auch die einfachste liberale Übung, den Preis für Kermani von Koch zurückzufordern und zugleich die Differenz des eigenen Standpunktes zum Standpunkt der ästhetischen Betrachtung des Schriftstellers zu verdeutlichen, ist bei diesem Possenspiel nirgends zu entdecken.
Die ‚öffentliche Auseinandersetzung’ der Preisträger ist in Wahrheit eine dreiste, kalkulierte Lüge, weil sie weder stattgefunden noch in irgendeiner Hinsicht vorgesehen war. Durch eine solche Formulierung, wo in der Pressemeldung eine ‚öffentliche Auseinandersetzung’ unwahr und manipulativ vorausgesetzt ist, soll nur von der eigenen, ideologisch bedingten Verantwortungslosigkeit abgelenkt werden. Eine alternative Bewertung müsste wohl auf naive, kindliche Unschuld der selbst ernannten Retter des Hessischen Kulturpreises sich gründen. Aber es steckt auch eine ernst zu nehmende Drohung hinter der Lüge: Wenn die Preisträger das Bemühen des Staates, das Heft wieder in die Hand zu bekommen, nicht freiwillig durch eine Gesprächsklausur honorieren und dabei den aufgebrochenen Konflikt nicht in der Lage sind auf einem angemessenen geistigen Niveau abzuhandeln, dann, so die Drohung, ist womöglich der kulturelle Friede, zentrales Ziel des Preises, in Gefahr. Darin darf allerdings auch ein Körnchen Wahrheit vermutet werden, das hoffentlich nicht aufkeimt. Vor einiger Zeit hat man für den hier geschilderten Vorgang den Begriff der repressiven Toleranz verwendet.
Der Staat könnte, um diesem kulturpolitischen Intrigenspiel mit noch unbekannten Folgen die Krone aufzusetzen, seinen Wissensvorsprung auch öffentlich verwenden. Er weiß, was Lehmann geschrieben, Steinacker vielleicht nur gesagt hat und ob Korns öffentliches Schweigen in Wirklichkeit präzise und beredt war. Auch Kermani könnte vielleicht die Dokumente aus Hessen, die ihm doch vorliegen dürften, bei Gelegenheit öffentlich, die politische Opposition sich bei der Aufklärung aller Fakten um die irritierende Vergabe des Hessischen Kulturpreises verdient machen.
Zunächst kann jedoch eine vordergründige ‚Erleichterung’ des Hessischen Integrationsministers, Justizministers und stellvertretenden Ministerpräsidenten vermeldet werden, weil sich die vier designierten, nicht ‚potenziellen’, Preisträger bereit fanden, das „Gespräch zu suchen“. Achten wir auf die Anzeichen, die aus den modernen Gemäuern nach außen dringen. Die Kultur steckt so tief im Schlamm, hat als feines, raues, ambivalentes Gebilde Angriffe hinnehmen müssen und vielleicht Verletzungen erlitten, dass Schlimmstes zu befürchten ist – und sei es eine endgültige Absage der Preisverleihung mit einer manipulierten Begründung. Der Hessische Staat hätte für diesen Fall zu seiner Schande 45000 Euro gespart.
Markus Spillmann, Chefredakteur der NZZ, führt uns in seinem Einspruch vom Dienstag den 19. Mai 09 zwei Kernpunkte des beobachteten Kulturcrashs unter Führung und Verantwortung der christlich-liberalen Koalitionsregierung in Hessen vor Augen: „Navid Kermani hat in dem fraglichen Text in dieser Zeitung ein seltenes Beispiel für die schonungslose Auseinandersetzung mit eigenen vorgefassten Meinungen und Vorurteilen gegeben. Wie, wenn denn nicht auch so, soll das Gespräch zwischen den Kulturen und den Religionen über den unverbindlichen Austausch von Höflichkeiten hinaus zu einem ernsthaften und ernstzunehmenden Dialog fortschreiten?
Der am Montag von den zuständigen Instanzen gefasste Beschluss, die Preisverleihung bis in den Herbst auszusetzen und inzwischen die drei Preisträger sowie Navid Kermani zu Gesprächen an einen Tisch zu bitten, ändert nichts an der Irritation, die durch die Aberkennung des Preises entstanden ist.“
Diese diplomatische Version des Züricher Chefredakteurs erinnert an eine wichtige Errungenschaft der kulturellen Evolution: Die Fähigkeiten der Selbstkritik und Selbstreflexion auszubilden als eine der Bedingungen für fruchtbaren Dialog. Kermani hat für seinen Teil diese Fähigkeiten nachgewiesen, aber Roland Koch erkannte ihm unbeherrscht, hinterrücks den zuerkannten Preis wieder ab. Bei dem jetzt gewählten Verfahren , - zu retten, was noch zu retten ist- entsteht für den Hessischen Ministerpräsidenten und die drei verbliebenen Preisträger nunmehr eine prekäre Zwangssituation, die vorher nicht bestand. Sie müssen plausibel machen, glaubhaft versichern, dass schwerwiegende Fehler bei der Vergabe des Kulturpreises in ihre Verantwortung fallen, die gute Absicht des Preises selbst demgegenüber nur durch schonungslose Offenheit untermauert werden kann, welche allein in der Lage ist, den vermeintlich unliebsamen Konkurrenten wieder ins Boot zu holen. Eine manipulative Augenauswischerei hilft nicht mehr. Es wird von der Lösung dieses prekären Problems abhängen, auf welche Weise sich der dritte Akt der hessischen Kulturpreis-Tragikkomödie unserem geistigen Auge darbieten wird.
Immerhin scheint Jörg-Uwe Hahn im Wiesbadener Parlament am 18. Juni sich vom Koalitionspartner zu distanzieren: „Ich halte es für nicht klug, dass das Kuratorium diese Entscheidung getroffen hat“ –Kermani den zuerkannten Preis wieder wegzunehmen! Begründung: Die ‚Debatte’ habe der „Integration in unserem Lande geschadet“. Diese verschämt daherkommende Distanzierung von Koch ist eine Täuschung der Öffentlichkeit. Hahn bewegt sich, wie Koch, auf der Ebene eines taktisch operierenden konservativen Populismus – die Differenz zwischen den eng Befreundeten ist gegenwärtig bedeutungslos. Koch hält es für richtig und effizient , sich auf die mehrheitsfähigen Vorurteile gegen den Islam zu stützen, Hahn ahnt als Integrationsminister, dass ihm eine Häufung schwerer Fehler der unsensiblen Kulturpolitik des Ministerpräsidenten, die er im allgemeinen befürwortet, Legitimationsprobleme bereiten wird – das ist aus seiner Sicht natürlich ‚nicht klug’. Aber es ist dennoch unvermeidlich. Und was die Möglichkeit einer Kulturpolitik mit liberaler Handschrift angeht, so hat die neue Schulministerin Dorothea Henzler (FDP) bereits öffentlich ihre schwache Position in dieser Landesregierung eingestehen müssen, als ihre forsche Absicht eines legalisierten Schulbesuchs ‚illegaler Kinder’ (!) von ihrem Parteichef Hahn und der CDU zunächst ausgebremst und auf die lange Bank geschoben wurde.
Was die öffentliche Debatte um die Fehlleistungen der Landesregierung angeht, so muss diese Debatte unbedingt als hilfreich für eine Integrationspolitik mit Augenmaß angesehen werden. Und welche Einschätzung trägt der Hessische Integrationsminister im Parlament vor? Eben diese Debatte habe der „Integration in unserem Lande geschadet“. Da ist eine ähnliche Verdrehung wie im Falle der angeblich „öffentlichen Auseinandersetzung“ zwischen den Preisträgern zu erkennen, die in Wirklichkeit eine kritische Auseinandersetzung mit schädlichen Entscheidungen der Landesregierung ist, der Jörg-Uwe Hahn als Vize-Chef angehört.
Der Justiz- und Integrationsminister der Hessischen Landesregierung hat im Verlauf weniger Wochen seines Regierens als Liberaler ein erstaunliches Problem mit der Kategorie der Öffentlichkeit. Neben den Oppositionsparteien im Landtag beklagen sich Kirchen, Wohfahrtsverbände und Flüchtlingsorganisationen über eine noch mal verschärfte Abschiebepolitik, die keinerlei tatsächliche Mitsprache mehr zulässt, welche humanitäre und menschenrechtliche Hemmungen gegen allzuleichtes Abschieben zur Geltung bringen könnte. Hier hat sich die FDP dem ‚Law and Order’ Denken der hessischen CDU sehr schnell und aus innerer Überzeugung angeschlossen. Auch stellt aus der Sicht von Hahn eine strafrechtlich ermittelnde Staatsanwaltschaft, die z.B. nach Kräften eine HIV-positive Person in verhängnisvoller Weise der öffentlichen Vorverurteilung zuführt, kein ernstes Problem dar. Nicht nur, dass in diesem Fall die Sängerin Nadja Benaissa die Leidtragende ist, an der aufgrund jener Vorverurteilung später immer etwas hängen bleiben wird, sondern auch die schädlichen Folgen für die weltweiten Bemühungen zur Eindämmung von Aids sollten im Wahrnehmungshorizont eines Justizministers prinzipiell vorkommen. Auch das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung bedarf angemessener Aufklärung, kann auf den Polizeiknüppel, öffentlichkeitssüchtige Staatsanwaltschaften, selbstgerechte Richter leicht verzichten. Ist Hahn überhaupt klar, dass seine prinzipiell richtige Bemerkung zur Unabhängigkeit der Justiz im konkreten Fall unpassend und schädlich war, da seine kalkuliert passive politische Haltung eine aktive Torpedierung schützenswerter Rechtsgüter bewirkte? Andererseits fällt jedem aufmerksamen Beobachter die zielstrebige und rührige Art des Justizministers auf, wenn es um den Einsatz von Rechtsinstrumenten geht, die den Schutz korruptions-verdächtiger Raffgier und Bereicherung in unserer Gesellschaft bewirken können (‚Steuerfahnder-Affäre’ und die ‚Affäre’ der Wolskis unter Einschluss einer der höchsten Richterinnen des Landes).
Mein vielleicht etwas voreiliger Verdacht, ein ernstes Motiv zur Rettung des Hessischen Kulturpreises bestehe bei den Verantwortlichen gar nicht, ist an die Voraussetzung geknüpft, dass die politische Klasse unter permanentem Handlungsdruck an den komplexen Kooperationsverhältnissen zwischen den Kulturen wie auch innerhalb eines kulturellen Organismus nur ein oberflächliches Interesse aufbieten kann. Ist diese Überzeugung einigermaßen stimmig, so können die von den Liberalen (scheinheilig?) angemahnten Rettungsmaßnahmen den Makel des Kulturbanausentums nicht verdecken., welche konkrete Lösung für den Hessischen Kulturpreis des Jahres 2009 auch immer gefunden wird. Versprochen ist die Verleihung für den Herbst, offen, ob man Kermani wieder ins Boot bekommt, ungewiss, wie die Dialogfähigkeit der Preisträger und vor allem der Regierung unter Führung von Roland Koch nachgewiesen wird. Das Ganze kann auch in einem dunklen, nicht nachvollziehbaren Mysterium enden, dem man schließlich das Etikett der Vernunft anheftet – bei soviel Unvernunft!

