Und wenn sie nicht gestorben sind...

Barsnah

Mitglied
Und wenn sie nicht gestorben sind…


  1. Die Fenster müssen sie in diesen Tagen immer geschlossen halten, damit der Brandgeruch, der über der ganzen Stadt wie ein dichter Mantel hängt, irgendwie auszuhalten ist. Als das Geräusch der nahenden russischen Kampfbomber fast unerträglich laut wird, hört Irina das panisch verängstigte Schreien ihrer Tochter Maja.Sie öffnet die Tür zu deren Zimmer, da sieht sie die 13jährige vor Angst schlotternd mit angewinkelten Beinen unter dem massiven Eichenschreibtisch kauern, Gregors Erbstück aus Familienbesitz der Familie der Koslow, der natürlich auch keinen wirklichen Schutz vor den immer häufiger einschlagenden Bomben botAber für den Lauf in den nächsten Schutzraum hätte die Zeit sowieso schon nicht mehr gereicht und dass nun bald eine Flucht nötig werden wird, war der kleinen Familie in den letzten Tagen immer klarer geworden. sodass sie das Nötigste immer griffbereit in Rucksäcken im Flur ihrer Mietwohnung in Kiew stehen hatten. Nun hört man mit einem unglaublichen Krachen einen Einschlag in nächster Nähe und fast zeitgleich den Balkon der Nachbarwohnung auf der Straße landen. Fast reflexartig wirft sich Irina schützend über ihre Tochter, als Gregor, ihr Mann, laut“ Los raus hier!“ schreiend, ins Zimmer stürmt und die beiden an den Armen hoch reißt. Seine Frau vor sich her schiebend, und die Tochter an einem Arm hinter sich her schleifend, bugsiert er beide aus der Wohnung und die Treppe hinunter auf die Straße.Gregor, ein großer kräftiger Kerl, Anfang 40 ist seit Tagen im ständiger Alarmbereitschaft, darauf eingestellt und bereit seine Familie und sein Land zu verteidigen, sodass er in Kampfanzug und schweren Stiefeln, im Gegensatz, zu seiner Frau und Tochter für das Rennen und Springen durch die Trümmer, die die Straßen und Gehwege bedecken ,gut ausgerüstet ist. Schon nach Kurzem sind Majas leichte Stoffschuhe völlig zerfetzt und sie beginnt zu humpeln. Auch Irina, die schon in den letzten Tagen auf der Suche nach Lebensmitteln in der Stadt unterwegs sein musste, hatte vorsorglich immer ihre Wanderschuhe an den Füssen und ist geeigneter gekleidet als das Mädchen. Gerade als sich Gregor die Tochter über die Schultern wirft , hält neben ihnen ein Jeep in dem drei jungen Männer in Tarnkleidung im Führerhaus und weiteren Männern auf der Pritsche.“Los rein mit Euch.“ rutf einer von ihnen auf ukrainisch und fährt im Schritttempo weiter. Wegen den laut schrillenden Sirenen,dem Lärm der Geschütze und den Schüssen der Straßenkämpfe in der Nähe, bemerkt Irina nichts und versucht immer weiter zu rennen. Da fahren sie in Schritttempo neben den Dreien her, rufen wieder und wieder, schwenkten ihre Mützen und ein ukrainisches Fähnchen. Sie machen ihnen auf der breiten Sitzbank auf der Beifahrerseite Platz. Gregor und einer der Männer heben und ziehen die beiden Frauen nacheinander in das Führerhaus. Gregor rennt hinter dem Wagen her und kann mit Hilfe einiger der auch dort sitzenden Kämpfer selbst auch noch aufspringen.Als alle Drei im Jeep sind , informierten die Kämpfer sie laut schreiend, den Lärm übertönend:“ Wir könnten euch wohl mitnehmen aber wir wollen uns so schnell wie möglich den Kämpfern zu r Verteidigung der Stadt anschließen, außerdem werden die Militärfahrzeuge zu oft direkt angegriffen.Ganz in der Nähe ist eine U – Bahnstation. Dort seid ihr erst einmal sicher vor den Bombern und fahrt von da am Besten zuerst nach Warschau oder einer anderen polnischen Stadt weiter. Es fahren Sonderzüge, die Polen sind mit uns solidarisch und lassen alle mit ukrainischen Papieren über die Grenze.