Dicke Freunde sind der Heini und ich nie gewesen, aber eine Brücke aus Respekt verband uns.
Wir lebten beide in der Arbeitersiedlung, besuchten die selbe Klasse und hatten am selben Tag Geburtstag. Mehr Gemeinsames gab es nicht zwischen uns. Ich war zeitweise der Klassenprimus, Heini war froh, wenn er mehr als ein halbes Jahr ohne blauen Brief überstand. Ich schämte mich für meine Herkunft und den Geruch von Bratkartoffeln, der ewig in meinen Kleidern hing, Heini hatte mit zwölf einen stolzen, aufrechten Gang und um seine Mundwinkel spielte immer ein spöttisches Lächeln, manchmal gar ein Hauch von Verachtung. Ich saß am Mittag über meinen Büchern, Heini half den Bauern oder dem Dorfschmied und kam am nächsten Tag ohne Hausaufgaben zur Schule. Er hatte immer Geld in der Tasche und während ich noch mit dem alten "Vaterland" mit dem Gsundheitslenker durch unser Dorf radelte, hatte Heini sich ein gebrauchtes Rennrad mit eigenem Geld gekauft.
Das Rennrad tauschte er gegen mein altes Rad, weil ich ihm bei den Mathearbeiten die Ergebnisse zugeschmuggelt hatte. Heini hatte nie um die Ergebnisse gebeten, ich nie das Rad dafür verlangt. Heute, fünfzig Jahre danach, sehe ich das Bild vor mir, wie Heini mit meinem alten Damenrad davon fährt und mir lachend zuwinkt.
Viel geredet haben wir selten miteinander, allenfalls, wenn er mir schilderte, was in dem Aufsatz stehen sollte, wenn ich mal wieder zwei Aufsätze schrieb, einen für mich, einen für Heini. Ich bin sicher, dass die Lehrer wussten, woher Heinis Aufsätze kamen. Wann hätte er sie auch schreiben sollen? Mittlerweile trug er morgens um fünf die Zeitung aus und die Mittage verbrachte er in der Schmiede. Ich brachte ihm teilweise die fertigen Hausaufgaben mit, er schenkte mir hier ein Zweimannzelt, dort eine neue Schulmappe oder einen neuen Patronenfüller.
Einmal nur hat er einen Ansatz von Dank ausgesprochen. Als wir unsere Abschlussfeier in der Schule hatten, lud er mich danach in die Eisdiele ein. Ich aß einen Früchtebecher, Heini trank Bier und ich frage mich heute noch, wie er den Giovani dazu gebracht hatte, ihm Bier auszuschenken.
"Dass ich die siebte Klasse nicht zweimal machen musste, das hast du schön hingekriegt."
Damit war alles gesagt und der Heini hat das Eis bezahlt.
Danach sind wir unsere Wege ins Leben gegangen und ich habe nur von ihm gehört, wenn ich meine Eltern besuchte. Heini hatte beim Schmied eine Lehre angefangen und irgendwann hat ihm der alte Dorfschmied den Betrieb vererbt. Noch während der Lehrzeit hatte er begonnen, Autos zu reparieren und Autos zu verkaufen und das so erfolgreich, dass er ein paar Jahre später für zehn Menschen Arbeit und Brot bieten konnte.
Ich hatte eine Lehre im Gartenbau begonnen und meine Gesellenprüfung mit Auszeichnung bestanden. Mein Herz aber schlug nur bei den schöngeistigen Dingen höher. Und als die ersten Demonstranten durch die Straßen zogen, ich war gerade siebzehn geworden, da erwachte eine große Sehnsucht in mir, die Welt zu verändern. Ich marschierte für eine saubere Umwelt und für den Frieden, sang "Give Peace a Chance" und erschrak, als die ersten Molotowflaschen explodierten.
Als man die ersten Leichen aus zerschossenen Autos zog, war ich betroffen, aber ich kämpfte weiter und hielt die Transparente weiter hoch und warf Steine auf Polizeiautos.
Zu der Zeit erhielt ich die Einladung zu Heinis Hochzeit.
Am Tag zuvor hatte ich "Höret die Signale" gesungen und nun stand ich in der Kirche, in der "Opium für das Volk" verbreitet wurde. Verstohlen murmelte ich das Vater Unser mit.
Es war ein Riesenfest mit allem, was der Kapitalismus zu bieten hatte. Und mitten drin Heini und seine wunderschöne Braut.
