Über Bären
Ein erotisches Erlebnis der anonymen Art hatte ich vor gut zehn Jahren morgens gegen sieben.
Ich bereiste damals Centralchina und saß in einem Local-Bus, der laut meinem Tagebuch von Anhui` nach Chau`- Lan unterwegs war, rund siebzig km. Der Bus brauchte für die Strecke bei zahlreichen Zwischenstops um die zwei Stunden. Ich döste auf meinem Fensterplatz vor mich hin, das alte Auto ächzte durch die Schlaglöcher, die Leute ringsum wechselten, Berufsverkehr.
Eine junge Frau saß vor mir, groß gewachsen, vital. Ihr üppiges, sorgfältig gekämmtes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebündelt. Und plötzlich, in einer fließenden, routinierten Bewegung fuhren, fünfzig Zentimeter vor meinen aufgerissenen Augen, zehn perfekt manikürte tiefrote Fingernägel durch diese schwarzglänzende, dichte Masse und legten das ohnehin perfekte Arrangement noch einmal neu. Beim nächsten Halt stieg sie aus.
Ich war wach.
Die Straße schlängelte sich nun bergwärts durch einen Bambuswald. Die langen Stangen dieser seltsamen Gewächse bildeten über der Fahrbahn ein Dach und in der Luft lag dieses Klappern, mit dem der Wind durch den Bambus fährt.
Hinter einer Kurve standen drei Pandabären auf dem schütteren Asfalt.
Ich wußte, die Gegend war berühmt für ihren Pandabestand, ich hatte sogar eine geführte Tour gemacht. Aber keiner aus der Gruppe hatte einen auch nur von weitem gesehen. „Sie sind sehr scheu,“ sagte unser guide. Kein Wunder, dachte ich, nach allem, was passiert ist. Und jetzt gleich drei!
Und nicht nur das.
Der Bus hielt, der Fahrer öffnete die Tür und die Bären stiegen ein. Sie hockten sich in die ersten zwei Sitzreihen, wohl kein Zufall, daß da keiner saß. Überhaupt schien außer mir niemand überrascht, selbst die Kinder blieben gleichgültig.
Von einer milden Euphorie beflügelt, brachte ich die Camera in Anschlag und machte vier Aufnahmen, leider mit Blitz. Bei der vorletzten hatten die Bären die Köpfe gewendet, sodaß ich sie noch einmal schön von vorne erwischte.
Sie betrachteten mich unverwandt aus ihren kleinen Augen, während ich die Leica verstaute. Schließlich erhob sich der deutlich größte von ihnen und ging langsam, jedoch erstaunlich sicher und behände, in dem schlingernden Bus nach hinten, soweit, bis er auf meiner Höhe war.
Er sah mich schweigend an. Ich schlug die Augen nieder und eine Sekunde später empfing ich einen Prankenschlag, eher eine schallende Ohrfeige, die meinen Kopf zur Seite und mich auf den Boden zwischen die Sitze warf. Dröhnende Vibrationen, ganz von fern fröhliches Gelächter und rote Kreise im schwarzen Bewußtsein.
Nach einem Moment der Abwesenheit krabbelte ich zurück auf meinen Sitz mit schmerzendem Kopf, Sehstörungen und moralisch schwer angeschlagen. Allein auf einem fremden Kontinent wird man leicht zum Spielball der eigenen Gefühle und eine weinende Langnase hatten die Leute noch nie gesehen. Im Bus wurde es still bis auf die kichernden Kinder und fünfzig dunkle Augenpaare blickten mich an.-
Die Bären waren längst ausgestiegen, als wir Chau`- Lan erreichten. Ich setzte mich in ein Teehaus und überdachte die Situation. Die Reise wie geplant mit öffentlichen Verkehrsmitteln fortzusetzen, war unmöglich. Eine tiefe Abneigung, geradezu eine Allergie gegen ein allzu enges Miteinander dominierte alle Emotionen. Besonders Busse waren mir verhaßt und die hatten hier das Transportmonopol.
Die Lage war kompliziert.