“ Die jungen Männer versorgen sich, und nun auch die flüchtende Familie, per Handy mit Infos über die aktuelle Lage.“Die Pidsemka ( Untergrundbahn) ist momentan das sicherste Verkehrsmittel, vorausgesetzt ihr werdet nicht von anderen Reisenden bestohlen oder belästigt, besteht die Chance in etwa 24 Stunden in Warschau zu sein. Wir werden euch dort absetzen wenn ihr wollt.“ In der U - Bahnstation war es nach dem Lärm über ihnen in der Stadt, nun irreal ruhig und sie konnten ein wenig durchatmen. Maja fand in ihrem Rucksack außer Kleidung zum Wechseln auch neue Turnschuhe und sogar ein Paar feste Lederschuhe. Irina hatte in Ihrem Rucksack neben einigen Hygieneartikeln auch Waschzeug und zum _Glück Wasserflaschen verstaut. Schnell zeigt sich dass sie nicht die Einzigen sind, die sich vor den Bomben nach Unten gerettet haben und versuchen wollen mit der U - Bahn aus der Stadt zu kommen und die Ruhe weicht einer lärmend durcheinander redenden Menschenmenge und einem Gedränge. Hauptsächlich hier auf diesem Bahnsteig, von dem die Metro nach Warschau abfahren sollte Während ihrer wilden Flucht von zu Hause, bis hier Unten, hat Irinas Herz heftig geschlagen und sie spürte ihren Puls fast schmerzhaft bis zum Hals klopfen.Erst eben in den paar Minuten als sie in ihrem Rucksack das Wasser hervor kramte, stellte sich ein klein Wenig das Gefühl von Normalität ein und sie fühlte sich nun auch Innerlich ganz ruhig.Das beginnt sich jetzt aber sehr schnell wieder zu ändern, als sie die Anspannung in den Gesichtern der anderen hier eingetroffenen Menschen erkennt und auch eine latent lauernde Aggression zu spüren ist. Unwillkürlich sorgt sie dafür dass Maja zwischen ihr und Gregor zu stehen kommt und sie sich die Hände reichen. Es ist ihr plötzlich klar dass es schwer werden wird zusammen zu bleiben, weil alle die Menschen auf diesem Bahnsteig um eine begrenzte Anzahl von Plätzen in der Metro nach Warschau konkurrieren. . Oben in der umkämpften Stadt waren sie noch ein Volk von ukrainischen Schwestern und Brüdern gewesen und nun würde wahrscheinlich jeder sich selbst am Nächsten sein. Gregor steht wie ein Fels in der Brandung vorne am Gleis und bewahrt seine beiden Liebsten davor ins Gleisbett gedrückt zu werden. Wie durch ein Wunder gelingt es ihnen allen Dreien den Zug zu besteigen und Irina kann mit Maja in einem der großen Abteile einen Sitzplatz ergattern, sogar in einem Vierer – Block, sodass sie einander gegenüber sitzen können und ihre Rucksäcke zwischen sich auf dem Boden behalten. Als Gregor ins Abteil kam, war sonst kein Platz mehr frei und er gab ihnen knapp Bescheid dass er neben der Tür bleiben wolle, sie von dort aus im Auge behalten wird, damit sie dann in Warschau wieder zusammen aussteigen könnten.Maja hängt mit verzweifeltem Blick an ihrem Vater während ihr die Tränen in die Augen schießen. Irina drückt ihr tröstend die Hand und versucht ihrer Tochter Mut zu machen, dass schon alles gut gehen wird. Als der Zug dann gestartet ist, betrachtet Irina Maja, die in diesem Moment erstaunlich ruhig wird und in Irinas Augen plötzlich sehr reif und richtig gehend