Tückischer Kulturpreis II

Bericht zur Kulturpolitik eines deutschen Bundeslandes (II)


GEKREUZIGTER MESSIAS ALS POLITIKUM

Eine Rekonstruktion der turbulenten Vorgänge, die nicht zufällig ungenaues Wissen und Spekulation hervorrufen, könnte wie folgt aussehen: Die Preisträger hatten Zeit, sich mit den inhaltlichen und formalen Umständen der Preisverleihung vertraut zu machen. Und so ereignete sich offenbar der entscheidende Knacks im Kulturgetriebe, der anscheinend durch starke emotionale Bedenken religiöser Art ausgelöst aber nicht verursacht wurde. Lehmann und Steinacker entdeckten (unabhängig voneinander?) in der schriftstellerischen Tätigkeit des Orientalisten und Mitglieds der deutschen Islamkonferenz, Kermani, einen nicht erträglichen, d.h. nicht tolerierbaren Gedanken. Dem äußeren Anscheine nach drehte sich dieser um die sogenannte Kreuzestheologie, die im Zusammenhang mit der frohen österlichen Botschaft der Auferstehung des Jesus von Nazareth und der Erlösung der Menschheit von den Leiden der Welt zugleich auch dunkle und schmerzvolle Seiten menschlicher Existenz reflektiert.
An dieser Stelle sucht uns also der Teufel der Geheimhaltung und der gezielten Indiskretion heim, denn weder die genauen Argumente, die im interreligiösen Dialog eingebracht werden könnten, noch die genauen Worte, mit denen –soweit öffentlich bekannt- Lehmann und Steinacker auf die politischen Instanzen Einfluss nahmen, sind zuverlässig bekannt. Das ist der Grund für meine Spekulation hinsichtlich der kulturpolitischen Linie der (noch) nicht ausgeladenen Preisträger und der Landesregierung selbst.
Tatsächlich schreibt Kermani im März 2009 in der Neuen Züricher Zeitung ( NZZ), um sich von der jüdischen und islamischen ‚Höflichkeit’ in Sachen Kreuz zu unterscheiden: „Für mich formuliere ich die Ablehnung der Kreuzestheologie drastischer: Gotteslästerung und Idolatrie“. Das christliche Dogma ist damit einem schwerwiegenden Verdacht ausgesetzt, dem theologischen Wahrheitsanspruch nicht gerecht zu werden und mit einem Trugbild Gottes zu operieren. Kermani greift eine Ahnung der Autoren der Bibel auf – Paulus wusste als Briefschreiber an seine Anhänger, dass seine religiöse Konzeption des gekreuzigten Messias „den Griechen eine Torheit und den Juden ein Ärgernis“ war- , ohne den betenden Christen einen Vorwurf machen zu wollen, was er auch ausdrücklich in Respekt vor Andersgläubigen in der NZZ betont. Es geht ihm also allein um die Fragwürdigkeit des Dogmas und die drastische Formulierung eines Verdachts, den er diesem Dogma gegenüber hegt. Aber er formuliert nicht einfach einen erdachten Verdacht gegen ein religiöses Dogma. Er illustriert mit einfachen Worten, welche Gedanken und Gefühle in demjenigen aufkommen können, der die ästhetische Verarbeitung eines künstlerischen Produkts im Begriffe ist zu realisieren.
Kermani analysiert genau in diesem Sinne die ‚Kreuzigung’ von Guido Reni (1575-1642). Als er in der Kirche San Lorenzo in Lucina vor dem Altarbild saß, so erinnert er sich im Nachhinein an seine Empfindungen, „fand (ich) den Anblick so berückend, so voller Segen, dass ich am liebsten nicht mehr aufgestanden wäre. Erstmals dachte ich: Ich –nicht nur: man-, ich könnte an ein Kreuz glauben“. Es erging ihm wohl so ähnlich wie einem ästhetisch sensiblen Menschen, den Wohlbefinden durchdringt, wenn er den wundervollen Klang gregorianischer Chöre in sich aufnimmt. Aber der ästhetisch geschulte Schriftsteller beendet seine Betrachtung nicht in euphorischer Schwärmerei für das Kreuz, sondern zwiespältig. Er stellt zum Gekreuzigten fest: „Sein Blick ist der letzte vor der Wiederauf-erstehung, auf die er nicht zu hoffen scheint“. Der elegante Stil des Künstlers, der sich in glatten und ästhetisierenden Formen des Altarbildes ausdrückt, hat zur Überraschung des heutigen Betrachters bei ihm den wohltuenden Eindruck hervorgerufen, dass Folter und Schmerz bei der Verehrung des Kreuzes sich nicht unbedingt als unangemessene Verdrängung oder gar Rechtfertigungsideologie bemerkbar machen muss. Seine Betrachtung trägt die Überschrift: „Warum hast Du uns verlassen?“ Auch diese Frage, an biblischen Texten orientiert, macht die undogmatische, skeptische Intention des Schriftstellers deutlich. Diese interessiert sich für das religiöse Geheimnis, wie der gefolterte und verspottete Messias in seiner Erniedrigung mit der göttlichen Mission umgeht. Wenn Kermani zur christlichen Idee der Wiederauferstehung schreibt, dass der Messias, dem dies gelungen sein soll, selbst auf ein solches Wunder ‚nicht zu hoffen scheint’, mildert er seine anfänglich drastische Formulierung ab, ohne ihren Kern aufzugeben. Kermani verharrt am Berührungspunkt der religiösen mit der materiellen Welt, ohne zu sehen, dass Gefühle der Verlassenheit und Hoffnungslosigkeit in uns allen aufkommen, wenn wir vom irdischen Leidensdruck überwältigt werden.
Dass die Verwalter des christlichen Erbes in ihrer religiösen Identität sich angegriffen fühlten, ist verständlich und hat im ersten Moment mit Intoleranz noch wenig zu tun. Es steht uns an ihren religiösen Empfindungen keine Kritik zu. Selbst wenn sie versichern würden, dass ihnen Zweifel an den christlichen Glaubensgrundlagen völlig fremd sind, wäre eine auf unglaubwürdige Theologie und Glaubenspraxis zielende Kritik nicht unbedingt zweckmäßig. Allerdings könnten solche Zweifel, wo sie eingestanden werden, objektiv einen Berührungspunkt für interreligiösen Dialog erzeugen. Da logische Begründung, wie Paulus wusste, in keinem Fall das altertümliche Folterinstrument zwingend zum Symbol des Glaubens macht, befinden wir uns beim christlichen Kreuz auf ureigenem religiösen Terrain. Hier hängt es nun ganz von der Betrachtung und Akzentuierung der einzelnen religiösen Gegenstände ab, ob man das Kreuz in den Mittelpunkt stellt, ihm ein kleineres Gewicht unter anderen Gewichten zuerkennt oder ganz auf es verzichtet. Das alles ist Glaubenssache und unterliegt somit der Freiheit und ihren wohl verstandenen Begrenzungen, um die in der Gesellschaft gerungen wird. Nebenbei sei daran erinnert, dass das Kreuz in verschiedenen Versionen und Formen fürchterlich missbraucht wurde. Und doch nützt gegen den Missbrauch weder die Errichtung von Tabus noch das direkte Verbot mit Strafandrohung.
Interessanter bezüglich des religiös aufgeladenen Kulturkonflikts ist jedoch folgende Überlegung. Die zentrale Idee der christlichen Lehre erscheint uns auch heute noch als einigermaßen kreativ und genial: Jesus von Nazareth ist in ihrer Sicht wahrer Mensch und wahrer Gott. Vergängliches und ewiges Leben durchdringen sich danach zu einer unzertrennlichen, dreifaltigen Einheit von Vater, Sohn und heiligem Geist, die den besten, denkbaren Schutz vor ‚falscher’ Gottesverehrung bildet. Diese Konstruktion bewährt sich in einem doppelten Vorteil: Alles ist durch inneres Erlebnis (des Glaubens) ausnahmslos jedem Menschen zugänglich , wenn er sich nicht durch strikte Betätigung der Vernunft dagegen sperrt, und begründet ein Bewusstsein der -illusionären- Überlegenheit und Aufgeklärtheit. Schutz vor religiöser Regression, dem Rückfall in Polytheismus, Naturreligion, Götzendienst erscheint dem Christentum und seinen überzeugten und bewussten Anhängern mit der Dreifaltigkeitslehre als im höchsten Maße sicher. Dazu trägt das enorme Rationalisierungs-potential der göttlichen Identität in der Form des Vater/Sohnverhältnisses bei. Dass neben diesen religiösen Kernbestand heute tatsächlich eine Vielzahl von Ersatzreligionen mit größerer Anziehungskraft getreten ist, hat identifizierbare politische Ursachen, ändert an dieser inhaltlichen Sicht und der Bezugsebene der Dialogfähigkeit/Unfähigkeit monotheistischer Religionen wenig.
Die monotheistische Religion, die sich ja zunächst auf die schwersten Vergehen gegen den Vater gründet, steht im Laufe der Zeit vor der ernsten Gefahr regressiver Verehrungsformen und gefährdet damit auch die menschliche Gesellschaft in ihrem kulturellen Bestand. Auf diesem Boden waren ja in religiöser Opposition zum jüdischen Glauben –und auf dessen Grundlage- die ersten kleinen christlichen Gemeinden vor 2000 Jahren entstanden. Es entlastet die Gesellschaft durch rigorose Abschaffung unsäglicher Opfer und auch psychisch die starken männlichen Nachfolger, wenn ihr Glaube nicht mehr auf einen einzigen, sterilen, fernen Gott Vater ausgerichtet werden muss. Dieser einzige Gott hatte nach der Lesart der jungen jüdischen Reformbewegung sich entschlossen, selbst Mensch zu werden, als Sohn schwerste Leiden auf sich zu nehmen - um der Erlösung der Menschheit willen. Damit wird den tyrannischen Gefahren Rechnung getragen, die von der Monopolstellung eines einzigen Gott Vater ausgeht. Die Menschensöhne dürfen sich durch Gottes Offenbarungsbeschluss von schwerer Last befreit fühlen. Dass Gott danach auch im Mitmenschen sein kann, dass er in uns allen selbst existiere, ist eine Vorstellung, die vermutlich den wirklichen Verhältnissen recht nahe kommt. Vom Ansatz her ist die christliche Religion ein Rationalitätsfortschritt, weil sie effizienter einsetzbare Mittel in die Hand gibt, den Schuldkomplex umfassend abzuklären. Es ist offensichtlich, dass die beiden anderen abrahamischen, überlieferten monotheistischen Religionen das Problem der Schuld entsprechend ihren historischen Entstehungsbedingungen als Offenbarungsreligion auf andere Weise aufgreifen und lösen. Auch die unmittelbare Intention des Jesus von Nazareth, die eher rückwärts, auf Buße und Rekonstruktion originärer Gläubigkeit gerichtet war, ändert an der nachträglichen Interpretation seiner Anhänger und deren Verkündigungswirkung wenig. Die Forschung kann solche Widersprüche zwischen Original und dogmengeschichtlicher Entwicklung enthüllen.
Dass die christlichen Ideen einen weitreichenden Einfluss auf das bürgerliche politische Konzept der Gewaltenteilung ausgeübt haben, erscheint mir ein ziemlich überzeugender, wenn auch nicht einfach nachzuvollziehender Gedanke zu sein.
Und nun kommt ein westlicher Orientalist (der deutsche Iraner, iranische Deutsche) und äußert öffentlich den massiven Verdacht, dass die christliche Lehre ihren eigenen Anspruch nicht ernst nimmt und im Endeffekt simplen Götzendienst und damit Gotteslästerung betreibt. Da dies aus christlicher Sicht zunächst ein Schock durch Wahrnehmung ist, so macht die Kritik auf der Seite Kermanis nur insoweit Sinn, soweit sie die religiöse Ebene nicht mit einer radikalen, unversöhnlichen Verweigerungshaltung verlässt. Der Text Kermanis verkörpert Religionskritik, ohne die Religion in Bausch und Bogen zu verurteilen. Diese Position muss heute im interreligiösen Dialog als angemessen gelten.
Auch wenn Kermani seine ‚drastische’ Formulierung etwas mildern würde, so wäre es kaum sinnvoll, beispielsweise von einer ‚gut gemeinten’ Gotteslästerung zu sprechen. Im Kern flackert in den wenigen kritischen Worten in der NZZ ein fest in der Erde vermauerter Typ von Religionskritik auf, dem eher die ästhetische als die religiöse Ebene als Urteilsmaßstab gilt. Vor einer gemeinsamen, dialogfähigen Verständnisebene zwischen monotheistischen religiösen Lehren türmen sich beim ersten Hinschauen nur schwer überwindbare Hindernisse auf, solange die Verständigung unter der Prämisse der alleinigen Geltung spezieller ‚religiöser Wahrheiten’ intendiert ist und geführt wird. Außer über den Punkt des Glaubenszweifels oder durch bewusste Geltendmachung von Vernunftgeboten lässt sich ganz offensichtlich der Schock der christlichen, jüdischen, islamischen Dialogunfähigkeit nicht auflösen. Dies heißt zunächst, dass wir weder wissen, noch uns denken können, wie Lehmann und Steinacker, vielleicht auch Korn, Dialogfähigkeit unter Beweis stellen wollen. Aller Voraussicht nach müssen wir darauf noch einmal zurückkommen.
Es war ihnen ja zu leicht gelungen (vielleicht ohne es ernsthaft zu beabsichtigen?), Kermani vom versprochenen Ehrenplatz mit entsprechender Dotierung zu verdrängen, was jedoch allein die Hessische Landesregierung zu verantworten hat, denn es handelt sich um den von ihr gestifteten und vergebenen Preis. Sie hätte nach der Erfahrung des Rücktritts Sezgins jetzt nach dem angedrohten(?) Rücktritt der beiden christlichen Vertreter den interreligiösen Dialog als vorerst nicht führbar eingestehen und den diesjahrigen Preisverleihungsverzicht dem jüdischen und islamischen Vertreter offen und ehrlich begründen müssen. Das tat die Landesregierung nicht, weil der ‚Rücktritt’ der beiden Christen in Wahrheit eine von der Koch-Regierung konstruierte, repressive, inkompetente Maßnahme war – und/oder eine theologisch nicht legitime Erpressung und Aggression, der sich Koch nur andienerte. Stattdessen kann nun Jedermann beobachten, wie maßlose Arroganz und Oberflächlichkeit mit nervösen, hilflosen Erklärungen sich paaren, die nur einem einzigen Zwecke nützlich sind: Reinwaschung – keiner will Schuld auf sich sitzen lassen. Dies Motiv tendiert im privaten und erst recht im öffentlichen Leben zu einer zähen, nachhaltigen Vitalität – ein typisches Kulturphänomen .
Deswegen wird man feststellen dürfen, dass die Sache nicht gegessen war. Im eigenen Lager rumorte es sofort: ‚Missverständnis’ und es habe ‚den Falschen getroffen’. In der Öffentlichkeit wurde gemutmaßt, am Ende handle es sich wohl um einen “Preis für Intoleranz“ und gemäß der interessierten Ideologie vom „Krieg der Kulturen“ zeige der „Fall Koch/Lehmann“, dass „viele ihn gerne führen würden“. In dieser zweiten Phase des Eklats drohte der Kulturpreis vernichtend zu explodieren. Kermani selbst hat auf Anfrage in einem offenen Brief in der FAZ auf die Entscheidung des Hessischen Ministerpräsidenten , ihm den zuerkannten Preis wieder abzuerkennen, kurz und prägnant geantwortet: „Ob ich denn nicht wisse, dass mir der Hessische Kulturpreis aberkannt wurde? Nein, ich wusste es nicht.(…) Sehr geehrter Herr Koch, ich hoffe, dass Sie sich wenigstens schämen. Mit freundlichen Grüßen aus dem katholischen Köln, Navid Kermani.“
 
