Tütken - Flucht vorm Ministerium (5) - The beast is back

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ahorn

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Zombies und Aliens machen die Flatter


The beast is back

Alles ist ein Geschäft

„Was machst du hier?“
„Das kann ich dich genauso fragen, Josy.“
„Nenn mich nicht Josy!“
„Och, es gab Zeiten, da hattest du nichts dagegen einzuwenden.“
„Zeiten, in denen ich davon ausging, dass du treu bist, Gunnar.“
„Jetzt wirst du kleinlich, wenn wir zusammen waren, war ich dir immer treu; oder waren wir irgendwann zu dritt?“
„Arschloch. Verrate mir lieber, was du hier treibst? Außerdem“, Josephine drehte den Kopf, „ist hier für privat. Oder kannst du nicht lesen?“
„Die Tür stand offen; und ein wenig herzlicher könntest du dich darüber freuen, mich zu sehen.“
Josephine trat auf Gunnar zu, schlang ihre Arme um seinen Hals, zog sich hinauf und presste ihre Lippen auf die seinen. Nachdem sie wieder ihre Zunge aus seinem Mund gezogen, die Lippen frei hatte, flüsterte sie: „Besser?“
„Für den Anfang.“
„Dann lass uns auf mein Zimmer gehen, die Wände haben hier Ohren.“

Gunnar strich über Josephines Wange, über ihren Hals, über ihre Brust. „Gelenkig wie eh und je, Josy.“
„Was man von dir nicht behaupten kann.“
„Wie bitte?“
„Eigentlich hat es sich für mich gar nicht gelohnt, mich auszuziehen.“
„Hey, hör mal.“
Sie legte sich auf die Seite, glitt über seinen Schritt und knetete. „Kommt da noch ein Nachschlag?“
„Soll ich darauf antworten?“
„Was machst du hier? Wenn du behauptest, du hattest Sehnsucht nach mir, dann hättest du dich vorbereiten können? Woher weißt du überhaupt, dass ich hier bin?“
„Wünschst du von mir eine Lüge oder die Wahrheit?“
„Deine Lügen sind zwar die schönsten auf der Welt, aber heute …“
„Okay, ich hatte keinen blassen Schimmer, dass du hier Urlaub machst. Ich weiß ja nicht einmal, wo du zurzeit wohnst.“
„Hier nicht. Und du? Urlaub oder …?“
„Dienstlich.“
„Hygieneartikel für die gehobene Gastronomie.“
Er erhob einen Zeigefinger. „Hotels nicht zu vergessen.“
Josephine richtet sich auf, verschränkte die Arme unter der Brust. „Aber nicht hier. Das kannst du vergessen.“
„Misch dich nicht in meine Geschäfte ein, nur weil du hier Urlaub machst.“
„Urlaub schon, aber der Laden gehört einer Freundin von mir.“ Sie runzelte die Stirn. „Jedenfalls zum größten Teil.“
„Tut mir leid, mit gefangen, mit gehangen.“
„Wie meinst du das?“
„Wie ich es sage. Man sollte sich vorher Gedanken machen, mit wem man Geschäfte macht, ob dieser Verbindlichkeiten hat, die irgendwann eingelöst werden. Ich bin ja kein Unmensch, habe meine Möglichkeiten. Wenn sie nicht ihren Obolus abdrücken kann, dann könnte ich schon ein paar Mädchen organisieren.“ Er schwang seinen Kopf von links nach rechte. „Gepflegte Zimmer sind es, das Haus liegt abgelegen. Du weißt, Mädchen, die nichts sagen und so.“
„Du bist widerwärtig. Meine Freundin ist jedoch eine Anständige, weder sie noch ihre Teilhaberinnen haben mit euch Abschaum zu schaffen.“
Gunnar schloss ein Auge, zischte: „Teilhaberinnen?“, flüsterte dann: „Ist er mal wieder inkognito?“
„Wer?“
„Der Typ, der uns die Knete schuldet.“
„Ich verstehe dich nicht.“
„Der Kerl taucht gern mal unter und ich habe gehört, dass er sich manchmal als Frau ausgibt. Widerwärtig.“
„Widerwärtig?“
„Stelle dir vor, ich mache mich an eine Puppe heran und im Bett stelle ich fest, dass sie ein Ding hat. Da wird mir ja ganz übel.“
„Warum? Dir als Mann kann es doch schnuppe sein, in welches Loch du …“ Sie kicherte. „Ich kann dich jedoch beruhigen, du bist auf der falschen Fährte. Die Teilhaberinnen meiner Freunde sind 100 Prozent Bioware.“
„Bioware?“
„Hauptberufliche! Ex! Und ich gehe nicht davon aus, dass der, den du suchst … na ja.“
„Da bist du dir sicher?“
„Ja.“
„Mist. Die Administration hat sich bisher nie geirrt. Seit wann hat deine Freundin hier etwas am Laufen.“
„Wie am Laufen?“
„Du hast mir gerade gesagt, dass es ein Puff ist.“
„Deine Vorurteile möchte ich haben. Da steigen zwei Prostituierte aus und du denkst gleich … Arschloch.“
„Entschuldigung.“
„Kein Jahr.“
„Ja?“
„Meine Freundin hat nicht einmal ein Jahr die Anteile.“
Gunnar kratzte sich am Kinn. „Hast du schon einmal etwas von Igor Semyonov gehört?“
„Nee, wer soll das sein?“
„Der Typ, der uns den Zaster schuldet. Schmieriger Lude, einer von der ganz miesen Sorte.“
„Nee.“ Josephine wandte ihr Gesicht. „Da tut sich ja etwas.“ Sie spreizte ihre Schenkel und setzte sich auf Gunnars Schoß. „Zweite Runde?“
„Bitte.“ Er fasste ihr ans Gesäß. „Nimmst du die Pille?“
Sie hob ihr Becken und flüsterte, während sie es senkte: „Wie kommst du darauf?“
„Na ja.“
„Nee, wieso?“
Er zog dermaßen weit die Augenlider hinauf, dass die Haut seiner Stirn sich faltete, und schrie: „Josy!“
„Als Mann muss man Risiken eingehen. Außerdem hast du vorhin bereits …“
„Josy?“
„Keine Angst, ich verlange keinen Unterhalt. Ich habe genug Knete.“
„Lass mal gut sein, ich hatte meinen Spaß“, stammelte er.
Josephine fasste in ihr Haar, hob es an, bis es sich von ihrem Kopf löste. „Keine Angst, geht ohnehin nicht.“
„Weil du eine Perücke trägst?“
Sie strich sich über den Kopf. „Also, ich bitte dich. Da kommt schon wieder etwas.“ Sie kniff ihn in die Seite. „Hatte eine Chemo.“
„Krebs?“
„Nee, Reinigung. Blödkopf. Ich bin es gewohnt: Eierstock-, Gebärmutter- und Lungenkrebs.“
„Oh Gott, wie schrecklich, alles zusammen. Und dann bist du derart fit?“
„Du bist blöd. Natürlich nicht. Die letzten Jahre, du Vollpfosten.“ Sie fasste sich an die Brust. „Vergessen. Die sind auch nicht echt, aber gut geworden. Sie haben mich eine Menge gekostet. Die Brustwarzen sind von einer Toten. Die hat sie bestimmt nicht mehr benötigt. Jetzt Leukämie, sieht nicht gut aus. Die Behandlung hat nicht recht angeschlagen. Wenn ich mich gut benehme, ein, maximal zwei Jahre. Hast du dich bereits registriert?“
„Registriert?“
„Knochenmarkspende! Das Einzige, was mir noch helfen kann.“
„Mach’ ich, so schnell es geht.“
„Würde mich freuen. Aber, was mich noch mehr freuen würde, wäre, wenn du mir endlich sagen würdest, wo sie ist.“
„Wer?“
„Tue nicht so dämlich.“
„Sie ist tot.“
Sie stieß ihr Knie gegen seine Seite. „Höre auf zu lügen. Ich weiß es.“
„Woher soll ich wissen, wo sie ist? Vielleicht ist sie inzwischen wirklich tot.“
„Lass deine Beziehungen spielen, dann“, sie hob und senkte ihr Becken, „höre ich mich um, ob ich irgendetwas von diesem Igor erfahre.“
„Das kann ich selbst.“
Sie hob und senkte weiterhin ihr Becken. „Gut, ich kann härter. Wenn du nicht herausbekommst, wo sie ist, stecke ich deinem Boss, bei welchem Verein du nach wie vor Mitglied bist.“
„Willst du, dass die mich killen?“
„Mit Vergnügen. Jedenfalls dann, wenn ich zusehen darf. Spaß wird bei mir rar. Jetzt entspanne dich, sonst wird das heute nichts mehr mit uns beiden.“
„Wie heißt eigentlich deine Freundin?“, fragte er, unterlegt von einem Stöhnen.
„Lass dir Zeit. Abigail, Abigail Mashele.“
„Außergewöhnlicher“, er pausierte, „Name.“
„Sie stammt aus Südafrika.“
„Ist sie … mach weiter.“
„Seit wann bist du Rassist? Weiß.“
„Aaah, o-oh-ooh!“
Josephine schlug ihn gegen die Brust. „Mann, Gunnar, entspannen, habe ich gesagt.“



Gib dem Äffchen Zucker

„Igor, würdest du bitte die Freundlichkeit besitzen und das Schwimmbad nach deinem Verlassen abschließen!“
Igor steckte einen Schlüssel ins Schloss, drehte diesen. „Ist zu.“
Josephine trat näher an ihn heran, strich über seine Schulter und flüsterte ihm „das war ich. Wir hatten Besuch“ ins Ohr.
„Ich weiß ohnehin nicht, was das hier alles soll. Was willst du von diesem Fridolin? Scheint mir eigentlich ein ganz netter, umgänglicher Typ. Jedenfalls sollten wir ihm endlich etwas zum Beißen geben, sonst verhungert er uns.“
„Damit er ins Becken scheißt? Zucker genügt.“
„Dann sag’ mir, was du mit ihm vorhast. Ich plaudere nichts aus.“
Sie strich über seine Wange. „Igor, ich kenne dich zur Genüge. Nie würdest du etwas ausplaudern, aber Loyalität kennst du nicht. Wenn dir jemand genug gibt, würdest du mir ein Messer in den Rücken rammen.“
Er kicherte. „Na ja, der Gewalt habe ich abgeschworen, aber im übertragenden Sinne gebe ich dir gern recht. Jetzt sag’s, was willst du von ihm?“
„Gut, weil du es bist. Stephanie und Fridolin waren, bevor er in den Knast kam, ein Paar. Sie wollten nach Lesotho auswandern.“
„Wo sie nicht angekommen ist. Du schießt dich auf die Falsche ein. Immerhin ist sie Fridolins Halbbruder.“
„Aber nur auf dem Papier.“
„Schlimm genug.“ Igor grunzte und drückte die Türklinke herab. „Jedenfalls ist sie nicht die, für die du sie hältst. Sie ist sauber. Okay, sie heißt weder Stephanie noch Stephen, sondern Alice, aber dafür kommt niemand in Lesotho in den Knast. Davon gehe ich zumindest aus. Ihre Biografie ist ohne Tadel. Sie ist in Südafrika geboren. Ihre Eltern waren Einwanderer, die sich, als sie noch zur Schule ging, getrennt haben. Ihr Vater ist bereits verstorben und ihre Mutter lebt, soweit ich es weiß, in Kapstadt. Sie ist unbescholten.“
„Soweit du es weißt?“
„Gib mir Zeit und ich bring’ dir die Mutter auf dem Silbertablett.“
„Ihren Kopf will ich nicht. Ist ja eklig.“
„Wie?“
„Vergiss’s. Wenn sie derart unbescholten, gar ein Lamm, wie kommt sie dann an Stephens Papiere?“
Er zuckte mit den Achseln. „Gefunden?“
„Antons Farm auch? Du bist einfach nur dämlich. Stephanie – entschuldige nach deiner Logik Alice – hatte die Besitzurkunde bei sich.“
„Vielleicht war es ihr Freund und …“
„Du spinnst. Dann gibt sie sich als Stephen aus, während er in Südafrika auf sie wartet, außerdem …“
„Kann sein, dass er das zeitliche …“
Josephine nickte, drückte gegen den Türflügel und zischte: „Unbescholten.“
Igor ließ sie vortreten und zupfte an der Nasenspitze. „Dann gibt es eine zweite Variante. Sie ist Stephen, zumindest war sie ein Mann, lernt Alice kennen, die hinter seine Vita kommt, worauf sie oder er, kommt darauf an, wie man es sieht, abmurkst, dann ihr Leben übernimmt. Immerhin war er im Knast.“ Er erhob den rechten Arm. „In Lesotho.“
„Bullshit! Nichts als ein fingierter Eintrag in einer Akte. Nenne mir einen Mann, der in einem Frauengefängnis einsitzt. Denn nach dem Akteneintrag war er einer.“
Igor verdrehte die Augen, drängte sich an ihr vorbei, präsentierte ihr den Rücken und nuschelte: „Na ja, öh, äh.“
„Ich habe eine bessere Theorie und die heißt Aishe.“
Er blieb stehen, rief „Aishe“ und wandte sich um.
„Welches Geheimnis hast du mir erzählt.“
„Hören, sagen, nichts Genaues. Jedenfalls nichts Offizielles. Eine Frau, die Aishe ähnelt, floh mit Joos van Düwen nach Brüssel. Zuvor war er in Lesotho, gab zur Aussage, dass er genau gesehen hätte, wer Anton erschossen habe, hätte, oder so. Sich allerdings nicht mehr an die Person erinnern könnte, könne, jedoch genau wüsste, dass es Klara Weber nicht gewesen ist, da sie sich, als der Schuss zu hören war, in seinem Auto befand, befunden habe, hätte.“ Er zuckte mit den Schultern. „Oder so ähnlich.“
„Beim Konjunktiv hapert es bei dir. Klickerst?“
„Ich bin eben nicht in Deutschland zur Schule ...“
„Ihr Männer seid ehrlich gesagt zu dämlich. Mit Denken habt ihr es nicht: der Pass, die Papiere.“
Igor kehrte ihr den Rücken zu und kratzte sich am Genick, während sie die Arme reckte, streckte, als schnappte sie sich die prächtigsten Äpfel vom Baum.
„Die stecken unter einer Decke: Joos, Aishe, Alice und Fridolin. Es muss einen Grund gegeben, weshalb Stephen all die Jahre verschwunden war. Er war im Knast. Joos, das weiß ich, hatte Beziehung zu dieser Anstalt. Dummerweise war es ein Frauenknast, außerdem der, in dem Alice – ich nenne sie für dich mal so – eingesessen hatte. Sie hat Anton erledigt. Ich gehe davon aus, dass Joos dieses eingefädelt hatte. Immerhin waren er und Anton nicht die besten Freunde.“
Igor zeigte ihr einen Vogel. „Warum Aishe?“
„Denken, Igor. Denken! Aishe, Stephen?“ Sie trat auf ihn zu, strich über seine Brust. „Aber danach rate ich dir, erst einmal zu verschwinden.“
„Wieso?“ Er wies den Gang, in dem sie standen, entlang. „Ich dachte?“
„Danach. Wenn Abigail in Südafrika ist, kümmerst du dich um Fridolin.“
„Was will sie in Südafrika?“
„Frage sie. Vielleicht hat es etwas mit ihrer Hochzeit zu schaffen. Ach, wie ich mich für sie freue. Dass sie nach all ihrem Leid, dem Entzug, endlich wieder zu ihrem Liebsten gefunden hat.“
„Heiraten sie in Südafrika?“
„Nee, in den Niederlanden, wo sonst. Jedenfalls wenn sie weg ist, kannst du ungestört Friedolin entsorgen.“
„Entsorgen?“
„Denke dir etwas aus. Er wird gesucht?“
„Deshalb soll ich verschwinden.“
„Quatsch. Habe ich ganz vergessen, dir zu stecken. Ich hatte dir gesagt, dass du die Tür offengelassen hast, wir Besuch hatten. Der Kerl hat nach dir gefragt. Es hat sich nicht nett angehört.“
Igor zog den Kopf zurück, während sie ihre Arme um seinen Hals schmiegte. „Hat er seinen Namen gesagt?“
„Guntram oder, nee warte, ich glaube Gunnar Müller.“
„Scheiße!“ Igor löste sich aus ihrer Umarmung, eilte zur Tür.
„Ich dachte, du wolltest dich um Fridolin kümmern? Dem Äffchen Zucker geben.“
„Später.“
„Igor, lass, kümmere dich zuerst um dich, regel die Sache und ich beglücke unser Girl. Ich melde mich, wenn ich unbedingt deine Hilfe benötige.“
Er rief: „Danke“ und verschwand.