fraulich wirkt..Irina hängt ihren Gedanken nach:“Was für eine Zukunft wohl auf diesen jungen Menschen wartet? Denkt sie gerade, als ihr die eigene Kindheit und Jugend in den Sinn kommt: „ Sie ist als Tochter einer Russin und eines Deutschen, in Berlin aufgewachsen, wo ihr die deutsche „Babuschka“, Omi Marga“ oft die schönsten deutschen Märchen erzählte, in denen die Figuren mit viel Glück und Schläue aus den gefährlichsten Situationen gut heraus fanden und die Oma immer mit dem beruhigenden Satz abschloss:“ Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.“ Irina war nur wenige Jahre älter als Maja gewesen, als sie, gegen den Willen ihrer Eltern, ihre, gerade begonnene, Ausbildung zur Deutsch/ Russischen Dolmetscherin vor mehr als 15 Jahren abbrach und mit Gregor, diesem stattlichen, hünenhaften jungen Mann mit dem hellen ständig verstrubbeltem Haar der aus der Ukraine stammte, nach Kiew ging. Aber trotz ihrer Sprachkenntnisse und Bemühungen auch das Ukrainisch fließend zu sprechen, gelang es ihr in all den Jahren nie sich in dieser großen Stadt richtig heimisch zu fühlen. Leider war das Verhältnis zu Gregor in den letzten Jahren auch schwieriger geworden und sie fühlte sich immer weniger zu ihm hin gezogen Ja, dachte sogar öfter darüber nach sich von ihm zu trennen und mit ihrer Tochter nach Deutschland zurück zu kehren um dort dann vielleicht als Dolmetscherin zu arbeiten. Sie hatte gehört dass manche große deutsche Unternehmen mit Russland Geschäftsbeziehungen pflegen Doch hatte sie nie den Mut gefunden diesen großen Schritt tatsächlich zu gehen. Ihre Tochter aus Allem raus zu reißen und den Vater zu nehmen und in ein ihr gänzlich fremdes Land zu bringen. Nun hat dieser unsägliche Krieg Leid und Tod über viele Menschen gebracht und ihr diesen Schritt abgenommen. Sie und Gregor sind plötzlich getrennt, ganz ohne Konflikt. Und was macht Maja? Maja hat ein Mädchen etwa in ihrem Alter entdeckt das mit seiner Mutter schräg gegeüber sitzt und unterhält sich grinsend mit dieser in einer Art Zeichensprache mit den Fingern, währen das Mädchen gleichzeitig immer rmal in ihr Handy schaut und tippt. „Sie ist noch jung,“ denkt Irina,“ sie wird sich womöglich schneller und besser zurecht finden in der neuen Situation als ich selbst.“Da reißt sie die Stimme einer Ansage vom Lautsprecher aus ihren Gedanken:“ Verehrte Fahrgäste, in wenigen Minuten erreichen wir den Bahnhof Warschau zentral. Wir haben nur 10 Minuten Aufenthalt.“ Irina greift ihren Rucksack und steht auf. Sofort springt Maja von ihrem Sitz und prallt fast mit dem Mädchen von Gegenüber zusammen, die auch aufgesprungen ist. Wie die besten Freundinnen haken sich die beiden Mädchen mit den Armen unter und halten zielstrebig auf die Tür des Zugabteils zu, während ihre Mütter etwas überrumpelt und unsicher hinter ihnen her laufen. Doch im Türrahmen Richtung Ausgang hat sich groß und breit ein männliches Hindernis aufgebaut und grinst, sympathisch Überlegenheit ausstrahlend, den Mädchen und Frauen entgegen.Irina schaut ihrem Mann in die Augen und ist zu ihrer eigenen Überraschung freudig erregt und beglückt Gregor da so stehen zu sehen. Auf dem Bahnsteig übernehmen Maja und ihre neue Freundin, Anastasia, die wird quasi im vorbeilaufen von Maja kurz vorgestellt, ganz selbstverständlich die Führung und halten, bevor sie auf der öffentlichen Damentoilette verschwinden, ihren