Unbeschrieben

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F

Fettauge

Gast
Lieber Franke,

das Suchen nach dem Wort, dem einzigen Wort, wie oft fehlt es uns, deren Mittel das Wort ist. Dein Ich beklagt es, wenn es an die Geliebte denkt, es beklagst es, wenn es an die Hinterhöfe Berlins denkt. Was bleibt, ist das leere Blatt, das Ich scheitert an der eigenen Unzulänglichkeit, aber auch an der Unmöglichkeit, die Vielfalt der Erscheinungen mit einem einzigen Wort zu erfassen. Keine wirklich neue Idee, zu allen Zeiten haben die Dichter genau darüber geklagt und Gedichte geschrieben. Womit ich nicht sagen will, man sollte darüber nicht mehr schreiben, aber ja doch, man sollte es tun, aber nur dann, dies die Einschränkung, die für mich gilt, wenn ich wirklich etwas Neues zum Thema beitragen kann. Und da liegt der Punkt, wo ich mit dir nicht ganz übereinstimme, denn ich bin der Ansicht, wenn du dieses alte Thema behandelst, müsste es erkennbar in der heutigen Zeit siedeln und nicht im Irgendwo und Irgendwann, sonst ist es nur "noch ein Gedicht zum Thema", aber keines, dem ich meinerseits wirklich etwas abgewinnen kann.

Die Liebe der ersten Strophe ist der Gegenstand der Lyrik, der sowieso immer gilt. Die Berliner Hinterhöfe erscheinen mir etwas überholt, denn soviel ich weiß, hat man sehr viel getan, sowohl im Westen als auch im Osten Berlins, gerade den Hinterhöfen den Arme-Leute-Charakter zu nehmen, das Schmuddelbild des Hinterhofs existiert als typische Erscheinung nicht mehr. Seine Existenz aber würde den Gegensatz zwischen Lachen und Umgebung erst interessant machen. So aber erscheint das Lachen für mich wie eine Zutat, auf die ich durchaus verzichten kann in diesem Zusammenhang, eine Prise Optimismus, die dem Gedicht eine aufgepfropfte Gefälligkeit verleiht. Denn es gibt auch ein Lachen aus Verzweiflung. Wäre das Gedicht darauf eingegangen, hätte es an Tiefe gewonnen.

So aber bleibt das Gedicht im Äußerlichen, und obwohl du dir Mühe gibst, es mit wenigen Strichen "bunt" zu machen, wirkt es auf mich etwas banal. So, als hättest du als Autor Angst, dich zu outen. Und das ist für ein Gedicht, das (wahrscheinlich) einen Anspruch ausstellen will, und hier hättest du diese Möglichkeit, einfach zuwenig.

Liebe Grüße, Fettauge
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Fettauge!

Ich weiß, was du meinst, aber dieses Gedicht sollte nie einen besonderen Anspruch haben.

Es ist jetzt knapp zwei Jahre her, dass meine Frau umgebracht wurde und an manchen Tagen ist der Schmerz so groß, dass ich ihn einfach hinausschreien muss.

In meinen Gedichten gibt es kein lyr.ich. Es ist immer Ich und die Orte sind gewesen und gibt es immer noch, aber die Sprachlosigkeit ist geblieben.

Liebe Grüße
Manfred
 
D

Dnreb

Gast
Worte finden...

Lieber Manfred,

Du findest ja Worte, schimmernde Worte, die Erinnerung in sich aufnehmen können. Das leere Blatt füllt sich.

Vielleicht ist das Leben irgendwann nicht nur noch Krankheit der Materie.

