Umarmung

klara

Mitglied
Östliche Klänge... Ich weiß, dein deutsches Gehör mag es nicht. Instrumente, wie Kanun, Ud...
Na und?

Ein heiteres Tun in meinem Fernseher. Es wundert mich, dass aus ihm keine Beine, keine Arme sprießen und er nicht tanzt in meinem Wohmzimmer. Dabei sieht es ganz danach aus.

Nächste Woche um dieser Zeit werde ich auf der einen der drei Terrassen meiner Stadt sitzen. Ich werde das Meer anschauen. Das schöne, liebe und poligame Mittelmeer. Denn es hat nicht nur meine Stadt zu seiner Geliebten gemacht.
Meine Stadt, die doch nicht meine ist. Aus irgend einem Zauber heraus wuchsen dort die Betonwälder. Aus irgend einem Wunder jetzt begegnet man dort einen Orangenbaum. Zu meiner Zeit duftete es nur nach Orangenblüten und Jasmin. Ein Duft, der auch Jod in seiner Begleitung hatte.

Ich werde meine Lehrer aus Gymnasium -Zeit besuchen. Das mache ich jedes Mal, wenn ich dort bin. Wir sind gemeinsam so alt, dass der Altersunterschied zwischen uns verschwunden ist. Wir dutzen und umarmen uns.
(Ich bin umarmungskrank.)
Dann werde ich an meine beste Freundin denken. Besuchen werde ich sie nicht. Sie hat immer keine Zeit. Und ich bin nicht bereit zu hören, dass sie sagt; sie könne nicht kommen. Ihr Mann besitzt mehrere Hochhäuser in der Stadt und meine Freundin ist in Zeitarmut. Ich ertrage nicht zu hören, wie ihre Stimme zittert am Telefon. Sie findet einen Vorwand, warum sie nicht kommen kann und weiß genau, dass ich es merke. Ich weiß dagegen, dass wir uns so lieben, dass ich sie niemals nach den wahren Grund fragen werde. Wir haben unsere Not immer verstanden. Ohne Worte.
Als sie ihr Studium an der Kunst-Akademie aufgab, weil sie nicht eine arbeitslose Künstlerin werden sollte, weinte sie bitterlich. Genau so war es, als sie mir mitteilte, dass wir keine Wohngemeinschaft gründen können. Ihre Mutter...
Sie hatte was dagegen. Meine Freundin war in Not. Und zur Not verzichtete sie auf die gemeinsame Wohnung, auf ihr gelibtes Studium.
Wir umarmten uns. Wir umarmten uns immer wieder. Wir verabschiedeten uns zur Not. Immer wieder. Warum brachte die Mutter sie in diese Not?
Sie hat Betriebswirtschaft studiert. Sie hat kein Tag in diesem Bereich gearbeitet. Nichts davon will sie erzählen. Ich spüre ihren Schmerz. Doch auch ich habe Schmerz.
Alt werden, sterben sind willkommene Dinge in meinem Leben. Aber ich will nicht, dass sie sagt, so sei eben das Leben. Die jugend sei doch vorbei. Alle sagen es. Sie soll es nicht sagen.
denn wir hatten gemeinsam heraus gefunden, dass die Jugend ein "muss" ist, wie Masern, wie Windpocken... Auf diese Krankeiten folgt doch die Immunität. Und die "Krankheit Jugend" kann doch nicht weniger sein, als Windpocken... Das hatten wir gemeinsam heraus gefunden.
wenn nicht ein Bißchen Widerstandskraft... Was bleibt doch denn übrig von dieser "Krankheit"? Wo bleibt denn der Sinn ihrer Existenz?
Darüber möchte meine Freundin nicht sprechen. Da ich sie lieb habe, werde ich sie nicht in diese Verlegenheit bringen.
Ich werde sie in meinen Gedanken umarmen und nicht nach ihre Telefonnummer suchen. Ein Aufwand von einer Minute... Das ich es nicht tun werde, werde ich weinen.

Auf jeden Fall aber, werde ich mich zu meiner Mutter ins Bett legen. Sie fest umarmen. Sie hat vor einigen Jahren einen Schlaganfall erlitten. Sie kan sich nicht mehr so bewegen, wie früher. "Manchmal" sagt sie "fühle ich mich wie ein Stein. So schwer ist mein Körper, wie Blei. Ich kann mich nicht bewegen"
Da sage ich ihr "bewege deinen großen Zeh Mutter".
So sagte sie mir, als ich ein Kind war, wenn ich schlecht träumte und mich nicht bewegen konnte.
Sie umarmte mich dabei fest.

Nächste Woche bin ich in meiner Stadt. Dich werde ich fast 4 Wochen nicht sehen. Wir haben uns nicht richtig verabschieden können.
Bei uns, wenn jemand eine große Reise vorhat, muss man sich GUT von einander verabschieden. Sich umarmen.
Fast 4 Wochen zeit und 2000 Km. zwischen uns ist doch eine lange Reise. Nicht wahr?

Sei umarmt. Ich werde an dich denken.
 



 
Oben Unten