Herbert Schmelz
Mitglied
Bericht zur Kulturpolitik eines deutschen Bundeslandes (III)
RETTUNG DES INTERRELIGIÖSEN DIALOGS -
DES HESSISCHEN KULTURPREISES ?
Wer sich diese frische urchristliche Hoffnung durch den Kopf gehen lässt, ahnt bestimmt, welch scharfes Schwert sie sein kann, dass sie subjektiv Roland Koch in schwere Bedrängnis bringt – letztlich stehen Anstand und Glaubwürdigkeit von Kulturpolitik zur Debatte. Was in wenigen Tagen gegen Koch, Lehmann und Steinacker vorgebracht wird, während Verteidigungsreden kaum zu vernehmen sind, spitzt sich in dieser Phase der rituellen Rechtfertigungsideologien auf das Motiv zu, den Preis womöglich retten zu müssen.
Aber wie ? Die GRÜNEN regen einen öffentlichen Dialog der Preisträger an, was bei der Lage der Dinge nur von völlig unsicheren Voraussetzungen her vorstellbar ist. Wollen die Preisträger überhaupt eine öffentliche Diskussion, die diesen Namen verdient? Verschärfend wurde vom Forum des ev. Kirchentages für Kermanis Verdienste um den christlich-islamischen Dialog Stellung bezogen. Die SPD forderte mit wenig Verständnis für die sensible , prekäre Kulturproblematik und vor allem gegen die allgemeine Tendenz und Stimmung der Rettung des Preises, die Preisverleihung in diesem Jahr ganz auszusetzen. Einzelne Stimmen der FDP ebenfalls. Aber die FDP ahnte auch den Schaden, den Koalitionspartner Roland Koch angerichtet hatte, und half im Hintergrund zurückzurudern. Plötzlich wird eine Verschiebung der Preisverleihung auf den Herbst des Jahres gemeldet – danach gab Koch an, Lehmann, Steinacker und Korn hätten den Vorschlag zum ‚ internen Gespräch’ mit Kermani gemacht. Die Preisträger sollten sich also „verständigen“. Während die CDU in der Öffentlichkeit nur noch kleinlaut sich zu Worte meldet, sprechen die Liberalen mit geschwellter Brust und einer Andeutung selbstkritischer Prüfung von ‚gewachsener Erkenntnis’ „auch dank der journalistischen Begleitung“, „den Anderen noch mal nachzulesen“, so Integrationsminister, Justizminister und stellv. Ministerpräsident Jörg-Uwe Hahn(FDP).
Man darf gespannt sein, was bei dieser ‚Nachlese’ herauskommen wird – es dürfte nicht viel zu tun haben mit dem, was die GRÜNEN durch einen öffentlichen Dialog der Preisträger erwarten wollten. Aber vielleicht darf auch hier das Wort gelten, demzufolge die Hoffnung zuletzt stirbt. Micha Brumlik hatte vorher schon eine passende Begründung zur Rettung des Staatspreises angemahnt. Dabei hatte er mit Blick auf den Preisentzug nach Gutsherrnart von einem „integrationspolitischen GAU erster Ordnung“ gesprochen. Um einen Dialog ‚auf Augenhöhe’ zu führen , dachte er, dass Korn, Lehmann und Steinacker die Annahme des Hessischen Kulturpreises verweigern könnten (Angeblich hatten sie dies ja für den Fall getan, dass sie, wie geplant, mit Kermani den Preis gemeinsam in Empfang nehmen). Nach der zunächst plausiblen Logik von Brumlik haben die zuständigen Instanzen (Ministerpräsident und Kuratorium) ausgespielt und können den Schaden nicht mehr beheben. „Es obliegt somit den verbliebenen Preisträgern, den Weg für einen Neuanfang freizumachen“. Eine offene Verweigerung des Preises jedoch von den 3 verbliebenen Preisträgern aus Solidarität mit Kermani zu erwarten, aus deren Mitte der Eklat im voreiligen Einverständnis mit dem Ministerpräsidenten ausgelöst wurde, würde im Endeffekt zu diesem Zeitpunkt (Ende Mai 2009) ein zu schwerer Affront gegen Regierung und Staat sein. Diese hatten sich entsprechend ihrer politischen Identität eilig (und gern?) den geheim vorgebrachten ‚Argumenten’ angeschlossen. Dass somit ungewollt ein selbst entlarvender Offenbarungseid staatlich betriebener Kulturpolitik in Hessen plötzlich auf der Tagesordnung stand, scheint in der Logik der Ereignisse zu liegen, über die zu berichten ist, um sie nicht dem Vergessen preiszugeben. Und deshalb muss zu der gut gemeinten Rettungsidee Micha Brumliks festgehalten werden, dass sie leider die eingeübten Methoden politischer Machtverhältnisse außer Acht lässt. Das Possenspiel muss weitergehen.
Gehen wir an dieser Stelle einen Schritt zurück und lesen den ersten Satz einer kurzen Pressemeldung: „Der hessische Integrationsminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) hat sich erleichtert darüber gezeigt, dass die potenziellen Träger des Hessischen Kulturpreises nach ihrer öffentlichen Auseinandersetzung das Gespräch miteinander suchen.“(FR 22.05.09) Sollte sich Hahn substanziell so ausgedrückt haben, so würde das einen weiteren dunklen Schatten auf die Hessische Kulturpolitik werfen, der niemand auch nur ein Wort glauben dürfte. Eine öffentliche Erklärung des ahnungslosen Preisträgers Kermani gegen den Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch ist uns bekannt, weil der ihm aus einer tief verwurzelten ungerechten Haltung heraus den Preis scheinbar auf entsprechende Zuflüsterungen hin entzogen hat, und von dem der Schriftsteller hofft, dass er sich „wenigstens schämt“. Über eine öffentliche Auseinandersetzung zwischen den Preisträgern ist faktisch nichts bekannt. Es ist ja gerade die Öffentlichkeit, die eine üble Intrige an den Tag gebracht und eindeutig ergeben hat, dass es zwischen den Preisträgern überhaupt keine Auseinandersetzung gab und gibt.