Kardinal Lehmann spricht in einem Zeitungsinterview (FR 26.08.2009) das zentrale Problem der Dialogfähigkeit im Zusammenhang mit aktuellen politischen und kirchlichen Fragen an. Ob die Bundeskanzlerin Angela Merkel z.B. zu wenig kirchliche Anliegen (Bioethik etc) unterstütze ? „… Ich bin für ein nüchternes Verhältnis zwischen Kirche und Politik. Ich mag es auch nicht, wenn Politiker sich den Kirchen andienen“. Diese kritische Anspielung wird später konkretisiert, als der Interviewer fragt: „ Herr Kardinal, nach dem Streit um den muslimischen Schriftsteller Navid Kermani im Frühjahr wurde die Verleihung des Hessischen Kulturpreises 2009 ausgesetzt. Wer bekommt ihn denn nun?“
„Da müssen Sie den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch als Vorsitzenden des Kuratoriums fragen. Ich für meine Person möchte die Debatte um Navid Kermani nicht wieder aufleben lassen.“ Frage von Joachim Frank: „Sie hatten sich an seinem Text über das Kreuz gestoßen und eine gemeinsame Verleihung des Preises infrage gestellt. Haben Sie in selbstkritischer Rückschau alles richtig gemacht?“ Antwort von Karl Lehmann: „Ich war überrascht, mit wie viel Ignoranz über die Sache selbst –also über die Verleihung des Preises an Vertreter mehrerer Religionen-, aber auch über mich geredet wurde. Ich stehe seit Jahrzehnten in der Öffentlichkeit, sodass an meiner positiven Haltung zum interreligiösen Dialog eigentlich kein Zweifel möglich sein sollte. Und dann behaupten dieselben Leute, die mir gerade den Preis verliehen haben, wenige Wochen später, ich könne ja nicht einmal richtig lesen. Also, das hat mir schon die Sprache verschlagen Ich habe übrigens nie gefordert, Navid Kermani den Preis abzuerkennen. Aber noch einmal: Das jetzt alles noch einmal nachzukarten, dafür ist mir meine Zeit zu schade.“ Frank insistierend: „Sie wollten sich doch mit Kermani treffen.“ Antwort Lehmann: „Ja, aber zu einem persönlichen Gespräch. Ganz ohne Sie und ihre Kollegen“. Der Interviewer kann immer noch nicht vom Kreuze lassen:
„Schade. es würde mich schon interessieren, wie sie das Problem beheben wollen, dass Kermani sich auf –aus Ihrer Sicht- despektierliche Weise über das Kreuz geäußert hat. Dieser Text, mit dem Sie in keiner Weise in Zusammenhang gebracht werden wollten, kann ja nicht einfach gelöscht werden.“ Nüchterne Antwort des Kardinals: „Da mache ich mir weniger Sorgen als Sie. Ich glaube, durch ein sachliches, ruhiges, nachdenkliches Gespräch kommt man immer weiter. Ich habe Kermani schon mehrfach getroffen und inzwischen auch mit seiner Familie korrespondiert. Ich bin sicher, wir kommen miteinander zurecht. Öffentlich habe ich parallel zu der ganzen Diskussion meine Stiftungsprofessur ‚Weltreligionen’ wahrgenommen. Das Ergebnis wird zur Buchmesse publiziert. Darin spätestens wird jeder lesen können, wo ich stehe.“ Der katholische Theologe umreißt seine Position abschließend: „Das interreligiöse Gespräch ist unerlässlich. Aber man darf es nicht mit dieser Ignoranz für den eigenen Wert jeder Religion führen, nicht mit dieser pseudo-liberalen säkularen Gleichgültigkeit, die unter dem Deckmantel von Toleranz und Religionsfreiheit den ganz eigenen Charakter von Religion nicht ernst nimmt“.
Was den anderen Kirchenmann angeht, Professor Steinacker, so möchte ich ihm gerne –ganz unabhängig von der Wortwahl des Kardinals- folgende Formulierung in den Mund legen: „Die Ausgrenzung Navid Kermanis stammte nicht von mir!“ Die Position von Professor Kor n wurde erkennbar in einem nicht unbedeutenden Zusammenhang dieses Kulturpreises , - als er Anfang 2009 sein Verständnis kriegerischer Gewalt Israels verteidigte und Fuat Sezgin bezüglich des gleichen Sachverhaltes antisemitischer Motive bezichtigte. Inwieweit er dann in Bezug auf den Schriftsteller Kermani möglicherweise politische Bedenken anmeldete, ist eine Frage, die zwar nicht aus der Luft gegriffen ist, aber dennoch meiner Auffassung nach nicht durch wilde Spekulation beschädigt werden, sondern der Wahrheitsliebe der Regierung Koch/Hahn überlassen bleiben sollte.
Was den Inhalt des Lehmann-Interviews betrifft, so fällt an dessen „nüchternen“
Verhältnis zur Politik zuerst seine emotional - aggressive Kritik an Politikern auf, denen er „Ignoranz“ und „pseudo-liberale säkulare Gleichgültigkeit“ vorwirft, die Toleranz und Religionsfreiheit als „Deckmantel“ benutzen und die Religion imgrunde missachten. Die Anspielung auf Hahns unsägliche Pressemitteilung, -wo vom ‚nachlesen’ die Rede war, um nicht vom Nachsitzen zu sprechen -, drückt den erbitterten Ärger des sich geschuriegelt Fühlenden aus. Und dann erfolgt seine trotzige Feststellung, die für Koch und Hahn eine kräftige Ohrfeige ist: „Ich habe übrigens nie gefordert, Navid Kermani den Preis abzuerkennen“. Wahrlich, so unklug war der Kardinal nicht! Denn er verstand es im Interview, mit der Zunge der Jovialität die religionskritische Haltung Kermanis klein zu reden („Ich bin sicher, wir kommen miteinander zurecht“), welche durch den Text in der Neuen Züricher Zeitung im Frühjahr die fleißige Zunge der empörten Glaubensfestigkeit zum Sprechen brachte. Es handelt sich nicht, wie so manche Seele voreilig vermutet, um Doppelzüngigkeit, sondern um zweckmäßige Verhaltensmuster, die je ihren eigenen Wert entfalten. Was soll man von einem Kardinal , Kirchenpräsidenten, Pfarrer halten, der sich nicht öffentlich empört, wenn massive Zweifel an seinen Glaubensgrundlagen angemeldet werden? Wenn nun aber der Kardinal sich „weniger Sorgen“ um das Kreuz macht als sein Interviewpartner, weil eben die Zeiten der Inquisition vorbei sind und heute das „sachliche, ruhige, nachdenkliche Gespräch“ angebracht ist, wer muss da noch herumkritisieren? Im ersten Fall ist die Toleranz in Form des Zugeständnisses gefordert, was den Kritiker kaum einen Verlust an Klarsicht kostet. Im zweiten Fall kann man ohne Bedenken zustimmen.
Zusammenfassend: Die Koch/Hahn-Regierung ist mit ihrer kulturpolitischen Linie der ungerechten Ausgrenzung erkennbar gescheitert, denn die im ersten Augenblick durch einen Zeitungsartikel in ihren Glaubensfesten Verunsicherten haben sich auf einen wesentlichen Wert des Kulturlebens besonnen, - Solidarität. So geht einige Tage nach dem Interview des Mainzer Kardinals die Meldung durch die Medien , dass während eines 2-stündigen Gesprächs „alle Aspekte der Kontroverse“ besprochen wurden und die verbliebenen Preisträger darauf sich geeinigt haben, dass auch „der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani den Hessischen Kulturpreis erhält“. (FR 29.08.2009) Abgesehen davon, dass jetzt noch die Stellungnahme der hessischen Landesregierung nachzutragen wäre, kann im Sinne der eingangs angestellten Überlegungen zu diesem Bericht ein „später Sieg der Vernunft“ mit deutlicher Tendenz zur Verdunkelung der tatsächlichen Handlungskontexte festgehalten werden.
 
Bericht zur Kulturpolitik eines deutschen Bundeslandes (I)

Die Künste und Wissenschaften verfehlen ihren Zweck, wenn sie sich mit religiösen Anschauungen zu sehr vermischen. Je freier sie ihr Wirken gestalten können, je produktiver ihre Aktivitäten sind, umso deutlicher kann ihr wirklicher Nutzen für die Gesellschaft ausfallen. Sowohl die Freiheit als auch die Meidung eines zu engen Kontaktes der Künste und Wissenschaften mit religiöser Dogmatik stellen wünschenswerte Gründe und Ziele gesellschaftlichen Handelns dar, die andauernd kritisch zu überprüfen sind; die beiden Handlungsmaximen haben keinen absoluten Wert, welcher erzwungen oder gar gewaltsam durchgesetzt werden könnte. Eigentümlich dabei ist, dass jedenfalls die Freiheit im Notfall gewaltsam gegen Aggression und Usurpation verteidigt, nicht jedoch Ergebnis gezielter Aggression und Machtusurpation sein kann. Die Politik ist von Jeher Interessen bedingt mit der Religion verwoben, wobei die kulturevolutionäre Problematik mit den Bedingungen sich befasst, unter denen für beide eine deutlichere Autonomie und Freiheit möglich und angebracht ist.

