Und vergib uns unsere Schuld

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Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben
unseren Schuldigern

Es wäre sicherlich zu kurz gedacht, hier nur an weltliche Schuld, die wir im Laufe unseres Lebens auf uns laden, zu denken. Der wahre Sinn der Menschenschuld ist das Essen vom Baum der Erkenntnis, eben die Erbsünde.
In der Genesis Kap. 3 Vers 1-7 wird es so dargestellt:
"Die Schlange war listiger als alle Tiere des Feldes, die Jahwe Gott gemacht hatte. Sie sprach zu dem Weibe:
Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft nicht von allen Bäumen des Gartens essen?
Das Weib antwortete der Schlange: Von den Früchten der Bäume des Gartens dürfen wir essen.
Nur von den Früchten des Baumes, der mitten im Garten steht, hat Gott gesagt: Ihr sollt nicht davon essen und nicht daran rühren, damit ihr nicht sterbet.
Darauf sprach die Schlange zu dem Weibe: Keineswegs, ihr werdet nicht sterben. Vielmehr weiß Gott, dass an dem Tage, da ihr davon esset, euch die Augen aufgehen und ihr sein werdet wie Götter, die Gutes und Böses erkennen.
Das Weib sah, dass der Baum gut zu essen wäre und lieblich anzusehen und begehrenswert, um Einsicht zu gewinnen. Und sie nahm von seiner Frucht und aß und gab davon auch ihrem Manne, der bei ihr war, und er aß.
Nun gingen beiden die Augen auf, und sie erkannten, dass sie nackt waren. Deshalb flochten sie Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze."

Das Begehren Gut und Böse unterscheiden zu können, ist die Schuld, ist die Absonderung aus der Einheit, dem Paradies, und damit die Erbsünde (Sünde kommt sprachlich von sondern, absondern). Die Schuld des Menschen ist es, sich von der Einheit gelöst zu haben und in die Welt der Polarität, die Welt des Guten und Bösen gegangen zu sein. Diese Urschuld des Menschen, nämlich die Loslösung von der Einheit um der Erkenntnis willen, wird in vielen Religionen und Mythologien beschrieben (z. B. Prometheus), aber auch das unsägliche Leid, das dadurch entsteht. So ist das Ergebnis der Erkenntnisfähigkeit auch das Leid, das mit dem Menschen unlöslich verbunden ist, solange er in der Polarität leben muss. Ziel des Menschen ist es, dieses Leid zu überwinden und wieder zurückzufinden in die Einheit, ins Paradies, ins Himmelreich. Die Geschichte vom verlorenen Sohn deutet die gleiche Problematik an. Die Auflehnung gegen Gott und das daraus resultierende Leid gehört zum Menschsein. Der Mensch muss erkennen, dass Leid aufgrund dieser Urschuld, der Erbsünde, unvermeidbar ist und dass dieses Leid hier auf Erden nicht überwunden werden kann. Die Schuld wurde uns gegeben und soll uns auch wieder vergeben werden. Mit dem Essen der Frucht, hat der erste Mensch die Schuld der Sünde(Absonderung) erwirkt und diese Wirkung ist so groß, dass sie als Erbsünde auf alle Generationen weitervererbt wird. Allein das Heraustreten aus der Einheit in die Polarität hat uns Menschen sündig und schuldig gemacht. Die Vergebung dieser Schuld bedeutet die Rückkehr in die Einheit.

Ein kleiner Einschub bezüglich der Zahlensymbolik im hebräischen Urtext ist hier angebracht (siehe dazu auch Friedrich Weinreb: Der göttliche Bauplan der Welt, Origo, Zürich 1966).
Im Hebräischen werden Zahlen und Buchstaben mit demselben Schriftzeichen geschrieben, so dass jedem Wort auch eine Zahlenformel entspricht.
So heißt es im Schöpfungsbericht, dass dichter Nebel über der Erde lag. Im Hebräischen steht für Nebel das Wort ED, mit der Zahlenformel 1-4. Der Dampf/Nebel entspricht dem Grundprinzip der Einheit (1), die in der Schöpfung in Materie (4) übergeht. Die Einheit offenbart sich damit stofflich und wird durch 1-4 symbolisiert.
ADAM hat die Zahlenformel 1-4-40 und zeigt damit den Schritt der Materie in die Vielheit (40) an
Das Wort DAM hat die Zahlformel 4-40 und bedeutet Blut, was damit symbolisch als ADAM ohne Geist (1) zu betrachten ist.
ADAM selbst ist aus einem Erdenkloß (hebr. ADAMA) geschaffen.
Dieses Verhältnis 1:4 ist im Alten Testament noch häufiger zu beobachten. So hat der Baum des Lebens als Totalsumme 233 und der Baum der Erkenntnis die Zahl 932. Diese beiden Zahlen stehen im Verhältnis 1:4.
Nebenbei sei auch bemerkt, dass die Totalsumme für Schlange (hebr. NACHASCH) und Messias (hebr. MASCHIACH) gleich ist.
Vielleicht gibt dieser kleine Ausflug in die Kabbala eine Vorstellung, wie symbolisch die Bibel aufgebaut ist und dass jedes Wort dort mit Bedacht gewählt ist und tiefe, verborgene Wahrheiten enthält.