Oder sind von Lehmann, Steinacker und Korn Worte bekannt geworden, die den Begriff der öffentlichen Auseinandersetzung mit einem designierten Mitpreisträger rechtfertigen könnten? Hatten wir uns versehen oder verhört, als wir von ihnen Worte der Selbstbezogenheit, Selbstgerechtigkeit oder einfach nichts vernahmen? Gibt es aus der Reihe dieser Persönlichkeiten mindestens eine, die mit Mut und aufrichtiger Empörung die bodenlose Ungerechtigkeit des einseitigen Preisentzugs verurteilt hat? Und auch die einfachste liberale Übung, den Preis für Kermani von Koch zurückzufordern und zugleich die Differenz des eigenen Standpunktes zum Standpunkt der ästhetischen Betrachtung des Schriftstellers zu verdeutlichen, ist bei diesem Possenspiel nirgends zu entdecken.
Die ‚öffentliche Auseinandersetzung’ der Preisträger ist in Wahrheit eine dreiste, kalkulierte Lüge, weil sie weder stattgefunden noch in irgendeiner Hinsicht vorgesehen war. Durch eine solche Formulierung, wo in der Pressemeldung eine ‚öffentliche Auseinandersetzung’ unwahr und manipulativ vorausgesetzt ist, soll nur von der eigenen, ideologisch bedingten Verantwortungslosigkeit abgelenkt werden. Eine alternative Bewertung müsste wohl auf naive, kindliche Unschuld der selbst ernannten Retter des Hessischen Kulturpreises sich gründen. Aber es steckt auch eine ernst zu nehmende Drohung hinter der Lüge: Wenn die Preisträger das Bemühen des Staates, das Heft wieder in die Hand zu bekommen, nicht freiwillig durch eine Gesprächsklausur honorieren und dabei den aufgebrochenen Konflikt nicht in der Lage sind auf einem angemessenen geistigen Niveau abzuhandeln, dann, so die Drohung, ist womöglich der kulturelle Friede, zentrales Ziel des Preises, in Gefahr. Darin darf allerdings auch ein Körnchen Wahrheit vermutet werden, das hoffentlich nicht aufkeimt. Vor einiger Zeit hat man für den hier geschilderten Vorgang den Begriff der repressiven Toleranz verwendet.
Der Staat könnte, um diesem kulturpolitischen Intrigenspiel mit noch unbekannten Folgen die Krone aufzusetzen, seinen Wissensvorsprung auch öffentlich verwenden. Er weiß, was Lehmann geschrieben, Steinacker vielleicht nur gesagt hat und ob Korns öffentliches Schweigen in Wirklichkeit präzise und beredt war. Auch Kermani könnte vielleicht die Dokumente aus Hessen, die ihm doch vorliegen dürften, bei Gelegenheit öffentlich, die politische Opposition sich bei der Aufklärung aller Fakten um die irritierende Vergabe des Hessischen Kulturpreises verdient machen.
Zunächst kann jedoch eine vordergründige ‚Erleichterung’ des Hessischen Integrationsministers, Justizministers und stellvertretenden Ministerpräsidenten vermeldet werden, weil sich die vier designierten, nicht ‚potenziellen’, Preisträger bereit fanden, das „Gespräch zu suchen“. Achten wir auf die Anzeichen, die aus den modernen Gemäuern nach außen dringen. Die Kultur steckt so tief im Schlamm, hat als feines, raues, ambivalentes Gebilde Angriffe hinnehmen müssen und vielleicht Verletzungen erlitten, dass Schlimmstes zu befürchten ist – und sei es eine endgültige Absage der Preisverleihung mit einer manipulierten Begründung. Der Hessische Staat hätte für diesen Fall zu seiner Schande 45000 Euro gespart.
Markus Spillmann, Chefredakteur der NZZ, führt uns in seinem Einspruch vom Dienstag den 19. Mai 09 zwei Kernpunkte des beobachteten Kulturcrashs unter Führung und Verantwortung der christlich-liberalen Koalitionsregierung in Hessen vor Augen: „Navid Kermani hat in dem fraglichen Text in dieser Zeitung ein seltenes Beispiel für die schonungslose Auseinandersetzung mit eigenen vorgefassten Meinungen und Vorurteilen gegeben. Wie, wenn denn nicht auch so, soll das Gespräch zwischen den Kulturen und den Religionen über den unverbindlichen Austausch von Höflichkeiten hinaus zu einem ernsthaften und ernstzunehmenden Dialog fortschreiten?
Der am Montag von den zuständigen Instanzen gefasste Beschluss, die Preisverleihung bis in den Herbst auszusetzen und inzwischen die drei Preisträger sowie Navid Kermani zu Gesprächen an einen Tisch zu bitten, ändert nichts an der Irritation, die durch die Aberkennung des Preises entstanden ist.“
Diese diplomatische Version des Züricher Chefredakteurs erinnert an eine wichtige Errungenschaft der kulturellen Evolution: Die Fähigkeiten der Selbstkritik und Selbstreflexion auszubilden als eine der Bedingungen für fruchtbaren Dialog. Kermani hat für seinen Teil diese Fähigkeiten nachgewiesen, aber Roland Koch erkannte ihm unbeherrscht, hinterrücks den zuerkannten Preis wieder ab. Bei dem jetzt gewählten Verfahren , - zu retten, was noch zu retten ist- entsteht für den Hessischen Ministerpräsidenten und die drei verbliebenen Preisträger nunmehr eine prekäre Zwangssituation, die vorher nicht bestand. Sie müssen plausibel machen, glaubhaft versichern, dass schwerwiegende Fehler bei der Vergabe des Kulturpreises in ihre Verantwortung fallen, die gute Absicht des Preises selbst demgegenüber nur durch schonungslose Offenheit untermauert werden kann, welche allein in der Lage ist, den vermeintlich unliebsamen Konkurrenten wieder ins Boot zu holen. Eine manipulative Augenauswischerei hilft nicht mehr. Es wird von der Lösung dieses prekären Problems abhängen, auf welche Weise sich der dritte Akt der hessischen Kulturpreis-Tragikkomödie unserem geistigen Auge darbieten wird.