Religion in der Kultur
Der Nutzen der Religion jedoch spielt sich auf einer anderen Ebene ab. Ihre Aufgabe ist es, den Lebenden Trost zu spenden angesichts der Opfer, die sie Gott darbringen, und sie in die Lage zu versetzen, mit den Mühsalen und Gefahren des Lebens auf würdevolle Weise umzugehen. Es liegt daher in der Natur der Sache, dass der religiöse Mensch eine starke emotionale Identitätsbildung bezüglich 'seiner' Religion durchlebt. Der allmächtige, allwissende Gott erscheint ihm als ein Wesen, das außerhalb seiner kontrollierbaren Wahrnehmung existiert und dem die Menschheit alles verdankt. Auf diesem übersinnlichen Verhältnis des Menschen zu Gott erheben sich die speziellen Lehren aller Religionen, zwischen denen eine auf Verständigung gerichtete Kommunikation jedoch nur möglich ist, wenn sie sich auf einen Minimalkonsens innerer Wahrnehmung verständigen oder auf gewisse Kommunikationstechniken der menschlichen Vernunft zurückgreifen können. Allgemeine Not und Bedürftigkeit, aus der Religion im Sinne einer auf Verzicht gegründeten Kulturaktivität geboren wird, erlaubt rationalen Diskurs nur auf einem bescheidenen Niveau. Ich spreche hier nicht davon, wie der Einzelne zur Religion gelangt, welche Gefühle und welches Denken religiöser Art sich bei ihm geltend machen ( z.B.Dankbarkeit für erfahrene Tröstung), sondern von der objektiven Grundlage aller Religion, deren illusionäre Gestalt subjektiv im Glauben verarbeitet und damit zu einer objektiven Größe im Kulturleben werden kann.
Wir wissen inzwischen einigermaßen zuverlässig, dass die Bindungskraft der überlieferten, besonders der christlichen und jüdischen Religion, in den technisch hochentwickelten Ländern nicht mehr die herausragende Stellung einnimmt, die sie lange Zeit hatte. Im Falle der islamischen Religion drückt sich der gleiche geschichtliche Vorgang in komplexen, widersprüchlichen Erscheinungsformen aus. Die stärksten Verluste religiöser Kraft treten durch blindwütige, politisierte Aggression religiöser Dogmen auf (Terrorismus, gewaltsame Verwirklichung von Glaubensgrundsätzen). Zur Entwicklungsperspektive dieser Problematik gehört auch, dass der irrationale Streit und die willkürlich monopolistischen Wahrheits-ansprüche für sehr lange Zeit auf der Agenda der Religionen standen und sich bei Bedarf mit rationalen Elementen der Lebenserfahrung mischten – bis es der Menschheit im Ansatz gelang, ihre allgemeinen Lebensbedingungen tendenziell rational zu gestalten. Nun gerieten auch die religiösen Dogmen unter Reformdruck, es wurde unabweislich, Elemente des rationalen Diskurses auch in die religiöse Lebensgestaltung allmählich zu übernehmen. Soweit das in unserem Zusammenhang zuverlässig zu bestimmen ist, könnte unter den Weltreligionen der Buddhismus hier wegen seiner toleranten Grundhaltung eine gesonderte Rolle spielen.
Wesentliche Entwicklungen der ‚Neuzeit’ haben uns gezeigt, wie andererseits Geist und Gestalt der menschlichen Vernunft sich mit speziellen Elementen religiöser Lehren zu einer starken gesellschaftlichen Kraft und Motivation verbinden können, wenn grundlegende Reformen sich als Notwendigkeit ankündigen. Auf welche Weise dies geschah, darüber können einige Arbeiten von Max Weber recht anschaulich Auskunft geben. Insoweit die Verbindung zwischen Vernunft und religiösen Gehalten als ein positiver Entwicklungszug interpretiert wird, obwohl dies nur in einem bescheidenen Sinne möglich sein dürfte, lassen sich zwei nebeneinander auftretende Resultate bzw. Prozesse erkennen:
1. Verselbständigung religiös inspirierter, rationalisierbarer Denk- und Verhaltensmodelle, deren ursprüngliche Kraftquelle immer schwächer und kaum noch bewusst wird (Verweltlichung).
2. Als originär und angemessen geltende Wahrnehmung und Interpretation der Welt, die ohne und gegen traditionelle theologische Deutung bestehen muss - auch Theologie verwissenschaftlicht bis zu einem gewissen Grade, behält aber eigenen Charakter.
(Verwissenschaftlichung)


Beide Resultate weisen auf die Schwierigkeiten der Religion und ihrer Sachwalter in der heutigen Welt hin, ihr Erbe, den kulturellen Wandlungen entsprechend, zu verwalten. Nüchternheit, realistisches Kalkül und ihre reiche historische Erfahrung und Offenheit, Hoffnung zu wecken und zu fördern, stehen ebenfalls in einem kleineren Kapitel des Stammbuchs der Religionen. Sie sind heute dringend gefordert. Denn die Tatsache der katastrophalen Aufteilung der Gesellschaft in reich und arm ist eindeutig machtpolitisch manipuliert, ebenso das Aufhetzen zu bornierten interessensbedingten kriegerischen Abenteuern – nicht selten im Namen eines bornierten Kulturverständnisses. Auch die vielen Millionen, die unverschuldet aus Arbeitsverhältnissen entfernt oder ferngehalten werden, ohne adäquaten Ersatz finden zu können, müssen sich keine Schuldvorwürfe machen, sondern bestrebt sein, ebenfalls einen klaren Kopf zu behalten und selbst nüchtern kalkulierbare Hoffnungen zu kultivieren - eine vom Anspruch her enorme Kulturleistung.
Ähnlich verhält es sich mit den äußerst deformierten Gerechtigkeitsverhältnissen, die angeblich auf Leistung beruhen oder auf je spezifische Handlungen zurückführbar seien. Leider glauben noch zu Viele solch infantilen Unsinn. Auch hier wäre die Hoffnungslosigkeit kein guter Ratgeber. Denn seit Jahrzehnten lässt sich eine starke politische Tendenz zu manipulativen Bestrebungen beobachten, - zynisch auf repressive Ersatzbefriedigung ausgerichtet-, die hilf- und ratlose Menschen für ihre spezifischen, beschränkten Zwecke zu instrumentalisieren versuchen. Aber nicht nur diese populistische Tendenz eines fundamentalistisch-konservativen Motivs zeigt ihr Gesicht, sondern auch frische, undogmatische Strömungen (teils religiöser Art), welche die naturnotwendige Reformbereitschaft, Toleranz und Freiheit von Mensch und Gesellschaft nicht ignorieren, treten oft gleichzeitig auf den Plan und enthüllen bisweilen den rationellen Kern der aussichtslos erscheinenden Auseinandersetzung. Soweit Theologie als Wissenschaft betrieben wird, ist bei ihren Vertretern der Zweifel gegen den überlieferten Glauben unvermeidlich, was oft genug schon während des Studiums ins Bewusstsein eintritt.
Namhafte Wissenschaftler des 19. und 20. Jahrhunderts haben diese Entwicklung gesehen und die Christianisierung Europas und der übrigen Welt als eine kulturelle Oberflächenerscheinung begriffen, hinter deren Fassade durchaus heidnisch-aggressives Kräftepotential lauert und auf Gelegenheiten wartet, sich Bahn zu brechen. Mit einer Art religiösem Eifer wird eine Religion des Industriezeitalters geschaffen, wie Erich Fromm die Entwicklung interpretierte, wobei an die Stelle der überlieferten Heiligen - und das ist auch eine Gefahr der Nüchternheit und Rationalität- die Arbeit, das Eigentum, der Gewinn und die Macht treten. Wie ehedem der religiös verkleidete Missbrauch einen außerordentlichen und überflüssigen Herrschaftsmechanismus begründete, so tun dies heute mit dem gleichen Ziel die bunte Schar der Populisten durch manipulativen, die Wirklichkeit und Wahrheit verschleiernden Gebrauch von Begriffen und wissenschaftlichen Erkenntnissen.

