Underdog

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Klaus K.

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Underdog

"Underdog"? Auf deutsch bedeutet das "Außenseiter", aber eher im negativen Sinne. "Minderbemittelter" oder neudeutsch "Loser" trifft es eher. Aber es klingt halt so toll, so richtig übersetzen kann es das jeweilige so bezeichnete vis-a-vis zwar meistens nicht, nimmt den Begriff aber dann später gerne in den eigenen Wortschatz auf. Er passt zur gehobenen Sprache und wirkt. Damit fügt er sich auch nahtlos in das Repertoire einen speziellen Klientel ein, die sich mit möglichst großen, möglichst teuren, möglichst neuen Automobilen immer zahlreicher auf den Straßen begegnen. Diese Leute kennen sich mit dem Terminus aus, er symbolisiert sozusagen den Blick von oben herab. Ihre Luxus-Karossen sind zwar überwiegend finanziert, geleast oder Firmenwagen. Egal, auf den Fahrer kommt es an! Overdog, also mindestens.
Der ist vor den Schulen und Supermärkten meist weiblich, die zarten und oft kleinen Chauffeusen sieht man darin kaum. Sie haben dadurch dann manchmal auch Mühe, diese völlig überdimensionierten "tiny houses" zu bedienen. Und die männlichen Lenkungsexperten haben dafür alle so ein selbstgefälliges wohlfeiles Grinsen im Gesicht, stolz und souverän. Wer hat, der hat. Ich definier' mich über mein Auto, denn ich bin wichtig!

Und der Underdog? Der steht da, mit offenem Mund und offensichtlich reduziertem Verständnis, denn er versteht das alles nicht. Was sind das nur für wertvolle Menschen? Texas ist größer als Deutschland, und da gibt es richtige Entfernungen zwischen zwei belebten Orten. Aber ein paar Meter Auto hier bei uns innerorts, das macht offensichtlich auch Spaß! Und jetzt kommt's:
Die Fahrer, Halter und Besitzer dieser tollen Autos definieren sich über ihr Fahrzeug! Ja, die brauchen das. Wer auch sonst viel zu bieten hat, der nutzt diese neue Festung um sich abzuheben, die eigene Wichtigkeit zu unterstreichen. Platz da, ich komme! Ich!
Man betrachte diese Klientel aus der Sicht eines Underdogs. Was sich da so samstags vor einem Einkaufszentrum aus diesen Fahrzeugen herausquält, das ist schon beeindruckend. Da sprüht vereinzelt die Intelligenz förmlich bereits durch die Netzhaut! Und die Optik dazu, die unterstreicht oft die Bedeutungsschwere des Lenkers ganz perfekt.
"Weight Watchers" ist, war und bleibt ein Fremdwort. "Freight Watchers" trifft es dann, denn das zulässige Gesamtgewicht ist fast ohne weitere Zuladung bereits gefährdet. Zwei sehr gewichtige Insassen. Aber deren Blick auf den Kleinwagen daneben und den dazugehörenden Underdog genügt dann. Wenn Mitleid doch jetzt nur sprechen könnte! Beide Personen aus dem Raumschiff zeichnen sich dabei durch den fast identischen Gesichtsausdruck aus. Vielleicht ist es doch gut, dass mancher Intellekt jetzt nicht sprechen kann. Der Underdog steigt also leicht verschüchtert ein. Bingo, ich fahr' Twingo. Ein kurzer entsprechender Blick dazu sagt jetzt mehr als tausend Worte.
Sag' mir, was du fährst - und ich sag' dir, was du bist.
Aber die Erfahrungskette ist noch lange nicht zu Ende. Die Sprache.

"Ich geh' Bier!" Er zu ihr.
"Lucy will Prosecco!" Sie zu ihm.
"Strange! Denk' dran, die Steaks!" Er zurück.
"Sure! Rind!"
"Is klar!"
"Danach zum Macces?"
"Doppel-Whopper, muss sein!"
"Is klar!"

Das genügt. Da beide über dreißig sind, wurde ihrerseits auf die reine Jugendsprache offensichtlich verzichtet. Dafür wurden rudimentäre Anglizismen eingeflochten. Und kurze Sätze sind auch nach dem Ablauf der Adoleszenz ganz wichtig,
das verleiht der anspruchsvollen Konversation eine ungeahnte Dynamik. Aber die hochgelobte Wissenschaft hat ja unlängst herausgefunden, dass sich Sprache eben verändert. Laufend, eine Stagnation gibt es nicht. Und die profunde Erkenntnis der Linguisten dabei ist, dass das gut ist. Normal ist und richtig ist. Und es genügt ja auch, ein reduzierter Wortschatz vermeidet ganz eindeutig Unstimmigkeiten. Und etwas Englisch gibt dann der Unterhaltung noch den richtigen Kick, es wirkt wie Salz in der Suppe. Internationales Flair als integraler Bestandteil, sozusagen. Der Underdog ist beeindruckt.