Immerhin scheint Jörg-Uwe Hahn im Wiesbadener Parlament am 18. Juni sich vom Koalitionspartner zu distanzieren: „Ich halte es für nicht klug, dass das Kuratorium diese Entscheidung getroffen hat“ –Kermani den zuerkannten Preis wieder wegzunehmen! Begründung: Die ‚Debatte’ habe der „Integration in unserem Lande geschadet“. Diese verschämt daherkommende Distanzierung von Koch ist eine Täuschung der Öffentlichkeit. Hahn bewegt sich, wie Koch, auf der Ebene eines taktisch operierenden konservativen Populismus – die Differenz zwischen den eng Befreundeten ist gegenwärtig bedeutungslos. Koch hält es für richtig und effizient , sich auf die mehrheitsfähigen Vorurteile gegen den Islam zu stützen, Hahn ahnt als Integrationsminister, dass ihm eine Häufung schwerer Fehler der unsensiblen Kulturpolitik des Ministerpräsidenten, die er im allgemeinen befürwortet, Legitimationsprobleme bereiten wird – das ist aus seiner Sicht natürlich ‚nicht klug’. Aber es ist dennoch unvermeidlich. Und was die Möglichkeit einer Kulturpolitik mit liberaler Handschrift angeht, so hat die neue Schulministerin Dorothea Henzler (FDP) bereits öffentlich ihre schwache Position in dieser Landesregierung eingestehen müssen, als ihre forsche Absicht eines legalisierten Schulbesuchs ‚illegaler Kinder’ (!) von ihrem Parteichef Hahn und der CDU zunächst ausgebremst und auf die lange Bank geschoben wurde.
Was die öffentliche Debatte um die Fehlleistungen der Landesregierung angeht, so muss diese Debatte unbedingt als hilfreich für eine Integrationspolitik mit Augenmaß angesehen werden. Und welche Einschätzung trägt der Hessische Integrationsminister im Parlament vor? Eben diese Debatte habe der „Integration in unserem Lande geschadet“. Da ist eine ähnliche Verdrehung wie im Falle der angeblich „öffentlichen Auseinandersetzung“ zwischen den Preisträgern zu erkennen, die in Wirklichkeit eine kritische Auseinandersetzung mit schädlichen Entscheidungen der Landesregierung ist, der Jörg-Uwe Hahn als Vize-Chef angehört.
Der Justiz- und Integrationsminister der Hessischen Landesregierung hat im Verlauf weniger Wochen seines Regierens als Liberaler ein erstaunliches Problem mit der Kategorie der Öffentlichkeit. Neben den Oppositionsparteien im Landtag beklagen sich Kirchen, Wohfahrtsverbände und Flüchtlingsorganisationen über eine noch mal verschärfte Abschiebepolitik, die keinerlei tatsächliche Mitsprache mehr zulässt, welche humanitäre und menschenrechtliche Hemmungen gegen allzuleichtes Abschieben zur Geltung bringen könnte. Hier hat sich die FDP dem ‚Law and Order’ Denken der hessischen CDU sehr schnell und aus innerer Überzeugung angeschlossen. Auch stellt aus der Sicht von Hahn eine strafrechtlich ermittelnde Staatsanwaltschaft, die z.B. nach Kräften eine HIV-positive Person in verhängnisvoller Weise der öffentlichen Vorverurteilung zuführt, kein ernstes Problem dar. Nicht nur, dass in diesem Fall die Sängerin Nadja Benaissa die Leidtragende ist, an der aufgrund jener Vorverurteilung später immer etwas hängen bleiben wird, sondern auch die schädlichen Folgen für die weltweiten Bemühungen zur Eindämmung von Aids sollten im Wahrnehmungshorizont eines Justizministers prinzipiell vorkommen. Auch das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung bedarf angemessener Aufklärung, kann auf den Polizeiknüppel, öffentlichkeitssüchtige Staatsanwaltschaften, selbstgerechte Richter leicht verzichten. Ist Hahn überhaupt klar, dass seine prinzipiell richtige Bemerkung zur Unabhängigkeit der Justiz im konkreten Fall unpassend und schädlich war, da seine kalkuliert passive politische Haltung eine aktive Torpedierung schützenswerter Rechtsgüter bewirkte? Andererseits fällt jedem aufmerksamen Beobachter die zielstrebige und rührige Art des Justizministers auf, wenn es um den Einsatz von Rechtsinstrumenten geht, die den Schutz korruptions-verdächtiger Raffgier und Bereicherung in unserer Gesellschaft bewirken können (‚Steuerfahnder-Affäre’ und die ‚Affäre’ der Wolskis unter Einschluss einer der höchsten Richterinnen des Landes).
Mein vielleicht etwas voreiliger Verdacht, ein ernstes Motiv zur Rettung des Hessischen Kulturpreises bestehe bei den Verantwortlichen gar nicht, ist an die Voraussetzung geknüpft, dass die politische Klasse unter permanentem Handlungsdruck an den komplexen Kooperationsverhältnissen zwischen den Kulturen wie auch innerhalb eines kulturellen Organismus nur ein oberflächliches Interesse aufbieten kann. Ist diese Überzeugung einigermaßen stimmig, so können die von den Liberalen (scheinheilig?) angemahnten Rettungsmaßnahmen den Makel des Kulturbanausentums nicht verdecken., welche konkrete Lösung für den Hessischen Kulturpreis des Jahres 2009 auch immer gefunden wird. Versprochen ist die Verleihung für den Herbst, offen, ob man Kermani wieder ins Boot bekommt, ungewiss, wie die Dialogfähigkeit der Preisträger und vor allem der Regierung unter Führung von Roland Koch nachgewiesen wird. Das Ganze kann auch in einem dunklen, nicht nachvollziehbaren Mysterium enden, dem man schließlich das Etikett der Vernunft anheftet – bei soviel Unvernunft!