Bericht zur Kulturpolitik eines deutschen Bundeslandes (II)


GEKREUZIGTER MESSIAS ALS POLITIKUM

Eine Rekonstruktion der turbulenten Vorgänge, die nicht zufällig ungenaues Wissen und Spekulation hervorrufen, könnte wie folgt aussehen: Die Preisträger hatten Zeit, sich mit den inhaltlichen und formalen Umständen der Preisverleihung vertraut zu machen. Und so ereignete sich offenbar der entscheidende Knacks im Kulturgetriebe, der anscheinend durch starke emotionale Bedenken religiöser Art ausgelöst aber nicht verursacht wurde. Lehmann und Steinacker entdeckten (unabhängig voneinander?) in der schriftstellerischen Tätigkeit des Orientalisten und Mitglieds der deutschen Islamkonferenz, Kermani, einen nicht erträglichen, d.h. nicht tolerierbaren Gedanken. Dem äußeren Anscheine nach drehte sich dieser um die sogenannte Kreuzestheologie, die im Zusammenhang mit der frohen österlichen Botschaft der Auferstehung des Jesus von Nazareth und der Erlösung der Menschheit von den Leiden der Welt zugleich auch dunkle und schmerzvolle Seiten menschlicher Existenz reflektiert.
An dieser Stelle sucht uns also der Teufel der Geheimhaltung und der gezielten Indiskretion heim, denn weder die genauen Argumente, die im interreligiösen Dialog eingebracht werden könnten, noch die genauen Worte, mit denen –soweit öffentlich bekannt- Lehmann und Steinacker auf die politischen Instanzen Einfluss nahmen, sind zuverlässig bekannt. Das ist der Grund für meine Spekulation hinsichtlich der kulturpolitischen Linie der (noch) nicht ausgeladenen Preisträger und der Landesregierung selbst.
Tatsächlich schreibt Kermani im März 2009 in der Neuen Züricher Zeitung ( NZZ), um sich von der jüdischen und islamischen ‚Höflichkeit’ in Sachen Kreuz zu unterscheiden: „Für mich formuliere ich die Ablehnung der Kreuzestheologie drastischer: Gotteslästerung und Idolatrie“. Das christliche Dogma ist damit einem schwerwiegenden Verdacht ausgesetzt, dem theologischen Wahrheitsanspruch nicht gerecht zu werden und mit einem Trugbild Gottes zu operieren. Kermani greift eine Ahnung der Autoren der Bibel auf – Paulus wusste als Briefschreiber an seine Anhänger, dass seine religiöse Konzeption des gekreuzigten Messias „den Griechen eine Torheit und den Juden ein Ärgernis“ war- , ohne den betenden Christen einen Vorwurf machen zu wollen, was er auch ausdrücklich in Respekt vor Andersgläubigen in der NZZ betont. Es geht ihm also allein um die Fragwürdigkeit des Dogmas und die drastische Formulierung eines Verdachts, den er diesem Dogma gegenüber hegt. Aber er formuliert nicht einfach einen erdachten Verdacht gegen ein religiöses Dogma. Er illustriert mit einfachen Worten, welche Gedanken und Gefühle in demjenigen aufkommen können, der die ästhetische Verarbeitung eines künstlerischen Produkts im Begriffe ist zu realisieren.
Kermani analysiert genau in diesem Sinne die ‚Kreuzigung’ von Guido Reni (1575-1642). Als er in der Kirche San Lorenzo in Lucina vor dem Altarbild saß, so erinnert er sich im Nachhinein an seine Empfindungen, „fand (ich) den Anblick so berückend, so voller Segen, dass ich am liebsten nicht mehr aufgestanden wäre. Erstmals dachte ich: Ich –nicht nur: man-, ich könnte an ein Kreuz glauben“. Es erging ihm wohl so ähnlich wie einem ästhetisch sensiblen Menschen, den Wohlbefinden durchdringt, wenn er den wundervollen Klang gregorianischer Chöre in sich aufnimmt. Aber der ästhetisch geschulte Schriftsteller beendet seine Betrachtung nicht in euphorischer Schwärmerei für das Kreuz, sondern zwiespältig. Er stellt zum Gekreuzigten fest: „Sein Blick ist der letzte vor der Wiederauf-erstehung, auf die er nicht zu hoffen scheint“. Der elegante Stil des Künstlers, der sich in glatten und ästhetisierenden Formen des Altarbildes ausdrückt, hat zur Überraschung des heutigen Betrachters bei ihm den wohltuenden Eindruck hervorgerufen, dass Folter und Schmerz bei der Verehrung des Kreuzes sich nicht unbedingt als unangemessene Verdrängung oder gar Rechtfertigungsideologie bemerkbar machen muss. Seine Betrachtung trägt die Überschrift: „Warum hast Du uns verlassen?“ Auch diese Frage, an biblischen Texten orientiert, macht die undogmatische, skeptische Intention des Schriftstellers deutlich. Diese interessiert sich für das religiöse Geheimnis, wie der gefolterte und verspottete Messias in seiner Erniedrigung mit der göttlichen Mission umgeht. Wenn Kermani zur christlichen Idee der Wiederauferstehung schreibt, dass der Messias, dem dies gelungen sein soll, selbst auf ein solches Wunder ‚nicht zu hoffen scheint’, mildert er seine anfänglich drastische Formulierung ab, ohne ihren Kern aufzugeben. Kermani verharrt am Berührungspunkt der religiösen mit der materiellen Welt, ohne zu sehen, dass Gefühle der Verlassenheit und Hoffnungslosigkeit in uns allen aufkommen, wenn wir vom irdischen Leidensdruck überwältigt werden.
Dass die Verwalter des christlichen Erbes in ihrer religiösen Identität sich angegriffen fühlten, ist verständlich und hat im ersten Moment mit Intoleranz noch wenig zu tun. Es steht uns an ihren religiösen Empfindungen keine Kritik zu. Selbst wenn sie versichern würden, dass ihnen Zweifel an den christlichen Glaubensgrundlagen völlig fremd sind, wäre eine auf unglaubwürdige Theologie und Glaubenspraxis zielende Kritik nicht unbedingt zweckmäßig. Allerdings könnten solche Zweifel, wo sie eingestanden werden, objektiv einen Berührungspunkt für interreligiösen Dialog erzeugen. Da logische Begründung, wie Paulus wusste, in keinem Fall das altertümliche Folterinstrument zwingend zum Symbol des Glaubens macht, befinden wir uns beim christlichen Kreuz auf ureigenem religiösen Terrain. Hier hängt es nun ganz von der Betrachtung und Akzentuierung der einzelnen religiösen Gegenstände ab, ob man das Kreuz in den Mittelpunkt stellt, ihm ein kleineres Gewicht unter anderen Gewichten zuerkennt oder ganz auf es verzichtet. Das alles ist Glaubenssache und unterliegt somit der Freiheit und ihren wohl verstandenen Begrenzungen, um die in der Gesellschaft gerungen wird. Nebenbei sei daran erinnert, dass das Kreuz in verschiedenen Versionen und Formen fürchterlich missbraucht wurde. Und doch nützt gegen den Missbrauch weder die Errichtung von Tabus noch das direkte Verbot mit Strafandrohung.
Interessanter bezüglich des religiös aufgeladenen Kulturkonflikts ist jedoch folgende Überlegung. Die zentrale Idee der christlichen Lehre erscheint uns auch heute noch als einigermaßen kreativ und genial: Jesus von Nazareth ist in ihrer Sicht wahrer Mensch und wahrer Gott. Vergängliches und ewiges Leben durchdringen sich danach zu einer unzertrennlichen, dreifaltigen Einheit von Vater, Sohn und heiligem Geist, die den besten, denkbaren Schutz vor ‚falscher’ Gottesverehrung bildet. Diese Konstruktion bewährt sich in einem doppelten Vorteil: Alles ist durch inneres Erlebnis (des Glaubens) ausnahmslos jedem Menschen zugänglich , wenn er sich nicht durch strikte Betätigung der Vernunft dagegen sperrt, und begründet ein Bewusstsein der -illusionären- Überlegenheit und Aufgeklärtheit. Schutz vor religiöser Regression, dem Rückfall in Polytheismus, Naturreligion, Götzendienst erscheint dem Christentum und seinen überzeugten und bewussten Anhängern mit der Dreifaltigkeitslehre als im höchsten Maße sicher. Dazu trägt das enorme Rationalisierungs-potential der göttlichen Identität in der Form des Vater/Sohnverhältnisses bei. Dass neben diesen religiösen Kernbestand heute tatsächlich eine Vielzahl von Ersatzreligionen mit größerer Anziehungskraft getreten ist, hat identifizierbare politische Ursachen, ändert an dieser inhaltlichen Sicht und der Bezugsebene der Dialogfähigkeit/Unfähigkeit monotheistischer Religionen wenig.
Die monotheistische Religion, die sich ja zunächst auf die schwersten Vergehen gegen den Vater gründet, steht im Laufe der Zeit vor der ernsten Gefahr regressiver Verehrungsformen und gefährdet damit auch die menschliche Gesellschaft in ihrem kulturellen Bestand. Auf diesem Boden waren ja in religiöser Opposition zum jüdischen Glauben –und auf dessen Grundlage- die ersten kleinen christlichen Gemeinden vor 2000 Jahren entstanden. Es entlastet die Gesellschaft durch rigorose Abschaffung unsäglicher Opfer und auch psychisch die starken männlichen Nachfolger, wenn ihr Glaube nicht mehr auf einen einzigen, sterilen, fernen Gott Vater ausgerichtet werden muss. Dieser einzige Gott hatte nach der Lesart der jungen jüdischen Reformbewegung sich entschlossen, selbst Mensch zu werden, als Sohn schwerste Leiden auf sich zu nehmen - um der Erlösung der Menschheit willen. Damit wird den tyrannischen Gefahren Rechnung getragen, die von der Monopolstellung eines einzigen Gott Vater ausgeht. Die Menschensöhne dürfen sich durch Gottes Offenbarungsbeschluss von schwerer Last befreit fühlen. Dass Gott danach auch im Mitmenschen sein kann, dass er in uns allen selbst existiere, ist eine Vorstellung, die vermutlich den wirklichen Verhältnissen recht nahe kommt. Vom Ansatz her ist die christliche Religion ein Rationalitätsfortschritt, weil sie effizienter einsetzbare Mittel in die Hand gibt, den Schuldkomplex umfassend abzuklären. Es ist offensichtlich, dass die beiden anderen abrahamischen, überlieferten monotheistischen Religionen das Problem der Schuld entsprechend ihren historischen Entstehungsbedingungen als Offenbarungsreligion auf andere Weise aufgreifen und lösen. Auch die unmittelbare Intention des Jesus von Nazareth, die eher rückwärts, auf Buße und Rekonstruktion originärer Gläubigkeit gerichtet war, ändert an der nachträglichen Interpretation seiner Anhänger und deren Verkündigungswirkung wenig. Die Forschung kann solche Widersprüche zwischen Original und dogmengeschichtlicher Entwicklung enthüllen.
Dass die christlichen Ideen einen weitreichenden Einfluss auf das bürgerliche politische Konzept der Gewaltenteilung ausgeübt haben, erscheint mir ein ziemlich überzeugender, wenn auch nicht einfach nachzuvollziehender Gedanke zu sein.
Und nun kommt ein westlicher Orientalist (der deutsche Iraner, iranische Deutsche) und äußert öffentlich den massiven Verdacht, dass die christliche Lehre ihren eigenen Anspruch nicht ernst nimmt und im Endeffekt simplen Götzendienst und damit Gotteslästerung betreibt. Da dies aus christlicher Sicht zunächst ein Schock durch Wahrnehmung ist, so macht die Kritik auf der Seite Kermanis nur insoweit Sinn, soweit sie die religiöse Ebene nicht mit einer radikalen, unversöhnlichen Verweigerungshaltung verlässt. Der Text Kermanis verkörpert Religionskritik, ohne die Religion in Bausch und Bogen zu verurteilen. Diese Position muss heute im interreligiösen Dialog als angemessen gelten.
Auch wenn Kermani seine ‚drastische’ Formulierung etwas mildern würde, so wäre es kaum sinnvoll, beispielsweise von einer ‚gut gemeinten’ Gotteslästerung zu sprechen. Im Kern flackert in den wenigen kritischen Worten in der NZZ ein fest in der Erde vermauerter Typ von Religionskritik auf, dem eher die ästhetische als die religiöse Ebene als Urteilsmaßstab gilt. Vor einer gemeinsamen, dialogfähigen Verständnisebene zwischen monotheistischen religiösen Lehren türmen sich beim ersten Hinschauen nur schwer überwindbare Hindernisse auf, solange die Verständigung unter der Prämisse der alleinigen Geltung spezieller ‚religiöser Wahrheiten’ intendiert ist und geführt wird. Außer über den Punkt des Glaubenszweifels oder durch bewusste Geltendmachung von Vernunftgeboten lässt sich ganz offensichtlich der Schock der christlichen, jüdischen, islamischen Dialogunfähigkeit nicht auflösen. Dies heißt zunächst, dass wir weder wissen, noch uns denken können, wie Lehmann und Steinacker, vielleicht auch Korn, Dialogfähigkeit unter Beweis stellen wollen. Aller Voraussicht nach müssen wir darauf noch einmal zurückkommen.
Es war ihnen ja zu leicht gelungen (vielleicht ohne es ernsthaft zu beabsichtigen?), Kermani vom versprochenen Ehrenplatz mit entsprechender Dotierung zu verdrängen, was jedoch allein die Hessische Landesregierung zu verantworten hat, denn es handelt sich um den von ihr gestifteten und vergebenen Preis. Sie hätte nach der Erfahrung des Rücktritts Sezgins jetzt nach dem angedrohten(?) Rücktritt der beiden christlichen Vertreter den interreligiösen Dialog als vorerst nicht führbar eingestehen und den diesjahrigen Preisverleihungsverzicht dem jüdischen und islamischen Vertreter offen und ehrlich begründen müssen. Das tat die Landesregierung nicht, weil der ‚Rücktritt’ der beiden Christen in Wahrheit eine von der Koch-Regierung konstruierte, repressive, inkompetente Maßnahme war – und/oder eine theologisch nicht legitime Erpressung und Aggression, der sich Koch nur andienerte. Stattdessen kann nun Jedermann beobachten, wie maßlose Arroganz und Oberflächlichkeit mit nervösen, hilflosen Erklärungen sich paaren, die nur einem einzigen Zwecke nützlich sind: Reinwaschung – keiner will Schuld auf sich sitzen lassen. Dies Motiv tendiert im privaten und erst recht im öffentlichen Leben zu einer zähen, nachhaltigen Vitalität – ein typisches Kulturphänomen .
Deswegen wird man feststellen dürfen, dass die Sache nicht gegessen war. Im eigenen Lager rumorte es sofort: ‚Missverständnis’ und es habe ‚den Falschen getroffen’. In der Öffentlichkeit wurde gemutmaßt, am Ende handle es sich wohl um einen “Preis für Intoleranz“ und gemäß der interessierten Ideologie vom „Krieg der Kulturen“ zeige der „Fall Koch/Lehmann“, dass „viele ihn gerne führen würden“. In dieser zweiten Phase des Eklats drohte der Kulturpreis vernichtend zu explodieren. Kermani selbst hat auf Anfrage in einem offenen Brief in der FAZ auf die Entscheidung des Hessischen Ministerpräsidenten , ihm den zuerkannten Preis wieder abzuerkennen, kurz und prägnant geantwortet: „Ob ich denn nicht wisse, dass mir der Hessische Kulturpreis aberkannt wurde? Nein, ich wusste es nicht.(…) Sehr geehrter Herr Koch, ich hoffe, dass Sie sich wenigstens schämen. Mit freundlichen Grüßen aus dem katholischen Köln, Navid Kermani.“
Fortsetzung: RETTUNG DES INTERRELIGIÖSEN DIALOGS -
DES HESSISCHEN KULTURPREISES?
Verleihung am 26.November 2009
 