P O L I T I K , K U L T U R U N D Ö F F E N T L I C H K E I T

Diese Vorbemerkungen mögen als Einführung zur bemerkenswerten Irritation um die Verleihung des Hessischen Kulturpreises 2009 gelten. Dem ‚interreligiösen Dialog’ sollte die höchste kulturelle Auszeichnung des Landes diesmal gewidmet werden, nicht nur die Grenzen des Bundeslandes, sondern gewiss auch aus integrationspolitischer Sicht die der Bundesrepublik Deutschland überschreitend. Weithin bekannt ist ja die freundschaftliche Verbundenheit des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch(CDU) mit dem obersten Repräsentanten des tibetischen Buddhismus, dem Dalai Lama. Entsprechend wird eine gut wachsende buddhistische Gemeinde in Deutschland allmählich wahrgenommen – und eine noch schwache Ahnung weltweiter Umverteilung religiöser Güter scheint sich zu regen. Auch wenn die Gründe zufällig sind und aus einem tief verwurzelten Antikommunismus des ‚kalten Krieges’ stammen, so ist Koch doch positiv zuzurechnen, dass er im Falle des Dalai Lama und des Buddhismus die Chancen vieler verzweifelter Christen und Muslime, eine friedfertige Linie in ihr gestörtes religiöses Gefühlsleben einzubauen, dem Moloch des wie auch immer gefärbten Opportunismus nicht opferte.
Ich brauche nur einige wenige Namen stellvertretend für die lange Reihe ehrwürdiger Preisträger zu nennen, um das Gewicht dieses Kulturpreises anzuzeigen: Eugen Kogon, Volker Schlöndorff, Wolf Singer, Marcel Reich-Ranicki, Jürgen Habermas, Siegfried Unseld, Til Schweiger. Nur einmal in den 27 Jahren seit 1982, 2005, wurde der Preis nicht vergeben, - ein Wahljahr in Deutschland wie 2009. Im Vorjahr ging der Preis nicht an Personen, sondern an Institutionen: Das Landes Jugend Jazz Orchester und das Mathematikum Gießen. Insgesamt werden 45000 Euro auf die Preisträger aufgeteilt – der erste Akt der Irritation kann beginnen.
Indem ich schon vor der reflektierenden Berichterstrattung so viele grundsätzliche wie notwendige Überlegungen zum komplexen Thema des Kulturlebens in Erinnerung rufe, hätte ich beinahe übersehen, dass das öffentliche Feuer im Mai von der noch weitgehend verborgen gebliebenen Glut entfacht wurde, die bereits Ende 2008 und. Anfang 2009 erzeugt worden war. In diesem kalten Winter war es den kulturell gebeutelten Hessen angebracht erschienen, den gestrauchelten und beinahe gefallenen Ministerpräsidenten Koch gegen das drohende Gespenst eines ‚linksradikalen’ Regimes der Andrea Ypsilanti (SPD) - von Gnaden eines Oskar Lafontaine (Die LINKE )- wieder aufzurichten.
Kochs politische Erfolgslinie ist gekennzeichnet durch und verbunden mit einem stark konservativ-populistischen Hang, der auch fremdenfeindliche Stimmungen benutzt, wo es um das Erreichen politischer Machtpositionen geht. So war es beim kommunalen Wahlrecht für EU-Bürger in den 80er Jahren, als Koch noch in der Jugendorganisation der Union aktiv war, bei der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft in den 90ern, bei den ‚kriminellen’ Jugendlichen mit angeblich nicht integrationswilligem kulturellen Hintergrund, so ist es heute bei dem gemeinsam mit den Liberalen gesteuerten Kurs einer kompromisslosen, inhumanen Abschiebepolitik. Erinnert sei auch an die Ex- Kultusministerin Karin Wolf, die den primitiven US-amerikanischen Kreationismus als pädagogische Anwendung für diskussionswürdig erachtete. Passend dazu muss man auch die jüngsten ideologischen Umdeutungen des Krieges in Afghanistan durch den aus Hessen stammenden ‚Bundesverteidigungsminister’ F.J. Jung ansehen, der brutale und Kultur zerstörende Krieg sei in Wirklichkeit gar kein Krieg, weil Polizei, Recht, Schulen, Wasserleitungen usw. aufgebaut würden. Das ideologische Interesse der Verschleierung von Realität ist in jenen Fällen mit den Händen zu greifen. Dabei ist keineswegs die Liste der Nennungen vollständig, wenn man beispielsweise an die engstirnige Intervention Kochs gegen den Journalisten Nikolaus Brender beim ZDF denkt.
Im Januar 2009 fand in Reaktion auf den nahöstlichen Krieg im Gaza-Streifen auch in Deutschland eine verbale Unterstützungskampagne bezüglich der militärischen Operationen Israels statt, mit der üblichen politischen Erklärung und Unterschriftenliste, auf der auch Professor Salomon Korn stand. Professor Fuat Sezgin, der zusammen mit Korn und den beiden Kirchenmännern und Professoren Karl Lehmann und Peter Steinacker schon im Dezember 2008 sich als Preisträger geehrt fühlen durfte, zog sein Versprechen der Preisannahme aus pazifistischen Gewissensgründen zurück. Zu diesem Zeitpunkt konnte bei den Beteiligten und den interessierten Beobachtern der Eindruck sich herausbilden, dass die Begründung der Preisabsage durch den muslimischen Repräsentanten pazifistische Argumente nur zur Verschleierung einer nicht dialogbereiten, grundsätzlicheren Gegnerschaft vorschob. Deswegen hatte der Zentralrat der Juden in Deutschland den Verdacht geäußert, in Wahrheit ließe sich Sezgin von antisemitischen Motiven leiten. Aber dieser Verdacht wird später, Mitte Mai 2009, durch eine persönliche öffentliche Erklärung überzeugend ausgeräumt, als Sezgin seine Ablehnungsgründe „nicht immer ganz korrekt wiedergegeben“ sah und schädlichen Missverständnissen entgegenwirken wollte.
Es ist im Nachhinein also nachvollziehbar, dass Anfang März die Hessische Kulturpolitik noch einmal ernsthaftes Interesse bekundete, der emeritierte Professor für Geschichte der Naturwissenschaften und Verfasser bedeutender Werke des arabischen Schrifttums möge seine Entscheidung noch einmal „überdenken“. Er blieb bei seiner Entscheidung, nachdem er zwei Tage sein Gewissen ernsthaft geprüft hatte und sich vor allem auf seine Berufung und Verantwortung als Wissenschaftler besann. Wie sich zeigen sollte, war diese Akzentuierung des pazifistischen Bekenntnisses in Kombination mit der Verantwortung des Wissenschaftlers eine kluge Vorausschau, die eine unvorsichtig weit gehende Vermischung von Religion und Wissenschaft vermied.
Salomon Korn und die beiden anderen Preisträger haben in dieser Sache und zu diesem Zeitpunkt –soweit bekannt- kein Öl ins Feuer gegossen. Sie konnten nur davon ausgehen, dass ein offenes Gespräch unter den Preisträgern zur Bedeutung des interreligiösen Dialogs von der Landesregierung nicht unbedingt angestrebt oder gar gewünscht wurde. Zumindest war dies im Rahmen der öffentlich nachvollziehbaren Kommunikation nie ein Thema. Die Störung heftete sich somit vordergründig und unberechtigt an Sezgin, obwohl sie ja in Wirklichkeit auf kriegerische Gewalt und dann auch auf den unterschiedlichen Umgang mit dieser zurückzuführen war. Es ist festzuhalten, dass insoweit niemand der Beteiligten von sich aus den verborgenen Konflikt anheizte, sodass eventuell Probleme interreligiöser Diskussion zu Tage getreten wären.
Nun scheint jedoch, dass die Störung , wie auf einer Seelenwanderung, dann doch in dem Augenblick die eine Person, Fuat Sezgin, verlies, als die andere, Navid Kermani, den verbliebenen 3 Preisträgern hinzunominiert wurde (März 2009). Ob sie schließlich bei diesem landete, soll offen bleiben, denn ich erwähne die Störung nur, um auf die inszenierten, tieferen Kulturbrüche vorzubereiten, die im nächsten Akt der Preisverleihung erkennbar werden. Das Thema und die Geschichte von den Tücken eines Kulturpreises würde aus meiner Sicht nicht zu bearbeiten erforderlich, hätten sich nun alle still verhalten. Dann wäre im Sommer 2009 der hessischen Landespolitik unter Führung von Roland Koch auf öffentlicher Bühne ein zählbarer Erfolg zugerechnet worden – niemand hätte sich ernsthaft Gedanken machen müssen über die kulturrelevanten Tätigkeiten von Fuat Sezgin und besonders von dessen nachfolgenden ‚Ersatz’, Navid Kermani, Schriftsteller, Orientalist, Mitglied der deutschen Islamkonferenz. Aber irgendwie scheint mir heute selbst die Zufälligkeit, ob etwas erforderlich ist oder nicht, von ebenso vielen Zufällen in der Beurteilung der öffentlichen und geheimen Nachrichtenlage abhängig zu sein.
Tatsächlich tauchte Mitte Mai aber wie aus heiterem Himmel ein ‚Fiasko des Roland Koch’ in der Presse auf. Was war passiert? Um es direkt zu sagen, Koch hatte Kermani den verliehenen Preis wieder entzogen! Vor der notwendig ausführlicheren Antwort sollten noch zwei Gesichtspunkte knapp erwähnt werden, die bei der Berichterstattung und Beurteilung der Vorgänge um den hessischen Kulturpreis vorauszusetzen sind: 1. der Wert dieses Preises, 2.die Beschränkungen meiner Sicht der Dinge, wie sie mir von außen auferlegt sind.
Ein Kulturpreis, der für Verdienste im interreligiösen Dialog vom Staat verliehen wird, ist in erster Linie ein ‚gewolltes Friedenssignal’ und steht insoweit auch für vom Staat gewünschte friedliche Verständigungsbereitschaft ihrer irgendwie noch im traditionellen Sinne religiös inspirierten Bürger. Dass der unreligiöse bis antireligiöse Mensch und Bürger, der heute zur Mehrheit zählt, bei einer solchen Preisverleihung keine Berücksichtigung finden kann, liegt in der Natur der Sache und ist legitim. Aber die Mehrheit der mehr oder weniger deutlich von der überlieferten Religion Abgefallenen mag nur Zaungast sein, unbeteiligt ist sie nicht. Die friedliche Absicht des Staates kann auf dem Boden der Religionsfreiheit überprüft werden, auf dem ja gerade auch der Ungläubige heute wesentlich beschützter sich bewegen kann als in der Vergangenheit. Die Absicht, keine gewaltsamen Kämpfe, sondern friedlichen Dialog zu fördern, ist jedenfalls begrüßenswert. Wie bei so vielen guten politischen Projekten, fordert die Ernsthaftigkeit, mit der eine solche Absicht betrieben wird, einen Preis. Ein wesentlicher Teil dieses Preises ist der sorgfältige, verantwortungsvolle Umgang mit den ausgesuchten Preisträgern und der Idee der Preisvergabe selbst.
Das Dilemma meiner Sicht gründet sich auf die Tatsache, dass Methoden der Geheimdiplomatie mit öffentlicher Information und Bewertung verbunden und vermischt sind. Unter Führung des Hessischen Ministerpräsidenten hatte üblicherweise ein Kuratorium die genannten vier Persönlichkeiten als Preisträger nominiert, die als designiert gelten konnten, wenn sie den Preis annahmen. So war es auch bei Sezgin gewesen, der dann aus schwerwiegenden und ehrenhaften Gründen nach seiner Zusage ablehnte. Ein erster, leichter Riss bahnte sich an. Über den Vorgang zu Beginn des zweiten Akts der Preisverleihung wird zunächst nichts weiter bekannt als das Ergebnis der Arbeit des Kuratoriums, welches am 5. Juli 2009 auf offener Bühne vollzogen werden sollte. Eine Verschiebung von März auf Juli war vorausgegangen, hatte mit dem gesundheitlichen Zustand von Karl Lehmann zutun. Aus meiner Wahrnehmung können wir weder wissen , welche Erwägungen während der Klausur des Kuratoriums allgemein angestellt, noch wie sorgfältig Schriften, Reden, sonstige Dokumente der in die Auswahl gelangten Persönlichkeiten beurteilt wurden – oder gar, ob in diesem Prozess bereits eine Kontroverse stattgefunden hat, die für die geplante öffentliche Harmonieveranstaltung nichts Gutes hätte ahnen lassen müssen. Was hätte dagegen gesprochen, wenn Koch in seinem Gremium auch den Dalai Lama ins Spiel gebracht hätte? Wäre das Risiko von Turbulenzen zu groß gewesen, sind nur Preisträger mit deutschem Pass nach den Statuten möglich ? Wir wissen es nicht!
Kermani fällt in der Angelegenheit des Kulturpreises durch sein bewusstes öffentliches Wirken auf. Von ihm erfährt die Öffentlichkeit, dass ihm durch den Protokollchef der Landesregierung, Dieter Beine, eine entsprechende Mitteilung am 20. März 2009 zugegangen ist und er der Preisverleihung in der vorgesehenen Form zustimmte. Außerdem ist sein intensives publizistisches Engagement auch in Zeitschriften und Tagespresse bekannt. Von den übrigen Preisträgern dringen ausgewählte und bewertete Zitate in die Öffentlichkeit. Sie scheinen in einer Art geheimen Absprache mit Ministerpräsident Roland Koch auf eine Ausladung des muslimischen Vertreters hinauszulaufen, was tatsächlich auch unter unwürdigen Umständen durch Beschluss des Kuratoriums geschah. Kardinal Lehmann will das aber nicht ‚insinuiert’ haben, wie er später –im Mai 2009- verlauten lässt. Ex-Kirchenpräsident Steinacker wird, ähnlich wie Lehmann, bezüglich einer gemeinsamen Preisentgegennahme mit negativen Äußerungen zitiert, hat meiner Wahrnehmung nach die Ausladung Kermanis in keiner Form bedauert.

Fortsetzung: GEKREUZIGTER MESSIAS ALS POLITIKUM
 
Bericht zur Kulturpolitik eines deutschen Bundeslandes (I)

Die Künste und Wissenschaften verfehlen ihren Zweck, wenn sie sich mit religiösen Anschauungen zu sehr vermischen. Je freier sie ihr Wirken gestalten können, je produktiver ihre Aktivitäten sind, umso deutlicher kann ihr wirklicher Nutzen für die Gesellschaft ausfallen.

Sowohl die Freiheit als auch die Meidung eines zu engen Kontaktes der Künste und Wissenschaften mit religiöser Dogmatik stellen wünschenswerte Gründe und Ziele gesellschaftlichen Handelns dar, die andauernd kritisch zu überprüfen sind; die beiden Handlungsmaximen haben keinen absoluten Wert, welcher erzwungen oder gar gewaltsam durchgesetzt werden könnte.

Eigentümlich dabei ist, dass jedenfalls die Freiheit im Notfall gewaltsam gegen Aggression und Usurpation verteidigt, nicht jedoch Ergebnis gezielter Aggression und Machtusurpation sein kann. Die Politik ist von Jeher Interessen bedingt mit der Religion verwoben, wobei die kulturevolutionäre Problematik mit den Bedingungen sich befasst, unter denen für beide eine deutlichere Autonomie und Freiheit möglich und angebracht ist.

Religion in der Kultur
Der Nutzen der Religion jedoch spielt sich auf einer anderen Ebene ab. Ihre Aufgabe ist es, den Lebenden Trost zu spenden angesichts der Opfer, die sie Gott darbringen, und sie in die Lage zu versetzen, mit den Mühsalen und Gefahren des Lebens auf würdevolle Weise umzugehen.

Es liegt daher in der Natur der Sache, dass der religiöse Mensch eine starke emotionale Identitätsbildung bezüglich 'seiner' Religion durchlebt. Der allmächtige, allwissende Gott erscheint ihm als ein Wesen, das außerhalb seiner kontrollierbaren Wahrnehmung existiert und dem die Menschheit alles verdankt. Auf diesem übersinnlichen Verhältnis des Menschen zu Gott erheben sich die speziellen Lehren aller Religionen, zwischen denen eine auf Verständigung gerichtete Kommunikation jedoch nur möglich ist, wenn sie sich auf einen Minimalkonsens innerer Wahrnehmung verständigen oder auf gewisse Kommunikationstechniken der menschlichen Vernunft zurückgreifen können.