Müttern kurz die Tür auf. Mit der Auskunft:“ Wir sind gleich wieder da, lassen die Vier den etwas verdatterten Gregor in der Bahnhofshalle zurück.. Dort haben polnische Helfer Stände mit Wasser, Lebensmitteln und Hygieneartikeln aufgebaut und Gregor nutzt die Zeit und rafft in Windeseile zwei Tüten und seinen Rucksack voll, während er die Toilettentür im Auge behält. Als die Damen in angeregter Unterhaltung raus kommen, ist er auch über Möglichkeiten zur Weiterreise informiert und hat da so eine Idee:“ Was haltet ihr von Berlin als nächste Station? Ab Gleis 3 in 11 Minuten.“ Irina verschlägt es kurz die Sprache vor Überraschung. Ganz im Gegensatz zu ihrer Tochter, die über das ganze Gesicht strahlt und nun nach einem Blickaustausch mit ihrer Mutter fast gleichzeitig mit dieser,“ Ja“ ruft. Doch die Vorfreude auf Berlin ist bei Beiden wie weggeblasen, als er anfügt:“ Ich werde nicht mitkommen. Seid mir nicht böse, aber ich muss zurück.Die Ukraine ist meine Heimat und für die muss ich kämpfen, sonst würde ich mir das nie verzeihen können. Es folgt ein Herz zerreißender Abschied von Vater und Tochter und auch Irina und Gregor umarmen und küssen sich innig. Später im Zug nach Berlin betrachtet Irina ihre Tochter, die immer wieder von heftigem Schluchzen ergriffen wird und versucht sich derweil über ihre eigenen Gefühle klar zu werden. Hat sie sich gerade eben in dem Moment der Trennung erneut in diesen Mann verliebt? Es kommt wieder der wehmütige Gedanke an die Märchen der deutschen Oma und auch große Vorfreude auf ein mögliches Wiedersehen. Doch. als sie dann denkt:“Und wenn sie nicht gestorben sind…“ ; Da schießen auch ihr plötzlich die Tränen in die Augen.

Und wenn sie nicht gestorben sind…


  1. Die Fenster müssen sie in diesen Tagen immer geschlossen halten, damit der Brandgeruch, der über der ganzen Stadt wie ein dichter Mantel hängt, irgendwie auszuhalten ist. Als das Geräusch der nahenden russischen Kampfbomber fast unerträglich laut wird, hört Irina das panisch verängstigte Schreien ihrer Tochter Maja.Sie öffnet die Tür zu deren Zimmer, da sieht sie die 13jährige vor Angst schlotternd mit angewinkelten Beinen unter dem massiven Eichenschreibtisch kauern, Gregors Erbstück aus Familienbesitz der Familie der Koslow, der natürlich auch keinen wirklichen Schutz vor den immer häufiger einschlagenden Bomben botAber für den Lauf in den nächsten Schutzraum hätte die Zeit sowieso schon nicht mehr gereicht und dass nun bald eine Flucht nötig werden wird, war der kleinen Familie in den letzten Tagen immer klarer geworden. sodass sie das Nötigste immer griffbereit in Rucksäcken im Flur ihrer Mietwohnung in Kiew stehen hatten. Nun hört man mit einem unglaublichen Krachen einen Einschlag in nächster Nähe und fast zeitgleich den Balkon der Nachbarwohnung auf der Straße landen. Fast reflexartig wirft sich Irina schützend über ihre Tochter, als Gregor, ihr Mann, laut“ Los raus hier!