Bericht zur Kulturpolitik eines deutschen Bundeslandes (II)


GEKREUZIGTER MESSIAS ALS POLITIKUM

Eine Rekonstruktion der turbulenten Vorgänge, die nicht zufällig ungenaues Wissen und Spekulation hervorrufen, könnte wie folgt aussehen: Die Preisträger hatten Zeit, sich mit den inhaltlichen und formalen Umständen der Preisverleihung vertraut zu machen. Und so ereignete sich offenbar der entscheidende Knacks im Kulturgetriebe, der anscheinend durch starke emotionale Bedenken religiöser Art ausgelöst aber nicht verursacht wurde. Lehmann und Steinacker entdeckten (unabhängig voneinander?) in der schriftstellerischen Tätigkeit des Orientalisten und Mitglieds der deutschen Islamkonferenz, Kermani, einen nicht erträglichen, d.h. nicht tolerierbaren Gedanken. Dem äußeren Anscheine nach drehte sich dieser um die sogenannte Kreuzestheologie, die im Zusammenhang mit der frohen österlichen Botschaft der Auferstehung des Jesus von Nazareth und der Erlösung der Menschheit von den Leiden der Welt zugleich auch dunkle und schmerzvolle Seiten menschlicher Existenz reflektiert.
An dieser Stelle sucht uns also der Teufel der Geheimhaltung und der gezielten Indiskretion heim, denn weder die genauen Argumente, die im interreligiösen Dialog eingebracht werden könnten, noch die genauen Worte, mit denen –soweit öffentlich bekannt- Lehmann und Steinacker auf die politischen Instanzen Einfluss nahmen, sind zuverlässig bekannt. Das ist der Grund für meine Spekulation hinsichtlich der kulturpolitischen Linie der (noch) nicht ausgeladenen Preisträger und der Landesregierung selbst.
Tatsächlich schreibt Kermani im März 2009 in der Neuen Züricher Zeitung ( NZZ), um sich von der jüdischen und islamischen ‚Höflichkeit’ in Sachen Kreuz zu unterscheiden: „Für mich formuliere ich die Ablehnung der Kreuzestheologie drastischer: Gotteslästerung und Idolatrie“. Das christliche Dogma ist damit einem schwerwiegenden Verdacht ausgesetzt, dem theologischen Wahrheitsanspruch nicht gerecht zu werden und mit einem Trugbild Gottes zu operieren. Kermani greift eine Ahnung der Autoren der Bibel auf – Paulus wusste als Briefschreiber an seine Anhänger, dass seine religiöse Konzeption des gekreuzigten Messias „den Griechen eine Torheit und den Juden ein Ärgernis“ war- , ohne den betenden Christen einen Vorwurf machen zu wollen, was er auch ausdrücklich in Respekt vor Andersgläubigen in der NZZ betont. Es geht ihm also allein um die Fragwürdigkeit des Dogmas und die drastische Formulierung eines Verdachts, den er diesem Dogma gegenüber hegt. Aber er formuliert nicht einfach einen erdachten Verdacht gegen ein religiöses Dogma. Er illustriert mit einfachen Worten, welche Gedanken und Gefühle in demjenigen aufkommen können, der die ästhetische Verarbeitung eines künstlerischen Produkts im Begriffe ist zu realisieren.
Kermani analysiert genau in diesem Sinne die ‚Kreuzigung’ von Guido Reni (1575-1642). Als er in der Kirche San Lorenzo in Lucina vor dem Altarbild saß, so erinnert er sich im Nachhinein an seine Empfindungen, „fand (ich) den Anblick so berückend, so voller Segen, dass ich am liebsten nicht mehr aufgestanden wäre. Erstmals dachte ich: Ich –nicht nur: man-, ich könnte an ein Kreuz glauben“. Es erging ihm wohl so ähnlich wie einem ästhetisch sensiblen Menschen, den Wohlbefinden durchdringt, wenn er den wundervollen Klang gregorianischer Chöre in sich aufnimmt. Aber der ästhetisch geschulte Schriftsteller beendet seine Betrachtung nicht in euphorischer Schwärmerei für das Kreuz, sondern zwiespältig. Er stellt zum Gekreuzigten fest: „Sein Blick ist der letzte vor der Wiederauf-erstehung, auf die er nicht zu hoffen scheint“. Der elegante Stil des Künstlers, der sich in glatten und ästhetisierenden Formen des Altarbildes ausdrückt, hat zur Überraschung des heutigen Betrachters bei ihm den wohltuenden Eindruck hervorgerufen, dass Folter und Schmerz bei der Verehrung des Kreuzes sich nicht unbedingt als unangemessene Verdrängung oder gar Rechtfertigungsideologie bemerkbar machen muss. Seine Betrachtung trägt die Überschrift: „Warum hast Du uns verlassen?“ Auch diese Frage, an biblischen Texten orientiert, macht die undogmatische, skeptische Intention des Schriftstellers deutlich. Diese interessiert sich für das religiöse Geheimnis, wie der gefolterte und verspottete Messias in seiner Erniedrigung mit der göttlichen Mission umgeht. Wenn Kermani zur christlichen Idee der Wiederauferstehung schreibt, dass der Messias, dem dies gelungen sein soll, selbst auf ein solches Wunder ‚nicht zu hoffen scheint’, mildert er seine anfänglich drastische Formulierung ab, ohne ihren Kern aufzugeben. Kermani verharrt am Berührungspunkt der religiösen mit der materiellen Welt, ohne zu sehen, dass Gefühle der Verlassenheit und Hoffnungslosigkeit in uns allen aufkommen, wenn wir vom irdischen Leidensdruck überwältigt werden.
Dass die Verwalter des christlichen Erbes in ihrer religiösen Identität sich angegriffen fühlten, ist verständlich und hat im ersten Moment mit Intoleranz noch wenig zu tun. Es steht uns an ihren religiösen Empfindungen keine Kritik zu. Selbst wenn sie versichern würden, dass ihnen Zweifel an den christlichen Glaubensgrundlagen völlig fremd sind, wäre eine auf unglaubwürdige Theologie und Glaubenspraxis zielende Kritik nicht unbedingt zweckmäßig. Allerdings könnten solche Zweifel, wo sie eingestanden werden, objektiv einen Berührungspunkt für interreligiösen Dialog erzeugen. Da logische Begründung, wie Paulus wusste, in keinem Fall das altertümliche Folterinstrument zwingend zum Symbol des Glaubens macht, befinden wir uns beim christlichen Kreuz auf ureigenem religiösen Terrain. Hier hängt es nun ganz von der Betrachtung und Akzentuierung der einzelnen religiösen Gegenstände ab, ob man das Kreuz in den Mittelpunkt stellt, ihm ein kleineres Gewicht unter anderen Gewichten zuerkennt oder ganz auf es verzichtet. Das alles ist Glaubenssache und unterliegt somit der Freiheit und ihren wohl verstandenen Begrenzungen, um die in der Gesellschaft gerungen wird. Nebenbei sei daran erinnert, dass das Kreuz in verschiedenen Versionen und Formen fürchterlich missbraucht wurde. Und doch nützt gegen den Missbrauch weder die Errichtung von Tabus noch das direkte Verbot mit Strafandrohung.
Interessanter bezüglich des religiös aufgeladenen Kulturkonflikts ist jedoch folgende Überlegung. Die zentrale Idee der christlichen Lehre erscheint uns auch heute noch als einigermaßen kreativ und genial: Jesus von Nazareth ist in ihrer Sicht wahrer Mensch und wahrer Gott. Vergängliches und ewiges Leben durchdringen sich danach zu einer unzertrennlichen, dreifaltigen Einheit von Vater, Sohn und heiligem Geist, die den besten, denkbaren Schutz vor ‚falscher’ Gottesverehrung bildet. Diese Konstruktion bewährt sich in einem doppelten Vorteil: Alles ist durch inneres Erlebnis (des Glaubens) ausnahmslos jedem Menschen zugänglich , wenn er sich nicht durch strikte Betätigung der Vernunft dagegen sperrt, und begründet ein Bewusstsein der -illusionären- Überlegenheit und Aufgeklärtheit. Schutz vor religiöser Regression, dem Rückfall in Polytheismus, Naturreligion, Götzendienst erscheint dem Christentum und seinen überzeugten und bewussten Anhängern mit der Dreifaltigkeitslehre als im höchsten Maße sicher. Dazu trägt das enorme Rationalisierungs-potential der göttlichen Identität in der Form des Vater/Sohnverhältnisses bei. Dass neben diesen religiösen Kernbestand heute tatsächlich eine Vielzahl von Ersatzreligionen mit größerer Anziehungskraft getreten ist, hat identifizierbare politische Ursachen, ändert an dieser inhaltlichen Sicht und der Bezugsebene der Dialogfähigkeit/Unfähigkeit monotheistischer Religionen wenig.
