und führe uns nicht in versuchung

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  • Ersteller Gelöschtes Mitglied 15780
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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
und führe uns nicht in versuchung


der dem nichts menschliches fremd
der ders schon hinter sich hat
schaut von vorne dich an
alles ja sieht er von vorn

immer versucht vom gehei
mesten geheimnest der jagd
findet dich schlummer wach schlaf
alles ja trifft er von vorn

von dir versucht sucht er sich
in dich hinein zu verführn
sucht etwas was er nicht kennt
in deinen augen von vorn
 
G

Gelöschtes Mitglied 18005

Gast
ein sehr krasses gedicht, mondnein. wirklich stark! auch sprachlich gewagt, dadurch hervorragend
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Nun ja, Peter,

ich finde es eigentlich nicht sehr "krass", eher fast schon theologisch betulich. Es entspringt einer Diskussion, die ich hier in Görlitz mit einem theologisch interessierten Mediziner hatte, - bin ja selbst auch kein studierter Theologe, sondern Religionswissenschaftler und Philosoph (M.A.), ein akademischer Quellentrinker, Proklosfan und orthodox-fromm.

Die Diskussion ging um die Stelle im Vaterunser, die vielen viel Mühe macht, des inplizierten Gottesbegriffs wegen. Der Gott, der den Menschen in Versuchung führt. Ich habe eine Sichtweise gesucht, die es bejaht: das Gotteswesen, das vesucht ist, den Menschen in Versuchung zu führen. Warum nicht: ein verführender, verführerisch schöner Gott? der zugleich so unsexuell oder subtil aerotisch ist wie die seltene Primzahlenerwartbarkeit in den himmlischen Höhen endlos auszuführender Berechnungsschleifen oder ein altes Neutronensternsuperatom (es müssen ja nicht immer gleich schwarze Löcher sein).

grusz, hansz
 

Tula

Mitglied
Hallo Hans
Gut, dass mir als Leser das Gedicht "gehört" :)
Ich sehe nichts Theologisches, sondern recht menschliche Erfahrungswerte.

von dir versucht sucht er sich
in dich hinein zu verführn

ist Klasse! Es gibt da noch die Theorie, dass bei der Begegnung zweier Menschen immer 8 Personen dabei sind. Jeder 'ist' was er ist, 'glaubt' so oder so zu sein, 'glaubt', dass er so und so vom anderen wahrgenommen wird und wird das in Wirklichkeit ganz anders.

LG
Tula
 
G

Gelöschtes Mitglied 21114

Gast
Hansz Mondnein, ich habe da eine Frage: Für wen schreibst du solche Gedichte? Deiner Antwort an den Foren-Redakteur entnehme ich, dass du ein kluger Mann sein könntest, ein beschlagener, ein zitiergewandter, ein Oberlehrer. Ich gucke immer in deine Texte, und manchmal springt dabei etwas für mich heraus (ums mal leutselig zu sagen). Den aktuellen Text muss dann aber ein geübter, einigermaßen beschlagener, das Oberlehrerhafte überhörender Mitmensch wie ich, dreimal lesen. Viermal. Und das Bild vom Ochs am Berg bleibt in seinem Kopf. Ich wiederhole meine Frage: Für wen schreibst du solche Gedichte? In der Untersekunda früher hatte man einen Kommentar unter der Schulbank. Die erste Strophe ist klar. Der Zeilenumbruch von eins auf zwei in der Folgestrophe ist – entschuldige – eine Albernheit oder eine Frechheit. Und dann gehts eine Weile kryptisch weiter, na, und mit den letzten beiden Zeilen gehts dann (ich meine, hier müssen sie sein) in ein oder sogar zwei schwarze Löcher. Ich versuche es demütig zu sagen: Wenn du solche Gedichte schreibst, denk an die hilflosen Leser, wenn du mit dem Ror Wolf heulst, dann heul!
Gruß Joe
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
ich weiß nicht - ich fühle mich beim Lesen nicht hilflos.

Allerdings habe ich auch nie einen Kommentar unter der Schulbank benutzt. Es gab immer genug Kommentar 1. in der Schulbuchausgabe, 2. in den Erklärungen der Mitschüler und Lehrer beim Übersetzen, Analysieren und Mitdenken, 3. im Fragen und Verstehen überhaupt.

Brauchst Du Hilfe?
 