"Mach weiter so!" sagte er beim Abschied ,"du hast immer noch dieses Blitzen in den Augen, wenn du sprichst. Es muss sich was verändern in diesem Land, damit unsere Kinder noch im Sand spielen können."
Wenig später hallten seine Worte in meinen Ohren, als die ersten Nachrichten über Tschernobyl zu uns drangen.
Mittlerweile hatte ich geheiratet und eine richtige Familie geründet. Und ich wollte beweisen, dass Unternehmer nicht gleich Ausbeuter ist. Bitter musste ich erfahren, dass meine Solidarität mit dem Proletariat von den Proletariern missverstanden wurde.
Als ich pleite war, und meine Familie sich von mir getrennt hatte, stand Heini eines Abends in der Tür und bot mir seine Hilfe an.
Ich beschimpfte ihn, als Kriegsgewinnler, weil er zu Spottpreisen Immobilien nach der Wende in Dresden gekauft hatte und nun enorme Gewinne machte. Im Dorf wurde von "ganzen Straßenzügen" erzählt
"Immer noch die rote Fahne?" Er lächelte genauso spöttisch, wie damals und ging ohne Abschied."
Das war vor acht Jahren. Der Rebell in mir wird langsam ruhig und ich habe nichts verändert an dieser Welt. Weder der Primus in der Schule noch das Tragen von Transparenten und das Rufen von Parolen hat wen hinter dem Ofen hervorgelockt.
Oder doch?
Wir haben eine Frau an der Spitze der Regierung und an vielen Schaltstellen in Politik und Wirtschaft. Wir haben eine Autoindustrie, die massiv unter Druck steht, damit Klima und Energievorräte geschont werden und wir sind sensibel gegen Terror geworden.
Schade, dass wir so schnell müde geworden sind, bestimmt hätten wir noch mehr für unsere Kinder herausholen können.
Heini hat inzwischen ein Kinderdorf gebaut und der Gemeinde geschenkt.
Nun ist seine Frau gestorben. Ein Leben lang war Heini der Erfolgreichere von uns beiden, und ich habe nie so etwas wie Neid oder Missgunst empfunden. Als ich ihn am Grab habe stehen sehen und gespürt, wie echt seine Gefühle sind, da habe ich ihn um seine Tiefe beneidet und die Brücke war wieder da.
Wir lebten beide in der Arbeitersiedlung, besuchten die selbe Klasse und hatten am selben Tag Geburtstag. Mehr Gemeinsames gab es nicht zwischen uns. Ich war zeitweise der Klassenprimus, Heini war froh, wenn er mehr als ein halbes Jahr ohne blauen Brief überstand. Ich schämte mich für meine Herkunft und den Geruch von Bratkartoffeln, der ewig in meinen Kleidern hing, Heini hatte mit zwölf einen stolzen, aufrechten Gang und um seine Mundwinkel spielte immer ein spöttisches Lächeln, manchmal gar ein Hauch von Verachtung. Ich saß am Mittag über meinen Büchern, Heini half den Bauern oder dem Dorfschmied und kam am nächsten Tag ohne Hausaufgaben zur Schule. Er hatte immer Geld in der Tasche und während ich noch mit dem alten "Vaterland" mit dem Gsundheitslenker durch unser Dorf radelte, hatte Heini sich ein gebrauchtes Rennrad mit eigenem Geld gekauft.
Das Rennrad tauschte er gegen mein altes Rad, weil ich ihm bei den Mathearbeiten die Ergebnisse zugeschmuggelt hatte. Heini hatte nie um die Ergebnisse gebeten, ich nie das Rad dafür verlangt. Heute, fünfzig Jahre danach, sehe ich das Bild vor mir, wie Heini mit meinem alten Damenrad davon fährt und mir lachend zuwinkt.
Viel geredet haben wir selten miteinander, allenfalls, wenn er mir schilderte, was in dem Aufsatz stehen sollte, wenn ich mal wieder zwei Aufsätze schrieb, einen für mich, einen für Heini. Ich bin sicher, dass die Lehrer wussten, woher Heinis Aufsätze kamen. Wann hätte er sie auch schreiben sollen? Mittlerweile trug er morgens um fünf die Zeitung aus und die Mittage verbrachte er in der Schmiede. Ich brachte ihm teilweise die fertigen Hausaufgaben mit, er schenkte mir hier ein Zweimannzelt, dort eine neue Schulmappe oder einen neuen Patronenfüller.
