Isabella war tot. Doch sie wusste nicht, dass sie es war. Der böse, alte Sensenschwinger. Er läuft um die Welt, stets gleichmütigen Schrittes. Spielt dazu Liedchen auf seiner Knochenflöte. Und spielt sein Spielchen mit den Menschen. „Komm mit. Geh mit mir!“, schallt es jenen entgegen. Und manche gehen mit. Isabella auch. Fürchterlich hatte sie gelitten, als ihr Manuel das Messer in die Seele gestoßen und ihr Geschwür entfernt hatte. Vielfach hatte sie diesen Mann betrogen und es ihm nie geoffenbart. Ein scheußlich glühendes Seelengeschwür war entstanden und hatte sie in die Dämmerung gestoßen. Worin sie ohne Wahrnehmung von Zeit verblieben war. Erst jetzt, da sie die fürchterlichen Qualen der Offenbarung ihrer Schande litt, da sie das blutscharfe Messer der Reinigung in sich verspürte, war ihre Wahrnehmung der Unendlichkeit wieder da. Manuel entriss ihr das Geschwür, reinigte sie und der Chor aller finsterschwarzen Seelen sang sein Lied.
„Stets gut gesprochen hast Du, und doch so schlecht getan“.
Jener, welcher die Seelen löst, gab ihr das Gefühl zurück. Lebendig zu sein. Ja, da war etwas, wenn er da voran schritt. Durch jede Fabrikmauer, über jeden fischtoten Kanal. Durch Kühltürme von Atomkraftwerken, durch Büroschluchten, und mitten durch zerfetzte Personenkraftwagen.
Mal ein altes Landsknechtslied pfeifend. Oder auch mal einen Rockklassiker. „Mir wohnt ein Liebchen zu Hause, das weinte, wenn ich stürb’ …“. Aber auch mal „This is the end, my only friend – the end“. Schöne Liedlein, fein gepfiffen. Von Wohlgesang der Totenchöre begleitet, sphärisch, unsagbar feierlich, schmerzhaft schön.
Das war anders als sonst in dieser quälenden Dämmerung. Nicht wie dieser Schlaf, der keiner war. Nur ein Dämmern. In Finsternis, die doch nie gänzlich finster war, sondern eben nur ein Dämmern. Ohne Kraft. Ohne Regung. Ohne Gedanke. Ohne irgendwas. Nur Dämmern.
Er gab Isabella Kraft. Die Kraft, zur Empfindung. Wut zu Empfinden. Große Wut. Auf dieses entsetzliche, qualvoll zeitlose Dämmern. Auf sich selbst. „Ja, sei wütend mit dir. Das ist recht. Warst ja auch eine Schlechte. Immer gut geredet und doch so schlecht getan“, erspürte sie den Chor seiner vielen Stimmen in sich. Denn der Senser selbst spricht nicht. Seit Anbeginn aller Zeiten, seitdem er in sein Dasein und zu seiner Aufgabe vom Schöpfer bestimmt wurde, hat er nie gesprochen. Zahllose Stimmen nennt er dennoch sein eigen. Sie sprechen seine Sprache, singen seine Lieder. Zischen Worte vom Schändlichen, krächzen Lieder von Blut, Schmerz und Tod.
Im Gefolge geht man gut. Kröten und Mörder. Schänder und Käuze. Fliegen und Flattermäus’. Huren und Bestien. Er spielt das Lied, alle tanzen hinten drein. Verspüren Wut. Und spielen den Dämmernden auf. Dann kommen sie alle angekrochen, und schreien um ihr erbärmliches Leben. Wie Fräulein Gitte Hainbacher, ihre alte Lehrerin. Was kroch sie da? Und rief „Verschone mich, ich war doch auch nicht schlechter, als alle anderen“. Doch Isabella sah mit den Augen der Toten völlig in sie hinein. Und da gab es manch glühendes Geschwür in ihrem schwarzen Seelenkörper. Heiß wie Magma, voller bösen Blutes. Oh wie unrein sie doch in ihrem Inneren war. Immer Gemüse. Immer Bio. Immer empört. Und doch so böse.
Er gab Isabella Kraft. Die Kraft, Hass zu empfinden. Überwältigenden Hass. Auf jene, die sich rein dünkten, aber voller ekliger Geschwüre waren. Mit einem scharfen Messer begann sie, an den Geschwüren des liederlichen Fräuleins zu schneiden. „Ich heile Deinen Schmerz. Komm nur mit mir“, lieh sie dem Schnitter ihre Stimme und all das Geschwirrl um sie herum fiel in den Sang mit ein. „Komm mit uns, Elende. Hast immer gut geredet, doch so schlecht getan“.