Die monotheistische Religion, die sich ja zunächst auf die schwersten Vergehen gegen den Vater gründet, steht im Laufe der Zeit vor der ernsten Gefahr regressiver Verehrungsformen und gefährdet damit auch die menschliche Gesellschaft in ihrem kulturellen Bestand. Auf diesem Boden waren ja in religiöser Opposition zum jüdischen Glauben –und auf dessen Grundlage- die ersten kleinen christlichen Gemeinden vor 2000 Jahren entstanden. Es entlastet die Gesellschaft durch rigorose Abschaffung unsäglicher Opfer und auch psychisch die starken männlichen Nachfolger, wenn ihr Glaube nicht mehr auf einen einzigen, sterilen, fernen Gott Vater ausgerichtet werden muss. Dieser einzige Gott hatte nach der Lesart der jungen jüdischen Reformbewegung sich entschlossen, selbst Mensch zu werden, als Sohn schwerste Leiden auf sich zu nehmen - um der Erlösung der Menschheit willen. Damit wird den tyrannischen Gefahren Rechnung getragen, die von der Monopolstellung eines einzigen Gott Vater ausgeht. Die Menschensöhne dürfen sich durch Gottes Offenbarungsbeschluss von schwerer Last befreit fühlen. Dass Gott danach auch im Mitmenschen sein kann, dass er in uns allen selbst existiere, ist eine Vorstellung, die vermutlich den wirklichen Verhältnissen recht nahe kommt. Vom Ansatz her ist die christliche Religion ein Rationalitätsfortschritt, weil sie effizienter einsetzbare Mittel in die Hand gibt, den Schuldkomplex umfassend abzuklären. Es ist offensichtlich, dass die beiden anderen abrahamischen, überlieferten monotheistischen Religionen das Problem der Schuld entsprechend ihren historischen Entstehungsbedingungen als Offenbarungsreligion auf andere Weise aufgreifen und lösen. Auch die unmittelbare Intention des Jesus von Nazareth, die eher rückwärts, auf Buße und Rekonstruktion originärer Gläubigkeit gerichtet war, ändert an der nachträglichen Interpretation seiner Anhänger und deren Verkündigungswirkung wenig. Die Forschung kann solche Widersprüche zwischen Original und dogmengeschichtlicher Entwicklung enthüllen.
Dass die christlichen Ideen einen weitreichenden Einfluss auf das bürgerliche politische Konzept der Gewaltenteilung ausgeübt haben, erscheint mir ein ziemlich überzeugender, wenn auch nicht einfach nachzuvollziehender Gedanke zu sein.
Und nun kommt ein westlicher Orientalist (der deutsche Iraner, iranische Deutsche) und äußert öffentlich den massiven Verdacht, dass die christliche Lehre ihren eigenen Anspruch nicht ernst nimmt und im Endeffekt simplen Götzendienst und damit Gotteslästerung betreibt. Da dies aus christlicher Sicht zunächst ein Schock durch Wahrnehmung ist, so macht die Kritik auf der Seite Kermanis nur insoweit Sinn, soweit sie die religiöse Ebene nicht mit einer radikalen, unversöhnlichen Verweigerungshaltung verlässt. Der Text Kermanis verkörpert Religionskritik, ohne die Religion in Bausch und Bogen zu verurteilen. Diese Position muss heute im interreligiösen Dialog als angemessen gelten.
Auch wenn Kermani seine ‚drastische’ Formulierung etwas mildern würde, so wäre es kaum sinnvoll, beispielsweise von einer ‚gut gemeinten’ Gotteslästerung zu sprechen. Im Kern flackert in den wenigen kritischen Worten in der NZZ ein fest in der Erde vermauerter Typ von Religionskritik auf, dem eher die ästhetische als die religiöse Ebene als Urteilsmaßstab gilt. Vor einer gemeinsamen, dialogfähigen Verständnisebene zwischen monotheistischen religiösen Lehren türmen sich beim ersten Hinschauen nur schwer überwindbare Hindernisse auf, solange die Verständigung unter der Prämisse der alleinigen Geltung spezieller ‚religiöser Wahrheiten’ intendiert ist und geführt wird. Außer über den Punkt des Glaubenszweifels oder durch bewusste Geltendmachung von Vernunftgeboten lässt sich ganz offensichtlich der Schock der christlichen, jüdischen, islamischen Dialogunfähigkeit nicht auflösen. Dies heißt zunächst, dass wir weder wissen, noch uns denken können, wie Lehmann und Steinacker, vielleicht auch Korn, Dialogfähigkeit unter Beweis stellen wollen. Aller Voraussicht nach müssen wir darauf noch einmal zurückkommen.
Es war ihnen ja zu leicht gelungen (vielleicht ohne es ernsthaft zu beabsichtigen?), Kermani vom versprochenen Ehrenplatz mit entsprechender Dotierung zu verdrängen, was jedoch allein die Hessische Landesregierung zu verantworten hat, denn es handelt sich um den von ihr gestifteten und vergebenen Preis. Sie hätte nach der Erfahrung des Rücktritts Sezgins jetzt nach dem angedrohten(?) Rücktritt der beiden christlichen Vertreter den interreligiösen Dialog als vorerst nicht führbar eingestehen und den diesjahrigen Preisverleihungsverzicht dem jüdischen und islamischen Vertreter offen und ehrlich begründen müssen. Das tat die Landesregierung nicht, weil der ‚Rücktritt’ der beiden Christen in Wahrheit eine von der Koch-Regierung konstruierte, repressive, inkompetente Maßnahme war – und/oder eine theologisch nicht legitime Erpressung und Aggression, der sich Koch nur andienerte. Stattdessen kann nun Jedermann beobachten, wie maßlose Arroganz und Oberflächlichkeit mit nervösen, hilflosen Erklärungen sich paaren, die nur einem einzigen Zwecke nützlich sind: Reinwaschung – keiner will Schuld auf sich sitzen lassen. Dies Motiv tendiert im privaten und erst recht im öffentlichen Leben zu einer zähen, nachhaltigen Vitalität – ein typisches Kulturphänomen .
Deswegen wird man feststellen dürfen, dass die Sache nicht gegessen war. Im eigenen Lager rumorte es sofort: ‚Missverständnis’ und es habe ‚den Falschen getroffen’. In der Öffentlichkeit wurde gemutmaßt, am Ende handle es sich wohl um einen “Preis für Intoleranz“ und gemäß der interessierten Ideologie vom „Krieg der Kulturen“ zeige der „Fall Koch/Lehmann“, dass „viele ihn gerne führen würden“. In dieser zweiten Phase des Eklats drohte der Kulturpreis vernichtend zu explodieren. Kermani selbst hat auf Anfrage in einem offenen Brief in der FAZ auf die Entscheidung des Hessischen Ministerpräsidenten , ihm den zuerkannten Preis wieder abzuerkennen, kurz und prägnant geantwortet: „Ob ich denn nicht wisse, dass mir der Hessische Kulturpreis aberkannt wurde? Nein, ich wusste es nicht.(…) Sehr geehrter Herr Koch, ich hoffe, dass Sie sich wenigstens schämen. Mit freundlichen Grüßen aus dem katholischen Köln, Navid Kermani.“
Fortsetzung: RETTUNG DES INTERRELIGIÖSEN DIALOGS -
DES HESSISCHEN KULTURPREISES?
Verleihung am 26.November 2009
 
Bericht zur Kulturpolitik eines deutschen Bundeslandes (II)