“ schreiend, ins Zimmer stürmt und die beiden an den Armen hoch reißt. Seine Frau vor sich her schiebend, und die Tochter an einem Arm hinter sich her schleifend, bugsiert er beide aus der Wohnung und die Treppe hinunter auf die Straße.Gregor, ein großer kräftiger Kerl, Anfang 40 ist seit Tagen im ständiger Alarmbereitschaft, darauf eingestellt und bereit seine Familie und sein Land zu verteidigen, sodass er in Kampfanzug und schweren Stiefeln, im Gegensatz, zu seiner Frau und Tochter für das Rennen und Springen durch die Trümmer, die die Straßen und Gehwege bedecken ,gut ausgerüstet ist. Schon nach Kurzem sind Majas leichte Stoffschuhe völlig zerfetzt und sie beginnt zu humpeln. Auch Irina, die schon in den letzten Tagen auf der Suche nach Lebensmitteln in der Stadt unterwegs sein musste, hatte vorsorglich immer ihre Wanderschuhe an den Füssen und ist geeigneter gekleidet als das Mädchen. Gerade als sich Gregor die Tochter über die Schultern wirft , hält neben ihnen ein Jeep in dem drei jungen Männer in Tarnkleidung im Führerhaus und weiteren Männern auf der Pritsche.“Los rein mit Euch.“ rutf einer von ihnen auf ukrainisch und fährt im Schritttempo weiter. Wegen den laut schrillenden Sirenen,dem Lärm der Geschütze und den Schüssen der Straßenkämpfe in der Nähe, bemerkt Irina nichts und versucht immer weiter zu rennen. Da fahren sie in Schritttempo neben den Dreien her, rufen wieder und wieder, schwenkten ihre Mützen und ein ukrainisches Fähnchen. Sie machen ihnen auf der breiten Sitzbank auf der Beifahrerseite Platz. Gregor und einer der Männer heben und ziehen die beiden Frauen nacheinander in das Führerhaus. Gregor rennt hinter dem Wagen her und kann mit Hilfe einiger der auch dort sitzenden Kämpfer selbst auch noch aufspringen.Als alle Drei im Jeep sind , informierten die Kämpfer sie laut schreiend, den Lärm übertönend:“ Wir könnten euch wohl mitnehmen aber wir wollen uns so schnell wie möglich den Kämpfern zu r Verteidigung der Stadt anschließen, außerdem werden die Militärfahrzeuge zu oft direkt angegriffen.Ganz in der Nähe ist eine U – Bahnstation. Dort seid ihr erst einmal sicher vor den Bombern und fahrt von da am Besten zuerst nach Warschau oder einer anderen polnischen Stadt weiter. Es fahren Sonderzüge, die Polen sind mit uns solidarisch und lassen alle mit ukrainischen Papieren über die Grenze.“ Die jungen Männer versorgen sich, und nun auch die flüchtende Familie, per Handy mit Infos über die aktuelle Lage.“Die Pidsemka ( Untergrundbahn) ist momentan das sicherste Verkehrsmittel, vorausgesetzt ihr werdet nicht von anderen Reisenden bestohlen oder belästigt, besteht die Chance in etwa 24 Stunden in Warschau zu sein. Wir werden euch dort absetzen wenn ihr wollt.“ In der U - Bahnstation war es nach dem Lärm über ihnen in der Stadt, nun irreal ruhig und sie konnten ein wenig durchatmen. Maja fand in ihrem Rucksack außer Kleidung zum Wechseln auch neue Turnschuhe und sogar ein Paar feste Lederschuhe. Irina hatte in Ihrem Rucksack neben einigen Hygieneartikeln auch Waschzeug und zum _Glück Wasserflaschen verstaut. Schnell zeigt sich dass sie nicht die Einzigen sind, die sich vor den Bomben nach Unten gerettet haben und versuchen wollen mit der U - Bahn aus der Stadt zu kommen und die Ruhe weicht einer lärmend durcheinander redenden Menschenmenge und einem Gedränge. Hauptsächlich hier auf diesem Bahnsteig, von dem die Metro nach Warschau abfahren sollte Während ihrer wilden Flucht von zu Hause, bis hier Unten, hat Irinas Herz heftig geschlagen und sie spürte ihren Puls fast schmerzhaft bis zum Hals klopfen.Erst eben in den paar Minuten als sie in ihrem Rucksack das Wasser hervor kramte, stellte sich ein klein Wenig das Gefühl von Normalität ein und sie fühlte sich nun auch Innerlich ganz ruhig.Das beginnt sich jetzt aber sehr schnell wieder zu ändern, als