„Fräulein wolltest Du genannt sein, doch Dein Schoß war doch schon genommen, als Du kaum der Kindheit entwachsen. War da nicht ein Gifttrank, welche Dir zwar eine große Schande erspart, aber einen Mord in Dir beging?“, ging die schaurige Weise. Und die Hainbacherin schrie heftig, als Isabell ihr dieses Seelengeschwür beschnitt. Und ebenso schrie sie, als das Messer an die glühende Wunde ihrer Unbeherrschtheit gelegt wurde. Unzählige Male hatte sie die Schüler geschlagen. Ja, schmerzen musste es. Da hat ihr so gut getan. Die Strafen. Jeder Stockschlag ein Genuss, jedes Aufheulen ein Entzücken. „Ich heile Dich“ sagte Isabell und schnitt weiter im Seelenleib der Frau. Sie war tot. Und wusste es nicht.
Dieser Hass war großartig. Sie lief mit ihm und der Meute um die Welt. Stets gleichmütigen Schrittes. Dahin wo die Toten dämmern. Sang die schönen Liedchen und schnitt die glühenden Geschwüre aus schwarzen Seelenkörpern.
Wie schön es war, der Selbstgerechten Magmageschwüre zu entnehmen. So rein war ihr Gewissen, so unrein ihre Seelen. Oh, wie sie litten! Oh, wie es sie schmerzte, wenn die zutiefst beerdigten Scheußlichkeiten beseitigt wurden.
Neben ihr lief nun Gitte. Sie sang aus tiefster innerer Schwärze. Und wie sie zum alten Marek Kubinski kamen, sahen sie wie er glühte vor Geschwüren.
„Lange, lange bist Du schon tot, elendiger Fräuleinschänder. Willst es aber nicht wahr haben. Schau dich doch an, verfault bist du. Moder und Spinnengeweb’, das bist du, Marek. Doch heute nun wirst Du geheilt und darfst mit uns gehen“ sang der Chor der Kupplerinnen und Schänder. Und Gitte schnitt tief hinein. Und verspürte diesen köstlichen Hass. Ja, er gab ihr ungeheuere Kraft. Die Kraft so wunderbar zu hassen. Ein angesehner Herr war er allezeit gewesen. Sein Rat war gefragt und sein Ruf unter den Lebenden untadelig. Die jungen Mädchen sah er als sein Recht und Eigen an.
„Immer schön fein gesprochen und doch so schlecht getan“, erklang das Halleluja des Chors. "So darf man nicht mit uns mit. Und in den Himmel kommt man erst recht nicht hinein ..."
"Da will ich auch nicht hin ... Dreckspack, zieh' weiter!", tobte der Finstere. Doch es war nun seine Zeit. Gittes Seelenklinge schnitt das stinkende Aasgeschür heraus, des bösen Blutes troff in Strömen. Selten war es so schön gewesen, einen Dämmernden zu erwecken.
Aber als der Kubininski schrie und zitterte, wie er aus glühenden Wunden blutete, und so entsetzlich entblößt war in seiner Schande, da verspürte Isabell plötzlich nichts mehr. Ihr Zorn war verraucht, die Kraft versiegt.
Dämmerung setzte rings um sie ein. Der Zug setzte seinen Weg fort. Schatten um Schatten schritt an ihr vorbei. Der letzte Eulenschrei verklang, die letzten Fliegenschwärme verloren sich in der Dunkelheit. Ihre Gedanken schwanden, so wie zuvor die Gefühle geschwunden waren.
Isabella war tot. Doch sie wusste nicht, dass sie es war.
„Stets gut gesprochen hast Du, und doch so schlecht getan“.
Jener, welcher die Seelen löst, gab ihr das Gefühl zurück. Lebendig zu sein. Ja, da war etwas, wenn er da voran schritt. Durch jede Fabrikmauer, über jeden fischtoten Kanal. Durch Kühltürme von Atomkraftwerken, durch Büroschluchten, und mitten durch zerfetzte Personenkraftwagen.
Mal ein altes Landsknechtslied pfeifend. Oder auch mal einen Rockklassiker. „Mir wohnt ein Liebchen zu Hause, das weinte, wenn ich stürb’ …“. Aber auch mal „This is the end, my only friend – the end“. Schöne Liedlein, fein gepfiffen. Von Wohlgesang der Totenchöre begleitet, sphärisch, unsagbar feierlich, schmerzhaft schön.
Das war anders als sonst in dieser quälenden Dämmerung. Nicht wie dieser Schlaf, der keiner war. Nur ein Dämmern. In Finsternis, die doch nie gänzlich finster war, sondern eben nur ein Dämmern. Ohne Kraft. Ohne Regung. Ohne Gedanke. Ohne irgendwas. Nur Dämmern.
Er gab Isabella Kraft. Die Kraft, zur Empfindung. Wut zu Empfinden. Große Wut. Auf dieses entsetzliche, qualvoll zeitlose Dämmern. Auf sich selbst. „Ja, sei wütend mit dir. Das ist recht. Warst ja auch eine Schlechte. Immer gut geredet und doch so schlecht getan“, erspürte sie den Chor seiner vielen Stimmen in sich. Denn der Senser selbst spricht nicht. Seit Anbeginn aller Zeiten, seitdem er in sein Dasein und zu seiner Aufgabe vom Schöpfer bestimmt wurde, hat er nie gesprochen. Zahllose Stimmen nennt er dennoch sein eigen. Sie sprechen seine Sprache, singen seine Lieder. Zischen Worte vom Schändlichen, krächzen Lieder von Blut, Schmerz und Tod.