Kardinal Lehmann spricht in einem Zeitungsinterview (FR 26.08.2009) das zentrale Problem der Dialogfähigkeit im Zusammenhang mit aktuellen politischen und kirchlichen Fragen an. Ob die Bundeskanzlerin Angela Merkel z.B. zu wenig kirchliche Anliegen (Bioethik etc) unterstütze ? „… Ich bin für ein nüchternes Verhältnis zwischen Kirche und Politik. Ich mag es auch nicht, wenn Politiker sich den Kirchen andienen“. Diese kritische Anspielung wird später konkretisiert, als der Interviewer fragt: „ Herr Kardinal, nach dem Streit um den muslimischen Schriftsteller Navid Kermani im Frühjahr wurde die Verleihung des Hessischen Kulturpreises 2009 ausgesetzt. Wer bekommt ihn denn nun?“
„Da müssen Sie den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch als Vorsitzenden des Kuratoriums fragen. Ich für meine Person möchte die Debatte um Navid Kermani nicht wieder aufleben lassen.“ Frage von Joachim Frank: „Sie hatten sich an seinem Text über das Kreuz gestoßen und eine gemeinsame Verleihung des Preises infrage gestellt. Haben Sie in selbstkritischer Rückschau alles richtig gemacht?“ Antwort von Karl Lehmann: „Ich war überrascht, mit wie viel Ignoranz über die Sache selbst –also über die Verleihung des Preises an Vertreter mehrerer Religionen-, aber auch über mich geredet wurde. Ich stehe seit Jahrzehnten in der Öffentlichkeit, sodass an meiner positiven Haltung zum interreligiösen Dialog eigentlich kein Zweifel möglich sein sollte. Und dann behaupten dieselben Leute, die mir gerade den Preis verliehen haben, wenige Wochen später, ich könne ja nicht einmal richtig lesen. Also, das hat mir schon die Sprache verschlagen Ich habe übrigens nie gefordert, Navid Kermani den Preis abzuerkennen. Aber noch einmal: Das jetzt alles noch einmal nachzukarten, dafür ist mir meine Zeit zu schade.“ Frank insistierend: „Sie wollten sich doch mit Kermani treffen.“ Antwort Lehmann: „Ja, aber zu einem persönlichen Gespräch. Ganz ohne Sie und ihre Kollegen“. Der Interviewer kann immer noch nicht vom Kreuze lassen:
„Schade. es würde mich schon interessieren, wie sie das Problem beheben wollen, dass Kermani sich auf –aus Ihrer Sicht- despektierliche Weise über das Kreuz geäußert hat. Dieser Text, mit dem Sie in keiner Weise in Zusammenhang gebracht werden wollten, kann ja nicht einfach gelöscht werden.“ Nüchterne Antwort des Kardinals: „Da mache ich mir weniger Sorgen als Sie. Ich glaube, durch ein sachliches, ruhiges, nachdenkliches Gespräch kommt man immer weiter. Ich habe Kermani schon mehrfach getroffen und inzwischen auch mit seiner Familie korrespondiert. Ich bin sicher, wir kommen miteinander zurecht. Öffentlich habe ich parallel zu der ganzen Diskussion meine Stiftungsprofessur ‚Weltreligionen’ wahrgenommen. Das Ergebnis wird zur Buchmesse publiziert. Darin spätestens wird jeder lesen können, wo ich stehe.“ Der katholische Theologe umreißt seine Position abschließend: „Das interreligiöse Gespräch ist unerlässlich. Aber man darf es nicht mit dieser Ignoranz für den eigenen Wert jeder Religion führen, nicht mit dieser pseudo-liberalen säkularen Gleichgültigkeit, die unter dem Deckmantel von Toleranz und Religionsfreiheit den ganz eigenen Charakter von Religion nicht ernst nimmt“.
Was den anderen Kirchenmann angeht, Professor Steinacker, so möchte ich ihm gerne –ganz unabhängig von der Wortwahl des Kardinals- folgende Formulierung in den Mund legen: „Die Ausgrenzung Navid Kermanis stammte nicht von mir!“ Die Position von Professor Kor n wurde erkennbar in einem nicht unbedeutenden Zusammenhang dieses Kulturpreises , - als er Anfang 2009 sein Verständnis kriegerischer Gewalt Israels verteidigte und Fuat Sezgin bezüglich des gleichen Sachverhaltes antisemitischer Motive bezichtigte. Inwieweit er dann in Bezug auf den Schriftsteller Kermani möglicherweise politische Bedenken anmeldete, ist eine Frage, die zwar nicht aus der Luft gegriffen ist, aber dennoch meiner Auffassung nach nicht durch wilde Spekulation beschädigt werden, sondern der Wahrheitsliebe der Regierung Koch/Hahn überlassen bleiben sollte.
Was den Inhalt des Lehmann-Interviews betrifft, so fällt an dessen „nüchternen“
Verhältnis zur Politik zuerst seine emotional - aggressive Kritik an Politikern auf, denen er „Ignoranz“ und „pseudo-liberale säkulare Gleichgültigkeit“ vorwirft, die Toleranz und Religionsfreiheit als „Deckmantel“ benutzen und die Religion imgrunde missachten. Die Anspielung auf Hahns unsägliche Pressemitteilung, -wo vom ‚nachlesen’ die Rede war, um nicht vom Nachsitzen zu sprechen -, drückt den erbitterten Ärger des sich geschuriegelt Fühlenden aus. Und dann erfolgt seine trotzige Feststellung, die für Koch und Hahn eine kräftige Ohrfeige ist: „Ich habe übrigens nie gefordert, Navid Kermani den Preis abzuerkennen“. Wahrlich, so unklug war der Kardinal nicht! Denn er verstand es im Interview, mit der Zunge der Jovialität die religionskritische Haltung Kermanis klein zu reden („Ich bin sicher, wir kommen miteinander zurecht“), welche durch den Text in der Neuen Züricher Zeitung im Frühjahr die fleißige Zunge der empörten Glaubensfestigkeit zum Sprechen brachte. Es handelt sich nicht, wie so manche Seele voreilig vermutet, um Doppelzüngigkeit, sondern um zweckmäßige Verhaltensmuster, die je ihren eigenen Wert entfalten. Was soll man von einem Kardinal , Kirchenpräsidenten, Pfarrer halten, der sich nicht öffentlich empört, wenn massive Zweifel an seinen Glaubensgrundlagen angemeldet werden? Wenn nun aber der Kardinal sich „weniger Sorgen“ um das Kreuz macht als sein Interviewpartner, weil eben die Zeiten der Inquisition vorbei sind und heute das „sachliche, ruhige, nachdenkliche Gespräch“ angebracht ist, wer muss da noch herumkritisieren? Im ersten Fall ist die Toleranz in Form des Zugeständnisses gefordert, was den Kritiker kaum einen Verlust an Klarsicht kostet. Im zweiten Fall kann man ohne Bedenken zustimmen.
Zusammenfassend: Die Koch/Hahn-Regierung ist mit ihrer kulturpolitischen Linie der ungerechten Ausgrenzung erkennbar gescheitert, denn die im ersten Augenblick durch einen Zeitungsartikel in ihren Glaubensfesten Verunsicherten haben sich auf einen wesentlichen Wert des Kulturlebens besonnen, - Solidarität. So geht einige Tage nach dem Interview des Mainzer Kardinals die Meldung durch die Medien , dass während eines 2-stündigen Gesprächs „alle Aspekte der Kontroverse“ besprochen wurden und die verbliebenen Preisträger darauf sich geeinigt haben, dass auch „der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani den Hessischen Kulturpreis erhält“. (FR 29.08.2009) Abgesehen davon, dass jetzt noch die Stellungnahme der hessischen Landesregierung nachzutragen wäre, kann im Sinne der eingangs angestellten Überlegungen zu diesem Bericht ein „später Sieg der Vernunft“ mit deutlicher Tendenz zur Verdunkelung der tatsächlichen Handlungskontexte festgehalten werden.