Josephine schüttelte den Kopf, zuckte mit den Achseln und flüsterte: „Was soll es. Es ist ohnehin bereits dunkel, er kann auch bis morgen warten“, bevor sie sich gleichfalls umwandte, sodann die Tür hinter sich zuzog, verriegelte, abschloss, zwei Stangen ins Mauerwerk einführte, sie vorlegte. Sie holte zwei Vorhängeschlösser aus ihrer Handtasche, riss die Preisschilder ab und sicherte mit diesen die Vorlegestangen. Erneut griff sie in ihre Tasche, brachte ein Schild zum Vorschein. Sie klappte es aus, hängte es an die obere Stange und murmelte: „Danger! Do not Enter. Building unsafe!“
Dann ging sie zu einem Kasten, der an der Wand des Gebäudes befestigt war, schloss diesen auf, griff hinein und murmelte: „Fridolin, Licht benötigst du auch nicht“, sie grinste, „mehr.“



Auf schwankenden Planken

Milena hatte sich verrannt, war falsch abgebogen. Sie hatte mit der Familie van Düwen abgeschlossen, sie in den Lokus geworfen, gespült. Dort sollte sie bleiben, versauern, verschimmeln, verrotten. Dennoch war es kein purer Zufall, dass Samuel in seiner Jugend Joos getroffen hatte, sondern eine Wahrscheinlichkeit. Diese war zwar nicht 100-prozentig, jedoch in einer Größe, dass es zweifelsohne geschehen war. Des alte janusköpfigen van Düwens Firma gehörte sicher nie in die erste Liga, kam nie an de Wuurs heran. Hatte aber einen Vorteil. Aufgrund seiner Größe fiel sie schlicht nicht auf, flog meist unter dem Radar. Wie und mit wem er seine blutigen Geschäfte abwickelte, nahm kaum jemand zur Notiz. Wie alle Ganoven pflegte er eine humanistische Ader. Was lag da näher als die jüdische Community in der DDR, sinnierte sie. Dennoch war dieses nicht allein der Schlüssel, sondern der Ort, in dem Samuel aufgewachsen war, war gleichsam ein Indiz: Gera. Gera in Thüringen. Im selben Thüringen, in dem die Stadt Jena lag. In der es eine Fabrik gab, die sich seit Generation auf optische Geräte spezialisiert hatte. Für das Fertigen dieser Linsen, da war sie sich sicher, benötigte man Diamanten und zum Schleifen hochwertiger Diamanten optischer Geräte. Der Bogen war damit geschlagen. Wenn sie dann noch herausfand – ein wenig hatte sie schon über das politische System der DDR gehört – dass die Führung, die Krake, die alles gesteuert, in Gera gehaust hatte, war nicht nur alles schlüssig, passend, sondern gleichfalls ...

Sie hörte das Schlagen der Wohnungstür.
„Sheeran, bist du das?“
„Erwartest du jemand Anderen?“, vernahm sie, sodann das Poltern von Schuhen sowie ein Rülpser und den Hors d’œuvre seines Atems, der ihr in die Nase kroch. Das Bier war ihr einerlei, jedoch, dass er wieder heimlich geraucht hatte ...
Eigentlich war es seine Sache, ob und womit er sich zugrunde richtet. Sie konnte schlichtweg den Gestank nicht ertragen. Es reichte ihr bereits, dass er in der Wohnung verweilte. Und dass er immerfort derart schrie, sodass ihr die Ohren schmerzen, musste sie ihm unbedingt abgewöhnen. Weshalb sie seit Monaten derart überempfindlich war, wusste sie nicht. Okay, es hatte manchmal gewisse Vorteile. Vorteile jedoch, die sie ... sie blockte ab, wollte sich nicht dazu hinreißen, an damals zu denken. Vergangenheit war vergangen und dort gehörte sie hin. Sie hatte sich endgültig die Zukunft auf die Fahne geschrieben. Vielleicht sollte sie mal zu einem Arzt gehen, nicht, dass sie etwas ausbrütete. Dieses konnte sie am wenigsten gebrauchen. Ihre letzte richtige Erkrankung lag wohl länger zurück, allerdings ein zweites Mal wollte sie es nicht durchmachen. Sie hielt sich überall zurück. Die einzigen Kranken, die sie zu Gesicht bekam, waren die Tiere, die Sheeran ehrenhalber in einer Tierarztpraxis behandelte. Sie dachte kurz an den niedlichen Spitz, der, wie Sheeran ihr sagte, an Parvovirose erkrankt wäre. Sie zuckte sofort zurück, sie hatte nie von dieser Krankheit gehört und wollte sich nicht anstecken. Sheeran klärte sie dann auf, dass die Parvovirose für Menschen ungefährlich sei, nicht einmal ein Kribbeln in der Nase würde sie hervorrufen. Wie wahr er gesprochen hatte, zwei Tage später triefte ihr die Nase, wurde ihr übel und sie bekam Durchfall, zwar nicht heftig, dennoch unangenehm. Zumindest die Parvovirose war es nicht, denn sie war ... sie drückte die Bilder herunter und wandte sich wieder Sheeran zu. „Wen sollte ich erwarten? Und schrei nicht so.“
Sheeran trat ein, wandte sich dem Kühlschrank zu, öffnete diesen und sang eher, als dass er es aussprach: „Unseren Nachbarn.“
Milena überkam ein Brechreiz. „Soll ich kotzen?“
„Kein Bier? Noch sind wir nicht verheiratet.“
„Bin ich deine Dienstmagd? Was soll das heißen?“
Sheeran warf die Kühlschranktür zu, kam auf sie zu, hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. „Solange wir nicht verheiraten sind, kannst du machen, was du willst.“
„Dann?“
„Was für eine Frage?“
Sie schaute ihm ins Gesicht, sah das sanfte Zucken seiner Grübchen und wusste sofort, wie er es meinte. Allerdings liebte sie es, ihn misszuverstehen und ja, das machte ihr ein Vergnügen, denn sie übte gern für die Ehe. Für sie war eine Ehe ohne Zank, ohne Kampf keine richtige Ehe. Zumindest sollte diese für Freunde, Bekannte, Nachbarn und – dieses war sehr wichtig – für seine Familie echt aussehen.
Milena ballte eine Faust, grummelte: „Aber du darfst fremdgehen“, fletschte sodann mit den Zähnen, als wäre sie zum Angriff bereit, diese in seine Kehle zu rammen.
„Erstens bin ich der Mann, das Oberhaupt der Familie und zweitens bin ich mit Gidon länger zusammen, als wir uns kennen. Das zum Betrügen.“
Sie konnte es sich nicht verkneifen, musste die Steilvorlage ausnutzen. Sie griff sich unter den Rock, zog sich den Slip aus und warf ihn auf das Bett. „Dann lass es geschehen.“
„Was?“
„Etwas, das Männer und Frauen im Bett machen.“
„Was hast du getrunken?“
Erst in diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass sie weiterhin das atemraubende, männerverführende Minikleid anhatte. Jedenfalls ging sie davon aus. Welcher Frau gelang es, in die verworrenen, hormongesteuerten Gedanken eines Mannes einzudringen? Derart tief konnte niemand sinken. Zumindest versuchte sie es bisweilen und kam zu der Erkenntnis, dass sie einen Ständer bekam, wenn sie sich derart aufgetakelt im Spiegel betrachtete. Worauf sie im nächsten Moment diese armen, unterbelichteten Männer bemitleidete. Denn ihr sah niemand an, wenn sie erregt war. Frau sein hatte zwar nicht viele, jedoch hatte es zum Glück vereinzelt Vorteile. Warum hatte das Schicksal es derart mies mit ihr gemeint und ihr keinen ... Es war, wie es war. „Nee, ich wollte, aber dann sah ich, wie viel Arbeit ich noch offen habe. Du weißt, habe ich dir ja erzählt ... ähm ... mit meinem Chef, der geht doch ... und ... na ja“, sie wies auf ihr Smartphone, das auf dem Bett lag, „er hat mir eine Menge diktiert, für ... für, für seinen Nachfolger. Der sollte alles wissen.“
Sheeran wandte sich von ihr ab.
„Wohin gehst du?“
„Bier holen.“
Milena zuckte mit den Schultern, beugte sich vor, ergriff das Smartphone, lehnte sich zur Seite, öffnete die Schublade des Nachttisches und holte, nachdem sie sich auf der Matratze abgestützt hatte, einen Block und einen Kugelschreiber hervor. Bewaffnet mit diesen Sachen ging sie auf den Balkon, schob einen Stuhl dicht an das Geländer, setzte sich auf diesen, spreizte ihre Beine und erhob diese, bis es ihr gelang, sie auf dem Geländer abzulegen. Sie legte den Block auf ihren Bauch, ergriff den Kugelschreiber mit der Rechten, entsperrte mit der Linken das Smartphone, spulte die Aufnahme zurück, um schlussendlich sie zu starten.
Am selben Tag sind wir nach Pahang. Als wir die Stadt erreichten, fragte er mich, ob ich seekrank würde. Wie sollte ich dieses wissen? Ich saß nie in einem Boot, außer in einem Ruderboot auf dem Maschsee. Wir fuhren zum Hafen.
Er führte mich zu einem Fischerboot, welches vollgepackt mit Kisten am Kai vertäut war. Eberhard begrüßte die Mannschaft mit südasiatischer Sitte, lief über die Planke und winkte mich heran.
Mir wurde bereits auf dem Brett schlecht. Ich hatte zugesagt. Ein paar Kilometer an der Küste entlang würde mein Magen ganz gewiss aushalten.
Der Bootsführer zog den Motor an und steuerte die Nussschale aus dem Hafen. Entgegen meiner Annahme, dicht der Küste zu schippern, setzte er Kurs auf die hohe See. Eberhard stand am Bug und ließ sich die Gischt ins Gesicht peitschen. Ich hatte mich ans Heck zum Kapitän verpieselt, wenn das Boot sank, wäre er der Erste, der es mitbekäme.