G

Gelöschtes Mitglied 21114

Gast
Du weißt ganz genau, das ich keine Hilfe brauche. Ich mahne ein Minimum an Verständlichkeit an, wenn du deine Leser mit auf die Reise zu den großen Fragen nimmst. In deinem Intresse. Die Betonung liegt auf "deinem".
JF
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
"Anmahnung"? Ich verstehe nicht, was Du bei einem Leser wie mir "anmahnen" willst.
 
G

Gelöschtes Mitglied 18005

Gast
Der Gott, der den Menschen in Versuchung führt. Ich habe eine Sichtweise gesucht, die es bejaht: das Gotteswesen, das vesucht ist, den Menschen in Versuchung zu führen. Warum nicht: ein verführender, verführerisch schöner Gott?
Ja, das meinte ich mit krass. Für mich sind das heftige und brutale Gedanken ... Allein schon der Titel, bzw. das Zitat aus dem Vaterunser ist ja schon ein derart kräftiger Satz. Und dann ein Gedicht über dieses Thema ...

von dir versucht sucht er sich
in dich hinein zu verführn
in jemanden hinein zu verführen ... wirklich unheimlich ...

Gerade habe ich das Gedicht nochmal laut vorgelesen. Was für ein Erlebnis. Deine Gedichte sind wahrlich ein jedes Mal klanglich am stärksten, finde ich. Was du unter einem der anderen Gedichte meintest: dass du deine Gedichte vertonen lassen willst - sehr gute Idee! Wäre äußerst gespannt das zu hören.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ich könnte die Lieder, lieber Peter,

durchaus selbst vertonen, siehe meine Musikstücke auf www.12koerbe.de - aber das wäre ein riesiger Aufwand, mit sehr wenigen Hörern. Denn ich fahre in der Musik die gleichen Schienen wie in der Sprache: zeitgenössisch-avantgardistisch, nicht im Dreiakkorde-Geschrammel. Es sei denn, die drei Akkorde "haben was", wie zum Beispiel die drei Arpeggien in "Dragon Fly" von Fleetwood Mac, wo übrigens (was hier überraschend paßt) das moderne Gedicht eines Lyrikers vertont worden ist. (Lange Zeit habe ich den Titel als Drachenfliege verstanden, und freue mich über die "Libellen"-Wüste unter der Fata Morgana des "deutschen" Oberflächensinns.

Andererseits habe ich schon seit Jahren eben das vor: Die Stücke auszugestalten, in der Art der musikalischen Hörspiele bzw. hörspielartigen Musiken, die ich immer wieder im Deutschlandfunk höre. Mit stärkerer Ausgestaltung der musikalischen Seite. Polyphone Echos:

von dir versucht sucht er sich
versucht sucht er sich
versucht sucht er sich
in dich hinein zu verführn
in dich hinein zu verführn
in dich hinein
sucht etwas was er nicht kennt
versucht sucht er sich
in deinen augen von vorn
in dich hinein
in

Aber andererseits gilt: krz wrds

grusz, hansz
 

Lastro

Mitglied
Hallo Mondnein,

ein wunderbares, auch menschlich treffendes Gedicht. Ich lese nichts Krasses.

Liebe Grüße
Lastro
 

Soljanka

Mitglied
Hallo Hans,

sucht etwas das er nicht kennt
in deinen Augen von vorn

Das finde ich am stärksten.

Noch ein anderer Gedanke kam mir beim Lesen:

der, der nichts unversucht ließ

Gruß von Soljanka
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Danke, Lastro,

ich lese auch nichts Krasses, aber ich bin für schöpferisches Lesen, und gerade die, die beim Lesen gegen den Strich bürsten, oder die, die archäologisch sieben, finden auch Verborgenes, seien es Scherben, seien es unscheinbare Bodenverfärbungen.
Vaterunser werden oft understatemental runtergeleiert. Es ist aber ein hochkarätiger Meditationstext. Das heißt, daß man Entdeckungen macht, die einen nötigen, den Text aufzudröseln, den Knoten. "Führt der Vater uns in Versuchung?" Treibt er uns in die Sünde? Erinnert an Oidipous, der sich verstrickt, indem er von dem Orakelspruch flieht.

grusz, hansz
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ja, Soljanka,

das ist eine besondere Paradoxie: Er, der schon alles hinter sich hat, der Allerfahrene, ist neugierig auf Neues. Die innertrinitarische Geburt des Sohnes, der die Taten des Vaters vollbringt, aber neu, erstmalig. Dem entsprechend sucht der Allerfahrene gerade den Sonnenaufgang, den Lebenskeimling, die originale und originelle "Selbstsetzung des Ich", die Freiheit des Individuums.

grusz, hansz
 



 
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