RETTUNG DES INTERRELIGIÖSEN DIALOGS -
DES HESSISCHEN KULTURPREISES ?
Wer sich diese frische urchristliche Hoffnung durch den Kopf gehen lässt, ahnt bestimmt, welch scharfes Schwert sie sein kann, dass sie subjektiv Roland Koch in schwere Bedrängnis bringt – letztlich stehen Anstand und Glaubwürdigkeit von Kulturpolitik zur Debatte. Was in wenigen Tagen gegen Koch, Lehmann und Steinacker vorgebracht wird, während Verteidigungsreden kaum zu vernehmen sind, spitzt sich in dieser Phase der rituellen Rechtfertigungsideologien auf das Motiv zu, den Preis womöglich retten zu müssen.
Aber wie ? Die GRÜNEN regen einen öffentlichen Dialog der Preisträger an, was bei der Lage der Dinge nur von völlig unsicheren Voraussetzungen her vorstellbar ist. Wollen die Preisträger überhaupt eine öffentliche Diskussion, die diesen Namen verdient? Verschärfend wurde vom Forum des ev. Kirchentages für Kermanis Verdienste um den christlich-islamischen Dialog Stellung bezogen. Die SPD forderte mit wenig Verständnis für die sensible , prekäre Kulturproblematik und vor allem gegen die allgemeine Tendenz und Stimmung der Rettung des Preises, die Preisverleihung in diesem Jahr ganz auszusetzen. Einzelne Stimmen der FDP ebenfalls. Aber die FDP ahnte auch den Schaden, den Koalitionspartner Roland Koch angerichtet hatte, und half im Hintergrund zurückzurudern. Plötzlich wird eine Verschiebung der Preisverleihung auf den Herbst des Jahres gemeldet – danach gab Koch an, Lehmann, Steinacker und Korn hätten den Vorschlag zum ‚ internen Gespräch’ mit Kermani gemacht. Die Preisträger sollten sich also „verständigen“. Während die CDU in der Öffentlichkeit nur noch kleinlaut sich zu Worte meldet, sprechen die Liberalen mit geschwellter Brust und einer Andeutung selbstkritischer Prüfung von ‚gewachsener Erkenntnis’ „auch dank der journalistischen Begleitung“, „den Anderen noch mal nachzulesen“, so Integrationsminister, Justizminister und stellv. Ministerpräsident Jörg-Uwe Hahn(FDP).
Man darf gespannt sein, was bei dieser ‚Nachlese’ herauskommen wird – es dürfte nicht viel zu tun haben mit dem, was die GRÜNEN durch einen öffentlichen Dialog der Preisträger erwarten wollten. Aber vielleicht darf auch hier das Wort gelten, demzufolge die Hoffnung zuletzt stirbt. Micha Brumlik hatte vorher schon eine passende Begründung zur Rettung des Staatspreises angemahnt. Dabei hatte er mit Blick auf den Preisentzug nach Gutsherrnart von einem „integrationspolitischen GAU erster Ordnung“ gesprochen. Um einen Dialog ‚auf Augenhöhe’ zu führen , dachte er, dass Korn, Lehmann und Steinacker die Annahme des Hessischen Kulturpreises verweigern könnten (Angeblich hatten sie dies ja für den Fall getan, dass sie, wie geplant, mit Kermani den Preis gemeinsam in Empfang nehmen). Nach der zunächst plausiblen Logik von Brumlik haben die zuständigen Instanzen (Ministerpräsident und Kuratorium) ausgespielt und können den Schaden nicht mehr beheben. „Es obliegt somit den verbliebenen Preisträgern, den Weg für einen Neuanfang freizumachen“. Eine offene Verweigerung des Preises jedoch von den 3 verbliebenen Preisträgern aus Solidarität mit Kermani zu erwarten, aus deren Mitte der Eklat im voreiligen Einverständnis mit dem Ministerpräsidenten ausgelöst wurde, würde im Endeffekt zu diesem Zeitpunkt (Ende Mai 2009) ein zu schwerer Affront gegen Regierung und Staat sein. Diese hatten sich entsprechend ihrer politischen Identität eilig (und gern?) den geheim vorgebrachten ‚Argumenten’ angeschlossen. Dass somit ungewollt ein selbst entlarvender Offenbarungseid staatlich betriebener Kulturpolitik in Hessen plötzlich auf der Tagesordnung stand, scheint in der Logik der Ereignisse zu liegen, über die zu berichten ist, um sie nicht dem Vergessen preiszugeben. Und deshalb muss zu der gut gemeinten Rettungsidee Micha Brumliks festgehalten werden, dass sie leider die eingeübten Methoden politischer Machtverhältnisse außer Acht lässt. Das Possenspiel muss weitergehen.
Gehen wir an dieser Stelle einen Schritt zurück und lesen den ersten Satz einer kurzen Pressemeldung: „Der hessische Integrationsminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) hat sich erleichtert darüber gezeigt, dass die potenziellen Träger des Hessischen Kulturpreises nach ihrer öffentlichen Auseinandersetzung das Gespräch miteinander suchen.“(FR 22.05.09) Sollte sich Hahn substanziell so ausgedrückt haben, so würde das einen weiteren dunklen Schatten auf die Hessische Kulturpolitik werfen, der niemand auch nur ein Wort glauben dürfte. Eine öffentliche Erklärung des ahnungslosen Preisträgers Kermani gegen den Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch ist uns bekannt, weil der ihm aus einer tief verwurzelten ungerechten Haltung heraus den Preis scheinbar auf entsprechende Zuflüsterungen hin entzogen hat, und von dem der Schriftsteller hofft, dass er sich „wenigstens schämt“. Über eine öffentliche Auseinandersetzung zwischen den Preisträgern ist faktisch nichts bekannt. Es ist ja gerade die Öffentlichkeit, die eine üble Intrige an den Tag gebracht und eindeutig ergeben hat, dass es zwischen den Preisträgern überhaupt keine Auseinandersetzung gab und gibt.
Oder sind von Lehmann, Steinacker und Korn Worte bekannt geworden, die den Begriff der öffentlichen Auseinandersetzung mit einem designierten Mitpreisträger rechtfertigen könnten? Hatten wir uns versehen oder verhört, als wir von ihnen Worte der Selbstbezogenheit, Selbstgerechtigkeit oder einfach nichts vernahmen? Gibt es aus der Reihe dieser Persönlichkeiten mindestens eine, die mit Mut und aufrichtiger Empörung die bodenlose Ungerechtigkeit des einseitigen Preisentzugs verurteilt hat? Und auch die einfachste liberale Übung, den Preis für Kermani von Koch zurückzufordern und zugleich die Differenz des eigenen Standpunktes zum Standpunkt der ästhetischen Betrachtung des Schriftstellers zu verdeutlichen, ist bei diesem Possenspiel nirgends zu entdecken.