Er drosselte die Fahrt und ein Schlag traf unser Boot. Wäre ich gläubig gewesen, ich hätte gebetet. Meine Reaktion war Kopf zwischen die Arme. Der Bootsführer sprang auf, fing ein Tau und ich traute, den Kopf zu wenden. Rot und Schwarz sah ich, eine Wand aus Stahl. Dann erblickte ich die Aufschrift: Cap Amur.
Mein erster Gedanke war: Jetzt haben sie mich. Mitten im Nichts hatte mich das Ministerium wieder in seine Fänge genommen. Eberhard trieb mich, dieses im wahrsten Sinne des Wortes, eine Strickleiter hinauf. Ich weiß nicht, wie oft meine Füße den Halt verloren.
Getrieben von der Angst einerseits ins Meer zu fallen, anderseits das MfS zu begrüßen, entschied ich mich für das Zweite. Irgendwie fand ich immer eine Lösung.
Mit letzter Kraft zog ich mich über die Reling und krachte auf die Schiffsplanken. Eine faltige, knochige Hand zog mich empor.
Ich schaute in ein faltiges, sonnengegerbtes Gesicht, das mit einem buschigen Kinnbart verziert war, welcher einen Kapitän auszeichnete. Er begrüßte mich und fragte mich nach meinem Namen, den ich bereitwillig preisgab. Sodann nannte er mir seinen Namen: Robert Altdeck.

Es war die erste Fahrt der Cap Amur. Weshalb Eberhard in Malaysia an Bord gegangen war, blieb mir lange verborgen, denn er gehörte nicht zur Crew. Trotzdem machten wir uns sogleich ans Werk. Wir unterstützten die Stammbesatzung bei den Vorbereitungen. Die Arbeit lenkte mich von meiner Seekrankheit ab.
Nach mehreren Tagen auf See entdeckten wir das erste Flüchtlingsboot. Wie zuvor trainiert, ließen wir zwei Beiboote zu Wasser und zwei Trupps machten sich auf den Weg. In einem Boot war Eberhard. Ich blieb auf der Cap Amur und beobachtete die Aktion mit einem Feldstecher.
Unsere Boote gingen längsseits. Drei Crewmitglieder sprangen auf das Flüchtlingsboot. Sekunden später beugte sich einer über die Reling und kotzte in die See. Das zweite Beiboot mit Eberhard kam zurück.
Sie kletterten auf unser Schiff, schüttelten ihre Köpfe. Eberhard trat auf mich zu, legte seine Hand auf meine Schultern und murmelte mir zu, wie weit Menschen in ihrer Verzweiflung gingen. Sodann versammelte sich die Mannschaft auf Deck. Sie zogen ihre Mützen ab, richteten ihre Gesichter gen Flüchtlingsboot aus und Eberhard hielt eine Andacht, während jene des ersten Beibootes das Flüchtlingsboot versenkten.
Die Nacht verbrachten wir in Stille.

Am Nachmittag des Folgetages sichteten wir die nächsten Flüchtlinge. Diesmal winkten sie uns zu.
Wir nahmen die Flüchtlinge an Bord, versorgten die ausgemergelten Männer und Frauen, die dehydrierten Kinder unter Deck.
Eberhard trat auf mich zu und drückte mir ein Bündel an den Bauch. Ich solle es begleiten, forderte er mich auf. Seine Mutter wäre bei der Geburt auf See verstorben. Ich sah gleich, dass es ein Frühchen war. Es hatte zu früh das Licht der Welt erblickt. Zu früh für unsere Ausrüstung, viel zu früh für diese Welt. Ich zog mich zurück, setzte mich auf einen Schaukelstuhl, sang Kinderlieder und wartete, bis es starb.

Von Tag zu Tag füllte sich der Bauch unseres Schiffes mit Menschen, welche zum Teil dem Tode näher als dem Leben waren. Wir päppelten sie auf, versorgten sie medizinisch und seelisch.
In einer Nacht weckte mich Eberhard, forderte mich auf, still zu sein. Wir schlichen an Deck. Er schaute in die Nacht, dann bat er mich, die Strickleiter hinabzuklettern. Ich folgte seiner Bitte und kletterte in die Finsternis, bis meine Füße festen Boden unter den Sohlen ertasteten. Es war kein fester Boden. Es waren die Planken eines Fischerbootes, die gleiche Art von Boot auf denen die Flüchtlinge in See stießen.



Gedemütigt - The beast is back

Milena war schwach geworden. Weshalb konnte sie Samuels Stimme nicht widerstehen?
Nachdem sie daheim angekommen war, hatte sie sich einen Weißwein gegönnt, obwohl sie bereits mehr intus hatte, als sie gewohnt war. Samuel hatte, wie immer, recht behalten. Die Farfalle, der Humus mundeten und den Roten, – obschon sie mehrere die Kehle hinab gespült hatte –, den er in seinem Büro geköpft hatte, passte vorzüglich zu den Speisen. Während die Aufnahme lief, hatte sie sich vollends entblößt und nachdem sie einigermaßen in Fahrt gekommen war, diese gestoppt. Geweint. Weswegen? Erregt ließ sie ihrer Fantasie freien Lauf, stellte sich vor, er wäre bei ihr und vergnügte sich. Jedoch auf eine Art, die dem Frauenbild einer modernen Frau nicht entsprach. Wie sie auf den Bus kam, wusste sie nicht. Vielleicht hatte der Orthodoxe sie dahin getrieben. Jedenfalls fiel Samuel, ohne sie vorher zu fragen, über sie her, vergewaltigte sie. Er tat es wahrlich, denn sie schrie, wehrte sich mit all ihren Kräften, kam jedoch nicht gegen ihn an. Trotzdem genoss sie es, verlangte mehr, Gewalt. Es zeigte, bewies ihr, dass sie eine Frau war. Erst als die Soldatin sie daran erinnerte, dass es ihre Pflicht sei, dem Mann gefügig zu sein, spreizte sie willig ihre Beine. Ihm schien es zu gefallen. Den anderen im Bus schien es zu gefallen. Denn sie klatschten, trieben ihn an. Aber sie, sie schämte sich, obwohl die Lust sie bereits gefangen hatte. Erst als er von ihr abließ, die Soldatin sich vor allen Anwesenden entkleidet, anfing, sie zu liebkosen, zu küssen, empfand sie eine Befriedigung, die sie zum Höhepunkt trieb.

Milena öffnete ihre Augen, erschrak. „Sheeran!“ Rein aus Reflex verdeckte sie mit der Linken ihre Brüste, obwohl Sheeran sie fast täglich nackt sah und die Finger ihrer Rechten weiterhin an – einer in – dem Ort verweilten, der ihr die Lust brachte.
„Mache ruhig weiter, mich stört es nicht.“ Er erhob seine Bierflasche, setzte sie an und nahm einen kräftigen Schluck. Dann hielt er ihr eine zweite Flasche entgegen. „Oder erst einmal eine Stärkung?“
Es war bisher nie vorgefallen, dass er sie beim Masturbieren erwischt hatte. Nicht, dass sie es nicht tat. Allerdings bloß, wenn er nicht daheim war oder sie annahm, dass er extrem fest schlief. Dieses lediglich aus dem Grund, da sie davon ausging, dass ein Schwuler nichts daran fand. Es ihn nicht erregte, ansonsten … daher überkam ihr keine Pein, zumindest nicht für die Tat, sondern wie sie sich stimuliert hatte: obszön, vulgär. Sie durchlebte diese Szene öfter, geilte sich auf, wenngleich sie erahnte, dass der Auslöser, das Original, bei Weiten abnormaler abgelaufen sein musste als ihr Tagtraum. „Dann setz’ dich.“
Während sie herumrückte, schnappte er sich den zweiten Stuhl, auf dem Tage zuvor Samuel gesessen hatte. Er drehte diesen, bis er erneut einen Rülpser von sich ließ, sich setzte.
„Ausziehen!“, befahl sie, ohne mit einer Wimper zu zucken. Kalt. Abweisend. Ihr Freude bereitend.
„Wie?“
„Sheeran, ziehe dich aus!“
„Wieso?“
„Erstens bin ich auch nackt und zweitens ist es für dich bestimmt bequemer.“
„Wieso?“
„Frage nicht so viel, tue, was ich dir sage.“
Sie sah es ihm an, dass es ihm widerstrebte, denn er hatte sich bis zu diesem Moment nie vollkommen entblößt vor ihr gezeigt. Nachdem er sich erneut einen Schluck gegönnt hatte, zog er sich aus. „Jetzt?“
„Zuschauen und“, sie zwinkerte ihm zu, „mitmachen.“
Er zog den Nasenrücken kraus. „Ich schlafe nicht mit dir, das kannst du vergessen.“
„Habe ich das“, sie konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, „je von dir verlangt? Schau zu, mach nach“, sie stockte, „mach’s besser.“
Sie legte wieder die Finger ihrer Rechten an ihren Schritt, zwinkerte erneut und flüsterte: „Komm“, während sie ihn anstarrte, wartete.
Er senkte den Kopf. „Soll ich etwa?“
„Das nennt man Gleichberechtigung, wenn du mir zusehen darfst, darf ich das gleichfalls. Jetzt fang schon an. Nicht, dass ich vor dir fertig bin. Immerhin habe ich bereits vorgeglüht und beim zweiten Mal bin ich extrem scharf.“
Es hätte ihr Spaß bereitet, ihn weiter zu reizen, ihm frivole Sprüche entgegenzuwerfen, allerdings verzichtete sie darauf, denn sie wollte den Bogen nicht überspannen.
„Sheeran, wolltest du heute nicht bei Gidon übernachten?“
„Ja“, antwortete er, während er zögerlich Hand anlegte, sie die Flasche leerte und dabei sich mit sich selbst vergnügte. „Dann hattest du Sehnsucht, wolltest mich sehen?“
„Quatsch, seit wann habe ich Sehnsucht nach dir. Gidon ist manchmal wie eine Diva. Egal, was man ihm sagt, er ist eingeschnappt. Ich habe ihm bloß gesagt, dass wenn ich ein Het’ro wäre, ich mich in dich verlieben könnte. Verstehst du? Könnte. Aber ich bin kein Het’ro. Ich kann es mir nicht einmal vorstellen und er, er ... er.“ Sheeran stand auf, drückte ab und wandte sich von ihr ab.
„Wohin willst du?“
„Ins Bad“, stammelte er, als hätte er einen Rekord im Einhundertmeterlauf errungen und sich dabei vollkommen verausgabt.
Milena sah erst ihm hinterher, dann den Fleck an, den er auf den Fliesen hinterlassen hatte. „Männer. Einfach keine Ausdauer.“
Es gab für sie nicht viele Vorzüge, die eine Frau hatte, die sie ohne Wettstreit auf das oberste Podest brachte, die ihr dazu noch soviel Vergnügen bereitete.
Wie kam sie auf Vorzüge, war es eine Auszeichnung? Wer kam irgendwann auf diese Idee, dass Frauen und Männer sich unterschieden. Menschen waren schlicht Menschen. Nur weil irgendwelche Gene, irgendwelche Organe bevorzugt sich bildeten, waren sie dennoch ein- und dasselbe. Wenn, dann – da blieb sie Samuel treu – waren die Männer eher die Krüppel. Krüppel wie ihr Y-Chromosom.
Erneut war sie bei Samuel, wieder bei seinem Bericht. Wie emotionslos er erzählt hatte, verwunderte sie. Verwunderte sie kurz, denn er war ein Mann. Wenngleich – sie ging in sich – war dieses ein Vorurteil oder, da war sie abermals bei den Genen, von diesen vorbestimmt. In welcher Tonlage würde sie erzählen? Sie schwankte, war sich unsicher, ging in sich und kam darauf, dass sie genauso erzählen würde. Der Grund war plausibel. Der, der einmal in seinem Leben durch die Hölle gegangen war, dieses überlebt hatte, den konnte nichts mehr erschrecken, Angst bereiten.
Sie dachte an die Flüchtlinge in den Booten, die Tage, Wochen auf diesen verbracht hatten, ohne ausreichend Essen, mit zu wenig Wasser. Wer das gesehen hat, dem konnte nichts mehr an die Nieren, auch dann, wenn er nicht selbst gehungert, gedürstet hatte. Empathie als solche genügte.
Ihre Gedanken vernebelten sich, drangen in Gefilde vor, die sie möglichst für immer in ihrem Dunkel behalten wollte. Allerdings hatte der Wein, das letzte Bier, das sie, während sie vor Sheeran masturbierte, geleert hatte, an den Schlössern gerüttelt, sie gar zerbrochen. Wie blöd war sie.
Schlachtabfälle, Hundefutter waren ein Festmahl, wenn ... Sie krampfte, versank.
Zumindest nannten sie es damals Hundefutter, da es derart aussah, bedenklich, gar abstoßend stank und in Fressnäpfen, die auf dem Boden standen, ihnen vorgesetzt wurde. Und sie? Sie, wie eine Meute Hunde darüber hergefallen waren, ausgehungert, ausgemergelt. Bei dem Gedanken trocknete ihr der Mund aus, ihre Kehle schnürte sich zu, ihre Beine fingen an zu zittern. Derart zu zittern, dass sie vom Stuhl rutschte. Immerfort schlug es in ihrem Schädel ein. Sie wollte sich wehren, dagegen ankämpfen, die Schmerzen ertragen, einmal ertragen, ohne sich zu erniedrigen. Sie kroch auf allen Vieren, erblickte Sheerans Hinterlassenschaft, während die Stimme … die Stimmen weiterhin in ihrem Schädel hallten, ihr befahlen.
Es zog sie einerseits an, anderseits trieben die Stimmen sie, forderten sie. Ein Befehl, den ihr Verstand verneinen musste, sie jedoch mit einer Lust, einer Wonne annehmen wollte. Mehr davon verlangte.
Krank war sie geworden. Sie senkten den Kopf, bis ihre Nase erst die Fliesen, dann Sheerans Spuren berührten. Der letzte Funken Vernunft hätte sie bremsen müssen, um mit letzter Kraft zu versuchen, sich zu erwehren, standhaft zu bleiben, zu zeigen, dass sie hart war. Nein. Sie war es, die entschied, was sie wollte, von sich, von ihm verlangte. Ein letztes Mal schaute sie hinauf, sah Doc, sah, wie er weiterhin, seinen weißen Kittel weit geöffnet, Nachschub produzierte. Sie erblickte gleich neben ihr den Napf, auf dem ihr Name stand, ganz nah, verlockend, und sie war glücklich. Unendlich glücklich darüber, geliebt zu werden. Es duftete nach nicht mehr frischen Gedärmen, Leber und Nieren, zart, die einzig die Fliegen ihr streitig machten. Dabei winselnd, schaute sie ihm hinterher, als er sich wieder dem Sezieren widmete. Sie streckte die Zunge heraus, leckte, leckte alles, mit Genuss, bis zum letzten Rest, alles sauber, bevor sie sich ihrem Napf, ihrem lange ersehnten Mahl zuwandte. Hundefutter war ein Festmahl, jedoch wenn man Tage, Wochen fern einer Nahrung, dann war Erbrochenes eine Delikatesse. Erst recht, wenn er sie dabei mit einer Peitsche streichelte.