Allgemeine Not und Bedürftigkeit, aus der Religion im Sinne einer auf Verzicht gegründeten Kulturaktivität geboren wird, erlaubt rationalen Diskurs nur auf einem bescheidenen Niveau. Ich spreche hier nicht davon, wie der Einzelne zur Religion gelangt, welche Gefühle und welches Denken religiöser Art sich bei ihm geltend machen ( z.B.Dankbarkeit für erfahrene Tröstung), sondern von der objektiven Grundlage aller Religion, deren illusionäre Gestalt subjektiv im Glauben verarbeitet und damit zu einer objektiven Größe im Kulturleben werden kann.

Wir wissen inzwischen einigermaßen zuverlässig, dass die Bindungskraft der überlieferten, besonders der christlichen und jüdischen Religion, in den technisch hochentwickelten Ländern nicht mehr die herausragende Stellung einnimmt, die sie lange Zeit hatte. Im Falle der islamischen Religion drückt sich der gleiche geschichtliche Vorgang in komplexen, widersprüchlichen Erscheinungsformen aus. Die stärksten Verluste religiöser Kraft treten durch blindwütige, politisierte Aggression religiöser Dogmen auf (Terrorismus, gewaltsame Verwirklichung von Glaubensgrundsätzen).

Zur Entwicklungsperspektive dieser Problematik gehört auch, dass der irrationale Streit und die willkürlich monopolistischen Wahrheitsansprüche für sehr lange Zeit auf der Agenda der Religionen standen und sich bei Bedarf mit rationalen Elementen der Lebenserfahrung mischten – bis es der Menschheit im Ansatz gelang, ihre allgemeinen Lebensbedingungen tendenziell rational zu gestalten.

Nun gerieten auch die religiösen Dogmen unter Reformdruck, es wurde unabweislich, Elemente des rationalen Diskurses auch in die religiöse Lebensgestaltung allmählich zu übernehmen. Soweit das in unserem Zusammenhang zuverlässig zu bestimmen ist, könnte unter den Weltreligionen der Buddhismus hier wegen seiner toleranten Grundhaltung eine gesonderte Rolle spielen.

Wesentliche Entwicklungen der ‚Neuzeit’ haben uns gezeigt, wie andererseits Geist und Gestalt der menschlichen Vernunft sich mit speziellen Elementen religiöser Lehren zu einer starken gesellschaftlichen Kraft und Motivation verbinden können, wenn grundlegende Reformen sich als Notwendigkeit ankündigen. Auf welche Weise dies geschah, darüber können einige Arbeiten von Max Weber recht anschaulich Auskunft geben. Insoweit die Verbindung zwischen Vernunft und religiösen Gehalten als ein positiver Entwicklungszug interpretiert wird, obwohl dies nur in einem bescheidenen Sinne möglich sein dürfte, lassen sich zwei nebeneinander auftretende Resultate bzw. Prozesse erkennen:

1. Verselbständigung religiös inspirierter, rationalisierbarer Denk- und Verhaltensmodelle, deren ursprüngliche Kraftquelle immer schwächer und kaum noch bewusst wird (Verweltlichung).

2. Als originär und angemessen geltende Wahrnehmung und Interpretation der Welt, die ohne und gegen traditionelle theologische Deutung bestehen muss - auch Theologie verwissenschaftlicht bis zu einem gewissen Grade, behält aber eigenen Charakter.
(Verwissenschaftlichung)


Beide Resultate weisen auf die Schwierigkeiten der Religion und ihrer Sachwalter in der heutigen Welt hin, ihr Erbe, den kulturellen Wandlungen entsprechend, zu verwalten. Nüchternheit, realistisches Kalkül und ihre reiche historische Erfahrung und Offenheit, Hoffnung zu wecken und zu fördern, stehen ebenfalls in einem kleineren Kapitel des Stammbuchs der Religionen. Sie sind heute dringend gefordert.

Denn die Tatsache der katastrophalen Aufteilung der Gesellschaft in reich und arm ist eindeutig machtpolitisch manipuliert, ebenso das Aufhetzen zu bornierten interessensbedingten kriegerischen Abenteuern – nicht selten im Namen eines bornierten Kulturverständnisses. Auch die vielen Millionen, die unverschuldet aus Arbeitsverhältnissen entfernt oder ferngehalten werden, ohne adäquaten Ersatz finden zu können, müssen sich keine Schuldvorwürfe machen, sondern bestrebt sein, ebenfalls einen klaren Kopf zu behalten und selbst nüchtern kalkulierbare Hoffnungen zu kultivieren - eine vom Anspruch her enorme Kulturleistung.

Ähnlich verhält es sich mit den äußerst deformierten Gerechtigkeitsverhältnissen, die angeblich auf Leistung beruhen oder auf je spezifische Handlungen zurückführbar seien. Leider glauben noch zu Viele solch infantilen Unsinn. Doch auch hier wäre die Hoffnungslosigkeit kein guter Ratgeber.

Denn seit Jahrzehnten lässt sich eine starke politische Tendenz zu manipulativen Bestrebungen beobachten, - zynisch auf repressive Ersatzbefriedigung ausgerichtet-, die hilf- und ratlose Menschen für ihre spezifischen, beschränkten Zwecke zu instrumentalisieren versuchen.

Aber nicht nur diese populistische Tendenz eines fundamentalistisch-konservativen Motivs zeigt ihr Gesicht, sondern auch frische, undogmatische Strömungen (teils religiöser Art), welche die naturnotwendige Reformbereitschaft, Toleranz und Freiheit von Mensch und Gesellschaft nicht ignorieren, treten oft gleichzeitig auf den Plan und enthüllen bisweilen den rationellen Kern der aussichtslos erscheinenden Auseinandersetzung. Soweit Theologie als Wissenschaft betrieben wird, ist bei ihren Vertretern der Zweifel gegen den überlieferten Glauben unvermeidlich, was oft genug schon während des Studiums ins Bewusstsein eintritt.

Namhafte Wissenschaftler des 19. und 20. Jahrhunderts haben diese Entwicklung gesehen und die Christianisierung Europas und der übrigen Welt als eine kulturelle Oberflächenerscheinung begriffen, hinter deren Fassade durchaus heidnisch-aggressives Kräftepotential lauert und auf Gelegenheiten wartet, sich Bahn zu brechen. Mit einer Art religiösem Eifer wird eine Religion des Industriezeitalters geschaffen, wie Erich Fromm die Entwicklung interpretierte, wobei an die Stelle der überlieferten Heiligen - und das ist auch eine Gefahr der Nüchternheit und Rationalität- die Arbeit, das Eigentum, der Gewinn und die Macht treten.

Wie ehedem der religiös verkleidete Missbrauch einen außerordentlichen und überflüssigen Herrschaftsmechanismus begründete, so tun dies heute mit dem gleichen Ziel die bunte Schar der Populisten durch manipulativen, die Wirklichkeit und Wahrheit verschleiernden Gebrauch von Begriffen und wissenschaftlichen Erkenntnissen.

P O L I T I K , K U L T U R U N D Ö F F E N T L I C H K E I T

Diese Vorbemerkungen mögen als Einführung zur bemerkenswerten Irritation um die Verleihung des Hessischen Kulturpreises 2009 gelten. Dem ‚interreligiösen Dialog’ sollte die höchste kulturelle Auszeichnung des Landes diesmal gewidmet werden, nicht nur die Grenzen des Bundeslandes, sondern gewiss auch aus integrationspolitischer Sicht die der Bundesrepublik Deutschland überschreitend.

Weithin bekannt ist ja die freundschaftliche Verbundenheit des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch(CDU) mit dem obersten Repräsentanten des tibetischen Buddhismus, dem Dalai Lama. Entsprechend wird eine gut wachsende buddhistische Gemeinde in Deutschland allmählich wahrgenommen – und eine noch schwache Ahnung weltweiter Umverteilung religiöser Güter scheint sich zu regen. Auch wenn die Gründe zufällig sind und aus einem tief verwurzelten Antikommunismus des ‚kalten Krieges’ stammen, so ist Koch doch positiv zuzurechnen, dass er im Falle des Dalai Lama und des Buddhismus die Chancen vieler verzweifelter Christen und Muslime, eine friedfertige Linie in ihr gestörtes religiöses Gefühlsleben einzubauen, dem Moloch des wie auch immer gefärbten Opportunismus nicht opferte.

Ich brauche nur einige wenige Namen stellvertretend für die lange Reihe ehrwürdiger Preisträger zu nennen, um das Gewicht dieses Kulturpreises anzuzeigen: Eugen Kogon, Volker Schlöndorff, Wolf Singer, Marcel Reich-Ranicki, Jürgen Habermas, Siegfried Unseld, Til Schweiger. Nur einmal in den 27 Jahren seit 1982, 2005, wurde der Preis nicht vergeben, - ein Wahljahr in Deutschland wie 2009. Im Vorjahr ging der Preis nicht an Personen, sondern an Institutionen: Das Landes Jugend Jazz Orchester und das Mathematikum Gießen. Insgesamt werden 45000 Euro auf die Preisträger aufgeteilt – der erste Akt der Irritation kann beginnen.

Indem ich schon vor der reflektierenden Berichterstrattung so viele grundsätzliche wie notwendige Überlegungen zum komplexen Thema des Kulturlebens in Erinnerung rufe, hätte ich beinahe übersehen, dass das öffentliche Feuer im Mai von der noch weitgehend verborgen gebliebenen Glut entfacht wurde, die bereits Ende 2008 und. Anfang 2009 erzeugt worden war. In diesem kalten Winter war es den kulturell gebeutelten Hessen angebracht erschienen, den gestrauchelten und beinahe gefallenen Ministerpräsidenten Koch gegen das drohende Gespenst eines ‚linksradikalen’ Regimes der Andrea Ypsilanti (SPD) - von Gnaden eines Oskar Lafontaine (Die LINKE )- wieder aufzurichten.

Kochs politische Erfolgslinie ist gekennzeichnet durch und verbunden mit einem stark konservativ-populistischen Hang, der auch fremdenfeindliche Stimmungen benutzt, wo es um das Erreichen politischer Machtpositionen geht. So war es beim kommunalen Wahlrecht für EU-Bürger in den 80er Jahren, als Koch noch in der Jugendorganisation der Union aktiv war, bei der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft in den 90ern, bei den ‚kriminellen’ Jugendlichen mit angeblich nicht integrationswilligem kulturellen Hintergrund, so ist es heute bei dem gemeinsam mit den Liberalen gesteuerten Kurs einer kompromisslosen, inhumanen Abschiebepolitik.

Erinnert sei auch an die Ex- Kultusministerin Karin Wolf, die den primitiven US-amerikanischen Kreationismus als pädagogische Anwendung für diskussionswürdig erachtete. Passend dazu muss man auch die jüngsten ideologischen Umdeutungen des Krieges in Afghanistan durch den aus Hessen stammenden ‚Bundesverteidigungsminister’ F.J. Jung ansehen, der brutale und Kultur zerstörende Krieg sei in Wirklichkeit gar kein Krieg, weil Polizei, Recht, Schulen, Wasserleitungen usw. aufgebaut würden.