Endlich, nach langem Zaudern, ging ich in eins dieser großen ländlichen Warenhäuser und kaufte ein robustes chinesisches Fahrrad, einen schwarzen `Sturmvogel der Revolution`, dazu zwei Packtaschen. Straßenkarten hatte ich ohnehin und so fuhr ich los : vorsichtig, Richtung Shanghai.--
Die Kopfschmerzen ließen nach und die Gewöhnung an den neuen Rhythmus hellte mein verdüstertes Gemüt allmählich auf. Zudem veränderte die jähe Verlangsamung die Perspektive. Ich war nun ein Radfahrer unter vielen und die freuten sich offensichtlich, einem Ausländer auf einem chinesischen Fahrrad zu begegnen. Anerkennend lächelnd begleiteten sie mich und hatte ich mal wieder die Orientierung verloren und deutete stumm und hilflos auf meine Karte, bildete sich augenblicklich ein Auflauf .Stets fand sich einer, der mich im Auftrag aller wieder auf die richtige Spur brachte.Vorher jedoch wurde obligatorisch Tee getrunken, man gab mir ein Stück eingelegtes Hundefleisch mit auf den Weg und ein Glas Schnaps zum Abschied schien selbstverständlich zu sein.
Ich schwamm auf einer warmen Welle freundlicher Hilfsbereitschaft und als nach drei Wochen Shanghai am Horizont sich abzeichnete, war die Panda – Depression nur noch eine biografische Episode. Ich fühlte mich gereinigt von suizidalen Gedanken, der Weg nach Shanghai war Läuterung, Katharsis, eine notwendige Wanderung, um psychisch zu gesunden.
So sehe ich es heute. Aber vielleicht war es einfach nur eine glückliche Entscheidung, den `Sturmvogel der Revolution` zu satteln und eine ungewisse Reise anzutreten, getragen von einem Rest Urvertrauen. Damals , unter dem unmittelbaren Eindruck der Ereignisse, empfand ich nur Dankbarkeit.
Fotografiert habe ich übrigens auf dieser Reise nicht mehr und die Leica in Shanghai verkauft. Leider mit Film, was ich mir noch heute zum Vorwurf mache. Die Panda – Fotos müssen sensationell geworden sein.
Tröstlich, daß man die besten Bilder im Kopf hat, z.B. die roten Fingernägel dieser Frau, die ihren Pferdeschwanz neu ordnet; damals auf dem Weg von Anhui` nach Chau`- Lan.
Fototechnisch kommt das sowieso nicht rüber.
Ein erotisches Erlebnis der anonymen Art hatte ich vor gut zehn Jahren morgens gegen sieben.
Ich bereiste damals Centralchina und saß in einem Local-Bus, der laut meinem Tagebuch von Anhui` nach Chau`- Lan unterwegs war, rund siebzig km. Der Bus brauchte für die Strecke bei zahlreichen Zwischenstops um die zwei Stunden. Ich döste auf meinem Fensterplatz vor mich hin, das alte Auto ächzte durch die Schlaglöcher, die Leute ringsum wechselten, Berufsverkehr.
Eine junge Frau saß vor mir, groß gewachsen, vital. Ihr üppiges, sorgfältig gekämmtes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebündelt. Und plötzlich, in einer fließenden, routinierten Bewegung fuhren, fünfzig Zentimeter vor meinen aufgerissenen Augen, zehn perfekt manikürte tiefrote Fingernägel durch diese schwarzglänzende, dichte Masse und legten das ohnehin perfekte Arrangement noch einmal neu. Beim nächsten Halt stieg sie aus.
Ich war wach.
Die Straße schlängelte sich nun bergwärts durch einen Bambuswald. Die langen Stangen dieser seltsamen Gewächse bildeten über der Fahrbahn ein Dach und in der Luft lag dieses Klappern, mit dem der Wind durch den Bambus fährt.
Hinter einer Kurve standen drei Pandabären auf dem schütteren Asfalt.
Ich wußte, die Gegend war berühmt für ihren Pandabestand, ich hatte sogar eine geführte Tour gemacht. Aber keiner aus der Gruppe hatte einen auch nur von weitem gesehen. „Sie sind sehr scheu,“ sagte unser guide. Kein Wunder, dachte ich, nach allem, was passiert ist. Und jetzt gleich drei!
Und nicht nur das.
Der Bus hielt, der Fahrer öffnete die Tür und die Bären stiegen ein. Sie hockten sich in die ersten zwei Sitzreihen, wohl kein Zufall, daß da keiner saß. Überhaupt schien außer mir niemand überrascht, selbst die Kinder blieben gleichgültig.