Milena blickte zur Seite, sah zwei nackte Füße. Zwei Füße, die mit einem Feudel tanzten. Sie strich über ihr Knie und wunderte sich darüber, dass sie seitlich, splitterfasernackt auf ihren Lieblingsstuhl saß, während – sie schaute genau hin – Sheeran die Fliesen des Balkons feudelte. Ihr wurde übel. Was hatte sie getan? Hatte sie sich dermaßen erniedrigt? Was war wahrlich dramatischer? Hatte Sheeran ihr dabei zugesehen? Sie leckte sich über die Lippen, versuchte es, herauszubekommen, es zu schmecken. Der Geschmack sagte ihr zu. Es verlangte ihr nach mehr, – sie erschrak – nach mehr Körperflüssigkeit: warm, rot. Nein! Sie schrie, schrie, ohne dass ein Ton über ihre Lippen gelangte. Nein! Einbildung. Lug. Trug.
Weshalb wischte er dann den Boden, machte sich nicht über sie lustig, demütigte sie nicht. Wenn sie ihn dabei entdeckt hätte, dann ... erneut überkam sie ein Brechreiz. War sie bereits dermaßen abgestumpft, dass sie sich auf die gleiche Ebene begab, wie die, die ihr das angetan hatten. Egal, ob es stattgefunden hatte. Sie würde es sicher von Sheeran bei einer passenden Gelegenheit erfahren. Oder nicht? Es konnte nicht derart weitergehen. Es reichte schlicht nicht, einen Strich darunter zu machen, das Geschehende wegzuschließen. Sie benötigte professionelle Hilfe oder ... ein Wunsch keimte in ihr auf, nahm sie kurz gefangen, bevor sie ihn wegwarf. Oder, sie würde es selbst in die Hand nehmen. Allen ihren Peinigern es heimzahlen oder – was sie mehr erregte – an einen Ort zu befördern, an dem sie hingehörten.
Sie wischte über ihre Nasenspitze, roch an ihrem Finger, sah, wie Sheeran sie anblickte, merkwürdig ansah. Als wolle er ihr mit seinem Ausdruck sagen: „Wenn es dir Spaß macht? Bitte.“



Franziska macht die Flatter

„Aishe, was machst du?“
„Wonach sieht es aus? Wäschewaschen?“
„Alle deine Sachen?“
„Ich packe.“
„Warum?“
„Weil ich ausziehe.“
Tanja runzelte die Stirn und trat auf sie zu.
„Wenn du die Briefe, die dir die Hausverwaltung seit Monaten geschickt hat, aufgemacht hättest, wüstest du es. Schon einmal etwas von Zwangsräumung gehört. Der neue Besitzer der Kanzlei im Parterre, zu der diese Wohnung gehört, hat auf Eigenbedarf gemacht und wenn du alle Fristen versäumst …“
Tanja erhob die Rechte. „Halt, halt, wie verkauft? Hat dieser Widerling von einem Valentin hinter meinem Rücken, seine Wohnung …“
„Wie Vale? Du glaubst? Und wenn, dann spielt das wohl keine Rolle, du warst ihm eben nicht gut genug.“
Ein Auge zugekniffen, neigte sie den Kopf zur Seite. „Wie gut genug?“
„Tanja, Schatz, ich kann zwar nicht laufen, bin behindert, aber nicht blind, wenn ich diese Metapher bezüglich des Geruchs verwenden darf. Glaubst du etwa, ich habe nicht gewusst, mit wem du in die Kiste springst. Ich habe es dir gegönnt. Warum du mit Vale? Deine Sache. Ich kenne mich mit Männern ja nicht so recht aus. Vielleicht kann er etwas, dass … bloß zwei Sachen haben mich immer gewurmt. Erstens, dass du es mir nicht gesagt hast und zweitens: Ihr es andauernd in unserem Bett getrieben habt! Dabei geht es mir nicht ums Bett. Meinetwegen hättet ihr es treiben können, während ich im Wohnzimmer war. Aber bitte, Vale stinkt nach Kuhstall. Das ist das Erste, das Zweite, ich wechsel zum LKA nach München und das Dritte“, sie rollte an Tanja heran, umschlang ihr Becken, versengte das Gesicht in ihrem Schritt, „ich liebe dich und werde nie aufhören, dich zu lieben.“
Tanja beugte sich vor, spürte ihren Atem, dachte darüber nach, ob sie ihren Rock heben sollte, verwarf es zuerst, bis ihre Lust sie übermannte und sie ihr freie Hand gab.

„Aishe, ich habe es richtig genossen. Lass uns von vorn anfangen, nur wir beide. Ich verkauf’ meine Anteile und wir bauen uns eine neue Existenz in München auf, lassen die Vergangenheit in Passau.“
Tanja spürte ihre innigen Küsse, wie diese über ihren Bauch weiter hinab wanderten. Sie wagte es nicht, die Augen zu öffnen. „Soll das ein Ja sein?“ Sie spürte, wie Aishes Zunge ihre Schamlippen umspielte.
„Tanja, Schatz, wie gern würde ich zustimmen, aber ich werde nicht in München wohnen. Ich sagte für das LKA. Ja, ich war zeitweise sauer auf dich und habe, ohne zu überlegen, unterschrieben, aber …“
„Liebste, begibst du dich in Gefahr?“
„Gefahr? Was ist Gefahr? Es ist eher ein Sprungbrett. Wie viel Chance bekommt ein Krüppel? Nur ein Jahr, das schaffen wir. Voher fliegen wir nach Südafrika, dann zeigst du mir die Orte, an denen du gelebt hast.“
Tanja öffnete ihre Augen, starrte an die Zimmerdecke. „Gelebt hast“, wiederholte sie stimmlos, wie sich das anhörte, dabei konnte sie sich an nichts erinnern. All das, was sie wusste, hatte sie von ihrer vermeintlichen Mutter Maria erfahren. „Wenn es dir nicht zu anstarrend wird, dann freue ich mich darauf. Südafrika ist immerhin nicht Niederbayern.“ Sie spürte einen Schlag an ihrer Lende.
„Hey, wir werden ja sehen, wer zuerst aufgibt.“
„Mist!“
„Gibst du schon auf?“
„Wie? Nein, das meine ich nicht. Wo bekomme ich bis dahin eine Wohnung her? Im Hotel will ich nicht wohnen, dann bin ich nur am Arbeiten.“
Aishe lachte. „Workaholic!“
„Danke.“
„Zieh zu Vale.“
„Etwa in die Kammer oder ins Gesindehaus? Nein Danke.“
„Nein. Wenn ich zu sage, dann meine ich zu.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Vale ist seit heute solo, Franzi hat ihm den Laufpass gegeben.“
„Das glaube ich nicht?“
„Ich weiß sogar, mit wem sie die Flatter gemacht hat. Ich habe es gesehen, aber sie mich nicht. Du wirst nie erraten mit wem?“
Tanja dachte nach, schmunzelte. „Mit deinem Alten.“
„Woher ...“
„Sie hat mir einmal gesteckt, dass sie deinen alten Herrn … na ja, eher mit, obwohl sie es nicht direkt … sie haben miteinander … außerdem steht in Vales Kalender: Besuch vo Aishes Voda.“
„Ist ja scharf. Mein Alter und die Franzi. Das geht bestimmt schon seit deiner Hochzeit. Wenn’s ihna a Freid b’reitet. Das war kein Witz. Ich meine es ernst. Ob du es mit Vale in einer anderen Wohnung oder bei ihm treibst, ist doch schnuppe. Du wirst einfach die neue Herrin auf dem Hof. Und überleg! Die Pension, das Hotel, wenn das nicht zusammenpasst.“
Tanja tippte sich an die Schläfe. „Willst du mich etwa verkuppeln?“
„Nicht direkt, aber denk einmal nach. Wenn du geschieden, er von Franzi geschieden ist, seid ihr frei. Du heiratest ihn und setzt dich ins gemachte Nest. Und ich?“ Sie lachte. „Ich werde deine Mätresse.“
Tanja zog Aishe herauf, umklammerte sie und rollte sie auf den Rücken. Dann robbte sie hinab, bis sie ihre Schenkel küssen konnte. „Irgendwie gefällt mir die Idee. Der Vale steckt voll, Fridolin ist verschwunden und Alina, Hias bekommen ohnehin nichts, jedenfalls kaum etwas, wie es mir der Vale erzählte. Aishe du bist genial.“ Sie umfasste Aishes Becken und versenkte das Gesicht in ihrem Schoß.



Alles Bahnhof

Was macht ein Mädchen, ein Teenager allein auf dem Kölner Hauptbahnhof? Etwas Essen, etwas trinken, durch eine Boutique oder einen Drogeriemarkt stöbern. Nicht von alledem unternahm sie. Antonia stand in einem Buchladen und las. Allein war sie erst seit Kurzem. Die Fahrt von Passau nach Köln hatte sie mit den Pfadfindermadls aus der Gemeinde verbracht, die zu einem eingeladen waren. Franziska war der Ansicht gewesen, dass ein jungs Madl nicht mutterseelenallein Zug fahren könnte, sogar durfte. Dass sie dann von Köln bis Brügge ohne Begleitung unterwegs war, hatte die Franzi – allmählich gewöhnte sich Antonia an deren Spitznamen, an den Namen, mit dem nur Erwachsende sie rufen durften – verdrängt oder nicht gewusst. Dabei war sie bereits vor einem Jahr allein unterwegs gewesen, obwohl sie damals mehr als ein Jahr jünger war.
***
Geplant war alles anders. Nachdem sie sich geduscht, das weiße, mit dünnen, minzgrünen Längsstreifen verzierte Kleid aus ihrer Truhe befreit hatte, schlüpfte sie in dieses hinein. Gekauft hatte sie es, nachdem Bärbel am Vortrag genervt heimgefahren war. Entdeckt hatte sie es bereits beim gemeinsamen Einkaufsbummel.
Nie hätte es Bärbel ihr gestattet, es zu tragen. Es war zu kurz, oder wie der Admiral zu sagen pflegte, zu freizügig. Ganz zu schweigen von den Sandaletten, die sie gleichfalls aus der Truhe befreite hatte.

***
Antonia hob ihr rechtes Bein, starrte auf den Absatz ihrer Sandale und murmelte: „Davon bekommst du krumme Zehen.“ Ob jemand wirklich davon krumme Zehen bekam, bezweifelte sie, denn sie betrachtete ihre blutrot lackierten Fußnägel und empfand keinerlei Schmerz. Dabei verabscheute sie diesen ganzen Modefirlefanz, bemalte sich im Normalfall nicht einmal die Lippen. Abgesehen von den Tagen, an denen sie mit Matthias zusammen war. Er liebte es, bemalte Lippen zu küssen. Und sie? Sie liebte ihn.
Jedenfalls damals in Bremen waren die Absätze nicht gar so hoch, dafür ihre Fuß- sowie Fingernägel minzgrün lackiert. Sie wollte es schlicht Tanja zeigen, dass sie sich entschlossen hatte, eine Frau zu werden, den Weg mit ihr zu gehen. Bei Ailsa Craig ins Meer zu springen, ihr altes Leben auf der anderen Seite im Meer zu versenken, Kiel zu holen, um jungfräulich ein neues Leben zu beginnen. Wie es ihr Großvater Nahne es einst unternommen, bevor seine Frau, ihre Großmutter Hijlkje geheiratet hatte. Sie würde die beiden nie vergessen. Immer blieben sie ihre Großeltern, da der Bauch ihr sagte: „Bärbel ist nicht deine Mutter. Tanja ist nicht deine Mutter.“ Wenngleich Tanja seit einem Jahr so etwas Ähnliches, wie ihre Mutter war. Sie war ihre Stief- und Pflegemutter. Immerhin war sie mit Stephanie verheiratet und sie hatte die Vaterschaft angenommen. „Was für ein Schwachsinn“, flüsterte sie, griff in ein Regal und schnappte sich ein Buch. Weil der Knoten, der sich in diesem Augenblick in ihrem Gehirn bildete, sie verwirrte, drang sie in die Vergangenheit vor. In eine Zeit, in der die Welt noch in Ordnung war. – zumindest behauptet dieses immer die Erwachsenden.