GEKREUZIGTER MESSIAS ALS POLITIKUM

Eine Rekonstruktion der turbulenten Vorgänge, die nicht zufällig ungenaues Wissen und Spekulation hervorrufen, könnte wie folgt aussehen: Die Preisträger hatten Zeit, sich mit den inhaltlichen und formalen Umständen der Preisverleihung vertraut zu machen. Und so ereignete sich offenbar der entscheidende Knacks im Kulturgetriebe, der anscheinend durch starke emotionale Bedenken religiöser Art ausgelöst aber nicht verursacht wurde. Lehmann und Steinacker entdeckten (unabhängig voneinander?) in der schriftstellerischen Tätigkeit des Orientalisten und Mitglieds der deutschen Islamkonferenz, Kermani, einen nicht erträglichen, d.h. nicht tolerierbaren Gedanken. Dem äußeren Anscheine nach drehte sich dieser um die sogenannte Kreuzestheologie, die im Zusammenhang mit der frohen österlichen Botschaft der Auferstehung des Jesus von Nazareth und der Erlösung der Menschheit von den Leiden der Welt zugleich auch dunkle und schmerzvolle Seiten menschlicher Existenz reflektiert.
An dieser Stelle sucht uns also der Teufel der Geheimhaltung und der gezielten Indiskretion heim, denn weder die genauen Argumente, die im interreligiösen Dialog eingebracht werden könnten, noch die genauen Worte, mit denen –soweit öffentlich bekannt- Lehmann und Steinacker auf die politischen Instanzen Einfluss nahmen, sind zuverlässig bekannt. Das ist der Grund für meine Spekulation hinsichtlich der kulturpolitischen Linie der (noch) nicht ausgeladenen Preisträger und der Landesregierung selbst.
Tatsächlich schreibt Kermani im März 2009 in der Neuen Züricher Zeitung ( NZZ), um sich von der jüdischen und islamischen ‚Höflichkeit’ in Sachen Kreuz zu unterscheiden: „Für mich formuliere ich die Ablehnung der Kreuzestheologie drastischer: Gotteslästerung und Idolatrie“. Das christliche Dogma ist damit einem schwerwiegenden Verdacht ausgesetzt, dem theologischen Wahrheitsanspruch nicht gerecht zu werden und mit einem Trugbild Gottes zu operieren. Kermani greift eine Ahnung der Autoren der Bibel auf – Paulus wusste als Briefschreiber an seine Anhänger, dass seine religiöse Konzeption des gekreuzigten Messias „den Griechen eine Torheit und den Juden ein Ärgernis“ war- , ohne den betenden Christen einen Vorwurf machen zu wollen, was er auch ausdrücklich in Respekt vor Andersgläubigen in der NZZ betont. Es geht ihm also allein um die Fragwürdigkeit des Dogmas und die drastische Formulierung eines Verdachts, den er diesem Dogma gegenüber hegt. Aber er formuliert nicht einfach einen erdachten Verdacht gegen ein religiöses Dogma. Er illustriert mit einfachen Worten, welche Gedanken und Gefühle in demjenigen aufkommen können, der die ästhetische Verarbeitung eines künstlerischen Produkts im Begriffe ist zu realisieren.
Kermani analysiert genau in diesem Sinne die ‚Kreuzigung’ von Guido Reni (1575-1642). Als er in der Kirche San Lorenzo in Lucina vor dem Altarbild saß, so erinnert er sich im Nachhinein an seine Empfindungen, „fand (ich) den Anblick so berückend, so voller Segen, dass ich am liebsten nicht mehr aufgestanden wäre. Erstmals dachte ich: Ich –nicht nur: man-, ich könnte an ein Kreuz glauben“. Es erging ihm wohl so ähnlich wie einem ästhetisch sensiblen Menschen, den Wohlbefinden durchdringt, wenn er den wundervollen Klang gregorianischer Chöre in sich aufnimmt. Aber der ästhetisch geschulte Schriftsteller beendet seine Betrachtung nicht in euphorischer Schwärmerei für das Kreuz, sondern zwiespältig. Er stellt zum Gekreuzigten fest: „Sein Blick ist der letzte vor der Wiederauf-erstehung, auf die er nicht zu hoffen scheint“. Der elegante Stil des Künstlers, der sich in glatten und ästhetisierenden Formen des Altarbildes ausdrückt, hat zur Überraschung des heutigen Betrachters bei ihm den wohltuenden Eindruck hervorgerufen, dass Folter und Schmerz bei der Verehrung des Kreuzes sich nicht unbedingt als unangemessene Verdrängung oder gar Rechtfertigungsideologie bemerkbar machen muss. Seine Betrachtung trägt die Überschrift: „Warum hast Du uns verlassen?“ Auch diese Frage, an biblischen Texten orientiert, macht die undogmatische, skeptische Intention des Schriftstellers deutlich. Diese interessiert sich für das religiöse Geheimnis, wie der gefolterte und verspottete Messias in seiner Erniedrigung mit der göttlichen Mission umgeht. Wenn Kermani zur christlichen Idee der Wiederauferstehung schreibt, dass der Messias, dem dies gelungen sein soll, selbst auf ein solches Wunder ‚nicht zu hoffen scheint’, mildert er seine anfänglich drastische Formulierung ab, ohne ihren Kern aufzugeben. Kermani verharrt am Berührungspunkt der religiösen mit der materiellen Welt, ohne zu sehen, dass Gefühle der Verlassenheit und Hoffnungslosigkeit in uns allen aufkommen, wenn wir vom irdischen Leidensdruck überwältigt werden.
Dass die Verwalter des christlichen Erbes in ihrer religiösen Identität sich angegriffen fühlten, ist verständlich und hat im ersten Moment mit Intoleranz noch wenig zu tun. Es steht uns an ihren religiösen Empfindungen keine Kritik zu. Selbst wenn sie versichern würden, dass ihnen Zweifel an den christlichen Glaubensgrundlagen völlig fremd sind, wäre eine auf unglaubwürdige Theologie und Glaubenspraxis zielende Kritik nicht unbedingt zweckmäßig. Allerdings könnten solche Zweifel, wo sie eingestanden werden, objektiv einen Berührungspunkt für interreligiösen Dialog erzeugen. Da logische Begründung, wie Paulus wusste, in keinem Fall das altertümliche Folterinstrument zwingend zum Symbol des Glaubens macht, befinden wir uns beim christlichen Kreuz auf ureigenem religiösen Terrain. Hier hängt es nun ganz von der Betrachtung und Akzentuierung der einzelnen religiösen Gegenstände ab, ob man das Kreuz in den Mittelpunkt stellt, ihm ein kleineres Gewicht unter anderen Gewichten zuerkennt oder ganz auf es verzichtet. Das alles ist Glaubenssache und unterliegt somit der Freiheit und ihren wohl verstandenen Begrenzungen, um die in der Gesellschaft gerungen wird. Nebenbei sei daran erinnert, dass das Kreuz in verschiedenen Versionen und Formen fürchterlich missbraucht wurde. Und doch nützt gegen den Missbrauch weder die Errichtung von Tabus noch das direkte Verbot mit Strafandrohung.
Interessanter bezüglich des religiös aufgeladenen Kulturkonflikts ist jedoch folgende Überlegung. Die zentrale Idee der christlichen Lehre erscheint uns auch heute noch als einigermaßen kreativ und genial: Jesus von Nazareth ist in ihrer Sicht wahrer Mensch und wahrer Gott. Vergängliches und ewiges Leben durchdringen sich danach zu einer unzertrennlichen, dreifaltigen Einheit von Vater, Sohn und heiligem Geist, die den besten, denkbaren Schutz vor ‚falscher’ Gottesverehrung bildet. Diese Konstruktion bewährt sich in einem doppelten Vorteil: Alles ist durch inneres Erlebnis (des Glaubens) ausnahmslos jedem Menschen zugänglich , wenn er sich nicht durch strikte Betätigung der Vernunft dagegen sperrt, und begründet ein Bewusstsein der -illusionären- Überlegenheit und Aufgeklärtheit. Schutz vor religiöser Regression, dem Rückfall in Polytheismus, Naturreligion, Götzendienst erscheint dem Christentum und seinen überzeugten und bewussten Anhängern mit der Dreifaltigkeitslehre als im höchsten Maße sicher. Dazu trägt das enorme Rationalisierungs-potential der göttlichen Identität in der Form des Vater/Sohnverhältnisses bei. Dass neben diesen religiösen Kernbestand heute tatsächlich eine Vielzahl von Ersatzreligionen mit größerer Anziehungskraft getreten ist, hat identifizierbare politische Ursachen, ändert an dieser inhaltlichen Sicht und der Bezugsebene der Dialogfähigkeit/Unfähigkeit monotheistischer Religionen wenig.
Die monotheistische Religion, die sich ja zunächst auf die schwersten Vergehen gegen den Vater gründet, steht im Laufe der Zeit vor der ernsten Gefahr regressiver Verehrungsformen und gefährdet damit auch die menschliche Gesellschaft in ihrem kulturellen Bestand. Auf diesem Boden waren ja in religiöser Opposition zum jüdischen Glauben –und auf dessen Grundlage- die ersten kleinen christlichen Gemeinden vor 2000 Jahren entstanden. Es entlastet die Gesellschaft durch rigorose Abschaffung unsäglicher Opfer und auch psychisch die starken männlichen Nachfolger, wenn ihr Glaube nicht mehr auf einen einzigen, sterilen, fernen Gott Vater ausgerichtet werden muss. Dieser einzige Gott hatte nach der Lesart der jungen jüdischen Reformbewegung sich entschlossen, selbst Mensch zu werden, als Sohn schwerste Leiden auf sich zu nehmen - um der Erlösung der Menschheit willen. Damit wird den tyrannischen Gefahren Rechnung getragen, die von der Monopolstellung eines einzigen Gott Vater ausgehen. Die Menschensöhne dürfen sich durch Gottes Offenbarungsbeschluss von schwerer Last befreit fühlen. Dass Gott danach auch im Mitmenschen sein kann, dass er in uns allen selbst existiere, ist eine Vorstellung, die vermutlich den wirklichen Verhältnissen recht nahe kommt. Vom Ansatz her ist die christliche Religion ein Rationalitätsfortschritt, weil sie effizienter einsetzbare Mittel in die Hand gibt, den Schuldkomplex umfassend abzuklären. Es ist offensichtlich, dass die beiden anderen abrahamischen, überlieferten monotheistischen Religionen das Problem der Schuld entsprechend ihren historischen Entstehungsbedingungen als Offenbarungsreligion auf andere Weise aufgreifen und lösen. Auch die unmittelbare Intention des Jesus von Nazareth, die eher rückwärts, auf Buße und Rekonstruktion originärer Gläubigkeit gerichtet war, ändert an der nachträglichen Interpretation seiner Anhänger und deren Verkündigungswirkung wenig. Die Forschung kann solche Widersprüche zwischen Original und dogmengeschichtlicher Entwicklung enthüllen.
Dass die christlichen Ideen einen weitreichenden Einfluss auf das bürgerliche politische Konzept der Gewaltenteilung ausgeübt haben, erscheint mir ein ziemlich überzeugender, wenn auch nicht einfach nachzuvollziehender Gedanke zu sein.
Und nun kommt ein westlicher Orientalist (der deutsche Iraner, iranische Deutsche) und äußert öffentlich den massiven Verdacht, dass die christliche Lehre ihren eigenen Anspruch nicht ernst nimmt und im Endeffekt simplen Götzendienst und damit Gotteslästerung betreibt. Da dies aus christlicher Sicht zunächst ein Schock durch Wahrnehmung ist, so macht die Kritik auf der Seite Kermanis nur insoweit Sinn, soweit sie die religiöse Ebene nicht mit einer radikalen, unversöhnlichen Verweigerungshaltung verlässt. Der Text Kermanis verkörpert Religionskritik, ohne die Religion in Bausch und Bogen zu verurteilen. Diese Position muss heute im interreligiösen Dialog als angemessen gelten.
Auch wenn Kermani seine ‚drastische’ Formulierung etwas mildern würde, so wäre es kaum sinnvoll, beispielsweise von einer ‚gut gemeinten’ Gotteslästerung zu sprechen. Im Kern flackert in den wenigen kritischen Worten in der NZZ ein fest in der Erde vermauerter Typ von Religionskritik auf, dem eher die ästhetische als die religiöse Ebene als Urteilsmaßstab gilt. Vor einer gemeinsamen, dialogfähigen Verständnisebene zwischen monotheistischen religiösen Lehren türmen sich beim ersten Hinschauen nur schwer überwindbare Hindernisse auf, solange die Verständigung unter der Prämisse der alleinigen Geltung spezieller ‚religiöser Wahrheiten’ intendiert ist und geführt wird. Außer über den Punkt des Glaubenszweifels oder durch bewusste Geltendmachung von Vernunftgeboten lässt sich ganz offensichtlich der Schock der christlichen, jüdischen, islamischen Dialogunfähigkeit nicht auflösen. Dies heißt zunächst, dass wir weder wissen, noch uns denken können, wie Lehmann und Steinacker, vielleicht auch Korn, Dialogfähigkeit unter Beweis stellen wollen. Aller Voraussicht nach müssen wir darauf noch einmal zurückkommen.
Es war ihnen ja zu leicht gelungen (vielleicht ohne es ernsthaft zu beabsichtigen?), Kermani vom versprochenen Ehrenplatz mit entsprechender Dotierung zu verdrängen, was jedoch allein die Hessische Landesregierung zu verantworten hat, denn es handelt sich um den von ihr gestifteten und vergebenen Preis. Sie hätte nach der Erfahrung des Rücktritts Sezgins jetzt nach dem angedrohten(?) Rücktritt der beiden christlichen Vertreter den interreligiösen Dialog als vorerst nicht führbar eingestehen und den diesjahrigen Preisverleihungsverzicht dem jüdischen und islamischen Vertreter offen und ehrlich begründen müssen. Das tat die Landesregierung nicht, weil der ‚Rücktritt’ der beiden Christen in Wahrheit eine von der Koch-Regierung konstruierte, repressive, inkompetente Maßnahme war – und/oder eine theologisch nicht legitime Erpressung und Aggression, der sich Koch nur andienerte. Stattdessen kann nun Jedermann beobachten, wie maßlose Arroganz und Oberflächlichkeit mit nervösen, hilflosen Erklärungen sich paaren, die nur einem einzigen Zwecke nützlich sind: Reinwaschung – keiner will Schuld auf sich sitzen lassen. Dies Motiv tendiert im privaten und erst recht im öffentlichen Leben zu einer zähen, nachhaltigen Vitalität – ein typisches Kulturphänomen .
Deswegen wird man feststellen dürfen, dass die Sache nicht gegessen war. Im eigenen Lager rumorte es sofort: ‚Missverständnis’ und es habe ‚den Falschen getroffen’. In der Öffentlichkeit wurde gemutmaßt, am Ende handle es sich wohl um einen “Preis für Intoleranz“ und gemäß der interessierten Ideologie vom „Krieg der Kulturen“ zeige der „Fall Koch/Lehmann“, dass „viele ihn gerne führen würden“. In dieser zweiten Phase des Eklats drohte der Kulturpreis vernichtend zu explodieren. Kermani selbst hat auf Anfrage in einem offenen Brief in der FAZ auf die Entscheidung des Hessischen Ministerpräsidenten , ihm den zuerkannten Preis wieder abzuerkennen, kurz und prägnant geantwortet: „Ob ich denn nicht wisse, dass mir der Hessische Kulturpreis aberkannt wurde? Nein, ich wusste es nicht.(…) Sehr geehrter Herr Koch, ich hoffe, dass Sie sich wenigstens schämen. Mit freundlichen Grüßen aus dem katholischen Köln, Navid Kermani.“
Fortsetzung: RETTUNG DES INTERRELIGIÖSEN DIALOGS -
DES HESSISCHEN KULTURPREISES?
Verleihung am 26.November 2009
 