Die ‚öffentliche Auseinandersetzung’ der Preisträger ist in Wahrheit eine dreiste, kalkulierte Lüge, weil sie weder stattgefunden noch in irgendeiner Hinsicht vorgesehen war. Durch eine solche Formulierung, wo in der Pressemeldung eine ‚öffentliche Auseinandersetzung’ unwahr und manipulativ vorausgesetzt ist, soll nur von der eigenen, ideologisch bedingten Verantwortungslosigkeit abgelenkt werden. Eine alternative Bewertung müsste wohl auf naive, kindliche Unschuld der selbst ernannten Retter des Hessischen Kulturpreises sich gründen. Aber es steckt auch eine ernst zu nehmende Drohung hinter der Lüge: Wenn die Preisträger das Bemühen des Staates, das Heft wieder in die Hand zu bekommen, nicht freiwillig durch eine Gesprächsklausur honorieren und dabei den aufgebrochenen Konflikt nicht in der Lage sind auf einem angemessenen geistigen Niveau abzuhandeln, dann, so die Drohung, ist womöglich der kulturelle Friede, zentrales Ziel des Preises, in Gefahr. Darin darf allerdings auch ein Körnchen Wahrheit vermutet werden, das hoffentlich nicht aufkeimt. Vor einiger Zeit hat man für den hier geschilderten Vorgang den Begriff der repressiven Toleranz verwendet.
Der Staat könnte, um diesem kulturpolitischen Intrigenspiel mit noch unbekannten Folgen die Krone aufzusetzen, seinen Wissensvorsprung auch öffentlich verwenden. Er weiß, was Lehmann geschrieben, Steinacker vielleicht nur gesagt hat und ob Korns öffentliches Schweigen in Wirklichkeit präzise und beredt war. Auch Kermani könnte vielleicht die Dokumente aus Hessen, die ihm doch vorliegen dürften, bei Gelegenheit öffentlich, die politische Opposition sich bei der Aufklärung aller Fakten um die irritierende Vergabe des Hessischen Kulturpreises verdient machen.
Zunächst kann jedoch eine vordergründige ‚Erleichterung’ des Hessischen Integrationsministers, Justizministers und stellvertretenden Ministerpräsidenten vermeldet werden, weil sich die vier designierten, nicht ‚potenziellen’, Preisträger bereit fanden, das „Gespräch zu suchen“. Achten wir auf die Anzeichen, die aus den modernen Gemäuern nach außen dringen. Die Kultur steckt so tief im Schlamm, hat als feines, raues, ambivalentes Gebilde Angriffe hinnehmen müssen und vielleicht Verletzungen erlitten, dass Schlimmstes zu befürchten ist – und sei es eine endgültige Absage der Preisverleihung mit einer manipulierten Begründung. Der Hessische Staat hätte für diesen Fall zu seiner Schande 45000 Euro gespart.
Markus Spillmann, Chefredakteur der NZZ, führt uns in seinem Einspruch vom Dienstag den 19. Mai 09 zwei Kernpunkte des beobachteten Kulturcrashs unter Führung und Verantwortung der christlich-liberalen Koalitionsregierung in Hessen vor Augen: „Navid Kermani hat in dem fraglichen Text in dieser Zeitung ein seltenes Beispiel für die schonungslose Auseinandersetzung mit eigenen vorgefassten Meinungen und Vorurteilen gegeben. Wie, wenn denn nicht auch so, soll das Gespräch zwischen den Kulturen und den Religionen über den unverbindlichen Austausch von Höflichkeiten hinaus zu einem ernsthaften und ernstzunehmenden Dialog fortschreiten?
Der am Montag von den zuständigen Instanzen gefasste Beschluss, die Preisverleihung bis in den Herbst auszusetzen und inzwischen die drei Preisträger sowie Navid Kermani zu Gesprächen an einen Tisch zu bitten, ändert nichts an der Irritation, die durch die Aberkennung des Preises entstanden ist.“
Diese diplomatische Version des Züricher Chefredakteurs erinnert an eine wichtige Errungenschaft der kulturellen Evolution: Die Fähigkeiten der Selbstkritik und Selbstreflexion auszubilden als eine der Bedingungen für fruchtbaren Dialog. Kermani hat für seinen Teil diese Fähigkeiten nachgewiesen, aber Roland Koch erkannte ihm unbeherrscht, hinterrücks den zuerkannten Preis wieder ab. Bei dem jetzt gewählten Verfahren , - zu retten, was noch zu retten ist- entsteht für den Hessischen Ministerpräsidenten und die drei verbliebenen Preisträger nunmehr eine prekäre Zwangssituation, die vorher nicht bestand. Sie müssen plausibel machen, glaubhaft versichern, dass schwerwiegende Fehler bei der Vergabe des Kulturpreises in ihre Verantwortung fallen, die gute Absicht des Preises selbst demgegenüber nur durch schonungslose Offenheit untermauert werden kann, welche allein in der Lage ist, den vermeintlich unliebsamen Konkurrenten wieder ins Boot zu holen. Eine manipulative Augenauswischerei hilft nicht mehr. Es wird von der Lösung dieses prekären Problems abhängen, auf welche Weise sich der dritte Akt der hessischen Kulturpreis-Tragikkomödie unserem geistigen Auge darbieten wird.
Immerhin scheint Jörg-Uwe Hahn im Wiesbadener Parlament am 18. Juni sich vom Koalitionspartner zu distanzieren: „Ich halte es für nicht klug, dass das Kuratorium diese Entscheidung getroffen hat“ –Kermani den zuerkannten Preis wieder wegzunehmen! Begründung: Die ‚Debatte’ habe der „Integration in unserem Lande geschadet“. Diese verschämt daherkommende Distanzierung von Koch ist eine Täuschung der Öffentlichkeit. Hahn bewegt sich, wie Koch, auf der Ebene eines taktisch operierenden konservativen Populismus – die Differenz zwischen den eng Befreundeten ist gegenwärtig bedeutungslos. Koch hält es für richtig und effizient , sich auf die mehrheitsfähigen Vorurteile gegen den Islam zu stützen, Hahn ahnt als Integrationsminister, dass ihm eine Häufung schwerer Fehler der unsensiblen Kulturpolitik des Ministerpräsidenten, die er im allgemeinen befürwortet, Legitimationsprobleme bereiten wird – das ist aus seiner Sicht natürlich ‚nicht klug’. Aber es ist dennoch unvermeidlich. Und was die Möglichkeit einer Kulturpolitik mit liberaler Handschrift angeht, so hat die neue Schulministerin Dorothea Henzler (FDP) bereits öffentlich ihre schwache Position in dieser Landesregierung eingestehen müssen, als ihre forsche Absicht eines legalisierten Schulbesuchs ‚illegaler Kinder’ (!) von ihrem Parteichef Hahn und der CDU zunächst ausgebremst und auf die lange Bank geschoben wurde.