Von alledem ahnte sie nichts, als sie in Bremen in der guten Stube hockte und Bärbels verstaubtes Fotoalbum öffnete, das Foto barg und zusammenbrach.
Es war der Zeitpunkt gewesen, als sie das erste Mal vollständig an ihrer Herkunft gezweifelt hatte.
Sie riss sich die Mädchenkleider, diese ihr fremde Existenz vom Leib, schlüpfte in die letzten ihr gebliebenen Jungenklamotten und bedankte sich, obwohl es schizophren war, bei Bärbel, dass sie ihr nicht gestattet hatte, alles wegzuschmeißen.
Ein Ziel gab es für sie, dieses war nicht der Treffpunkt mit Tanja, um später den Törn zu segeln, sondern das Haus der Großeltern, in dem sie ihre schönsten Stunden verbracht hatte. An dem Ort, an dem sie der sein konnte, der sie war, Torben, der furchteinflößendste Pirat aller Zeiten. Bis auf seltenen Stunden, Stunden, in denen Nahne nicht daheim war. Dann konnte es passieren, dass der Drang sie packte und sie ihren versteckten Gymnastikanzug herausholte. Ihre Großmutter applaudierte daraufhin und zum Dank als Anerkennung ihrer Kunst, stieg Hijlkje auf den Speicher. Sie holte ein prächtiges Gewand herab, ein Gewand, das Torben bei Weitem zu geräumig war und er mutierte zu Prinzessin Shila.
Dieser wunderschöne Ort war ihr Ziel. Einfach allein zu sein.
Zu ihrem Glück – zumindest aus dem Rückblick hinaus – hatte sie die Reise nicht allein bestritten. Auf dem Weg zum Bahnhof fing Tami sie ab. Tami, ihre einzige richtig wahre Freundin, die ihr den rechten Weg aufgezeigt, ihr bewusst gemacht hatte, dass nicht die Gene, diese vier Moleküle: Adenin, Thymin, Cytosin, Guanin, den Menschen formten, sondern der freie Wille. „Einzige richtig wahre Freundin“, murmelte Antonia, dachte dabei an ihre Tagträume, wenn sie allein im Bett lag. Dachte daran, wie sie den Wunsch verspürte mit Tami derart frei, ungezwungen zu verkehren, wie sie es mit Alina tat.
Alina meinte immer, es wäre nichts dabei, machten alle Mädchen. Aber wie viele kannte sie? Abgesehen von ihren Mitschülerinnen, aber zu denen fühlte Antonia sich wirklich nicht hingezogen. Sie verbrachte ihre freie Zeit viel lieber mit den Jungs.
Nein. Sie war nicht lesbisch wie Tanja oder Aishe und Tami am allerwenigsten. Sie waren Freunde und sie Tamis Lebensretter. Eine Verbindung, die zwei Menschen fester band als ein Ehegelübde.

Sie meisterten es die Sophia, ihre Jolle durch die Nordsee zu treiben. Immer hart am Wind. Es war zwar anstrengend, da Tami soviel Wissen vom Segeln besaß, wie ein Elefant vom Ballett, dennoch war die Freude beiderseits. Die Nordsee konnte auch anders. Sie vermochte dem Segler alles ab, war garstig, so an diesem Tag. Antonias Geist trieb in der Tiefe ihrer Erinnerungen und spürte dabei, wie Torben anklopfte und sie ihm erlaubte ihren Verstand zu übernehmen, den er war der einzig wahre Zeuge gewesen.

***
Der Sturm hatte sich über Nacht gelegt und sie hissten früh das Segel. Die See war rau, der Wind stramm. Torben fror. Mehrmals hatte er Tami gebeten, ihm einen Pullover zu geben, aber sie verkroch sich in der Kajüte.
„Tami“, schrie er. „Mir ist kalt!“
Seine nassen Finger umgriffen das Ruder, hielten das Seil.
Die Kajütentür flog auf. Sie sprang, ihren Mund verdeckt, hervor, warf ihm den Rucksack zu.
Ob er das Kommando ‚klar zur Halse‘ gegeben hatte, wusste er nicht mehr. Wie in Zeitlupe schwebte der Sack an ihm vorbei. Tami trat aufs Deck, sein rechter Arm drückte das Ruder, die linke Hand gab das Sicherungsseil frei. Er schrie. Der Baum schwang backbord. Die Sophia neigte sich und Tami verschwand.
Das Segel fiel, flatterte wie ein Leichensack, der zum Trocknen aufgehängt war, im Wind. Den Kopf von einer Bootsseite zur anderen wendend, griff er an das Zugseil des Außenborders, der mit einem Zug ansprang.
Wie oft hatte er mit Nahne das Manöver geübt, nie wäre er davon ausgegangen, es einzusetzen. Nie gelang es ihm, mit Anhieb die Schiffsschraube in Rotation zu versetzen. Es war der Ernstfall eingetreten. Trainiert bei stiller See, bei spiegelglatter Wasseroberfläche.
Die Knie auf den Planken, den Oberkörper aufgerichtet, die Hand an den Augenwülsten, spähte er über die tobenden Wellen. „TAMI“, schrie er mit Leibeskräften. „TAMI“. Die Sophia schwankte, wie ein Stück Treibholz. „TAMI!“

Ein leuchtender roter Punkt tanzte auf den schäumenden Wogen. Er riss das Ruder herum, trieb das Boot durch die Wellenkämme. Torben kam dem Treibgut näher, bis eine Rettungsweste sich aus den Wellen schälte. Eine leblose Gestalt hielt sie in ihrem Fang. Er löste die Bordleiter, welche das Meer schlagend empfing.
Mit zitternden Fingern ergriff Torben die Rettungsboje. Das Segel winkte zum Abschied. Die Sophia neigte, woraufhin er kopfüber in die Fluten stützte. Die See verschluckte ihn, drückte seinen Körper unter den Rumpf des Schiffes, bis die Weste ihn mit Macht an die Wasseroberfläche trieb.
Sein Kopf stieß gegen die Boje. Nach Freiheit schnappend, umgriff er das Oval, streifte den Riemen über die Schulter und schwamm. Er kraulte, wie um sein eigenes Leben, kam Tami kein Deut näher, dafür entfernte sich das rettende Boot umso mehr. Er holte Luft, tauchte durch die Wellen, bis das Seil an seinen Rücken zerrte und ihn aufhielt. Die eisige Nordsee fraß sich in die Oberschenkel, sodass die Beine bei jedem Schub mehr verkrampften. Die Gicht drang in die Nase, spülte die Schleimhäute hinweg, bis der Schmerz zu immens wurde. Schließlich vermochte er nur, durch den Mund zu atmen.
Abgesehen davon, war die Taubheit verheerender, die beginnend von den Fingerspitzen den Oberkörper ergriff und, als hätte sie sich mit dem Meer verbunden, den Körper umarmte, um ihn in die Finsternis zu ziehen.
Ein Stoßgebet keuchte er über die Lippen, dann, als gebe es eine Gottheit, die ihn erhörte, warf er mit letzter Kraft den Arm nach vorn, ertastete Stoff, ein kantiges Etwas.
Torben dankte, umschlang Tamis Hals, zerrte an ihrer Rettungsweste, schob, auf dem Rücken liegend, ihren Kopf auf seine Brust.
Er legte die Rettungsboje auf ihren Oberkörper, befestigte – so gut es für ihn möglich war – das Seil an ihrer Weste. Denn, obwohl die Sophia nicht mehr an ihm zerrte, waren sie beizeiten nicht aus der Gefahr. Der Rückweg war nur faktisch harmlos. Dennoch schenkte die Freude, Tami in seinen Armen zu wissen, ihm neue Kraft. Gleichwohl war es ihm bewusst, dass der schwerste Teil der Rettung vor ihm stand. Allein zurückzukehren, war wahrlich nicht die Rettung. Denn erst, wenn sie wieder an Bord waren, konnten sie sich in Sicherheit wiegen.
Torben faste das Rettungsseil und zog, eine Hand vor die andere setzend, an ihm. Mit seinen Beinen zu schieben, die Zeit zu verkürzen, hätte das Gegenteil bewirkt. Denn nicht nur von Nahne hatte erfahren, dass der Tod eher eintrat, wenn Schiffbrüchige sich bewegten, die Logik, die Anatomie des Menschen verlangte es. Muskeln benötigen Sauerstoff, der durch das Blut in die Muskelzellen der Beine drang. Die Beine waren ausgekühlt, das frostige Blut strömt zurück in den Oberkörper, bis es das Gehirn erreicht und der – dieser war er – in Seenot geratene, ins Koma sank.
Er dachte nach. Wie lange hielt es ein Mensch aus. Sie waren auf offener See. Der Sturm hatte die Nordsee aufgewühlt. Die Wassertemperatur lag damit knapp über zehn Grad. Eine Stunde gab er sich zuerst, revidierte die Annahme, da er sich bereits überanstrengt hatte, auf eine halbe Stunde plus X. Das Rettungsseil maß einhundert Fuß. Ein Griff pro Sekunde schaffte er. Somit kam er auf etwa zwanzig Minuten. Welche Zeit er für den Hinweg gebraucht hatte, wusste er nicht.
„Es geht gut. Denk’ an etwas Schönes“, murmelte Torben und schloss die Augen.
Das Peitschen des Windes, das Schlagen der Gicht verwandelte sich in den Ohren zu Klängen. Symphonische Klänge der Harmonie komponiert von Tschaikowski.
Er stellte die Füße in Grundstellung, glitt mit den Fingerspitzen über sein pechschwarzes Tutu, entlang des seidigen gleichfarbigen Stoffes des Kostüms, bis an die Wangen. Dann spreizte er die Arme ab, hob die Hände, bis die Arme über dem schwarzen Federdiadem einen Kreis bildeten.
Beim ersten Laut der Trompete ging er auf Spitze, schleifte die rechte Fußsohle über den Unterschenkel bis ans Knie, um dann den gestreckten Fuß, wie eine sich entspannende Feder zur Seite zu katapultieren. Nach einem ersten leichten Sprung tanzte er auf Spitze, eingehüllten von den Klängen der Trompete. Je mehr sich das Tempo der Musik erhöhte, desto schnelleren Schrittes tanzte Odile, bis sie Pirouetten drehend ins Fouetté wechselte.
Wie ein Wirbelsturm, welcher übers Land jagte und auf seinem Weg die von ihm aufgesaugten Gegenstände wie Geschosse verteilte, so flogen ihre schwarzen Federn in die Ewigkeit. Erst der Griff von Prinz Siegfried an ihre Taille, an ihren weißen Flaum, bremste ihre Rotation. Dann verlor Odette den Bodenkontakt, schwebte getrieben durch Siegfrieds Macht an seinem Körper entlang, spreizte, flügelgleich ihre Beine zum Spagat und verließ als schneeweißer Schwan die Welt.

Ein Schlag an die Schädeldecke brachte ihn wieder in die Realität. Er schlug die Augen auf und erspähte die Bootsleiter.
Torben hievte seinen ermatteten Körper auf die Planken, zerrte an ihrer Weste. Zentimeter für Zentimeter glitt erst der Oberkörper, dann ihr Rest aufs Deck.
Er wandte das Gesicht der im Wind schlagenden Kajütentür zu, öffnete ihre Rettungsweste und wälzte diese ihr vom Rumpf. Dann schob er mit zitternden Fingern seine Arme unter ihre Achseln, umfasste seine Ellenbogen und schleifte sie zum Eingang der Kajüte.
Ihre Füße polterten über die Stufen, bis Tami vollends auf dem Boden der Kajüte lag. Er schnappte nach Luft, hechelte und legte sie nieder. Er atmete ein paar Mal durch, dann zerrte er ihr das T-Shirt vom Laib. Sein Blick auf ihren wabbelnden Brüsten gerichtet, schlug er ihr ins Gesicht, schüttelte an ihren Schultern. Er öffnete ihre triefende Hose, streifte diese über ihre Beine, dabei verfluchte er die modisch engen Jeans und schmetterte die Hose, samt der Unterbüx, auf die Kajütenstufen. Panisch legte er seine rechte Hand zwischen ihre Busen und drückte die Linke. Er pumpte.
Tamis Bauch wölbte sich. Durch ihren Körper ging ein Zucken, worauf Meerwasser aus ihrem Mund rann.
Sie lebte. Dann, nachdem er sich entkleidet, in ein Badetuch gehüllt hatte, setzte er sich neben sie. Sie kamen sich näher, küssten sich. Dann rutschte sein Handtuch herab. Dabei war es nicht allein die Schwerkraft. Tami streifte vorher ihr Handtuch ab, ergriff seine Hand und legte sie auf ihre Brust. Jedenfalls als das Badetuch auf dem Kajütenboden lag, sprang Tami auf und schrie.