Das ideologische Interesse der Verschleierung von Realität ist in jenen Fällen mit den Händen zu greifen. Dabei ist keineswegs die Liste der Nennungen vollständig, wenn man beispielsweise an die engstirnige Intervention Kochs gegen den Journalisten Nikolaus Brender beim ZDF denkt. Die vorgegebene unternehmerische Verantwortung des ZDF-Aufsichtsrats zielt in Wirklichkeit auf ein machtpolitisches Experiment, das die Elastizität der Manipulation testet.

Im Januar 2009 fand in Reaktion auf den nahöstlichen Krieg im Gaza-Streifen auch in Deutschland eine verbale Unterstützungskampagne bezüglich der militärischen Operationen Israels statt. Auf der üblichen politischen Erklärung mit Unterschriftenliste stand auch Professor Salomon Korn. Professor Fuat Sezgin, der zusammen mit Korn und den beiden Kirchenmännern und Professoren Karl Lehmann und Peter Steinacker schon im Dezember 2008 sich als Preisträger geehrt fühlen durfte, zog sein Versprechen der Preisannahme aus pazifistischen Gewissensgründen zurück.

Zu diesem Zeitpunkt konnte bei den Beteiligten und den interessierten Beobachtern der Eindruck sich herausbilden, dass die Begründung der Preisabsage durch den muslimischen Repräsentanten pazifistische Argumente nur zur Verschleierung einer nicht dialogbereiten, grundsätzlicheren Gegnerschaft vorschob. Deswegen hatte der Zentralrat der Juden in Deutschland den Verdacht geäußert, in Wahrheit ließe sich Sezgin von antisemitischen Motiven leiten.

Aber dieser Verdacht wird später, Mitte Mai 2009, durch eine persönliche öffentliche Erklärung überzeugend ausgeräumt, als Sezgin seine Ablehnungsgründe „nicht immer ganz korrekt wiedergegeben“ sah und schädlichen Missverständnissen entgegenwirken wollte.

Es ist im Nachhinein also nachvollziehbar, dass Anfang März die Hessische Kulturpolitik noch einmal ernsthaftes Interesse bekundete, der emeritierte Professor für Geschichte der Naturwissenschaften und Verfasser bedeutender Werke des arabischen Schrifttums möge seine Entscheidung noch einmal „überdenken“. Er blieb bei seiner Entscheidung, nachdem er zwei Tage sein Gewissen ernsthaft geprüft hatte und sich vor allem auf seine Berufung und Verantwortung als Wissenschaftler besann.

Wie sich zeigen sollte, war diese Akzentuierung des pazifistischen Bekenntnisses in Kombination mit der Verantwortung des Wissenschaftlers eine kluge Vorausschau, die eine unvorsichtig weit gehende Vermischung von Religion und Wissenschaft vermied.

Salomon Korn und die beiden anderen Preisträger haben in dieser Sache und zu diesem Zeitpunkt –soweit bekannt- kein Öl ins Feuer gegossen. Sie konnten nur davon ausgehen, dass ein offenes Gespräch unter den Preisträgern zur Bedeutung des interreligiösen Dialogs von der Landesregierung nicht unbedingt angestrebt oder gar gewünscht wurde. Ein Preis ohne Kontroverse! Zumindest war dies im Rahmen der öffentlich nachvollziehbaren Kommunikation nie ein Thema.

Die Störung heftete sich somit vordergründig und unberechtigt an Sezgin, obwohl sie ja in Wirklichkeit auf kriegerische Gewalt und dann auch auf den unterschiedlichen Umgang mit dieser zurückzuführen war. Es ist festzuhalten, dass insoweit niemand der Beteiligten von sich aus den verborgenen Konflikt anheizte, sodass eventuell Probleme interreligiöser Diskussion zu Tage getreten wären.

Nun scheint jedoch, dass die Störung , wie auf einer Seelenwanderung, dann doch in dem Augenblick die eine Person, Fuat Sezgin, verlies, als die andere, Navid Kermani, den verbliebenen 3 Preisträgern hinzunominiert wurde (März 2009). Ob sie schließlich bei diesem landete, soll offen bleiben, denn ich erwähne die Störung nur, um auf die inszenierten, tieferen Kulturbrüche vorzubereiten, die im nächsten Akt der Preisverleihung erkennbar werden.

Das Thema und die Geschichte von den Tücken eines Kulturpreises würde aus meiner Sicht nicht zu bearbeiten erforderlich, hätten sich nun alle still verhalten. Dann wäre im Sommer 2009 der hessischen Landespolitik unter Führung von Roland Koch auf öffentlicher Bühne ein zählbarer Erfolg zugerechnet worden – niemand hätte sich ernsthaft Gedanken machen müssen über die kulturrelevanten Tätigkeiten von Fuat Sezgin und besonders von dessen nachfolgenden ‚Ersatz’, Navid Kermani, Schriftsteller, Orientalist, Mitglied der deutschen Islamkonferenz.

Aber irgendwie scheint mir heute selbst die Zufälligkeit, ob etwas erforderlich ist oder nicht, von ebenso vielen Zufällen in der Beurteilung der öffentlichen und geheimen Nachrichtenlage abhängig zu sein.

Tatsächlich tauchte Mitte Mai aber wie aus heiterem Himmel ein ‚Fiasko des Roland Koch’ in der Presse auf. Was war passiert? Um es direkt zu sagen, Koch hatte Kermani den verliehenen Preis wieder entzogen! Vor der notwendig ausführlicheren Antwort sollten noch zwei Gesichtspunkte knapp erwähnt werden, die bei der Berichterstattung und Beurteilung der Vorgänge um den hessischen Kulturpreis vorauszusetzen sind: 1. der Wert dieses Preises, 2.die Beschränkungen meiner Sicht der Dinge, wie sie mir von außen auferlegt sind.

Ein Kulturpreis, der für Verdienste im interreligiösen Dialog vom Staat verliehen wird, ist in erster Linie ein ‚gewolltes Friedenssignal’ und steht insoweit auch für vom Staat gewünschte friedliche Verständigungsbereitschaft ihrer irgendwie noch im traditionellen Sinne religiös inspirierten Bürger. Dass der unreligiöse bis antireligiöse Mensch und Bürger, der heute zur Mehrheit zählt, bei einer solchen Preisverleihung keine Berücksichtigung finden kann, liegt in der Natur der Sache und ist legitim. Aber die Mehrheit der mehr oder weniger deutlich von der überlieferten Religion Abgefallenen mag nur Zaungast sein, unbeteiligt ist sie nicht.
Die friedliche Absicht des Staates kann auf dem Boden der Religionsfreiheit überprüft werden, auf dem ja gerade auch der Ungläubige heute wesentlich beschützter sich bewegen kann als in der Vergangenheit. Die Absicht, keine gewaltsamen Kämpfe, sondern friedlichen Dialog zu fördern, ist jedenfalls begrüßenswert. Wie bei so vielen guten politischen Projekten, fordert die Ernsthaftigkeit, mit der eine solche Absicht betrieben wird, einen Preis. Ein wesentlicher Teil dieses Preises ist der sorgfältige, verantwortungsvolle Umgang mit den ausgesuchten Preisträgern und der Idee der Preisvergabe selbst.

Das Dilemma meiner Sicht gründet sich auf die Tatsache, dass Methoden der Geheimdiplomatie mit öffentlicher Information und Bewertung verbunden und vermischt sind. Unter Führung des Hessischen Ministerpräsidenten hatte üblicherweise ein Kuratorium die genannten vier Persönlichkeiten als Preisträger nominiert, die als designiert gelten konnten, wenn sie den Preis annahmen. So war es auch bei Sezgin gewesen, der dann aus schwerwiegenden und ehrenhaften Gründen nach seiner Zusage ablehnte.
Ein erster, leichter Riss im Kulturbetrieb bahnte sich an. Über den Vorgang zu Beginn des zweiten Akts der Preisverleihung wird zunächst nichts weiter bekannt als das Ergebnis der Arbeit des Kuratoriums, welches am 5. Juli 2009 auf offener Bühne vollzogen werden sollte. Eine Verschiebung von März auf Juli war vorausgegangen, hatte mit dem gesundheitlichen Zustand von Karl Lehmann zutun.

Aus meiner Wahrnehmung können wir weder wissen , welche Erwägungen während der Klausur des Kuratoriums allgemein angestellt, noch wie sorgfältig Schriften, Reden, sonstige Dokumente der in die Auswahl gelangten Persönlichkeiten beurteilt wurden – oder gar, ob in diesem Prozess bereits eine Kontroverse stattgefunden hat, die für die geplante öffentliche Harmonieveranstaltung nichts Gutes hätte ahnen lassen müssen. Was hätte dagegen gesprochen, wenn Koch in seinem Gremium auch den Dalai Lama ins Spiel gebracht hätte? Wäre das Risiko von Turbulenzen zu groß gewesen, sind nur Preisträger mit deutschem Pass nach den Statuten möglich ? Wir wissen es nicht!

Kermani fällt in der Angelegenheit des Kulturpreises durch sein bewusstes öffentliches Wirken auf. Von ihm erfährt die Öffentlichkeit, dass ihm durch den Protokollchef der Landesregierung, Dieter Beine, eine entsprechende Mitteilung am 20. März 2009 zugegangen ist und er der Preisverleihung in der vorgesehenen Form zustimmte. Außerdem ist sein intensives publizistisches Engagement auch in Zeitschriften und Tagespresse bekannt.

Von den übrigen Preisträgern dringen ausgewählte und bewertete Zitate in die Öffentlichkeit. Sie scheinen in einer Art geheimen Absprache mit Ministerpräsident Roland Koch auf eine Ausladung des muslimischen Vertreters hinauszulaufen, was tatsächlich auch unter unwürdigen Umständen durch 'Beschluss des Kuratoriums' geschah. Kardinal Lehmann will das aber nicht ‚insinuiert’ haben, wie er später –im Mai 2009- verlauten lässt. Ex-Kirchenpräsident Steinacker wird, ähnlich wie Lehmann, bezüglich einer gemeinsamen Preisentgegennahme mit negativen Äußerungen zitiert, hat meiner Wahrnehmung nach die Ausladung Kermanis in keiner Form bedauert.

Fortsetzung: GEKREUZIGTER MESSIAS ALS POLITIKUM
 
Bericht zur Kulturpolitik eines deutschen Bundeslandes (I)

Die Künste und Wissenschaften verfehlen ihren Zweck, wenn sie sich mit religiösen Anschauungen zu sehr vermischen. Je freier sie ihr Wirken gestalten können, je produktiver ihre Aktivitäten sind, umso deutlicher kann ihr wirklicher Nutzen für die Gesellschaft ausfallen.

Sowohl die Freiheit als auch die Meidung eines zu engen Kontaktes der Künste und Wissenschaften mit religiöser Dogmatik stellen wünschenswerte Gründe und Ziele gesellschaftlichen Handelns dar, die andauernd kritisch zu überprüfen sind; die beiden Handlungsmaximen haben keinen absoluten Wert, welcher erzwungen oder gar gewaltsam durchgesetzt werden könnte.

Eigentümlich dabei ist, dass jedenfalls die Freiheit im Notfall gewaltsam gegen Aggression und Usurpation verteidigt, nicht jedoch Ergebnis gezielter Aggression und Machtusurpation sein kann. Die Politik ist von Jeher Interessen bedingt mit der Religion verwoben, wobei die kulturevolutionäre Problematik mit den Bedingungen sich befasst, unter denen für beide eine deutlichere Autonomie und Freiheit möglich und angebracht ist.