Im Gefolge geht man gut. Kröten und Mörder. Schänder und Käuze. Fliegen und Flattermäus’. Huren und Bestien. Er spielt das Lied, alle tanzen hinten drein. Verspüren Wut. Und spielen den Dämmernden auf. Dann kommen sie alle angekrochen, und schreien um ihr erbärmliches Leben. Wie Fräulein Gitte Hainbacher, ihre alte Lehrerin. Was kroch sie da? Und rief „Verschone mich, ich war doch auch nicht schlechter, als alle anderen“. Doch Isabella sah mit den Augen der Toten völlig in sie hinein. Und da gab es manch glühendes Geschwür in ihrem schwarzen Seelenkörper. Heiß wie Magma, voller bösen Blutes. Oh wie unrein sie doch in ihrem Inneren war. Immer Gemüse. Immer Bio. Immer empört. Und doch so böse.
Er gab Isabella Kraft. Die Kraft, Hass zu empfinden. Überwältigenden Hass. Auf jene, die sich rein dünkten, aber voller ekliger Geschwüre waren. Mit einem scharfen Messer begann sie, an den Geschwüren des liederlichen Fräuleins zu schneiden. „Ich heile Deinen Schmerz. Komm nur mit mir“, lieh sie dem Schnitter ihre Stimme und all das Geschwirrl um sie herum fiel in den Sang mit ein. „Komm mit uns, Elende. Hast immer gut geredet, doch so schlecht getan“.
„Fräulein wolltest Du genannt sein, doch Dein Schoß war doch schon genommen, als Du kaum der Kindheit entwachsen. War da nicht ein Gifttrank, welche Dir zwar eine große Schande erspart, aber einen Mord in Dir beging?“, ging die schaurige Weise. Und die Hainbacherin schrie heftig, als Isabell ihr dieses Seelengeschwür beschnitt. Und ebenso schrie sie, als das Messer an die glühende Wunde ihrer Unbeherrschtheit gelegt wurde. Unzählige Male hatte sie die Schüler geschlagen. Ja, schmerzen musste es. Da hat ihr so gut getan. Die Strafen. Jeder Stockschlag ein Genuss, jedes Aufheulen ein Entzücken. „Ich heile Dich“ sagte Isabell und schnitt weiter im Seelenleib der Frau. Sie war tot. Und wusste es nicht.
Dieser Hass war großartig. Sie lief mit ihm und der Meute um die Welt. Stets gleichmütigen Schrittes. Dahin wo die Toten dämmern. Sang die schönen Liedchen und schnitt die glühenden Geschwüre aus schwarzen Seelenkörpern.
Wie schön es war, der Selbstgerechten Magmageschwüre zu entnehmen. So rein war ihr Gewissen, so unrein ihre Seelen. Oh, wie sie litten! Oh, wie es sie schmerzte, wenn die zutiefst beerdigten Scheußlichkeiten beseitigt wurden.
Neben ihr lief nun Gitte. Sie sang aus tiefster innerer Schwärze. Und wie sie zum alten Marek Kubinski kamen, sahen sie wie er glühte vor Geschwüren.
„Lange, lange bist Du schon tot, elendiger Fräuleinschänder. Willst es aber nicht wahr haben. Schau dich doch an, verfault bist du. Moder und Spinnengeweb’, das bist du, Marek. Doch heute nun wirst Du geheilt und darfst mit uns gehen“ sang der Chor der Kupplerinnen und Schänder. Und Gitte schnitt tief hinein. Und verspürte diesen köstlichen Hass. Ja, er gab ihr ungeheuere Kraft. Die Kraft so wunderbar zu hassen. Ein angesehner Herr war er allezeit gewesen. Sein Rat war gefragt und sein Ruf unter den Lebenden untadelig. Die jungen Mädchen sah er als sein Recht und Eigen an.
„Immer schön fein gesprochen und doch so schlecht getan“, erklang das Halleluja des Chors. "So darf man nicht mit uns mit. Und in den Himmel kommt man erst recht nicht hinein ..."
"Da will ich auch nicht hin ... Dreckspack, zieh' weiter!", tobte der Finstere. Doch es war nun seine Zeit. Gittes Seelenklinge schnitt das stinkende Aasgeschür heraus, des bösen Blutes troff in Strömen. Selten war es so schön gewesen, einen Dämmernden zu erwecken.
Aber als der Kubininski schrie und zitterte, wie er aus glühenden Wunden blutete, und so entsetzlich entblößt war in seiner Schande, da verspürte Isabell plötzlich nichts mehr. Ihr Zorn war verraucht, die Kraft versiegt.
Dämmerung setzte rings um sie ein. Der Zug setzte seinen Weg fort. Schatten um Schatten schritt an ihr vorbei. Der letzte Eulenschrei verklang, die letzten Fliegenschwärme verloren sich in der Dunkelheit. Ihre Gedanken schwanden, so wie zuvor die Gefühle geschwunden waren.
Isabella war tot. Doch sie wusste nicht, dass sie es war.