Überfahrt (Sonett in Amphibrachen)

4,00 Stern(e) 5 Bewertungen

HerbertH

Mitglied
Überfahrt

Nur selten, beim Lesen, Gesprächen, beim Sinnen,
Erinnern beginnen die Augen von Neuem das Alte
zu sehen, und Feuchte erzwingt sich ein Rinnen:
Bestrichen vom Winde erneut sich das Kalte.

Vergangen, verloren, gewonnen, begraben,
warum nur vergehen nicht Jahre im Fluge?
Wer möchte die Fragen nicht stellen, nicht laben
sich daran, nicht Herzschmerz empfinden. Im Zuge

der Tage verschwindet nur langsam die Trauer.
Wie viele versuchen, sie ewig zu halten -
errichten, um sie zu beschützen, die Mauer
um ihre Gefühle, die dennoch erkalten.

Der Fährmann will Geld vor dem Lösen der Leine:
Gib erst nach der Querung dem Alten die Scheine.
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo Herbert,
in Zeile 2 hast du eine Hebung mehr - als Leser vermute ich, dass die Abweichung hier nicht bewusst gestaltet wurde?
Zu Zeile 1:
Nur selten, beim Lesen, Gesprächen, beim Sinnen,
Zur Not ließe sich vor Gesprächen ein mitgedachtes "bei" einfügen, doch scheint mir das vor dem Lesen stehende "beim" hier so maßgeblich zu sein, dass es - rein grammatikalisch - eher z.B. heißen müsste:
Nur selten, beim Lesen, Besprechen, beim Sinnen.

Vielleicht gibt es aber auch Beispiele, die mich eines Besseren belehren ???

soviel mal fürs Erste
lg wüstenrose
 

HerbertH

Mitglied
Überfahrt

Nur selten, beim Lesen, Erinnern und Sinnen,
beginnen die Augen von Neuem das Alte
zu sehen, und Feuchte erzwingt sich ein Rinnen:
Bestrichen vom Winde erneut sich das Kalte.

Vergangen, verloren, gewonnen, begraben,
warum nur vergehen nicht Jahre im Fluge?
Wer möchte die Fragen nicht stellen, nicht laben
sich daran, nicht Herzschmerz empfinden. Im Zuge

der Tage verschwindet nur langsam die Trauer.
Wie viele versuchen, sie ewig zu halten -
errichten, um sie zu beschützen, die Mauer
um ihre Gefühle, die dennoch erkalten.

Der Fährmann will Geld vor dem Lösen der Leine:
Gib erst nach der Querung dem Alten die Scheine.
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Wüstenrose,

danke für die Hinweise, ich habe die ersten beiden Zeilen etwas umgestellt und bereinigt.

So klingt es deutlich runder :)

Liebe Grüße

Herbert
 

HerbertH

Mitglied
Überfahrt

Nur selten, beim Lesen, Erinnern und Sinnen,
beginnen die Augen von Neuem das Alte
zu sehen, und Feuchte erzwingt sich ein Rinnen:
Bestrichen vom Winde erneut sich das Kalte.

Vergangen, verloren, gewonnen, begraben,
warum nur vergehen nicht Jahre im Fluge?
Wer möchte die Fragen nicht stellen, nicht laben
sich daran, nicht Herzschmerz empfinden? Im Zuge

der Tage verschwindet nur langsam die Trauer.
Wie viele versuchen, sie ewig zu halten -
errichten, um sie zu beschützen, die Mauer
um ihre Gefühle, die dennoch erkalten.

Der Fährmann will Geld vor dem Lösen der Leine:
Gib erst nach der Querung dem Alten die Scheine.
 

wüstenrose

Mitglied
Lieber Herbert,
das wogt schön und gleichmäßig dahin, rein von der Sprachmelodie her befinden wir uns wohl schon auf der Überfahrt, inhaltlich werden leicht irritierende Motive angerissen (statt: Die Zeit heilt alle Wunden heißt es sinngemäß: konserviere den Schmerz (und mit ihm das Leben?) - - - aber noch ehe man als Leser darüber in Nachdenklichkeit versinkt, ist der Nachen schon wieder ein Stück weiter geglitten, die Querung will bald vollbracht sein ...

all das schwingt für mich mit, wenn ich die Zeilen lese.

lg wüstenrose
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo HerbertH,
ich habe Dein Sonett erst heute gelesen. Es gefällt mir, der Rhythmus ist flüssig und der Inhalt tiefgründig. Ein paar Fragen stelle ich mir trotzdem. Warum beginnen beim Sinnieren und Lesen die Augen nur s e l t e n das Alte zu sehen? Ich empfinde es gerade umgekehrt, dass man beim Sinnieren häufig das Alte herauf beschwört. Und sind bei so einer Rückschau (und es ist ja wohl eine Rückschau, sonst wäre man nicht schon auf dem Kahn der Fährmanns) die Jahre nicht (gefühlt) wie im Fluge vergangen? Ich empfinde so, wenn ich ins Grübeln komme.
Ich habe Dein Gedicht trotz der Fragezeichen gerne gelesen.
Gruß
Hermann

P.S. Leider konnte ich wieder keine Bewertung abgeben. Ich mache alles wie immer, aber es funktioniert nicht mehr(?!).
 

HerbertH

Mitglied
Hallo Hermann, das selten kann man inhaltlich auch als "selten, (nämlich) beim ..." Lesen. So habe ich es auch gemeint, also genau so, wie Du es angeregt hast. Herzliche Grüße Herbert

PS: Bin leider grad in Eile. Melde mich nochmal wegen der anderen Frage.
 



 
Oben Unten