Bericht zur Kulturpolitik eines deutschen Bundeslandes (II)


GEKREUZIGTER MESSIAS ALS POLITIKUM

Eine Rekonstruktion der turbulenten Vorgänge, die nicht zufällig ungenaues Wissen und Spekulation hervorrufen, könnte wie folgt aussehen: Die Preisträger hatten Zeit, sich mit den inhaltlichen und formalen Umständen der Preisverleihung vertraut zu machen. Und so ereignete sich offenbar der entscheidende Knacks im Kulturgetriebe, der anscheinend durch starke emotionale Bedenken religiöser Art ausgelöst aber nicht verursacht wurde.

Lehmann und Steinacker entdeckten (unabhängig voneinander?) in der schriftstellerischen Tätigkeit des Orientalisten und Mitglieds der deutschen Islamkonferenz, Kermani, einen nicht erträglichen, d.h. nicht tolerierbaren Gedanken. Dem äußeren Anscheine nach drehte sich dieser um die sogenannte Kreuzestheologie, die im Zusammenhang mit der frohen österlichen Botschaft der Auferstehung des Jesus von Nazareth und der Erlösung der Menschheit von den Leiden der Welt zugleich auch dunkle und schmerzvolle Seiten menschlicher Existenz reflektiert.

An dieser Stelle sucht uns also der Teufel der Geheimhaltung und der gezielten Indiskretion heim, denn weder die genauen Argumente, die im interreligiösen Dialog eingebracht werden könnten, noch die genauen Worte, mit denen –soweit öffentlich bekannt- Lehmann und Steinacker auf die politischen Instanzen Einfluss nahmen, sind zuverlässig bekannt. Das ist der Grund für meine Spekulation hinsichtlich der kulturpolitischen Linie der (noch) nicht ausgeladenen Preisträger und der Landesregierung selbst.

Tatsächlich schreibt Kermani im März 2009 in der Neuen Züricher Zeitung ( NZZ), um sich von der jüdischen und islamischen ‚Höflichkeit’ in Sachen Kreuz zu unterscheiden: „Für mich formuliere ich die Ablehnung der Kreuzestheologie drastischer: Gotteslästerung und Idolatrie“.

Das christliche Dogma ist damit einem schwerwiegenden Verdacht ausgesetzt, dem theologischen Wahrheitsanspruch nicht gerecht zu werden und mit einem Trugbild Gottes zu operieren. Kermani greift eine Ahnung der Autoren der Bibel auf – Paulus wusste als Briefschreiber an seine Anhänger, dass seine religiöse Konzeption des gekreuzigten Messias „den Griechen eine Torheit und den Juden ein Ärgernis“ war- , ohne den betenden Christen einen Vorwurf machen zu wollen, was er auch ausdrücklich in Respekt vor Andersgläubigen in der NZZ betont. Es geht ihm also allein um die Fragwürdigkeit des Dogmas und die drastische Formulierung eines Verdachts, den er diesem Dogma gegenüber hegt.

Aber er formuliert nicht einfach einen erdachten Verdacht gegen ein religiöses Dogma. Er illustriert mit einfachen Worten, welche Gedanken und Gefühle in demjenigen aufkommen können, der die ästhetische Verarbeitung eines künstlerischen Produkts im Begriffe ist zu realisieren.
Kermani analysiert genau in diesem Sinne die ‚Kreuzigung’ von Guido Reni (1575-1642).

Als er in der Kirche San Lorenzo in Lucina vor dem Altarbild saß, so erinnert er sich im Nachhinein an seine Empfindungen, „fand (ich) den Anblick so berückend, so voller Segen, dass ich am liebsten nicht mehr aufgestanden wäre. Erstmals dachte ich: Ich –nicht nur: man-, ich könnte an ein Kreuz glauben“. Es erging ihm wohl so ähnlich wie einem ästhetisch sensiblen Menschen, den Wohlbefinden durchdringt, wenn er den wundervollen Klang gregorianischer Chöre in sich aufnimmt.

Aber der ästhetisch geschulte Schriftsteller beendet seine Betrachtung nicht in euphorischer Schwärmerei für das Kreuz, sondern zwiespältig. Er stellt zum Gekreuzigten fest: „Sein Blick ist der letzte vor der Wiederauf-erstehung, auf die er nicht zu hoffen scheint“. Der elegante Stil des Künstlers, der sich in glatten und ästhetisierenden Formen des Altarbildes ausdrückt, hat zur Überraschung des heutigen Betrachters bei ihm den wohltuenden Eindruck hervorgerufen, dass Folter und Schmerz bei der Verehrung des Kreuzes sich nicht unbedingt als unangemessene Verdrängung oder gar Rechtfertigungsideologie bemerkbar machen muss. Seine Betrachtung trägt die Überschrift: „Warum hast Du uns verlassen?“

Auch diese Frage, an biblischen Texten orientiert, macht die undogmatische, skeptische Intention des Schriftstellers deutlich. Diese interessiert sich für das religiöse Geheimnis, wie der gefolterte und verspottete Messias in seiner Erniedrigung mit der göttlichen Mission umgeht. Wenn Kermani zur christlichen Idee der Wiederauferstehung schreibt, dass der Messias, dem dies gelungen sein soll, selbst auf ein solches Wunder ‚nicht zu hoffen scheint’, mildert er seine anfänglich drastische Formulierung ab, ohne ihren Kern aufzugeben. Kermani verharrt am Berührungspunkt der religiösen mit der materiellen Welt, ohne zu sehen, dass Gefühle der Verlassenheit und Hoffnungslosigkeit in uns allen aufkommen, wenn wir vom irdischen Leidensdruck überwältigt werden.

Dass die Verwalter des christlichen Erbes in ihrer religiösen Identität sich angegriffen fühlten, ist verständlich und hat im ersten Moment mit Intoleranz noch wenig zu tun. Es steht uns an ihren religiösen Empfindungen keine Kritik zu. Selbst wenn sie versichern würden, dass ihnen Zweifel an den christlichen Glaubensgrundlagen völlig fremd sind, wäre eine auf unglaubwürdige Theologie und Glaubenspraxis zielende Kritik nicht unbedingt zweckmäßig.

Allerdings könnten solche Zweifel, wo sie eingestanden werden, objektiv einen Berührungspunkt für interreligiösen Dialog erzeugen. Da logische Begründung, wie Paulus wusste, in keinem Fall das altertümliche Folterinstrument zwingend zum Symbol des Glaubens macht, befinden wir uns beim christlichen Kreuz auf ureigenem religiösen Terrain. Hier hängt es nun ganz von der Betrachtung und Akzentuierung der einzelnen religiösen Gegenstände ab, ob man das Kreuz in den Mittelpunkt stellt, ihm ein kleineres Gewicht unter anderen Gewichten zuerkennt oder ganz auf es verzichtet. Das alles ist Glaubenssache und unterliegt somit der Freiheit und ihren wohl verstandenen Begrenzungen, um die in der Gesellschaft gerungen wird. Nebenbei sei daran erinnert, dass das Kreuz in verschiedenen Versionen und Formen fürchterlich missbraucht wurde. Und doch nützt gegen den Missbrauch weder die Errichtung von Tabus noch das direkte Verbot mit Strafandrohung.

Interessanter bezüglich des religiös aufgeladenen Kulturkonflikts ist jedoch folgende Überlegung. Die zentrale Idee der christlichen Lehre erscheint uns auch heute noch als einigermaßen kreativ und genial: Jesus von Nazareth ist in ihrer Sicht wahrer Mensch und wahrer Gott. Vergängliches und ewiges Leben durchdringen sich danach zu einer unzertrennlichen, dreifaltigen Einheit von Vater, Sohn und heiligem Geist, die den besten, denkbaren Schutz vor ‚falscher’ Gottesverehrung bildet.

Diese Konstruktion bewährt sich in einem doppelten Vorteil: Alles ist durch inneres Erlebnis (des Glaubens) ausnahmslos jedem Menschen zugänglich , wenn er sich nicht durch strikte Betätigung der Vernunft dagegen sperrt, und begründet ein Bewusstsein der -illusionären- Überlegenheit und Aufgeklärtheit. Schutz vor religiöser Regression, dem Rückfall in Polytheismus, Naturreligion, Götzendienst erscheint dem Christentum und seinen überzeugten und bewussten Anhängern mit der Dreifaltigkeitslehre als im höchsten Maße sicher.