Religion in der Kultur

Der Nutzen der Religion jedoch spielt sich auf einer anderen Ebene ab. Ihre Aufgabe ist es, den Lebenden Trost zu spenden angesichts der Opfer, die sie Gott darbringen, und sie in die Lage zu versetzen, mit den Mühsalen und Gefahren des Lebens auf würdevolle Weise umzugehen.

Es liegt daher in der Natur der Sache, dass der religiöse Mensch eine starke emotionale Identitätsbildung bezüglich 'seiner' Religion durchlebt. Der allmächtige, allwissende Gott erscheint ihm als ein Wesen, das außerhalb seiner kontrollierbaren Wahrnehmung existiert und dem die Menschheit alles verdankt. Auf diesem übersinnlichen Verhältnis des Menschen zu Gott erheben sich die speziellen Lehren aller Religionen, zwischen denen eine auf Verständigung gerichtete Kommunikation jedoch nur möglich ist, wenn sie sich auf einen Minimalkonsens innerer Wahrnehmung verständigen oder auf gewisse Kommunikationstechniken der menschlichen Vernunft zurückgreifen können.

Allgemeine Not und Bedürftigkeit, aus der Religion im Sinne einer auf Verzicht gegründeten Kulturaktivität geboren wird, erlaubt rationalen Diskurs nur auf einem bescheidenen Niveau. Ich spreche hier nicht davon, wie der Einzelne zur Religion gelangt, welche Gefühle und welches Denken religiöser Art sich bei ihm geltend machen ( z.B.Dankbarkeit für erfahrene Tröstung), sondern von der objektiven Grundlage aller Religion, deren illusionäre Gestalt subjektiv im Glauben verarbeitet und damit zu einer objektiven Größe im Kulturleben werden kann.

Wir wissen inzwischen einigermaßen zuverlässig, dass die Bindungskraft der überlieferten, besonders der christlichen und jüdischen Religion, in den technisch hochentwickelten Ländern nicht mehr die herausragende Stellung einnimmt, die sie lange Zeit hatte. Im Falle der islamischen Religion drückt sich der gleiche geschichtliche Vorgang in komplexen, widersprüchlichen Erscheinungsformen aus. Die stärksten Verluste religiöser Kraft treten durch blindwütige, politisierte Aggression religiöser Dogmen auf (Terrorismus, gewaltsame Verwirklichung von Glaubensgrundsätzen).

Zur Entwicklungsperspektive dieser Problematik gehört auch, dass der irrationale Streit und die willkürlich monopolistischen Wahrheitsansprüche für sehr lange Zeit auf der Agenda der Religionen standen und sich bei Bedarf mit rationalen Elementen der Lebenserfahrung mischten – bis es der Menschheit im Ansatz gelang, ihre allgemeinen Lebensbedingungen tendenziell rational zu gestalten.

Nun gerieten auch die religiösen Dogmen unter Reformdruck, es wurde unabweislich, Elemente des rationalen Diskurses auch in die religiöse Lebensgestaltung allmählich zu übernehmen. Soweit das in unserem Zusammenhang zuverlässig zu bestimmen ist, könnte unter den Weltreligionen der Buddhismus hier wegen seiner toleranten Grundhaltung eine gesonderte Rolle spielen.

Wesentliche Entwicklungen der ‚Neuzeit’ haben uns gezeigt, wie andererseits Geist und Gestalt der menschlichen Vernunft sich mit speziellen Elementen religiöser Lehren zu einer starken gesellschaftlichen Kraft und Motivation verbinden können, wenn grundlegende Reformen sich als Notwendigkeit ankündigen. Auf welche Weise dies geschah, darüber können einige Arbeiten von Max Weber recht anschaulich Auskunft geben. Insoweit die Verbindung zwischen Vernunft und religiösen Gehalten als ein positiver Entwicklungszug interpretiert wird, obwohl dies nur in einem bescheidenen Sinne möglich sein dürfte, lassen sich zwei nebeneinander auftretende Resultate bzw. Prozesse erkennen:

1. Verselbständigung religiös inspirierter, rationalisierbarer Denk- und Verhaltensmodelle, deren ursprüngliche Kraftquelle immer schwächer und kaum noch bewusst wird (Verweltlichung).

2. Als originär und angemessen geltende Wahrnehmung und Interpretation der Welt, die ohne und gegen traditionelle theologische Deutung bestehen muss - auch Theologie verwissenschaftlicht bis zu einem gewissen Grade, behält aber eigenen Charakter.
(Verwissenschaftlichung)


Beide Resultate weisen auf die Schwierigkeiten der Religion und ihrer Sachwalter in der heutigen Welt hin, ihr Erbe, den kulturellen Wandlungen entsprechend, zu verwalten. Nüchternheit, realistisches Kalkül und ihre reiche historische Erfahrung und Offenheit, Hoffnung zu wecken und zu fördern, stehen ebenfalls in einem kleineren Kapitel des Stammbuchs der Religionen. Sie sind heute dringend gefordert.

Denn die Tatsache der katastrophalen Aufteilung der Gesellschaft in reich und arm ist eindeutig machtpolitisch manipuliert, ebenso das Aufhetzen zu bornierten interessensbedingten kriegerischen Abenteuern – nicht selten im Namen eines bornierten Kulturverständnisses. Auch die vielen Millionen, die unverschuldet aus Arbeitsverhältnissen entfernt oder ferngehalten werden, ohne adäquaten Ersatz finden zu können, müssen sich keine Schuldvorwürfe machen, sondern bestrebt sein, ebenfalls einen klaren Kopf zu behalten und selbst nüchtern kalkulierbare Hoffnungen zu kultivieren - eine vom Anspruch her enorme Kulturleistung.

Ähnlich verhält es sich mit den äußerst deformierten Gerechtigkeitsverhältnissen, die angeblich auf Leistung beruhen oder auf je spezifische Handlungen zurückführbar seien. Leider glauben noch zu Viele solch infantilen Unsinn. Doch auch hier wäre die Hoffnungslosigkeit kein guter Ratgeber.

Denn seit Jahrzehnten lässt sich eine starke politische Tendenz zu manipulativen Bestrebungen beobachten, - zynisch auf repressive Ersatzbefriedigung ausgerichtet-, die hilf- und ratlose Menschen für ihre spezifischen, beschränkten Zwecke zu instrumentalisieren versuchen.

Aber nicht nur diese populistische Tendenz eines fundamentalistisch-konservativen Motivs zeigt ihr Gesicht, sondern auch frische, undogmatische Strömungen (teils religiöser Art), welche die naturnotwendige Reformbereitschaft, Toleranz und Freiheit von Mensch und Gesellschaft nicht ignorieren, treten oft gleichzeitig auf den Plan und enthüllen bisweilen den rationellen Kern der aussichtslos erscheinenden Auseinandersetzung. Soweit Theologie als Wissenschaft betrieben wird, ist bei ihren Vertretern der Zweifel gegen den überlieferten Glauben unvermeidlich, was oft genug schon während des Studiums ins Bewusstsein eintritt.

Namhafte Wissenschaftler des 19. und 20. Jahrhunderts haben diese Entwicklung gesehen und die Christianisierung Europas und der übrigen Welt als eine kulturelle Oberflächenerscheinung begriffen, hinter deren Fassade durchaus heidnisch-aggressives Kräftepotential lauert und auf Gelegenheiten wartet, sich Bahn zu brechen. Mit einer Art religiösem Eifer wird eine Religion des Industriezeitalters geschaffen, wie Erich Fromm die Entwicklung interpretierte, wobei an die Stelle der überlieferten Heiligen - und das ist auch eine Gefahr der Nüchternheit und Rationalität- die Arbeit, das Eigentum, der Gewinn und die Macht treten.

Wie ehedem der religiös verkleidete Missbrauch einen außerordentlichen und überflüssigen Herrschaftsmechanismus begründete, so tun dies heute mit dem gleichen Ziel die bunte Schar der Populisten durch manipulativen, die Wirklichkeit und Wahrheit verschleiernden Gebrauch von Begriffen und wissenschaftlichen Erkenntnissen.

P O L I T I K - K U L T U R - Ö F F E N T L I C H K E I T

Diese Vorbemerkungen mögen als Einführung zur bemerkenswerten Irritation um die Verleihung des Hessischen Kulturpreises 2009 gelten. Dem ‚interreligiösen Dialog’ sollte die höchste kulturelle Auszeichnung des Landes diesmal gewidmet werden, nicht nur die Grenzen des Bundeslandes, sondern gewiss auch aus integrationspolitischer Sicht die der Bundesrepublik Deutschland überschreitend.

Weithin bekannt ist ja die freundschaftliche Verbundenheit des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch(CDU) mit dem obersten Repräsentanten des tibetischen Buddhismus, dem Dalai Lama. Entsprechend wird eine gut wachsende buddhistische Gemeinde in Deutschland allmählich wahrgenommen – und eine noch schwache Ahnung weltweiter Umverteilung religiöser Güter scheint sich zu regen. Auch wenn die Gründe zufällig sind und aus einem tief verwurzelten Antikommunismus des ‚kalten Krieges’ stammen, so ist Koch doch positiv zuzurechnen, dass er im Falle des Dalai Lama und des Buddhismus die Chancen vieler verzweifelter Christen und Muslime, eine friedfertige Linie in ihr gestörtes religiöses Gefühlsleben einzubauen, dem Moloch des wie auch immer gefärbten Opportunismus nicht opferte.

Ich brauche nur einige wenige Namen stellvertretend für die lange Reihe ehrwürdiger Preisträger zu nennen, um das Gewicht dieses Kulturpreises anzuzeigen: Eugen Kogon, Volker Schlöndorff, Wolf Singer, Marcel Reich-Ranicki, Jürgen Habermas, Siegfried Unseld, Til Schweiger. Nur einmal in den 27 Jahren seit 1982, 2005, wurde der Preis nicht vergeben, - ein Wahljahr in Deutschland wie 2009. Im Vorjahr ging der Preis nicht an Personen, sondern an Institutionen: Das Landes Jugend Jazz Orchester und das Mathematikum Gießen. Insgesamt werden 45000 Euro auf die Preisträger aufgeteilt – der erste Akt der Irritation kann beginnen.

Indem ich schon vor der reflektierenden Berichterstrattung so viele grundsätzliche wie notwendige Überlegungen zum komplexen Thema des Kulturlebens in Erinnerung rufe, hätte ich beinahe übersehen, dass das öffentliche Feuer im Mai von der noch weitgehend verborgen gebliebenen Glut entfacht wurde, die bereits Ende 2008 und. Anfang 2009 erzeugt worden war. In diesem kalten Winter war es den kulturell gebeutelten Hessen angebracht erschienen, den gestrauchelten und beinahe gefallenen Ministerpräsidenten Koch gegen das drohende Gespenst eines ‚linksradikalen’ Regimes der Andrea Ypsilanti (SPD) - von Gnaden eines Oskar Lafontaine (Die LINKE )- wieder aufzurichten.