Kehren wir nun zurück zur Vergebung der Schuld. Wenn wir erkannt haben, dass wir bereits durch die Geburt im Sinne der Erbsünde schuldig sind, muss es zwangsläufig dazu führen, dass auch wir Menschen bereit sind, denen zu vergeben, die uns gegenüber in Schuld geraten.
Wir erkennen, dass niemand schuldlos sein kann und dass wir in einer polaren Welt immer in Schuld geraten, egal was wir tun.
Khalil Gibran lässt seinem Propheten im Kapitel Von Schuld und Sühne sagen:
"Aber ich sage euch, selbst wie der Heilige und Rechtschaffene nicht über das Höchste hinaussteigen kann, das in jedem von Euch ist, so kann der Böse und Schwache nicht tiefer fallen als das Niedrigste, dass auch in euch ist. Und wie ein einzelnes Blatt nicht ohne das stille Wissen des ganzes Baumes vergilbt, so kann auch der Übeltäter kein Unrecht tun, ohne dem verborgenen Willen von euch allen" ...
"Der Ermordete ist nicht ohne Verantwortung an seiner Ermordung und der Beraubte nicht schuldlos an seiner Beraubung. Der Rechtschaffene ist nicht unschuldig an den Taten des Bösen, und der mit sauberen Händen ist nicht rein von den Taten des Missetäters."

Wir müssen vergeben, weil wir selbst schuldig sind, denn der Schuldige ist oft Opfer des Geschädigten. Jesus selbst äußert sich in diesem Sinne. Als die Juden die Ehebrecherin steinigen wollten, sagte er: Der werfe den ersten Stein, der selber ohne Sünde ist. Und niemand konnte einen Stein werfen.

Auch im Propheten heißt es weiter:
"Ihr könnt nicht den Gerechten vom Ungerechten trennen und nicht den Guten vom Bösen; denn sie stehen zusammen vor dem Angesicht der Sonne...
Wenn einer von euch die untreue Ehefrau zur Anklage bringt, soll er auch das Herz ihres Ehemannes in die Waagschale legen und seine Seele mit gleichem Maß messen."

Die Erkenntnis, dass es notwendig und unausweichlich ist, dass der Mensch schuldig wird, soll uns zu einer Haltung führen, die nicht gleich verurteilt, nur weil es uns fremd ist und weil wir andere Vorstellungen haben.
So können wir unseren Schuldigern vergeben, indem es uns gleich-gültig ist, ob uns Gutes oder Böses widerfährt. Wenn wir diese Gleich-Gültigkeit nicht erreichen können, werden wir dieser polaren Welt verhaftet bleiben und weitere Karma-Früchte ansammeln und damit immer mehr in diese polare Welt verwickelt werden. Eine Entwicklung wird dadurch immer schwerer. Das Ziel ist es, alles zu vereinen. Vergebung der Schuld heißt, das Erkennen von Gut und Böse zurücknehmen zu können und als zwei Aspekte nur einer Sache zu erkennen, und damit die Erkenntnis des ewigen Gesetzes zu erreichen.

Über die Erkenntnis des ewigen Gesetzes heißt es im TaoTeKing:
"Erreiche die äußere Passivität;
halte fest an der Grundlage der Ruhe.
Die zehntausend Dinge nehmen Gestalt an und steigen zur
Tätigkeit auf,
ich aber sehe zu, wie sie zur Ruhe zurückkehren.
Wie Pflanzen, die üppig sprießen,
aber zur Wurzel zurückkehren, der sie entsprossen sind.
Zur Wurzel zurückkehren, ist Stille,
es heißt zum eigenen Schicksal zurückkehren.
Zum eignen Schicksal zurückkehren heißt das ewige Gesetz finden.
Das ewige Gesetz erkennen ist Erleuchtung.
Und das ewige Gesetz nicht erkennen heißt Unheil herbeirufen.
Wer das ewige Gesetz erkennt, ist duldsam;
da er duldsam ist, ist er unparteiisch;
da er unparteiisch ist, ist er königlich;
da er königlich ist, ist er im Einklang mit der Natur;
da er im Einklang mit der Natur ist, ist er im Einklang mit
dem Tao,
da er im Einklang mit dem Tao ist, ist er ewig,
und sein ganzes Leben ist von Unheil bewahrt.
"

Alle Taten und alle Tätigkeiten vergehen und nur in der Ruhe, in der Vergebung gibt es für uns das Himmelreich, die Rückkehr zur Wurzel, zu unserem eigenen Schicksal.
Nur in der Ruhe können wir den Weg zurück ins Paradies erkennen und uns so die Möglichkeit eröffnen die Früchte vom Baum des Lebens zu essen. Jeder Mensch ist selbst Weg und Reisender in einem, denn in ihm ist der Weg, den er zu gehen hat und sein Ziel ist der Weg.
Die Vergebung unserer Schuld heißt, den Weg zu erkennen, denn erst wenn mir vergeben ist, kann ich mich von Schuldgefühlen frei machen und das Notwendige tun, das auch darin besteht, den Ballast abzuwerfen, den ich mir als ein Gerechter aufgeladen habe und somit vergebe auch ich meinen Schuldigern und bin frei.
 



 
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