***
Antonia schüttelte unwillkürlich den Kopf und murmelte: „Was hatte sie denn erwartet?“
Als würde Tami ihr antworten, spürte Antonia einen Druck auf dem Gesicht, bevor Dunkelheit sie erfasste und sie flüsternd „hast du Sehnsucht“ vernahm.
In Erwartung drehte sie sich um, hob rasch die Augenlider und schrie: „Verpiss dich.“
Mit allem und jedem hatte sie gerechnet, allerdings in einem Kölner Bahnhofsbuchladen diesen Abschaum, dieses Geschmeiß zu treffen!
„Spinnst, welcher Igel hat dich gebissen. Ich könnte stinkig sein, denn du drückst mich andauern weg.“
„Hindrik, mit einem stinkenden Arschloch will ich nichts zu tun haben.“
Hindrik zuckte zurück, ergriff ihren Oberarm, worauf ihr die Handtasche von der Schulter rutsche.
Sie riss sich los, erfasste den Riemen der Tasche, schob ihn wieder herauf und brüllte: „Fast mich nicht an, sonst schreie ich.“
„Das tust du bereits. Entschuldigung und sage endlich, was los ist.“
„Das weißt du am besten.“
Er zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, was du meinst?“
Antonia rümpfte die Nase. „Na, Geburtstag und?
„Und?“
„Alina, hä?“
„Du redest in Rätseln?“ Er tippte auf das Buch, das sie mit der Rechten hielt. „Seit wann stehst du auf Manga? Wann hat Alina Geburtstag?“
„Das kann dir an der Glatze vorbeigehen. Wolltest sie dann flachlegen. Die Doofe fällt auch darauf rein und merkt gar nicht, dass du sie ausnutzt.“
„Warum sollte ich Alina an ihrem Geburtstag, dessen Datum ich nicht einmal weiß, flachlegen. Ich kann die Klette nicht ausstehen.“
„Weshalb ihren? Deinen.“
„Will sie in die Bretagne?“
„Wieso Bretagne?“
„Weil ich mit einem Kumpel an die Bretagne düse. Was ich dir gesteckt habe. Du bist sowieso bei dieser Tami und mein Alter ist auch in der Nähe.“
Wer log, wer sagte die Wahrheit.
„Du hast Alina nicht zu deinem Geburtstag eingeladen?“
„Wie käme ich dazu? Wenn, dann hätte ich dich, aber nur dich eingeladen. Bloß wohin? Ich bin gar nicht daheim.“ Er wies gen Ausgang. „Auf dem Weg nach Frankreich.“
„Bretagne? Mit einem Kumpel? Kenne ich den?“
Hindrik kratzte sich am Genick. „Enno! Vielleicht habe ich dir ... kenne ihn schon seit der Grundschule in Nordenham.“
Er hatte ihr bereits von Enno erzählt, genug erzählt, dass sie sogar in der Lage war seine Biografie zu schreiben. Weswegen Alina ihr diesen Schwachsinn aufgetischt hatte, ging ihr in diesem Augenblick total ab.
„Hindrik, wann fährt euer Zug?“
„Um 15:07.“ Er hob sein Arm. „Also in gut einer Dreiviertel.“
„Gleis?“
„Sieben.“
Sie schmunzelte, legte das Manga zurück und umfasste seine Hand. „Dann wollen wir Enno nicht warten lassen.“
Irgendwie ergriff sie das Fernweh. Bretagne? Tanja war es sicher total scheißegal, an welchen Ort sie ihre Ferien verbrachte. Es war eher Tami, die sie zaudern ließ. Was würde sie sagen? Sie konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Hey, du bist frei, kannst tun und lassen, was du willst, habe deinen Spaß.“ Sie sah, wie Tami sich ihr näherte, sacht ihr Ohr berührt. „Na, immer noch Jungfrau?“ Dann spürte sie Lippen auf dem Hals. Es waren jedoch nicht die von Tami, sondern Hindriks. Sie drehte sich ihm zu, umfasste sein Genick, zog sich herauf und presste die Lippen auf die seinen, umspielte seine Zunge. Sie musste sich nicht sofort entscheiden. Allerdings die Zeit bis zur Abfahrt, die gemeinsame Zeit im Zug, rann zügig dahin. Dass sie kein Gebäck dabei hatte, denn sie hatte alles, was sie benötigte, in ihrem Zimmer in Aarons Villa, war keine Entscheidungshilfe. Alles, was sie brauchte, konnte sie sich kaufen. Denn die Kreditkarte, die Aaron ihr Geschenk hatte, die sie bis zu diesem Zeitpunkt praktisch nie eingesetzt hatte, hatte sie dabei. „Unlimited“, hörte sie Aarons Stimme, dann sah sie, wie er die Arme spreizte und „irgendwann gehört ohnehin alles dir“ sagen. Vielleicht wollte er ihr die Villa vermachen, immerhin war ihre Großmutter, seine Halbschwester, Bärbel und Sophia tot und – davon ging Antonia aus – wusste er, dass Tanja nicht mit ihnen verwandt gewesen war.



Flucht der Amazonen

Klara hasste es, wenn Mitarbeiter sich in der Hauptsaison erdreisteten, krankzumachen. Das hieß für sie Mehrarbeit. Nachdem die Kollegin Klara – wie immer mit Verspätung – abgelöst hatte, hieß es für sie hinauf auf die Zimmer. Es machte ihr nichts aus, Bettdecken aufzuschütteln, die Laken zu wechseln oder beschmierte Kloschüsseln zu putzen. Sie war sich nicht zu fein. Manchmal hatte es sogar etwas Meditatives. Einzig die Gäste störten. Die ihr nicht als solches zur Last fielen, sondern ihr Gehabe widerte sie an. Die Herablassungen, welche sie empfing! Menschenverachtend. Gern hätte sie den Gästen eine Standpauke gehalten, aber Geschäft war Geschäft. Sie machte einen Knicks, entschuldigte sich für etwas, was sie nicht getan hatte und buckelte. Sie lächelte, wenn die holde Gattin, versteckt von ihrem Gatten, ihr ein Trinkgeld zuschusterte, oder schaute verlegen, wenn der Gatte, versteckt von seiner Gattin, ihr einen Schein ins Dekolleté steckte. Dem Klaps auf den Hintern, welchen er ihr geben wollte, wich sie aus.
Mit Ekel dachte sie an die Singles, die nach durchzechter Nacht mittags im Bett lagen, während sie das Bad reinigte. Diese schmierigen Typen, die sie dann, wenn sie mit dem Staubsauger ans Bett kam, in das Gleiche zerrten, sie befummelten und sie sich entschuldigen musste, dass sie gestolpert wäre. Jeder Gast zählte, auf keinen konnte sie verzichten. Daher gab es für sie kein Entgegenkommen, obwohl sie immer ein offenes Ohr für ihre Angestellten hatte. Sie zogen alle am selben Strang.

Eine Stunde verblieb ihr, bis sie in den Service musste. Sie schloss die Tür zu dem Zimmer ab, schlüpfte aus dem Kleid und verteilte ihre Wäsche auf dem Boden, bis sie die Dusche erreichte. Sie dachte an Fridolin, als ihr das Wasser über den Rücken rann, an seine sich aufweichende Haut.

***
In den Abendstunden ritt sie mit Stephanie aus, tagsüber nahm Klara sie nicht wahr. Stephanie erledigte ihre Arbeiten, ansonsten streunte sie herum. Josephine und Fridolin trennten sich einzig in der Nacht. Klara sprach mit sich selbst, stellte sich vor, Stephanie wäre an ihrer Seite. Sie las Pferdezeitschriften. Die ‚Tanja‘ verschlang sie. Stephanie war wie das Mädchen, welches durch die Zeitschrift führte. Ein Pferdenarr war sie, stand den Tieren näher als ihren Freundinnen. Sie war voller Geheimnisse. Ihre Mystik zog Klara in ihren Bann. Die nächste Perle schob sich auf ihre Kette.
An einem Vormittag hatte sie die Nase voll, sie schlüpfte in ein dem Sommer entsprechendes Kleid, nahm den Bus und fuhr in die Stadt. In einem Modeschmuckgeschäft erblickte sie Josephine und Fridolin. Ihre Körper dicht an dicht durchstöberten sie einen Ständer mit Ringen, kicherten, küssten sich. Der Anblick war ihr bekannt, ließ keine Trauer in ihr aufkommen.

***
Klara stellte das Wasser ab, schnappte ein Handtuch und frottierte sich ab, bis sie den Kleiderschrank erreichte. Sie öffnete die Schranktür, entnahm Unterwäsche, eine weiße Bluse und einen schwarzen Rock.
Sie strich über den Rock und schmunzelte. Dieses Zusammentreffen in der Stadt hatte Fridolin nicht erzählt. Diese Situation ihr nicht erklärt. Denn sie war für Fridolin Tanja und jene war für Fridolin nicht vor Ort gewesen.

***
Fridolin und Josephine hatten ihre Kleider getauscht. Er war ein Spieler, liebte die Verkleidung. Er besaß keine Scham, in für ihn fremde Rollen zu schlüpfen.
Josephine erblickte sie, winkte sie heran. Sie schritt auf den Jungen im knielangen Sommerkleid zu, dessen mit Rüschen besetzte Ärmel mit seinen nackten Schultern kokettierten. Josephine drehte den Schirm ihrer Basketballkappe an ihr Genick, sodass ihr schulterlanges Haar herausquoll und ihr mädchenhaftes Bild unterstrich. Keine Verkleidung konnte ihre Anmut verbergen, die Weiblichkeit kaschieren, denn die Hügel, welche den Stoff des mitternachtsblauen T-Shirts anhoben, verrieten sie.
Im Gegensatz dazu Fridolin, obwohl sein kurzes rehbraunes Haar einem Jungen zu Gesicht stand, war seine Gestik, seine Mimik feminin. Seine Bewegungen flossen, hatten nichts von einem Roboter. Sein Stand, die Beine überschlagen, die Arme vor der Brust gekreuzt. Die Hände berührten die Schultern, wobei sich die Fingerspitzen zu verkrampfen schienen. Das Tippen mit der Spitze seiner Sandalette auf die Auslegeware verrieten ihr die Scham. Es war nicht die Pein, dass er in Mädchenkleider steckte, sondern die Scham eines Mädchens, welches sich zwischen zwei Busenfreundinnen drängelte, denn Josephine gehörte ihr, nicht ihm. Josephine wandte sich von Fridolin ab, sich ihr zu.
„Klara, darf ich vorstellen“, sie tippte Fridolin an, „das ist Stephanie. Sie ist neu auf dem Hof. Stephanie“, sie pikste ihr in die Seite, „das ist Klara, meine beste Freundin. Na los, nicht so schüchtern, begrüßt euch.“

Josephine übernahm die Führung. Sie ergriff drei Siegelringe, die durch einen Faden gehalten am Ständer baumelten. Ein Zeichen ihres Bundes verkündete sie, bezahlte und lud zu einem Besuch eines Eiscafés ein.
Sie schritten Seite an Seite. Aus ihren Augenwinkeln beobachte sie seinen schwingenden Gang, das präzise Absetzen der Absätze vor den Schuhspitzen.

***
Klara stieg in den Slip, band sich einen Büstenhalter um, schloss den Verschluss des Strapsgürtels und setzte sich aufs Bett. Sie rollte einen schwarzen Strumpf auf, schob diesen über die Zehen und strich ihn auf dem Bein glatt. Sie hasste es, wie ein Zirkuspferd ihren Dienst zu begehen, aber ihre Erfahrungen hatten ihr gezeigt, dass die meist männlichen Gäste länger in der Bar verweilten. Geschäft war Geschäft. Dabei hatte sie noch Zeit, um die lästige Büroarbeit zu erledigen.
Sie schlug sich an die Stirn, murmelte: „Klara, darf ich dir vorstellen, das ist Stephanie. Sie ist neu auf dem Hof.“ Waren ihre Erinnerung derart durcheinander?

***
Der Kellner brachte Josephine einen Eisbecher und ihr sowie Fridolin, den sie beide mit Stephanie ansprachen, eine Erdbeermilch. Als Stephanie an ihrem Glas nippte, dabei mit ihrer Halskette spielte, verwandelte sie sich für sie zu Tanja, indes war sie niemand anders als Fridolin. Klara hatte eine Schwester und neben ihr saß Josephine. Es war perfekt.
***
Klara schloss die Knöpfe ihrer Bluse, stieg in den Rock und wandte sich der Spiegeltür des Schrankes zu. Sie drehte sich eine Locke. Uniform!
Die nächste Perle sauste auf die Kette. Ihr Wahn hatte sie getrieben, die Realität verzerrt.
Er war ein Spieler, ein Kopist, ein Formwandler. Wenn Fridolin jemanden gegenübersaß, dann übernahm er deren Mimik und Gestik, kopierte sie. Nicht sie hatte ihn beobachtet, analysiert, sondern er sie. Zu allem Überfluss trugen sie die gleichen Kleider, die gleichen Schuh. Zufall! Eingebung! Oder war er, nein – er war eine sie – sie wahrhaftig ihre Zwillingsschwester? Ja, so war es, so musste es sein. Während des ganzen restlichen Aufenthalts sah sie Fridolin nicht wieder. Dafür stand Tanja an ihrer Seite, schlief mit ihr im selben Zimmer, griff morgens in denselben Kleiderschrank, um Klamotten für den Tag zu wählen. Er war perfekt.

***
Am folgenden Wochenende überzeugte Josephine den Reithofleiter, dass sie beim anstehenden Wechsel der Reitkinder störten, deshalb es für ihn eine Entlastung wäre, wenn die drei einen zweitägigen Reitausflug ans Meer unternehmen würden. Zu ihrer Überraschung schlug er ein. Sie packten ihre Sachen, liehen sich ein Zelt, sattelten die Pferde. Dass das Mädchen, das Klaras T-Shirt trug, dessen Füße in Josephines mit Blümchen verzierten Turnschuhen steckten, keines war, fiel dem Leiter in der Hektik nicht auf. Und Fridolin? Fridolin hatte sich bei ihm abgemeldet, um zwei Tage mit seinem Vater zu verbringen.
Sie ritten bis zur alten Scheune, entledigten sich ihrer Sachen, dem Zwang, versteckten Reiterhosen sowie Reithelme. Frei wie drei Amazonen bestiegen sie ihre Pferde und flogen hoch zu Ross ihrem Abenteuer entgegen.