Herzliche Grüße
Bernd
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo franke,

ein sehr guter titel "wären doch worte gewesen"
umrahmt ein gelungenes liebesgedicht, so wie es mich anspricht.

bitter-süß, klare bildsprache, und eine schöne auflösung.

zwei anmerkungen, die ich für nachdenkenswer erachte:

das Lachen
dieses einzige Lachen
in den Hinterhöfen
in Berlin


hier frage ich mich ob es die wiederholung des lachens nötig hat?
meines erachtens funktionierte es auch:

das Lachen
in den Hinterhöfen
in Berlin

oder

das einmalige Lachen
in den Hinterhöfen
in Berlin

vielleicht ist "einmalig" hier eine überlegung wert, da es eine interessante doppelbödigkeit enthält.

und in strophe drei:

und wenn du morgen
winkst von der anderen Seite
werfe ich mich
leeres Blatt
lachend ins Licht

hier frage ich mich, ob es vielleicht ein anderes wort für lachen sein kann oder sollte, da es zu diesem zeitpunkt das dritte mal verwendet wird.

vielleicht wäre als anspielung auf den titel: "wortlos" oder "schweigend" eine überlegung wert.

hat mir sehr gefallen

ralf
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Ralf!

Du bist einfach genial, da kann ich einige Sachen gut gebrauchen und werde sie mit Freuden übernehmen.

Danke und liebe Grüße
Manfred
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wären doch Worte gewesen

für den Duft
deiner Haare im Regen
auf Fehmarn

das sanfte Schimmern
der Haut in den Hügeln
bei Genua

dieses einzigartige Lachen
in den Hinterhöfen
in Berlin

Wären doch Worte gewesen

sie fassten dich nicht

und wenn du morgen
winkst von der anderen Seite
werfe ich mich
leeres Blatt
schweigend ins Licht
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
aber der Sinn ändert sich total, wenn aus dem lachenden (Weg)werfen am Ende ein schweigendes (Hin)werfen wird

Mir hat gerade diese Verbindung zu IHREM Lachen gefallen, es hat eine innere Verbindung zelebriert, die nun weg ist,
Du hast lebensbejahendes Erinnern gegen unstillbares Leid getauscht.

cu
lap
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo franke,

lapis hat damit nicht unrecht. es ist hier mehr als nur eine stilistische frage.

da sollte man tief drüber nachdenken.

lg
ralf
 
O

orlando

Gast
Hallo Manfred,
mir gefällt die neue Version sehr gut - ist aber vermutlich eine reine Frage des Geschmacks.
Ein Gedicht, das mich auch formal anspricht. Die Einteilung der Textgruppen ist gut gelungen.
Eine Kleinigkeit ist vielleicht noch überlegenswert:
und wenn du morgen
winkst - von der anderen Seite
werfe ich mich
leeres Blatt
schweigend ins Licht
Hier würde ich einen Gedankenstrich einfügen. Denn sonst taucht automatisch die Frage auf, warum du nicht:
"von der anderen Seite winkst" geschrieben hast, was aber vermutlich im besseren Klang begründet ist.
Ob du aber wegen einer solchen Lappalie noch eine neue Version einstellen solltest, weiß ich auch nicht genau ... ;)

Bis die Tage
orlando
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
liebe Heidrun,

Du hast offensichtlich eine apo-koinou-Fügung in der Zeile entdeckt.
grusz, hansz
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Ihr!

Mit dem "schweigend ins Licht" habt ihr tatsächlich recht. Eigentlich war meine Absicht wirklich "lachend ins Licht" zu gehen, aber Ralfs Vorschlag hat mich im ersten Moment doch überzeugt. Es war aber nun doch eine längere Überlegung fällig.

Ich habe jetzt noch einmal ausgebessert und mit dieser abgeschwächten Version können wir denke ich alle leben.

Liebe Grüße
Manfred
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wären doch Worte gewesen

für den Duft
deiner Haare im Regen
auf Fehmarn

das sanfte Schimmern
der Haut in den Hügeln
bei Genua

dieses einzigartige Lachen
in den Hinterhöfen
in Berlin

Wären doch Worte gewesen

sie fassten dich nicht

und wenn du morgen
winkst von der anderen Seite
werfe ich mich
leeres Blatt
lächelnd ins Licht
 



 
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