Umgedreht wird Weihnachten draus…

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jon

Mitglied
Teammitglied
„Himmelsakrakruzitürkengottverdammichnochma!" Gabriel schüttelte wild seine Hand und ein Blutstropfen klatschte gegen meine Fensterglas-Brille.
„Ieh!"
Gabriel drehte sich um und begann an seinem Daumen zu saugen. „Mh?"
Ich nahm die Brille ab und putzte sie mit meinem Mantel. „Du bist doch zu blöd", stellte ich dabei fest. „Jedes Jahr der gleiche Mist! Wann lernst du endlich, dass das Schwert scharf ist?!"
Gabriel zuppelte sich eine Ecke seiner Toga zurecht und wickelte den Daumen darin ein. „Und wann lernst du endlich, dass ich das Ding nicht umsonst jedes Jahr wieder stumpf mache? Was gehen dich überhaupt meine Requisiten an! Färbe ich etwa heimlich deine Bommelmütze um?"
„Bommelmütze? Sagtest du eben Bommelmütze?“
„Ja, das sagte ich. Bommelmütze, Bommelmütze, Bommel… Ah!"
Ich hatte ihm eine gefeuert.
„Bist du verückt? Wie sieht denn das jetzt aus? Der Weihnachtsengel mit'm blauen Auge!"
„Das siehste mal, wie es denen geht, die du bestrafst!"
„…mach ich doch gar nicht! Ich meine, ich schlag die doch nicht! Gottes Strafe ist zwar grausam aber nicht so grausam!"
„Gottes Strafe, Gottes Strafe!", äffte ich. „Wann hast du denn zum letzten Mal gottesgestraft?"
Gabriel überlegte kurz. Dann sagte er: „… da warst du nicht dabei."
„Da war ich noch nie dabei!", konterte ich. „Weil du dich nämlich nicht traust!"
„Ich trau mich nicht? Ich trau mich nicht…?!" Er hob das Schwert.
„Mach doch! Aber dann kannst du das Buch mit den schlechten Taten allein schleppen!"
Gabriel ließ das Schwert sinken. „Du traust dich ja auch nicht."
„Ich muss ja auch nicht. Ich bin die Weihnachtsfrau. DU bist der mit dem Schwert!"
„Haste schon mal gehört, dass eine Mutter ihrem Kind droht, dass es artig sein soll, sonst wird es vom Erzengel Gabriel zerhackt?"
Hatte ich nicht, das musste ich zugeben. Aber ich wusste auch, wieso das niemand sagte. „Ja, wenn du es mal machen würdest, dann würden die Leute dein Schwert auch endlich mal ernst nehmen! Du lässt die Kinder es ja sogar anfassen!"
Gabriel begann, die Schneide des Schwertes stumpf zu schleifen. „Ich finde Kinder nun mal nett.“
„Nett? Ich bin die Nette in unserem Team, ist das klar?"
Er hielt einen Moment inne. „Ach ja?!", rief er. „Und warum sagen die Mütter dann ‘Wenn du nicht artig bist, gibt es von Weihnachtsfrau eins mit der Rute!‘?"
„Weil, weil…", schnappte ich, „… weil dein Schwert stumpf ist! Deshalb!"
Gabriel sah mich müde an und sagte:„Wir drehen uns im Kreis."
Ich sah müde zurück. „Stimmt."
„Jedes Jahr.“
Ich nickte. Dann sah ich den roten Fleck auf Gabriels Toga und zeigte drauf. „Du hast da was."
„Na und? Kann doch unterwegs passiert sein.“
„Nicht, wenn wir gemeinsam auftreten. Da müssen die Sachen schon zu deinem weißen Haar passen. Ich mach mich doch nicht lächerlich mit dir.“
„Dein goldenes Haar passt doch auch nicht zu deiner Bo… zu deinem Outfit."
„Nee", gab ich zu. „Nicht wirklich. Vor allem nicht zu dem Pelzrand aus Hermelin. Und der blöden Brille. Die lässt meine schönen blauen Augen und mein bezauberndes Näschen gar nicht Geltung kommen. Und die Flügel, die aus dem roten Mantel gucken, sehen auch blöd aus …"
„Wir können doch tauschen", sagte Gabriel und reichte mir das stumpf gewordene Schwert.
Ich nahm es. „Najaaa… Die Idee ist schon nicht schlecht. Aber wie sieht denn das aus – ein weiblicher Engel mit 'm Schwert?"
„Dann lass es weg!"
„Und die Strafe für die bösen Taten?"
„Wir könnten doch einfach die guten Taten belohnen."
„… und die schlechten Taten?"
„Über die wird zu Weihnachten einfach nicht mehr geredet!"
„Friedliche Weihnachten also? Coole Idee!"
„Also einverstanden?" Er hielt mir die Hand hin.
Und ich schlug ein.
 