sie die Anspannung in den Gesichtern der anderen hier eingetroffenen Menschen erkennt und auch eine latent lauernde Aggression zu spüren ist. Unwillkürlich sorgt sie dafür dass Maja zwischen ihr und Gregor zu stehen kommt und sie sich die Hände reichen. Es ist ihr plötzlich klar dass es schwer werden wird zusammen zu bleiben, weil alle die Menschen auf diesem Bahnsteig um eine begrenzte Anzahl von Plätzen in der Metro nach Warschau konkurrieren. . Oben in der umkämpften Stadt waren sie noch ein Volk von ukrainischen Schwestern und Brüdern gewesen und nun würde wahrscheinlich jeder sich selbst am Nächsten sein. Gregor steht wie ein Fels in der Brandung vorne am Gleis und bewahrt seine beiden Liebsten davor ins Gleisbett gedrückt zu werden. Wie durch ein Wunder gelingt es ihnen allen Dreien den Zug zu besteigen und Irina kann mit Maja in einem der großen Abteile einen Sitzplatz ergattern, sogar in einem Vierer – Block, sodass sie einander gegenüber sitzen können und ihre Rucksäcke zwischen sich auf dem Boden behalten. Als Gregor ins Abteil kam, war sonst kein Platz mehr frei und er gab ihnen knapp Bescheid dass er neben der Tür bleiben wolle, sie von dort aus im Auge behalten wird, damit sie dann in Warschau wieder zusammen aussteigen könnten.Maja hängt mit verzweifeltem Blick an ihrem Vater während ihr die Tränen in die Augen schießen. Irina drückt ihr tröstend die Hand und versucht ihrer Tochter Mut zu machen, dass schon alles gut gehen wird. Als der Zug dann gestartet ist, betrachtet Irina Maja, die in diesem Moment erstaunlich ruhig wird und in Irinas Augen plötzlich sehr reif und richtig gehend fraulich wirkt..Irina hängt ihren Gedanken nach:“Was für eine Zukunft wohl auf diesen jungen Menschen wartet? Denkt sie gerade, als ihr die eigene Kindheit und Jugend in den Sinn kommt: „ Sie ist als Tochter einer Russin und eines Deutschen, in Berlin aufgewachsen, wo ihr die deutsche „Babuschka“, Omi Marga“ oft die schönsten deutschen Märchen erzählte, in denen die Figuren mit viel Glück und Schläue aus den gefährlichsten Situationen gut heraus fanden und die Oma immer mit dem beruhigenden Satz abschloss:“ Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.“ Irina war nur wenige Jahre älter als Maja gewesen, als sie, gegen den Willen ihrer Eltern, ihre, gerade begonnene, Ausbildung zur Deutsch/ Russischen Dolmetscherin vor mehr als 15 Jahren abbrach und mit Gregor, diesem stattlichen, hünenhaften jungen Mann mit dem hellen ständig verstrubbeltem Haar der aus der Ukraine stammte, nach Kiew ging. Aber trotz ihrer Sprachkenntnisse und Bemühungen auch das Ukrainisch fließend zu sprechen, gelang es ihr in all den Jahren nie sich in dieser großen Stadt richtig heimisch zu fühlen. Leider war das Verhältnis zu Gregor in den letzten Jahren auch schwieriger geworden und sie fühlte sich immer weniger zu ihm hin gezogen Ja, dachte sogar öfter darüber nach sich von ihm zu trennen und mit ihrer Tochter nach Deutschland zurück zu kehren um dort dann vielleicht als Dolmetscherin zu arbeiten. Sie hatte gehört dass manche große deutsche Unternehmen mit Russland Geschäftsbeziehungen pflegen Doch hatte sie nie den Mut gefunden diesen großen Schritt tatsächlich zu gehen. Ihre Tochter aus Allem raus zu reißen und den Vater zu nehmen und in ein ihr gänzlich fremdes Land zu bringen. Nun hat dieser unsägliche Krieg Leid und Tod über viele