Einmal nur hat er einen Ansatz von Dank ausgesprochen. Als wir unsere Abschlussfeier in der Schule hatten, lud er mich danach in die Eisdiele ein. Ich aß einen Früchtebecher, Heini trank Bier und ich frage mich heute noch, wie er den Giovani dazu gebracht hatte, ihm Bier auszuschenken.
"Dass ich die siebte Klasse nicht zweimal machen musste, das hast du schön hingekriegt."
Damit war alles gesagt und der Heini hat das Eis bezahlt.
Danach sind wir unsere Wege ins Leben gegangen und ich habe nur von ihm gehört, wenn ich meine Eltern besuchte. Heini hatte beim Schmied eine Lehre angefangen und irgendwann hat ihm der alte Dorfschmied den Betrieb vererbt. Noch während der Lehrzeit hatte er begonnen, Autos zu reparieren und Autos zu verkaufen und das so erfolgreich, dass er ein paar Jahre später für zehn Menschen Arbeit und Brot bieten konnte.
Ich hatte eine Lehre im Gartenbau begonnen und meine Gesellenprüfung mit Auszeichnung bestanden. Mein Herz aber schlug nur bei den schöngeistigen Dingen höher. Und als die ersten Demonstranten durch die Straßen zogen, ich war gerade siebzehn geworden, da erwachte eine große Sehnsucht in mir, die Welt zu verändern. Ich marschierte für eine saubere Umwelt und für den Frieden, sang "Give Peace a Chance" und erschrak, als die ersten Molotowflaschen explodierten.
Als man die ersten Leichen aus zerschossenen Autos zog, war ich betroffen, aber ich kämpfte weiter und hielt die Transparente weiter hoch und warf Steine auf Polizeiautos.
Zu der Zeit erhielt ich die Einladung zu Heinis Hochzeit.
Am Tag zuvor hatte ich "Höret die Signale" gesungen und nun stand ich in der Kirche, in der "Opium für das Volk" verbreitet wurde. Verstohlen murmelte ich das Vater Unser mit.
Es war ein Riesenfest mit allem, was der Kapitalismus zu bieten hatte. Und mitten drin Heini und seine wunderschöne Braut.
"Mach weiter so!" sagte er beim Abschied ,"du hast immer noch dieses Blitzen in den Augen, wenn du sprichst. Es muss sich was verändern in diesem Land, damit unsere Kinder noch im Sand spielen können."
Wenig später hallten seine Worte in meinen Ohren, als die ersten Nachrichten über Tschernobyl zu uns drangen.
Mittlerweile hatte ich geheiratet und eine richtige Familie geründet. Und ich wollte beweisen, dass Unternehmer nicht gleich Ausbeuter ist. Bitter musste ich erfahren, dass meine Solidarität mit dem Proletariat von den Proletariern missverstanden wurde.
Als ich pleite war, und meine Familie sich von mir getrennt hatte, stand Heini eines Abends in der Tür und bot mir seine Hilfe an.
Ich beschimpfte ihn, als Kriegsgewinnler, weil er zu Spottpreisen Immobilien nach der Wende in Dresden gekauft hatte und nun enorme Gewinne machte. Im Dorf wurde von "ganzen Straßenzügen" erzählt
"Immer noch die rote Fahne?" Er lächelte genauso spöttisch, wie damals und ging ohne Abschied."
Das war vor acht Jahren. Der Rebell in mir wird langsam ruhig und ich habe nichts verändert an dieser Welt. Weder der Primus in der Schule noch das Tragen von Transparenten und das Rufen von Parolen hat wen hinter dem Ofen hervorgelockt.
Oder doch?
Wir haben eine Frau an der Spitze der Regierung und an vielen Schaltstellen in Politik und Wirtschaft. Wir haben eine Autoindustrie, die massiv unter Druck steht, damit Klima und Energievorräte geschont werden und wir sind sensibel gegen Terror geworden.
Schade, dass wir so schnell müde geworden sind, bestimmt hätten wir noch mehr für unsere Kinder herausholen können.
Heini hat inzwischen ein Kinderdorf gebaut und der Gemeinde geschenkt.
Nun ist seine Frau gestorben. Ein Leben lang war Heini der Erfolgreichere von uns beiden, und ich habe nie so etwas wie Neid oder Missgunst empfunden. Als ich ihn am Grab habe stehen sehen und gespürt, wie echt seine Gefühle sind, da habe ich ihn um seine Tiefe beneidet und die Brücke war wieder da.