***
Klara bemalte ihre Augenlider, legte Rouge auf, dann zog sie die Kappe von ihrem Lippenstift und berührte mit dessen weinroter Spitze ihre Oberlippe. Sie wandte sich vom Spiegel ab, schritt zu ihrer Handtasche, öffnete diese und zog ein Blatt ihrer Schreibtischunterlage heraus. Das Blatt auffaltend, setzte sie sich erneut aufs Bett, verband mit der Farbe des Lippenstiftes die Namen Josephine und Fridolin und malte ein Herz über den Strich.
Lolita erklang erneut in ihrem Gehirn. Es war ihr Plan gewesen. Der Ausflug in die Stadt war einzig ein Probelauf, eine Generalprobe für das Wochenende. Ein Junge, ein Mädchen allein ohne Aufsicht an einem Strand. Die Frage, um Erlaubnis zu bitten, nicht Wert zu stellen, aber zwei Mädchen es zu verwehren? Klara war das dritte Rad am Fahrrad. War dieses der Keim des Hasses. Hatte ihr Wahn nach der Suche nach einer Schwester das erste Glück zweier junger Menschen durchkreuzt? Oder war es die Eifersucht, die sie getrieben hatte? Hatte sie das Sommerkleid in der Hoffnung übergestreift, Josephine im Gleichen zu entdecken? Hatte sie einzig aus diesem Grund den Weg angetreten? Fragen über Fragen. Oder hatte Josephine für Fridolin das Kleid erwählt, um selbst frei zu sein? Weshalb Klara die ganzen Jahre alles verdrängt hatte, war weiterhin hinter einem Schleier verborgen. Seine Aussage, die er im Verlies verkündet hatte, nichts anderes als eine Messerklinge, welche die ersten Schnitte vollbrachte, obwohl sie einen Säbel benötigte.

Ein Klopfen an der Zimmertür, welches an Intensität zunahm, holte sie aus den Erinnerungen. Mit Hast faltete sie das Blatt, stand auf und verwahrte es wieder in ihrer Handtasche. Mit zitternden Fingern schloss sie auf und eine Frau, in einem lavendelfarbenen Kostüm gekleidet, stürmte ins Zimmer.
„Warum schließt du ab?“, wetterte sie. Sie drängte sich an Klara vorbei, bückte sich und hob Klaras Kleid auf. „Wenn du mein Zimmer benutzt, dann schmeiß deine Klamotten nicht überall herum. Es reicht, dass wir den Gästen hinterherräumen.“ Sie schritt zum Bett, wandte sich zum Kleiderschrank um, dessen Tür weiterhin offenstand, ging zurück zu Klara. „Und zieh nicht immer meine Sachen an.“ Sie hob den Saum von Klaras Rock. „Erst recht nicht meine Unterwäsche.“
Klara stemmte die Hände gegen ihre Taille. „Moni, jetzt komm mal runter! Wir sind alle gestresst. Geh’ dich duschen, ruh’ dich eine halbe Stunde aus, zieh’ dir etwas Schickes über und ran ans Klavier mit dir.“ Klara schritt auf Moni zu, bis ihre Nasenspitzen sich berührten. „Oder soll ich Igor Bescheid geben, dass er dich wiederhaben kann.“

Für Klara brach dagegen eine Welt zusammen, ihre Welt. Denn die Worte, die sie von Fridolin vernommen hatte, trieben sie an einem Abgrund. Ein Mensch im Angesicht des Todes lügt nicht. Er hat keinen Grund, kein Motiv. Verschweigen, um die Liebsten zu schützen, im Rahmen des Verstandes, aber Banalitäten wie Partys zu erfinden, um den Peiniger zu quälen, abseits jeglicher Realität.
Die Wahrheit lag vor ihr. Im Antlitz einer Schreibtischunterlage, auf der sich all die Namen versammelten. Ihre Welt, welche ihr Geist erschaffen hatte, auf einem Stück Papier.
Sie hing sich die Handtasche über die Ellenbeuge, öffnete diese, während sie zur Zimmertür ging und umfasste die Packung Schlaftabletten, als wäre diese ein alter, liebevoller Freund. Es war vorbei.



Alles auf Anfang

Josephine verließ das Bad.
„Hey, was machst du so früh für ein Lärm?“
„Früh? Gunnar, was ist für dich früh? Es ist eher Zeit zum Frühstücken, fast Mittag.“
Sie schritt auf das Bett zu, öffnete das Badetuch, sodass es von ihrem Körper glitt. Vollkommen entblößt stiegt sie zu ihm ins Bett, schmachtet „es sei denn“ und kuschelte sich bei ihm ein.
Er drückte sie von sich ab. „Trockne dich vorher ab, bevor du …“
„Spießer.“ Sie wandte ihren Kopf. „Dabei hast du ein schöneres Zimmer als ich“. Sie stieß ihn an. „Komm, steh auf.“
„Ich beeile mich.“
Sie zog eine Augenbraue herauf. „Warum?“
„Damit wir zusammen zum Frühstück …?“
„Bist du beknackt. Getrennt, du Blödschädel, oder willst du, dass uns jemand zusammen sieht. Außerdem bin ich bestimmt weg, bevor du fertig bist. Ein Kaffee und ein Croissant reichen mir. Immerhin muss ich“, sie kniff ihn, „auf meine Linie achten.“
„Bin ich dir zu dick? Und wie weg?“
„Ja, es sei denn, es wären Muskeln.“ Sie sprang aus dem Bett, zog sich an und brummte „ich fahre heute heim“ durch das T-Shirt, das sie über ihren Kopf zog. Derweil sie in ihre Pumps schlüpfte, ergriff sie ihre Handtasche, schob diese über den Ellenbogen und schnarrte: „Gunnar, vielleicht sehen wir uns irgendwann einmal wieder“, während sie das Hotelzimmer verließ.

Sie schritt den Gang Richtung Lobby entlang, als Klara den Weg kreuzte. „Josephine, reist du ab?“
„Leider, Schätzchen, die Pflicht ruft. Termine in München. Altlasten.“
Klara stellte sich vor sie und ergriff ihre Hände. „Kannst du zuvor ein letztes Mal nach Fridolin schauen? Adieu sagen und so, denn ich habe keine Zeit.“ Sie presste ihre Handtasche gegen den Oberkörper. „Ich, ich“, stammelte sie. „Büroarbeit – verstehst?“
„Kein Ding. Igor kümmert sich um ihn. Er findet für ihn bestimmt einen hübschen Platz.“
„Hübschen Platz?“
„Na ja, neue Identität, Ausland und so, immerhin wird er gesucht.“
„Echt, du bist wirklich eine wahre Freundin. Wann will Igor Fridolin wegbringen?“
„Will? Soweit er es mir gesagt hat, hat er es bereits.“
„Das ist ja super, dann kann ich der Baufirma Bescheid geben.“
„Welche Baufirma?“
„Die, die den Neubau an der Schwimmhalle errichtet. Die fragten bereits an, ob sie endlich die Fenster zumauern können.“ Klara umschlang Josephines Hals und küsste sie. „Danke, für alles. Ich weiß nicht, was ich ohne dich angestellt hätte. Du hast alles geregelt?“
„Sicher, Fliege beruhigt nach Südafrika. Du wirst sehen, es wird alles prächtig, du wirst seh’n.“
Ein weiteres Mal küsste Klara sie, löste sich von ihr und blieb stehen, bis Josephine das Hotel verließ.



Madonna

Franziska bekreuzigte sich. „Ggrüßet seist du, Maare, voi da Gnade. Da Herr is mid dia. Du bisd gbenedeit unta den Weiberleid, und gbenedeit is de Frucht deins Leibs, Jesus. Heilig Maare, Muada Gotts, bitte fia uns Sindr, ’etz und in da Stunde unsas Tods.“
„Franzi, hosd du’s ned mehr.“
„Na, des konn ned sei Lotte, du bisd a Gist, du bisd tot.“
„Franzi, i bin unsterblich, des woasst du und sprich Houchdeitsch, de Leid schaun scho’.“
„Wie?“
„Mensch, wir sind in Dresden und nicht auf dem Viktualienmarkt. Setz’ di!“
Franziska presste den Rock der Tracht an das Gesäß, setzte sich auf die Bank und richtete das Gesicht zum Gemälde aus, das an der Wand hing: „Scheens Buidl.“
Lisselotte nahm neben ihr Platz und stieß sie an. „Franziska!“
„Schönes Bild.“
„Raffael: Sixtinische Madonna.“
Franziska wies auf den unteren Rand des Meisterwerks: „De Engel, de hob i scho’ g’sehen.“
„Die Engel, die habe ich schon gesehen.“
„Du aa?“
Lisselotte verdrehte die Augen und zupfte an Franziskas Stola. „Neu?“
„Na, des hob i damois aus Indien mitg’bracht. Und du ned in Habit?“
„Bin geschäftlich unterwegs, da ist ein Kostüm angebrachter. Du weißt, in unserem Orden nehmen wir es mit dem Äußeren nicht so genau.“
„I konn’s oiwei no ned glam ... na jo, an deim Grob stand i jo ned. Du hättest di ruhig oamoi meldn könna und dann dreffa mia uns zuafällig do bei den Sachsn.“
„Franzi!“
„Entschuidigung, Sachsen.“
„Warum zufällig?“
„Wa hod dia den g’sogt, dass i mid meim Mo do a po Toge vabring’.“
„Mit deinem Mann, ich muss lache! Mit deinem Geliebten. Sodom und Gomorra. Ich weiß alles, was du tust, machst. Denk’ immer daran, ich bin eine Hex’.“
„Aba a guade.“
Lisselotte strich über Franziskas Arm. „Natürlich bin ich eine gute Hexe, bin eine Braut Christi, dennoch muss ich dich bestrafen, wenn du mir nicht die Wahrheit sagst. Wir wollen es abkürzen. Einerseits habe ich heute eine Menge Termine, anderseits willst du bestimmt zurück zu deinem …“, Lisselotte verdrehte die Augen, winkte ab und wandte sich ihr erneut zu, „lassen wir das. Wo ist mein Sohn? Wohin habt ihr ihn damals verschleppt?“
„’s is scho schlimm gnug, dass du ois Nonne a Tochta hosd. ’etz no a Bua übatreibst du ’s ned a weng.“
„Ja. Es sind Zwillinge, aber ich habe sie weder gezeugt noch ausgetragen, der Herr ist mein Zeuge, der Herr ist ihr Vater.“
„Zwuiing? I woass grod vo am Madl. Wo soi den dea Bub steckn?“
„Jetzt wirst du witzig. Du hast ihn selbst großgezogen und dann mit der Bagage verschleppt.“
„Seit wann is Hias vaschleppt? Außerdem is ea ned Otonias Zwuiingsbruada. Des wüsste i.“
„Matthias, Antonia, was faselst du in deinem Wahn? Ich rede von Stephen.“
„Warum suchst du ihn? Ea is doch do. Fahr noch Minga, do kannst du ihn dreffa.“
„Er ist in München? Was macht er dort?“
„Ea wui mid Tanja noch Südofrika. Sie schbada heiradn, wenn ea vo Fridolin gschiedn is.“
„Mache nicht alles komplizierter, als es ohnehin schon ist. Du gehst zurück nach München und triffst dich dort mit der Aishe. Sie wird dich kontaktieren.“
„Dann weißt du jo doch, dass de Aishe mei Bub da Stephn is.“
Liselotte verdrehte die Augen, klopfte Franziska auf die Schulter und stand auf. „Du machst das schon.“


Nonne oda Gist

„Komm, Froni, auf!“ Valentin schlug ihr aufs nackte Gesäß.
„Was jetzt schon?“
„Is scho spät, war scho bei de Küh’n.“
Froni wandte sich um, hob den Oberkörper und umschlag Valentins Hals, worauf er zu ihr ins Bett glitt. „Ich könnte mir etwas Schöneres vorstellen, als den Gästen Frühstück zu bereiten.“
Er küsste sie. „Dienst is Dienst und Schnaps is Schnaps. Außerdem rückst eh in die zweite Reihe, wenn die Tanja zurück is.“
„Was hältst du von mir?“
„Zum Bumsen bist mir halt recht, aber als Ehefrau … sei froh, eine Mätresse hat’s besser.“
Valentin schlug ihr ein weiteres Mal aufs Gesäß, stand sodann auf und ging zur Schlafzimmertür. „Los, ab mit di in de Küch, wo de Weiber hinhör’n! Wenn de Tanja aus Ofrika rück is, kommst eh in de Kammer, wo’s Gesind hinhört.“
Sie wies ihn einen Vogel. „Gesinde!“
„De Mätress des Herrn gehört zum Gesind, immerhin bekimmst des Doppelte wie a Frisös’ und frei Kost und Logis, was willst mehr für eine wia di.“
„Eine wie ich?“
„De Franzi hat’s mi g’steckt, bevor sie gangen is, dass du ned imma a Madl warst. Also raus, ab in de Küch.“
Valentin verließ das Schlafzimmer, ging die Treppe zum Erdgeschoss herab, blieb auf der letzten Stufe stehen und bekreuzigte sich, schrie: „Jesus Maare, da Deife is zuaück“, bevor ihm der Schlag in Form eines Koffers am Knie traf.
„Vale, mach’ den Mund zu und trag‘ lieber meina Koffer auffe.“
„Du bisd ned Lotte, Lotte is tot. Du bisd ihr Gist.“
„Herrgott Zeiten, seit wann haben Geister einen Koffer. Hast du es nach all den Jahren imma ned geschnallt. Verwechselt mi imma mit de Bärbel mein Schwester.“ Sie wandte sich um. „Und wie es hier ausschaut. Kaum is die Franzi ein paar Tag weg, geht alles de Bach hinunter, wenn des de Franzi sieht. Wo is der Hias de Bengel, de Alina?“
„In de Ferien.“
„Na gut, dann mach‘ mi ein Kaffee, wenn des kannst. Dann besprechen wir, wie es weitergeht.“
Sie tätschelte ihm die Wangen, schob ihn zur Seite und ging hinauf.
Vale nahm die letzte Stufe, als die Haustür aufflog, der Wind Sand und Blätter hineintrieb.
Er wandte sich der Tür zu, sah geblendet von der Sonne, wie eine Gestalt, als wäre sie der Leibhaftige, eintrat.
„Vale“, hörte er eine bedächtige, dumpfe Stimme. „Vale. Vale ich habe eine …“ In diesem Augenblick schlug die Tür zu.
„Frank, bist vearückt, willst mi zum Tode.“
Der Polizeibeamte strich durch sein Haar. „Vale“, druckste er. „Vale setzt’ dich lieber, nicht, dass dich der Schlag trifft.“
„Das hat er bereits. Du willst nicht glauben, wer von den Toten aufgestanden ist.“ Er winkte ab. „Errätst du nie, die Lotte.“
„Welche Lotte?“
„Na die Schwester von de Franzi.“
„Die war tot. Ich dachte, die ist Nonne.“
„Kommt irgendwie aufs Gleiche. Was willst ‘etz.“
„Setz‘ dich lieber.“
„Sprich i hob genug um de Ohren.“
Frank schwankte. „Die Franzi … die Franziska ist tot.“
„Wie tot, hatte sie einen Unfall.“
„Nein, die Münchner gehen vom Mord aus.“
„Was hob i damit zu schaffen?“
„Sie ist deine Frau.“
„War! Und 'etz vapfeife di, i hob anda Soagn.“
„Mann, hat sie dich etwa?“
„Blitzmerker.“
Frank wandte sich um, ging zur Haustür und umfasste die Türklinke. „Vale, du sollst zu den Kollegen nach München. Noch heute.“



E N D E
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Ahorn,

sind Dir neben den Kommata nun auch die Fragezeichen ausgegangen? ;)
Ein paar Dinge zur Verbesserung ...