Menschen gebracht und ihr diesen Schritt abgenommen. Sie und Gregor sind plötzlich getrennt, ganz ohne Konflikt. Und was macht Maja? Maja hat ein Mädchen etwa in ihrem Alter entdeckt das mit seiner Mutter schräg gegeüber sitzt und unterhält sich grinsend mit dieser in einer Art Zeichensprache mit den Fingern, währen das Mädchen gleichzeitig immer rmal in ihr Handy schaut und tippt. „Sie ist noch jung,“ denkt Irina,“ sie wird sich womöglich schneller und besser zurecht finden in der neuen Situation als ich selbst.“Da reißt sie die Stimme einer Ansage vom Lautsprecher aus ihren Gedanken:“ Verehrte Fahrgäste, in wenigen Minuten erreichen wir den Bahnhof Warschau zentral. Wir haben nur 10 Minuten Aufenthalt.“ Irina greift ihren Rucksack und steht auf. Sofort springt Maja von ihrem Sitz und prallt fast mit dem Mädchen von Gegenüber zusammen, die auch aufgesprungen ist. Wie die besten Freundinnen haken sich die beiden Mädchen mit den Armen unter und halten zielstrebig auf die Tür des Zugabteils zu, während ihre Mütter etwas überrumpelt und unsicher hinter ihnen her laufen. Doch im Türrahmen Richtung Ausgang hat sich groß und breit ein männliches Hindernis aufgebaut und grinst, sympathisch Überlegenheit ausstrahlend, den Mädchen und Frauen entgegen.Irina schaut ihrem Mann in die Augen und ist zu ihrer eigenen Überraschung freudig erregt und beglückt Gregor da so stehen zu sehen. Auf dem Bahnsteig übernehmen Maja und ihre neue Freundin, Anastasia, die wird quasi im vorbeilaufen von Maja kurz vorgestellt, ganz selbstverständlich die Führung und halten, bevor sie auf der öffentlichen Damentoilette verschwinden, ihren Müttern kurz die Tür auf. Mit der Auskunft:“ Wir sind gleich wieder da, lassen die Vier den etwas verdatterten Gregor in der Bahnhofshalle zurück.. Dort haben polnische Helfer Stände mit Wasser, Lebensmitteln und Hygieneartikeln aufgebaut und Gregor nutzt die Zeit und rafft in Windeseile zwei Tüten und seinen Rucksack voll, während er die Toilettentür im Auge behält. Als die Damen in angeregter Unterhaltung raus kommen, ist er auch über Möglichkeiten zur Weiterreise informiert und hat da so eine Idee:“ Was haltet ihr von Berlin als nächste Station? Ab Gleis 3 in 11 Minuten.“ Irina verschlägt es kurz die Sprache vor Überraschung. Ganz im Gegensatz zu ihrer Tochter, die über das ganze Gesicht strahlt und nun nach einem Blickaustausch mit ihrer Mutter fast gleichzeitig mit dieser,“ Ja“ ruft. Doch die Vorfreude auf Berlin ist bei Beiden wie weggeblasen, als er anfügt:“ Ich werde nicht mitkommen. Seid mir nicht böse, aber ich muss zurück.Die Ukraine ist meine Heimat und für die muss ich kämpfen, sonst würde ich mir das nie verzeihen können. Es folgt ein Herz zerreißender Abschied von Vater und Tochter und auch Irina und Gregor umarmen und küssen sich innig. Später im Zug nach Berlin betrachtet Irina ihre Tochter, die immer wieder von heftigem Schluchzen ergriffen wird und versucht sich derweil über ihre eigenen Gefühle klar zu werden. Hat sie sich gerade eben in dem Moment der Trennung erneut in diesen Mann verliebt? Es kommt wieder der wehmütige Gedanke an die Märchen der deutschen Oma und auch große Vorfreude auf ein mögliches Wiedersehen. Doch. als sie dann denkt:“Und wenn sie nicht gestorben sind…“ ; Da schießen auch ihr plötzlich die Tränen in die Augen.
 



 
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