Überzeitlich

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Daniel Techet

Mitglied
Überzeitlich

Die Worte sollen treffen.
Keinen Gesetzen
unterliegend
das Herz berührn.

Vogelfliegend,
verstandbesiegend
in neue Höhen führn.

Als sonnengleiche Lebenskräfte
erleuchtend in die Köpfe gehn.
Alle Tode überstehn.

-

Bald vergehn
die Körper
und das Jetzt verwelkt.
Und wie das Blatt vom Baume fällt
zerfällt das Ich.

Dann war alles Nichts,
was nicht überzeitlich ist.
Und die Welt vergisst..

Aber alles geistgereifte Schöne
schwingt sich ein in neue Töne
die dort klingen -
wo kein Klang vergeht..
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Hallo Daniel!

Würde es in der Leselupe eine Rubrik "Gedichte über das Dichten" geben, wäre es vielleicht die größte Sparte. Immer eine interessante Diskussion.

Die Worte sollen treffen.
Keinen Gesetzen
unterliegend
das Herz berührn.

Vogelfliegend,
verstandbesiegend
in neue Höhen führn.
Der Titel zielt auf die Ewigkeit, das Überzeitliche eben.
Aber die ersten beiden Strophen scheinen sich in dem Klischee zu verfangen, Überzeitlichkeit finde sich in der Seelenschicht der Gefühle. Verstärkt durch das Klischee, man müsse den Verstand besiegen, um über die Zeitlichkeit hinaus zu gelangen.
Fange ich mit diesem zweiten Klischee an: Es ist eben der Verstand, der Zeitliches von Überzeitlichem unterscheiden kann. Mathematische Strukturen z.B. sind überzeitlich. Der Rechenvorgang und das bohrende Fragen nach Lösungen logischer Probleme ist ein innerseelischer Vorgang, zeitlich, aber so eine Symmetrie wie das Vertauschungsgesetz ist invariant, nicht zeitlichen Bedingungen unterworfen. Deshalb ist der Aufweis "synthetischer Urteile a priori", oder mit anderen Worten der "sinnvollen und informativen Sätze, mit denen der Verstand selbst schwanger geht" in Platons Menon (über zweitausend Jahre vor Immanuel Kant) an einem Beispiel aus der Geometrie ausgeführt worden. Kurz: Daß die Verdopplung einer Quadratfläche durch das Quadrat über der Diagonalen des Ausgangsquadrats ausgeführt wird, ist zeitlich invariant, überzeitlich, ein ewiges Gesetz.
Gefühle dagegen sind in die Spannung zwischen Erwartung und Erfüllung aufgespannt, zwischen Sucht und Lustwiederholung. Was kann daran überzeitlich sein?

Als sonnengleiche Lebenskräfte
erleuchtend in die Köpfe gehn.
Alle Tode überstehn.
Abstrakt, geradezu propagandistisch aufgedonnert in der Formulierung, aber ohne sinnliche oder imaginative Füllung der Ansprüche. Kurz: ohne Phantasie. Wie will man ohne einen sinnlichen Musenkuß "alle Tode überstehn"? Der Untote platzt. Oder implodiert in sein Vacuum hinein. Plop.


Bald vergehn
die Körper
und das Jetzt verwelkt.
Und wie das Blatt vom Baume fällt
zerfällt das Ich.

Dann war alles Nichts,
was nicht überzeitlich ist.
Und die Welt vergisst..

Aber alles geistgereifte Schöne
schwingt sich ein in neue Töne
die dort klingen -
wo kein Klang vergeht..
Ja, denn man Butter bei die Fische: Wo ist denn das gewünschte "geistgereifte Schöne"? Nicht fordern, liefern!

grusz, hansz
 



 
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