„Jetzt wirst du kleinlich,Punkt Wenn wir zusammen waren, war ich dir immer treu Punkt, vielleicht Semikolon, notfalls Komma, aber nicht nichts oder waren wir irgendwann zu dritt.Fragezeichen
„Arschloch. Verrate mir lieber, was du hier treibst?Punkt Außerdem“, Josephine drehte den Kopf, „ist hier für privat Punkt Oder kannst du nicht lesen.Fragezeichen
„Die Tür stand offen auch hier würde ich mit Komma oder gar Punkt trennen und ein wenig herzlicher könntest du dich darüber freuen, mich zu sehen.“
... Lippen frei hatte, flüsterte sie: „Besser.Fragezeichenich unterstelle es einfach mal als Frage, denn ...
... das hier ist die Antwort:
„Für den Anfang.“
... glitt über seinen Schritt und knetete sein Gemächt. ... vermute ich mal ...;)
Wenn du behauptest, du hattest Sehnsucht nach mir, dann hättest du dich vorbereiten können?Punkt
„Tut mir leid, mit gefangen, mit gehangen.“ heißt es nicht mitgehangen, mitgefangen?
Du weißt Komma Mädchen, die nichts sagen und so.
Meine Freundin ist jedoch eine Anständige auch hier könnte ein Komma rein - könnte ... und weder sie noch ihre Teilhaberinnen haben mit euch Abschaum zu schaffen.
„Hast du schon einmal etwas von Igor Semyonov gehört.Fragezeichen
„Nee, wer soll das sein.Fragezeichen
„Nee Komma wieso?“
„Keine Angst Komma ich verlange keinen Unterhalt.
„Keine Angst Komma geht ohnehin nicht.“
„Nee Komma Reinigung.
„Oh Gott, wie schrecklich Komma alles zusammen Punkt Und dann bist du derart fit.Fragezeichen
Sie fasste sich an die Brust. „Vergessen.Fragezeichen Die sind auch nicht echt, ...
Die Brustwarzen sind von einer Toten,Punkt Die hat sie bestimmt,kein Komma nicht mehr benötigt.
„Wie heißt eigentlich deine Freundin?“, fragte er Komma unterlegt von einem Stöhnen.

Liebe Grüße,
 
Hallo Ahorn,

okay, kann man als Frage durchgehen lassen. Dennoch ist es eigentlich eine Aufforderung. Da könnte man also auch ein Ausrufezeichen setzen.

Liebe Grüße,
 
Hallo Ahorn,

habe heute endlich mal ein bisschen Zeit.

Jedenfalls sollten wir ihm,kein Komma endlich etwas zum Beißen geben, sonst verhungert er uns.
Wie leicht Vielleicht (ich vermute mal, dass Du das meinst ...) war es ihr Freund und …“
„Hören, sagen, nichts Genaues. Ich bin nicht sicher, aber ich glaube dieses "Hörensagen" ist ein Wort.
Joos, das weiß ich, hatte Beziehungen zu dieser Anstalt.
Denken! Igor denken. Ich würde es anders gewichten: Denken, Igor. Denken!
„Wieso.Fragezeichen“ Er wies den Gang, in dem sie standen, entlang. „Ich dachte? ...
Igor zog den Kopf zurück, während sie ihre Arme um seinen Hals schmiegtePunkt „Hat er seinen Namen gesagt.Fragezeichen
Sie klappte es aus, hängte es an die obere Stange ...

Diese war zwar nicht 100-Prozentig 100prozentig, jedoch in einer Größe so groß, dass es zweifellos geschehen war.
Van Düwens, dDes alten janusköpfigen van Düwens Firma,kein Komma gehörte sicher nie in die ...
Wie alle Ganoven pflegte er eine humanistische Ader.
Erwartest du jemand AnderesFragezeichen
... öffnete diesen und sang eher, als,kein Komma dass er es aussprachen:
„Soll ich kotzen.Fragezeichen
Bin ich deine Dienstmagd.Fragezeichen
... fletschte sodann mit den Zähnen, als wäre sie zum Angriff bereit, diese in seine Kehle zu rammen.
Welcher Frau gelang es, in die verworrenen, von Hormonen gesteuerten (oder: hormongesteuerten) Gedanken eines Mannes einzudringen.Fragezeichen
... wenn sie sich derart aufgetakelt im Spiegel betrachtete.
Wie sollte ich dieses Wissen.Fragezeichen
Entgegen meiner Annahme, die Küste hinauf zu schippern, setzte er kurz Kurs auf die hohe See.
... versorgten die ausgemergelten Männer und Frauen (oder war nur eine an Bord?), die ...

... welche zum Teil dem Tode näher als dem Leben waren.

Ich musste grübeln. Hieß dieses Schiff nicht Cap Anamur? Oder war das ein anderes?

Liebe Grüße,
 

ahorn

Mitglied
Moin Rainer Zufall,

ich dachte schon, du seiest krank.
Besten Dank. Meine Fragezeichentaste scheint weiterhin zu klemmen. ;)
Ich bin nicht sicher, aber ich glaube dieses "Hörensagen" ist ein Wort.
In dem Fall nicht. Sonst hätte ich kein Komma gesetzt. ;)


Ich würde es anders gewichten: Denken, Igor. Denken!
Viel besser.

jedoch in einer Größe so groß
Größe von Größenordnung.

Ich musste grübeln.
Grübel nicht, wenn du es erkannt hast. :cool:

Liebe Grüße
Ahorn
 
Hallo Ahorn,

nein, nein, ich bin quasi nie krank. Die eine Woche Corona-Quarantäne im Januar war mein erster Dienstausfall seit 13 Jahren. Und seitdem ist nichts mehr gewesen. Nein, mir geht es gut, ich habe nur im Moment einfach so viel um die Ohren, dazu recht anstrengende Dienste, weil die Personaldecke momentan irgendwie sehr löchrig ist. Da hatte ich einfach keinen Drive mehr, war nur erschöpft. Noch drei Wochen, dann habe ich Urlaub bis Weihnachten.

In dem Fall nicht. Sonst hätte ich kein Komma gesetzt. Müsste dann das "Sagen" nicht dennoch groß geschrieben werden?
Größe von Größenordnung. Dann würde ich auch "Größenordnung" schreiben. Das war übrigens meine erste Intention der Korrektur.
Cap Amur war also Absicht. Okay ...

Liebe Grüße,
 

ahorn

Mitglied
Hallo Rainer Zufall,

Müsste dann das "Sagen" nicht dennoch groß geschrieben werden?
Dachte ich zuvor auch. Jedoch ist kein bestimmtes Sagen, wie bei er hat das Sagen, sondern das 'sagen' als Tätigkeit, somit das Verb.

Dann würde ich auch "Größenordnung" schreiben. Das war übrigens meine erste Intention der Korrektur.
Da liegt die Sache etwas anders. Hier gönne ich mir die Verkürzung, denn der Satz befindet sich in der Erlebten-Rede, daher Gedankenwerk und wer denkt 'Größenordnung'. Ich zumindest nicht.

Liebe Grüße
Ahorn
 
Hallo Ahorn,

oh, Mann, schon wieder zwei Wochen rum. Sorry. Die Zeit rennt gerade.

Das mit dem "Sagen" kann ich noch immer nicht verstehen. Wenn dieses Wort dort so ganz alleine steht, dann ist es nicht als Verb zu erkennen, auch nicht im Kontext des ganzen Satzes.

Dein Spoiler vom 17. November enthält übrigens den falschen Titel. Darum kümmere ich mich jetzt mal um "Gedemütigt".

... sie seiner Geschichte von der Cap Amur lauschte, ...
„Mache ruhig weiter, mich stört es nicht“. Der Punkt ist an der falschen Stelle.
„Oder erst einmal eine Stärkung.“ Das wirkt für mich eher wie eine Frage.
... sondern wie sie sich stimuliert hatte: obszön, vulgäre.
Er drehte diesen, bis er erneut einen Rülpser (der Stuhl rülpst?) von sich ließ, sich setzte.
„Erstens bin ich auch nackt und Zweitens ist es für dich bestimmt bequemer.“
Nachdem er sich erneut sich einen Schluck gegönnt ...
... das Bier leerte und dabei sich,kein Komma mit sich selbst vergnügte.
... dass wenn ich ein Hetro wäre, ich mich in dich verlieben könnte. Verstehst du? Könnte. Aber ich bin kein Hetro. Ist das Absicht, eine sprachliche Eigenart, dieses "Hetro"? Oder hast Du nur das "e" hinter dem "t" vergessen?
Wenngleich – sie ging in sich - war dieses ein Vorurteil ... Hier hast Du zwei verschiedene Gedankenstriche verwendet.
... dieses überlebt hatte, den konnte nichts mehr erschrecken, Angst bereiten.
... an den Schlössern gerüttelt;oh, ein Semikolon! Ich denke ein Komma reicht ... sie gar zerbrochen. Wie blöd war sie. Könnte man als Frage verstehen.
... ihre Beine fingen an,kein Komma zu zitterten.
Sie wollte sich wehren, dagegen ankämpfen, ...
... während die Stimme, die Stimmen weiterhin in ihrem Schädel hallten, ihr befahlen.
Sie senkte den Kopf Komma bis ihre Nase erst die Fliesen, dann ...
Sie legckte sich über die Lippen, versuchte es, herauszubekommen, es zu schmecken.

Liebe Grüße,
 
Hallo Ahorn,

und weiter geht es mit dem jüngsten Kapitel. Und schon wieder Lust und Liebe.:cool:

Hat dieser Widerling von einem Valentin hinter meinem Rücken,kein Komma seine Wohnung …“
Sie spürte, wie Aishes Zunge ihre Schamlippen umspielte.
WoVorher fliegen wir nach Südafrika, dann ...
Aishe lachte. „Workaholic ein Satzabschlusszeichen Deiner Wahl ;)

Liebe Grüße,
 

ahorn

Mitglied
Hallo Rainer Zufall,

oh, Mann, schon wieder zwei Wochen rum. Sorry. Die Zeit rennt gerade.
Jo. Bald ist Weihnachten.

Ich danke dir.
Absicht, eine sprachliche Eigenart, dieses "Hetro"? Oder hast Du nur das "e" hinter dem "t" vergessen?
Nö. Dachte mir immer, das Wort sieht irgendwie blöd aus, aber du bringst mich auf eine Idee. Der Dialog der beiden ist ja eine Übersetzung, denn Sheeran kann kein Deutsch und Milena nur ein paar Brocken Hebräisch, daher unterhalten sie sich auf Englisch. So weit ist weiß heißen auch dort Heteros Heteros. Damit hätte ich etwas aus der Ursprungssprache. Nur eins müsste ich ändern:Het'ros.

(der Stuhl rülpst?)
Sicher nicht :). Wenn es mir danach gewesen wäre, hätte ich:
Er drehte diesen, bis jener erneut einen Rülpser von sich ließ, er sich setzte.

... während die Stimme (Singular), die Stimmen (Plural) KOMMA weiterhin in ihrem Schädel hallten, ihr befahlen.

Den Rest übernehme ich gern.

Liebe Grüße
Ahorn
 
Hallo Ahorn,

dies finde ich ein wenig unsinnig: ... während die Stimme (Singular), die Stimmen (Plural) KOMMA (no) weiterhin in ihrem Schädel hallten, ihr befahlen.
Entweder ist es eine Stimme oder es sind viele Stimmen, aber beides? :confused: Weiß nich ... Die Verben beziehen sich eher allein auf "die Stimmen".

Liebe Grüße,
 

ahorn

Mitglied
Moin Rainer Zufall,

Entweder ist es eine Stimme oder es sind viele Stimmen, aber beides?
Erst glaubt sie 'eine' zu vernehmen, als sie es denkt 'mehrere'.

Was hältst du von:
'Sie kroch auf allen Vieren, erblickte Sheerans Hinterlassenschaft, während die Stimme … die Stimmen weiterhin in ihrem Schädel hallten, ihr befahlen.'

Liebe Grüße
Ahorn
 



 
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