Kochs politische Erfolgslinie ist gekennzeichnet durch und verbunden mit einem stark konservativ-populistischen Hang, der auch fremdenfeindliche Stimmungen benutzt, wo es um das Erreichen politischer Machtpositionen geht. So war es beim kommunalen Wahlrecht für EU-Bürger in den 80er Jahren, als Koch noch in der Jugendorganisation der Union aktiv war, bei der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft in den 90ern, bei den ‚kriminellen’ Jugendlichen mit angeblich nicht integrationswilligem kulturellen Hintergrund, so ist es heute bei dem gemeinsam mit den Liberalen gesteuerten Kurs einer kompromisslosen, inhumanen Abschiebepolitik.

Erinnert sei auch an die Ex- Kultusministerin Karin Wolf, die den primitiven US-amerikanischen Kreationismus als pädagogische Anwendung für diskussionswürdig erachtete. Passend dazu muss man auch die jüngsten ideologischen Umdeutungen des Krieges in Afghanistan durch den aus Hessen stammenden ‚Bundesverteidigungsminister’ F.J. Jung ansehen, der brutale und Kultur zerstörende Krieg sei in Wirklichkeit gar kein Krieg, weil Polizei, Recht, Schulen, Wasserleitungen usw. aufgebaut würden.

Das ideologische Interesse der Verschleierung von Realität ist in jenen Fällen mit den Händen zu greifen. Dabei ist keineswegs die Liste der Nennungen vollständig, wenn man beispielsweise an die engstirnige Intervention Kochs gegen den Journalisten Nikolaus Brender beim ZDF denkt. Die vorgegebene unternehmerische Verantwortung des ZDF-Aufsichtsrats zielt in Wirklichkeit auf ein machtpolitisches Experiment, das die Elastizität der Manipulation testet.

Im Januar 2009 fand in Reaktion auf den nahöstlichen Krieg im Gaza-Streifen auch in Deutschland eine verbale Unterstützungskampagne bezüglich der militärischen Operationen Israels statt. Auf der üblichen politischen Erklärung mit Unterschriftenliste stand auch Professor Salomon Korn. Professor Fuat Sezgin, der zusammen mit Korn und den beiden Kirchenmännern und Professoren Karl Lehmann und Peter Steinacker schon im Dezember 2008 sich als Preisträger geehrt fühlen durfte, zog sein Versprechen der Preisannahme aus pazifistischen Gewissensgründen zurück.

Zu diesem Zeitpunkt konnte bei den Beteiligten und den interessierten Beobachtern der Eindruck sich herausbilden, dass die Begründung der Preisabsage durch den muslimischen Repräsentanten pazifistische Argumente nur zur Verschleierung einer nicht dialogbereiten, grundsätzlicheren Gegnerschaft vorschob. Deswegen hatte der Zentralrat der Juden in Deutschland den Verdacht geäußert, in Wahrheit ließe sich Sezgin von antisemitischen Motiven leiten.

Aber dieser Verdacht wird später, Mitte Mai 2009, durch eine persönliche öffentliche Erklärung überzeugend ausgeräumt, als Sezgin seine Ablehnungsgründe „nicht immer ganz korrekt wiedergegeben“ sah und schädlichen Missverständnissen entgegenwirken wollte.

Es ist im Nachhinein also nachvollziehbar, dass Anfang März die Hessische Kulturpolitik noch einmal ernsthaftes Interesse bekundete, der emeritierte Professor für Geschichte der Naturwissenschaften und Verfasser bedeutender Werke des arabischen Schrifttums möge seine Entscheidung noch einmal „überdenken“. Er blieb bei seiner Entscheidung, nachdem er zwei Tage sein Gewissen ernsthaft geprüft hatte und sich vor allem auf seine Berufung und Verantwortung als Wissenschaftler besann.

Wie sich zeigen sollte, war diese Akzentuierung des pazifistischen Bekenntnisses in Kombination mit der Verantwortung des Wissenschaftlers eine kluge Vorausschau, die eine unvorsichtig weit gehende Vermischung von Religion und Wissenschaft vermied.

Salomon Korn und die beiden anderen Preisträger haben in dieser Sache und zu diesem Zeitpunkt –soweit bekannt- kein Öl ins Feuer gegossen. Sie konnten nur davon ausgehen, dass ein offenes Gespräch unter den Preisträgern zur Bedeutung des interreligiösen Dialogs von der Landesregierung nicht unbedingt angestrebt oder gar gewünscht wurde. Ein Preis ohne Kontroverse! Zumindest war dies im Rahmen der öffentlich nachvollziehbaren Kommunikation nie ein Thema.

Die Störung heftete sich somit vordergründig und unberechtigt an Sezgin, obwohl sie ja in Wirklichkeit auf kriegerische Gewalt und dann auch auf den unterschiedlichen Umgang mit dieser zurückzuführen war. Es ist festzuhalten, dass insoweit niemand der Beteiligten von sich aus den verborgenen Konflikt anheizte, sodass eventuell Probleme interreligiöser Diskussion zu Tage getreten wären.

Nun scheint jedoch, dass die Störung , wie auf einer Seelenwanderung, dann doch in dem Augenblick die eine Person, Fuat Sezgin, verlies, als die andere, Navid Kermani, den verbliebenen 3 Preisträgern hinzunominiert wurde (März 2009). Ob sie schließlich bei diesem landete, soll offen bleiben, denn ich erwähne die Störung nur, um auf die inszenierten, tieferen Kulturbrüche vorzubereiten, die im nächsten Akt der Preisverleihung erkennbar werden.

Das Thema und die Geschichte von den Tücken eines Kulturpreises würde aus meiner Sicht nicht zu bearbeiten erforderlich, hätten sich nun alle still verhalten. Dann wäre im Sommer 2009 der hessischen Landespolitik unter Führung von Roland Koch auf öffentlicher Bühne ein zählbarer Erfolg zugerechnet worden – niemand hätte sich ernsthaft Gedanken machen müssen über die kulturrelevanten Tätigkeiten von Fuat Sezgin und besonders von dessen nachfolgenden ‚Ersatz’, Navid Kermani, Schriftsteller, Orientalist, Mitglied der deutschen Islamkonferenz.

Aber irgendwie scheint mir heute selbst die Zufälligkeit, ob etwas erforderlich ist oder nicht, von ebenso vielen Zufällen in der Beurteilung der öffentlichen und geheimen Nachrichtenlage abhängig zu sein.

Tatsächlich tauchte Mitte Mai aber wie aus heiterem Himmel ein ‚Fiasko des Roland Koch’ in der Presse auf. Was war passiert? Um es direkt zu sagen, Koch hatte Kermani den verliehenen Preis wieder entzogen! Vor der notwendig ausführlicheren Antwort sollten noch zwei Gesichtspunkte knapp erwähnt werden, die bei der Berichterstattung und Beurteilung der Vorgänge um den hessischen Kulturpreis vorauszusetzen sind: 1. der Wert dieses Preises, 2.die Beschränkungen meiner Sicht der Dinge, wie sie mir von außen auferlegt sind.

Ein Kulturpreis, der für Verdienste im interreligiösen Dialog vom Staat verliehen wird, ist in erster Linie ein ‚gewolltes Friedenssignal’ und steht insoweit auch für vom Staat gewünschte friedliche Verständigungsbereitschaft ihrer irgendwie noch im traditionellen Sinne religiös inspirierten Bürger. Dass der unreligiöse bis antireligiöse Mensch und Bürger, der heute zur Mehrheit zählt, bei einer solchen Preisverleihung keine Berücksichtigung finden kann, liegt in der Natur der Sache und ist legitim. Aber die Mehrheit der mehr oder weniger deutlich von der überlieferten Religion Abgefallenen mag nur Zaungast sein, unbeteiligt ist sie nicht.
Die friedliche Absicht des Staates kann auf dem Boden der Religionsfreiheit überprüft werden, auf dem ja gerade auch der Ungläubige heute wesentlich beschützter sich bewegen kann als in der Vergangenheit. Die Absicht, keine gewaltsamen Kämpfe, sondern friedlichen Dialog zu fördern, ist jedenfalls begrüßenswert. Wie bei so vielen guten politischen Projekten, fordert die Ernsthaftigkeit, mit der eine solche Absicht betrieben wird, einen Preis. Ein wesentlicher Teil dieses Preises ist der sorgfältige, verantwortungsvolle Umgang mit den ausgesuchten Preisträgern und der Idee der Preisvergabe selbst.

Das Dilemma meiner Sicht gründet sich auf die Tatsache, dass Methoden der Geheimdiplomatie mit öffentlicher Information und Bewertung verbunden und vermischt sind. Unter Führung des Hessischen Ministerpräsidenten hatte üblicherweise ein Kuratorium die genannten vier Persönlichkeiten als Preisträger nominiert, die als designiert gelten konnten, wenn sie den Preis annahmen. So war es auch bei Sezgin gewesen, der dann aus schwerwiegenden und ehrenhaften Gründen nach seiner Zusage ablehnte.
Ein erster, leichter Riss im Kulturbetrieb bahnte sich an. Über den Vorgang zu Beginn des zweiten Akts der Preisverleihung wird zunächst nichts weiter bekannt als das Ergebnis der Arbeit des Kuratoriums, welches am 5. Juli 2009 auf offener Bühne vollzogen werden sollte. Eine Verschiebung von März auf Juli war vorausgegangen, hatte mit dem gesundheitlichen Zustand von Karl Lehmann zutun.

Aus meiner Wahrnehmung können wir weder wissen , welche Erwägungen während der Klausur des Kuratoriums allgemein angestellt, noch wie sorgfältig Schriften, Reden, sonstige Dokumente der in die Auswahl gelangten Persönlichkeiten beurteilt wurden – oder gar, ob in diesem Prozess bereits eine Kontroverse stattgefunden hat, die für die geplante öffentliche Harmonieveranstaltung nichts Gutes hätte ahnen lassen müssen. Was hätte dagegen gesprochen, wenn Koch in seinem Gremium auch den Dalai Lama ins Spiel gebracht hätte? Wäre das Risiko von Turbulenzen zu groß gewesen, sind nur Preisträger mit deutschem Pass nach den Statuten möglich ? Wir wissen es nicht!

Kermani fällt in der Angelegenheit des Kulturpreises durch sein bewusstes öffentliches Wirken auf. Von ihm erfährt die Öffentlichkeit, dass ihm durch den Protokollchef der Landesregierung, Dieter Beine, eine entsprechende Mitteilung am 20. März 2009 zugegangen ist und er der Preisverleihung in der vorgesehenen Form zustimmte. Außerdem ist sein intensives publizistisches Engagement auch in Zeitschriften und Tagespresse bekannt.

Von den übrigen Preisträgern dringen ausgewählte und bewertete Zitate in die Öffentlichkeit. Sie scheinen in einer Art geheimen Absprache mit Ministerpräsident Roland Koch auf eine Ausladung des muslimischen Vertreters hinauszulaufen, was tatsächlich auch unter unwürdigen Umständen durch 'Beschluss des Kuratoriums' geschah. Kardinal Lehmann will das aber nicht ‚insinuiert’ haben, wie er später –im Mai 2009- verlauten lässt. Ex-Kirchenpräsident Steinacker wird, ähnlich wie Lehmann, bezüglich einer gemeinsamen Preisentgegennahme mit negativen Äußerungen zitiert, hat meiner Wahrnehmung nach die Ausladung Kermanis in keiner Form bedauert.

Fortsetzung: GEKREUZIGTER MESSIAS ALS POLITIKUM
 



 
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