Dazu trägt das enorme Rationalisierungspotential der göttlichen Identität in der Form des Vater/Sohnverhältnisses bei. Dass neben diesen religiösen Kernbestand heute tatsächlich eine Vielzahl von Ersatzreligionen mit größerer Anziehungskraft getreten ist, hat identifizierbare politische Ursachen, ändert an dieser inhaltlichen Sicht und der Bezugsebene der Dialogfähigkeit/Unfähigkeit monotheistischer Religionen wenig.
Die monotheistische Religion, die sich ja zunächst auf die schwersten Vergehen gegen den Vater gründet, steht im Laufe der Zeit vor der ernsten Gefahr regressiver Verehrungsformen und gefährdet damit auch die menschliche Gesellschaft in ihrem kulturellen Bestand. Auf diesem Boden waren ja in religiöser Opposition zum jüdischen Glauben –und auf dessen Grundlage- die ersten kleinen christlichen Gemeinden vor 2000 Jahren entstanden.

Es entlastet die Gesellschaft durch rigorose Abschaffung unsäglicher Opfer und auch psychisch die starken männlichen Nachfolger, wenn ihr Glaube nicht mehr auf einen einzigen, sterilen, fernen Gott Vater ausgerichtet werden muss. Dieser einzige Gott hatte nach der Lesart der jungen jüdischen Reformbewegung sich entschlossen, selbst Mensch zu werden, als Sohn schwerste Leiden auf sich zu nehmen - um der Erlösung der Menschheit willen. Damit wird den tyrannischen Gefahren Rechnung getragen, die von der Monopolstellung eines einzigen Gott Vater ausgehen.

Die Menschensöhne dürfen sich durch Gottes Offenbarungsbeschluss von schwerer Last befreit fühlen. Dass Gott danach auch im Mitmenschen sein kann, dass er in uns allen selbst existiere, ist eine Vorstellung, die vermutlich den wirklichen Verhältnissen recht nahe kommt.

Vom Ansatz her ist die christliche Religion ein Rationalitätsfortschritt, weil sie effizienter einsetzbare Mittel in die Hand gibt, den Schuldkomplex umfassend abzuklären. Es ist offensichtlich, dass die beiden anderen abrahamischen, überlieferten monotheistischen Religionen das Problem der Schuld entsprechend ihren historischen Entstehungsbedingungen als Offenbarungsreligion auf andere Weise aufgreifen und lösen.

Auch die unmittelbare Intention des Jesus von Nazareth, die eher rückwärts, auf Buße und Rekonstruktion originärer Gläubigkeit gerichtet war, ändert an der nachträglichen Interpretation seiner Anhänger und deren Verkündigungswirkung wenig. Die Forschung kann solche Widersprüche zwischen Original und dogmengeschichtlicher Entwicklung enthüllen.

Dass die christlichen Ideen einen weitreichenden Einfluss auf das bürgerliche politische Konzept der Gewaltenteilung ausgeübt haben, erscheint mir ein ziemlich überzeugender, wenn auch nicht einfach nachzuvollziehender Gedanke zu sein.

Und nun kommt ein westlicher Orientalist (der deutsche Iraner, iranische Deutsche) und äußert öffentlich den massiven Verdacht, dass die christliche Lehre ihren eigenen Anspruch nicht ernst nimmt und im Endeffekt simplen Götzendienst und damit Gotteslästerung betreibt. Da dies aus christlicher Sicht zunächst ein Schock durch Wahrnehmung ist, so macht die Kritik auf der Seite Kermanis nur insoweit Sinn, soweit sie die religiöse Ebene nicht mit einer radikalen, unversöhnlichen Verweigerungshaltung verlässt. Der Text Kermanis verkörpert Religionskritik, ohne die Religion in Bausch und Bogen zu verurteilen. Diese Position muss heute im interreligiösen Dialog als angemessen gelten.

Auch wenn Kermani seine ‚drastische’ Formulierung etwas mildern würde, so wäre es kaum sinnvoll, beispielsweise von einer ‚gut gemeinten’ Gotteslästerung zu sprechen. Im Kern flackert in den wenigen kritischen Worten in der NZZ ein fest in der Erde vermauerter Typ von Religionskritik auf, dem eher die ästhetische als die religiöse Ebene als Urteilsmaßstab gilt. Vor einer gemeinsamen, dialogfähigen Verständnisebene zwischen monotheistischen religiösen Lehren türmen sich beim ersten Hinschauen nur schwer überwindbare Hindernisse auf, solange die Verständigung unter der Prämisse der alleinigen Geltung spezieller ‚religiöser Wahrheiten’ intendiert ist und geführt wird.

Außer über den Punkt des Glaubenszweifels oder durch bewusste Geltendmachung von Vernunftgeboten lässt sich ganz offensichtlich der Schock der christlichen, jüdischen, islamischen Dialogunfähigkeit nicht auflösen. Dies heißt zunächst, dass wir weder wissen, noch uns denken können, wie Lehmann und Steinacker, vielleicht auch Korn, Dialogfähigkeit unter Beweis stellen wollen. Aller Voraussicht nach müssen wir darauf noch einmal zurückkommen.
Es war ihnen ja zu leicht gelungen (vielleicht ohne es ernsthaft zu beabsichtigen?), Kermani vom versprochenen Ehrenplatz mit entsprechender Dotierung zu verdrängen, was jedoch allein die Hessische Landesregierung zu verantworten hat, denn es handelt sich um den von ihr gestifteten und vergebenen Preis. Sie hätte nach der Erfahrung des Rücktritts Sezgins jetzt nach dem angedrohten(?) Rücktritt der beiden christlichen Vertreter den interreligiösen Dialog als vorerst nicht führbar eingestehen und den diesjahrigen Preisverleihungsverzicht dem jüdischen und islamischen Vertreter offen und ehrlich begründen müssen.

Das tat die Landesregierung nicht, weil der ‚Rücktritt’ der beiden Christen in Wahrheit eine von der Koch-Regierung konstruierte, repressive, inkompetente Maßnahme war – und/oder eine theologisch nicht legitime Erpressung und Aggression, der sich Koch nur andienerte. Stattdessen kann nun Jedermann beobachten, wie maßlose Arroganz und Oberflächlichkeit mit nervösen, hilflosen Erklärungen sich paaren, die nur einem einzigen Zwecke nützlich sind: Reinwaschung – keiner will Schuld auf sich sitzen lassen. Dies Motiv tendiert im privaten und erst recht im öffentlichen Leben zu einer zähen, nachhaltigen Vitalität – ein typisches Kulturphänomen .

Deswegen wird man feststellen dürfen, dass die Sache nicht gegessen war. Im eigenen Lager rumorte es sofort: ‚Missverständnis’ und es habe ‚den Falschen getroffen’. In der Öffentlichkeit wurde gemutmaßt, am Ende handle es sich wohl um einen “Preis für Intoleranz“ und gemäß der interessierten Ideologie vom „Krieg der Kulturen“ zeige der „Fall Koch/Lehmann“, dass „viele ihn gerne führen würden“.

In dieser zweiten Phase des Eklats drohte der Kulturpreis vernichtend zu explodieren. Kermani selbst hat auf Anfrage in einem offenen Brief in der FAZ auf die Entscheidung des Hessischen Ministerpräsidenten , ihm den zuerkannten Preis wieder abzuerkennen, kurz und prägnant geantwortet: „Ob ich denn nicht wisse, dass mir der Hessische Kulturpreis aberkannt wurde? Nein, ich wusste es nicht.(…) Sehr geehrter Herr Koch, ich hoffe, dass Sie sich wenigstens schämen. Mit freundlichen Grüßen aus dem katholischen Köln, Navid Kermani.“
Fortsetzung: RETTUNG DES INTERRELIGIÖSEN DIALOGS -
DES HESSISCHEN KULTURPREISES?
Verleihung am 26.November 2009
 
Bericht zur Kulturpolitik eines deutschen Bundeslandes (II)


GEKREUZIGTER MESSIAS ALS POLITIKUM

Eine Rekonstruktion der turbulenten Vorgänge, die nicht zufällig ungenaues Wissen und Spekulation hervorrufen, könnte wie folgt aussehen: Die Preisträger hatten Zeit, sich mit den inhaltlichen und formalen Umständen der Preisverleihung vertraut zu machen. Und so ereignete sich offenbar der entscheidende Knacks im Kulturgetriebe, der anscheinend durch starke emotionale Bedenken religiöser Art ausgelöst aber nicht verursacht wurde.

Lehmann und Steinacker entdeckten (unabhängig voneinander?) in der schriftstellerischen Tätigkeit des Orientalisten und Mitglieds der deutschen Islamkonferenz, Kermani, einen nicht erträglichen, d.h. nicht tolerierbaren Gedanken. Dem äußeren Anscheine nach drehte sich dieser um die sogenannte Kreuzestheologie, die im Zusammenhang mit der frohen österlichen Botschaft der Auferstehung des Jesus von Nazareth und der Erlösung der Menschheit von den Leiden der Welt zugleich auch dunkle und schmerzvolle Seiten menschlicher Existenz reflektiert.

An dieser Stelle sucht uns also der Teufel der Geheimhaltung und der gezielten Indiskretion heim, denn weder die genauen Argumente, die im interreligiösen Dialog eingebracht werden könnten, noch die genauen Worte, mit denen –soweit öffentlich bekannt- Lehmann und Steinacker auf die politischen Instanzen Einfluss nahmen, sind zuverlässig bekannt. Das ist der Grund für meine Spekulation hinsichtlich der kulturpolitischen Linie der (noch) nicht ausgeladenen Preisträger und der Landesregierung selbst.

Tatsächlich schreibt Kermani im März 2009 in der Neuen Züricher Zeitung ( NZZ), um sich von der jüdischen und islamischen ‚Höflichkeit’ in Sachen Kreuz zu unterscheiden: „Für mich formuliere ich die Ablehnung der Kreuzestheologie drastischer: Gotteslästerung und Idolatrie“.

Das christliche Dogma ist damit einem schwerwiegenden Verdacht ausgesetzt, dem theologischen Wahrheitsanspruch nicht gerecht zu werden und mit einem Trugbild Gottes zu operieren. Kermani greift eine Ahnung der Autoren der Bibel auf – Paulus wusste als Briefschreiber an seine Anhänger, dass seine religiöse Konzeption des gekreuzigten Messias „den Griechen eine Torheit und den Juden ein Ärgernis“ war- , ohne den betenden Christen einen Vorwurf machen zu wollen, was er auch ausdrücklich in Respekt vor Andersgläubigen in der NZZ betont. Es geht ihm also allein um die Fragwürdigkeit des Dogmas und die drastische Formulierung eines Verdachts, den er diesem Dogma gegenüber hegt.

Aber er formuliert nicht einfach einen erdachten Verdacht gegen ein religiöses Dogma. Er illustriert mit einfachen Worten, welche Gedanken und Gefühle in demjenigen aufkommen können, der die ästhetische Verarbeitung eines künstlerischen Produkts im Begriffe ist zu realisieren.
Kermani analysiert genau in diesem Sinne die ‚Kreuzigung’ von Guido Reni (1575-1642).

Als er in der Kirche San Lorenzo in Lucina vor dem Altarbild saß, so erinnert er sich im Nachhinein an seine Empfindungen, „fand (ich) den Anblick so berückend, so voller Segen, dass ich am liebsten nicht mehr aufgestanden wäre. Erstmals dachte ich: Ich –nicht nur: man-, ich könnte an ein Kreuz glauben“. Es erging ihm wohl so ähnlich wie einem ästhetisch sensiblen Menschen, den Wohlbefinden durchdringt, wenn er den wundervollen Klang gregorianischer Chöre in sich aufnimmt.