Was die öffentliche Debatte um die Fehlleistungen der Landesregierung angeht, so muss diese Debatte unbedingt als hilfreich für eine Integrationspolitik mit Augenmaß angesehen werden. Und welche Einschätzung trägt der Hessische Integrationsminister im Parlament vor? Eben diese Debatte habe der „Integration in unserem Lande geschadet“. Da ist eine ähnliche Verdrehung wie im Falle der angeblich „öffentlichen Auseinandersetzung“ zwischen den Preisträgern zu erkennen, die in Wirklichkeit eine kritische Auseinandersetzung mit schädlichen Entscheidungen der Landesregierung ist, der Jörg-Uwe Hahn als Vize-Chef angehört.
Der Justiz- und Integrationsminister der Hessischen Landesregierung hat im Verlauf weniger Wochen seines Regierens als Liberaler ein erstaunliches Problem mit der Kategorie der Öffentlichkeit. Neben den Oppositionsparteien im Landtag beklagen sich Kirchen, Wohfahrtsverbände und Flüchtlingsorganisationen über eine noch mal verschärfte Abschiebepolitik, die keinerlei tatsächliche Mitsprache mehr zulässt, welche humanitäre und menschenrechtliche Hemmungen gegen allzuleichtes Abschieben zur Geltung bringen könnte. Hier hat sich die FDP dem ‚Law and Order’ Denken der hessischen CDU sehr schnell und aus innerer Überzeugung angeschlossen. Auch stellt aus der Sicht von Hahn eine strafrechtlich ermittelnde Staatsanwaltschaft, die z.B. nach Kräften eine HIV-positive Person in verhängnisvoller Weise der öffentlichen Vorverurteilung zuführt, kein ernstes Problem dar. Nicht nur, dass in diesem Fall die Sängerin Nadja Benaissa die Leidtragende ist, an der aufgrund jener Vorverurteilung später immer etwas hängen bleiben wird, sondern auch die schädlichen Folgen für die weltweiten Bemühungen zur Eindämmung von Aids sollten im Wahrnehmungshorizont eines Justizministers prinzipiell vorkommen. Auch das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung bedarf angemessener Aufklärung, kann auf den Polizeiknüppel, öffentlichkeitssüchtige Staatsanwaltschaften, selbstgerechte Richter leicht verzichten. Ist Hahn überhaupt klar, dass seine prinzipiell richtige Bemerkung zur Unabhängigkeit der Justiz im konkreten Fall unpassend und schädlich war, da seine kalkuliert passive politische Haltung eine aktive Torpedierung schützenswerter Rechtsgüter bewirkte? Andererseits fällt jedem aufmerksamen Beobachter die zielstrebige und rührige Art des Justizministers auf, wenn es um den Einsatz von Rechtsinstrumenten geht, die den Schutz korruptions-verdächtiger Raffgier und Bereicherung in unserer Gesellschaft bewirken können (‚Steuerfahnder-Affäre’ und die ‚Affäre’ der Wolskis unter Einschluss einer der höchsten Richterinnen des Landes).
Mein vielleicht etwas voreiliger Verdacht, ein ernstes Motiv zur Rettung des Hessischen Kulturpreises bestehe bei den Verantwortlichen gar nicht, ist an die Voraussetzung geknüpft, dass die politische Klasse unter permanentem Handlungsdruck an den komplexen Kooperationsverhältnissen zwischen den Kulturen wie auch innerhalb eines kulturellen Organismus nur ein oberflächliches Interesse aufbieten kann. Ist diese Überzeugung einigermaßen stimmig, so können die von den Liberalen (scheinheilig?) angemahnten Rettungsmaßnahmen den Makel des Kulturbanausentums nicht verdecken., welche konkrete Lösung für den Hessischen Kulturpreis des Jahres 2009 auch immer gefunden wird. Versprochen ist die Verleihung für den Herbst, offen, ob man Kermani wieder ins Boot bekommt, ungewiss, wie die Dialogfähigkeit der Preisträger und vor allem der Regierung unter Führung von Roland Koch nachgewiesen wird. Das Ganze kann auch in einem dunklen, nicht nachvollziehbaren Mysterium enden, dem man schließlich das Etikett der Vernunft anheftet – bei soviel Unvernunft!