Selbstverständlich gibt es auch andere Fahrer von Wüstenfahrzeugen. Die reden aber kaum, beim Ausstieg aus dem Luxus-Schlitten umgibt sie bereits eine Aura der Unnahbarkeit. Wer hat, der hat. Das gesteigerte Selbstbewusstsein springt aus allen Knopflöchern, erhobenen Hauptes und mit einer nicht erlernbaren Lässigkeit geht man zum Eingang. Man ist wichtig, und die Edelkarosse unterstreicht nur die eigene Bedeutungsschwere. Paare sprechen dabei kaum miteinander, sehr diszipliniert, denn man will ja sicher dadurch einen unnötigen CO2-Ausstoß vermeiden. Mund zu, vorbildlich. Und vornehm irgendwie. Sprache ist dabei für sie sekundär, die Reduktion auf eine identische Mimik genügt völlig. Man vermeidet so ja auch Unstimmigkeiten, vor allem in der Öffentlichkeit. Hallo, hier kommt jemand, der oder die weiß, was man will. Sehr nachahmenswert, eigentlich.
Man muss sich ja dadurch auch nicht laufend mit dem Plebs auseinandersetzen, was könnte man von diesen Hungerleidern denn eigentlich erwarten, diesen Twingo-Piloten? Als solcher erntet man dann oft in einem Anflug von Großzügigkeit den kaum wahrnehmbaren und bereits bekannten Seitenblick. Geprägt mit einem deutlichen Unverständnis für so viel Elend. Immerhin, das hilft und inspiriert, wie man sein eigenes Leben vielleicht gestalten sollte.

Der Underdog twingot nach Hause. Er schenkt sich einen Cognac ein, entzündet seine Pfeife und greift zum Buch.
William Somerset Maugham, "Of human bondage".
"Der Menschen Hörigkeit" lautet die deutsche Übersetzung.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nachvollziehbare Typologie, recht gut geschrieben. Ob sie zutrifft, kann ich nicht beurteilen, da mir das Interesse sowohl an Autos als auch an deren Fahrern abgeht. Ich weiß nicht mal, welche Blicke Letztere auf mich als Fußgänger werfen.

So wenig ich zu kritisieren finde, richtig lustig fand ich den Text nicht. Er scheint eher in Richtung Glosse oder Kurzprosa zu tendieren.

Nur am Rand: Plebs ist feminin (sprachlich).

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 

Klaus K.

Mitglied
Arno,

vorab vielen Dank! Und jetzt mal ganz vorsichtig, du hast einen echten Lateiner vor dir. "Plebs" ist sowohl m als auch f, siehe hierzu z.B. DWDS, da wird es ausführlich erklärt. Beispiele aus der "SZ" und der "Zeit" etc. - also aus dem hochwertigen Print-Bereich - sind entsprechend dort beigefügt. Soviel dazu.-
Für unterschiedliche Vorstellungen von Humor oder "lustig" bin ich nicht verantwortlich. Dies hier ist eine Satire, die u.a. mit Ironie, Humor und daneben mit einer entsprechenden Conclusio versehen ist.
Aber als Anglist kann man ja nicht davon ausgehen, dass jeder Maugham kennt, respektive gelesen hat. Obwohl allein der verwendete Titel der deutschen Ausgabe den Funken der Erkenntnis dann am Ende entzünden sollte.
De gustibus non est disputandum.

Mit bestem Gruß, Klaus
 

Hagen

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Geschätzter Klaus,
Danke wiederum für diesen brillanten Text, den ich als wenig talentierter Schriftsteller so aufgefasst habe, als hättest Du statt der Underdogs unsere Bundesregierung mit ihrem Fahrzeugpark beschrieben ...?
Die Regierung wirbt ja für eine Verkehrswende! Ihre Ministerien und Behörden aber haben im laufenden Jahr 8386 Pkw mit konventionellem Motor angeschafft. Demgegenüber stehen nur 253 E-Autos!
Ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, unseren Kanzler dafür zu umarmen; - leider ist mir jemand zuvor gekommen.

Nun denn, wir sehen uns an der ScheinBAR!
Zudem lesen wir uns weiterhin!
... und bleib’ schön fröhlich, guter Dinge, sowie ebenso guten Willens, gesund und munter, weiterhin positiv motiviert, moralisch einwandfrei, lüge niemals, erzähl‘ keine dreckigen Witze und sei stets heiteren Gemütes!
Herzlichst
Yours Hagen
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Merke: Cum Caesar vidisset portum plenum iuxta navigavit!
 

Klaus K.

Mitglied
Hagen,

exakt, wurde alles von mir nur kaschiert! Du hast wie immer den Kern sofort erfasst, dazu den Skandal noch präzisiert!
Ich habe mich jetzt auf der Fähre von Livorno nach Olbia eingeschifft - von wegen, "Küchenlatein"!
Mit Dank und Gruß, Klaus
 



 
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