Von einer milden Euphorie beflügelt, brachte ich die Camera in Anschlag und machte vier Aufnahmen, leider mit Blitz. Bei der vorletzten hatten die Bären die Köpfe gewendet, sodaß ich sie noch einmal schön von vorne erwischte.
Sie betrachteten mich unverwandt aus ihren kleinen Augen, während ich die Leica verstaute. Schließlich erhob sich der deutlich größte von ihnen und ging langsam, jedoch erstaunlich sicher und behände, in dem schlingernden Bus nach hinten, soweit, bis er auf meiner Höhe war.
Er sah mich schweigend an. Ich schlug die Augen nieder und eine Sekunde später empfing ich einen Prankenschlag, eher eine schallende Ohrfeige, die meinen Kopf zur Seite und mich auf den Boden zwischen die Sitze warf. Dröhnende Vibrationen, ganz von fern fröhliches Gelächter und rote Kreise im schwarzen Bewußtsein.
Nach einem Moment der Abwesenheit krabbelte ich zurück auf meinen Sitz mit schmerzendem Kopf, Sehstörungen und moralisch schwer angeschlagen. Allein auf einem fremden Kontinent wird man leicht zum Spielball der eigenen Gefühle und eine weinende Langnase hatten die Leute noch nie gesehen. Im Bus wurde es still bis auf die kichernden Kinder und fünfzig dunkle Augenpaare blickten mich an.-
Die Bären waren längst ausgestiegen, als wir Chau`- Lan erreichten. Ich setzte mich in ein Teehaus und überdachte die Situation. Die Reise wie geplant mit öffentlichen Verkehrsmitteln fortzusetzen, war unmöglich. Eine tiefe Abneigung, geradezu eine Allergie gegen ein allzu enges Miteinander dominierte alle Emotionen. Besonders Busse waren mir verhaßt und die hatten hier das Transportmonopol.
Die Lage war kompliziert.
Endlich, nach langem Zaudern, ging ich in eins dieser großen ländlichen Warenhäuser und kaufte ein robustes chinesisches Fahrrad, einen schwarzen `Sturmvogel der Revolution`, dazu zwei Packtaschen. Straßenkarten hatte ich ohnehin und so fuhr ich los : vorsichtig, Richtung Shanghai.--
Die Kopfschmerzen ließen nach und die Gewöhnung an den neuen Rhythmus hellte mein verdüstertes Gemüt allmählich auf. Zudem veränderte die jähe Verlangsamung die Perspektive. Ich war nun ein Radfahrer unter vielen und die freuten sich offensichtlich, einem Ausländer auf einem chinesischen Fahrrad zu begegnen. Anerkennend lächelnd begleiteten sie mich und hatte ich mal wieder die Orientierung verloren und deutete stumm und hilflos auf meine Karte, bildete sich augenblicklich ein Auflauf .Stets fand sich einer, der mich im Auftrag aller wieder auf die richtige Spur brachte.Vorher jedoch wurde obligatorisch Tee getrunken, man gab mir ein Stück eingelegtes Hundefleisch mit auf den Weg und ein Glas Schnaps zum Abschied schien selbstverständlich zu sein.
Ich schwamm auf einer warmen Welle freundlicher Hilfsbereitschaft und als nach drei Wochen Shanghai am Horizont sich abzeichnete, war die Panda – Depression nur noch eine biografische Episode. Ich fühlte mich gereinigt von suizidalen Gedanken, der Weg nach Shanghai war Läuterung, Katharsis, eine notwendige Wanderung, um psychisch zu gesunden.
So sehe ich es heute. Aber vielleicht war es einfach nur eine glückliche Entscheidung, den `Sturmvogel der Revolution` zu satteln und eine ungewisse Reise anzutreten, getragen von einem Rest Urvertrauen. Damals , unter dem unmittelbaren Eindruck der Ereignisse, empfand ich nur Dankbarkeit.
Fotografiert habe ich übrigens auf dieser Reise nicht mehr und die Leica in Shanghai verkauft. Leider mit Film, was ich mir noch heute zum Vorwurf mache. Die Panda – Fotos müssen sensationell geworden sein.
Tröstlich, daß man die besten Bilder im Kopf hat, z.B. die roten Fingernägel dieser Frau, die ihren Pferdeschwanz neu ordnet; damals auf dem Weg von Anhui` nach Chau`- Lan.
Fototechnisch kommt das sowieso nicht rüber.