F Fuller

Mitglied
Also... ich finde die Idee mit den zuerst "vertauschten" Rollen sehr schön! Der Text ist witzig geschrieben.

Allerdings habe ich nie gehört, dass ein Engel den Weihnachmann begleitet... (aber ich bin auch nicht in diesen Breitengraden aufgewachen - vielleicht deswegen?). Oder handelt es sich dabei um eine jon-Erfindung (was ich eher nicht glaube).

Gruss
F.
 

Frieda

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Ich hab's gewußt!

Liebe jon,

schon als Kind habe ich vermutet, dass es eine Weihnachtsfrau geben müsse. Jetzt habe ich endlich die Bestätigung. Witzige Idee, die beiden einfach die Rollen tauschen zu lassen. Aber dass sich hinter dem Weihnachtsmann der Engel Gabriel verbirgt ist mir neu.
Mein Eindruck zu deiner Geschichte ist zweigeteilt: Die Idee ist klasse, aber warum muss die Geschichte mit einem ellenlangen Fluch beginnen? Ist das Fluchen schon so selbstverständlich geworden, dass man sich gar nichts mehr dabei denkt? Die vielen gegenseitigen Beschimpfungen sind auch nicht so ganz mein Fall, aber das ist ja heute schon allgemein üblich, also warum soll es im Himmel besser sein als auf der Erde. Mag sein, dass das inzwischen schon als normales Gepräch empfunden wird und nicht als Beschimpfung. Immerhin erkennen die beiden am Ende, dass sie so nicht weiterkommen und finden einen besseren Weg, das stimmt mich dann wieder versöhnlich.

Liebe Grüße
von Frieda
 

jon

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Teammitglied
Mit Augenzwinkern:

Es ist sicher nicht überall so, dass es ein Weihnachtsengel den Weihnachtsmann begleitet – ich hab es aber schon gesehen/gehört und wenn "allgemein bekannt" ist, dass der Alte mit Rentieren und durch den Kamin kommt, obwohl das nun wirklich üüüüüüberhaupt keine deutsche Idee ist, warum dann nicht auch das…

Bei "Engel" fällt mir immer zuerst Gabriel ein. Ich gebe zu, ich weiß nicht, ob er den Weihnachtsmann-Job (oder vorher den Weihnachtsengel-Job) mit seinen sonstigen Pflichten unter einem Hut kriegen könnte. Selbst wenn nicht: Welcher Chef fragt schon nach sowas…

Was den „harschen“ Ton angeht: Die beiden stehen tierisch unter Stress – so kurz vor Weihnachten…

(PS: Ich glaube, der Text passt ohnehin nicht richtig zur Schreibaufgabe, in der es ja um "was Menschen zu Engeln macht" gehen sollte – ich schieb ihn mal in ein anderes Forum.)
 

Massesy

Mitglied
Mir gefällt der Text sehr gut.
Die Wörtliche Rede hast du sehr gut umgesetzt- meiner Meinung nach.
Die Idee war echt nett.
Kompliment
Liebe Grüße
Vincent
 



 
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