Kardinal Lehmann spricht in einem Zeitungsinterview (FR 26.08.2009) das zentrale Problem der Dialogfähigkeit im Zusammenhang mit aktuellen politischen und kirchlichen Fragen an. Ob die Bundeskanzlerin Angela Merkel z.B. zu wenig kirchliche Anliegen (Bioethik etc) unterstütze ? „… Ich bin für ein nüchternes Verhältnis zwischen Kirche und Politik. Ich mag es auch nicht, wenn Politiker sich den Kirchen andienen“. Diese kritische Anspielung wird später konkretisiert, als der Interviewer fragt: „ Herr Kardinal, nach dem Streit um den muslimischen Schriftsteller Navid Kermani im Frühjahr wurde die Verleihung des Hessischen Kulturpreises 2009 ausgesetzt. Wer bekommt ihn denn nun?“
„Da müssen Sie den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch als Vorsitzenden des Kuratoriums fragen. Ich für meine Person möchte die Debatte um Navid Kermani nicht wieder aufleben lassen.“ Frage von Joachim Frank: „Sie hatten sich an seinem Text über das Kreuz gestoßen und eine gemeinsame Verleihung des Preises infrage gestellt. Haben Sie in selbstkritischer Rückschau alles richtig gemacht?“ Antwort von Karl Lehmann: „Ich war überrascht, mit wie viel Ignoranz über die Sache selbst –also über die Verleihung des Preises an Vertreter mehrerer Religionen-, aber auch über mich geredet wurde. Ich stehe seit Jahrzehnten in der Öffentlichkeit, sodass an meiner positiven Haltung zum interreligiösen Dialog eigentlich kein Zweifel möglich sein sollte. Und dann behaupten dieselben Leute, die mir gerade den Preis verliehen haben, wenige Wochen später, ich könne ja nicht einmal richtig lesen. Also, das hat mir schon die Sprache verschlagen Ich habe übrigens nie gefordert, Navid Kermani den Preis abzuerkennen. Aber noch einmal: Das jetzt alles noch einmal nachzukarten, dafür ist mir meine Zeit zu schade.“ Frank insistierend: „Sie wollten sich doch mit Kermani treffen.“ Antwort Lehmann: „Ja, aber zu einem persönlichen Gespräch. Ganz ohne Sie und ihre Kollegen“. Der Interviewer kann immer noch nicht vom Kreuze lassen:
„Schade. es würde mich schon interessieren, wie sie das Problem beheben wollen, dass Kermani sich auf –aus Ihrer Sicht- despektierliche Weise über das Kreuz geäußert hat. Dieser Text, mit dem Sie in keiner Weise in Zusammenhang gebracht werden wollten, kann ja nicht einfach gelöscht werden.“ Nüchterne Antwort des Kardinals: „Da mache ich mir weniger Sorgen als Sie. Ich glaube, durch ein sachliches, ruhiges, nachdenkliches Gespräch kommt man immer weiter. Ich habe Kermani schon mehrfach getroffen und inzwischen auch mit seiner Familie korrespondiert. Ich bin sicher, wir kommen miteinander zurecht. Öffentlich habe ich parallel zu der ganzen Diskussion meine Stiftungsprofessur ‚Weltreligionen’ wahrgenommen. Das Ergebnis wird zur Buchmesse publiziert. Darin spätestens wird jeder lesen können, wo ich stehe.“ Der katholische Theologe umreißt seine Position abschließend: „Das interreligiöse Gespräch ist unerlässlich. Aber man darf es nicht mit dieser Ignoranz für den eigenen Wert jeder Religion führen, nicht mit dieser pseudo-liberalen säkularen Gleichgültigkeit, die unter dem Deckmantel von Toleranz und Religionsfreiheit den ganz eigenen Charakter von Religion nicht ernst nimmt“.
Was den anderen Kirchenmann angeht, Professor Steinacker, so möchte ich ihm gerne –ganz unabhängig von der Wortwahl des Kardinals- folgende Formulierung in den Mund legen: „Die Ausgrenzung Navid Kermanis stammte nicht von mir!“ Die Position von Professor Kor n wurde erkennbar in einem nicht unbedeutenden Zusammenhang dieses Kulturpreises , - als er Anfang 2009 sein Verständnis kriegerischer Gewalt Israels verteidigte und Fuat Sezgin bezüglich des gleichen Sachverhaltes antisemitischer Motive bezichtigte. Inwieweit er dann in Bezug auf den Schriftsteller Kermani möglicherweise politische Bedenken anmeldete, ist eine Frage, die zwar nicht aus der Luft gegriffen ist, aber dennoch meiner Auffassung nach nicht durch wilde Spekulation beschädigt werden, sondern der Wahrheitsliebe der Regierung Koch/Hahn überlassen bleiben sollte.
Was den Inhalt des Lehmann-Interviews betrifft, so fällt an dessen „nüchternen“
Verhältnis zur Politik zuerst seine emotional - aggressive Kritik an Politikern auf, denen er „Ignoranz“ und „pseudo-liberale säkulare Gleichgültigkeit“ vorwirft, die Toleranz und Religionsfreiheit als „Deckmantel“ benutzen und die Religion imgrunde missachten. Die Anspielung auf Hahns unsägliche Pressemitteilung, -wo vom ‚nachlesen’ die Rede war, um nicht vom Nachsitzen zu sprechen -, drückt den erbitterten Ärger des sich geschuriegelt Fühlenden aus. Und dann erfolgt seine trotzige Feststellung, die für Koch und Hahn eine kräftige Ohrfeige ist: „Ich habe übrigens nie gefordert, Navid Kermani den Preis abzuerkennen“. Wahrlich, so unklug war der Kardinal nicht! Denn er verstand es im Interview, mit der Zunge der Jovialität die religionskritische Haltung Kermanis klein zu reden („Ich bin sicher, wir kommen miteinander zurecht“), welche durch den Text in der Neuen Züricher Zeitung im Frühjahr die fleißige Zunge der empörten Glaubensfestigkeit zum Sprechen brachte. Es handelt sich nicht, wie so manche Seele voreilig vermutet, um Doppelzüngigkeit, sondern um zweckmäßige Verhaltensmuster, die je ihren eigenen Wert entfalten. Was soll man von einem Kardinal , Kirchenpräsidenten, Pfarrer halten, der sich nicht öffentlich empört, wenn massive Zweifel an seinen Glaubensgrundlagen angemeldet werden? Wenn nun aber der Kardinal sich „weniger Sorgen“ um das Kreuz macht als sein Interviewpartner, weil eben die Zeiten der Inquisition vorbei sind und heute das „sachliche, ruhige, nachdenkliche Gespräch“ angebracht ist, wer muss da noch herumkritisieren? Im ersten Fall ist die Toleranz in Form des Zugeständnisses gefordert, was den Kritiker kaum einen Verlust an Klarsicht kostet. Im zweiten Fall kann man ohne Bedenken zustimmen.
Zusammenfassend: Die Koch/Hahn-Regierung ist mit ihrer kulturpolitischen Linie der ungerechten Ausgrenzung erkennbar gescheitert, denn die im ersten Augenblick durch einen Zeitungsartikel in ihren Glaubensfesten Verunsicherten haben sich auf einen wesentlichen Wert des Kulturlebens besonnen, - Solidarität. So geht einige Tage nach dem Interview des Mainzer Kardinals die Meldung durch die Medien , dass während eines 2-stündigen Gesprächs „alle Aspekte der Kontroverse“ besprochen wurden und die verbliebenen Preisträger darauf sich geeinigt haben, dass auch „der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani den Hessischen Kulturpreis erhält“. (FR 29.08.2009) Abgesehen davon, dass jetzt noch die Stellungnahme der hessischen Landesregierung nachzutragen wäre, kann im Sinne der eingangs angestellten Überlegungen zu diesem Bericht ein „später Sieg der Vernunft“ mit deutlicher Tendenz zur Verdunkelung der tatsächlichen Handlungskontexte festgehalten werden.