Aber der ästhetisch geschulte Schriftsteller beendet seine Betrachtung nicht in euphorischer Schwärmerei für das Kreuz, sondern zwiespältig. Er stellt zum Gekreuzigten fest: „Sein Blick ist der letzte vor der Wiederauf-erstehung, auf die er nicht zu hoffen scheint“. Der elegante Stil des Künstlers, der sich in glatten und ästhetisierenden Formen des Altarbildes ausdrückt, hat zur Überraschung des heutigen Betrachters bei ihm den wohltuenden Eindruck hervorgerufen, dass Folter und Schmerz bei der Verehrung des Kreuzes sich nicht unbedingt als unangemessene Verdrängung oder gar Rechtfertigungsideologie bemerkbar machen muss. Seine Betrachtung trägt die Überschrift: „Warum hast Du uns verlassen?“

Auch diese Frage, an biblischen Texten orientiert, macht die undogmatische, skeptische Intention des Schriftstellers deutlich. Diese interessiert sich für das religiöse Geheimnis, wie der gefolterte und verspottete Messias in seiner Erniedrigung mit der göttlichen Mission umgeht. Wenn Kermani zur christlichen Idee der Wiederauferstehung schreibt, dass der Messias, dem dies gelungen sein soll, selbst auf ein solches Wunder‚nicht zu hoffen scheint’, mildert er seine anfänglich drastische Formulierung ab, ohne ihren Kern aufzugeben. Kermani verharrt am Berührungspunkt der religiösen mit der materiellen Welt, ohne zu sehen, dass Gefühle der Verlassenheit und Hoffnungslosigkeit in uns allen aufkommen, wenn wir vom irdischen Leidensdruck überwältigt werden.

Dass die Verwalter des christlichen Erbes in ihrer religiösen Identität sich angegriffen fühlten, ist verständlich und hat im ersten Moment mit Intoleranz noch wenig zu tun. Es steht uns an ihren religiösen Empfindungen keine Kritik zu. Selbst wenn sie versichern würden, dass ihnen Zweifel an den christlichen Glaubensgrundlagen völlig fremd sind, wäre eine auf unglaubwürdige Theologie und Glaubenspraxis zielende Kritik nicht unbedingt zweckmäßig.

Allerdings könnten solche Zweifel, wo sie eingestanden werden, objektiv einen Berührungspunkt für interreligiösen Dialog erzeugen. Da logische Begründung, wie Paulus wusste, in keinem Fall das altertümliche Folterinstrument zwingend zum Symbol des Glaubens macht, befinden wir uns beim christlichen Kreuz auf ureigenem religiösen Terrain. Hier hängt es nun ganz von der Betrachtung und Akzentuierung der einzelnen religiösen Gegenstände ab, ob man das Kreuz in den Mittelpunkt stellt, ihm ein kleineres Gewicht unter anderen Gewichten zuerkennt oder ganz auf es verzichtet. Das alles ist Glaubenssache und unterliegt somit der Freiheit und ihren wohl verstandenen Begrenzungen, um die in der Gesellschaft gerungen wird. Nebenbei sei daran erinnert, dass das Kreuz in verschiedenen Versionen und Formen fürchterlich missbraucht wurde. Und doch nützt gegen den Missbrauch weder die Errichtung von Tabus noch das direkte Verbot mit Strafandrohung.

Interessanter bezüglich des religiös aufgeladenen Kulturkonflikts ist jedoch folgende Überlegung. Die zentrale Idee der christlichen Lehre erscheint uns auch heute noch als einigermaßen kreativ und genial: Jesus von Nazareth ist in ihrer Sicht wahrer Mensch und wahrer Gott. Vergängliches und ewiges Leben durchdringen sich danach zu einer unzertrennlichen, dreifaltigen Einheit von Vater, Sohn und heiligem Geist, die den besten, denkbaren Schutz vor ‚falscher’ Gottesverehrung bildet.

Diese Konstruktion bewährt sich in einem doppelten Vorteil: Alles ist durch inneres Erlebnis (des Glaubens) ausnahmslos jedem Menschen zugänglich, wenn er sich nicht durch strikte Betätigung der Vernunft dagegen sperrt, und begründet ein Bewusstsein der -illusionären- Überlegenheit und Aufgeklärtheit. Schutz vor religiöser Regression, dem Rückfall in Polytheismus, Naturreligion, Götzendienst erscheint dem Christentum und seinen überzeugten und bewussten Anhängern mit der Dreifaltigkeitslehre als im höchsten Maße sicher.

Dazu trägt das enorme Rationalisierungspotential der göttlichen Identität in der Form des Vater/Sohnverhältnisses bei. Dass neben diesen religiösen Kernbestand heute tatsächlich eine Vielzahl von Ersatzreligionen mit größerer Anziehungskraft getreten ist, hat identifizierbare politische Ursachen, ändert an dieser inhaltlichen Sicht und der Bezugsebene der Dialogfähigkeit/Unfähigkeit monotheistischer Religionen wenig.
Die monotheistische Religion, die sich ja zunächst auf die schwersten Vergehen gegen den Vater gründet, steht im Laufe der Zeit vor der ernsten Gefahr regressiver Verehrungsformen und gefährdet damit auch die menschliche Gesellschaft in ihrem kulturellen Bestand. Auf diesem Boden waren ja in religiöser Opposition zum jüdischen Glauben –und auf dessen Grundlage- die ersten kleinen christlichen Gemeinden vor 2000 Jahren entstanden.

Es entlastet die Gesellschaft durch rigorose Abschaffung unsäglicher Opfer und auch psychisch die starken männlichen Nachfolger, wenn ihr Glaube nicht mehr auf einen einzigen, sterilen, fernen Gott Vater ausgerichtet werden muss. Dieser einzige Gott hatte nach der Lesart der jungen jüdischen Reformbewegung sich entschlossen, selbst Mensch zu werden, als Sohn schwerste Leiden auf sich zu nehmen - um der Erlösung der Menschheit willen. Damit wird den tyrannischen Gefahren Rechnung getragen, die von der Monopolstellung eines einzigen Gott Vater ausgehen.

Die Menschensöhne dürfen sich durch Gottes Offenbarungsbeschluss von schwerer Last befreit fühlen. Dass Gott danach auch im Mitmenschen sein kann, dass er in uns allen selbst existiere, ist eine Vorstellung, die vermutlich den wirklichen Verhältnissen recht nahe kommt.

Vom Ansatz her ist die christliche Religion ein Rationalitätsfortschritt, weil sie effizienter einsetzbare Mittel in die Hand gibt, den Schuldkomplex umfassend abzuklären. Es ist offensichtlich, dass die beiden anderen abrahamischen, überlieferten monotheistischen Religionen das Problem der Schuld entsprechend ihren historischen Entstehungsbedingungen als Offenbarungsreligion auf andere Weise aufgreifen und lösen.

Auch die unmittelbare Intention des Jesus von Nazareth, die eher rückwärts, auf Buße und Rekonstruktion originärer Gläubigkeit gerichtet war, ändert an der nachträglichen Interpretation seiner Anhänger und deren Verkündigungswirkung wenig. Die Forschung kann solche Widersprüche zwischen Original und dogmengeschichtlicher Entwicklung enthüllen.

Dass die christlichen Ideen einen weitreichenden Einfluss auf das bürgerliche politische Konzept der Gewaltenteilung ausgeübt haben, erscheint mir ein ziemlich überzeugender, wenn auch nicht einfach nachzuvollziehender Gedanke zu sein.

Und nun kommt ein westlicher Orientalist (der deutsche Iraner, iranische Deutsche) und äußert öffentlich den massiven Verdacht, dass die christliche Lehre ihren eigenen Anspruch nicht ernst nimmt und im Endeffekt simplen Götzendienst und damit Gotteslästerung betreibt. Da dies aus christlicher Sicht zunächst ein Schock durch Wahrnehmung ist, so macht die Kritik auf der Seite Kermanis nur insoweit Sinn, soweit sie die religiöse Ebene nicht mit einer radikalen, unversöhnlichen Verweigerungshaltung verlässt. Der Text Kermanis verkörpert Religionskritik, ohne die Religion in Bausch und Bogen zu verurteilen. Diese Position muss heute im interreligiösen Dialog als angemessen gelten.

Auch wenn Kermani seine ‚drastische’ Formulierung etwas mildern würde, so wäre es kaum sinnvoll, beispielsweise von einer ‚gut gemeinten’ Gotteslästerung zu sprechen. Im Kern flackert in den wenigen kritischen Worten in der NZZ ein fest in der Erde vermauerter Typ von Religionskritik auf, dem eher die ästhetische als die religiöse Ebene als Urteilsmaßstab gilt. Vor einer gemeinsamen, dialogfähigen Verständnisebene zwischen monotheistischen religiösen Lehren türmen sich beim ersten Hinschauen nur schwer überwindbare Hindernisse auf, solange die Verständigung unter der Prämisse der alleinigen Geltung spezieller ‚religiöser Wahrheiten’ intendiert ist und geführt wird.

Außer über den Punkt des Glaubenszweifels oder durch bewusste Geltendmachung von Vernunftgeboten lässt sich ganz offensichtlich der Schock der christlichen, jüdischen, islamischen Dialogunfähigkeit nicht auflösen. Dies heißt zunächst, dass wir weder wissen, noch uns denken können, wie Lehmann und Steinacker, vielleicht auch Korn, Dialogfähigkeit unter Beweis stellen wollen. Aller Voraussicht nach müssen wir darauf noch einmal zurückkommen.
Es war ihnen ja zu leicht gelungen (vielleicht ohne es ernsthaft zu beabsichtigen?), Kermani vom versprochenen Ehrenplatz mit entsprechender Dotierung zu verdrängen, was jedoch allein die Hessische Landesregierung zu verantworten hat, denn es handelt sich um den von ihr gestifteten und vergebenen Preis. Sie hätte nach der Erfahrung des Rücktritts Sezgins jetzt nach dem angedrohten(?) Rücktritt der beiden christlichen Vertreter den interreligiösen Dialog als vorerst nicht führbar eingestehen und den diesjahrigen Preisverleihungsverzicht dem jüdischen und islamischen Vertreter offen und ehrlich begründen müssen.

Das tat die Landesregierung nicht, weil der ‚Rücktritt’ der beiden Christen in Wahrheit eine von der Koch-Regierung konstruierte, repressive, inkompetente Maßnahme war – und/oder eine theologisch nicht legitime Erpressung und Aggression, der sich Koch nur andienerte. Stattdessen kann nun Jedermann beobachten, wie maßlose Arroganz und Oberflächlichkeit mit nervösen, hilflosen Erklärungen sich paaren, die nur einem einzigen Zwecke nützlich sind: Reinwaschung – keiner will Schuld auf sich sitzen lassen. Dies Motiv tendiert im privaten und erst recht im öffentlichen Leben zu einer zähen, nachhaltigen Vitalität– ein typisches Kulturphänomen .

Deswegen wird man feststellen dürfen, dass die Sache nicht gegessen war. Im eigenen Lager rumorte es sofort: ‚Missverständnis’ und es habe ‚den Falschen getroffen’. In der Öffentlichkeit wurde gemutmaßt, am Ende handle es sich wohl um einen “Preis für Intoleranz“ und gemäß der interessierten Ideologie vom „Krieg der Kulturen“ zeige der „Fall Koch/Lehmann“, dass „viele ihn gerne führen würden“.

In dieser zweiten Phase des Eklats drohte der Kulturpreis vernichtend zu explodieren. Kermani selbst hat auf Anfrage in einem offenen Brief in der FAZ auf die Entscheidung des Hessischen Ministerpräsidenten , ihm den zuerkannten Preis wieder abzuerkennen, kurz und prägnant geantwortet: „Ob ich denn nicht wisse, dass mir der Hessische Kulturpreis aberkannt wurde? Nein, ich wusste es nicht.(…) Sehr geehrter Herr Koch, ich hoffe, dass Sie sich wenigstens schämen. Mit freundlichen Grüßen aus dem katholischen Köln, Navid Kermani.“

Fortsetzung: RETTUNG DES INTERRELIGIÖSEN DIALOGS -
DES HESSISCHEN KULTURPREISES?
Verleihung am 26.November 2009
 



 
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